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Wegweiser ins Licht

von

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Neu gemischte Karten

Kapitel 27: Neu gemischte Karten
 

Die Verpackung riss auf, als der Pudding mit einem satten Geräusch auf den Boden klatschte und sein Inhalt sich somit auf den Küchenfliesen verteilte.

„Professor!“, schimpfte Shiho. „Ich habe mich ihretwegen fast zu Tode erschreckt.“

Sie hatte ihn quasi in Flagranti erwischt. Mit sperrangelweit geöffnetem Kühlschrank und reichlich Süßkram im Mund und in den Händen. Der Pudding wurde hierbei Opfer von Agasa’s hektische Reaktion auf die plötzlich vor ihm stehende Rothaarige.

Der alte Erfinder schaute ziemlich bedröppelt drein, nachdem das Chaos beseitigt und beide sich an den Essenstisch gesetzt hatten. In seinem Bärtchen hing noch etwas von der Pastete, die er verdrückt hatte. Eigentlich war er ja nicht verfressen oder ähnliches, auch wenn seine Figur nicht die Schmalste war. Doch seine derzeitige Forschung verlangte ihm alles ab, sodass er häufig den geregelten Mahlzeiten fernblieb. Das und der von Haibara aufgestellte Essensplan, welcher definitiv zu wenig Nervennahrung beinhaltete, trugen dazu bei, dass im spät abends schonmal plötzlich der Heißhunger packte.

„Es tut mir Leid Ai, dass ich dir Sorgen bereitet habe“, nuschelte Agasa verlegen.

Zwar war eigentlich nichts weltbewegendes vorgefallen, dennoch war dem Professor klar, dass Shiho derzeit weitaus andere schwerwiegendere Dinge zu bewältigen hatte. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was in ihr vorging. Der Verlust eines Familienangehörigen ist und bleibt eine schreckliche Erfahrung. Auch wenn sie schon die ein oder andere solche Wunde sich zugezogen hatte, so war diese noch taufrisch und wer weiß, wie lange es dauern würde, bis diese verheilt sei oder ob überhaupt. Wie viel Schmerz kann ein einzelner Mensch wohl ertragen, ehe er sich davon nicht mehr erholen kann.

„Ist schon in Ordnung Professor. Ich habe vielleicht ein wenig überreagiert“, zwang sich Siho zu einem bescheidenen Lächeln, während sie ihre Tasse mit warmer Milch fest umklammerte, als könnte jeden Moment jemand kommen und ihr auch diese einfach wegnehmen.

Der alte Erfinder nippte nachdenklich an seinem Kaffee. Er ging davon aus, dass Shiho wohl kaum nach Smalltalk war und selbst wenn, hätte er keine Ahnung über was er mit ihr reden sollte.

Er stoppte beim erneuten Ansetzen der Tasse um etwas zu trinken, als die Rothaarige begann ihre Lippen zu spitzen, als würde sie überlegen doch noch etwas zu äußern, wenn auch zögerlich.

„Professor. Vorhin im Flur ist mir aufgefallen, dass das Licht nicht anging. Ich habe es mehrmals probiert. Ich denke die Lampe ist kaputt.“

Der Professor grinste schwach. Mit einer solchen Aussage hätte er zwar nicht gerechnet, aber es war vermutlich besser als nichts von ihr zu hören.

„Ich werde mir das morgen mal ansehen.“ Er stand auf und räumte die leere Tassen in die Spülmaschine. „Und du versuchst jetzt ein bisschen zu schlafen. Dein Körper hat etwas Ruhe verdient.“

Shiho nickte und wünschte dem Professor eine gute Nacht, ehe sie in ihr Zimmer zurückkehrte. Ebenso hatte sie ihn darum gebeten, nicht bis zum Sonnenaufgang im Labor durchzuarbeiten. Auch sein Körper hatte eine Pause verdient. Dem herzhaften Gähnen Agasa’s darauf ließ vermuten, dass er ihrem Ratschlag wohl folgen werde. Was für ein Tag, der da zu Ende ging.
 

Die Hoffnung Shihos die restliche Nacht friedlich zu schlummern, entpuppte sich als naiver Wunsch ihrerseits. Albträume jagten sie. Die Schwarze Organisation. Auferstanden aus ihrer Asche kehrte zurück und trieb sie und Shinichi in die Enge, bis es kein Entrinnen mehr gab. Ein dunkler Schatten griff nach ihnen. Riss sie auseinander. Ihr Freund wollte sie festhalten. Es gelang ihm nicht. Hilflos musste sie mit ansehen, wie er von der Dunkelheit verschluckt wurde.

