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One Shot

Traumgeschichten
von

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Zeiten ändern sich

Es waren zwei Jahre vergangen, seit ich in diese chaotische, aber liebevolle WG gezogen war. Während ich einige gerahmte Fotos und Geschenke meiner Mitbewohner in einen halb gefüllten Karton packte, zog es meinen Blick immer wieder durch das kleine Fenster nach draußen. Es war ein sonniger Tag, eigentlich perfekt, um mit den anderen zusammen draußen auf den Decken zu liegen und Musik zu hören, dachte ich, dann fiel mein Blick wieder auf die unterschiedlich großen Kartons, die sich in der Zimmermitte zu einem unordentlichen Haufen stapelten. Seufzend legte ich noch einige leichte Bücher oben in den geöffneten Karton vor mir, welchen ich kurz darauf mit Klebeband verschloss.

Gerade, als ich mir den nächsten Karton nehmen wollte, klopfte es an der Tür.

„Mina. Wir gehen unter den Pavillon. Kommst du mit?“, fragte eine gedämpfte Stimme.

„Augenblick“, antwortete ich.

Schnell stand ich auf und befreite mein Oberteil von allen Schnipseln. Sekunden später öffnete ich die Tür, darauf bedacht, die Kartons möglichst zu verbergen, obwohl ich wusste, dass es eigentlich keinen Sinn machte, da es ohnehin schon alle wussten.

„Paddy“, stellte ich trocken fest, konnte mir ein breites Grinsen aber dann doch nicht verkneifen.

„Können wir?“, entgegnete er, nun ebenfalls grinsend.

„Sicher.“

Ich folgte ihm über den schmalen Gang, vorbei am Zimmer der Leiter und die Treppe hinunter zum Ausgang. Warme Luft, war das Erste, was ich dachte. Viel zu warme Luft.

„Da läuft man ja gegen eine Wand“, bemerkte ich.

„Ist gleich nicht mehr so schlimm.“

Wir umrundeten das Gebäude, um zur Rückseite zu gelangen. Dort begann das Außengelände, auf dem noch zwei weitere Wohnheime standen. Natürlich wurden die Plätze geteilt, wodurch immer wieder Freundschaften innerhalb der drei Wohnheime zustande kamen. Zwischen den Gebäuden waren große Flächen Wiese angelegt. Es gab einen kleinen Fußballplatz, welcher in diesem Moment von einigen Leuten benutzt wurde, zwei Tischtennisplatten und ein kleines Feld mit Netz. Alles wurde häufig für Veranstaltungen auf dem Gelände oder auch zur allgemeinen Freizeitbeschäftigung innerhalb der Wohnheime gerne genutzt. An der Rückseite unseres Gebäudes befand sich ein recht großer und grüner Pavillon, welcher von einer kleinen, etwa kniehohen, Steinmauer an drei Seiten umzogen wurde.

Als wir den Pavillon sehen konnten, welcher von einigen Bambuspflanzen verdeckt wurde, die um einen kleinen Teich herum angelegt waren, sah ich noch jemanden unter dem Pavillon sitzen.

„Lori!“, rief ich ihr entgegen, sie winkte zurück.

Lori und Paddy waren meine besten Freunde in der WG. Zusammen hatten wir schon viel Mist gebaut, die Strafpredigt der Leiter ertrugen wir gemeinsam. Manchmal hauten wir in den im Norden liegenden Wald ab, der an unser Wohnheim grenzte oder wir liefen durch die Felder im Süden, bis wir müde waren. Als ich 2 Jahre zuvor in diese WG gezogen war, waren es die beiden, mit denen ich mich als erstes auf Anhieb verstand und was bis zu diesem Tag auch immer so geblieben war.

Paddy und ich beeilten uns ein bisschen, bis wir dann endlich zusammen unter dem Pavillon auf der Steinmauer saßen. „Unter dem Pavillon gehen“ bedeutete bei uns immer „eine rauchen gehen“, was wir drei für gewöhnlich zusammen taten, seit wir uns angefreundet hatten. Es war so etwas wie ein Ritual unter uns.

Ohne viele Worte zu verlieren, drehten wir unsere Zigaretten und steckten sie an. Viele Worte brauchten wir nicht. Wir waren wortlos darüber überein gekommen, dass Schweigen manchmal genau so viel wert sein kann, wie eine wortreiche Unterhaltung. Den ersten Zug nahmen wir gleichzeitig, warteten zwei Sekunden, dann ließen wir ihn wieder raus.

Das taten wir jedes Mal, auch wenn wir danach immer lachen mussten. Dieses Mal lachten wir nicht.

