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Die Motus

Magister Magicae 5
von

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Bannkreise

Victor Akomowarov kam mit suchendem Blick ins Wohnzimmer spaziert, wo Ruppert gerade seine Lieblingsserie im Fernsehen schaute. Als Bankenbesitzer musste er sich ab und zu mal in seiner Bank sehen lassen und arbeiten gehen. Dann nahm er Urnue natürlich mit. Aber heute schien mal wieder so ein Tag zu sein, wo er lieber blau machte und auf der faulen Haut lag. Es war noch früher Nachmittag. „Wo ist denn Urnue hin?“

„Was willst du von ihm?“, brummte Ruppert unwillig zurück, ohne die Frage zu beantworten. „Du sollst einen Bogen um ihn machen.“

„Ich will gar nichts von ihm. Ich wundere mich nur, weil ich ihn nirgends finden kann. Er wird doch nicht alleine aus dem Haus gegangen sein, ohne dich, oder?“

„Er ist unten im Keller.“

Victor verzog das Gesicht. „Du hast ihn in den Keller gesperrt?“

„Ich hab ihn nicht da runter gesperrt, du Pfeife!“, zeterte der Bankenbesitzer ungehalten und sah ihm endlich ins Gesicht. „Ich hab ihm da unten einen Fitness-Raum eingerichtet, damit er nach Herzenslust trainieren kann. Mein Genius ist, wenn es ums Kämpfen geht, ein sehr ehrgeiziger Genosse. Ich war es irgendwann leid, jeden zweiten Tag stundenlang mit ihm im Trainings-Center zu hocken.“

Victor zog eine Augenbraue hoch. „Hm. Würde dir aber auch mal gut tun.“

„Raus!“, jaulte Ruppert mit überschnappender Stimme. „Lass mich jetzt endlich meine Serie weitergucken, sonst setzt´s was! Vorlauter Flegel!“

Lachend schob der kleingeratene Russe die Hände in die Hosentaschen und spazierte weiter, bevor Ruppert noch seine Bierdose nach ihm schmiss. Diesen Fitness-Raum wollte er sich doch mal angucken. Vielleicht konnte er ja auch ein paar Übungen probieren. Sein verwundeter Rücken kam langsam zur Ruhe. Mal sehen wozu er damit inzwischen schon wieder in der Lage war.

Der Banker wandte sich – nach einem letzten bösen Blick – leise maulend wieder dem Fernseher zu. Dieser Akomowarov machte ihn noch irre. Diese selbstsichere, überlegene Art, die er an sich hatte. Diese aufrechte Körperhaltung, mit der er immer herumlief. Jede Bewegung bis zur psychologischen Vollendung ausgereift. Völlig frei von irgendwelchen Existenzängsten oder irgendeinem Abhängigkeitsbewusstsein. Er wusste, daß ihm keiner was anhaben konnte. Seine Feinde von der Motus nicht, und sein Freund Ruppert ebenso wenig. So sehr Ruppert ihn auch mochte und für sein mutiges Vorgehen gegen die Motus bewunderte, kam er bisweilen dennoch nur schwer mit dessen ungeniert tolldreistem Charakter klar.
 

Urnue hörte auf, den Sandsack zu vermöbeln, als er Victor mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnend entdeckte, und trat einen Schritt zurück. Er hatte schon eine ganze Weile trainiert, wie man an seinen nassen Sachen und den im Gesicht klebenden Haaren unschwer erkannte. „Was gibt es?“, keuchte er. Aus der Puste war er auch.

Victor schüttelte negierend den Kopf und lächelte. „Nichts. Ich war nur neugierig, was du hier unten treibst. Ein schöner Fitness-Raum, den du hier hast!“

„Willst du auch trainieren?“

„Lieber nicht. Ruppert schmeißt mich achtkantig raus, wenn ich alles kaputt mache.“

„Großmaul.“, nörgelte Urnue und angelte nach einem Handtuch von der Hantelbank, um sich den Schweiß aus den Augen zu wischen.

