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Seelenschatten

von

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Labor der Abscheulichkeiten

Das neue Gruppenmitglied war bereits auf dem Weg Richtung Treppe, als Cloud Vincent zurückhielt: „Warte, wir haben hier noch etwas zu erledigen.“ Der irgendwie gespenstisch wirkende Ex-Turk stutzte für einen Moment, doch dann zuckte er mit den Schultern und machte kehrt.

Das Labor war durch zahlreiche Lampen hell beleuchtet und die unzähligen Glasbehälter und Reagenzgläser glitzerten im Schein des künstlichen Lichts. Während Clouds undefinierbarer Blick wie gebannt an zwei mannhohen Tanks im hinteren Teil des Raums hing und seine Aura erneut zu flackern begann, verteilte sich der Rest der Gruppe zwischen den umherstehenden Tischen und Regalen.

„Wo führt dieser Gang denn hin?“ Tifa deutete hinter sich und fixierte Cloud, doch dieser schenkte ihrer Frage keinerlei Beachtung. Dank Vincent erhielt die junge Frau allerdings trotzdem eine Antwort: „Dort hinten befindet sich das Studierzimmer, wo unter anderem die Berichte über sämtliche hier durchgeführten Versuche aufbewahrt werden.“ Mit einem letzten Blick auf Cloud, der geistesabwesend über die zerbrochene Frontscheibe des rechten Tanks strich, murmelte Tifa: „Klingt vielversprechend.“

Während jene den Gang hinunterhastete, amüsierte Yuffie sich zusammen mit Cait Sith über das Aussehen verschiedener Instrumente. Barrett unterhielt sich leise mit Red, der voller Interesse die unterschiedlichen Bände in dem beeindruckend großen Bücherregal an einer der Wände begutachtete, und Vincent lehnte gelangweilt am Türpfosten. Unterdessen beobachtete Aerith aus den Augenwinkeln das sonderbare Verhalten ihres Anführers, wobei sie so tat als inspizierte sie ein paar Fläschchen voller wundersam aussehender, eingelegter Wurzeln und Knollen.

Einen solchen Gesichtsausdruck hatte Aerith noch nie bei Cloud gesehen und der bunte Strauß unterschiedlichster Gefühle, der sich in seinem Minenspiel widerspiegelte, irritierte sie zutiefst. Zunächst wirkte der offenbar sehr bewegte Blonde lediglich tieftraurig, doch dann schien sich brennender Zorn, gefolgt von ernsthafter Verwirrung darunter zu mischen.

Aerith fragte sich, was wohl in seinem Kopf vorgehen mochte, während er geradezu liebevoll über das Glas des Tanks strich. Was mochte er wohl mit einem solchen Behälter verbinden, das ihn so sehr aufzuwühlen schien? Die ganze Zeit über flackerten die Energieströme, die seinen Körper umgaben, bedrohlich, doch anders als von Aerith befürchtet, erschien das beängstigende Frauengesicht von vorher nicht noch einmal. Stattdessen nahmen sie dieses Mal scheinbar Zacks Statur an, was Aerith jedoch ihrer eigenen Phantasie und Sehnsucht zuschrieb.
 

„Hey, Cloud! Was zur Hölle treibst du da eigentlich?!“ Barrett, der inzwischen neben Vincent an der Wand lehnte und den offenbar völlig neben sich stehenden Exsoldaten schon längere Zeit mit missbilligender Miene beobachtet hatte, hielt mit seiner Verwunderung nicht länger hinterm Berg. Doch noch bevor Cloud antworten konnte, kam Tifa aus dem Studierzimmer zurück. Ihre Miene war zu einer starren Maske des Entsetzens versteinert und in den Händen hielt sie einen dünnen Stapel Papier.

„Das ist einfach widerlich!“, platzte sie heraus, kaum dass sie wieder über die Laborschwelle getreten war. „Wenn ich Shinra nicht schon vorher für absolut verachtenswert gehalten hätte, dann wäre es jetzt soweit!“ Tifa war vor Zorn und Abscheu so außer sich, dass ihr ansonsten elfenbeinfarbenes Gesicht mit roten Wutflecken überzogen war. Bei dem aufgebrachten Klang ihrer Stimme sah sogar Cloud erschrocken auf und fragte besorgt: „Was ist los?“ „Das hier!“, blaffte Tifa ihn zur Überraschung aller barsch an und wedelte mit den Zetteln in ihrer Hand.

Dann holte sie tief Luft und begann zitternd vorzulesen: „Experiment zur Herstellung eines Sephiroth-Klons, Versuchsreihe 1. Versuchsobjekt A: männlich, achtzehn Jahre alt, ehemaliger Soldat. Besondere Merkmale: bekleidete den ersten Rang. Gesundheitliche Verfassung zu Beginn des Experiments: hervorragend.“

Aerith wurde plötzlich eiskalt, als ihr bewusst wurde, dass diese Beschreibung bis ins Detail auf Zack zutraf. Hatte die Leitung von Shinras Forschungsabteilung ihn als Grundlage für einen möglichen Sephiroth-Klon benutzt? War das der Grund dafür, dass der begabte Soldat so plötzlich verschwunden war? Aerith war von dieser Möglichkeit so entsetzt, dass sie kaum mitbekam wie Tifa weiterlas.