Sie riss die Augen auf. Schweißgebadet lag sie in ihrem Bett. Ihr Herz raste wie wild.

Es dauerte ein wenig, ehe sie sich beruhigen konnte und realisierte, dass dies alles nur ein böser Traum war. Erschöpft schloss sie wieder die Augen und atmete tief durch. Sie horchte auf, als ein merkwürdiges Geräusch allmählich an ihr Ohr drang. Es schien aus dem anliegenden Bad zu kommen. Ein schrilles Summen, wie ein Rasierapparat. Was trieb der Professor heut nur für komische Dinge, dachte sich die Rothaarige. Sie war allerdings zu erschöpft um weiter darüber nachzudenken und so dämmerte sie ein wenig vor sich hin. Keine Ahnung wie viel Zeit dabei verging.

Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, war das Geräusch von vorhin verschwunden. Es war still und dunkel in ihrem Zimmer. Ab und an fiel ein schwaches Licht hinein. Draußen schien der Mond, welcher immer wieder von vorbeiziehenden dichten Wolken verdeckt wurde. Sterne schienen kaum welche, registrierte die junge Wissenschaftlerin beim Blick hinaus. Sie spürte die drückende Wärme unter ihrer Bettdecke und das Verlangen, etwas frische Luft zu tanken. Doch als sie aufstehen wollte, um das Fenster zu öffnen, bemerkte sie irritiert, dass sie ihre Arme nicht bewegen konnte. Nach mehrmaligen Rütteln realisierte sie, dass sie gefesselt war.

Shiho bekam Panik. Wer hatte sie fixiert und warum? Sie fing an nach dem Professor zu rufen, doch er kam nicht. Stattdessen meldete sich jemand Fremdes aus der Ecke ihres Zimmers.

Shiho blieb der Atem weg. Binnen eines Wimpernschlages überzog sie eine Gänsehaut. Plötzlich war ihr nicht mehr warm, sondern eiskalt, sodass sie zu zittern begann. Da saß jemand in dem Stuhl gegenüber von ihrem Bett. Verborgen im Schatten konnte sie die Person nicht sehen, doch diese Stimme erkannte sie unter Hunderten, auch wenn sie ein wenig anders klang als sonst.

Nein das konnte nicht sein. Träumte sie noch? Oder halluzinierte sie? Das konnte doch unmöglich real sein. Sie war wie gelähmt.

Die Gestalt sprach erneut zu ihr, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.

„Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, so bin ich doch wirklich hier. Hatte ich nicht versprochen, dass wir uns wiedersehen werden… Sherry?“

Shiho hätte bei dem Namen am liebsten aufgeschrien, doch kein Laut vermochte mehr ihrer Kehle zu entrinnen. Es war real. Obwohl Shinichi und alle anderen sie vom Gegenteil überzeugen wollten. Sie gab sich ihren Versprechungen hin, doch in ihrem tiefsten Inneren hatte sie stets Zweifel gehegt, diese aber immer wieder unterdrückt. Sie wollte ihnen glauben. Sie wollte Shinichi glauben. Doch am Ende wurde sie, wie schon so oft, zurück auf den Boden der Tatsachen gezogen.

Warum sollte das Schicksal sie auch einfach gewähren lassen. Ihre Vergangenheit würde sie stets einholen und ER würde sie immer wieder finden, so wie heute Nacht.
 

Gin saß weiterhin in dem Stuhl und durchbohrte mit seinen gewitzten grünen Augen die rotblonde Frau. Er hatte sie einfach nur beobachtet. Stunde über Stunde. Die ganze Zeit über, hat er sie stillschweigend betrachtet. Sich ganz und gar ihrer Nähe hingegeben.

„Pro… Profess…“, entwich es Shiho fast lautlos.

