Akt I
Märchenstunde
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Akt I
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„Pssst, Sakura-chan.“
„Was denn, Naruto?“
„Diese alte Hexe ist mir nicht ganz geheuer.“
„Sie kann dich hören.“
„Ändert aber nichts daran, dass die Tante seltsam ist.“
„Du hast absolut keine Manieren…“
„Ich kann dich hören, Froschgesicht“, tönte es von weiter vorne.
Naruto schnitt eine Grimasse. „Mir doch egal!“
Ohne sich umzudrehen, erwiderte die Frau: „Lass die blöden Grimassen lieber sein, unverschämter Bengel. Oder willst du, dass ich dich am Ende unserer Reise in ein Pferd verlieben lasse?“
Verschreckt wich Naruto hinter Sakura zurück. „Das meint die doch nicht im ernst, oder?“, flüsterte er nervös in ihr Ohr.
Sie seufzte schwer. „Lass es einfach nicht darauf ankommen, ja?“
Sakura war mit ihrem Team auf ihrer neusten Mission unterwegs. Dieses Mal mussten sie eine mächtige Miko, die den Daimyou des Wellenreichs von einem Fluch befreit hatte, wieder zurück zu ihrem Tempel begleiten. Insgeheim musste Sakura ihrem vorlauten Teamkameraden zustimmen, denn ganz unrecht hatte Naruto nicht. Die Miko war wirklich seltsam. Laut Kakashi besaß sie unvorstellbare spirituelle Kräfte, die auch über die Grenzen des Feuerreichs hinweg sehr geschätzt wurden. Ihr Instinkt sagte ihr, dass die alte Dame gut auf sich alleine aufpassen konnte. Wozu brauchte sie dann den Geleitschutz von Genin-Ninjas?
„Nun, ich hatte ja die Hoffnung gehegt, ein paar starke, hübsche Männer an die Seite gestellt zu bekommen.“
Sakura blinzelte, als die Miko sich auf ihrer Sänfte, die von vier Lakaien getragen wurde, umdrehte und ihr zuzwinkerte. „Das hast du dich gerade gefragt, nicht wahr, mein liebes Kind?“
Sie ignorierte die junge Kunoichi, die sie mit offenem Mund anstarrte, und warf einen ärgerlichen Blick zu Naruto und Sasuke. „Stattdessen habe ich solche Rotzlöffel am Hals. Aber einen Hoffnungsschimmer gibt es ja zum Glück noch!“, fügte sie verschmitzt hinzu, als ihr Blick auf Kakashi fiel. Sie warf ihr ergrautes, hüftlanges Haar über die Schulter, während sie den Ninja mit klimpernden Wimpern anlächelte.
Dieser fühlte sich sichtlich unwohl und versteckte sich ohne Kommentar hinter seiner Icha Icha Paradise-Ausgabe. Die Miko brach in gackerndes Gelächter aus, was in ihrem ohnehin faltenversehenen Gesicht hundert weitere Linien auftauchen ließ.
„Ich sag’s euch ja, die hat nicht mehr alle Latten am Zaun“, murmelte Naruto.
Dieses Mal konnte Sakura nur beipflichtend nicken.
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Noch vor Anbruch der Abenddämmerung erreichten sie den Tempel der Miko. Allerdings stellte sich dieser als Palast heraus. Die Priesterin verdiente wohl nicht schlecht mit ihren Fähigkeiten.
„Dürfen die überhaupt so in Saus und Braus leben?“, bemerkte Naruto verwundert, während sie der Miko durch die Gänge folgten, die von kostbaren Statuen gesäumt waren. Aber keiner beschwerte sich über ihren ausschweifenden Lebensstil, denn die Miko hatte ihnen angeboten, bei ihr über Nacht zu bleiben. So konnten sie gestärkt am nächsten Tag wieder nach Konoha aufbrechen. Und wann bekam man schon die Gelegenheit, in einem waschechten Palast zu übernachten?
