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Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

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Von Pflaumenmus und Leitungswasser

Kouki riss das Handy von seinem Ohr. „Das gibt’s ja nicht! Wo sind die alle?“, rief er verzweifelt. Er hatte erst Renji angerufen, dann Taneo, und keiner von beiden hatte abgehoben.

Nefertimon flog eine weitere halsbrecherische Kurve, um einem Feuerball zu entgehen, der daraufhin gegen eine Glaswand im zweiten Stock klatschte. Fumikos Arme umklammerten ihn fest von hinten. Das Flammendigimon raste wie eine Sternschnuppe hinter ihnen her. Nefertimon flog die Schleife zuende und nahm es ins Visier. „Rosettastein!“ Aus den Schmuckplatten an seinen Pfoten schossen Rubine wie ein Bienenschwarm. In einer eleganten Pirouette wich das Feuerdigimon aus, die Steine zerschmetterten dafür drei Meter Wand und eine der hübschen Säulen, die das Einkaufszentrum zierten.

„Nefertimon, du darfst hier auf keinen Fall was kaputtmachen!“, rief Kouki.

„Ich glaube nicht, dass das noch eine Rolle spielt“, sagte Fumiko, gerade laut genug, dass er sie über den Lärm hören konnte. Immer noch waren Menschen unter ihnen auf der Flucht, in alle möglichen Richtungen, rannten über geschmolzenen Fußboden und schwelende Glutherde. An der hohen Decke und in den Geschäften waren Sprinkler angegangen, die das Feuer einigermaßen unter Kontrolle gehalten hätten, kämen nicht ständig neue, gierig leckende, orangerote Zungen hinzu. Eine Stimme befahl über die Lautsprecher, dass alle Ruhe bewahren und die Notausgänge benutzen sollten – entweder hatte jene Stimme noch nichts von diesem randalierenden Digimon gehört, oder sie war einfach überfordert mit der Situation. Kouki meinte schon die Alarmsirenen von Polizei und Feuerwehr zu hören, aber vielleicht war das reines Wunschdenken.

Nefertimons Flügel peitschten so heftig durch die Luft, dass sie Federn ließen. Es flog noch höher; Kouki und Fumiko waren von dem kalten Sprühregen bereits bis auf die Haut durchnässt. Vielleicht war das gut so. Plötzlich vibrierte das Handy in seine Hand. „Endlich!“ Er hob ab, ohne auf das Display zu sehen. „Hallo?“

„Hey Mann, was geht?“, hörte er Renji nuscheln. „Ich hab grad so schön gepennt.“

„Dann raus aus dem Bett! Komm sofort ins Mercurio-Einkaufszentrum!“, brüllte Kouki.

„Ins …“ Renji schien den Hintergrundlärm zu bemerken. „Scheiße, was ist los, Mann?“

„Wirst du schon sehen! Nimm Candlemon mit! Und beeil dich! Und ruf die anderen an! Uns geht’s hier an den Kragen!“ Neue Feuersäulen fauchten an ihnen vorbei, malten verzogene Muster an die Decke. Nefertimon flog einen halben Looping, als ein Feuerball von schräg rechts kam und seinen Flügel streifte. Es taumelte in der Luft, für einen Moment glaubte Kouki, dass sie gleich von seinem Rücken geschleudert würden, und krallte sich in seinem Fell fest. Ein zweiter Stoß erschütterte das Sphinx-Digimon und Koukis Handy entglitt ihm. Mit zusammengebissenen Zähnen sah er es in die Tiefe segeln. Hoffentlich erreichte Renji die anderen … Wobei schon ein Wunder geschehen müsste, damit sie rechtzeitig hier wären …

„Kouki, da vorne!“ Fumiko deutete auf einen Keramikladen oder etwas in der Art. Große Vasen, verzierte Platten und Wände mit ausgestellten Fliesen führten tief in die Eingeweide des Einkaufszentrums. „Wenn die die Flammen aushalten, erwischt es uns nicht so leicht! Nefertimon kann mit uns auf dem Rücken nicht richtig kämpfen!“

Das ist keine gute Idee, dachte er, aber eine bessere hatte er auch nicht. Mit der zusätzlichen Last war Nefertimon einfach zu langsam. Er sah den rechten Flügel seines Partners an, der verkohlt war und noch rauchte. „Also schön.“

Nefertimon landete auf der Galerie im ersten Stock und ließ sie absteigen. Sofort gingen sie hinter den künstlichen Wällen aus Keramikplatten in Deckung – und hofften, dass sie standhielten.

