sᴜʀᴘʀɪsᴇ.
„Hey, Hey, Hey! Lange nicht mehr gesehen, Tsukki! Bist du immer noch so miserabel im Blocken?"
In diesem Moment wusste Tsukishima wirklich nicht was schlimmer war: Die Tatsache, dass Bokuto Koutarou unangemeldet vor seiner Tür stand und ihn sofort mit seiner energiereichen Art auf die Nerven ging oder den eindeutig an ihn gerichteten negativen Kommentar.
„Koutarou-san. Lass uns doch erst einmal mit Tsukishima-kun unsere Sachen ablegen, bevor du ihn hier zwischen Tür und Angel voll redest.“
Entrüstet drehte sich Bokuto zu seiner Begleitung um.
„Aber Keijiiiii! Das war doch gar nicht so gemeint! Ich freue mich nur, dass ich ihn nach so langer Zeit wiedersehe“, jammerte der Ältere.
Nun bemerkte der Middleblocker auch Akaashi, welcher still und unauffällig hinter seinem Kapitän stand und gelangweilt in die Runde blickte. Irgendetwas schien hier faul zu sein und Tsukishima wollte dieser Angelegenheit so schnell wie möglich auf den Grund gehen. Geräuschvoll fing er an sich zu räuspern und erhielt prompt die volle Aufmerksamkeit.
„Könntet ihr mir mal bitte erklären, was ihr hier macht? Eure Ankunft war doch erst für übermorgen geplant. Und außerdem würde es mich interessieren, woher ihr meine Adresse kennt.“
„Tsukishima-kun wir werden dir alles erklären, aber könntest du uns vorher vielleicht hineinlassen? Es ist ziemlich kalt hier draußen“, erklärte ihm der Setter höflich.
Schweigend ließ der Blonde sie eintreten und suchte zwei paar Hausschuhe zusammen. Unterdessen hatte sich Bokuto schnell die Schuhe ausgezogen und erkundete auf eigene Faust das Anwesen seines ehemaligen Kouhais. Seine goldenen Eulenaugen funkelten begeistert. Anscheinend schien ihm die Einrichtung des Hauses zu gefallen.
„Oya, Oya, Tsukki. Dein Haus sieht ja wirklich hübsch aus! Wie konntest du uns das nur solange vorenthalten?“
„Naja. Ihr wart ja auch noch nie hier gewesen. Außerdem hast du mich nie gefragt, ob du zu Besuch kommen willst“, warf ihm Tsukishima entnervt entgegen.
Innerlich war er froh darüber, dass Fukurodanis Kapitän bisher noch nie die Gelegenheit gehabt hatte, auch nur einen Fuß in sein Haus zu setzen. Die seltenen Besuche von Kuroo hatten ihm gereicht, denn mit dem Wingspiker wäre das Chaos komplett gewesen. Wahrscheinlich hätten sie sich auch noch mit Akiteru zusammen verbrüdert und nur Unsinn angestellt.
„Entschuldige bitte, Tsukishima-kun. Könntest du uns vielleicht sagen, wo wir unser Gepäck hinbringen können?“, unterbrach der Schwarzhaarige die Runde.
Auf die Bitte Akaashis eingehend, übergab er seinen Gästen zuerst ihre Hausschuhe, ehe er sie mit einer Handbewegung aufforderte ihm zum Folgen. Wie ihnen geheißen, folgten sie dem Brillenträger, bis sie einen großen Raum betraten.
„Das ist mein Zimmer. Hier könnt ihr vorerst eure Sachen ablegen.“
Dankend legte Akaashi seine Tasche neben Tsukishimas Schreibtisch ab. Sein Freund hingegen zog es vor, sein Gepäck achtlos in die Ecke zu werfen, was ihn seitens der Anderen ein „Musste-das-jetzt-wirklich-sein“ Blick einheimste. Damit nicht alle hilflos im Raum herumstanden, bot ihnen der Blonde an sich zu setzen. Während Akaashi gesittet auf dem Schreibtischstuhl Platz nahm, stürzte sich sein Freund wie ein schwerfälliges Walross, auf das Bett ihres Gastgebers. Tsukishima, der die Aktion mit Argusaugen beobachtet hatte, versuchte sich zu entspannen, bevor er seinen zweiten Versuch startete.
„Also um auf meine Frage von vorhin zurück zu kommen: Was macht ihr...-“
„Tsukki, ich habe Hunger! Und was zum Trinken wäre auch nicht verkehrt! Wie kannst du denn mich, den großartigen Bokuto, nur so behandeln?“, beklagte sich der Älteste im Raum.
Seufzend beließ Tsukishima vorerst seine Frage und wollte sich auf den Weg in die Küche begeben. Eine Diskussion mit einem bockigen Bokuto war ein Ding der Unmöglichkeit.
