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Mord-Semester

Magister Magicae 3
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
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Verschleppung

Er hatte ein echt beschissenes Gefühl bei der Sache. Er saß neben Nadeschda auf dem Beifahrersitz und sie fuhr mit ihm gerade zum 'Lager D'. Allein aus der Bezeichnung schloss Nikolai, daß es mehrere solcher Lager geben musste. Aber was dort genau abging, wusste er noch nicht. Das Lager lag ominöserweise auch richtig tief im Wald. Diese unbequeme Schlammpiste hier raus in die tiefste Wildnis nahm gar kein Ende. Das Lager sollte nicht zufällig von irgendjemandem gefunden werden. Aber deutliche LKW-Spuren im Matsch zeigten, daß nicht selten auch schwere Gefährte den mühsamen Weg hier raus auf sich nahmen. Es war schon ziemlich spät und es wurde langsam dunkel. Nadeschda hatte an ihrem Auto bereits die Scheinwerfer eingeschalten. Dann tauchte endlich ein riesiger Bretterbau auf, der sich von außen nichts ansehen ließ. Keine Beschriftung, keine Autos, keine Hinweisschilder.

„Meine Güte, wo sind wir hier?“, wollte Nikolai wissen.

„Siehst du gleich. Und warum wir so spät hier sind, merkst du auch noch.“

Nadeschda stieg ohne zu zögern aus und knallte die Autotür von draußen zu. Also schloss Nikolai sich ihr notgedrungen an. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, als er eintrat, aber enttäuscht wurde er erstmal nicht. Das Holzhaus war eine kleine Lagerhalle, wie der Name schon vermuten ließ. Drinnen standen fünf massive Käfige mit schweren Metallstäben, in jedem davon eine hübsche, asiatische Frau eingesperrt. Das war also ihre Ware für heute. In der Ecke saßen zwei Kerle auf Kisten, pafften Zigaretten und spielten Karten. Nikolai hatte den Eindruck, daß das ein magisch begabter Mensch und sein Genius Intimus waren, aber näher definieren konnte er sie zunächst nicht.

Nadeschda grüßte zwanglos, stellte 'Kolja' als den Neuen vor und nahm in Ruhe die Käfige in Augenschein.

Nikolai war in diesem Moment gar nicht so böse darüber, als Kolja betitelt zu werden. Er wollte nicht, daß die Typen seinen korrekten Namen kannten. Kolja war zwar die Koseform von Nikolai, hatte sich aber auch schon längst als eigenständiger Name eingebürgert. Sollten die ihn mal schön für Kolja halten.

„Sei vorsichtig, die wurden heute noch nicht gefüttert“, rief einer der schmierigen, bärtigen Männer aus dem Hintergrund, als Nadeschda zu nah an einen der Käfige ging.

Statt zu antworten, sah Nadeschda abschätzend auf ihre Armbanduhr.

„Wo kommen die fünf Mädels her?“, wollte Nikolai von ihr wissen.

„Aus Thailand. Und sie werden heute Nacht noch weitergeschleppt nach Polen.“

„In ... Bordelle? Zwangsprostituiert?“, hakte Nikolai vorsichtig nach. Wozu sollte man sonst gefangene, süße, thailändische Mädchen brauchen? In Polen gab es ja immerhin einen boomenden Markt dafür.

Nadeschda grinste. „Die sind nicht das, was du glaubst“, behauptete sie. Und dann, scheinbar ohne Sinnzusammenhang: „Die Sonne geht unter.“

