Zum Inhalt der Seite

Noch einmal mit Gefühl

[Itachi x Ino | Sasuke x Sakura | modern AU]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Was wir wollen


 

.

.

 

Konoha, Japan; 13 Jahre zuvor

 

Langsam wurde Ino langweilig. Nicht, dass sie etwas dagegen hatte, Modell für einen fortgeschrittenen Zeichenkurs zu stehen. Sie hatte es ja auch angeboten, als sie mitbekommen hatte, dass einer ihrer Lehrer Zeichenkurse im Bildungszentrum gab.

Eine Stunde maximal, hatte der Lehrer versprochen, weil sein Kurs nur fünfzig Minuten dauerte und die Klasse danach nur noch schnell aufräumen musste. Nun saß sie schon drei Stunden hier, weil einer der Kursteilnehmer partout nicht fertig werden wollte. Selbst der Lehrer hatte irgendwann resigniert und ihm einfach den Schlüssel dagelassen.

»Hey, wird das heute noch was?«, fragte sie genervt. »Ich hab Dinge zu tun.«

Der Junge war so vertieft, dass er sie nicht hörte, obwohl er sie in diesem Moment direkt ansah, um die Konturen ihrer Lippen aufzunehmen. »Bitte nicht bewegen«, instruierte er zum gefühlt tausendsten Mal.

»Das sagst du so leicht. Ich muss langsam los, könntest du dich beeilen? Viel?«

»Tut mir leid, ich …« Er stockte, schüttelte frustriert den Kopf und warf den Pinsel beiseite. Endlich. »Das wird nichts. Ich bekomme es einfach nicht hin. Du kannst aufstehen.«

Erleichtert streckte Ino sich ausgiebig, lockerte jeden verspannten Muskel, bis sie sicher war, einigermaßen normal gehen zu können. »Darf ich mal sehen?«, fragte sie neugierig. Wenn der Typ so lange gebraucht hatte, musste er ein blutiger Anfänger sein. Wie sehr hatte er ihr Gesicht wohl entstellt? Er trat zur Seite, damit sie hinter die Staffelei treten konnte. In ihrem Kopf hatte sich bereits ein gemeiner Spruch formuliert. Er blieb ihr im Hals stecken.

»Das ist …« Angestrengt suchte sie nach einem passenden Wort. »Atemberaubend. Wow.«

Zentimeter für Zentimeter inspizierte sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln ihr Abbild auf der Leinwand. Der Typ hatte sie extrem gut getroffen. Es war, als schaute sie in einen Spiegel.

»Es ist Schrott«, meinte er, fast schon zornig, und stellte das Bild mit der bemalten Seite gegen die Wand.

»Das ist überhaupt kein Schrott!«, beharrte Ino. Sie hatte die anderen Bilder gesehen, keines davon war ansatzweise so detailgetreu und akkurat wie dieses. »Wenn überhaupt, ist das hier das genialste Bild aller Zeiten. Und das nicht nur, weil ich drauf bin.«

»Es ist Schrott, weil du nicht drauf bist.«

Sie spürte ihre Augenbrauen nach oben wandern. Für sie sah die blonde Sechzehnjährige eins zu eins aus wie sie. Vom Haaransatz bis zum Schlüsselbein. »Das verstehe ich nicht.«

»Du hast dieses … dieses Etwas … ich weiß nicht, was es ist, aber ich bekomme es einfach nicht auf das Bild. Egal, wie ich deine Lippen zeichne oder deinen Blick, es geht einfach nicht. Das ist mir noch nie passiert.« Plötzlich kam ihm eine Idee. Er riss die Augen auf, nahm ihre Hände in seine. »Yamanaka-san! Würdest du mir wieder Modell stehen? Nächstes Mal – nächstes Mal schaffe ich es vielleicht!«

Ino starrte ihn an. Blinzelte. Dann begann sie zu kichern. »Du bist echt der schrägste Vogel, den ich jemals getroffen hab. Wenn du unbedingt möchtest, darfst du mich wieder zeichnen. Wer hätte gedacht, dass ich zu schön für ein Bild bin? Ha! Das muss ich Sakura erzählen!«

»Danke, Yamanaka-san!« Er nickte eindringlich.

»Ino reicht. Ino-sama, wenn du willst, muss aber nicht sein. Und du bist?«

»Sai. Mein Name ist Sai.«

 
 

 

Konoha, Japan; Gegenwart
 

Als Sakura aufwachte, war ihr übel. Kotzübel. Möglicherweise hätte sie sich doch nicht von Naruto zu Sake hinreißen lassen sollen. Wann waren sie überhaupt aus der Bar gewankt? Es hatte definitiv gedämmert. Sie konnte von Glück reden, dass sie ihr Elternhaus noch gefunden hatte.

»Uuuuh«, machte sie, um ihre Stimme zu testen. Sie klang rau, aber stabil. Sehr gut. Nachdem sie es offensichtlich nicht einmal mehr geschafft hatte, ihre Bluse ordnungsgemäß auszuziehen, hatte sie Schlimmeres befürchtet. Vorsichtig setzte sie sich auf, um einen Eimer neben dem Bett zu finden. Unbenützt zum Glück. Zähneputzen war trotzdem keine schlechte Idee.

Im Badezimmer fand sie ihren Vater, der versuchte, Sarada einen Zopf zu flechten. »Ah, Sakura, du bist ja schon wach.«

Seine Stimme dröhnte in ihrem Kopf; hatten sie schon immer so ein derbes Echo im Badezimmer gehabt? »Aaah …«

Das Zähneputzen war eine anstrengende Angelegenheit, ihre Augen für die Gesichtswäsche zu schließen fast unmöglich. Wie sie es schaffte, sich präsentabel zu machen, ohne sich zu übergeben, würde ihr für immer ein Rätsel bleiben.

Ihr Vater war mittlerweile zum dritten Mal an Saradas Zopf gescheitert und übergab die Aufgabe an seine Tochter, die zwar kein Meisterwerk produzierte, aber wenigstens etwas, das Saradas kritischem Urteil standhielt.