„Na endlich!“, rief das Flammendigimon erfreut. „Ich dachte schon, ich muss euch ewig jagen!“

„Du stehst also auf Feuer?“, schrie Kouki zurück. Ein Strahl aus Licht raubte Nefertimon seine Gestalt und kehrte zurück in das DGX-Terminal. „DigiArmorEi des Mutes, erstrahle!“

Lynxmon stürzte sich auf den Feuermann, mitten durch ein Sperrfeuer aus Flammenkugeln hindurch, und riss ihn aus der Luft. Sie prallten auf den geschmolzenen Boden, der noch mehr Wellen schlug, als Lynxmon die Umgebung aufheizte. Das Digimon versuchte sich zu befreien, sah aber nicht so aus, als würde es Schmerzen leiden.

„Das bringt nichts, Kouki“, erkannte Fumiko. Sie spähten hinter der Mauer in der Auslage ins Erdgeschoss hinunter.

„Okay, probieren wir was anderes!“ Er ließ Gatomon zu Rabbitmon werden, das blitzschnell auf Abstand ging und den Feuerbällen gekonnt auswich. Immer wieder beschoss es den Feuermann mit Energiestrahlen, doch der wehrte sie einfach mit seinen behandschuhten Händen ab, aus denen jedes Mal Funken stoben.

„Es ist zu stark!“, rief Fumiko. Kouki biss die Zähne zusammen.

Dann verwehten plötzlich zwei wirbelnde, grünbraune Spiralen die Rauchschwaden. Das Digimon streckte erneut die Arme aus, doch dieses Mal erwischte die Attacke es mit solcher Wucht, dass es rückwärts gegen die Wand geschleudert wurde, die unter dem Aufprall nachgab und zerbarst. Schutt und Putz rieselten herab, und für einen Moment erstarb das wütende Flammenfauchen.

„Tageko!“, riefen Fumiko und Kouki wie aus einer Kehle, sprangen hinter ihrer Deckung hervor und rannten auf die nächstbeste Rolltreppe zu. Wenn Tageko unten bei ihren Digimon stand, gab es keinen Grund, nicht dasselbe zu tun.

Ihre Freundin lief ihnen entgegen. „Sorry, dass ich so spät komme! Renji hat mir bescheidgesagt!“

Blossomon bearbeitete das Digimon in der Staubwolke mit seinen Spiralblumen, und Rabbitmon schoss ebenfalls fleißig. Ob sie auch trafen, sah Kouki nicht. Er und Fumiko blieben vor Tageko stehen und atmeten erst einmal tief durch. „Wow“, sagte er dann. „Sowas nenn ich Rettung in letzter Minute.“

Tageko lächelte schief. „Zwei Minuten später, und der Film hätte angefangen.“

Kouki brauchte einen Moment – und einen spitzen Schrei, der von jenseits des Kampfplatzes kam –, bis er verstand. Tageko war offenbar mit ihren Freundinnen im Kino gewesen, gleich im Gebäude nebenan. Er meinte, zwischen den Rauchschwaden die anderen Staffelläuferinnen zu erkennen, die mit ungläubig geweiteten Augen auf die kämpfenden Digimon zeigten und irgendetwas kreischten.

