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Sünde

von

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Gregor

Mein Herz pochte so heftig, dass ich mir fast sicher war, dass es mir jeden Augenblick den Brustkorb zerfetzen würde. Doch erstaunlicherweise nahmen meine Rippen selbst dann keinen Schaden, als ich langsam – geradezu unwillig – auf mein Elternhaus zuging und sich mein Herzschlag noch um ein Vielfaches beschleunigte.

Mein Mund war trocken, die Unterlippe wieder mal blutig gebissen und die Kehle wie zugeschnürt. Trotzdem setzte ich mein einstudiertes, leicht spöttisches Grinsen auf und versuchte, meine Nervosität mit Coolness zu überspielen. Immer mit der Ruhe, sich bloß nichts anmerken lassen – so wie früher.

Doch vielleicht hatte es ja jetzt endlich ein Ende. Vielleicht gab es nur noch diese eine Bewährungsprobe. Vielleicht hatte ich mich endlich von meinem Fluch befreien können. Mit aller Macht klammerte ich mich an diesen Hoffnungsstrahl.

Ich holte noch einmal tief Luft, als mir die schlanke Gestalt vor der Haustür auffiel. Ihr langes, braunes Haar wurde sacht von einer leichten Brise bewegt, sodass mehrere kleine Strähnen vor ihrem Gesicht wehten. Die dunkelgrünen, unglaublich tiefen Augen waren geweitet und ihre Haut so blass als hätte sie einen Geist gesehen. Die junge Frau zupfte mit den Zähnen an einem Daumennagel und ihre schmale Brust hob und senkte sich beinah so schnell wie mein Herz schlug.

Sie hatte sich in den letzten Jahren ziemlich verändert und trotzdem erkannte ich sie gleich mit nur einem kurzen Blick wieder: Mel.

Während ich mich ihr langsam näherte, stand sie wie zur Säule erstarrt da. Sie zwinkerte nicht einmal, so als hätte sie Angst, ich würde mich in Luft auflösen, wenn sie mich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Blick verlieren würde. Und wer weiß? Vielleicht hätte ich wirklich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder davon gelaufen, wenn mich diese grünen Augen nicht festgehalten hätten...

Ich kickte das karamellfarbene Holzgartentor mit der Hacke nach hinten, wodurch es scheppernd ins Schloss krachte. Auf Mels Lippen breitete sich ein Lächeln aus und sie ließ die Hände sinken, während ich unwillig die letzten Meter zurücklegte.

„Greg, du bist es tatsächlich...“ Sie flüsterte so leise, dass ich sie kaum verstand, obwohl ich nur knapp eine Armlänge von ihr entfernt stand. Ihre Augen funkelten so sehr, als wäre ich ein vollbeleuchteter Christbaum und sie ein kleines Kind, das seine erste Weihnacht feiert. Ich war froh, dass die Gläser meiner Sonnenbrille verspiegelt waren.

Noch während ich überlegte, wie ich sie begrüßen sollte, stieß sie sich plötzlich ab, warf sich mit vollem Gewicht gegen mich und schlang ihre Arme um meinen Bauch. „Ich hab dich so vermisst! Oh, Greg...“ Etwas unsicher und linkisch legte ich ihr meine Hände auf die Schultern, während sie immer wieder meinen Spitznamen schluchzte und erklärte, wie sehr ich ihr gefehlt hätte.

Unwillkürlich verzog ich den Mund und presste die Lippen aufeinander. Die Art und Weise wie sie meinen Namen sagte – so als wäre er ihre Luft zum Atmen –, widerte mich an, weckte sie in mir doch viel zu stark den Wunsch, sie zu küssen und ihr zu sagen, dass jetzt alles gut werden würde.

Verzweifelt versuchte ich, sie von mir weg zu schieben, ohne dabei zu grob zu wirken, doch sie klammerte sich so sehr an mich, dass sie es wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkte. Sie drückte ihre heiße, rote, feuchtglänzende Wange an meine Brust, wo mein inzwischen tränennasses Hemd unangenehm klebte.

Mein schwerer Rucksack rutschte von meiner Schulter und fiel mit einem dumpfen Dröhnen auf den gepflasterten Weg, als ich resignierend die Arme hängen ließ. Eine weitere Brise trug den Duft von Mutters geliebten Rosen zu mir herüber, was mich die Nase kraus ziehen ließ.

Unglaublich... Ich war tatsächlich hier im Vorgarten meiner Eltern, im Arm meiner kleinen Schwester, mitten in meinem schlimmsten Albtraum.

Ich war wieder zu Hause. Hier war ich siebzehn Jahre lang aufgewachsen, hier kannte ich jeden Baum, jeden Strauch, jede kleine Macke im Ziegelwerk. Hier lebten die Menschen, die ich liebte und die ich über drei Jahre lang schmerzlich vermisst hatte. Ich war endlich wieder zu Hause und kleine Wogen der Glückseligkeit schwappten durch meinen Körper, doch ich bemerkte sie kaum. Denn das Grauen, das mein Herz mit eisiger Hand packte und zerquetschte, übertünchte jedes positive Gefühl.

All die Zeit hatte ich versucht, vor all dem hier davon zu laufen, bis ich geglaubt hatte, ich könnte es endlich ertragen. Doch in weniger als einer Minute war mir wieder klar geworden, dass ich es niemals können würde, dass sich nichts geändert hatte, nicht im Geringsten.

Hinter Mel wurde die Haustür geöffnet und Paps streckte den Kopf heraus. Als er mich erblickte, hellte sich sein Gesicht auf und er strahlte mich mit einem glücklichen Grinsen an. Doch dann veränderten sich seine Augen als er meinen Gesichtsausdruck sah und ich wusste, dass auch er begriffen hatte: Es war alles umsonst gewesen. Es hatte sich nichts geändert und es würde sich nie etwas ändern. Niemals...



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