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Die Motus

Magister Magicae 5
von

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St. Dunstan-in-the-East

„Man, ich bin neidisch wie die Hölle.“, meinte Urnue und beäugte den kleineren Russen aus dem Augenwinkel, während sie gemeinsam durch die Straßen schlenderten. Der hatte sich einen affengeilen, schwarzen, langen Ledermantel mit ein paar Metall-Ösen auf den Schultern gekauft. Noch nicht ganz Gothic, aber schon dezent in diese Richtung. Das Teil war bei der Herstellung magiedurchwirkt worden und machte Verwandlungen in eine andere Gestalt mit. Entsprechend teuer war er auch gewesen. „So einen hätte ich mir auch schon immer mal kaufen wollen, wenn Ruppert mir erlauben würde, sowas zu tragen. Aber das wird Ruppert nicht.“

„Hat er was gegen deinen Mode-Stil?“, wollte Victor wissen.

„Ja, sehr sogar. Er ist halt Bankenbesitzer und großer Geschäftsmann. Da gehören sich Anzug und Krawatte. Er war noch nie glücklich damit, daß ich mich diesem Business-Stil nicht anzupassen gedenke. Er findet, es sieht kacke aus, wenn der Genius Intimus eines Anzugträgers in schwarzen Rocker-Sachen rumläuft. Ruppert sagt immer, daß ich optisch bloß so auffallen will, weil ich sonst nichts anderes kann. Aber ich glaube, er denkt nur, daß mein Look ihn unseriös machen würde.“

Victor schüttelte nur unterschwellig den Kopf. Verstehe einer die Wirtschaftsbosse.

„Du fällst mit diesem Ledermantel übrigens auch extrem auf, dafür, daß du von allen so schwer gesucht wirst. Hast du keine Angst, von irgendjemandem entdeckt zu werden, der dich besser nicht entdecken sollte?“

„Ich kann es mir leisten, so rumzulaufen. Genauso wie du es dir leisten kannst, so rumzulaufen. Du bist ein verdammt starker Genius, Urnue. Und das gibt dir das Recht, es auch zu zeigen. Wenn du dich im Durchschnitt versteckst, wird man dich auch nur für Durchschnitt halten.“

„Unterschätzt zu werden ist nicht so schlimm wie ne große Klappe und nichts dahinter, ist meine Meinung.“

Victor lächelte warm. „Im Gegenteil. Wenn deine Gegner glauben, daß du stark bist, erspart dir das von vorn herein eine ganze Menge Ärger.“

Nun war es Urnue, der belustigt feixen musste. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß dich mal einer für nen starken Gegner gehalten haben könnte, so wie du aussiehst.“

„In meiner menschlichen Gestalt wahrlich nicht.“, gab Victor zurück. Er wusste selber, daß er wie ein harmloser Milchbubi aussah und nahm es mit Humor. Dann wurde er spürbar wieder ernster. „Urnue, tust du mir einen Gefallen und lässt mich mal ne Weile alleine durch die Gegend ziehen? Ich hab was zu erledigen, wo ich dich nicht brauchen kann. Lass uns später irgendwo wieder treffen, was hältst du davon?“

„Gar nichts. Ruppert hat mir aufgetragen, sicher zu stellen, daß du keinen Blödsinn treibst. Also egal was du vor hast, ich komm mit.“

„Wie du willst. Aber sag hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. ... Taxi!“, rief er und hielt den Anhalter-Daumen auf die Straße hinaus. Es scherte auch sofort eines der vielen Taxis aus und fuhr links heran, um ihn und Urnue einzusammeln. Linksverkehr, daran musste sich der Russe erst noch gewöhnen.

„Guten Tag, Sir. Wo darf ich Sie denn hinbringen?“, wollte der Fahrer freundlich wissen.

„Zum St. Dunstan-in-the-East.“, meinte Victor und hoffte, der Taxifahrer würde ihn trotz seines russisches Akzentes gut verstehen.

„Oh Gott ... ich ahne jetzt schon, daß das ne ganz bekloppte Idee wird.“, stöhnte Urnue, der sich mit zu ihm auf die Rückbank zwängte. St. Dunstan-in-the-East war eine Kirchenruine. Der Park drumrum war zwar öffentlich zugänglich und ganz hübsch, aber die Ruine selber galt mit als eine der gruseligsten von ganz London. Und das zu recht. Dort hausten angeblich Rotkappen, echt gemeine Viecher, die Menschen erschlugen und ihre Mützen mit dem Blut ihrer Opfer rot färbten. Deshalb mied man das Gebiet in der Regel weiträumig, sobald es dämmrig oder gar dunkel wurde.