„Du brauchst dir wegen ihm nicht den Kopf zu zerbrechen.“ Gin warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. „Das Dickerchen schwebt im Land der Träume und wird noch bis zum Morgen tief und fest schlafen.“

„Was hast du…?“

„Ich habe ihm kein Haar gekrümmt, wenn es das ist was dir Sorgen bereitet. Ich sorgte lediglich dafür, dass wir zwei ungestört sind.“

Das fahle Licht des Mondes wanderte in die Ecke des Zimmers, in der Gin saß. Der Mörder von Akemi sah nicht besonders gut aus, dass konnte Siho selbst in dem schwachen Schein erkennen. Er wirkte dünner, beinahe abgemergelt. Tiefe Schatten zeichneten sich auf seinem matten Gesicht und den Wangenknochen ab. Er schien schon lange nicht mehr regelmäßig und ausreichend gegessen zu haben. Trotz seiner schlaffen und von Hunger gezeichneten Gesichtszüge, war er frisch rasiert. Der Duft von After Shave drang in ihre Nase.

Also war Gin die Person im Badezimmer gewesen. Ein Schauer überfiel sie. Wie lange hielt er sich schon im Hause des Professors auf?

Ein Auto fuhr die Straße entlang und tauchte für den Bruchteil einer Sekunde Gin gänzlich in gleisendes Licht, ehe es schlagartig wieder finster wurde. Sein Haar war kürzer als früher und eher silbern, als blond. Nicht so platinblond wie das von Wermut, sondern schon beinahe weiß. Er wirkte viel älter, als er war. Nur seine Augen funkelten wie eh und je. Seine Pupillen zogen sich zusammen, als das flüchtige Licht der Scheinwerfer auf seine Netzhaut traf.

Er saß weiterhin einfach nur da, wie eine Raubkatze, die auf den richtigen Zeitpunkt wartete ihre Beute zu zerfleischen.

War Siho seine Beute?
 

„Du siehst gut aus.“, machte er ihr ein Kompliment.

Sie rümpfte die Nase. So langsam konnte sie sich wieder etwas beherrschen, auch wenn es dafür nicht den geringsten Anlass gab. Das Adrenalin in ihren Adern schärfte aber ihre Sinne.

„Das gleiche kann ich leider nicht von dir behaupten.“, entgegnete sie.

Ihre -für Gins Gegenwart- relativ feste Stimme entlockte dem Hünen ein überraschtes Stirnrunzeln. Doch seine Gesichtszüge entspannten sich schnell.

„Dafür darfst du dich bei Cognac bedanken.“, sprach er ruhig.

In Shihos Kopf ertönten sämtliche Alarmglocken.

„W-Was Cognac?“ Ein Stich durchzog ihre Brust. Für einen Augenblick drohte sie die Fassung zu verlieren, schüttelte doch dann ablehnend den Kopf. Gin trieb sicherlich Spielchen mit ihr. Er nutzte ihre Angst als Waffe gegen sie. Ihre Emotionen durften jedoch nicht über die Fakten triumphieren. Er selbst mag zwar überlebt, doch Cognac wurde Opfer seiner eigenen Überheblichkeit.

„Was redest du da? Das ist nicht möglich. Du solltest wissen, dass er tot ist“, versuchte Shiho zu kontern. „Er stürzte mit seinem Helikopter ab. Shinichi und Shuichi waren Zeugen davon, er...“

„Irrtum“, erwiderte Gin scharf.

„Wie..?“

Alles verkrampfte sich in ihr. Sein Verhalten machte deutlich, dass er es absolut ernst meinte und Gin war kein Mensch, der gerne mit einem Scherz auftrumpfte.

„Ich zerstöre ja nur ungern deine Illusionen mein Herz, aber Cognac ist leider putzmunter. Er lebt, genauso wie die Organisation lebt oder zumindest das, was einmal die Organisation war.“

Shiho verstand gar nichts mehr. Sie hätte sich am liebsten Geohrfeigt, damit sie endlich aufwachen würde. Ihre Fesseln verhinderten dies jedoch.

Wovon sprach Gin da nur und warum machte er den Eindruck, als würde er das Überleben Cognacs bedauern? Sofern dies der Wahrheit entsprach. Und was war mit der Organisation geschehen? Hatten Shiho und ihre Freunde wirklich versagt, bei dem Versuch sie niederzuschlagen. Diese Informationen wirkten auf sie so verwirrend, dass sie es partout nicht akzeptieren wollte.

„Nein, nein. Du lügst. Das kann nicht sein.“, wimmerte sie.