»Deine Mutter hat Hinata-san samt Kindern eingeladen«, informierte er sie. »Unsere kleine Sarada will besonders hübsch für unsere kleinen Gäste aussehen.«

»Ach, wirklich?«, fragte Sakura rhetorisch und beäugte ihre Tochter skeptisch. »Und ich dachte, ich hab noch ein paar Jahre Zeit, bevor ich mich mit sowas beschäftigen muss. Die Eitelkeit hast du eindeutig von deinem Vater, junge Dame.«

»Na, jetzt sei mal nicht so streng«, meinte ihr Vater beim Rausgehen. »Ich erinnere mich an ein kleines Mädchen, das mal hier gewohnt hat und sich stundenlang die Haare frisiert hat, um einen bestimmten kleinen Jungen in der Schule zu beeindrucken.«

»Ja, und am Ende hab ich ihn geheiratet. Ich mag Naruto sehr, aber wenn er jemals Saradas Schwiegervater wird, haben wir nie wieder ein normales Familienfest. Papa!«, rief sie ihm hinterher, als er lachend im Elternschlafzimmer verschwand. Sakura deutete streng auf ihre Tochter. »Du lässt dir Zeit mit Liebesdingen, hörst du? Unsere Familie muss ja nicht noch komplizierter werden.«

Sarada sah sie aus großen Augen an, den Kopf schiefgelegt. »Gombizierder!«

»Ja, genau das!«, nickte Sakura und hob sie hoch.

Im Esszimmer erwartete sie ein reich gedeckter Tisch, an dessen Speisen sie sich nicht wagte. Mebuki war keine große Köchin, nur für Gäste betrieb sie einen solchen Aufwand. Solange Hinata das Kunstwerk nicht in seiner vollen Pracht bemerkt hatte, war jeder stibitzte Happen ein Risiko. Außerdem war Sakura so übel, dass sie selbst an ihrem Tee nur zurückhaltend nippte. Die erste halbe Tasse lang brachte ihre Mutter sie auf den neuesten Stand. Sarada war gestern mit nur einer Stunde Verzögerung ins Bett gegangen, Opa hatte ihr ein paar neue Wörter beigebracht, Ino war erst kürzlich für eine Joggingrunde raus.

Die restliche Tasse über unterhielt ihre Mutter sich mit Sarada und zeigte ihr, wie man Teigtaschen faltete. Das Kind sah aufmerksam von der Küchenanrichte aus zu und bekam sogar einen eigenen Teigklumpen zum Üben. Sie war gut. Nach ein paar Versuchen waren bereits erste Formen zu erkennen. Wäre der Teig nicht mehrmals zu Boden gefallen, hätte man ihn glatt verwenden können.

»Sakura«, sagte ihre Mutter nach einer Weile. Die Teigtaschen waren fertig und wanderten eine nach der anderen in die Pfanne. »Ich wollte dich gestern nicht vor Ino-chan in Verlegenheit bringen. Aber, gibt es einen Grund, warum du plötzlich hier aufgetaucht bist? Ist alles mit Sasuke-san in Ordnung?«

Sakura sah auf. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass ihre Mutter ihren eigenen Schwiegersohn mit dem neutralsten, generischsten Suffix der japanischen Sprache ansprach. Ein Symptom der Distanz, die Sasuke mit jedem hielt. Selbst mit ihr, irgendwie.

»Es …« Sie tat sich schwer, ein passendes Wort zu finden. Die Beziehung zu ihren Eltern war liebevoll, aber sie war hergekommen, um vor ihren Problemen wegzulaufen, nicht, um über sie zu sprechen. »Wir gehen uns nur ein wenig auf die Nerven.«

Ihre Mutter zuckte die Schultern. »So ist die Ehe eben. Es gibt Hochs und Tiefs. Hab ich dir jemals erzählt, dass dein Vater und ich nach deiner Geburt kurz vor der Scheidung standen? Das waren vielleicht turbulente Zeiten.« Beim Gedanken daran lachte sie in sich hinein. »Ich weiß gar nicht mehr, warum eigentlich. Es ist so lange her.«

Davon hatte Sakura nichts gewusst. Ihre Eltern waren ihr immer wie ein normales Paar vorgekommen, standardmäßig zufrieden mit einander. Streits hatte es selten gegeben. Nicht so wie bei ihr und Sasuke. »Wieso seid ihr zusammengeblieben?«

»Hmm?« Überlegend schwang Mebuki den Kochlöffel über ihre Schulter. »Keine Ahnung. Ich habe damals einfach gewusst, dass ich ohne ihn sehr einsam wäre. Seine dummen Anwandlungen zu akzeptieren, schien mir die bessere Lösung zu sein.«

»Ebenso«, fügte ihr Vater hinzu, der das Gespräch vom Vorraum aus belauscht hatte. Er kniff seiner Frau in die Wange, woraufhin sie ihm mit dem Kochlöffel auf die Nasenspitze schlug. »Ein Temperament wie ein Drache, aber irgendwie hält mich das auf Zack. Nicht wahr, Liebling?«

Mebuki schnaubte und wandte sich wieder ihren Teigtaschen zu, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Es war nicht der Rat, den Sakura hören hatte wollen. Genauer betrachtet war es überhaupt kein Rat. Grübelnd trank sie ihren kalten Kaffee aus. Dann klingelte es.

»Das muss Hinata sein. Ich mach auf«, sagte sie und stand auf. Im Vorzimmerspiegel prüfte sie ihr Äußeres. Gerade noch passabel. Wahrscheinlich war Hinata es gewöhnt, als erste Frau in Konoha von adretteren Gastgebern in Empfang genommen zu werden, aber immerhin war es ihr Mann gewesen, der an Sakuras schlechtem Zustand Schuld trug. Sie öffnete die Tür –

Und ihr freudiges Lächeln fror ein.