„Weißt du, was Remmi wieder getrieben hat?“, begann Lori grinsend.

„Nein, woher?“, entgegnete ich, die Augen rollend. Sie wusste, wie es gemeint war.

„Er hat Lana aus seinem Wohnheim, im Schlaf erschreckt.“

„Und was ist daran so toll?“, entgegnete Paddy zweifelnd.

„Naja vorher ist er in der Küche gewesen und hat die Kühlakkus aus der Eistruhe genommen. Drei Mal darfst du raten, was er damit gemacht hat.“

Wir mussten laut gelacht haben, denn einige Leute auf dem Fußballplatz weiter hinten schauten zu uns herüber.

„Das wird ihr sicher gefallen haben“, kicherte ich.

„Sie hat ihn durch das ganze Wohnheim gejagt! Die Leiter sind wahnsinnig wütend geworden, weil sie so laut war.“

„Das hätte ich gerne gesehen!“, rief Paddy wieder lauthals lachend aus.

Nach einer Weile hatten wir uns wieder beruhigt und unterhielten uns über belanglose Dinge.

In dem letzten Volleyball-Match besiegten uns die Leute aus Wohnheim 2, am Osttor des Geländes. Fußball und Badminton konnten wir für uns entscheiden. Tischtennis entschied Remmi aus Haus 3 am Südtor.

„In den ganzen Spielen haben wir nur im Badminton gewonnen. Die anderen Spiele haben wir nicht mitgespielt. Nur du, Paddy, musstest ja überall mitmachen. Woher nimmst du die Energie?“

„Wenn du und Lori euch nur für Badminton interessiert, ist es doch nicht meine Schuld“, verteidigte Paddy sich gespielt schockiert.

„Beim Volleyball-Turnier hätte ich gerne mitgemacht, aber es gibt nicht genug Frauen in den Wohnheimen für mehr als ein Team und ein halbes“, beklagte ich mich.

„Gemischte Teams gehen doch sicher auch?“

„Meinst du? Dann muss ich-“ Das Ende dieses Satzes sprach ich nicht mehr aus. Nur zu gerne wollte ich ein Team organisieren, aber dazu sollte es ja nicht mehr kommen, dachte ich.

Die beiden sahen mir wohl an, was ich gedacht hatte, denn sie senkten den Blick.

„Wollen wir uns noch eine rauchen?“, fragte Lori.

„Sicher“, antwortete ich.

Wenige Sekunden später glühten unsere Zigaretten und eine kleine Qualmwolke segelte zur Decke des Pavillons herauf.

„Wann verlässt du uns?“, schoss Paddy los.

„Morgen früh um neun Uhr. Ich werde abgeholt und ziehe dann offiziell in meine neue Wohnung.“

„Schon so früh“, murmelte Lori kaum hörbar.

„Ja, ich muss so früh es geht die Wohnung fertig kriegen.“

„Warum willst du ausziehen?“, fragte Lori.

„Lori, ich habe das Jobangebot bekommen, was ich immer haben wollte. Aber die besitzen keine Zweigstelle hier in der Nähe und die Fahrt jeden Tag ist zu weit dafür. Außerdem ziehe ich nur um. Ich sterbe nicht.“

Mir war klar, dass diese Worte falsch klangen. Ich wusste schon zu diesem Zeitpunkt ziemlich genau, dass sich unsere Freundschaft verändern würde.

„Ihr könnt immer bei mir übernachten, das wisst ihr. Kommt über das Wochenende oder wenn ihr Urlaub habt. Und auch so können wir uns doch jederzeit sehen. Ich wohne doch nicht so weit weg.“

Ich plapperte immer weiter, in dem Versuch es besser klingen zu lassen, als es war. Irgendwann stimmten sie mir zu, halbherzig lächelnd. Sie wussten, was ich wirklich dachte. Vielmehr wussten sie selbst, dass sich etwas verändern würde.
 

Am nächsten Morgen um sechs Uhr stand ich schon tatkräftig auf den Beinen. Ich versuchte natürlich ruhig zu sein, um diejenigen, die noch schliefen, nicht zu wecken, daher erledigte ich nur leise Arbeiten wie Schränke und Tische abwischen, Bettwäsche abziehen und dergleichen.

Doch wie es immer kam, war ich irgendwann fertig. Also setzte ich mich vor das Fenster und starrte auf das langsam heller werdende Gelände. Von meinem Fenster aus hatte ich Überblick über den Teich, den Pavillon und den vorderen Teil des Südhauses. Wenn ich nicht schlafen konnte, setzte ich mich immer vor das Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Nun, wo ich nichts mehr zu tun hatte und die Zeit der Abreise fast gekommen war, musste ich diesem Bedürfnis nachgehen, auch wenn mir keine bestimmten Gedanken durch den Kopf gingen.