Tageko fuhr herum. „Ihr solltet doch draußen warten!“, rief sie und stöhnte im nächsten Atemzug auf. „Ihnen das zu erklären, wird schwierig.“

Im nächsten Moment schoss ein Komet aus der Staubwolke hervor, auf die Blossomon immer noch einprügelte, zog einen Bogen durch das demolierte Einkaufszentrum – und landete direkt hinter Tagekos Freundinnen. Ein neuer Aufschrei wehte an Koukis Ohr, als Flammen nach allen Seiten spritzten, dann stand das Digimon hinter den Mädchen und legte wie beschützend die Arme um zwei von ihnen. „Versuchen wir es eben so“, verkündete es mit gesenktem Kopf, sodass man seine Augen nicht sah. An der Spitze seines Zauberstabs glühte ein neuer Feuerball auf.

„Lass sie sofort gehen!“, schrie Tageko.

Das Digimon kicherte. „Und wenn nicht?“

 

„Das Ganze hängt also mit Fumikos Geburtstagsfeier zusammen“, fasste Taneo zusammen. „Die Einladung hat dich ins Grübeln gebracht, ob du überhaupt erwünscht bist oder ob sie dich nur obligatorisch eingeladen hat. Und das hat dazu geführt, dass du über deine Stellung bei uns ins Zweifeln gekommen bist. Und dass du nicht weißt, ob wir Freunde oder nur Kollegen sind. Ob wir dich als Freund sehen, als Freund haben wollen.“

Jagari wich seinem Blick aus. „Das ist nicht ganz das, was ich gesagt habe.“

„Ich habe aber das herausgehört. Stimmt es nicht?“

Der blonde Junge schluckte. „Wenn du es so trocken sagst, klingt es echt erbärmlich“, sagte er leise.

„Wenn man Gedanken und Gefühle rational analysiert, klingen sie meistens erbärmlich. Aber da jeder denkt und fühlt, kann man gewisse Sachen nachvollziehen.“ Taneo sah ihn ruhig an. „Willst du meine Meinung dazu hören?“

Jagari nickte.

„Also, ich denke, es spielt keine Rolle.“

Jetzt horchte er ungläubig auf. „Du glaubst, es spielt keine Rolle? Tut mir leid, wenn ich dir deine Zeit stehle. Ich wollte es ja eigentlich nicht erzählen.“ Er verschränkte missmutig die Arme.

„Du verstehst mich nicht. Es spielt keine Rolle, ob wir dich als Freund oder Kollegen sehen. Nicht so, wie du glaubst. Wenn wir zusammen sind, hast du das Gefühl, dass dich irgendjemand von uns ablehnt? Von Renjis gelegentlichem Rummotzen mal abgesehen.“

„Nicht wirklich, aber …“

„Eben. Wenn es ein Problem für uns darstellt, wenn wir eine klare Unterscheidung zwischen Freund und Kollege machen würden, dann wären wir selbst schuld, wenn wir es dir nicht irgendwie mitteilen. Und ich hätte auch noch nicht bemerkt, dass irgendjemand hinter deinem Rücken schlecht über dich redet. Die Umkehrung ist wichtiger: Was sind wir für dich?“

Jagari druckste herum. „Ich weiß nicht. Ich … habe schon länger keine … richtigen Freunde gehabt. Ich weiß nicht, ob ich je welche hatte. Also kann ich nicht sagen, wie es sich anfühlt.“

Taneo unterdrückte ein Seufzen und beschloss, geduldig zu sein. „Dann vergiss für einen Moment die Wörter Freund und Kollege. Bis du gern mit uns zusammen? Kannst du in unserer Gegenwart lachen und freust du dich, wenn wir was zusammen unternehmen?“

„Ich … ja! Der Kinobesuch war super, und …“ Jagari wich wieder seinem Blick aus und schrumpfte in sich zusammen, als müsste er sich schämen. „Und ich habe mich auch zum ersten Mal irgendwo zugehörig gefühlt, als Fumiko mich eingeladen hat. Dann kamen die Zweifel …“