Als wäre das ein Stichwort gewesen, fingen die fünf Mädchen auf einmal an, sich schreiend in ihren Käfigboxen zu winden und sich schmerzhaft zu verrenken. Nikolai wich entsetzt zurück und sah schreckerstarrt zu, wie sich die Thailänderinnen zu verwandeln begannen. Ihre schönen, langen, schwarzen Haare wurden schütter und fielen aus. Ihre rosige Haut wurde grau und runzelig. Die Augen sackten tief in die Höhlen und bekam schwarze Augenränder. Eine riss den Mund auf, da konnte Nikolai sehen, wie sich ihre Zahnreihen zu einem wahren Raubtiergebiss weiteten. Binnen Sekunden sahen die fünf ehemals hübschen Mädchen aus wie die reinsten Zombies. Und dann trennte sich plötzlich bei der ersten mit einem reißenden Geräusch der Kopf vom Körper ab. Nikolai kreischte panisch auf. Der Kopf schwebte vom Körper weg, welcher leblos zurück blieb, und zog aus dem Hals noch einige innere Organe mit heraus. So flog er dann im Käfig herum, ein loser Kopf mit unten herabbaumelnden Organen. Die anderen vier Mädchen ereilte das gleiche Schicksal. Auch ihre Köpfe lösten sich auf diese gruselige Weise vom Körper, schwebten frei im Käfig herum, oder begannen blutrünstig an den Metallstäben zu nagen, um sich zu befreien. Die Körper blieben leblos am Boden liegen. „Himmel, was ist das!?“, jaulte Nikolai fassungslos.

„Das sind Krasue“, erklärte Nadeschda lachend. „Krasue sind thailändische Kopf- oder Organ-Dämonen. Tagsüber sind sie liebreizende Mädchen, nicht von normalen Menschen zu unterscheiden. Aber nachts trennt sich der Kopf vom Körper und fliegt alleine durch die Gegend, um bestialisch Menschen zu fressen. Charakteristisch sind diese runterbaumelnden Organe, die da noch am Hals dranhängen. Morgens kehrt der Kopf zum Körper zurück und verbindet sich wieder mit ihm.“

„Das ist ja furchtbar!“, keuchte er.

„Ja, ist es. Und sie sind scheiße gefährlich. Nun weißt du, warum die Motus sie jagt. Wir zwei kümmern uns jetzt darum, sie mit einer Bann-Marke unter Kontrolle zu bringen, damit sie gefügig und ungefährlich werden. Und dann verkaufen wir sie als Sklaven in Polen. Dort zahlt man gute Preise für süße Thailänderinnen.“

„Die werden nicht getötet?“

„Na-na, das ist dein erster Tag hier bei uns in der Motus. Wir wollen dich ja nicht gleich überfordern. Du bekommst schon noch deine Chance“, witzelte Nadeschda. „Krasue sind schwache Dämonen, die kann man mit Bann-Magie kontrollieren. Da reicht es, sie zu versklaven. Die muss man nicht umlegen. Lebend bringen sie uns wenigstens noch Geld ein, nicht wahr? Mit der schwarzen Liste, auf der die Todeskandidaten stehen, befassen wir uns andermal.“

Nikolai nickte nur, etwas grün um die Nase.

„Also pass auf, ich zeig dir, wie man mit ihnen umgeht“, entschied sie und zog ihren knappen Mini-Rock zurecht, als würde sie sich auf einen Kampf vorbereiten. „Jungs, macht ihr mir mal die Käfige auf, damit ich arbeiten kann?“, rief sie den beiden Männern zu, die am Rand auf Kisten saßen.

Murrend warf einer seine Spielkarten hin. Beim Herüberkommen angelte er einen Schlüsselbund aus seiner Hose.

„Zuerst mal musst du einen Bann-Kreis ziehen, damit dir die Viecher nicht abhauen, wenn sie versehentlich aus dem Käfig entwischen“, erklärte Nadeschda und beäugte Nikolai abschätzend von der Seite. „Das kannst du ja wohl, oder?“

Nikolai nickte wieder.

Nadeschda hielt ihm auffordernd ein Stück Kreide hin. „Dann zeig mal, was du kannst.“

„Wieso belegt man sie nicht mit dem Bann, solange sie noch menschliche Gestalt haben? Ist der fliegende Kopf nicht viel gefährlicher?“, wollte der Student wissen. Drei der fünf Krasue nagten immer noch wie wild mit den Zähnen an den Metallstreben ihrer Käfigboxen, als könnten sie damit zu ihren potentiellen Opfern durchbrechen.

