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My love bite on your neck

von

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Love bite 57 - Weihnachtsblues

Einen schönen guten Morgen wünsche ich euch.

Pünktlich zu Weihnachten hier nun das Love bite Weihnachtskapitel.

Wieder habe ich es nicht geschafft, euch zu antworten. Ich bin ziemlich platt und darf Antibiotika schlucken :-( Ich hoffe ja, dass das nächste Woche besser ist, und ich mich wieder mehr um meine Storys kümmern kann

Jetzt wünsche ich euch aber erstmal viel Spaß beim Lesen, ein schönes Weihnachtsfest und lasst euch reichlich bescheren ;-)
 

Eure Fara
 


 

Love bite 57 - Weihnachtsblues
 

"Ein schönes Weihnachtsfest Ihnen."

"Danke. Ihnen auch", lächelt der Kunde vor dem Tresen und macht dem nächsten Platz. Ich lächle freundlich zurück und begrüße gleich den nächsten Kunden.

Ein schönes Weihnachtsfest. Wenn das nur ginge. Ohne Meilo wird das ganz sicher kein schönes Fest.

Missmutig gebe ich die Preise in die Kasse ein. "Möchten Sie es als Geschenk verpackt haben?"

"Ja, gern." Warum frage ich eigentlich? Heute will jeder seinen Einkauf verpackt haben, schließlich ist Heilig Abend.

Ich reiche die Weinflasche und die luftgetrocknete Salami an Jean weiter, der sich um das Einpacken kümmert, und bediene die nächste Kundin. Alles läuft routiniert ab. Seit zwei Tagen machen wir nichts mehr anderes als Bestellungen fertig zu machen, und Kunden zu bedienen. Es ist die Hölle los!

Das freut mich für KP, keine Frage, doch es ist schon teilweise ziemlich stressig. Manche Leute wissen einfach nicht was sie wollen, fragen einen aus, lassen sich hier was zeigen, probieren dort eine Kostprobe, und merken gar nicht, dass der Laden brechend voll ist. Mir schwirrt schon seit gestern der Kopf. Heute Nacht habe ich sogar vom Bedienen geträumt.

Ich war gerade dabei, alles in den Laden zu räumen, weil es kurz vor Feierabend war, aber der Kundenstrom wollte einfach nicht abreißen. Ich dachte noch, die müssen doch längst Zuhause sein, denn die Uhr zeigte zwanzig Uhr an, aber der Andrang wollte und wollte nicht abreißen.

Als ich heute Morgen aufwachte, fühlte ich mich durch den aufreibenden Traum überhaupt nicht ausgeruht. Es war so, als hätte ich die ganze Nacht durchgearbeitet. Demnach sah auch mein Spiegelbild aus. Obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob das nur von dem Traum herrührte.

Zu dem Arbeitsstress kommt nämlich noch meine wachsende Sorge um Meilo. Es ist keine vier Tage her, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, aber schon einen Tag nach meinem Besuch in Berlin, hatte ich das drängende Gefühl, dass meinen Schatz schon wieder was bedrückt. Logisch, dass ich ihn darauf angesprochen habe, doch er meinte, es sei nichts schlimmes. Er sei nur geschafft vom Tag. Dass ich ihm das nicht abnehme, weiß er sicherlich. Trotzdem sagt er mir nichts. Das macht mich noch verrückt!

"Ein schönes Fest."

"Danke, Ihnen auch", rattere ich einstudiert runter. Der Nächste bitte.
 

***
 

"Oh Mann! Mir tun die Füße weh!" Jean hockt auf einem der eindekorierten Stühle im Laden und streckt die Beine von sich. KP steht an der Kasse und macht die Abrechnung, während ich den Laden abschließe. Kein Kundenstrom vorm Laden. Die Stadt ist ruhig und nur noch vereinzelt sieht man ein paar panische Leute nach einem Geschenk suchend durch die Straßen ziehen.

"Feierabend!", verkünde ich und drehe das Schild von Geöffnet auf Geschlossen.

"Endlich!", pustet Ricco und gähnt herzhaft. "Ich will nur noch in mein Bett."

"Keine Familiären Verpflichtungen heute?", fragt ihn Jean, der wieder aufgestanden ist, und neben mir her zur Theke läuft.

"Nee. Erst morgen."

"Du Glücklicher. Meine gesamte Familie ist heute Morgen angetanzt. Wenn ich jetzt nach Hause komme, geht der Trubel gleich weiter." Jean seufzt und lehnt sich gegen die Kasse.

KP zupft den Zettel mit der Abrechnung ab. "Ist der lang", staune ich. "Und? Hat es sich gelohnt?"

"Voll und ganz", strahlt er.

"Dann haben wir ja nicht umsonst geschuftet."

"Nein, habt ihr nicht." KP zieht die Kassette mit den Tageseinnahmen aus der Kasse und verschwindet nach hinten.

Jean, Ricco und ich gehen derweil nach hinten und machen uns für den Heimweg fertig. "Und? Wie verbringst du die Feiertage Niclas? Auch im Schoße der Familie?", fragt mich Ricco.

"Ja", brumme ich.

"Hört sich ja nicht sehr begeistert an", grinst Jean. "Hast du auch so eine Chaosfamilie wie ich?"

"Chaotisch sind sie auf jeden Fall, aber darum geht es mir nicht."

"Meilo?" Ich nicke Jean zu. "Kann er nicht kommen?"

"Nein. Er muss lange arbeiten."

"Das ist doof." Da stimme ich Ricco voll und ganz zu.

"So ihr drei!" KP betritt den Raum. In der Hand drei Umschläge. "Euer Lohn für diese Woche und ein kleiner Weihnachtsbonus." Jeder von uns bekommt einen der Umschläge in die Hand gedrückt.

Alle freuen sich riesig, weil der Weihnachtsbonus sich wirklich sehen lassen kann, doch bei mir will keine richtige Freude aufkommen. Meilo. Ich würde den ganzen Umschlag mit Freuden in die nächste Kerzenflamme halten, wenn ich dafür jetzt bei ihm sein könnte.

"Ich wünsche euch ein erholsames Weihnachtsfest. Ruht euch schön aus, wir sehen uns nächste Woche wieder."

"Wünsche ich dir auch", erwidert Jean, und auch Ricco und ich wünschen unserem Boss ein schönes Fest.

Draußen verabschiede ich mich von den beiden, das übliche Geplänkel runterleiernd, dann stampfe ich auf mein Auto zu. Ab nach Hause. Ich muss Meilo anrufen!
 

Zuhause herrscht das Chaos. Die Weihnachtsvorbereitungen sind im vollen Gange. Mama wirbelt wie ein Tornado durch die Küche, Papa stößt im Wohnzimmer am laufenden Band unweihnachtliche Flüche aus, was nur bedeuten kann, dass er die Lichterkette an den Baum pfriemelt, wobei Nicole ihm sicher helfen muss. Eigentlich wollte er das schon gestern machen, so wie jedes Jahr. Er hatte auch schon damit angefangen, doch mein Vater und die Lichterkette stehen so sehr auf Kriegsfuß, dass Mama ihm gestern andere Tätigkeiten aufgebrummt hat, nachdem er die Kette beinahe aus dem Fenster geschmissen hat.