„Versuchsobjekt B: männlich, 17 Jahre alt, Infanterist. Besondere Merkmale: keine. Gesundheitliche Verfassung zu Beginn des Experiments: sehr gut. Versuchsaufbau: Beide Objekte werden dauerhaft flüssigem, mit Jenova-Zellen durchsetztem Mako ausgesetzt. Die Aufnahme der Zellen erfolgt über Haut und Atemwege.“

Die folgende, akribische Beschreibung der Versuchsbeobachtungen übersprang Tifa, bis sie zu der Stelle kam, die sie so sehr geschockt hatte. Der Eintrag war auf einen Tag etwa vier Jahre nach Beginn des Experiments datiert und beschrieb die erzielten Erfolge: „Kompletter Fehlschlag der Versuchsreihe 1. Versuchsobjekt A zeigt noch immer keinerlei Reaktion auf die Behandlungen. Mögliche Erklärung hierfür könnten die durch die beim Eintritt ins Soldatenkorps erfolgte Mako-Injektion gesteigerten Abwehrkräfte sein. Versuchsobjekt B leidet an einer Mako-Vergiftung, reagiert jedoch ebenfalls nicht auf die Jenova-Zellen. Weiteres Vorgehen: Nach Absprache mit Professor Hojo wird das Experiment in sechs Monaten abgebrochen. Sollte bis dahin nicht der natürliche Tod eingetreten sein, erfolgt der Befehl zur Liquidierung der Versuchsobjekte.“

Tifa ließ die Zettel mit einem knisternden Geräusch sinken und blickte in die blassen, erschütterten Gesichter der Anderen. Lediglich Vincent schien in keiner Weise überrascht oder gar geschockt zu sein. Möglicherweise hatte er als ehemaliges Mitglied der Turks im Laufe seiner Karriere schon Schlimmeres im Namen Shinras geschehen sehen, sodass er wusste, mit welcher skrupellosen Rücksichtslosigkeit die Forschungsabteilung des Konzerns menschliche Versuchsobjekte behandelte.

Um das Entsetzen ihrer Begleiter perfekt zu machen, fügte Tifa mit trauriger Stimme an: „Hier ist noch ein Vermerk, dass kurz nach Beginn dieses Experiments eine zweite Versuchsreihe mit leicht Veränderten Bedingungen gestartet wurde. Als Versuchsobjekte dienten in diesem Fall zwölf Zivilisten.“ Für einen Moment senkte sie ihren gequält wirkenden Blick, dann seufzte sie mit in Tränen schwimmenden Augen: „Ich glaube, damit wissen wir, was mit den Überlebenden von damals geschehen ist.“

Während sie sprach ruhte ihr Blick unablässig auf Cloud, von dem sie sich eine Geste des Trosts erhoffte. Doch dieser schien ihr schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr zuzuhören und starrte stattdessen wieder auf die Glastanks an der Wand gegenüber, wobei er ein melancholisches und nachdenkliches Gesicht machte.
 

Aerith lehnte sich gegen einen vollgestellten Schreibtisch und kämpfte mit dem Wirbelsturm der Emotionen, der in ihrem Inneren wütete. Hatte sie tatsächlich endlich den Schlüssel zu dem Geheimnis hinter Zacks Verschwinden gefunden? Sie hatte gleich beim Betreten des Raums das Gefühl gehabt, die Anwesenheit ihres Freundes zu spüren…

Obwohl sie immer wieder tief durchatmete, fühlte es sich noch immer so an als müsste sie ersticken. Vincent, der ihr am nächsten stand und die glitzernden Schweißperlen auf ihrer Stirn bemerkte, maß sie mit einem sorgenvollen Blick, den Aerith jedoch geflissentlich ignorierte.

Die Vorstellung, dass Zack womöglich Jahre lang von herzlosen, überehrgeizigen Forschern für den Fortschritt ihrer Karriere gequält und nach Fehlschlag des Experiments einfach hingerichtet worden war so als wäre er nicht mehr wert gewesen als ein ordinärer Verbrauchsgegenstand, war zu viel für die junge Frau. Sie hätte sich irgendwie damit abfinden können, wäre er während eines Kampfeinsatzes gefallen, da sie wusste, dass zumindest ihr Freund in einem ruhmreichen, heldenhaften Tod einen Sinn gesehen hätte. Aber so wie die Dinge nun zu liegen schienen, wusste Aerith nicht, wie sie die Situation ertragen sollte.