Nachdem ihnen ihre Gemächer für die Nacht gezeigt wurden – jeder bekam ein prächtiges Zimmer für sich – wurden sie ins Speisezimmer geführt. Die Miko setzte sich ans Kopfende und nach einem kurzen Klatschen in die Hände führten die Lakaien reihenweise dampfende Platten herein. Die Augen der Jungs wurden tellergroß, als ihre Blicke über die Landschaft von Bergen an Bergen von Köstlichkeiten wanderten.
Aufmunternd schaute die alte Frau sie an. „Bitte, bedient euch!“
Sofort stürzten sie sich auf das Essen. Naruto ließ sich das nicht zweimal sagen, während Sasuke sich versuchte etwas zurückzuhalten, aber nicht minder Appetit zeigte.
Die Miko lachte schallend. „Kakashi, mir gefällt es, dass deine Jungs so einen gesunden Appetit zeigen.“
Naruto biss in ein Hühnchenbein hinein, bevor er laut rief: „Ich will ja auch Hokage werden!“
Sakura verpasste ihm eine Kopfnuss. „Naruto, wie oft denn noch – nicht mit vollem Mund reden.“
Sasuke gab ein verächtliches Schnauben von sich, während Naruto Sakura trotzig ansah. „Uhh, Sakura-chan, sei doch nicht so-“
„Ach, Hokage also?“, unterbrach die Miko ihn. Sie lehnte sich in ihre Seidenkissen zurück und schaute die Kinder interessiert an. „Und was ist mit euch anderen beiden? Was ist euer Traum?“
Sasuke ließ seine Hände sinken und starrte seinen Teller an. Schlagartig verfinsterte sich seine Miene. „Ich habe noch eine Rechnung mit jemandem offen“, sagte er ruhig.
„Sasuke, du Bastard, tu jetzt nicht wieder so ultracool!“
Die Miko hob nur erstaunt die Augenbrauen, aber sie kommentierte Sasukes Antwort nicht weiter. Ihr Blick glitt zu der jungen Kunoichi, die wie versteinert da saß. „Und was ist mit dir, mein Kind?“
Sakura spürte, wie die Röte ihren Hals hochkroch. Alle Blicke – einschließlich Sasukes – waren auf sie gerichtet. Was war ihr Traum? Sie liebte Sasuke und wünschte nichts sehnlicher, als dass er ihre Zuneigung erwiderte. Aber das würde sie jetzt garantiert nicht hier laut am Esstisch herausposaunen, auch wenn alle seit der Teamgründung über ihre Gefühle Bescheid wussten. Obwohl ihre Liebe aufrichtiger Natur war, erschien ihr Traum neben den der Jungs kindisch und mädchenhaft. Sie dachte an den Wald des Todes und wie sie sich gewünscht hatte, endlich stärker zu werden, um nie wieder hinter Sasuke und Naruto herschauen zu müssen. Dieser Wunsch war ähnlich stark.
„Ich…“ Ihre Stimme stockte.
Der Miko entging nicht der flüchtige, sehnsüchtige Blick, den das Mädchen ihrem dunkelhaarigen Teamkameraden zuwarf. Ihre Lippen umspielte ein wissendes Lächeln.
Daher wehte der Wind also.
Sakura wurde von den Lakaien erlöst, die in diesem Moment das Dessert hereintrugen. Zu ihrem Glück beharrte die Miko nach der Unterbrechung nicht weiter auf ihre Antwort. Nachdem sich alle die Bäuche vollgeschlagen hatten, sah Naruto Sakura aufgeregt an. „Eh Sakura-chan, lass uns den Palast erkunden! Hier gibt es bestimmt viel zu sehen.“
Sie nickte zustimmend und wandte sich dann zögernd an Sasuke. „Sasuke-kun, willst du uns-“
„Nein, danke.“
Ihre Gesichtszüge entglitten ihr kurzzeitig, bevor sie sich schnell wieder unter Kontrolle hatte. Sie versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Oh, schade…“
„Komm schon, Sakura-chan“, warf Naruto unbekümmert ein, „lass die Spaßbremse doch vor sich hinmosern.“
Die Miko beobachtete die Szene nachdenklich, bis sie plötzlich rief: „Einen Moment! Bleibt alle hier.“
Nachdem sie sich die Aufmerksamkeit der Kinder sicher hatte, verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. „Als Dank für euren Geleitschutz habe ich ein Geschenk für euch.“
Wie aufs Stichwort öffneten sich plötzlich die großen Flügeltüren und ein Lakai trug ein mit rotem Samt ausgelegtes Tablett herein. Die Miko nahm das Tablett entgegen und lüftete das Tuch.