„Das bedeutet, du siehst uns als Freunde“, stellte Taneo fest. „Oder hättest uns gern als Freunde. Du könntest uns das ganz einfach spüren lassen, indem du nicht ständig glaubst, dass du das nicht verdienst. Du stehst dir selbst im Weg.“

„Das weiß ich ja, aber …“ Jagari lehnte sich seufzend zurück. „Wenn ihr mich nicht als Freund haben wollt, dann spielt es ja keine Rolle, was ich will.“

Taneo hob eine Augenbraue. „Und warum glaubst du, dass wir dich nicht dabeihaben wollen? Hat das irgendjemand zu dir gesagt? Womöglich ein Asura? Oder ein Typ auf der Straße, der weder dich noch uns kennt?“

Jagari schwieg.

„Wusstest du, dass Kouki kein Pflaumenmus mag?“, fragte Taneo unvermittelt.

„Hä? Äh, nein, was hat das …“

„Ich weiß es auch nicht. Aber könnte doch sein, oder? Ich werde ihm zur Sicherheit nie welches vorsetzen. Fragen werde ich ihn aber auch nicht, weil ich nicht sicher bin, ob er es nicht nur aus Höflichkeit nicht ablehnt. Übrigens könnte es sein, dass er eine Unverträglichkeit gegenüber Leitungswasser hat. Ich werde ihm sicherheitshalber nie was zu trinken anbieten. Außerdem ist er schwul. Als Fumiko ihn gefragt hat, ob sie nicht ein Paar werden wollen, wollte er sie nur nicht verletzen, aber er kann mit Mädchen nichts anfangen. Woher ich das weiß? Tu ich nicht. Aber es könnte sein. Also tu ich ihm am besten einen Gefallen und versuche, die beiden auseinanderzubringen. Wenn ich mich doch irre, nehme ich hinterher die ganze Verantwortung auf mich, ich Held.“ Taneo sah Jagari forschend an. „Klingt das nicht ziemlich dämlich?“

„Ziemlich, ja.“

„Es ist genau das, was du auch tust.“ Er ließ ihn erst mal eine Weile darüber nachdenken. „Jagari, wenn du uns als Freunde sehen willst, hab einfach Spaß mit uns, so wie es sich für Freunde gehört. Wenn wir dich ablehnen, sollen wir dir das gefälligst zeigen. Wenn wir dir gegenüber kühl sind, weißt du sofort, dass etwas nicht stimmt. Ansonsten kannst du tausendmal vermuten, dass wir uns nur nicht trauen, dich abzuweisen. Klammere dich nicht an eine Vorstellung, für die es keine Beweise gibt.“

„Aber wir haben … Ohne diese Sache mit der DigiWelt hätten wir uns nie kennengelernt!“

„Das stimmt. Und?“

„Was heißt hier und? Wir sind nur in einem Team gelandet, weil uns irgendeine Macht zufällig auserwählt hat! Darum haben wir uns zusammengerauft und Sachen miteinander unternommen.“

„Und?“

Jagari funkelte ihn an. Taneo brachte ihn wohl gerade ziemlich auf die Palme. „Und das heißt, dass ihr sonst nie mit mir zu tun gehabt hättet! Zwei Fußballer, eine Läuferin, ein stilles Mädchen und du? Wie hätten wir je Freunde werden können, wenn es die DigiWelt nicht gäbe?“

„Ist es dann nicht gut, dass es sie gibt?“

Jagari stöhnte. „Du verstehst mich einfach nicht.“

„Ich verstehe dich schon. Ich hab längst verstanden, wie du denkst. Sei mir nicht böse, aber du bist bescheuert.“ Er lächelte leise, als er Jagaris verdutztes Gesicht sah. „Wir wären keine Freunde, hätten wir uns nicht unter bestimmten Umständen kennengelernt. Wie viele Freundschaften entstehen, glaubst du, ganz ohne irgendwelche Umstände? Hast du je erlebt, dass Leute in der U-Bahn dicke Freunde werden? Es ist ein Fakt, dass das mit der DigiWelt passiert ist. Hätten wir uns anders kennengelernt? Vermutlich nicht. Wären Renji und Kouki Freunde geworden, wenn sie nicht beide gern Fußball spielen würden? Hätte sich Renji mit den anderen Affen in seiner Klasse befreunden können, wenn ganz Japan durch ein Erdbeben zerstört worden wäre?