»Sasuke.« Er stand vor ihr in Anzug und Krawatte, beides verknittert von der langen Autofahrt und vermutlich einem vorangegangenen langen Arbeitstag. Ein Kaffeefleck prangte auf seinem Kragen, er hatte die Autoschlüssel noch in der Hand. Kein Anruf vorher, keine Nachricht. Sein Glück, sonst wäre sie noch außer Landes geflohen. »Was machst du hier?«

»Dich und Sarada nach Hause holen natürlich.«

Sie verschränkte die Arme, schloss die Haustür hinter sich. »Einfach so?«, fragte sie skeptisch. Sie sah die schwarzen Schatten unter seinen Augen, die unordentliche Frisur, seinen müden Blick. Er musste die ganze Nacht durchgefahren sein, um zu so einer Uhrzeit hier zu stehen.

Sasukes Augen schweiften zu Boden, über die Fußmatte und wieder zu ihr. »Nicht einfach so. Ich weiß, dass ich in letzter Zeit abweisend war. Die Firma ... mein Vater … ich stehe unter wahnsinnigem Druck. Und ich bin nicht gut darin, damit umzugehen. Es tut mir leid. Bitte«, sagte er leise. Eindringlich. »Komm wieder nach Hause.«

Soweit Sakura es beurteilen konnte, meinte er es ehrlich. Sasuke war vieles – arrogant, distanziert, unhöflich, egoistisch – aber er war ein lausiger Lügner. Darum hatte sie damals gewusst, dass er sie mit seinem plötzlichen Heiratsantrag nicht hatte verarschen wollen. Es musste ihn viel Überwindung gekostet haben, bei ihr aufzutauchen und diese Entschuldigung vorzubringen.

Und es brach ihr das Herz, ihn so zu sehen. Zerfahren und fahl. Ihre Abwesenheit tat ihm nicht gut. Aber das – und die Enttäuschung darüber war fast noch schlimmer als alles andere – konnte ihre Ehe nicht retten. Sie hatte ihn nicht aus Mitleid geheiratet und sie würde ihn nicht aus Mitleid zurücknehmen.

»Warum sollte ich?«, fragte sie, langsam, unsicher, ob sie die Antwort darauf hören wollte. Also sprach sie weiter, »Was wartet zu Hause auf mich? Derselbe Trott, der mich fortgetrieben hat? Was bringt mir deine Entschuldigung? Was bringt es mir, Sasuke, dass es dir leidtut? Was ist heute anders als letzte Woche?«

Sie hatte Mühe, ihre Stimme eben zu halten, nicht zu sehr anschwellen zu lassen. Sasuke hatte nicht damit gerechnet. Verloren und überfordert sah er sie an.

»Ich – ich weiß es doch auch nicht, verdammt, Sakura! Was soll ich dir noch sagen, außer, dass ich dich vermisse? Das tue ich, okay?«

Das war nicht, was sie wissen wollte. Sie sah seinen Schmerz, sah seinen inneren Kampf, den er seit Jahren mit sich austrug. Hatte versucht, ihm damit zu helfen. Aber er hatte ihre Hilfe nie angenommen. Jahrelang war sie auf ihn zugelaufen, mit allem, was sie war und was sie geben konnte, und sie war gegen seine Barriere gelaufen, immer und immer und immer wieder, hatte sich aufgerappelt in der Hoffnung, dass sie irgendwann durchbrechen würde.

Doch das war sie nicht. Kein einziges Mal.

»Warum hast du mich geheiratet, Sasuke?«

Seine Augen weiteten sich. Ratlos suchten sie etwas in ihrem Gesicht, das ihm einen Anhaltspunkt darüber geben konnte, was sie von ihm hören wollte. Sie gab ihm nichts.

»Ich …«, begann er. Trat einen Schritt zurück. Die Frage traf ihn, und dass sie es tat, traf auch Sakura. Hart. Weil ich dich liebe war die offensichtliche, die einfache Antwort. Nicht einmal das brachte er heraus. Schon gar nicht das. In Sasukes geschockten Augen herrschte so viel emotionales Chaos, dass es Sakura innerlich zerriss.

Er beendete den Satz.

»Ich weiß es nicht. Sakura. Ich weiß es nicht.«

Ein Teil in ihr starb. Qualvoll.

»Ich auch nicht, Sasuke.«

Sie ging zurück ins Haus. Schloss die Tür. Und weinte.

 
 

Bei all dem Meckern über ihr verschlafenes, isoliertes, weltfremdes, rückständiges Heimatkaff hatte Ino eines völlig vergessen. Die Szenerie war atemberaubend. Konoha mochte es an vielem mangeln, aber an Laufrouten bestimmt nicht. Von einem flachen Waldstück über hügelige Wiesen oder steile Berge und längliche Seen bot die Landschaft alles, was sich eine anspruchsvolle Läuferin wünschen konnte.

Es war daher nicht verwunderlich, dass sie an einem der umliegenden Seen einen Künstler erblickte, vertieft in seine Staffelei, auf der sich erste Züge der klaren Landschaft abzeichneten. Seine Haare waren schwarz und kurz, seine Haut blass und er war so sehr auf seine Kunst fokussiert, dass er sie nicht hinter sich über den Schotterweg vorbeilaufen hörte.

Er war nicht Sai.

Auch wenn er ihm ähnlichsah, auch wenn sie sich oft dort vorne am Steg getroffen hatten – erst für seine Versuche, ihre Essenz einzufangen, später für Gespräche, Umarmungen, Küsse – er war es nicht. Sai war immer schon zu groß für Konoha gewesen, so wie sie, war weggegangen für eine Karriere als Künstler. Mittlerweile war er ein gefeierter Maler, füllte Vernissagen, lebte wahlweise in London und New York. Natürlich war er nicht hier.

Ino war enttäuscht, aber auch erleichtert. Sie hatten sich im Guten getrennt, lange bevor er hatte einfangen können, was er immer in ihr gesehen und nicht begreifen hatte können. Heute folgten sie einander auf Twitter, likten und retweeteten gelegentlich besonders gute Tweets. Die letzte private Nachricht war acht Jahre her. Es war in Ordnung. Das war das Leben.