Zum Vorschein kam ein schwarzer Handspiegel.
Die drei Kinder starrten die alte Frau misstrauisch an. Naruto verschränkte die Arme und neigte den Kopf skeptisch zur Seite. „Was soll ich mit einem Spiegel? Sehe ich aus wie ein Mädchen?“
Die Miko lächelte geheimnisvoll. „Ich schenke euch diesen Spiegel nicht – dazu ist er viel zu wertvoll. Er besitzt magische Kräfte und erlaubt es mir, in die Zukunft zu schauen.“
Augenblicklich strahlte Naruto sie an und auch Sasuke richtete sich interessiert auf.
„Ist ja saucool!“ Aufgeregt beugte sich Naruto über den Tisch. „Los, sag schon, wie stark werde ich später einmal sein? Welche Jutsus habe ich drauf? Und wann werde ich endlich Hokage sein?“
Die Miko schüttelte den Kopf. „Er kann solche Antworten nicht liefern. Er ist ein Spiegel der Liebe und zeigt mir nur Dinge, die die Liebe betreffen.“
Die Enttäuschung stand Naruto ins Gesicht geschrieben und auch Sasuke verzog abfällig den Mund. Nur Sakura starrte den Spiegel gedankenverloren an.
Die Miko runzelte die Stirn. Sie hatte mehr Begeisterung erwartet. „Na kommt schon her. Oder seid ihr gar nicht neugierig, wen ihr einmal heiraten werdet?“
Sakura biss sich auf die Lippe, blieb aber still.
Naruto schüttelte energisch den Kopf. „Kein Interesse.“
Sasuke stützte die Arme auf den Tisch ab und legte gleichgültig sein Gesicht in seine Hände. „Tz. Ich werde nie heiraten.“
Kakashi hob den Blick von seinem Buch und meldete sich nun auch zu Wort. „Nun, Sasuke, ich erinnere dich nur ungern daran, aber meintest du nicht am Anfang, dass du deinen Klan wiederaufbauen möchtest?“ Er schaute ihn vielsagend an. „Ohne Heiraten klappt das mit dem Setzen von kleinen Uchihas in die Welt nicht.“
Sasuke spürte, wie Zornesröte in seine Wangens schoss. Naruto kicherte hämisch. Endlich konnte er sich auch mal wieder auf Sasukes Kosten amüsieren.
„Ehehe, Kakashi-sensei hat recht! Oder woher willst du sonst die ganzen Uchiha-Babys auftreiben?“
Sasuke malmte die Zähne aufeinander. „Das geht dich einen…“
Sakura konnte sich hinter vorgehaltener Hand ein leises Lachen nicht verkneifen. Es war ein seltener Moment, Sasuke so verlegen zu sehen.
Nachdenklich tippte sich Kakashi den Finger an den Mund. „Nun, aber die Frau will ich sehen, die es mit Naruto und seinem Saustall zu Hause aushalten kann.“
Sasuke schloss die Augen. „Die gibt es nicht“, sagte er verächtlich.
Naruto schnappte empört nach Luft. „Ey, Bastard, nimm das zurück!“
Bevor sich die Jungs an die Gurgel gehen konnten, grätschte die Miko dazwischen. „Mein Angebot steht noch.“
„Fein. Spuck’s aus“, grummelte Naruto. Die anderen nickten zustimmend.
Die Miko warf Kakashi einen entschuldigenden Blick zu. „Leider funktioniert der Spiegel nur mit Heranwachsenden.“ Sie wandte sich den Kindern zu. „Ich brauche nur eine Haarlocke von euch. Wer ist zuerst dran?“
Sakura rutschte nach vorne und sah die Miko entschlossen an.