Ich erzähle dir, wie sich meine Großeltern kennen gelernt haben. Es war im Krieg. Mein Großvater war verwundet und wurde von seinen Leuten zurückgelassen. Er hat sich in ein Dorf geschleppt. Meine Großmutter hat ihn gefunden und gepflegt. Sie haben sich verliebt und nach dem Krieg geheiratet. Wie eine Bilderbuchgeschichte, oder? Jetzt sag mir, ob ihre Liebe deswegen weniger wert war. Oder ob es einfach nicht gilt, da sie einander unter besonderen Umständen kennengelernt haben. Dürfte es mich also gar nicht geben?

Alle möglichen Sachen passieren zufällig. Ich finde, je unglaublicher diese Zufälle sind, desto wertvoller sind die Auswirkungen. Die DigiWelt und die Gefahren dort haben uns zu Freunden gemacht, na und? Seit Urzeiten werden Leute zu Freunden, weil sie einander helfen. Ich glaube sogar, dass die Gefahr das Innere der Menschen nach außen kehrt. Wäre es absolut unmöglich, dass wir Freunde, ein Team werden, genetisch bedingt oder schicksalsbehaftet oder warum auch immer, dann hätten wir uns längst zerstritten.“

Jagari schien kein Gegenargument einzufallen. Beinharte Logik und Dinge auseinanderzunehmen, die andere ohne Grund für selbstverständlich hielten, waren zwei von Taneos Stärken.

„Wie ist es mit dir?“, fragte Jagari plötzlich.

„Was meinst du?“

„Was denkst du über unsere Clique? Fühlst du dich als vollwertiges Mitglied? Nein, Quatsch, natürlich tust du das, aber findest du, wir sind Freunde?“

Taneo war erst verdutzt. Mit so einer Gegenfrage hatte er nicht gerechnet. Dann lächelte er. „Ich denke eigentlich nicht in Schubladen wie Freunde und Nicht-Freunde, und dass es irgendwo eine Grenze zwischen Bekannten, Leuten, die man mag, und Freunden gibt. Wenn mich jemand fragt, wer die Menschen sind, die ich am ehesten als Freunde ansehe, dann seid ihr das. Vielleicht die einen mehr, die anderen weniger.“ Er dachte an Renji, obwohl er ihn längst nicht mehr so schlecht leiden konnte wie früher. Das brachte ihn auf eine Idee. „Ist wohl alles ein dynamischer Prozess. Ich glaube, wenn wir die Asuras erst besiegt haben, werden wir noch unglaublich viel Spaß in der DigiWelt haben. Nicht als Zweckgemeinschaft, sondern als Freunde, die die Fremdartigkeit dort genießen. Wir werden so richtig zusammenwachsen.“

Jagari lächelte ob dieser Aussicht. „Du kannst besser Reden schwingen, als du zugibst“, stellte er fest.

Taneo lachte, ein wenig verlegen. „Man tut, was man kann. Und was wirst du jetzt tun? Gibst du uns eine Chance? Und dir?“

Der Junge lächelte immer noch. „Ich werde es versuchen. Ernsthaft. Sorry, dass ich so ein Weichei bin.“

„Bist du nicht. Überhaupt nicht. Immerhin denkst du drüber nach, was andere denken könnten. Renji hätte solche Zweifel zum Beispiel nie.“

Jagari lachte. Es klang ein wenig erlöst. Vielleicht durfte Taneo sich tatsächlich auf die Schulter klopfen. „Und vergiss nicht: Tageko hat sich Sorgen um dich gemacht. Ich hab mir die Mühe gemacht, mit dir zu reden. Kouki würde sich sowieso mit jedem auf der Welt anfreunden, wenn er könnte. Renji vergessen wir mal, aber ich bin mir ziemlich sicher, wenn er was gegen dich hätte, würde er das auch sagen. Und Fumiko hat dich auch eingeladen. Wir sehen dich als Freund, Jagari, also versuch das nicht in deinen Gedanken irgendwie zu überschreiben, okay?“

Taneo akzeptierte Jagaris „Danke“ mit einem Nicken und fischte sein Handy aus der Tasche. Kouki hatte ihn angerufen, dann Renji.