Auf leisen Pfoten schleiche ich mich ungesehen in mein Zimmer. Wenn jemand fragt, ich bin noch nicht da.

Meine Jacke und meine Schuhe fliegen in die nächste Ecke. Mit dem Handy bewaffnet setze ich mich anschließend aufs Bett und wähle Meilos Nummer. Die Mailbox geht ran. Dann ist er sicherlich schon bei dieser blöden TV-Show, die Gerd ihm noch aufs Auge gedrückt hat. Ich schaue auf die Uhr. Kurz nach drei. Um vier fängt sie an, wird aber erst um halb sieben ausgestrahlt. Und danach läuft die Sendung, für die er gestern schuften musste. "Hallo Meilo. Ich bin's. Wollte nur Beschied sagen, dass ich Zuhause bin. Kannst mich jederzeit am Handy erreichen. Liebe dich."

Nachdenklich stecke ich mir mein Handy in die Hosentasche. Wenn ich jetzt doch nur bei ihm sein könnte!

Weil ich sowieso nichts besseres zu tun habe, tapse ich in die Küche. "Hey Ma. Bin wieder da."

"Oh Nic. Wie spät ist es denn?" Meine Mutter ist richtig hektisch.

"Drei Uhr durch. ... Soll ich dir helfen?"

"Nein, nein", winkt sie ab. "Bis ich dir alles erklärt habe, habe ich es auch selbst gemacht." Na danke auch! "Hilf lieber deinem Vater. Der flucht schon seit einer halben Stunde wegen der Lichterkette herum."

"Hab's gehört", grinse ich. Das Lichterkettenspektakel ist jedes Jahr aufs Neue eine kuriose Sache. Mein Vater hat es nicht so mit Ketten entwirren. Im Gegenteil. Er macht nur noch mehr Knoten rein. "Gut. Dann helfe ich ihm mal."

"Tu das, Schatz." Der Ofen piepst. Schon bin ich wieder vergessen.

Im Wohnzimmer bietet sich ein mir nur allzu bekanntes Bild: Hinten in der Ecke, neben dem Fenster, steht der noch nackte Baum. Eine große Nordmanntannennachbildung. Wunderschön gewachsenes Plastik und auch noch kerzengerade. Ein teures Ding, das meine Mutter vor ein paar Jahren angeschafft hat, weil sie es satt hatte, dass mein Vater immer etwas an den Bäumen auszusetzen hatte, die wir besorgt hatten. Jetzt geht sie immer los und holt einen großen Bund Äste beim Gärtner, die sie dann zwischen die Unechten steckt. "So riecht es wenigstens auch nach einem Baum", erklärte sie. Und sie hat recht. Es riecht nach frischem Grün.

Vor dem Baum steht Nicole. Sie blickt grimmig drein und hält einen Teil der Lichterkette, den mein Vater schon entwirrt hat. Dieser steht vor dem Wohnzimmertisch, der über und über mit Kartons und Schachteln voll Baumschmuck bestückt ist. Lichterkette Nummer zwei liegt noch eingepackt dazwischen, wie ich erkenne. Weit sind sie noch nicht gekommen.

"Bin wieder da. Hilfe naht", verkünde ich.

Mein Papa schaut auf. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn. "Niclas! Wie gut, dass du da bist! Hilf mir mal."

"Klar doch", grinse ich und nehme ihm den Kabelwust ab.

"Das verheddert sich immer wieder!"

"Aber nur, weil du für jeden enthedderten Knoten zwei neue reinmachst", motz Nicole, wobei sie nicht ganz unrecht hat.

"Die Knoten waren schon vorher drinnen! Weil sie letztes Jahr einfach schnell in den Karton gestopft worden sind!" Mein Vater bekommt einen roten Kopf.

"Ist doch nicht schlimm", schlichte ich. "Das bekommen wir schon hin. Zur Not werfen wir sie eben verknotet auf den Baum."

"Das geht doch nicht!", zickt Nicole.

"Geht doch", blaffe ich zurück. Dank LED ginge das ganz einfach. Unsere damalige Lichterkette hatte Glasbirnen. Mein Vater schrottete jedes Jahr gleich mehrere Birnen. Deshalb sind wir auf LED umgestiegen. "Lasst mich das machen. Ich bekomme die schon entwirrt."

Mein Vater bläst laut Luft zwischen seinen Lippen und wirft resigniert die Arme in die Luft. Ich beachte ihn nicht weiter und setze mich auf die Couch, wo ich in Ruhe alle Knoten und verdrehten Kabel auseinanderfummeln kann. Nicole hilft mir und befestigt den entwirrten Teil schon mal am Baum. Papa kramt derweil in den Schachteln herum. "Wo ist den die Spitze?", fragt er meine Schwester.

"Irgendwo." Sie zuckt mit den Schultern.

"Sie muss doch da sein."

"Was willst du den mit der? Die kommt erst zum Schluss drauf."

"Ich will nur gucken, ob sie da ist."

"Das sehen wir doch dann, wenn der Rest am Baum hängt." Ich verdrehe die Augen. Jedes Jahr das Selbe.

Ich lasse die beiden weiter diskutieren. Das ist ihr alljährlicher Weihnachtsbrauch. Gönnen wir ihnen ihren Spaß.
 

Inzwischen entheddere ich Lichterkette Nummer eins. Danach ist die Zweite dran, die dann auch sofort um den Baum geschlungen wird. "Haben wir nicht noch diese einzelnen Kerzen irgendwo?", fragt Nicole und tritt an den Couchtisch. "Die flackern so schön."

Grinsend beobachte ich meine Schwester und meinen Vater, wie sie einträchtig nebeneinander in der Weihnachtsdeko kramen. Immer wieder findet einer etwas, das schon seit Jahren bei uns an den Baum gehängt wird, wie dieser furchtbare Bengel mit der Trommel in der Hand, und freut sich dann wie Bolle. Erinnerungsstücke an unsere Kindheit. Immer, wenn ich diese kleinen filigranen Glasaufhänger sehe, werde ich ganz nostalgisch. Umso schlimmer, dass Meilo heute allein ist. Ich frage mich, wann er das letzte Mal in Ruhe Weihnachten mit seiner Familie feiern konnte.

"Ey! Miesmuschel!" Nicole wirft mir eine alte Packung Lametta entgegen. "Was glotzt du so traurig?"

Missmutig zupfe ich am goldenen Lametta herum. "Meilo ist heute ganz allein", murmle ich.

"Echt jetzt?", fragt mich Nicole betroffen. Ich nicke und werfe das Lametta zurück in einen der Kartons. Das benutzen wir doch schon seit Jahren nicht mehr. "Warum hast du ihn nicht zu uns eingeladen?"

