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Höllenfeuer

von

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Kapitel 26

Kapitel 26
 

Ethos spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken herunter lief, trotz der kalten Temperaturen. Die junge Frau, die er trug, hatte sich schon seit längerer Zeit nicht mehr geregt.

In diesem Fall war Ethos froh, von einem Dämon begleitet zu werden. Durch Hildegards Fähigkeit, Schatten heraufzubeschwören, konnte sie sich, Ethos und Leo in der Dunkelheit nahezu unsichtbar machen. Abgeschirmt vor den neugierigen Blicken der Passanten konnten sie ihren Weg so ungehindert fortsetzen. Der eine oder andere drehte sich nach ihnen um, so dass Ethos sich ertappt fühlte, doch bis auf ein seltenes diffuses Kopfschütteln hielten sich die Reaktionen in Grenzen.

Besorgt schaute Hildegard immer wieder zu ihrer Schwester hinüber, während sie sich, zusammen mit Ethos, schnellstmöglich voran bewegte. Hildegard hatte es nicht gewagt, ein Gespräch zu beginnen, aus Angst, dass dies wertvolle Zeit kosten könne. Anscheinend sah der Priester dies genauso, es mochte aber auch gut sein, dass er generell nicht an einer Unterhaltung mit der Dämonin interessiert war.

Normalerweise hätte Hildegard Ethos niemals Vertrauen geschenkt, doch als er sie darum gebeten hatte, Maria helfen zu dürfen, war ihre Skepsis gewichen. Marias Wohl ging vor.

„Wir werden gleich beim Vatikan ankommen“, riss Ethos Hildegard aus ihren Gedanken. „Sie werden ihn nicht betreten können aufgrund des Bannkreises.“

Hildegard schwieg daraufhin, sie hatte sich bereits auf diesen Umstand eingestellt.

Ethos sagte ebenfalls nichts mehr. Gerne hätte er Hildegard gefragt, ob sie davon wusste, dass der Bannkreis, der ihn und die übrigen Priester schützte, über längere Zeiträume hinweg ausgesetzt worden war, doch er würde sich diese Frage für einen späteren Zeitpunkt aufheben.

Plötzlich regte sich Maria in Ethos Armen.

Unruhig versuchte sie sich zu drehen, dazu schlug sie müde die Augen auf.

„Gehrmann…“, flüsterte Maria so leise, dass es fast nicht zu hören war. „Frederik Gehrmann… Nicht Chino…“

„Was?“, fragte Hildegard aufgebracht, noch immer im Laufschritt.

„Er ist schuld… Dass ich aufgehört habe… Aufgehört zu sprechen… Nicht… Chino…“

Da das Sprechen sichtlich an ihren Kräften zerrte, deutete Hildegard ihrer Schwester still zu sein. Es war gut zu wissen, dass sie offenbar noch atmete.

Die ersten Lichter des Vatikans tauchten vor ihnen auf.

In der Dunkelheit wuchsen die Kuppeln unheilvoll hinauf, so dass Hildegard unweigerlich zum Stehen kam. Bereits mehrere Meter vor dem Bannkreis bemerkte sie, wie eine unsichtbare Kraft sie aufzuhalten versuchte und an ihr zerrte.

„Warten Sie am Eingang auf mich. Ich werde Maria hinein bringen und, sobald sie behandelt wird, zu Ihnen zurückkommen und dann besprechen wir das weitere Vorgehen.“

Anstatt eine Antwort abzuwarten, drehte sich Ethos sofort um und rannte zum Eingang des Vatikans. Das Tor war verschlossen, doch es waren einige Gardisten davor positioniert worden. Marcus Dominic hatte sich darum gekümmert, dass die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verstärkt worden waren.

So musste Ethos wenigstens nicht Maria ablegen, um das Tor öffnen zu können.

Mit Erleichterung stellte Ethos fest, dass sich Roth zwischen den Gardisten befand und gerade dabei war, ihnen einige Anweisungen zu geben, als Ethos zu ihnen stieß. Eine ernste Miene auflegend, wand sich Roth von seinen Leuten ab und kam auf Ethos zu.

Noch bevor er den Priester jedoch erreicht hatte, schob sich ein jüngerer Gardist zwischen sie und funkelte Ethos entschlossen an.

„Pater Ethos Turino?“

„Ja“, antwortete Ethos genervt und wollte gerade etwas erwidern, als der Gardist ihm das Wort abschnitt.

„Im Namen seiner Heiligkeit sind Sie verhaftet. Sie haben…“

„Verdammt, was soll das? Sehen Sie nicht, dass ich eine Frau bei mir habe, die dringend Hilfe benötigt?!“, keifte Ethos geradezu und ignorierte, was der Gardist gerade zu ihm gesagt hatte. „Kümmern Sie sich gefälligst um wichtigere Dinge und schließen Sie das Tor auf.“

„Ich fürchte, das wird nicht so einfach möglich sein.“ Roth hatte den Gardisten beiseite genommen und stellte sich selbst Ethos in den Weg. „Ich muss Ihnen mit Bedauern mitteilen, dass wir Sie tatsächlich in Gewahrsam nehmen müssen.“

Während der Gardist hinter Roth triumphierend vor sich hin grinste, wurde Ethos nur noch wütender. Dass sich selbst Roth unkooperativ zeigte, wurde zwar als Warnung in seinem Kopf registriert, was jedoch nicht bedeutete, dass er von seinem Vorhaben abwich.