Ino beschleunigte ihre Schritte auf den letzten Kilometern durch das schattige Waldstück vor der alten Stadtmauer, die heute keine Funktion mehr hatte, außer ein historisches Kulturgut zu sein. Heute Morgen war sie extra früh aufgestanden, um der Mittagshitze zu entgehen, trotzdem war es jetzt schon unerträglich heiß. Verdammter Süden. Als sie in die Einfahrt der Harunos einlief, war sie so erschöpft, dass sie kaum die Kraft hatte, sich über die schwarze Limousine zu wundern, die dort parkte. Sie tat es, als sie den Fahrer erblickte.

»Sasuke!«, rief sie, doch er ging wortlos an ihr vorbei, warf die Autotür hinter sich zu und raste davon. Oje.

Es überraschte Ino nicht, Sakura weinend in ihrem Kinderzimmer vorzufinden. Unter Tränen erklärte sie, was vorgefallen war, bis Hinata eintraf und sie entschied, den Nachmittag lieber mit heiteren Gesprächen als im Elend zu verbringen. Ino wusste nicht, was schlimmer war. Jedenfalls wusste sie am Abend viel zu viel über Windelqualität, pürierte Nahrung und ab welcher Konsistenz Ausscheidungen problematisch waren.

Und dann war alles vorbei. Konoha, Nostalgie, Heimat, und Ino seufzte erleichtert in ihrem Zugabteil. Nach einer letzten Nacht in Sakuras Kinderzimmer hatten sie den frühesten Zug erwischt und würden am Nachmittag wieder in Tokio sein. Drei Tage. Ino hätte es keine Stunde länger ausgehalten. Nicht neben ihrer Mutter und dieser omnipräsenten Frage – war es das wert gewesen?

Sie wollte nicht darüber nachdenken, tat es nicht. Packte ihre freien Stunden voll mit Charakterstudien und Gedankenessays in der Hoffnung, doch noch mehr aus ihrer Figur herausholen zu können. Manchmal dachte sie sogar, dass es funktionierte.

Den ersten Drehtag nach ihrem Ausflug überstand sie. Sieben Szenen, einunddreißig Einstellungen, eine Stunde Verzögerung, weil ein Praktikant über ein Kabel gestolpert und das Equipment in einem Dominoeffekt in Unordnung gebracht hatte. Ein ganzes Take im Eimer. Ino nutze die Chance, um zu experimentieren, aber Bitte halten Sie sich an das Drehbuch, Yamanaka-san und Schreien Sie bitte nicht so laut, das verstört die Zuschauer.

Scheiß drauf, war ihre stumme Antwort darauf, weil sie sich keinen Vertragsbruch leisten konnte.

War es das wert gewesen?

Erneut diese verfluchte Frage.

Ja!, musste die Antwort lauten. Jetzt, hier, in dieser beliebigen Seitengasse auf dem Weg zum Bahnhof. Warum konnte Ino sie nicht geben?

Der einbrechende Regen erwischte sie eiskalt, durchweichte ihre Sneakers und ihren Blazer lange bevor sie ein Taxi erwischte. Zu spät bemerkte sie, dass ihre Handtasche offen war. Das Skript war durchnässt. Ob das ein Zeichen war?

Sie brauchte Ablenkung. Gute Ablenkung.

 
 

 

»Wir legen Budgets nicht zum Spaß fest, Tanaka-san. Bringen Sie das in Ordnung«, sagte Itachi und legte auf.

Dieser Tag war ein Kampf. Erst die Sache mit Shiroganes verlegtem Memo, dann die Tippfehler in den Pressemeldungen, nun auch noch sein bester Abteilungsleiter. Nicht einmal Sasuke war hier. Schlimmer noch – er war seit zwei Tagen verschollen. Einfach nicht mehr zur Arbeit aufgetaucht, was Itachi gezwungen hatte, seine eigene Arbeit liegen zu lassen und Sasukes Außentermine zu übernehmen. Nun war es lange nach Feierabend und Itachi hatte nichts geschafft; keine Marketingunterlagen freigegeben, keine Produktpräsentation finalisiert.

Zum ersten Mal seit Jahren hatte er nicht die geringste Lust, vorne bei der Kreuzung links abzubiegen und ins Büro zu fahren. Das war der exakte Moment, in dem sein Smartphone über die Freisprecheinrichtung klingelte.

Bitte nicht, dachte er in der Erwartung, die Durchwahl der IT-Abteilung oder des Einkaufs auf dem Display vorzufinden, weil irgendjemand noch ganz dringend eine Unterschrift brauchte. Stattdessen erblickte er einen weit weniger abschreckenden Namen.

»Anruf annehmen«, befahl er seinem Auto und wartete, bis das Klingeln verstummte. »Hier spricht Uchiha Itachi.«

»So förmlich?«, hörte er Ino fragen. »Ich bin überfordert.«

Ein schmales Lächeln stahl sich auf Itachis Lippen. Er wusste, dass sie nicht überfordert war, so gut wie sie wusste, dass er ihren Namen vor der Anrufannahme gesehen hatte. Es war ein dummes, kleines Spiel. Unnötig, aber jetzt gerade sehr willkommen.

»Hat mein dummer kleiner Bruder dich mal wieder vor deine Tür gesetzt?«

»Nope. Aber mein Cuba Libre und ich sind einsam, nachdem ich seine Brüder alle ausgetrunken habe.«

Itachi sah auf die Uhr. Kurz vor halb neun. Ein paar wenige Mitarbeiter würden noch in der UCHIHA Corp. sein, vielleicht schaffte er es sogar, ein paar liegengebliebe E-Mails zu bearbeiten und die Berichte über die heutigen Termine fertigzustellen. Oder … »Wo bist du?«

»Chū Kōhan. Ein Tisch für zwei am Fenster. Spektakuläre Aussicht. Solltest du dir nicht entgehen lassen.«

Das Chū Kōhan war ihm ein Begriff. Eine schneidige Bar im mittleren Stockwerk eines Hochhauses um die Ecke. Erst vor ein paar Wochen hatte er dort ein paar langjährigen Großkunden auf Firmenkosten zu einem überteuerten Weinverkostungsabend eingeladen. Die Aussicht war moderat, die Zweiertische üblicherweise eher an ungünstigen Positionen verteilt. »Reizvoll. Kannst du eine halbe Stunde warten?«

»Je länger du mich alleine lässt, desto mehr Cuba Libre töte ich.«

»Ist das gut oder schlecht?«

»Kommt drauf an«, summte sie.