Um 8 Uhr verließ ich dann doch mein Zimmer und ging leise raus auf und auf den Pavillon zu. Ich drehte mir eine Zigarette und steckte sie an. Den ersten Zug behielt ich drin, wartete 2 Sekunden, dann ließ ich ihn wieder raus, traurig lächelnd. Ich hatte meine Entscheidung längst getroffen. Auf dieses Jobangebot hatte ich fast mein ganzes Leben lang gewartet und nun, als ich die Möglichkeit sah, ihn endlich zu bekommen, war mir schwer ums Herz, weil ich meine gewohnte Umgebung und meine besten Freunde zurück ließ. Ich wusste, dass ich hier immer willkommen war, auch wenn ich nicht mehr hier wohnte und ich wusste auch, dass ich meine Freunde durch das Internet immer noch sehen und hören konnte. Aber im Inneren wusste ich bereits, dass es nicht mehr das Gleiche sein würde.

Als ich wieder in das Gebäude zurückkehrte, bemerkte ich gedämpfte Geräusche in der Küche. Stirnrunzelnd ging ich nachsehen. Das Licht war aus, doch die Geräusche kamen eindeutig aus der Küche. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Zuerst steckte ich den Kopf herein und versuchte zu erkennen, was hier vor sich ging, doch plötzlich ging das Licht an und ich erkannte alle Leute aus meiner Etage. Manche in Arbeitsklamotten, andere in Pyjamas.

„Leute“, brachte ich erstickt heraus. Alle grinsten mich an, dann traten sie zur Seite, um einen großen Blechkuchen frei zu geben, auf dem mein Name in Großbuchstaben stand. In den Ecken waren Geburtstagskerzen gesteckt worden. Ich nahm jeden einmal kurz in den Arm. Bei Paddy und Lori verblieb ich für einige Sekunden und drückte sie besonders fest an mich. Dann setzten wir uns an den riesigen Tisch, der für zwölf Personen ausgelegt war, und machten uns über den Kuchen her, wobei wir in unseren Gesprächen tunlichst darauf achteten, nicht über den Auszug zu reden.

Als um neun Uhr dann mein Umzugswagen kam, halfen alle mit, die Kartons hinten rein zu packen.

Dann war auch das erledigt. Zwei Minuten standen wir nur in einem unförmigen Kreis beieinander, ohne irgendetwas zu sagen.

„Du wirst uns fehlen“, murmelten einige dann unbeholfen.

„Komm gut dort an. Ruf uns an und besuch uns mal“, sagten andere.

Paddy und Lori umarmten mich noch einmal, dann verabschiedete ich mich endgültig von allen.

Aus dem Fenster des Umzugswagens versuchte ich vom Feldweg herunter auf die Straße noch einen letzten Blick auf das Gelände zu erhaschen, ehe der Fahrer nach links abbog und alles von Bäumen verdeckt wurde.
 

Heute blicke ich mich einem lachenden und einem weinenden Auge zurück in meine glückliche Vergangenheit. Ich werde die Verbundenheit der Wohnhäuser und meiner besten Freunde nie vergessen, doch werde ich auch nicht vergessen, dass ich im Leben voranschreiten muss.

Nachdem ich dort ausgezogen bin, schrieben meine Freunde und ich viel über das Internet. Manchmal bin ich sie noch besuchen gegangen oder sie sind zu mir gekommen. Die Zeit gemeinsam war schön, doch irgendwann wurde der Kontakt immer weniger, bis dann auch das Schreiben im Internet aufhörte. Heute telefonieren wir alle paar Monate mal. Paddy und Lori sind auch ausgezogen, um woanders einen besseren Job zu finden, so hat sich ihre Bande auch aufgelöst.

Gruppen sind wohl nicht dazu da, auf ewig zu bestehen, sondern vielmehr, um die gemeinsame Zeit miteinander zu genießen.

Der Spruch „lebe jeden Tag, als wäre es dein Letzter“, ist weise gewählt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieser One Shot ist aus einem Traum entsprungen. Zum Teil entspricht er der Realität, doch enthält er auch viel, was der Realität eben nicht so nahe kommt. Es ist an euch, zu entscheiden, was davon ihr glaubt oder nicht. :) Das macht den Reiz des Lesens doch erst aus. Oder nicht? ^^ Komplett anzeigen

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