Einen Schritt nach vorne machend, wollte Ethos an Roth vorbei, doch der Leutnant streckte seine Hellebarde aus, um den Priester daran zu hindern, weiter voranzuschreiten.

„Roth, was soll das werden?“

„Das, was ich bereits sagte. Sie sind verhaftet.“

Fluchend schaute Ethos auf Maria hinab.

Würde sie nicht bald behandelt werden, würde sie definitiv sterben. Um zu erreichen, dass wenigstens Maria geholfen wurde, entschloss sich Ethos dazu, sich vorerst abführen zu lassen.

„Würden Sie sich wenigstens darum kümmern, dass diese junge Frau hier auf die Krankenstation kommt?“, bat Ethos und hielt Roth den leblosen Körper entgegen. „Ich werde ohne weiteren Widerstand mitkommen, aber dass Maria zu einem Arzt kommt hat absolute Priorität.“

Zögerlich nahm der Leutnant Maria in seine Arme.

Als er in das dünne und blutverschmierte Gesicht schaute, die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet, wurde auch Roth schlagartig klar, wie dringend die Angelegenheit war. Er gab seinen Leuten noch einige Instruktionen, dann wand er sich ab und eilte in das Innere des Vatikans.

Der übereifrige Gardist, welcher Ethos vorhin bereits aufgehalten hatte, trat erneut vor.

„Was wird mir eigentlich vorgeworfen?“, fragte Ethos, während der Gardist unsanft seine Hände auf dem Rücken platzierte und ihm Handschellen anlegte.

„Hätten Sie mich vorhin ausreden lassen, wüssten Sie das längst. Sie werden des Mordes beschuldigt. Des Mordes an Pater Lorenzo.“ Dunkel erinnerte sich Ethos an den Mann, dem er aufgetragen hatte, Dominic auszurichten, Steve verhaften zu lassen. Welche Ironie, dass er jetzt derjenige war, der abgeführt wurde. „Pater Lorenzo wurde, mit einem Brieföffner in Form eines Messers im Rücken, auf dem Ihre Fingerabdrücke identifiziert wurden, in einer der Seitengasse tot aufgefunden.“

Ethos verkniff sich jeglichen Kommentar, der den Gardisten darüber aufklärte, dass das Wort „Mord“ den Umstand, dass jemand tot war, bereits beinhaltete. Sollte sich der junge Mann für fünf Minuten mächtig fühlen. Indem er Ethos mehrfach rüpelhaft in den Rücken stieß, um diesen voranzutreiben, machte er diesen Umstand auch sofort klar.

Was Ethos weniger behagte, war jedoch die Vorstellung, dass es tatsächlich erneut jemand geschafft hatte, unbehelligt einen Mord inmitten der heiligen Grundmauern des Vatikans zu begehen.

Er hatte zwar lange Zeit darüber nachzudenken, da sich das kleine Gefängnis, das einmal eingerichtet worden war, aber nur sehr selten benutzt wurde, erst nach einem kleinen Fußmarsch zeigte, aber wirklich zu einer Lösung kam Ethos dabei nicht.

Zu sehr wirbelten die Gedanken in seinem Kopf herum. Steve, Maria, Chino, Hildegard… Dazu drängte sich Artemis in sein Gedächtnis zurück. Noch hatte sich sein Kollege nicht gemeldet, was ungewöhnlich war. Normalerweise hätte Artemis zumindest einen Zwischenbericht bei ihm abliefern sollen, was bisher gänzlich ausgeblieben war. Dass Ethos erst so spät davon erfahren hatte, dass sich einer der Geweihten, nach denen Artemis mit Lydia zusammen suchte, bereits im Vatikan befand, war einer dieser Umstände, über die Ethos viel zu spät Kenntnis erlangt hatte.

Mittlerweile waren sie an der Zelle angekommen, die Ethos für die nächsten Stunden (er hoffte jedenfalls, dass es sich lediglich um Stunden handeln würde) sein zu Hause nennen würde.

Bald würde sich das Missverständnis aufklären. Immerhin besaß Ethos ein Alibi, je nachdem, wann sich der Mord ereignet hatte.

Die Handschellen wurden ihm abgenommen und die schweren Stahlgitter hinter ihm zugeschoben. Wenigstens hatte Roth dafür gesorgt, dass Ethos nicht in jene Zellen eingeschlossen wurde, in denen sie die wirklich schweren Fälle unterzubringen pflegten. Auf eine Tür, die nur mit einem Guckloch ausgestattet war, konnte der Priester gut verzichten.