„Mit den Köpfen wird man leichter fertig. Die können sich nicht wehren, weil sie keine Arme und Beine haben.“

„Was du nicht sagst ...“, murmelte Nikolai, strich sich die langen, schwarzen Haare aus dem Gesicht und machte sich an die Arbeit. Der Bann-Kreis, den er auf dem Boden zog, war so groß, daß er alle fünf Käfige umschloss. Er hatte keine Lust, für jeden einen eigenen zu ziehen. Da er über asiatische Magie wenig wusste, entschied er sich für einen Bann-Kreis auf der Basis von Elementar-Magie, denn die unterlag auf der ganzen Welt den gleichen Regeln. Dabei bezog er Holz und Metall als fünftes und sechstes Element mit ein, weil die Asiaten ja andere Elemente als die Europäer hatten.

„Arbeitest du mit den europäischen oder den asiatischen Elementen?“, wollte Nadeschda irritiert wissen.

„Beides.“

„Du musst dich aber entscheiden.“

„Nein, die kann man problemlos kombinieren, wenn man weiß, wie. Auch wenn es in Asien eigentlich keine Luft gibt, behalte ich dieses Element mal lieber mit drin. Diese Köpfe fliegen in der Gegend rum. Ich vermute, die Krasue verfügen als flugfähige Wesen zumindest über Grundzüge der Windmagie. Die japanischen Tengu beispielsweise sind auch starke Windmagier, auch wenn in Japan das Element Luft unbekannt ist. Ich geh da lieber kein Risiko ein.“

Nadeschda beobachtete seine Arbeit staunend weiter. Ja, sie hatte sich nicht getäuscht. Nikolai war der Richtige für diesen Job. Auch wenn er sein Studium noch nicht beendet hatte, hatte er schon echt was auf dem Kasten.

„So. Wer noch rein oder raus will, sollte sich jetzt entscheiden. Ich aktiviere den Bann-Kreis“, kündigte Nikolai irgendwann an.

Nadeschda ließ sich den Schlüsselbund geben und schickte den Motus-Handlanger wieder zurück zum Kartenspielen. Ohne den Bann-Kreis nochmal auf seine Tauglichkeit zu überprüfen – sie vertraute Nikolais Künsten – schloss sie den ersten Käfig auf. Der fliegende Zombie-Kopf stürzte sich sofort gierig in ihre Richtung. „Um mit diesen Dingern fertig zu werden, gibt es verschiedene Wege.“ Sie zog die Tür auf und krallte mit einer Hand zu. „Am einfachsten ist es, sie fest an den Haaren zu packen und am langen Arm zu halten. Dann können sie nichts mehr machen.“ Die brünette Frau stieg in die Gitterbox hinein und zerrte den kreischenden, wild herumschleudernden Kopf mit Kraft zurück zum dazugehörigen Körper. „Zuerst sackt man den Kopf wieder da hin, wo er hingehört. Stör dich nicht an den runterbaumelnden Organen. Die finden ganz von alleine wieder ihren angestammten Platz. Und dann belegst du sie mit dem Bann-Zeichen.“ Mit der freien Hand holte Nadeschda einen Zettel aus der Jackentasche, auf dem bereits ein Bann vorgefertigt war, und drückte diesen auf das Brustbein ihres Opfers. Die vorgefertigte Bann-Marke sprang vom Papier auf die Krasue über. Und augenblicklich war Ruhe. Der Kopf hörte auf, hysterisch zu schreien, wuchs wieder am Körper fest, und das Wesen nahm wieder eine normale, menschliche Erscheinung an. Die Thailänderin war offenbar noch bei Bewusstsein, wirkte aber apathisch. Sie hatte einen irgendwie gebrochenen Blick, als hätte sie keinen eigenen Willen mehr. Nadeschda kam aus der Käfigbox heraus und schloss diese wieder ab. Sie war nichtmal aus der Puste oder irgendwie hibbelig von einem möglichen Adrenalin-Schub. Sie wirkte professionell und als Herr der Lage. Sie hatte das sicher schon oft gemacht. „So, jetzt versuch du dein Glück. Wie man die Bann-Marke vom Papier auf den Körper überträgt, weißt du ja sicher“, meinte sie lächelnd und hielt Nikolai eine Handvoll der Bann-Zettel aus ihrer Jackentasche hin. „Wie man die Bann-Zettel herstellt, bring ich dir später noch bei.“