 

„Wir fangen damit an, dass ihr eure Digimon zurückdigitieren lasst“, verkündete der Flammenmann.

Fumiko hörte Kouki fluchen, aber durch die Rauchschwaden konnte sie ihn nicht sehen. „Sie haben nichts damit zu tun!“, rief er betont langsam, um Zeit zu schinden.

„Jetzt haben sie es“, kicherte das Digimon.

Fumiko setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Der Boden war teilweise geschmolzen, teilweise von Glutnestern bedeckt wie von orangeroten Spinnenweben. Es stank nach verbranntem Gummi und Plastik, und der Qualm war dick und schwarz.

Ob das Digimon sie bemerkte?

Ein schwaches Licht glühte auf. Wahrscheinlich Rabbitmon, das zu Gatomon zurückdigitierte.

„Brav. Jetzt das andere.“ Fumiko war nun nahe genug dran, um zu hören, wie das Flammendigimon kichernd zu Tagekos Freundinnen sagte: „Na, meine Hübschen? Ich überlege gerade, ob ich nicht eine von euch pro forma braten sollte, damit sie wissen, wie ernst es mir ist.“ Das Mädchen stieß ein Wimmern aus, als der Feuerball heller loderte.

Durch den letzten Rauchvorhang griff Fumiko zu und erwischte den dürren Oberarm des Flammenmannes. Er stieß einen verblüfften Laut aus, als er von seinen Geiseln weggerissen und wuchtig über Fumikos Schulter geschleudert wurde. Sein Aufprall auf dem Boden hatte fast etwas Komisches.

„Lauft“, keuchte Fumiko, und die Mädchen stürzten los.

„Du kleine …“ Das Digimon verwandelte sich in einen Ball aus einander umkreisenden Flammen und schoss wie ein Komet in die Höhe – nur um von einer wirbelnden Spiralblume gegen die Wand gedonnert zu werden. Blossomon musste Fumikos Plan antizipiert haben.

Tagekos Freundinnen fielen ihr weinend in die Arme. Kouki ließ indessen das ArmorEi der Aufrichtigkeit erstrahlen, und Gatomon wurde zu Kabukimon, das aussah wie ein traditioneller japanischer Theater-Tänzer. Aus seinen Blütenhänden strömten Energiestrahlen, mit denen es das feindliche Digimon malträtierte. Fürs Erste schien es beschäftigt.

„Leute!“, ertönte eine Stimme aus dem vorderen Teil des Einkaufszentrums.

„Renji, na endlich!“, rief Kouki erfreut.

Renji kam, schwitzend und keuchend, mit hochrotem Kopf und Candlemon huckepack, durch die Halle gerannt. „Sorry, Alter, was glaubst du, wie schwer es war, bei all den rauslaufenden Leuten hier reinzukommen? So ein paar Spinner wollten mich doch ernsthaft gleich wieder mit sich reißen!“

Er erreichte die anderen und schlug ein, nickte sogar Tageko und Fumiko zu. Sie hatten sich wieder alle an einem Fleck versammelt, die beiden anderen Mädchen bleich vor Angst, während in einem hohen Bogen über ihnen das Flammendigimon Attacken abwehrte.

„Wir könnten Volcanomon gebrauchen“, sagte Kouki.