Doch weshalb hätte Zack sich für ein solches Experiment überhaupt zur Verfügung stellen sollen? Zwar hatte er sich nach Angeals Tod mit dem von ihm bewunderten Sephiroth angefreundet, hatte ihn jedoch nie so sehr vergöttert, dass Aerith sich vorstellen konnte, dass er Freude an dem Gedanken gehabt hätte, zu einem Klon des Anderen zu werden.

Hatte Shinra Zack zu seiner Teilnahme am Experiment gezwungen? Wenn ja: Warum und womit? Wieso hatte die ShinraInc überhaupt Interesse an einem Sephiroth-Klon gehabt? Der Silberhaarige hatte nie den Eindruck erweckt, jemanden neben sich zu dulden.

Die Gedanken wirbelten in Aeriths Kopf herum wie trockenes Herbstlaub im Wind und sie rief sich stumm zur Raison: „Reiß dich zusammen! Es gibt keinen Grund zur Hysterie. Du weißt doch noch nicht einmal mit Gewissheit, ob es sich bei dem beschriebenen Soldaten tatsächlich um Zack handelte.“

Um zumindest den Versuch zur Entkräftung ihrer Ängste zu unternehmen, fragte sie Tifa mit leiser, bemüht ruhiger Stimme: „Wann war eigentlich der Start dieser Versuchsreihe?“ Die Angesprochene warf einen flüchtigen Blick auf die gefundenen Papiere und antwortete: „Etwa einen Monat nach dem großen Brand und Sephiroths vermeintlichem Tod. Wieso fragst du?“ „Nur so.“ Aerith wandte sich mit einem matten, etwas verkniffenen Lächeln auf den zartrosa Lippen um und stellte sich neben die großen Tanks, die noch immer Clouds Aufmerksamkeit fesselten.

Die Antwort hatte sie ein wenig beruhigt und das Gedankenkarussell in ihrem Kopf zumindest vorrübergehend verlangsamt. Zu Beginn des Experiments war Zack schon eine ganze Weile verschollen und unerreichbar gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die ShinraInc sich die Mühe gemacht hätte, ihr unfreiwilliges Versuchsobjekt vorher über Wochen hinweg von der Außenwelt abzuschirmen, um eventuelle Nachfragen Angehöriger zu vermeiden. Es war eher Shinra-Stil allzu Neugierige mit Geld oder durch Gewalt zum Schweigen zu bringen.

Trotzdem war Aerith noch immer so als könnte sie die Präsenz ihres Freundes in diesem Labor spüren. Wie Cloud zuvor strich sie gedankenversunken über die glatte Oberfläche der Tanks und schauderte, als sie die Kerben entdeckte, die jemand von innen ins Glas geritzt hatte. Wer immer in diesem Behälter gefangen gewesen sein mochte, er musste sehr verzweifelt gewesen sein, wenn er so lange mit den Fingernägeln über die Außenwand gekratzt hatte, dass sichtbare Spuren zurückgeblieben waren.
 

„Ich glaube, wir sollten diesen grauenvollen Ort allmählich verlassen.“ Red hatte sich vor Vincent auf den Boden gehockt und ließ seinen forschenden Blick zwischen Cloud und Aerith hin und her wandern. Offenbar gefiel ihm die morbide Faszination, welche die Tanks auf diese beiden Gruppenmitglieder auszuüben schienen, ganz und gar nicht.

Tifa nickte heftig und fasste dann Cloud an den Schultern, um ihn bestimmt aus dem Raum zu dirigieren. Während der Rest der Gruppe dem Duo folgte, fuhr Aerith langsam mit der Fingerkuppe über die Bruchkante in der Scheibe des rechten Tanks, wobei sie eine tiefe Traurigkeit befiel. Sie hoffte sehr, dass ihr Gefühl trog und Zack niemals an diesem elenden Ort gewesen war.

„Aerith, wo bleibst du denn?!“ Tifa stand wieder in der Tür und machte einen schlechtgelaunten Eindruck. Offenbar hatte sie die Obhut über den verwirrt wirkenden Cloud den Anderen überlassen, um höchstpersönlich nach der ebenfalls angegriffen erscheinenden Nachzüglerin zu sehen.

Mit einem entschuldigenden Lächeln kam diese wandte diese sich um und schickte sich an, den Raum zu verlassen, ohne ein Wort über Tifas harschen Ton zu verlieren. Sie konnte angesichts dessen, was sie an diesem Tag erfahren hatten, nur zu gut verstehen, dass die andere Frau gereizt war und nichts anderes mehr wollte als die Villa so schnell wie möglich zu verlassen.

Als Aerith aus dem Labor trat, war ihr als würde ihr ein großes Gewicht von den Schultern genommen. Sie atmete erleichtert auf und schwor sich: Egal, was ihr Leben noch bringen mochte, diesen Ort, der so voller sonderbarer Energien und nicht greifbaren, geisterhaften Erinnerungen zu sein schien, wollte sie niemals wieder betreten.



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