Bisher war Ethos eher dafür zuständig gewesen, die Zellen zu füllen, weniger, sie selbst zu besetzen. Eine Pritsche, bestehend aus einer einfachen Holzkonstruktion und einer durchgelegenen Matratze, war alles an Ausstattung, was der winzige Raum zu bieten hatte. Die Wände waren etwas feucht, doch es war noch auszuhalten.

Erleichtert stellte Ethos fest, dass er seinen blutverschmierten Mantel abgeben musste. Nachdem er zusätzlich durchsucht worden war, ließ man jedoch schnell von ihm ab und bemühte sich darum, ihn bestmöglich zu ignorieren.

Kaum war die Tür hinter ihm geschlossen worden, fühlte Ethos, wie die Stille den Raum zurück eroberte. Der Gardist, der dazu abgestellt worden war, ihn fortan zu bewachen, durfte nicht mit ihm reden, was Ethos allerdings nicht ungelegen kam.

Von nun an war er mit sich und seinen Gedanken alleine.
 

Schockiert fragte die Rezeptionistin, was passiert war.

Anstatt eine Antwort zu geben, verlangte Lydia, mit vor Wut und Trauer gezeichneten Augen, den Schlüssel zu ihrem Zimmer. Dass das Zimmer noch immer belegt war, ließ die Nonne nur noch wütender werden. Es bedeutete, dass sich Artemis noch immer dort aufhielt.

Ohne Rücksicht stieß Lydia die Tür auf, die Krachend gegen die Wand schlug.

Ein erschrockenes Quietschen ertönte und Lydia glaubte, sie würden jeden Augenblick von ihrem Zorn zerrissen werden.

Vor ihr lag, entkleidet und zwischen einigen leeren Flaschen, in denen eindeutig Alkohol gewesen war, Artemis, halb von der Bettdecke umschlossen. Zu seiner rechten wie zu seiner linken lagen Frauen, eine Blondine und eine Schwarzhaarige. Die Mädchen waren ebenfalls leicht bekleidet, bis auf einen Slip, der ihre intimsten Körperstellen gerade so eben bedeckte, waren sie nackt.

Während diejenige, die den erschrockenen Laut ausgestoßen hatte, aufsprang und sich nach ihrem Top bückte, schlug die andere verschlafen ihre Augen auf.

Sie war eindeutig noch immer betrunken. Den Kopf unter ihren blonden Haaren haltend, schwang die Frau, kaum älter als achtzehn, ihre langen Beine aus dem Bett. Kaum fiel ihr Blick auf Lydia, legte sie verwirrt die Stirn in Falten. Einige russische Worte vor sich hin murmelnd, suchte auch sie auf dem Boden ihre Anziehsachen zusammen.

Beide Frauen zogen sich rasch an, nahmen etwas von dem Geld, das auf einem der Nachtschränke lag und stolzierten, für diese Jahreszeit viel zu spärlich bekleidet, an Lydia vorbei.

Nachdem die beiden verschwunden waren, ließ Lydia die Tür zurück in das Schloss fallen. Der daraus entstandene Knall reichte aus, um Artemis aus seinem Schlaf zu reißen.

Orientierungslos schaute er sich um, dabei stieß er einige der leeren Flaschen aus dem Bett.

Gähnend rieb er sich die Augen, streckte sich ausgiebig und kratzte sich am Hinterkopf, bis er Lydia erblickte. Mit verschränkten Armen und neuen Tränen, die aus ihren grünen Augen liefen, schaute die Nonne ihn durchdringend an.

„Du blödes Arschloch“, knurrte Lydia nur, dazu schüttelte sie fassungslos den Kopf. „Wie konnte ich mich nur, auch nur für eine Nacht, wieder auf dich einlassen?“

„Was hast du denn?“, wollte Artemis wissen und rollte sich aus dem Bett.

„Das wagst du ernsthaft zu fragen?!“, stieß Lydia hervor, dabei lief ihr Gesicht vor Wut rot an. Artemis kroch unterdessen auf dem Teppich herum und war darum bemüht, seine eigenen Klamotten zu finden. Auch er war noch immer betrunken. „Wir hatten den Auftrag, Ponomarjow sicher zum Flughafen zu bringen!“

„Und, ist er da?“

Lydia wusste nicht, was sie in diesem Augenblick mehr reizte, die Tatsache, was Artemis getan hatte oder die Art und Weise, wie unbekümmert er mit ihr redete. Sie entschied sich dazu, beides mit der gleichen Verachtung zu strafen.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“, fragte Lydia mit gedämpfter Stimme. „Du tauchst nicht zur vereinbarten Zeit am Treffpunkt auf, sondern säufst dich hier halb zu Tode und fickst sämtliche Huren der Stadt. Während ich um mein Leben kämpfen musste und ein weiterer Geweihter tot ist.“

Artemis hielt für einen kurzen Moment inne.

Er hatte sich größtenteils wieder angezogen und war aufgestanden, schwankte jedoch unsicher auf seinen Beinen. Es sah aus, als wollte er versuchen, entschuldigende Worte zu finden, doch es blieb lediglich bei einem Versuch.