Itachi fragte nicht nach. Sie flirtete gerne, testete aus, wie weit sie gehen konnte. Es war amüsant, erfrischend. Die Frage war, wie weit er gehen konnte, ohne ihr falsche Hoffnungen zu machen. Er würde es herausfinden.

Eine Schauspielerin inmitten einer voll ausgelasteten Bar zu finden, war einfach. Mit ihrem offenen, blonden Haar stach sie aus der dunklen Masse hervor wie ein Blitzschlag, und selbst in Sneakers und Pullover war sie weit und breit die attraktivste Frau im Raum. Und sie wusste es.

»Das war keine halbe Stunde«, stellte sie fest, ein halbes Grinsen auf ihren roten Lippen.

»Soll ich nochmal gehen?«

»Hatten wir diese Diskussion schon einmal oder hab ich ein Déjà-vu?«, fragte sie rhetorisch, während er Platz nahm und grünen Tee bestellte. Seine Getränkewahl ließ sie schnauben. »Also betrinke ich mich weiterhin alleine. Wie enttäuschend.« Sie hob ihr Glas Richtung Bar, um Nachschub zu bestellen.

»Ich bin untröstlich.«

»So siehst du aus«, seufzte sie. »Du kannst es wiedergutmachen, indem du mir etwas erzählst. Ganz egal was. Ich brauche etwas, das meine Gedanken beschäftigt.«

»In der Mittelschule habe ich meinen Mathematiklehrer korrigiert. Er hat behauptet, ich läge falsch. Zwei Wochen später hatte er einen sechzehnseitigen mathematischen Beweis am Tisch, dass ich recht hatte.«

Ino blinzelte ihn an, vielleicht, um zu überlegen, ob die Geschichte ihren Anforderungen entsprach, dann schüttelte sie lachend den Kopf. »Wären wir in derselben Klasse gewesen, hätte ich dich wirklich, wirklich krass gemobbt.«

»Dann bin ich sehr erleichtert, dass wir uns erst jetzt kennengelernt haben«, erwiderte Itachi. »Allerdings bin ich vermutlich immer noch derselbe spießige Streber wie damals.«

Ino nahm einen Schluck von ihrem neuen Cuba Libre. »Ja, aber jetzt siehst du gut aus. Das ist ein echt guter Schutzfaktor gegen Mobbing.« Sie zuckte die Schultern über das Kompliment, das ihr so leicht über die Lippen gekommen war, dass Itachi es fast überhört hätte. »Gib’s zu, du würdest immer noch arbeiten, wenn ich dich nicht abgefangen hätte, oder?«

»Bin ich so durchschaubar?«

»Nur in diesem Punkt. Wovon hab ich dich denn abgehalten? Nur, damit ich abschätzen kann, welche deiner ach so wichtigen Aufgaben ich getoppt habe.«

Für einen Moment fehlten ihm die Worte. Es war der Moment, an dem ihr Knöchel beiläufig seine Wade streifte. Die Berührung war so kurz, dass er nicht sicher war, ob sie Absicht oder Versehen gewesen war. Diese Frau. Sie spielte gerne, und sie spielte gut.

»Marketingunterlagen für die Markteinführung unseres neuen Produkts«, sagte er endlich. »Sobald wir eine funktionierende Betaversion haben, werde ich alle potenziellen Großkunden abklappern, um ihnen in einer beeindruckenden Präsentation klarzumachen, dass sie synCOM unbedingt brauchen.«

Ino lehnte sich zurück, Cuba Libre in der Hand, und nickte gegen ihn. »Cool, lass hören. Die Rolle krieg ich locker hin. Ich hab Off-Off-Broadway mal eine selbstherrliche Karrierefrau gespielt, die regelmäßig in hinterzogenem Geld badet und langsam den Verstand verliert, weil ihre betrogenen Mitarbeiter die Scheine mit Gift bestreichen. Weit weg von CEOs kann das ja nicht sein.«

»Soweit ich weiß, baden reiche Menschen selten in Geld. Üblicherweise korreliert Reichtum negativ mit Bargeld.«

»Es ging ja auch um die Metapher«, versetzte sie. »Also? Ich könnte mal wieder eine Rolle brauchen, bei der ich mich nicht langsam und qualvoll erdrosseln will. Tu mir den Gefallen.«

»Ist das nicht ziemlich albern? Wir sind mitten in einer Bar.«

»Sag bloß, dir sind Trockenübungen peinlich. Das ist ja niedlich.« Wieder streifte sie sein Bein, diesmal eindeutig mit Absicht. »Jetzt komm schon. Ich hab Unterhaltung und du kannst arbeiten. Ist das nicht ein perfekter Deal?«

Ob Ino sich auf seine Kosten amüsieren wollte? Aber sie hatte recht, er sollte eigentlich noch arbeiten. Was war schon dabei? Außerdem war es überraschend schwer, ihr etwas abzuschlagen. Huh. »Also schön. Aber du musst aufpassen und am Ende ehrliches Feedback geben.«

»Aye, aye, Sir!«

Itachi unterdrückte ein Augenrollen. Aus der Sache kam er nicht mehr raus. Egal. Er richtete sich auf. »Erst einmal möchte ich mich für Ihre Zeit bedanken, die Sie sich genommen haben, um diesen Termin heute wahrzunehmen«, begann er. »synCOM ist das neueste Produkt in unserer Integrationssoftwarereihe. Dabei handelt es sich um ein Tool zum Schnittstellenmanagement, mit dem Sie Informationen aus unterschiedlichen Datenbanken synchronisieren können.«

Und er legte los. Zwanzig Minuten lang erzählte er von den Features und Vorteilen von synCOM. Es war ein gutes Produkt, in das viel Entwicklungsaufwand und Innovation geflossen war. Usability, Performance, Konfigurationsmöglichkeiten, unterstützte Programmiersprachen, Kosten. Die tatsächlichen Zahlen und manche Namen änderte er ab für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Konkurrenz zufällig am Nebentisch saß. Tat sie ziemlich sicher nicht. Die anderen Gäste interessierten sich kein Stück für die Genialität, die hinter synCOM steckte.