„Ob du es mir glaubst oder nicht ist mir gleich“, reagierte Gin barsch auf ihr verzweifeltes Auftreten und erhob sich. Vermutlich empfand er dieses Preisgeben von Schwäche und Verwundbarkeit als ihrer unwürdig. Er ging auf sie zu und stellte sich an ihr Bett. Fast schon verachtend blickte er auf sie herab.
 

„Hast du mit ihm geschlafen?“

Siho -ganz desorientiert- verstand die Frage nicht. Ihr Kopf drohte zu platzen. Sie kniff die Augen zusammen.

„Sein Glück, dass dein Liebhaber nicht hier ist“, fügte Gin bissig hinzu. Seine Stimme konnte Shiho nur noch dumpf vernehmen als hätte man sie mit ihrem Kopf unter Wasser gedrückt. Sie quoll über vor Verachtung und… Neid.

„Weiß er überhaupt, dass er nicht dein Erster war?“

Ein stechender Schmerz durchzog das Herz der Wissenschaftlerin. Er beschwor eines ihrer dunkelsten Kapitel an die Oberfläche eines Sees voller Erinnerungen in ihrem Inneren. Sie konnte nichts erwidern, wusste aber inzwischen, dass Gin von Shinichi sprach.

„Denkst du wirklich, dass ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe? Du bist wirklich naiv geworden Sherry.“

„S-Sei still“, krächzte Shiho, doch Gin dachte nicht daran.

„Er hat dich belogen. Er wusste es besser, doch zog es vor dich für dumm zu verkaufen. Und weißt du warum? Weil er dir nicht vertraut. Du bist für ihn nur ein Klotz am Bein.“

„Nein das stimmt nicht“, widersprach sie, auch wenn ihr nicht wirklich klar war auf was Gin hinauswollte, doch fehlte es ihr an Überzeugung in der Stimme.

„Warum sollte ich lügen?“ , fragte er. Klang aber nicht so als würde er überhaupt keine Antwort darauf erwarten.

Shiho schluckte und rang sich dazu stark zu bleiben. Wenn nur diese Fesseln nicht wären. So bewegungsunfähig vor ihrem Widersacher liegend, fühlte sie sich noch verwundbarer als ohnehin schon.

„Egal was du mit mir vorhast, Shinichi wird es erfahren und das ihr zurückgekehrt seid.“

Gin beugte sich zu ihr herunter, sodass sein Gesicht direkt vor ihrem war. Seine Augen hafteten an ihren Lippen.

„Das weiß er doch schon längst“, offenbarte Gin mit einem fast schon befriedigten Unterton. „Immerhin hat er Korn auf der Baustelle persönlich konfrontiert. Chianti hat mir alles erzählt. Er weiß das die Schwarze Organisation zurückgekehrt und für Akais Tod verantwortlich ist.“

Shiho wollte erneut dagegen halten, doch ihr blieb die Luft weg. Sie glaubte ihm kein Wort. Sie wollte ihm kein Wort glauben. Gin schien dies zu spüren. Er fuhr ihr, wie zu Beruhigung, mit der Hand durch das Haar.

„Du kannst ihn ja gerne damit konfrontieren, wenn du willst. Du wärst überrascht, was Liebende voreinander so alles verbergen, nicht wahr?“

Danach erhob er sich wieder und wandte sich ab.

„Ich habe sicherlich nicht den beschwerlichen Weg hierher auf mich genommen um dir Märchen zu erzählen. Im Gegensatz zu ihm, bin ich der Meinung, dass du die Wahrheit wissen solltest, um dich auf das was kommen wird vorzubereiten.“

Über seine Schulter warf er einen ernsten Blick an die Rothaarige.

„Cognac ist der Mittelpunkt in diesem ganzen Konstrukt. Alle Stränge laufen bei ihm zusammen. Es war sein Plan, von dem ihr geglaubt habt, er würde das Ende der Männer in Schwarz bedeuten. Ihr wart nur seine Marionetten.“ Er ließ seinen Blick wieder ab und schritt hinüber zum Nachttisch. Er starrte auf ein eingerahmtes Bild. Das Foto von Ai und Conan in ihrem gemeinsamen Urlaub, dass schon für einiges an Aufsehen gesorgt hatte.

Die Rotblonde konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Mit den Fingerspitzen wollte er es berühren, zögerte jedoch und ließ am Ende die Hand wieder sinken.
 