„Ich meine das ernst. Meine Art des Kampfes ist nicht dazu gedacht, einen Angreifer nur zeitweilig abzuschrecken oder in die Flucht zu schlagen, ihn aber nicht ernsthaft zu verletzen. Was ich anstelle, ist aufs sofortige Töten ausgerichtet.“

Urnue schnaufte humorlos. „Ich weiß, daß ihr Motus-Wichser alle gewissenlose Killer seid. Das musst du mir nicht sagen.“

„Wir hatten keine andere Wahl. Bei den Viechern, mit denen wir uns angelegt haben, hatte man nur die Chance, sie schnell kalt zu machen, bevor sie einen kalt machen.“

„Okay, du Angeber, lass uns doch ne Runde kämpfen. Ich garantiere dir, daß du mit mir kein leichtes Spiel hast, Genii-Mörder!“

„Ach, Urnue.“, seufzte er. „Reduzier mich doch nicht immer auf meinen Vize-Chef-Status bei der Motus. Ich hab dir doch erzählt, warum ich das alles getan habe.“

„Traust du dich nicht?“, hakte Urnue herausfordernd nach und stemmte selbstsicher die Hände in die Hüften. Mit dieser halben Portion würde er es ja wohl noch aufnehmen können, dachte er. Um so mehr, da er Victor ohnehin nicht so richtig leiden konnte und folglich keine große Rücksicht nehmen würde. Dieser Verbrecher hatte ne Tracht Prügel mehr als verdient.

Akomowarov konnte sich das Schmunzeln nicht mehr verkneifen. „Du willst jetzt ernsthaft nen Schwanzvergleich mit mir machen? Ruppert wird gar nicht begeistert sein.“

„Dachte ich´s mir doch! Du bist ein Feigling!“

Der Russe zupfte kurz an seinem T-Shirt. „Machen diese Klamotten, die du mir gegeben hast, eine Verwandlung in eine andere Gestalt mit?“

„Nein, die sind nicht magisch.“

„Dann lass uns die Schlägerei lieber auf andermal verschieben. Ich will deine Sachen nicht kaputt machen, wenn du schon so nett bist, mir welche zu leihen. Aber ich hab ne andere, schöne Herausforderung für dich.“, entschied er und löste sich aus dem Türrahmen, um sich den Schreibblock und den Stift holen zu gehen, die auf dem Boden herumlagen. Urnue hielt dort drin augenscheinlich seine Trainingsergebnisse und Fortschritte fest. „Ruppert sagte mir, du hättest richtig Ahnung von Bannkreisen.“, meinte der Russe und begann einen solchen aufzumalen, in den er eine ganze Menge Zeichen und verworrene Schlangenlinien einflocht. Über dem Blatt Papier baute sich auch ziemlich bald eine durchsichtige, magische Barriere auf und in dem Mini-Bannkreis erschien eine kleine, grüne Gestalt, die ohne feste Form herumwabberte wie ein Nebelfetzen. Sie glotzte Urnue aus großen Augen an und gab hohe, fiepende Töne von sich.

Urnue schlief das Gesicht ein. „Du kannst Geister beschwören?“

Victor warf den Stift wieder neben dem Schreibblock auf den Boden. „Wenn du diesen Bannkreis wieder auflösen kannst, gebe ich mich geschlagen. Dann hast du gewonnen, einverstanden? Lasst den Schwanzvergleich beginnen.“, schmunzelte er, zwar siegessicher, aber nicht gehässig. Er mochte Urnue ganz gern und ließ sich nicht so schnell davon ins Boxhorn jagen, daß das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. „Viel Spaß damit. Wir sehen uns.“, fügte er noch an und ging dann wieder. Ließ den Genius Intimus allein mit seiner Knobelaufgabe im Fitness-Raum zurück.
 

Etliche Stunden später tauchte Ruppert im Fitness-Raum auf und kam ihn suchen. Er hatte einen überaus belustigten Akomowarov im Schlepptau. „Hör mal, kommst du heute noch zum Abendessen, oder willst du lieber hungern?“, grummelte Ruppert.

Urnue schaute erst fragend aus seinem Buch hoch, mit dem er im Schneidersitz auf dem Boden vor dem Mini-Bannkreis saß, dann wanderte sein Blick weiter zur Uhr. „Wouw, ist das spät. Ich hab total die Zeit vergessen.“

„Was treibst du hier?“, hakte Ruppert verständnislos nach.

„Er meinte, mich schlagen zu können. Diese Herausforderung hab ich natürlich gern angenommen.“, erzählte Victor grinsend. „Ti gotov?“, wandte er sich dann an den Genius Intimus.