Renji grinste. „Feuer mit Feuer bekämpfen? Hab’s geschnallt. Runter mit dir, du bist mir zu schwer!“

„Ha! Wartet nur!“ Candlemon sprang von Renjis Schultern und landete als Meramon auf dem Boden. Eine Wolke aus Hitze ging von dem Digimon aus, als es so nah stand. Dann digitierte es weiter und wurde zu seiner neuen, roboterhaften Gestalt.

„Wir müssen es irgendwo festnageln“, sagte Tageko mit Blick auf das über ihren Köpfen inmitten eines Flammenkranzes umherschwirrende Digimon.

„Alles klar, passt auf!“ Volcanomon hielt plötzlich ein Schnurlosmikrofon in der Hand. Der Vulkan auf seinem Rücken krachte eine dünne Feuersäule in die Höhe. „Big-Bang-Stimme!“ Es schien ein lautloser Schrei zu sein, der aus seinem Mund kam, aber man sah deutlich, wie die Schallwellen die Luft kräuselten, wellenförmig auf das feindliche Digimon zu, es umkreisten – und dann wie eine Kneifzange zupackten. Plötzlich streckte der Flammenmann die Glieder aus, als hätte ihn jemand mitten in der Luft gekreuzigt – und hörte auf auszuweichen.

„Jetzt!“, rief Blossomon und schoss seine Spiralblumen ab.

„Alles klar!“ Kabukimon griff ebenfalls an. Die Attacken prasselten mit vernichtender Wucht auf das Digimon ein, und auch Volcanomons Big-Bang-Stimme schien es zu schwächen. Flammen wirbelten auf, die Haut des Digimons begann stellenweise zu glühen wie alte Kohlen im Grill, auf die jemand pustete.

„Übrigens“, sagte Renji beiläufig, während sie das Ende ihres Feindes verfolgten, und zog die Analyzer-Brille aus seiner Jackentasche.

„Ach, du hattest sie“, stellte Kouki fest.

Renji hielt sich die Gläser vor die Augen und grinste. „Das da ist … war ein Ultra-Digimon namens FlaWizardmon. Und noch ein kleiner Bonus.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Es war ein Asura.“

In einer Flammenexplosion verging FlaWizardmon. Seine Datenreste sammelten sich an der Decke des Einkaufszentrums, aber sie flogen nicht in eine bestimmte Richtung davon wie die der Asuras, die sie bisher besiegt hatten. Stattdessen verblassten sie und verschwanden einfach. Waren sie in die DigiWelt zurückgekehrt?

Tagekos Handy klingelte. „Taneo?“, meldete sie sich. „Ja? Wahrscheinlich. Nein, keine Ahnung.“ Sie sah Kouki an. „Ist dein Handy aus?“

„Ich muss erst mal nachsehen, ob das überhaupt noch existiert“, meinte er schulterzuckend.

„Nein, es ist alles okay. Da war ein Asura, aber wir haben es besiegt“, telefonierte Tageko weiter.

Fumiko ließ den Blick über das zerstörte Einkaufszentrum schweifen. Nun konnte man definitiv Sirenen hören, die auch gar nicht mehr weit entfernt waren. Der Kampf schien ewig gedauert zu haben, wahrscheinlich waren aber nur einige Minuten vergangen, seit FlaWizardmon sich ihnen gezeigt hatte.

Die Digimon kehrten zu ihnen zurück. Tageko, hinter die sich immer noch ihre Freundinnen aus dem Staffelläuferinnen-Team drängten, versicherte Taneo wiederholt, dass alles in Ordnung war – so als wollte sie den Moment möglichst hinauszögern, da sie den Mädchen Rede und Antwort stehen musste.

„Nicht übel“, grollte plötzlich eine Stimme und ließ die DigiRitter herumfahren.

Aus dem Rauchvorhang tappe eine dunkle Gestalt. Fumiko schluckte. Es war der große Hund des Mannes. Den hatte sie total vergessen.

„Hat der Hund gerade gesprochen?“, fragte Renji verblüfft.