Anstatt sich Lydias Vorwürfen zu stellen, wand Artemis sich von der Nonne ab und packte seine Sachen.

„Glaub ja nicht, dass du dich so einfach aus der Verantwortung ziehen kannst, Artemis. Diesmal bist du zu weit gegangen. Jemand ist gestorben. Wegen dir und deiner Unzuverlässigkeit.“ Inzwischen hatte Lydia es aufgegeben, sich zurückhalten zu wollen. Es war, als würde ein ganzer Wasserfall aus ihren Augen herausbrechen, der nie wieder versiegen würde. Die roten Ränder um ihre Augenlider traten noch stärker hervor. Dazu hatte sie einen völlig verzweifelten Tonfall angenommen. „Ich verstehe nicht, wie du uns nur so im Stich lassen konntest. Was auch immer zwischen uns war, was rechtfertigt das, dass du nicht aufgetaucht bist? Wärst du dabei gewesen, hätten wir Ponomarjow vielleicht retten können. Aber er hat sich geopfert, um mir das Leben zu retten. Und du scheinst dich nicht einmal dafür zu interessieren.“

Die Hände zu Fäusten geballt, schaute Lydia zu Artemis hinab, der gerade dabei war, seinen Koffer zu schließen. Ohne ein Wort zu sagen, ging Artemis an Lydia vorbei, dazu schaute er sie nicht einmal an. Sein Gesichtsausdruck war ernst, seine Mimik nahezu erstarrt.

„Du willst dich nicht einmal dazu äußern?“

Ein letztes Mal drehte Artemis sich zu Lydia um.

Der Blick, mit dem er sie musterte, flutete ihr Herz mit Schmerz und Verabscheuung.

„Wir müssen zum Flughafen. Unser Flug nach Amerika geht bald. Übrigens, mir ist da etwas aufgefallen. Als ich die Münze bei Alexandros gefunden habe, hast du dich dazu nie geäußert oder nachgefragt, was ja sonst so deine Art ist. Als ob du wüsstest, wofür sie stehen“, sagte Artemis trocken und verließ das Hotelzimmer.

Lydia blieb noch einige Minuten zurück.

Sie nahm sich einige Taschentücher, beruhigte sich, so gut es ging. Danach ging sie in das Badezimmer und schippte sich etwas von dem kalten Wasser in das Gesicht. Wenn Artemis dachte, er könne sie erpressen, setzte er auf das falsche Pferd.

Es dauerte noch einige Minuten, bis Lydia sich wieder vollständig gefangen hatte. Als sie hinaus trat, wartete Artemis bereits mit einer Zigarette im Mund. Wortlos setzte sich der Priester in Bewegung, Lydia folgte ihm.

Ihre Stirn lag nachdenklich in Falten, während sie Artemis‘ Bewegungen beobachtete. Irgendetwas war anders an ihnen, aber sie konnte nicht genau bestimmen, was es war. An seinem betrunkenen Zustand lag es allerdings nicht.
 

Da die Hafenanlage weder großartig patrouilliert, noch von Touristen frequentiert wurde und sich die Bewohner Roms aufgrund der angespannten Lage im Ausland weitestgehend in ihren Häusern aufhielten, war dieser Ort perfekt. Um seinen Feind ohne großes Aufsehen aus dem Weg zu räumen, hätte sich Chino keinen besseren Platz vorstellen können.

Blackcage hingegen wirkte noch immer entspannt, obwohl Chino ihn bereits wie ein Raubtier fixiert hatte.

„Ich hoffe, du bleibst diesmal und verkriechst dich nicht wieder wie ein feiges Tier“, fauchte Chino.

„Keine Sorge, diesmal werde ich es zu Ende bringen. An deiner Stelle würde ich mir keine Gedanken mehr darüber machen, immerhin wirst du diese Konfrontation nicht überleben.“

Von Blackcages Arroganz nur noch mehr angetrieben, stürzte sich Chino auf diesen.

Der Schwarzhaarige wich aus, indem er einen Schritt zur Seite machte, dabei verfärbten sich seine Augen. In seinen Händen loderte ein kleiner Feuerball auf, den Blackcage schützend in seiner Handfläche vergrub.

Chino drehte sich zu ihm um, woraufhin Blackcage seinen Arm nach vorne schnellen ließ. Er traf Chino an der rechten Schläfe, Funken sprühten auf und ließen Chino zurückweichen. Es waren keine schweren Verbrennungen, die Blackcage hinterlassen hatte, sie reichten jedoch aus, um Chino kurzzeitig aus dem Konzept zu bringen.

Blackcage nutzte dies, um einen weiteren Angriff zu starten. Die Faust in Flammen gehüllt, stürmte er voran und holte aus. Chino parierte den Angriff, indem er sich in Blackcage hineinfallen ließ und dessen Arm abfing. Lange Fingernägel bohrten sich in den Arm des Dämons, einige Tropfen Blut fielen auf den Boden. Gleichzeitig rammte Chino seine Schulter gegen Blackcages Brust.