Und Ino … Ino sah furchtbar gelangweilt aus.

»Wow«, sagte sie, doch es klang wie das genaue Gegenteil. »Ich weiß nicht, was ich erwartet habe.«

»War es so schlecht?«, wollte er wissen. »Das ist eine ernstgemeinte Frage. Von dieser Präsentation hängen Aufträge im Millionenbereich ab, ich kann es mir nicht leisten, dass mein Publikum einschläft.«

»Nein! Es ist nur …« Nachdenklich spitzte sie die Lippen. »Ich kapier einfach nicht, was mir dieses Produkt bringen soll?«

Itachi hob seine Augenbrauen. Es gab wenige Leute, die ihn auf seinem Fachgebiet kritisierten. Aber er hatte nach ihrer Meinung gefragt. »Der technische Überblick hat natürlich nur für bestimmte Zielgruppen Relevanz –«

»Das meine ich nicht. Du hast das sehr gut erklärt, Schnittstellenmanagement, Datensynchronisation über verschiedene Programme, alles schön und gut. Aber, hm, ich weiß nicht. Klang eher wie eine Vorlesung als ein Verkaufsgespräch.« Plötzlich flackerte ein Leuchten in ihren Augen auf. »Herausforderung. Ich wette, ich kann dir dein eigenes Produkt verkaufen.«

Niemals, wollte Itachi instinktiv sagen. Wie sollte sie ohne jedwedes Produktwissen auch nur ansatzweise eine Präsentation darüber zustande bringen? Genau darum konnte das hier verdammt unterhaltsam werden. Er breitete seine Hände aus. »Die Bühne gehört dir, Ino. Wie viel Vorbereitungszeit brauchst du?«

»Oh du süßes Unschuldskind«, machte sie, fast schon beleidigt. Sie nahm einen letzten Schluck Cuba Libre, lockerte ihre Nackenmuskeln und schloss die Augen. Als sie die Lieder wieder aufschlug, sah sie ihn so professionell und entschlossen an, dass Itachi für einen Moment die Luft wegblieb. Und dann sprach sie.

»Warum sollten sie keine zehn Praktikanten hinsetzen, die händisch all ihre Daten von einem Tool ins andere übertragen? Oder ein paar Mitarbeiter dazu verdonnern?« Eine Pause folgte. »Weil synCOM billiger ist, keine Fehler macht und nicht mal Pinkelpausen braucht. Und in den nächsten zwanzig Minuten zeige ich Ihnen, wie genau das funktioniert.« Selbstgefällig klatschte sie in die Hände. »Und dann kommt dein ganzes technisches Blabla. Verkauft?«

»Fein«, gab er langsam zu. »Möglicherweise bin ich schon zu tief in der Materie drin, um zu beurteilen, was Außenstehende begeistert.«

»Oder ich bin einfach ein Naturtalent. Jetzt komm schon.« Sie stupste sein Knie mit ihrem an, diesmal eher neckisch als suggestiv. Es hatte denselben Effekt. »Spring über deinen Schatten und gib zu, dass du ein bisschen beeindruckt bist.«

Eine Rechtfertigung lag ihm auf der Zunge – Marketing war nicht sein Metier, Bedarfsschaffung als Verkaufsmethode war ihm wohl bekannt. Aber sie hatte recht. Er prostete ihr zu. »Ich bin beeindruckt.«

»Na siehst du? Wer hätte gedacht, dass eine einfache Schauspielerin das mal schafft, hm?« Zufrieden sah sie durch die Fensterfront nach draußen, wo das Lichtermeer der umliegenden Bürogebäude immer kleiner wurde. An ihre Stelle trat die Beleuchtung der Vergnügungsviertel weiter westlich, die in allen möglichen kunterbunten Farben durch das Glas brachen und ihr Gesicht in warmes Licht tauchten.

Itachi folgte ihrem Blick. Nicht, weil er interessiert war an dem, was sie beobachtete. Seine Abwehrhaltung kostete einfach zu viel Kraft, wenn er in ihr Gesicht sah – das spitze Kinn, die blauen Augen, den schlanken Hals. Die Einfachheit, mit der sie ihn in eine Konversation verwickeln konnte.

»Übrigens, Itachi. Danke.«

»Wofür?«

Sie lachte, leise und tief und über etwas, das sie nicht preisgeben würde, und lehnte sich ihm ein wenig weiter entgegen, weil das war, was man üblicherweise bei einem gut laufenden Date machte. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, ihre Augen fokussierten seine Lippen mit einer Intensität, die seinen Puls in die Höhe trieb. Sie war so schmerzhaft attraktiv, so unterhaltsam und facettenreich, so komfortabel ähnlich und doch reizvoll anders.

Und doch.

»Tut mir leid, Ino.«

Für ein Blinzeln konnte er die Enttäuschung über die Zurückweisung in ihrem Gesicht sehen. Es hätte Itachi gewundert, hätte es sie kalt gelassen, Schauspielerin hin oder her. Sie verstanden sich gut, besser als er jemals erwartet hätte, hatten tausend Gemeinsamkeiten und dabei noch nicht einmal über ihren gemeinsamen Herkunftsort gesprochen. Doch es hatte keinen Sinn. Nicht jetzt in dieser Phase seines Lebens.

Sie fing sich schnell wieder, lehnte sich zurück und überschlug lächelnd die Beine. »Kaum bin ich dreißig, krieg ich nicht mal mehr einen Typen im Anzug rum. Mein Leben geht wirklich den Bach runter«, scherzte sie und bestellte lachend ein weiteres Getränk.