"Sehr witzig", schnaube ich. "Er ist in München. Für den einen Abend zu uns zu fahren, wäre schwachsinnig."

"Er könnte auch fliegen." Meine Augenbrauen wandern nach oben und ich schaue meine altkluge Schwester schief an.

"Mit dem Schlitten vom Weihnachtsmann, oder was?", blaffe ich sie an.

"Nein, mit einem stinknormalen Flugzeug. Entschuldige, dass ich einen Vorschlag gemacht habe." Jetzt ist sie sauer.

Seufzend entschuldige ich mich bei ihr. "Zu wissen, dass er da allein hockt, macht mich eben traurig", erkläre ich ihr.

"Dann lass dir was einfallen, und nerv uns nicht." Wieder fliegt das Lametta. Schief grinsend werfe ich es ihr wieder entgegen.

Mir was einfallen lassen ... Aber was?
 

***
 

"Niclas? Kannst du noch das Drangiermesser aus der Schublade holen?"

"Mach ich." Ich stehe auf und laufe zu besagter Schublade.

Im Radio, das neben der Brotmaschine steht, dudelt leise Weihnachtsmusik. Am Adventskranz daneben brennen alle vier Kerzen und verbreiten eine angenehme Stimmung. Bloß will sich bei mir diese sonst immer so friedliche Weihnachtsstimmung nicht einstellen. Meilo hat sich noch nicht gemeldet. Ich mache mir langsam Sorgen.

"Niclas?" Meine Mutter hat gerufen.

"Hm?"

"Wie lange willst du noch mit dem Messer mitten in der Küche herumstehen?"

"Du siehst wie ein irrer Massenmörder aus", lacht Nicole. Ich knurre bloß und reiche meinem Vater das Messer, damit er den Vogel auseinandernehmen kann.

Wieder auf meinem Platz, höre ich Mariah Carey dabei zu, wie sie 'All i want for christmas ist you'* runterjammert. Ich kann sie so gut verstehen!

"Hast du eigentlich schon gesehen, was Clemens und ich vorgestern im Kaufhaus ergattert haben?", quasselt meine Mutter drauf los. Sie hat Nicole gemeint, die mit großen Augen den Kopf schüttelt. "Ein super schickes Kostüm in marineblau. Genau richtig für die Neujahrsfeier von Meilos Familie!" Wäre es nur schon soweit.

"Ich freue mich schon so drauf, die Leute kennenzulernen, die meinen Keith gezeugt haben", säuselt meine Doofkuh von einer Schwester.

"Meilo", knurre ich sie an. "Er heißt Meilo, und nicht Keith."

"Oh ja. Sorry. ... Aber apropos Keith!" Nicole springt auf, was meinem Vater gar nicht gefällt.

"Setz dich wieder", pampt er und müht sich mit dem Vogel ab. Die arme Ente.

"Gleich! Nic? Kennst du eigentlich die Weihnachtssongs von Keith?"

"Nicht, dass ich wüsste", antworte ich.

"Warte! Ich hol schnell die CD! Die sind toll!" Und weg ist sie.

Papa lässt die Schultern hängen und Mama stürzt die Lippen. "Ich dachte, das würde endlich aufhören, jetzt, wo sie ihren Popsänger persönlich kennt", motzt mein Vater.

"Du kennst doch unsere Tochter, Werner."

"Wie wahr." Die beiden grinsen sich an. Schön, wenn man über Besessenheit noch lachen kann. Gott! Ich bin heute wirklich mies gelaunt, oder?
 

Nicole kommt wieder in die Küche gestürmt, in der Hand eine CD. "Die hat er schon letztes Jahr rausgebracht", plappert sie aufgeregt und steckt die silberne Scheibe in die kleine Anlage. Das Radioprogramm verstummt. Dafür ertönt das vertraute surren und zischen, wenn die CD sich beginnt zu drehen. Nicole setzt sich wieder an den Tisch, die Musik fängt an zu spielen. "Das wird dir gefallen", grinst sie mich an. Ob mir das gefallen wird, werden wir noch sehen. Ich glaub's jedenfalls nicht.

Die Töne kommen mir bekannt vor. Ich überlege, um welches Weihnachtslied es sich handelt und komme recht bald darauf. Es handelt sich um Wonderfull Dream. Ziemlich melancholisch, finde ich. Aber das kann auch daran liegen, dass ich in keiner guten Stimmung bin.

"Das Nächste ist Last Christmas und dann kommt noch Jingle Bells. Der Rest sind nur Mixe von seinen anderen Songs", erklärt meine Schwester.

"Die müssen wir uns aber nicht auch noch anhören", bläst meine Mutter. "Mixe an Weihnachten sind nicht sonderlich gemütlich."

"Nur die Weihnachtslieder", beruhigt Nicole sie und fängt an mitzusingen. Papa verteilt derweil die auseinandergenommene Ente, wenn man das zerfledderte Ding überhaupt noch so nennen kann.

"Soße?" Mama wedelt mit dem Soßenkännchen vor mir herum.

"Nur ein bisschen." Mein Hunger hält sich in Grenzen, obwohl ich weiß, wie gut Mamas Ente immer schmeckt.

Auch von den Klößen nehme ich mir bloß einen und nur einen kleinen Löffel voll Rotkraut. Mein Magen fühlt sich wie zugeschnürt an. Ich zwinge mir trotzdem ein paar Bissen runter, spüle mit einem Schluck Rotwein nach und fange von vorn an. Unterdessen hat Last Christmas begonnen. Eine schmalzige Popversion vom sowieso schon schmalzigen Original.

Ich lege meine Gabel beiseite und klammere mich ans Glas. Die anderen unterhalten sich miteinander, doch ich höre nicht richtig hin. Ich kann nur noch an Meilo denken, sehe in meiner Vorstellung, wie er in seinem Hotelzimmer sitzt, allein und traurig. Ich drehe noch durch!
 

Plötzlich vibriert es in meiner Hose. Mein Handy! Das muss er sein!

Ich stoße beinahe das Glas um, als ich hektisch in meine Hosentasche greife. "Musst du jetzt telefonieren?", fragt mich mein Vater.

"Das ist Meilo", erkläre ich und stehe auf, ehe ich abhebe.

"Sag ihm einen schönen Gruß!", ruft meine Schwester mir nach.

"Von uns auch!", trällert Mama.

Ich nicke abwesend und verlasse die Küche. "Meilo?"

/Hallo Nic. Ich störe euch hoffentlich nicht?/

"Du störst nie", flüstere ich und laufe ins Wohnzimmer. Der Baum leuchtet schon und die Geschenke liegen auch schon parat. Ich lasse mich auf die Couch fallen. "Warst du bis eben noch arbeiten?", frage ich ihn.

/Nicht ganz. Ich bin noch schnell unter die Dusche./

"Ach so." Das beruhigt mich. "Und? Was machst du?"