Für einen kurzen Moment stockte Blackcage der Atem, der Aufprall besaß mehr Kraft, als er angenommen hatte. Den Moment der Überraschung nutzend, legte Chino nach und verpasste seinem Gegner einen Kinnhaken. Gleichzeitig ließ er Blackcages Arm los.

Der Dämon flog einige Meter durch die Luft und prallte auf die Holzdielen des Steges.

Sofort richtete sich Blackcage wieder auf.

Ein blauer Fleck hatte sich an seinem Kinn gebildet und wenn er es berührte, schien es zu schmerzen.

„Ich fürchte, mit diesen Kleinigkeit wirst du bei mir nicht allzu viel erreichen können“, rief Blackcage Chino entgegen, um diesen zu verspotten. „Im ersten Moment tut es vielleicht etwas weh, aber tödlich sind deine Angriffe nicht wirklich.“

„Du solltest weniger reden als kämpfen“, erwiderte Chino gelassen.

Das letzte, das er gebrauchen konnte, war, dass Blackcage ihn dazu bekam, in völlige Rage zu verfallen. Sein Groll war bereits so stark angeschwollen, dass jeder Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen konnte. Würde Chino sich dazu bringen lassen, sich vollständig von seinem Hass zu leiten, würde ihm das erhebliche Nachteile einbringen.

Trotzdem war er es diesmal, der den nächsten Angriff startete.

Mit einer Geschwindigkeit, die es selbst Blackcage schwierig machte, seinen Abläufen zu folgen, lief Chino auf seinen Gegner zu. Doch kurz bevor Chino bei diesem angekommen war, schoss eine Fontäne aus Feuer aus dem Boden und hüllte Blackcage ein. Wie ein Schutzschild legten sich die Flammen um den Körper des Dämons.

In diesem Zustand war es Chino unmöglich, Blackcage anzugreifen.

Ein Blick auf den Boden erfüllte ihn allerdings mit Zuversicht. Da Blackcage auf durchnässtem Holz stand, fing dieses zwar nicht sofort Feuer, färbte sich aber zusehends Schwarz. Lange würde es nicht mehr dauern und Blackcage würde durch die Holzplanken fallen.

Dies schien auch Chinos Widersacher nicht zu entgehen.

Als Blackcage einen Schritt nach vorne machte, erloschen die Flammen wieder. Zu schnell jedoch, dass Chino darauf hätte reagieren können. Nun war es Blackcage, der Chino ungeschützt erwischte.

Blackcage legte seine Handfläche auf Chinos Brust, dann riss es den Spanier auch schon von den Beinen. Ein Ball aus hartem Magma wurde gegen sein Brustbein geschleudert und presste sämtliche Luft aus Chinos Lungen.

Glücklicherweise richtete der Angriff keine weiteren Schäden an, was Chino wie ein kleines Wunder vorkam. Seine Kleidung war leicht angesengt, ansonsten waren keine auf Feuer basierenden Verletzungen zu finden. Nur der Druck auf seiner Brust gab erst allmählich nach.

Blackcage nutzte seinen Vorteil und kniete sich zu Chino hinunter. Er packte den Spanier am Hals und zog seinen Kopf zu sich hinauf.

„Diesmal wird leider kein sommerliches Gewitter aufziehen und dich retten, Chino“, flüsterte Blackcage mit einem höhnischen Grinsen.

„Das habe ich auch gar nicht nötig“, erwiderte Chino ruhig. „Ich habe das Meer.“

Noch bevor Blackcage seinen Fehler bemerkte, hatte Chino bereits nach dem Kragen von dessen Mantel gegriffen. Er hielt sich daran fest und rollte sich zur Seite, dann verpasste er Blackcage einen starken Tritt.

Der Dämon verlor den Halt und fiel nach hinten, spürte, wie er mehrere Meter über das Holz schlitterte, bis das Ende des Steges erreicht war. So sehr er sich auch bemühte, Blackcage schaffte es nicht mehr rechtzeitig, sich in dem Holz festzukrallen.

Dunkle Leere umgab ihn, als er in das kalte Wasser eintauchte.

Lediglich einige Schemen, die durch das Licht der wenigen Laternen an der Oberfläche zu erkennen waren, konnten von dem Dämon wahrgenommen werden.

Gerade, als er zum ersten Schwimmzug ansetzen wollte, sah er über sich eine Gestalt auftauchen. Chino war ihm in das Wasser gefolgt, in einer seiner Hände hielt er eine schwere Eisenkette.

Panisch versuchte Blackcage wieder aufzutauchen, doch Chino hatte in erreicht, bevor er das dichte Wasser hatte durchbrechen können.

Unfähig, seine Kräfte an solch einem Ort zu entfalten, wirkte Blackcage wie ein hilfloses Kind. Er ruderte wild mit den Armen, dazu stieß er einige Male Luft aus, als er merkte, dass Chino ihn am Mantel gepackt hatte und nach unten zu ziehen drohte.