„Kouki, das habe ich dir zu sagen versucht“, sagte Kabukimon. „Nicht nur der Mann war komisch, sondern sein Hund auch!“

„Aber er sieht doch gar nicht aus wie ein Digimon … oder?“ Kouki runzelte die Stirn. Fumiko dachte ebenfalls darüber nach. Es wirkte zwar wie ein etwas groß geratener Hund, aber sie hatte noch nie einen von dieser Rasse gesehen, auch nicht in Zeitschriften oder Ähnlichem. Außerdem hatte sich schon FlaWizardmon vor ihren Augen verwandelt.

Renji hatte die Brille wieder aufgesetzt. „Dobermon“, erklärte er. „Level: Champion. Noch ein Asura.“

„Endlich kann ich meine Tarnung aufgeben“, seufzte das Digimon. Noch war es nicht nähergekommen. Ein Champion gegen zwei Ultras und Koukis Armor-Digimon, das klang doch nicht übel für sie, oder? Trotzdem spannte Fumiko sich an. Das Biest war ihr von Anfang an nicht geheuer gewesen. Wenn man bedachte, dass sie damals ein leibhaftiges Asura angefallen war … Ihr rieselte ein Schauer über den Rücken.

„Taneo, warte“, sagte Tageko, die immer noch telefonierte. „Vielleicht kommst du zur Sicherheit auch her. Ja, ins Einkaufszentrum. Es ist noch eines aufgetaucht.“

„Warum denn? Das schaffen wir doch mit links“, meinte Renji großspurig. Die Sirenen wurden scheppernd laut. Bald würde es hier vor Einsatzkräften wimmeln.

Dann geschah etwas mit Dobermon. Seine Augen … nein, das war es nicht. Alles an ihm, beginnend mit den hellen Flächen, den Augäpfeln, Zähnen und Krallen, dann die braunen und dann die schwarzen Flecken im Fell, begannen rot zu leuchten. So etwas hatte sie doch schon mal gesehen …

„LordMyotismon hat mir diese Kraft schon vor einiger Zeit gegeben“, grollte das Asura. „Es wird Zeit, sie endlich einzusetzen.“

„Es digitiert!“, rief Kouki. „Schnell, greift es an!“

Doch es war bereits zu spät. So lange LordMyotismon mit seiner Digitation gebraucht hatte, so schnell ging es offenbar für ein Asura auf einem niedrigeren Level. Schon stand aufrecht ein Digimon vor ihnen, das wie ein Werwolf mit Hosen aussah, das Fell pechschwarz und grau meliert.

„Okay …. jetzt ist es auf dem Ultra-Level. DunkelWereGarurumon“, berichtete Renji.

Irgendwo wurden aufgeregte Menschenstimmen laut. „Wir müssen es besiegen, ehe die Feuerwehr da ist“, sagte Tageko hektisch. „Wenn uns hier irgendjemand sieht, haben wir ein Riesenproblem!“

Fumiko starrte das Wolfsdigimon an, das ihren Blick hämisch erwiderte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hoffe, es hat euch gefallen. "Von Pflaumenmus und Leitungswasser" ist jetzt übrigens mein Lieblings-Kapiteltitel^^ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Fuchspinsel
2017-06-15T09:25:15+00:00 15.06.2017 11:25
Dabei war Dobermon nur ein willkürliches Beispiel von mir xD
Hab mich gefreut, dass Volcamon endlich seine Action bekommen hat ^^
Als ich den Titel gelesen hab hab ich gedacht: "wtf was kommt jetzt? Oo Die kämpfen doch gg FlaWizardmon" xD
Antwort von:  UrrSharrador
03.07.2017 15:50
Ich weiß, ich fands auch witzig als ich den letzten Kommi von dir mit Dobermon gelesen habe :D
Danke für deinen Kommi & sorry die lange Verspätung!
Von:  EL-CK
2017-06-14T18:38:52+00:00 14.06.2017 20:38
Das mit dem Lieblingstitel kann ich absolut verstehen... 😉


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