Etwas unglücklich nahm er das Papier entgegen und studierte das mit Tinte darauf aufgezeichnete Zeichen. Es war verdammt komplex und beinhaltete eine ganze Bandbreite von Bestandteilen. Über einige davon konnte Nikolai nur anhand der Beschaffenheit mutmaßen. Gehorsamszwang, Verhinderung einer Flucht, Unterbinden unerlaubter Verwandlungen ... alles Dinge, die man nicht unbedingt in einem konventionellen Studium lernte. Er würde sich später unbedingt ansehen müssen, was sie als Emulgator verwendeten, um dermaßen komplexe Konstrukte so langlebig zu machen. Ein Bann von solcher Vielschichtigkeit und Verflochtenheit sollte eigentlich ziemlich schnell wieder in seine Bestandteile zerfallen und wirkungslos werden. Nur durfte diese Bann-Marke für den Sklavenhandel ja nicht innerhalb von Tagen wieder verschwinden. Die Opfer sollten ja jahrelang, wenn nicht gar lebenslang, unterjocht bleiben. Dazu brauchte man Hilfszauber, um die Magien, die eigentlich nicht mischbar waren, dauerhaft vermischt zu halten.

Aber dazu später. Nikolai schnappte sich den ersten Bann-Zettel und ließ sich von Nadeschda den nächsten Käfig aufschließen. Er kam sich vor wie im Kampfring. Beim Erklingen der Ringglocke begann das große Gerangel. Die Tür ging auf und sofort stürzte sich der Krasue-Kopf blutrünstig auf ihn. Erschrocken ließ Nikolai den Bann-Zettel fallen und griff mit beiden Händen nach dem fliegenden Kopf. Der Student hatte alle Mühe, das tobende Ding auf einer Armlänge Abstand zu halten. Die Krasue hatte wesentlich mehr Kraft als er geglaubt hatte. Obwohl sie nirgendwo Widerstand hatte, um sich abzudrücken, strebte sie mit solcher Macht auf Nikolai zu, daß ihm fast die Arme einknickten. Nikolai war sich sicher, daß dieser fliegende Kopf ihn locker durch die Gegend hätte ziehen können. Und immer wieder dieses monströse, schnappende Gebiss, das nach seinem Hals gierte. Nikolai verließen die Kräfte. Der beiderseits an den Ohren gepackte Kopf rutschte ihm durch die Hände. Er schaffte es gerade noch, ihn nach oben zu wuchten, damit er ihm nicht direkt ins Gesicht knallte wie eine Korken aus einer Sektflasche. Dann trat er panisch die Flucht an. Natürlich verfolgte der fliegende Kopf ihn auf der Stelle. Er schaffte es nicht mehr, die Krasue zurück in den Käfig zu schleudern und die Tür zu schließen, sie war bereits draußen. Nikolai rannte um sein Leben. Der Kopf verfolgte ihn schreiend zweimal rings um den Käfig herum, dann endlich hatte Nikolai seine überschlagenden Gedanken wieder so weit im Griff, daß er den Schockzauber anwenden konnte, mit dem sein Kommilitone Kirill ihm neulich eine blutige Nase verpasst hatte. Und der saß. Der fliegende Kopf wurde gegen einen Käfig gefegt, ging direkt K.O. und blieb benommen auf dem Fußboden liegen.