Mit flinken Bewegungen hatte Chino die Kette um Blackcages Hüfte gebunden, doch nun musste er auftauchen, um Luft zu holen. Auch Blackcage durchbrach die Wasseroberfläche und sog gierig Luft in seine Lungen. Einige seiner Haare klebten ihm in den Augen, so dass er Chinos Gewicht spürte, bevor er den Dämon über sich erblickte.

Erneut drückte Chino Blackcages Kopf unter Wasser.

Er schmeckte Salz auf seiner Zunge, als er sich auf genau ebendiese biss, da Chino mit ganzer Energie auf ihn eingewirkt hatte, als er gerade einen tiefen Atemzug hatte nehmen wollen.

Gegen Chinos übermenschliche Stärke hatte er keine Chance. Mochten Vampire auch noch so verschrien sein, wie mächtig diese als Gegner werden konnten – davon konnte sich Blackcage nun persönlich überzeugen.

In seiner Rage bekam Chino jedoch nicht mit, wie Blackcage einen Dolch aus der Innentasche seines Mantels gezogen hatte. Als der Spanier versuchte, die Kette um seine Hände zu binden, ging Blackcage zum ersten Mal zum Gegenangriff über.

Eine kurze Bewegung reichte aus, um Chino den Dolch in den Oberschenkel zu rammen.

Sofort nutzte Blackcage seine Chance und schwamm nach oben. Als er sich wieder über Wasser befand, ignorierte er vorerst die Kette um seine Hüfte und schwamm auf den rettenden Steg zu. Mit einem Dolch im Bein würde Chino erst einmal nicht schwimmen können, doch Blackcage unterschätzte die Tobsucht, in der sich Chino derzeit befand, erheblich.

Gerade, als er die Finger in eine der Holzdielen verhakt hatte und sich nach oben ziehen wollte, spürte Blackcage einen kräftigen Ruck in der Magengegend. Brutal riss es ihn zurück in das Wasser, mindestens einer seiner Finger fühlte sich, da sie sich teilweise zwischen den Dielen verkeilt hatten, gebrochen an.

Chino hatte Blackcage von hinten gepackt und seinen Arm um dessen Hals geschlungen.

„Wenn ich dich nicht ertränken kann, dann werde ich dich eben erwürgen“, knurrte Chino voller Hass.

Auf seinem Mund machte sich ein verächtliches, aber dennoch amüsiertes Grinsen breit. Er spürte, wie der Dämon in ihm die Kontrolle übernahm. Der Wunsch, den wehrlosen Blackcage zu quälen und zu demütigen wurde immer stärker.

Ein animalisches Gefühl der Überlegenheit durchflutete Chino und drohte, seine Sinne zu übernehmen. Maria war in diesem Augenblick aus seinem Kopf verschwunden. Stattdessen erfüllten ihn Hass und eine perverse Gier nach Macht. Die Macht über sein Opfer.

Die verzweifelten Bewegungen von Blackcage schienen ihn nur noch süchtiger nach dieser Empfindung zu machen.

In der Schwärze der Nacht schienen die Augen des Dämons so stark zu glühen, als drohten sie zu explodieren. Tatsächlich fühlte Chino auch eine Explosion in sich aufsteigen, allerdings eine des Schmerzes.
 

Seufzend fuhr sich Ethos über die Augen.

Er saß auf der Pritsche und starrte die gegenüberliegende Wand an. Dazu legte er die Hände in den Schoß. Hoffentlich hatte Hildegard begriffen, dass Ethos vorerst nicht mehr wiederkommen würde und war stattdessen losgezogen, um Chino zu helfen. Das war zwar unwahrscheinlich, Ethos hoffte es aber dennoch.

Anscheinend kam die erste Wachablösung, denn der Gardist redete mit einer weiteren Person und verschwand kurz darauf. Als Ethos sah, wie Roth an die Gitterstäbe herantrat, sprang er auf und trat bis an das Gitter heran.

„Was geht hier vor sich?“, fragte Ethos, auch wenn er nicht davon ausging, dass es Roth erlaubt war, mit ihm zu sprechen.

Roth dachte anscheinend das Gleiche, denn er wiegte langsam den Kopf hin und her und dachte nach, bevor er Ethos antwortete.

„Ich weiß es nicht. Ich glaube aber auch nicht, dass Sie tatsächlich an dem Mord eines Priesters beteiligt sind.“

Ethos schien erleichtert.

„Das bin ich auch nicht. Was ist mit Steve? Wurde er noch nicht festgenommen?“

„Monsignore O’Neill ist verschwunden.“ Als Roth bemerkte, dass Ethos keine verwunderte Reaktion zeigte, fuhr er fort. „Einige meiner Gardisten suchen nach ihm, aber es ist, als wäre er vom Erdboden verschluckt. Aber selbst wenn wir ihn finden sollten, gibt es nicht genügend Beweise, um ihn zu verhaften.“

„Ach, aber bei mir gibt es die“, beschwerte sich Ethos, ermahnte sich jedoch dazu, ruhig zu bleiben. Roth konnte noch mit am wenigsten etwas dafür. „Egal. An seiner Stelle hätte ich mich auch aus dem Staub gemacht. Hören Sie, können Sie mir einen Gefallen tun? Ich habe in meiner Kammer einige Bücher untergebracht. Ich würde sie gerne lesen. Hier ist der Schlüssel.“

Roth horchte auf, schüttelte jedoch schnell den Kopf. Ethos hatte eine Kette mit einem goldenen Kreuz unter seinem Hemd hervorgeholt, neben dem ein Schlüssel baumelte. Er hielt Roth die Kette entgegen.