/Im Bett liegen und mir dir telefonieren/, lacht er.

Ich fange an zu kichern. "Sag bloß." Es ist schön, dass Meilo sich so fröhlich anhört. Das hat er die letzten Tage nicht getan. Wahrscheinlich lag es doch am Arbeitsstress und meine Sorgen waren unbegründet. Was aber nichts daran ändert, dass mein Liebling während der Feiertage immer noch allein ist. "Eigentlich meinte ich, wie du den Abend verbringst, wenn wir nicht miteinander telefonieren", ergänze ich meine Frage.

/Wir telefonieren nicht den ganzen Abend miteinander?/ Oller Scherzbold.

"Leider nicht. Meine Eltern scharren bestimmt schon mit den Füßen. Wir sind gerade beim Essen."

/Dann habe ich doch gestört/, sagt Meilo erschrocken.

"Hast du nicht", beruhige ich ihn. "Das Essen ist nicht wichtig." Hunger habe ich ja eh nicht.

/Sag das nicht. Ich würde jetzt so gern bei meiner Familie sein. Genieße es./ Und wieder wird mir das Herz schwer.

"Hast du denn wenigstens gutes Essen?", möchte ich von ihm wissen. Eigentlich will ich mich mit der Frage selbst ablenken, weil mir ein dicker Kloß im Hals wächst. Fuck!

/Ja/, antwortet er mir. /Es gab geräucherten Seelachs mit Gemüse und einen leckeren Nachtisch./

"Hört sich gut an." Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht richtig gehört, was er gesagt hat. Irgendwas mit Lachs, aber ich kann mich auch irren.

/War es auch. Und jetzt überlege ich, ob ich nochmal raus gehe./

"Raus?" Ich höre wieder genauer hin. "Du willst nochmal weg?" Wo will er denn hin? Und mit wem? Doch nicht mit dem Knilch, oder? "Allein?"

/Nicht allein/, schmunzelt er. /Ein paar von der Band wollen heute Abend München erkunden. Mal sehen, ob ich mitgehe. Wäre sicher schön. Es ist alles so ruhig da draußen. Das erlebt man sicher nicht oft./

"Ja. Kann sein", murmle ich. Ich werde neidisch. Ich will auch mit Meilo durch das weihnachtliche München ziehen. Aber wenn er mit den Typen der Band loszieht, ist er wenigstens nicht allein. "Mach das doch. Besser, als in der Bude zu hocken."

/Vielleicht/, gähnt er. /Eigentlich ist mir viel mehr nach im Bett liegen und Fernsehen gucken. Ich weiß noch nicht. Vorher will ich sowieso noch bei meinen Eltern anrufen. Das dauert meist ziemlich lange./ Meilo schmunzelt leise. Eine leichte Gänsehaut rinnt über meinen Rücken.

"Bevor du dich entscheidest, meldest du dich nochmal bei mir?"

/Mach ich/, verspricht er mir.

"Gut. Dann werde ich wieder rüber zu meinen drei Heiligen gehen, und die Reste der Ente verputzen."

/Tu das. Bis nachher./

"Bis dann. Liebe dich."

/Ich dich auch, Sweety./ Aufgelegt.

Ich atme laut aus und stecke das Handy zurück in meine Hosentasche. Ein, zwei Minuten bleibe ich noch auf der Couch sitzen, ehe ich aufstehe und wieder rüber in die Küche schlurfe. "Da bist du ja wieder", begrüßt mich meine Mutter. "Alles wartet nur auf dich."

"Ich will endlich meinen Nachtisch!", jammert Nicole.

Genervt lasse ich mich an meinen Platz fallen und nehme die Gabel in die Hand. "Darf ich noch meine Ente essen?", frage ich und piekse in ein Stück Fleisch. Nicoles Blick spricht Bände.
 

Nachdem auch der Nachtisch endlich heruntergewürgt ist, scheucht meine Mutter uns ins Wohnzimmer. Nicole kann es gar nicht mehr erwarten. Sie hat sich ein neues Handy gewünscht, und will endlich wissen, ob meine Eltern ihr auch eins gekauft haben. Wie ich informiert bin, haben sie das auch. Papa hat herumgemosert, weil das Teil schweineteuer war, aber Mama hat ihn wie immer herumbekommen. "Es ist doch nur einmal im Jahr Weihnachten", sagte sie. Recht hat sie.

Da ich mir nichts vom lieben Weihnachtsmann gewünscht habe (außer, dass Meilo in einem der Päckchen steckt, was eher unwahrscheinlich ist), plumpse ich teilnahmslos auf die Couch. Mama hat schon die Kamera hervorgekramt und scheucht Nicole vom Baum weg, weil sie ihn zuerst fotografieren möchte.

Ich verdrehe die Augen. Der sieht doch jedes Jahr gleich aus. Nur die Geschenke werden von mal zu mal kleiner. Man hat ja auch alles, und je älter man wird, desto weniger wünscht man sich. Und selbst Nicoles Handy, das zwar ein großes Teil ist, ist verpackt nicht viel größer als eine Zuckerdose.

Nicole zappelt wie blöde vor dem Baum herum. Mama hat anscheinend genug Bilder geschossen, doch so schnell darf mein Schwesterlein noch nicht an die Geschenke. Erst wird wieder die Weihnachtsstimmung hochgejagt, und das Radio angeschaltet. Als jedoch AC/DC aus den Lautsprechern dröhnt, fange ich an zu lachen.

"Niclas! Warst du das?"

"Sorry", kichere ich. "Hatte wohl vergessen auf Radio umzuschalten." Pure Lüge. Den Spaß gönne ich mir jedes Jahr. Und wie jedes Jahr braucht meine Mutter eine Weile, bis sie den Knopf fürs Radio gefunden, und die Lautstärke wieder runtergedreht hat. Aber leider hält meine Schadenfreude darüber nicht sehr lange an. Kaum ist AC/DC aus, hat mich der diesjährige Weihnachtsblues, den ich schon den ganzen Tag in mir spüre, voll im Griff.
 

Alls alles wieder fröhlich-weihnachtlich ist, und Mama ihren Radiosender eingestellt hat, darf Nicole ran. Ihrem Spürsinn sei Dank, erwischt sie sofort das richtige Päckchen. Wie ein zuckersüchtiger Weihnachtstroll reißt sie das schöne goldene Geschenkpapier auf und fängt an zu fiepsen. "Oh Danke!", ruft sie uns zappelt wie ein fliegendes Rentier.

"Isses denn auch das Richtige?", knurrt Papa, der neben mir sitzt.

"Ja!" Meine Schwester macht sich umgehend daran, den Karton zu öffnen. "Ich hänge es gleich an die Steckdose!"

"Moment mal, junge Dame." Uh! Mama gebraucht das Wort junge Dame. "Erst werden noch die anderen Geschenke verteilt."

"Och Mama." Nicole zieht einen Schmollmund.

"Nichts och Mama." Da ist meine Mutter streng.