Shiho hätte in der Zwischenzeit etwas sagen können, blieb aber stumm. Sie versuchte zu ergründen, warum Gin wirklich hier war. Wenn er sie töten wollte, hätte er doch schon längst die Gelegenheit dazu gehabt. Wollte er sie wirklich nur warnen? Das sah ihm nicht ähnlich, aber so vieles an ihm, sah ihm inzwischen nicht mehr ähnlich.

„Ich folge ihm nicht, was ich teuer bezahlen musste. Doch brechen konnte er mich nicht und wird es auch niemals“, fuhr er fort. „Er ist unser gemeinsamer Feind, aber verstehe das ja nicht falsch. Auch ihr seid weiterhin meine Feinde, doch ich erachte es als sinnvoll, wenn Cognac so vielen Gegnern wie möglich gegenübersteht. Du und dein Detektiv-Freund seid seine größte Schwachstelle. Er wird alles tun um sich an euch zu rächen und ich werde das zu meinem Vorteil ausnutzen. Ihr seit mein Mittel zum Zweck. Meine Köder, mein Werkzeug. Nicht mehr und nicht weniger und das ist auch der einzige Grund, warum ich jetzt vor DIR stehe und nicht vor deinem Geliebten. Euer Nutzen für mich ist alles, was euch am Leben hält.“

Gin klang so als versuchte er Shiho und der ganzen Welt klarzumachen, dass er keinen Zentimeter an Stärke und Erbarmungslosigkeit eingebüßt hat, während seiner Zeit bei Cognac. Ein wahrhaftig wildes Tier ließe sich wohl nicht zähmen. Ganz egal wie lange es in einem Käfig hockt. Eher beißt es sich selbst tot als sich mit einem Schicksal in Gefangenschaft abzufinden. Und genauso war auch Gin.

Aus seiner Manteltasche zog er ganz beiläufig eine Glühbirne hervor und platzierte sie auf dem Tisch.

„Die könnt ihr gerne wiederhaben. Sie gehört zu der Lampe im Flur. Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen hatte.“ Damit ging er zur Tür und öffnete diese nur um im Türrahmen ein letztes Mal stehenzubleiben.

„Der Kampf ist eröffnet Sherry. Die Karten neu gemischt. Wähle dein Blatt mit bedacht.“

Mit diesen Worten verschwand er. Die Spitzen seines schwarzen Mantels wehten noch hinter ihm her, dann war es plötzlich wieder still.

„Moment warte. Gin.“ Shiho wollte ihm folgen, sie war aber nach wie vor am Bett fixiert. „Gin!“

Ihr kam es abstrus vor ihm nachzurufen, sollte sie doch froh sein, dass er wieder gegangen war ohne ihr ein Haar zu krümmen. Allerdings schwirrten plötzlich eine Menge Fragen durch ihren Kopf, auf die vielleicht nur er eine Antwort hätte. Stimmte es wirklich, was er sagte? Hat Shinichi ihr die Wahrheit über den Verbleib der Organisation tatsächlich vorenthalten? Hätte er sie wirklich so belügen können?

Sie zerrte so fest sie konnte an ihren Fesseln, doch wenn sie von Gin waren, dann gab es für sie keine Möglichkeit sie allein zu lösen. Völlig erschöpft gab sie nach und versuchte sich zu beruhigen. Sie vergrub ihr Gesicht in ihr Kissen.

„Shinichi“, murmelte sie traurig. „Sag ist das wahr?“
 


 

Zur gleichen Zeit starrte eine geschrumpfte Mary Sera von dem Balkon ihrer Wohnung auf die Lichter Tokyos. Sie war tief in Gedanken versunken. Ihre Miene verriet nichts von dem, was in ihr vor sich ging. Masumi war bereits zu Bett gegangen. Leise hatte sie sich in den Schlaf geweint. Ihre Mutter konnte nichts unternehmen, um sie zu trösten. Wie es in ihr aussah, vermochte nicht einmal sie selbst zu ergründen. Sie hatte nicht einmal persönlich Abschied nehmen können. War nicht dabei gewesen, als ihr ältester Sohn zu Grabe getragen wurde.

„Shuichi“, flüsterte sie in die Nacht hinein.

Sie erinnerte sich noch an ihr letztes Gespräch. Wie sie ihm von ihrer Schwester Elena erzählte, seiner Tante. Sie bereute es nicht, es getan zu haben. Hätte sie weiter geschwiegen, würde sie es nun auf ewig bedauern. Die Familie ist das wichtigste. Das hatte sie lange verdrängt gehabt. Hätte sie nur einen besseren Draht zu ihm gehabt. In ihm steckte so viel von seinem Vater. Mehr als ihr meist lieb gewesen ist.