Nadeschda und die beiden Motus-Männer lachte sich am Rand die Seele aus dem Leib, während sie das alles beobachteten.

Nikolai musste erstmal überfordert nach Luft schnappen. „dermo!“ [Scheiße], fluchte er in sich hinein. Diese Kreaturen waren wirklich nicht ganz ohne. Nach einigen Atemzügen zur Beruhigung ging Nikolai den Kopf wieder einsammeln und beendete die Bann-Belegung, bevor der ausgeknockte Schädel wieder zu sich kam. Erleichtert schloss er den Käfig wieder ab, als er fertig war.

„Nicht schlecht. Für deinen ersten Versuch hast du dich gut geschlagen“, lobte Nadeschda ihn lachend.

„Die Dinger sind stärker als ich dachte.“

„Ja, das denkt man gar nicht, oder? Man glaubt, die schweben nur schwerelos rum. Nun, jetzt weißt du es. Komm, du hast noch drei von denen vor dir. Und sei vorsichtig. Beißen ist nicht das einzige, was die können.“
 

„Wie lange arbeitet ihr schon bei der Motus?“, wollte Nikolai interessiert wissen. Sie waren inzwischen auf dem Weg nach Polen. Die fünf thailändischen Mädchen hatten sie, nachdem jede von ihnen mit dem Bann belegt worden war, in einem Käfig zusammengepfercht und auf einen LKW geladen. Die beiden heruntergekommenen Kerle aus dem Lagerhaus hießen Iwan und Petr. Iwan war ein magisch begabter Mensch, ein Hellseher. Er fuhr den LKW. Seine hellseherischen Fähigkeiten erlaubten es ihm, Polizeikontrollen zu umgehen, daher war er für die Motus ein nützlicher Kurier. Petr war ein Wechselbalg, eine Art Troll, und der Schutzgeist von Iwan. Petr war sehr plump und wortkarg, offenbar auch nicht sehr intelligent, hatte aber Hände so groß wie Klodeckel. Er schien nicht viel mehr zu können als zuzuschlagen.

„Ein paar Jahre“, erwiderte Iwan geschwätzig, während er fuhr. Er schien Nikolai ganz nett zu finden und plauderte gern mit ihm. „Ist ein gutes Einkommen. Man verdient mehr als bei einer Spedition, wenn du verstehst, was ich meine. Was ich als Ladung auf dem LKW habe, ist mir ja im Grunde egal.“

„Bist du auch schon andere Touren gefahren? Oder fährst du immer nur nach Polen?“

„Ich fahr nur nach Polen und manchmal innerhalb Russlands. Der Boss ist kein Fan davon, seine Leute hin und her zu schieben. Wenn man einmal seine Aufgabe hat, bleibt es auch dabei. Man soll links und rechts davon nicht zuviel mitkriegen.“

„Verstehe. Es soll keiner die ganze Organisation kennen, was?“, meinte Nikolai.

„Du hast den Finger drauf“, lachte Iwan. „Musst nur noch drücken, dann klingelt´s.“

„Bist du dem Boss schonmal begegnet?“

„Nein. Mit so kleinen Lichtern wie uns gibt der sich nicht ab. Wir kriegen nur von irgendeinem Unterboss unsere Fahrpläne zugeteilt.“

„Von Nadeschda?“

Iwan und Petr lachten. „Gott, nein. Die ist unbedeutend. Nur eine Bann-Magierin, die die Ware unter Kontrolle hält. Die hat nichts zu sagen.“

Nadeschda lächelte nur säuerlich, kommentierte das aber nicht.

Nikolai nickte verstehend. Wie sollte er in der Motus aufsteigen und an ranghöhere Leute rankommen, wenn seine Mentorin selber bloß ein niederer Helfershelfer war? Da musste er sich wohl noch was einfallen lassen.