„Sir, die Sonne geht bald unter. Ich bring Sie gerne hin, aber seien Sie dort dann bitte vorsichtig, ja?“, warf auch der Taxifahrer ein, wenngleich er gehorsam losfuhr.
 

Urnue schlang fröstelnd die Arme um sich und schaute mit weit aufgerissenen Augen im Park herum. Offiziell war der Park schon geschlossen. Sie hätten gar nicht mehr hier sein sollen. Und er verfluchte Victor dafür, daß der dennoch einen illegalen Weg gefunden hatte, sich jetzt noch Zutritt zu diesen Gemäuern zu verschaffen. „Hör mal, Ruppert wird uns sicher schon vermissen. Wir sollten nach Hause gehen.“ Er bekam wie erwartet keine Antwort. „Was genau suchen wir denn hier?“

„Iwan Pawlowitsch. Auch bekannt als 'Rollender Rubel'. Du würdest ihnen vermutlich als 'Motus-Wichser' bezeichnen.“, schmunzelte Victor.

„Rollender Rubel. Sagt mir was. Ist der gefährlich?“

„ALLE Motus-Killer sind gefährlich, Urnue. Er wurde hergeschickt, um die Rotkappen hier zu beseitigen. Er sollte erst wieder nach Russland zurückkommen, wenn er alle erwischt hat. Soweit ich weiß, hat er ...“

„Was willst du von dem!?“, zischte der Genius Intimus schockiert dazwischen.

„Ihn umlegen.“

„Victor!“

„Ich sagte doch, das würde dir nicht gefallen. Du wolltest ja unbedingt mitkommen.“

„Spinnst du? ... Der Park ist schon seit ner Stunde zu! Wir sind die letzten hier! Woher weißt du, daß er gerade heute hier ist?“

„Vertrau mir, er ist hier.“, entschied Akomowarov und stiefelte festen Schrittes voraus. Sein neuer, offener Ledermantel, wehte hinter ihm her wie ein Umhang. Wenn es noch etwas dunkler war, würde er damit nahtlos mit der Nacht verschmelzen.

Dann ging plötzlich alles furchtbar schnell. Hinter einer hohen Rosenhecke trat ein Mann hervor in ihr Sichtfeld, der – in dem Glauben ungestört zu sein – abgelenkt an den Mauern der Ruine hochschaute. Victor griff unter seinem Ledermantel nach hinten, zog mit einer geübten Bewegung eine Pistole aus seinem rückwärtigen Hosenbund und legte eiskalt an. Urnue riss ihm die Arme samt der beidhändig geführten Waffe nach oben, so daß der Schuss in den Himmel ging. Iwan – jedenfalls nahm Urnue an, daß es der Gesuchte war – wirbelte erschrocken herum, erkannte Victor, und rannte fluchend davon.

eto angliya, du Blödmann!“, zischte Urnue entrüstet. Auf Russisch, damit der skurpellose Geselle es auch ganz sicher verstand. „Das ist England! Du bist hier nicht mehr in Sibirien, wo es keine Sau kümmert, wenn einer von der Bildfläche verschwindet und nie wieder gesehen wird!“

Victor schaute dem flüchtenden Mann emotionslos nach, bis er außer Sicht war, dann steckte er mit einem stummen Seufzen die Pistole wieder ein. Ohne Urnue ins Gesicht zu sehen. Man konnte absolut nichts aus diesem Blick lesen. Weder Einsicht, noch die Wut darüber, aufgehalten worden zu sein.

„Du bist bewaffnet?“, zeterte Urnue aufgebracht weiter.

„Denkst du denn, ich bin lebensmüde? Weißt du, wer alles hinter mir her ist? Ich lauf doch nicht ungesichert in der Gegend rum.“

„Wo hast du die her? Ruppert hat dir doch keine Knarre gegeben!“

„Die hab ich mir am Bahnhof aus einem Gepäckschließfach geholt. Die Motus hat mehrere solcher Waffendepots in etlichen Städten, in denen sie aktiv ist.“

„Ist die Waffe registriert?“

„Natürlich nicht.“, schmunzelte er mit einem wo-denkst-du-hin?-Ausdruck.

„Ich will nicht, daß du mit ner Knarre rumläufst!“, maulte Urnue, immer noch ein wenig hysterisch. Das Adrenalin rauschte ihm noch in den Ohren. Er war noch nie zuvor so richtig mit Waffengewalt konfrontiert worden. Ruppert hatte immer nur mit den Konten und Wirtschaftsbüchern zu tun gehabt, nie mit dem eigentlichen Geschäft, das sich tagtäglich draußen abgespielt hatte.