»Das hat nichts mit dir zu tun.« Die generischste Begründung der Welt. »Ich bin einfach –«

»Schon gut. Du bist mir keine Erklärung schuldig«, sagte sie. Es klang ehrlich. Als hätte sie damit gerechnet. »Workaholic, große Ambitionen, strenge Familie, schon klar. Außerdem bin ich ein großes Mädchen. Darauf sollten wir anstoßen.«

Und sie waren wieder zurück in einer heiteren Unterhaltung, in der er ihr zum zweiten Mal versicherte, dass er sie nicht verarschen wollte und tatsächlich keinen Alkohol trank. Mühelos hatte sie es geschafft, seinen unangenehmen Moment zu überbrücken. Sie flirtete nach wie vor, wahrscheinlich, weil sie nicht anders konnte, und warf ihm vor, ein Spießer zu sein, weil er nicht mehr darauf einging. Also tat er es.

Der Abend klang so harmonisch aus, wie er begonnen hatte. Sie hatten viel gelacht, noch mehr diskutiert. Wenn sie wollte, war Ino eine gute Zuhörerin, zumindest bis an den Punkt, an dem ihr ein Gedanke kam, den sie loswerden wollte. Dann war kein Kraut gegen ihren Rededrang gewachsen. Musste es auch nicht, wie Itachi fand. Er hörte ihr gerne zu, egal bei welchem Thema. Sie hatte das seltene Talent, den Einkauf von Socken als spannendes Abenteuer wiederzugeben.

Er übernahm die Rechnung und fuhr sie nach Hause, beides trotz ihrer mehrfachen Weigerung. Ino wusste sehr gut, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, und machte ein paar selbstironische Scherze darüber. Die kurze Autofahrt über verbrachten sie mit belanglosem Smalltalk. Erst als er in ihre Straße bog, fiel ihr eine amüsante Geschichte über ihre erste Begegnung mit einem Gürteltier ein.

Die Erzählung war okay, nicht lustiger als ihre anderen, und hätte Itachi nicht zufällig eine rare Parklücke vor ihrem Wohnhaus erspäht, hätte er sie in zweiter Spur aussteigen lassen und wäre nach Hause gefahren. Es war spät, morgen um halb neun war das erste von mehreren Meetings zur Budgetplanung des nächsten Geschäftsjahres angesetzt. Aber die Parklücke bot sich an, also stieg er mit aus, begleitete sie bis zur Tür, um sie in der begeisterten Wiedergabe des skurrilen Streits mit dem Gürteltier um ein Gurkensandwich nicht zu unterbrechen. Ino nahm sein Geleit kommentarlos an, beendete ihre Geschichte mit dem großen Finale – sie hatte ihr Sandwich aufgrund sabbriger Beißspuren dem Tier überlassen – und blieb vor ihrer Wohnungstür stehen.

Sie war nur ein wenig kleiner als er, trotzdem schaffte sie es, suggestiv durch ihre dichten Wimpern zu ihm hochzublicken. »Letzte Chance.«

Wieder einer ihrer halbernst gemeinten Scherze. Diesmal fielen keine schillernden Farben auf ihr Profil, sondern künstliches Licht des Bewegungsmelders über ihrer Tür. Trotzdem war er versucht. Aber es war sinnlos, nach wie vor, würde es lange bleiben, und er hatte sie bereits abgewiesen. Jetzt einzuknicken war seiner nicht würdig.

»Gute Nacht, Ino«, sagte er und wandte sich zum Gehen –

Er kam nicht weit. Ino fing ihn ab, hielt ihn am Kragen seines Hemdes zurück und zog ihn zu sich. Die plötzliche Nähe ließ seinen Puls in die Höhe schießen, auch wenn sie absichtlich ein paar Zentimter vor seinen Lippen gestoppt hatte. Ein paar Sekunden passierte nichts, nur ihr heißer Atem auf seinem Gesicht. Dann lachte sie leise und tief. »Einen Versuch war’s wert.«

Sie ließ ihn los, machte einen Schritt zurück, grinsend, als bereite es ihr ungemeines Vergnügen, ihn in den Wahnsinn zu treiben. Dabei war sie so von sich überzeugt, so sicher, ihn durchschaut zu haben, dass sie überrascht aufkeuchte, als er seine Selbstbeherrschung über Bord warf, sie gegen die Tür drängte und seine Lippen gegen ihre presste.

Es war kein romantischer Kuss, nicht schüchtern oder vorsichtig, und Ino schien es absolut nichts auszumachen. Ihre Überraschung hielt nicht lange. An seiner Gürtelschnalle zog sie ihn zu sich, kompromisslos und verheißungsvoll. Ihr Shirt rutschte mit seinem Handgelenk nach oben, gab ein wenig nackte Haut frei, über die er seine Fingerkuppen strich. Sie war glatt und weich und warm und o Gott wie lange hatte er schon keine Frau mehr berührt.

Wie sie in dem verschlungenen Knäuel aus Armen und Beinen ohne hinzufallen in die Wohnung kamen, bekam er nur am Rande mit. Er konnte das siegreiche Grinsen auf Inos Lippen spüren, als er sie gegen etwas drängte, das sich wie eine Küchentheke anfühlte. Ins Schlafzimmer schafften sie es ohne Hosen und auch nur, weil Ino ihr neues Sofa nicht zweckentfremden wollte. Das Bett war ohnehin sehr viel bequemer. Sie brachen darauf nieder, verkeilt in ein menschliches Chaos aus Küssen und Berührungen und o Gott, ja, genau da!

Wochenlang hatte sie kokettiert und gereizt und jetzt wo sie nackt und stöhnend und erregt zitternd unter ihm lag, konnte Itachi nicht verstehen, wie er es so lange ausgehalten hatte. Und als sie ihre Arme um seinen Rücken schlang, ihn umdrehte und sich auf ihn rollte, wusste er es noch weniger.

Er bereute nichts. Nicht jetzt in diesem Moment wenigstens.

 
 

.