„Nein. Aber ich glaube inzwischen, der Geist ist nicht echt.“

„Glaubst du, oder weißt du es?“

„Ich bin mir nicht sicher. Zumindest habe ich inzwischen rausgekriegt, daß der Bannkreis Illusions-Elemente mit drin hat. Er könnte mir also durchaus bloß vorgaukeln, daß sich ein Geist da drin befindet. Aber dann wäre es eine verdammt gute Illusion. Der Geist verfolgt jede meiner Bewegungen und sieht mich immer direkt an, egal auf welcher Seite des Bannkreises ich gerade stehe. Und er gibt Geräusche von sich. Also müssten neben den optischen sogar noch akustische Illusionen mit im Spiel sein. Alter Schwede, so hohe Magie hab ich noch nicht gesehen, wenn das wirklich nur eine künstlich geschaffene Illusion ist.“

„Gibst du auf?“, wollte Victor wissen.

Ruppert rollte genervt mit den Augen. „Dragomir, mach den Quatsch wieder rückgängig und dann kommt endlich zum Essen, alle beide!“

„Nein-nein-nein! Ich knacke dieses Ding schon noch. Gib mir noch ne Weile.“, hielt Urnue jedoch sofort dagegen.

„Meinetwegen, dann tüfftel nach dem Essen dran weiter! Aber entweder du bewegst jetzt deinen Hintern hoch, oder du gehst mit leerem Magen ins Bett!“

„Ja, ich komm ja schon.“ Schwerfällig und ächzend raffte er sich vom Boden auf und folgte seinem Schützling und dessen Gast aus dem Keller nach oben. Nicht ohne die Nase weiter im Bannkreis-Lehrbuch zu haben.

„Ich geb dir nen Tipp. Wirf mal einen Blick in den Abschnitt über 'Judas-Magie'.“, schlug Akomowarov ihm vor, während sie gemeinsam die Treppen hochstapften.

„Wie bitte? Sowas benutzt du!?“

„Warum nicht?“

„Das ist verbotene Magie!“

„Und? Das macht sie ja gerade so wirkungsvoll. Damit rechnet keiner. Darum weiß auch keiner, wie man sich dagegen verteidigt.“

„Dragomir, hör auf, meinem Schutzgeist solches Zeug beizubringen!“, zeterte Ruppert empört dazwischen.

„Ich fände es nicht verkehrt, wenn er sowas kennt. Er muss es ja nicht selber anwenden. Aber in der Motus sind Judas-Bannkreise nicht unüblich. Es wäre besser, wenn er sich gegen sowas zumindest zur Wehr setzen könnte. Gerade in den heutigen Zeiten, wo die Motus aus allen Fugen gesprengt wurde und ihre Anhänger unberechenbar geworden sind. Man weiß ja nie.“

„Was genau macht Judas-Magie denn so speziell?“, wollte Urnue wissen und setzte sich an den Esstisch. Inzwischen waren sie in der Küche angekommen und er störte sich nicht die Bohne daran, daß er normalerweise separat im Wohnzimmer zu essen hatte, seit ihr ungebetener Gast hier eingezogen war.

„Judas-Magie ist verräterisch. Sie zeigt sich dir als was anderes als sie wirklich ist. Sie gibt dir vor, ein Bannkreis zu sein, ist aber in Wirklichkeit ein Sprengsatz, der hochgeht, wenn du versuchst, ihn aufzulösen. Sie gibt dir vor, Wasser in Apfelschorle zu verwandeln, macht aber in Wirklichkeit Gift daraus. Sie gibt dir vor, dir hellseherische Fähigkeiten zu verleihen, verpasst dir aber in Wirklichkeit gefährliche Halluzinationen. Sie gibt dir vor, dich mit harmlosen Plüschtieren zu bewerfen, aber in Wirklichkeit regnet es giftige Skorpione und Kobras auf dich runter. Judas-Magie ist böse Tarnmagie, die dich blind für die offensichtlichsten Gefahren macht.“

„Victor!“, unterbrach Ruppert ihn sauer, ganz bewusst nicht mehr den erbetenen Freundesnamen 'Dragomir' verwendend.

„Bring mir das bei! Wenigstens wie ich sie erkenne!“, bat Urnue, Feuer und Flamme.

„Jetzt reicht´s aber!“, fluchte Ruppert. „Urnue, du scherst dich jetzt sofort raus ins Wohnzimmer, und Victor, du hörst auf, ihm solche niederträchtigen Sachen einzureden! Ich sagte, du sollst meinen Genius in Ruhe lassen und dich von ihm fern halten!“

„Natürlich. Entschuldige.“, erwiderte Victor mit einem leichten Schmunzeln, das irgendwie nicht ganz glaubwürdig aussah.



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