„Warte bitte, Tsukishima-kun. Ich würde dir gerne meine Hilfe anbieten.“
Mehr als nur überrascht von Akaashis Vorschlag, sah er diesen zunächst stumm an. Nach kurzem Zögern stimmte er ihm dann anschließend zu. Zuvor warf der Schwarzhaarige seinem Kapitän jedoch einen letzten mahnenden Blick zu, der so etwas wie „Du bleibst da wo du bist und rühre ja nichts an“ bedeutete, bevor er sich an Tsukishimas Fersen heftete. Angekommen, bereiteten sie zusammen ein paar Sandwiches zu. Zumindest bis der Middleblocker es nicht mehr aushielt.
„Akaashi-san...wieso seid ihr hierhergekommen?“
Der Setter antwortete zunächst nicht auf die Frage und widmete sich lieber den belegten Broten zu. Ihm entging aber der leicht nervöse Ausdruck in Tsukishimas Augen nicht und stieß einen seufzenden Laut aus.
„Kannst du dir das nicht denken, Tsukishima-kun?“, erkundigte sich der Angesprochene ruhig.
Die Hand des Middleblockers bildete sich zu einer Faust, welche anfing zu zittern. Fast zeitgleich begann er nervös an seiner Unterlippe zu kauen.
Das hatte er befürchtet: Kuroo hatte den Anderen erzählt was passiert war und nun waren sie hier, um ihn umzustimmen!
Plötzlich riss ihn das Klingeln der Eingangstür aus der unangenehmen Situation.
„Verdammter Mist. Ich wollte ja mit Yamaguchi reden“, sprach Tsukishima seine Gedanken laut aus.
„Du meinst eurer Nummer zwölf? Gomen, Tsukishima-kun. Wir hatten wirklich nicht die Absicht, dir irgendwelche Umstände zu machen.“
Es war immer wieder erstaunlich. Akaashi war immer zuvorkommen und diszipliniert. Ganz im Gegensatz zu seinem festen Freund, der sich im wahrsten Sinne des Wortes, wie ein Elefant im Porzellanladen, benahm. Dennoch ergänzten sich die beiden wie Ying & Yang, was den Blonden immer wieder erstaunte.
„Schon gut. Weißt du...ich wollte es...ihm...endlich sagen“, gestand er ihm anschließend.
Aufmunternd legte ihm der Setter seine Hand auf die Schulter und lächelte ihm zu. Es waren keine Worte nötig um zu verstehen, was der jeweils andere dachte. Als es ein zweites Mal klingelte, hasteten die beiden in den Flur und öffneten die Tür. Bibbernd vor Kälte, stand vor ihnen Yamaguchi, dessen Nasenspitze sich schon rot gefärbt hatte.
„Tsukki, was war denn los? Hast du denn...nanu?“
Abrupt hielt er inne. Jetzt bemerkte er den Schwarzhaarigen, welchen er sofort stammelnd, aber höflich begrüßte. Sein Gegenüber erwiderte die Begrüßung und machte es ihm nach.
„Komm erst einmal rein. Begrüßen könnt ihr euch immer noch im Haus“, meinte der Blonde etwas schroff.
Sofort kam Yamaguchi der Aufforderung nach und begab sich in den Flur. Dort wurde ihm gleich etwas wärmer. Kurze Zeit später, wandte er sich an seinen besten Freund.
„Du hättest mir doch sagen können, dass du Besuch bekommst. Dann hätten wir unser…Gespräch auch verschieben können.“
„Ich hatte selber keine Ahnung, dass ich weitere Gäste bekommen würde“, verteidigte sich der Ältere.
„Gäste? Wer ist denn noch...-“, wollte der Pinch-Server wissen, doch schon trampelte Bokuto die Treppe herunter und wirkte so, als hätte er tagelang nichts zu essen bekommen.
„Hunger...ich habe so schrecklichen Hunger...womit habe ich es verdient, so behandelt zu werden?“, jammerte Fukurodanis Kapitän und klammerte sich verzweifelt an seinen entnervten Setter.
Von der Szene überfordert, sah Yamaguchi abwechselnd von Akaashi zu Bokuto und auch immer wieder zu Tsukishima, der letzten Endes alle darum bat, es sich im Wohnzimmer bequem zu machen. So schnell es ging, versorgte er seine Gäste mit Getränken und etwas zu Essen. Natürlich war der Wingspiker der Erste, der sich auf die Leckereien stürzte. Der Rest nahm sich wortlos etwas vom Tisch.
Die Konstellation konnte für den Blonden nicht unpassender sein. Er hoffte inständig, dass Fukurodanis Kaptiän seinen vorlauten Schnabel hielt und nichts ausplauderte. Leider war Bokuto ziemlich nachtragend, weshalb er sofort seine Gedanken laut aussprach.
„Tsukki, ich bin wirklich schwer enttäuscht von dir. Du hast dich lange nicht mehr bei uns gemeldet. Bedeuten wir dir denn gar nichts mehr?“, schmollte Bokuto.