Nicole legt sichtlich ungern ihr neues Spielzeug weg und schnappt sich das nächste Geschenk. "Das ist für Papa", verkündet sie und bringt es ihm eilig.

"Für mich? Ich will doch nichts." Alle Jahre wieder ...

"Mach schon auf! Das ist von mir", beschwert sich mein Schwesterherz. Na da muss mein Vater es ja annehmen.

Gewissenhaft pfriemelt er die Klebefilmstreifen ab, was Nicole jedes Mal halb wahnsinnig macht. Als er es endlich offen hat, schaue auch ich neugierig, was meine Schwester ihm geschenkt hat. "Was ist denn das?", fragt er Stirnrunzelnd, und auch mir will sich der Sinn des Geschenks nicht genau erschließen.

"Das ist für deine Schlipse", sagt Nicole. "Du beschwerst dich doch immer, dass du nie den richtigen Schlips findest, weil sie alle an einem Bügel hängen. So kannst du sie hier an die Harken hängen und das ganze Teil kann man ganz einfach an der Innenseite der Schranktür einhängen."

"Ach wie praktisch", staunt meine Mutter und untersucht das Schlips-Halterding genauer. "Wie raffiniert." Sehr raffiniert. Diese Harken für die Tür gibt es inzwischen überall, aber ich sag nichts.
 

So geht die Geschenkeverteilerei weiter.

Für meine Mutter habe ich ein Buch von Guido Maria Kretschmer. Weil sie total auf Shopping Queen abfährt. Zusätzlich dazu noch einen Gutschein vom Gärtner. Sowas kann sie immer gebrauchen. Mein Vater hat von mir einen neuen Jahreskalender mit Sportwagenmotiven bekommen (den schenke ich ihm immer für die Arbeit, hat sich irgendwann so eingebürgert) und dazu noch neues Baumaterial für sein Hobby: Modelautos bauen. Diesmal einen Geländewagen, worüber er sich riesig freut.

Tja, und für mein Schwesterherz ... Drei Mal dürft ihr raten. "Wo hast du das denn her?", fragt sie mich und schnappt nach Luft.

"Hast du vergessen, dass ich an der Quelle sitze?", grinse ich.

"Nein, aber ... Oh Gott!" Sie quietscht laut.

"Was ist das denn?" Neugierig schielt meine Mutter auf die DVD in Nicoles Händen.

"Das ist eine Demo-DVD von der Überraschungstour von Keith", erkläre ich. "Meilo hat die gesamte Band unterschreiben lassen und das neue Musikvideo ist auch drauf."

"Das mit Jared?", japst Nicole. Ich nicke murrend. Nur nicht an Jared denken, diesen Arsch! Wobei mir einfällt, dass ich Meilo noch gar nicht gefragt habe, wie der Typ heute drauf war. "Wie geil! Danke!" Nicole umarmt mich. "Oh stimmt ja! Meilo ist ja gleich im Fernsehen!" Jetzt schon? Ich schaue auf die Uhr. Tatsächlich! Kurz vor halb sieben.
 

Meine Mutter schaltet das Radio aus und den Fernseher dafür an. "Das gab es auch noch nie, dass wir am heiligen Abend in die Glotze geschaut haben", kommentiert mein Vater.

"Das heute ist was anderes. Unser Schwiegersohn in Spee ist im Fernsehen." Hm ... Schwiegersohn. Wenn meine Mutter wüsste, wie nah dran sie mit der Schwiegersohn Sache ist ...

"Genau!", gibt Nicole Mama recht und quetscht sich dann zwischen mich und Papa.

"Das heißt, wenn ich nicht mit Meilo ins Bett gehen würde, würden wir das gar nicht gucken?", feixe ich.

"Niclas!" Ein strafender Blick von meiner Mutter.

"Was denn? Ist doch so." Ich lache mir eins ins Fäustchen. Aber nicht für lange. Meine Gedanken schweifen ab. Natürlich zu Meilo.

Während Nicole auf Aufnahme drückt (war ja klar!), starre ich zwar auf den Bildschirm, sehe aber nicht wirklich hin. Von Keith ist sowieso noch nichts zu sehen, und wer weiß, wann er auftritt. "Kannst du Meilo fragen, nach wem er dran war?" Meine Schwester sieht mich mit Hundeaugen an.

"Meilo pennt", lüge ich. "Er ist total KO."

"Ach so." Zwar würde ich Meilo jetzt schon gern anrufen, aber mit diesem Zeug will ich ihn nicht belästigen. "Du Mama?" Nicole tippt gegen den Arm meiner Mutter.

"Ja?"

"Da liegen noch Geschenke unterm Baum." Unsere Köpfe rucken Richtung Weihnachtsbaum. Da unsere Geschenke verteilende Fee zwischen mir und Papa eingeklemmt auf der Couch sitzt, muss meine Mutter nun ran.

Im Hintergrund läuft die TV-Show weiter. Wenn Meilo auftaucht, werden wir es also bemerken.

"Das hier ist für Meilo", sagt meine Mutter und reicht mir das kleine Päckchen. "Von dir?" Sie schaut Nicole an.

"Jepp."

"Wieder ein Armband?", foppe ich sie.

"Nein." Sie guckt mich böse an. "Außerdem hat es ihm gefallen."

"Bin ja schon ruhig."

"Gibst du es ihm?"

"Mache ich." Ich lege es beiseite. Bin ja mal gespannt, was da drinnen ist.

"Und hier sind noch drei", ächzt meine Mutter und krabbelt dabei halb unter dem Baum. "Alle für dich." Damit meint sie mich. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich noch gar nichts überreicht bekommen habe.

"War ja klar, dass meine Geschenke ganz hinten versteckt sind", schmolle ich.

"Heul nicht. Mach auf." Huh! Danke meine liebe Mutter! Ist sie nicht freundlich?

Zuerst mache ich das auf, was genauso eingepackt ist wie Meilos Geschenk. Demnach ist es von Nicole. Ich mache es wie sie und reiße das Papier runter, ehe ich es ganz akkurat auf ihren Schoß lege. Grummelnd schnippst sie es auf den Boden. Ich weiß schon, wer morgen den Papiermüll raustragen darf.

Nachdem das Geschenkpapier ab ist, drehe ich den Inhalt rätselnd in meinen Händen. Eine weiße, nichtssagende Plastikverpackung. Mama reicht mir eine Schere, mit der ich sie aufschneiden kann.

Doch etwas neugierig geworden, spähe ich hinein. "Eine Hülle für mein Handy?", frage ich verwirrt.

"Du musst drauf gucken, was hinten abgebildet ist", weißt meine Schwester mich an.

Also ziehe ich das kleine Silikonding aus der Plastikverpackung und "Wie hast du denn das hinbekommen?", lache ich.

"Was ist da drauf?" Mama verrenkt sich fast den Hals, um ebenfalls einen Blick riskieren zu dürfen. Auch Papa beugt sich zu mir.