„Warum denn nicht?“

„Ich glaube nicht an Waffen!“

„Oh, wenn du das erste Mal in den Lauf einer 39´er geschaut hast, die auf deinen Kopf gerichtet ist, wirst du es. In unserem Gewerbe kommt man mit seinen gottgegebenen, magischen Fähigkeiten selten weiter.“ Geradezu ungerührt setzte Victor sich in Bewegung und folgte seinem Opfer in die Richtung, in die es geflohen war. Wahrscheinlich war Iwan in die Kirchenruine eingedrungen und hatte sich darin verschanzt. Das war der einzige halbwegs sichere Rückzugsort in diesem Gelände.

Urnue kriegte sich langsam wieder ein, also kam auch die Neugier wieder durch. „Wie schaffst du es, daß die Pistole die Verwandlung mitmacht, wenn du deine Gestalt änderst?“

„Tut sie nicht. Wenn ich mich verwandle, verliere ich sie, oder muss sie vorher weglegen. Ich kann sie in meinen Klauen tragen, aber da nützt sie mir nicht viel.“, erzählte er, während er sich unaufhaltsam weiter seinen Weg bahnte. Wie erwartet lehnte die Tür der Ruine bloß an. „Bleib lieber draußen, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Er durfte Iwan Pawlowitsch nicht unnötig Zeit geben, sich wieder zu sammeln oder Gegenmaßnahmen einzuleiten. Ohne sich mit viel Gefackel aufzuhalten, zerrte er seine Pistole wieder hervor und stieß die Tür ruckartig auf. In penetrant selbstsicherer, aufrechter Haltung trat er in die alte, verwitterte Kirche, von der nur noch die Grundmauern ohne Dach standen, ein und ballerte im Vorwärtsgehen sein gesamtes Magazin leer. Einhändig. Er hatte Iwan schon längst hinter der nächsten Tür entdeckt und hinderte ihn durch den Dauerbeschuss daran, eigene Aktionen zu starten oder aus seiner Deckung zu flüchten. Als Victors Pistole nur noch ein leeres Klicken von sich gab, sprang Iwan zwar kurzentschlossen aus seinem Versteck, aber Victor hatte bereits ein neues Magazin aus seiner Gesäßtasche gezerrt, das alte aus dem Magazinschacht fallen lassen, das neue hineingerammt, und schoss weiter, ehe Iwan auch nur einen einzigen, eigenen Angriff starten konnte. Fluchend hechtete der Rotkappenjäger zwischen Querschlägern und aus den Wänden gesprengten Gesteinsbröckchen zurück in sein Versteck. Ehe Victor das zweite Magazin komplett geleert hatte, war er an der Durchgangstür angelangt, verschaffte sich in nach wie vor arrogant aufrechter Haltung, ohne die geringste Angst, regelrecht kaltblütig, Zugang zum hinteren Raum und entschwand damit aus Urnues Sichtfeld.

Urnue sah noch einen kurzen Eissturm durch die Durchgangstür fegen, der das halbe Kirchenschiff weiß färbte, dann ein Aufschrei, der eindeutig nicht von Victor stammte, dann Stille. Urnue ließ seinen angehaltenen Atem wieder fahren und keuchte stattdessen überrumpelt auf. Das Eis war wohl das letzte Aufgebot dieses Iwans gewesen. Der Kerl war offenbar ein Hypothermiker gewesen, er hatte die Fähigkeit gehabt, alles zu unterkühlen und zu Eis gefrieren zu lassen. Diese Fähigkeit war hier in England eher selten. Die fand man vorrangig bei Magiern und Genii, die aus nördlicheren Ländern kamen, wo es schon von Natur aus immer kalt war.

Victor tauchte stoisch aus dem Hinterzimmer auf und kam ohne Eile wieder nach vorn zum Ausgang. Auf seinem meterlangen Weg durch das Kirchenschiff lud er in aller Ruhe seine Pistole nach und steckte sie dann weg. Wieder hinter seinen Rücken in den Hosenbund, gut versteckt unter dem weiten Ledermantel. „Lass uns gehen.“, meinte er zu Urnue, der immer noch fassungslos, wie vom Donner gerührt, herumstand. Victors Gesichtszüge waren weich, als müsse er hart gegen ein Lächeln ankämpfen, als er den Genius Intimus ansah.



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