.
 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kleines-Engelschen
2019-07-30T21:07:01+00:00 30.07.2019 23:07
ein tolles kapitel. hat mir wahnsinnig viel spass gemacht es zu lesen :)

greetz
Von:  Levisto
2019-07-25T17:47:57+00:00 25.07.2019 19:47
Ich weiß nicht, was ich sagen soll: Sasuke bekommt nicht, was er will... Dafür liebe ich dich! Auch wenn die Tatsache traurig ist, dass er nicht ausdrücken kann, warum er Sakura geheiratet hat. Und sie weiß es auch nicht. Wirklich sehr bewegend.

Dafür geht es bei Ino um so mehr zur Sache. Wie niedlich du das offensichtliche Flirten beschreibst und Itachi letztendlich nachgibt. Einfach herrlich zu lesen.

Ich freue mich wirklich, dich als Autorin gefunden zu haben ^^

Greetz
Levisto
Von:  franny
2019-07-23T04:18:09+00:00 23.07.2019 06:18
Hallo,
ich habe mich sehr auf das neue Kapitel gefreut und das Warten hat sich wirklich gelohnt!!!
Ich hätte nicht erwartet das Sasuke vor der Tür steht und darum bittet das Sakura wieder zu ihm zurückkommt und noch weniger hab ich erwartet (nur gehofft) das sie ihn stehen lässt. Sehr gut ;) aber wenn er nicht mal weiß, wieso er sie geheiratet hat.... Pah

Ich war anfangs etwas skeptisch was das Pairing Ino und Itachi angeht, aber es macht wirklich Spaß die Story der beiden zu verfolgen.
Ich bin sehr gespannt wie es auch mit den beiden weitergeht...

Mach weiter so =)
LG franny

Von:  TheOnlyOne
2019-07-22T11:59:58+00:00 22.07.2019 13:59
Jetzt muss ich doch auch mal meinen Senf dazugeben :)

Hallo erst mal ^^
Also ich war erst skeptisch als ich quasi den Klappentext gelesen habe, aber auch nicht desinteressiert ;)

Für mich entscheidet sich i.d.R. in den ersten zwei bis drei Kapiteln ob eine Story gut ist.
Ich finde es erfrischend das Sakura nicht wie ein Wanderpokal rumgereicht wird oder mit irgendwelchen absolut abwegigen Charakteren ein Verhältnis hat (wie kommt man auch auf solche Dinge??? ^^'). Auch die Kombination Ino und Itachi ist zumindest in der Geschichte herrlich abwechslungsreich.

Ich finde die gesamte Grundidee wahnsinnig gut, vor allem in der Umsetzung.
Du schreibst Mörderkapitel oO ich beneide wirklich jeden der eine Situation so wortgewandt ausformulieren kann. Das Talent habe ich leider nicht ^^'
Damit wären wir auch schon bei deinem Schreibstil angelangt den ich einfach nur Wahnsinn finde!!!
Oft breche ich Geschichten ab zu lesen, weil der Autor einfach nur plump und trocken schreibt, aber du bist so detailliert und schmückst Situationen so toll aus... Ich sauge jedes Wort wie ein Schwamm auf.
Auch finde ich toll dass ich mal einen Autor gefunden habe, der kein halbes Jahr braucht um ein Kapitel zu schreiben :).
Also alles in allem ganz toll!!!

Und zu deinem letzten Kapitel:
Klasse.
Also erst die Situation mit Sasuke und Sakura. Ich hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet dass er vor der Tür steht. Seine Worte so minimal sie auch gewesen waren haben mich echt gerührt, aber Sakuras Entscheidung war hart aber genau richtig. Ich bin einfach gespannt wie sich ihre Beziehung entwickelt.

Ino und Itachi hingegen das komplette Gegenteil. Ich habe mehrfach auflachen müssen. Die Zwei funktionieren hier echt super! Auch hier kam für mich unerwartet dass Itachi es wirklich wagt, aber cool :D

Ich mag vor allem den Perspektivenwechsel, aber zwing mich nicht mich zu entscheiden. Ich finde alle interessant :)
Aber fürs nächste Kapitel wäre Sasukes oder Itachis Sichtweise echt interessant ^^'

Also fühl dich gedrückt und bis zum nächsten Mal :)
lg CupCake
Antwort von:  4FIVE
23.07.2019 11:53
Hallo TheOnlyOne,

vielen lieben Dank für dein tolles Feedback. Ich freue mich immer riesig über Leser, die sich die Zeit nehmen, ausführliche Kommentare zu schreiben!

Zur allgemeinen Verwunderung, dass Sasuke zu Sakur gefahren ist: Ich möchte Sasuke hier nicht als eiskalten Arsch darstellen. In einem Universum, das nicht derart harsch ist und in dem seine Familie nicht ermordet wurde, hat er auch ganz andere Probleme. Ich mag ihn zwar eigentlich nicht, jedoch hat Sasuke durchaus mit am meisten Charaktertiefe (mehr als Naruto gar!). Darum möchte ich ihn auch hier nicht als eindimensional darstellen. Dass Sakura ihn verlassen hat, lässt ihn nicht kalt. Er ist allerdings komplett überfordert mit der Situation, was letztlich in seinem "Ich weiß es nicht." kumuliert.

Aaaaach, ich finde Sasuke im Canon sai anstrengend und dumm, aber in dieser FF ist er tatsächlich meins Lieblingsperspektive. :)

Liebe Grüße und bis zum nächsten Kapitel,
4FIVE.
Von:  Zyankaly
2019-07-21T20:35:03+00:00 21.07.2019 22:35
Puh, ich dachte nie, dass mich die Geschichte wirklich fesseln würde... und nun hab ich nicht mehr aufhören können zu lesen. Du hast einen sehr ansprechenden Schreibstil.
Von:  Cuddlytoy
2019-07-20T11:14:44+00:00 20.07.2019 13:14
Uuuuund durch.
Endlich das lang ersehnte nächste kapitel :D
Ist wieder wirklichbsuper geworden, ich mag ja inos trockenen humor xD die hat mir gerade erfolgreich die sasuke-geschichte in den hintergrund gedrängt. Vergiss die beiden idioten... ino und itachi sind viel lustiger :p


Zurück