"Ich und Meilo." Ich zeige es den beiden.

"Das ist ja schön!", meint Mama und schon hat sie es in ihren Händen.

"Sag schon! Woher hast du das Bild?" Es ist genau das Bild, dass Meilo und ich bei unserem ersten Date gemacht haben. Das Eis-Reklame Bild.

"Ich habe Meilo gefragt, ob er ein schönes Bild von euch hat, und er hat mir genau das geschickt", klärt sie das Rätsel auf.

"Das ist ja cool. Danke." Ich freue mich wirklich über das Geschenk. Dafür bekommt sie von mir auch eine feste Umarmung. "Ich mach's nachher gleich an mein Handy."

"Vorher machst du aber noch unser Geschenk auf", fordert meine Mutter mich auf und übergibt mir einen Umschlag. "Das ist für dich und Meilo zusammen."

"Soll ich es jetzt schon aufmachen?"

"Ja!", ruft Nicole aufgeregt. "Mach auf!"

Ich werfe ihr skeptische Blicke zu. "Du weißt schon, was da drinnen ist, oder?"

Sie nickt. "Aber ich hab's noch nicht gesehen." Meine fiese Ader kommt mal wieder zum Vorschein, und ich überlege, den Umschlag doch erst zusammen mit Meilo zu öffnen, verwerfe die Überlegung jedoch wieder. Ich will selbst wissen, was da drinnen ist.

Zuerst ziehe ich die Karte aus dem roten Umschlag. Vorn ist ein kleines Häuschen drauf, das aussieht, als habe es ein volltrunkener Popart-Künstler gemalt. Darunter steht "Alles gute zum Einzug?"

"Eine andere hatten sie nicht", grummelt meine Mutter. "Sieh nach, was drinnen steht." Ich tue wie geheißen. Ich falte kaum die Karte auf, da flattert mir zwei Scheinchen entgegen. Zwei dicke rosa Scheinchen.

"Mama! Papa!" Ich bin platt und schnappe nach Luft. "Das könnt ihr doch nicht tun!"

"Wir waren das nicht", grinst meine Mutter fröhlich. "Das war der Weihnachtsmann. Der hat bestimmt von eurem Wunsch gehört, gemeinsam ein Haus zu kaufen."

"Ha ha, sehr witzig." Das gibt's doch nicht! "Das kann ich unmöglich annehmen. Und Meilo würde das sicher auch nicht tun." Hundert pro nicht.

Ich pflücke die Scheine, die inzwischen Nicole genausten begutachtet, aus den Händen und halte sie meiner Mutter hin. Sie schüttelt mit dem Kopf. "Nun nimm schon!"

"Nein."

"Gut, dann eben du Papa. Nimm das Geld."

"Das ist nicht mir", sagt er unbeeindruckt. "Ich will's nicht." Na das ist doch ...!

"Das könnt ihr doch nicht tun!", rufe ich.

"Wieso denn nicht?", fragt mich meine Mutter.

"Ich habe euch seit Kilians Rausschmiss ständig auf der Tasche gelegen."

"Und?"

"Und?", schnaube ich. "Eigentlich müsste ich euch Geld in einen Umschlag stecken!"

"Die paar Euro", winkt mein Vater ab. "Nimm jetzt das Geld und pack es weg. Ihr zwei werdet es noch gebrauchen können. Glaube mir."

Ich glaube nicht, dass ich das jetzt sage, aber "Meilo hat genug Geld! Wir brauchen euer Erspartes nicht!" Meilo würde das genauso sehen.

Ich schiebe die beiden Scheine wieder in den Umschlag und halte sie meiner Mutter hin, doch sie wehrt meine Hand ab. "Nichts da! Macht damit was ihr wollt. Spart es für euer Haus oder fackelt es ab. Aber wir nehmen es nicht zurück." Ich knirsche mit den Zähnen. Diese beiden Sturköpfe!

"Gib's mir!", gackert Nicole.

"Dann fackle ich es lieber ab", blaffe ich sie an. Meine Schwester zieht ein betrübtes Gesicht. "Na gut", murmle ich. "Dann behalte ich es erstmal und warte ab, was Meilo dazu sagt."

Meine Mutter grinst siegessicher. Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!
 

Vorsichtig lege ich den Umschlag auf den Tisch. "Da ist doch noch ein Geschenk", erinnert Nicole. "Das blaue Päckchen."

"Ach ja!" Mama greift nach besagtem Päckchen. "Von Meilo." Feierlich überreicht sie es mir.

"Von Meilo?"

"Ja. Das war vorgestern in der Post." Mein Herz schlägt schneller, doch dann fühle ich mich auf der Stelle mies. Warum bin ich nicht auch auf die Idee mit der Post gekommen? Mein Geschenk für Meilo liegt noch in meinem Zimmer, dabei hätte ich es ihm auch ins Hotel schicken können. Dann hätte er wenigstens ein wenig Weihnachten gehabt. Ich Idiot!

Mit steifen Fingern nehme ich es entgegen und lege es auf meinen Schoß. "Ich sollte es noch nicht aufmachen", überlege ich laut.

"Wieso nicht?", will Nicole wissen.

"Wegen Meilo. Er ist nicht hier." Ich will es von mir schieben, doch meine Mutter legt seine Hand auf meine.

"Mach es auf. Er hat es dir extra geschickt, damit du es heute noch bekommst."

"Ich weiß nicht ..."

"Los! Sonst mach ich es", kichert Nicole.

Ich atme tief ein. "Na schön." Ich löse vorsichtig den ersten Klebestreifen, und als wäre es geplant gewesen, erscheint plötzlich Meilo auf dem Fernseher. Oder besser gesagt, Keith.

Nicole dreht sofort lauter. "Wie passend", grinst meine Mutter. Mir ist das Grinsen vergangen.

Meine Finger, die auf dem Päckchen liegen, fühlen sich noch steifer an. In den Augenwinkeln sehe ich, wie ein laut umjubelter Keith sich auf die Couch des Moderators setzt und seinen Fans zuwinkt. Er lächelt, sieht glücklich aus. Alles nur gespielt. Das erkenne ich auf den ersten Blick. Mein Herz fühlt sich tonnenschwer an und ich habe das Gefühl, gleich zu ersticken. Die Sehnsucht packt mich so fest, dass ich meinen Ohren nicht traue, aber: "Ich muss zu ihm", flüstere ich.

"Was?" Mama dreht ihren Kopf zu mir, schielt aber weiter auf den Bildschirm.

"Ich muss zu Meilo", wiederhole ich, lauter diesmal.

"Wann? Jetzt?"

"Ja!" Ich stehe auf und umklammere das Päckchen. Prompt habe ich die volle Aufmerksamkeit meiner Familie.

"Du willst jetzt nach München fahren?" Mein Vater sieht mich an, als wäre ich bekloppt, was ich augenscheinlich auch bin. "Du wirst die halbe Nacht unterwegs sein."

"Ich weiß", antworte ich hektisch und drücke mich an meiner Mutter vorbei.