„Ich.“
Die Miko nahm die Schere, die sich ebenfalls auf dem Tablett befand, und schnitt dem Mädchen eine Locke ihres rosafarbenen Haars ab. Alle Anwesenden schauten mit großen Augen zu, wie die Miko die Haarsträhne nahm und sie auf den Spiegel legte. Plötzlich leuchtete der Spiegel auf und die Locke versank unter der Oberfläche. Sofort nahm sie den Spiegel in die Hand und schaute konzentriert hinein.
Ihre Augen weiteten sich augenblicklich, als sie sah, was der Spiegel ihr zeigte. Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Das Schicksal ging manchmal doch sehr vorhersehbare Wege.
„Na los, sag schon!“, verlangte Naruto.
Sie hob den Blick und schaute in das erwartungsvolle Gesicht des Mädchens.
„Nun, du wirst später einmal heiraten und ein Kind haben.“
Die Enttäuschung stand Sakura ins Gesicht geschrieben. Mehr würde sie nicht erfahren?
„Das war‘s?“
Die Miko schüttelte den Kopf. „Mehr kann ich euch nicht verraten. Das Risiko ist zu groß, dass ich eure Zukunft beeinflusse.“
„Dann bringt es ja gar nichts“, brummte Naruto. Aber er ließ sich trotzdem eine Haarlocke abschneiden. Nachdem die Haarsträhne in den Spiegel eingetaucht war, studierte die Miko das Spiegelbild eingehend, bevor sie antwortete: „Du wirst ebenfalls einmal heiraten und zwei Kinder haben.“
Naruto streckte siegessicher seine Faust in die Luft. „Yeah! Hast du es gehört, Sasuke? Heiraten werde ich!“
Kakashi kratzte sich am Kinn. „Wer hätte das einmal gedacht.“
Sasuke ging auf Narutos Sticheleien nicht ein. Stattdessen ließ er sich widerstrebend eine Haarlocke abschneiden. Er konnte nicht verhindern, dass eine gewisse Aufregung in ihm aufkeimte.
Die Miko legte die schwarze Haarlocke auf das Spiegelbild und wartete ab. Obwohl sie bereits wusste, was der Spiegel ihr zeigen würde, blickte sie dem Anblick erwartungsvoll entgegen. Lächelnd hob sie den Blick und schaute in die dunklen Augen des Jungen, die vergeblich versuchten, ihre Neugier zu kaschieren.
„Auch du wirst eines Tages heiraten und ein Kind haben.“
Sasuke runzelte die Stirn. Nur ein Kind? Aber so konnte er doch nicht einen ganzen Klan wiederaufbauen.
Naruto grinste ihn breit an. „Ich werde später mehr Kinder haben als du. Sogar auf diesem Gebiet schlage ich dich.“
Sakura verdrehte die Augen. „Naruto, das ist ja wohl kaum etwas, weswegen man sich streiten sollte.“ Aber ihr Schlichten war erfolglos. Die Jungs ignorierten sie und starrten sich beide angriffslustig an.
Sasukes Augen bildeten sich zu Schlitzen. „Tz. Deine beiden Loserkinder können niemals gegen mein einziges Kind ankommen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“
„Das glaubst du wohl selbst nicht, Arschloch!“ Naruto riss den Kopf herum und starrte die Miko anklagend an. „Los, alte Hexe, zeig schon die Gesichter von unseren Kindern. Damit dieser Kerl einmal sieht, dass meine Kinder nach mir, ihrem starken Papa, kommen werden.“
Die Miko ließ sich allerdings nicht einschüchtern. Sie stemmte die Hand in die Hüfte und hob ermahnend einen Finger.
„Habe ich dir nicht geraten, so nicht mit mir zu reden, unverschämter Bengel? Mehr kriegt ihr nicht aus mir heraus. Ab mit euch ins Bett.“
Sie scheuchte die grummelnden Kinder aus dem Speisezimmer und schaute ihnen nach, wie sie ihre Gemächer aufsuchten.
„Und träumt süß!“, rief sie.
Sie würde ihr ganzes Vermögen darauf verwetten, dass diese Gören heute Nacht kein Auge zukriegen würden.
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tbc…