„Hahahaha. Ihr scheint euch anscheinend ziemlich gut zu verstehen“, lenkte Yamaguchi lächelnd die Aufmerksamkeit auf sich. Um das Schlimmste zu verhindern, hielt Akaashi seinem Freund den Mund zu und deutete diesem an, endlich die Klappe zu halten. Langsam merkte auch der Pinch-Server, dass hier etwas nicht stimmte. Seit sie im Wohnzimmer waren, hatte Tsukishima kein einziges Wort gesprochen.
Gedankenverloren, betrachtete dieser die Sandwiches, welche noch auf dem Tisch lagen. In Yamaguchi keimte der Verdacht auf, dass das seltsame Verhalten Tsukishimas in letzter Zeit vielleicht mit seinen Gästen der Fukurodani-Academy zusammenhing.
Akaashi, der ahnte, dass Yamaguchi früher oder später auf die Wahrheit stoßen könnte, ließ von Bokuto ab und sah den Middleblocker direkt in die Augen.
„Tsukishima-kun. Es wird an der Zeit, dass Yamaguchi-kun die Wahrheit erfährt.“
Aufmerksam horchte Yamaguchi auf und sah zu seinem Kindheitsfreund rüber. Also lag er mit seiner Vermutung gar nicht so verkehrt. Die Augen des Blonden fixierten ihn nun an und ließen ihn ein bisschen zusammenzucken.
„Bevor ich dir alles erzählen kann...muss ich dir...etwas gestehen, Yamaguchi...“, brachte er mühsam hervor.
Gespannt, was ihm sein bester Freund zu sagen hatte, nickte er ihm zu. So angespannt wie jetzt, hatte er ihn noch nie erlebt. Auch Fukurodanis Spieler sahen ihn an und versuchten ihm per Augenkontakt Mut zu zusprechen. Tsukishima ging ein letztes Mal in sich und beruhigte sich.
„Ich weiß nicht wie ich dir das erklären soll. Vielleicht möchtest du nach meinem Geständnis nicht mehr mit mir befreundet sein...“, wandte der blonde Middleblocker ein.
„Mittlerweile solltest du mich kennen, Tsukki. Unsere Freundschaft hat schon vieles durchgestanden. So schlimm kann es nun auch nicht sein“, sprach sein bester Freund beruhigend auf ihn ein.
Ermutigt von seinen Worten, schluckte er seinen dicken Kloß im Hals herunter und sprach Klartext.
„Naja...es ist so. Ich...stehe auf Jungs.“
Jetzt war es endlich raus. Eine gewisse Erleichterung stand in seinem Gesicht geschrieben. Dennoch war es kein Grund zur Freude. Die Reaktion Yamaguchis machte ihn etwas stutzig. Er zeigte keinerlei Emotionen: Weder sah er wütend, traurig oder angeekelt aus. Beinahe wollte er ihn durchschütteln, um endlich ein Lebenszeichen zu bekommen, doch dieser kam ihm zuvor.
„Wow...ich meine wow. Ich habe mir alles Mögliche ausgemalt. Aber dass du auf Kerle stehst...damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet“, staunte der Pinch-Server.
„Also bist du nicht sauer oder angewidert?“, erkundigte sich der Blonde.
Langsam schüttelte Yamaguchi seinen Kopf.
„N-Nein. Ich bin eher...überrascht. Man bekommt ja schließlich nicht alle Tage von seinem besten Freund zu hören, dass er auf das eigene Geschlecht steht. Aber wieso hast du mir das nicht eher gesagt? Wie dachtest du würde ich denn reagieren, Tsukki?"
Darauf wollte Tsukishima nicht antworten. Er wollte und konnte es nicht zugeben, dass er so stark an Yamaguchi gezweifelt hatte. Sein Gewissen zerfraß ihn innerlich. Dafür übernahm jetzt Akaashi das Wort.
„Ich denke dachte ist das falsche Wort. Tsukishima-kun hatte nämlich schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Außenstehende unterschätzen oft, wie schwer es einem fällt, sich zu outen. Für denjenigen steht nämlich vieles auf dem Spiel, weil in unserer Gesellschaft Homosexualität bei vielen immer noch ein absolutes Tabuthema ist. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum er dir nichts erzählt hat. Beziehungsweise es nicht konnte.“
Nachvollziehend nickte Yamaguchi mit dem Kopf und versuchte die gerade erhaltenden Informationen, zu verarbeiten. Eines stand für ihn fest: Um seinen besten Freund besser verstehen zu können, musste er versuchen herauszufinden, wie alles begonnen hatte.
„Ich würde dich gerne besser verstehen können, Tsukki. Seit wann hast du es bemerkt?“
Yamaguchi schien nicht sauer zu sein. Da er aber nun wissen wollte, wie denn alles angefangen hatte, begann er zunächst zu zögern. Allerdings hatte er die Wahrheit verdient, also begann Tsukishima sein Schweigen zu brechen.
„Nun gut. Dazu müssen wir ungefähr sechs Monate zurückgehen...genauer gesagt, bis zu der Zeit im Sommercamp.“