"Und was ist mit morgen? Was soll ich deiner Oma sagen?", fragt sie mich aufgebracht.

"Sag ihr, dass ich nicht kann, weil ich bei dem Mann bin, den ich liebe", grinse ich breit und eile aus dem Wohnzimmer.

"Niclas!" Ich höre nicht mehr auf meine Mutter und rase in mein Zimmer. Ich muss ein paar Sachen zusammenpacken! Das Geschenk für Meilo darf ich auch nicht vergessen. Mein Navi! Wo ist mein Navi!? Und wie war nochmal der Name des Hotels? Ich brauche den Straßennamen. Den muss ich erst noch im Internet raussuchen.

Ich wirble durch mein Zimmer, schalte im Vorbeigehen meinen Laptop an, um den Straßennamen rauszusuchen. Während er hochfährt, werfe ich ein paar Klamotten in meine Reisetasche. Kleidung für zwei, drei Tage reicht dicke.

Es klopft an meiner Tür. "Niclas?" Nicole.

"Jetzt nicht!" Als ob sie das aufhalten würde. Hat es noch nie, und tut es heute auch nicht.

"Vergiss nicht mein Geschenk. Gibst du es ihm?" Sie hält mir das kleine Päckchen hin, das sie für Meilo vorgesehen hat.

"Ach so. Ja. Leg es in meine Tasche."

"Ist gut."

"Ist es zerbrechlich?"

"Nö."

"Fein." Ich laufe rüber zu meinem Laptop, der inzwischen hochgefahren ist. Hektisch suche ich alles zusammen, was ich für mein Navi brauche.

"Ich finde es gut, dass du fährst", höre ich Nicole hinter mir sagen. "Wenn ich Meilo wäre, wäre ich nicht gern über Weihnachten allein in einem Hotel."

"Das ist sicher keiner", antworte ich ihr schleppend, während ich auf den Bildschirm starre. Da ist es ja! Schnell schreibe ich die Adresse ab und stecke den Zettel in meine Hosentasche.

"Papa ist sauer", sagt meine Schwester, als ich an ihr vorbei stürme. Wo war mein Navi nochmal?

"Mir egal", brumme ich und durchforste meine Reisetasche. Ich hatte es hier drinnen gelassen, glaube ich ...

"Willst du nicht Meilos Geschenk weiter auspacken?"

"Nein. Das mache ich, wenn ich bei ihm bin."

"Ich wüsste ja zu gern, was drinnen ist ..."

"Das willst du doch bei allem wissen, was verpackt ist. Ah! Da ist es ja!" Das Navi ist aufgetaucht. Ich schalte es an und lass es schon mal den Satelliten suchen.

"Fährst du gleich los?"

"Ja."

"Na gut", seufzt Nicole. "Dann sag Meilo einen lieben Gruß von mir."

"Werde ich machen." Sie lächelt mich schmal an. Erst glaube ich, sie will mich fragen, ob sie mit darf, doch dann wünscht sie mir eine gute Fahrt und verlässt mein Zimmer wieder. Verstehe einer Frauen!
 

Als ich mir relativ sicher bin, nichts vergessen zu haben, schnappe ich mir die Tasche sowie mein Geschenk für Meilo, und trete aus meinem Zimmer.

"Niclas?" Meine Mutter kommt aus der Küche geschossen. Sie hält eine Thermoskanne in der Hand. "Ich habe dir Kaffee gekocht. Für die Fahrt."

"Danke ..." Ich klemme sie mir unter den Arm. "Nicole hat gesagt, Papa sei sauer, weil ich fahre."

Mama verdreht die Augen. "Er ist nur brummig, weil du morgen nicht mitfährst. Der beruhigt sich schon wieder."

"Ich würde wirklich gern mit zu Oma, aber Meilo ..."

"Ist dir wichtiger", beendet sie meinen Satz.

"Ja", nicke ich.

"Das ist doch verständlich. Mich hat es sowieso gewundert, dass du nicht schon früher los bist." Sie grinst mich schief an.

Verblüfft ziehe ich die Stirn kraus. "Du hast das hier kommen sehen?"

"Irgendwie schon, ja." Was soll man dazu noch sagen? Sie kennt mich eben doch besser, als ich dachte. "Fahr vorsichtig. Versprich mir das. Und ruf an, wenn du angekommen bist. Hinterlasse einfach eine Nachricht auf den Anrufbeantworter."

"Mach ich", verspreche ich ihr und drücke sie an mich. "Grüße morgen alle lieb und sag ihnen frohe Weihnachten von mir."

"Werde ich tun."

Ich schlüpfe in meine Jacke, stecke den Kaffee in die Tasche und verlasse die Wohnung. Draußen lege ich alles auf den Beifahrersitz meines Autos. Die Scheiben sind gefroren. Ich starte den Wagen, damit der schon mal warm laufen kann, und kratze schnell die Scheiben frei. Als ich freie Sicht habe, setze ich mich in den Wagen, stecke das Navi in die Halterung und das Handy an die Freisprecheinrichtung. Meilo wollte sich ja nochmal melden. "Dann kann es jetzt ja losgehen", sage ich zu mir selbst und fahre rückwärts vom Hof.

Kurz fällt mein Blick rüber zu Ed und Ingos Wohnung. In einem der Fenster brennt schwaches Licht. Wie jedes Jahr verbringen die beiden die Feiertage in trauter Zweisamkeit, bis sie am zweiten Feiertag ihre Familien abklappern. "Schöne Weihnachten euch", grinse ich und gebe Gas.
 

Bevor ich auf die Autobahn abbiege, fahre ich nochmal schnell einen Schlenker und düse zur nächsten Tankstelle. Mein Tank ist zwar noch halb voll, aber auf den Autobahnraststätten ist der Sprit meist etwas teurer.

Ich habe Glück. Die Tankstelle hat noch offen. Vollgetankt ist schnell. Eilig schlittere ich in den Tankshop und krame den passenden Betrag aus meinem Geldbeutel. "Nummer drei", sage ich dem Typen hinter der Theke und lege das Geld hin.

"Danke und frohe Weihnachten."

"Ihnen auch", erwidere ich, drehe mich um und laufe wieder auf den Ausgang zu. Dann allerdings, werde ich auf ein furchtbares Dekostück im Schaufenster aufmerksam. Ein kleiner Plastikbaum, etwa 50 cm groß, mit einer bunten Lichterkette und kleinen roten Plastikkugeln. In mir reift eine Idee.

Ich bleibe stehen und drehe mich wieder zu dem Typen um. "Entschuldigen Sie? Ist der zu verkaufen?" Ich zeige auf die Geschmacklosigkeit in bunt.

"Hm … weiß nich", schnarrt der Kerl. "Was würden Sie dafür zahlen?"

"Einen Zwanziger?", biete ich.

"Näh! Unter 'nem Fuffi geht da nix."