„Tut mir Leid, Pater Turino, aber ich dürfte eigentlich nicht einmal mit Ihnen reden.“

„Diese Gitterstäbe halten mich nicht auf. Wir wissen beide, dass ich, wenn ich wollte, jederzeit hier herausspazieren könnte“, schnarrte Ethos und lehnte sich verschwörerisch gegen die Eisenstäbe. „Ich würde das aber ungerne tun. Zumal Sie sagten, dass Sie ebenfalls wissen, dass ich nicht der Täter bin. Es sind nur drei Bücher, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich die Bücher hier hätte, würde ich wenigstens etwas zu tun haben.“ Roth wirkte noch immer skeptisch und unentschlossen. „Das hier ist größer, als Sie vermuten, Roth. Es geht um mehr, als den Mord an Pater Lorenzo. Wir haben kaum noch Zeit und wenn sich nicht schnell etwas ändert werden die Möglichkeiten zu agieren immer weniger. Denken Sie an den Tag zurück, an dem wir hier im Vatikan angegriffen worden sind. Wollen Sie, dass sich das wiederholt? Oder wollen Sie, dass es verhindert wird?“

Nun hob Roth das Haupt und endlich hatte Ethos das Gefühl, zu ihm durchgedrungen zu sein.

„Und wie soll ein Stapel Bücher dabei helfen, einen Angriff zu verhindern?“

„Überlassen Sie das mir. Und noch viel wichtiger, vertrauen Sie mir. Es würde zu lange dauern, Ihnen alle Einzelheiten zu erklären. Die Auswirkungen schlagen schon zu weite Kreise.“

Unglücklich schaukelte Roth mit seinem muskulösen Oberkörper vor und zurück. Es war eine Angewohnheit, die Ethos schon öfter an dem Leutnant beobachtet hatte, wenn dieser ernsthaft über etwas nachdachte. Scharf sog er die Luft ein, dann stand er wieder still.

„Nur die Bücher. Mehr nicht. Mehr kann ich nicht für Sie tun, bis Monsignore Dominic Sie angehört hat.“

„Das reicht mir“, sagte Ethos mit einem kaum zu erkennenden Lächeln. „Das reicht mir vollkommen.“
 

Nervös lief Hildegard auf und ab.

Warum kam der verdammte Priester nicht zurück. Dauerte es so lange, Maria an einen Arzt zu übergeben oder hatte er sie einfach nur hintergangen? Zwar hatte sie mitbekommen, dass es am Eingang ein paar Probleme gegeben hatte, doch damit sie nicht doch noch versehentlich entdeckt wurde, hatte sie sich weiter entfernt.

Jetzt stand sie vor einem Dilemma.

Sollte sie auf Ethos warten und sich persönlich die Bestätigung geben lassen, dass Maria in Behandlung war oder sollte sie zu Chino und Blackcage zurückkehren, um dort zu intervenieren. Es mochte gut sein, dass Chino es nicht wollte, dass sich jemand in den Kampf einmischte, doch auch Hildegard empfand eine geheime Sehnsucht nach Rache.

Immerhin hatte Blackcage ihre Schwester geschändet und sie verletzt. Psychisch wie physisch.

Es würde ihr eine Genugtuung sein, ihm langsam und qualvoll das Leben auszusaugen. Ihre Schatten würden sich an seiner Angst nähren und wachsen, während Blackcage erst lernen würde, was Furcht wirklich bedeute. Furcht, wie sie noch um ein vielfaches schlimmer war, als Maria sie hatte erleiden müssen.

Erst recht nachdem Esrada ihre Flucht hatte verhindern wollen.

Bis zur Erschöpfung hatte sie sich gegen ihn zur Wehr gesetzt, leider war es dennoch nicht zu verhindern gewesen, dass sowohl sie selbst, als auch ihre Schwester und Leo teils schwer verletzt worden waren. Bei ihr und Leo war dies nicht allzu tragisch, sie würden sich schnell wieder regenerieren, aber um Maria machte sich Hildegard inzwischen ernsthafte Sorgen.

Ein letztes Mal blickte Hildegard zum Vatikan hinüber.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als dem Priester ihr Vertrauen zu schenken. So, wie er sich geäußert und benommen hatte, würde er sich gut um Maria kümmern. Vielleicht gab es einen Grund, dass er den Heiligen Grund nicht mehr verließ. Komplikationen bei Maria oder andere Angelegenheiten innerhalb des Vatikans.