Iwan fuhr den LKW plötzlich an den Straßenrand und hielt an. Nadeschda begann sichtlich ihre sieben Sachen zusammen zu kramen.

„Machen wir Pause?“, wollte Nikolai verwundert wissen. Hier war absolut gar nichts. Nur tiefste Prärie. Was wollten sie hier?

„Nein. Von hier an geht´s zu Fuß weiter.“

„Mit so ´ner Ladung können wir ja nicht einfach über die Grenze fahren, nicht wahr?“, gab Petr seinen Senf dazu.

„Wir laufen nachts und schlafen tagsüber. So kommen wir besser vorwärts. Die Grenze zu Weißrussland überqueren wir an einer unbewachten Stelle im Wald. Drüben werden wir von anderen Fahrern eingesammelt, die uns zur polnischen Grenze bringen“, erklärte Nadeschda.

„Na, solange wir nicht bis nach Polen laufen müssen ...“, seufzte Nikolai unmotiviert. Diese Reise schien anstrengender zu werden und länger zu dauern als erwartet. Er fand, das hätte Nadeschda ihm ruhig vorher sagen können. Dann hätte er sich nämlich an der Uni abmelden müssen. So würde er unentschuldigte Fehltage angekreidet kriegen, was sich nicht gerade positiv auswirkte.

Nadeschda sprang aus der Fahrerkabine und stelzte in ihren hochhackigen Nuttenstiefeln um den LKW herum. Ehe Nikolai sich Gedanken darum machen konnte, daß die Wanderung in solchen Stiefeln wohl kaum übermäßig lang sein konnte, zog sie eine Pistole aus der Innentasche ihrer Jacke.

Iwan folgte ihr mit einem großen Handscheinwerfer, denn inzwischen war es stockdunkle Nacht. Er öffnete den Laderaum und strahlte hinein. Die fünf thailändischen Frauen hockten verängstigt und verheult zusammengedrängt in der hintersten Ecke. „Raus da! dawaj, dawaj!“

Nadeschda ließ die Frauen in einer Reihe antreten und fuchtelte demonstrativ mit ihrer Knarre herum. Auch wenn die kein Russisch konnten, würden sie auf diese Weise verstehen, was man von ihnen wollte. „Wer Ärger macht, wird erschossen. Wer uns zur Last fällt, wird auch erschossen. Also versucht gar nicht erst, weg zu laufen, und kommt mir nicht mit Müdigkeit oder dergleichen. Abmarsch!“, befahl sie und zeigte mit der Mündung in die Richtung in die sich die Kolonne in Bewegung setzen sollte. Sie zog das Magazin heraus, prüfte nach, wieviel Schuss noch drin waren, rammte es wieder hinein und drückte Nikolai die Waffe in die Hand. „Ich lauf vornweg. Du läufst ganz hinten und passt auf, daß keiner zurück bleibt.“

„Ist gut. Und du?“ Er hielt vielsagend die Pistole hoch.

„Ich hab selber noch eine.“ Die brünette Russin nahm Iwan den Scheinwerfer aus der Hand, verabschiedete sich und marschierte los.
 

Die ganze Nacht zu laufen, schlauchte ungemein. Nikolai war ja heute schon früh aufgestanden und hatte einige Vorlesungen in der Uni besucht. Es war nicht so, als ob er frisch und ausgeruht gewesen wäre. Und er verstand beim besten Willen nicht, wie Nadeschda mit solchen Stiefeln über Stock und Stein kam, ohne wenigstens aller paar Meter auf ihre gepuderte Nase zu fallen.

Nadeschda wurde langsamer und blieb dann ganz stehen. Der Himmel färbte sich schon wieder orange, bald würde die Sonne aufgehen. Sie hatten eine Schneise im Wald erreicht, die wohl einen Weg darstellen sollte. „Pause“, entschied sie.

„Wie lange?“, wollte Nikolai müde wissen.