"Fünfzig Euro?!" Ich schnappe nach Luft. "Nicht mehr wie fünfundzwanzig."

"Fünfundvierzig."

"Dreißig."

"Vierzig."

"Zwanzig", gehe ich wieder runter.

"Ey! So geht das nich", beschwert sich der Tankstellentyp, grinst aber.

"Komm schon Mann", flehe ich und versuche Mitleid bei ihm zu erwecken. "Mein süßes Häschen sitzt ganz allein in einem Hotelzimmer und wartet auf mich. Ich wollte uns ein bisschen Weihnachtsstimmung zaubern. Du weißt schon."

Mein Gegenüber grinst süffisant. "Süßes Häschen, hm?" Ich nicke. "Is sie scharf?"

"Sau scharf", grinse ich zurück.

"So so ... Gut. Fünfunddreißig. Aber weniger geht nich!"

"Abgemacht!"

Während der Typ den Baum vom Strom nimmt und mir aus der Deko holt, schnappe ich mir noch ein rotes Geschenkband und lege es neben die Kasse. Alles bezahlt, schleppe ich den Baum zum Auto, stelle ihn vorne in den Fußraum, gucke, dass er nicht umfallen kann, und mache mich wieder auf den Weg. Eine lange Fahrt liegt noch vor mir.

Um mir die Fahrt etwas zu versüßen, schalte ich Meilos Demo-CD ein. Leise summe ich die Melodien mit und rausche auf der fast leeren Fahrbahn dahin. Hin und wieder halte ich an einer Raststätte, trinke ein paar Schlucke Kaffee, ehe ich weiterfahre. Und gerade, als ich wieder solch eine Kaffeepause hinter mir habe, und auf die Autobahn einbiege, klingelt mein Handy. Meilo!

"Hey du", melde ich mich per Freisprechanlage.

/Hallo Nic. Sorry, wurde etwas spät. Schläfst du schon?/

"Nein." Wäre auch schlecht, wenn ich es täte. "Und? Ziehst du nochmal mit deinen Bandkollegen los?" Es ist schon halb neun. Unwahrscheinlich, dass er jetzt nochmal das Hotel verlässt, nachdem er so viel schuften musste.

/Nein/, bestätigt er prompt meine Vermutung. /Die wollten alle eine Kneipe suchen, darauf hatte ich keine Lust./

"Kann ich verstehen."

/Ich bliebe viel lieber im Bett und rede mit dir ... Oder auch mehr./

"Sehr verlockend", kichere ich "Aber das geht jetzt schlecht."

/Sitzt du bei deiner Familie?/

"Nein, eher nicht."

Es wird kurz still in der Leitung. Dann /Bist du unterwegs?/

"Bin ich."

/Wohin fährst du denn jetzt noch? Zu Freunden?/

"So ungefähr", kichere ich. "Zu einem ganz speziellen Freund."

/Kenne ich ihn?/ Oh, oh. Da hört sich jemand nicht sehr begeistert an.

"Ja, du kennst ihn."

/Clem?/

"Nö."

/Ingo und Ed?/

"Ja. Genau. Ich fahre mit dem Auto zu meinen Nachbarn." Ich lache leise.

/... Henning und Heiko?/ Eins muss ich Meilo lassen. Kreativ in Antworten finden ist er heute ja, doch das Offensichtliche übersieht er.

"Die Richtung stimmt schon mal", antworte ich. "Bayern ist nicht verkehrt." Es raschelt und knackt in der Leitung. Hört sich an, als würde Meilo sich im Bett herumwälzen. "Meilo? Noch da?"

/Ja/, flüstert er. /Ich bin noch da./ Ich ahne, dass er langsam rafft, wohin ich fahre.

"Hast du die Lösung?", frage ich ihn daher.

/Ich weiß nicht/, erwidert er dünn. /Kann es sein, dass du ...?/

"Zu dir fährst?", lache ich, weil ich es einfach nicht mehr aushalte. "Ja, könnte sein. Sehr gut sogar."

Ein überraschtes Lachen ertönt. /Dein Ernst?/

"Aber sowas von!" Ich gebe noch mehr Gas. Kein Problem, denn immer noch ist alles frei und die Straße ist auch trocken. "In ein paar Stunden bin ich bei dir, mein Schatz. Und ich bringe ganz viele Geschenke zum Auspacken mit." Mal schauen, ob er auch das Richtige zuerst aufmacht ...
 

******
 

* Wer denkt dabei noch an einen gewissen Postboten? XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Usaria
2016-12-26T22:27:39+00:00 26.12.2016 23:27
Oh toll! Tolle Weihnachtsüberraschung!
Antwort von:  Fara_ThoRn
03.01.2017 18:21
Jo ^^
Nic und Meilo gehören doch an Weihnachten zusammen! ^^
Von:  Saavik1701
2016-12-24T07:54:51+00:00 24.12.2016 08:54
Och nö! Gute Besserung!
Ich hab meine Erkältung erfreulicher Weise schon wieder hinter mir.

Dir und Deinen Lieben auch wunderschöne Weihnachten!

Jaaa! Ich WUSSTE es! :D
Mir war so klar, das er das nicht aushält, Meilo abgekämpft im TV zu sehen und seine traurige Stimme am Telefon...
Wobei ich, wie Nics Mama, fast schon früher damit gerechnet habe, das er es nicht mehr packt und nach München düst, so quasi direkt nach Feierabend, Weihnachten völlig allein irgendwo zu sitzen, wo man niemanden kennt und nicht mal zu Hause ist, ist aber auch mistig...
Wie schön, das Meilo jetzt doch noch ein Bäumchen mit Geschenken bekommt! <3

Ich freu mich schon wenn Meilo den Postboten - äh - die Geschenke auspackt! XD

Antwort von:  Fara_ThoRn
03.01.2017 18:16
Danke. Mir gehts inzwischen auch besser. Zum Glück, sonst wäre ich noch wahnsinnig geworden >_<

Ich habs einfach nicht über das Herz gebracht, Meilo und Nic am Fest der Liebe getrennt voneinander schmoren zu lassen. Nic hätte mich wahrscheinlich auch gekillt, wenn ich ihnen das angetan hätte xDDD
*lach* Einen Weinhnachtspostboten. Woher kenne ich das nur? *ggg*
Von:  Sheltr0n
2016-12-24T06:26:55+00:00 24.12.2016 07:26
Ersteinmal dir eine gute Besserung und ein frohes Weihnachtsfest an dich und deine Familie!

Ich kann Nic gut verstehen. Ich bin an Weihnachten auch immer brummelig.
Ich freu mich echt für Meilo das Nic sofort zu ihm geflogen kommt und die beiden noch mehr Zeit miteinander verbringen können, bevor das neue Jahr startet!
Antwort von:  Fara_ThoRn
03.01.2017 18:10
Danke ^^. Das wünsche ich dir auch noch nachträglich. Hoffentlich konntest du Weihnachten etwas genießen. Trotz Erkältung und Brummelstimmung ;D


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