„Shuichi“, wiederholte Mary. „Ich wünschte ich wäre mehr für dich da gewesen.“

Ihr Blick fiel auf die geladene Glock, die vor auf einem kleinen runden Tisch ruhte.

„Das wird sich ab sofort ändern. Schluss mit dem Versteck spielen. Der Kampf ist eröffnet. Die Karten neu gemischt. Lange genug habe ich in diesem Körper verweilt.“

Sie griff nach der Pistole und zog das Magazin heraus. Ihr Antlitz spiegelte sich in den Patronen wieder. Ihr Blick war entschlossen und furchtlos.

„Es ist an der Zeit in die Offensive zu gehen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  MikaCouragi
2023-11-20T15:24:10+00:00 20.11.2023 16:24
Ich fand das Kapitel wie immer richtig toll. Ob Gin und Shinichi & Co sich jetzt vielleicht sogar zusammentun werden? Ich persönlich mag Gin ja sehr.
Ich freue mich schon riesig auf das nächste Kapitel. Weißt du schon so ungefähr, wann das fertig ist?

Von:  Blue_StormShad0w
2022-06-26T19:45:53+00:00 26.06.2022 21:45
Hallo und guten Abend. Lange ist es her, seit dem letzten Kapitel. Um so mehr freu' ich mich gerade, dass die Story weitergeht! 😆
Und der Anfang des Kapi hatte auch gleich eine kleine, komische Szene. Ich konnte mir sehr gut das Gesicht vorstellen, wie der auf frischer Tat ertappte Professor von Shiho erwischt wurde. Tja, nächtlicher Heißhunger bleibt selten unbemerkt.😅
Und dann aber dieser Schockmoment! Bei dem Geräusch des Rasierapperat, habe ich mich an ein früheres Kapitel erinnert, dass jemand wärend seiner unfreiwilligen Inhaftierung Cognacs ein Bart gewachsen war. Und da hatte man eine unangenehme Gänsehaut bekommen! Shiho hörte dies, dachte sich nichts weiter dabei und stellte dann später fest, dass sie gefesselt war.
Und dann, wie ihm einen gruseligen Thriller - die Beschreibung, wie Gin gegenüber Shihos Bett im Schatten saß und sie die ganze Zeit beim schlafen beobachtet hatte, WOW, dieses Szenario hatte meine Kopfkino-Fantasie richtig auf Hochtouren aufgedreht, dass mir eine noch viel unangenehmere Gänsehaut hochkam! 😱 Auch die Beschreibung seines derzeitigen Aussehens war passend beschrieben, und auch das mit den kurzen Aufleuchten vom Auto, wo Shiho Gin sehen konnte, wow nur. Hier muss ich dir wirklich ein Lob für deinen tollen Schreibstil preisen! 👍👍👍
Und Shihos Entsetzen, Fassungslosigkeit, Panik und Hilflosigkeit war so greifbar und man fieberte hier regel mit ihr, da man erste nicht wusste, was Gin nun mit ihr beabsichtigt?
Und dann erzählt Gin Shiho alles, was Fakt ist, dass Cognac lebt, dass die Organisation weiter existiert und dass Shinichi es ihr verschwiegen hatte. Und Gin sie und ihm als Köder benutzt, um sich persönlich an seinen alten Rivalen rächen will.
Ich bin schon sehr gespannt, was in den nächsten Kapis da alles kommen wird? Zum einem, wie Gin entkommen konnte? - wobei er da wohl Hilfe von Chianti hatte, die du hier erwähntest. Da bin ich gespannt, wie du das schreiben wirst. Marys Offensiv werde ich auch mit Spannung erwarten.
Aber auf die Konfrontation Shiho-Shinichi wird wohl hier das Hauptthema sein. Den da wird's definitiv einen sehr unschönen, riesen Streit geben.
Gut, dann auf bald und lass dich nicht unterkriegen, ciao! 👋😄

P.s.: Mir war aufgefallen, dass du an einigen Stellen Siho statt Shiho geschriben hast. Dachte ich mach drauf aufmerksam.
Gut, nochmals, ciao! 👋😊


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