„Du solltest ein paar Stunden schlafen. Ich halte Wache.“

„Wie stehen die Chancen, daß wir heute Nachmittag wieder in Moskau sind?“

„Kannst du knicken“, entschied Nadeschda. „Das schaffen wir nicht.“

Nikolai nickte hinnehmend. „Dann sollte ich meinem Chef sagen, daß ich heute nicht im Laden stehen und arbeiten kann.“ Er zog sein Handy aus der Jackentasche und schaute auf den Bildschirm. Etliche verpasste Anrufe von Anatolij. Klar, er hatte seinem Mitbewohner nicht gesagt, wo er steckte. Der würde sich Sorgen machen, weil Nikolai die ganze Nacht nicht nach Hause kam. Aber sollte er mal, der Verräter. Nikolai würde ihm nichts mehr erzählen. Er war immer noch ein wenig sauer auf seinen Kumpel und vertraute ihm nach wie vor nicht mehr.
 

Motorengeräusche ließen Nikolai irgendwann aus dem Schlaf hochschrecken. Er hatte sich auf dem blanken Boden zusammengerollt und geschlafen. Als er sich umsah, saß Nadeschda in aller Ruhe neben ihm und hielt Wache, die fünf Krasue saßen vor ihr auf einem Haufen. Von denen hatte wohl keine schlafen können. Nikolai warf einen Blick auf die Armbanduhr. 8 Uhr morgens und schon heller Tag. Die Motoren kamen näher, schienen Nadeschda allerdings nicht zu stören.

„Wir werden abgeholt“, erklärte sie ihm auf seinen fragenden Blick hin.

„Aha ...“

Da kam auch schon ein Transporter um die nächste Kurve getuckert. Nikolai schlief das Gesicht ein. Das war ein Armee-Transporter. Die Polizei! Er hatte den akuten Drang, sich aus dem Staub zu machen, aber Nadeschda schien auch das nicht aus der Ruhe zu bringen. Der Armee-Wagen hielt direkt vor ihrer Nase an. Zwei Uniformierte stiegen aus und grüßten freundlich.

„Hallo, Jungs. Wie geht´s?“, meinte Nadeschda fröhlich.

„Immer gut, wenn wir dich sehen“, erwiderte einer.

Nikolai wurde klar, daß Nadeschda nicht blöffte. Sie kannte diese Kerle. Das verwirrte ihn. Sollten sie und die nicht auf verschiedenen Seiten des Gesetzes stehen?

„Ich hab euch was mitgebracht“, schnurrte sie.

Der zweite Uniformierte hatte bereits begonnen, sich die fünf asiatischen Mädchen anzusehen und zudringlich zu begrabschen.

„Sucht euch eine aus“, bot Nadeschda an.

„Dein Besuch freut uns immer wieder“, grinste der erste zurück.

Mit einem sichtlich notgeilen Lechzen zogen die beiden Soldaten eines der Mädchen vom Boden hoch und zerrten sie auf die Ladefläche ihres Transporters. Dort drinnen begann ein Tumult, das Mädchen begann zu schreien, dann brüllte einer der Männer, sie solle die Schnauze halten.

Nikolai griff Nadeschda am Ellenbogen und zog sie ein paar Schritte beiseite. „Um Himmels Willen, wer sind die?“

„Die weißrussische Armee.“

„Das seh ich! Aber was tun die hier?“

„Sie kutschieren uns an die polnische Grenze.“

„Und dafür lässt du sie Mädchen vergewaltigen?“

„Besser als wenn sie uns verhaften, oder? Diese Kerle sind zum Glück furchtbar bestechlich. Das erleichtert uns die Arbeit.“

Nikolai fuhr sich aufgekratzt mit der Hand durch das Gesicht und dann auch noch durch die schulterlangen Haare. Er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Also starrte er nur hilflos auf die vier übrigen Mädchen, die sich heulend aneinander kauerten.

„Gewöhn dich dran, Kolja. Das ist Tagesgeschäft“, lächelte Nadeschda.



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