Wenn Hildegard jetzt nicht handelte, würde sie ihre Rache niemals bekommen. Ihre Schwester war ihr zwar wichtiger als jegliche Befriedigung ihrer Rachegefühle, aber inmitten all ihrer schweren Überlegungen war etwas in Hildegards Gedächtnis gedrungen.

In den Informationen, welche sie einmal über Ethos Turino gelesen hatte, war verzeichnet gewesen, dass er unnütze Opfer verabscheute und unter dem Verlust Unschuldiger schrecklich zu leiden hatte. Zusammen mit der Vorstellung, dass Chino alleine vielleicht auch gar nicht gegen Blackcage bestehen könnte, hatte Hildegard endlich einen Grund, sich endgültig loszureißen und sich um das zu kümmern, nach dem ihre innere Stimme verlangte. Vendetta.
 

Blackcage hatte seinen Ellenbogen in Chinos Gesicht gerammt.

Die Nase des Spaniers war gebrochen, süßes Blut sickerte dick über seine Lippen. In der Zwischenzeit hatte Blackcage sich befreien können und war zurück zu dem Steg geschwommen. Brennende Schmerzen durchzogen seine Finger. Diejenigen, die nicht gebrochen worden waren, waren zumindest gezerrt oder anderweitig in Mittleidenschaft gezogen.

Am Ufer angekommen, befreite er sich von der Kette.

Als Blackcage sich wieder umdrehte, stand Chino bereits schon wieder hinter ihm.

Wütend und schwer atmend funkelte er Chino an.

„Ich dachte, Vampire würden in Salzwasser sterben.“

„Möglich. Einige schwache Dämonen gibt es bestimmt, bei denen das der Fall ist. Ich gehöre nicht dazu.“

Eine lockere Bewegung reicht aus und Chino hatte sich den Dolch aus seinem Bein gezogen. Fast augenblicklich verschloss sich die Wunde wieder, noch bevor der Dolch auf dem Boden aufprallte, schien es, als wäre Chino an dieser Stelle niemals verletzt gewesen.

Die Zeit schien für einige Minuten stillzustehen.

Auch Chinos Atem ging schwer und ohne festen Rhythmus, jedoch dauerte es nicht lange, bis sich ein verzerrtes Grinsen in seinem Gesicht bildete, das seine Eckzähne deutlich über die blutverschmierten Lippen treten ließ. Er senkte den Kopf, so dass ein unheimlicher Schatten den Großteil seiner Mimik verschluckte.

„Ich werde dich töten, Nathan. Dich töten und danach deinen Körper ausnehmen. Doch vorher werde ich noch ausprobieren, wie viel deine dämonische Seele aushält, bevor sie stirbt“, flüsterte Chino mit tiefer Stimme und näherte sich dem Angesprochenen.

Es war, als gehörte weder der Körper noch der Klang der Stimme wirklich zu Chino. Erst jetzt erkannte Blackcage, dass der Dämon, der Chino innewohnte, seinen Wirt zurückerobert hatte. Langsam machte sich ein Gefühl in ihm bemerkbar, das er nur selten gespürt hatte. Angst. Bisher hatte es nur wenige Dämonen gegeben, die diese Empfindung in ihm hatten hervorrufen können, richtig erinnern konnte er sich nur an Esrada und Hildegard.

Unweigerlich wich Blackcage zurück, sobald Chino einen Schritt auf ihn zumachte.

Unter seinen malträtierten Fingern fiel es ihm schwer, die richtigen Bewegungen auszuführen, um das Feuer zu beschwören. Aufgrund seiner Angst kämpfte Blackcage die Beschwerden vorerst nieder und erschuf einen Feuerball, den er sofort auf seinen Gegner schleuderte.

Chino wich aus und obwohl Blackcage einen waren Hagel an Feuerkugeln auf ihn niederregnen ließ, bahnte sich der Spanier einen kontinuierlichen Weg nach vorne.

Seitdem der letzte Rest Menschlichkeit aus ihm gewichen war, schien es, als hätte Chino noch einmal an Schnelligkeit hinzugewonnen. Kurz bevor er Blackcage erreichen konnte, hatten die beiden wieder steinernen Boden unter den Füßen. Blackcage kam eine Idee.

Solange er sich nicht bewegte, würde ihm seine Feuerfontäne beschützen.

Indem er mit den Finger schnippte, was ihn einiges an Überwindung kostete, schoss erneut eine hohe Flamme aus dem Boden hervor und kreiste ihn ein. Hierher sollte Chino ihm erst einmal folgen.

Und tatsächlich blieb Chino stehen und umkreiste Blackcage wie ein Raubtier, das darauf wartete, seine Beute zu erlegen.

Es würde eine halbe Ewigkeit dauern, bis diese Flamme erlosch.

Blackcage konnte sich ein triumphales Grinsen nicht verkneifen. Er besaß so viel Energie, dass er es notfalls Tage durchhalten würde, die Flamme aufrecht zu erhalten. Nebenbei regenerierte das Feuer seinen geschundenen Körper. Nur noch wenige Minuten und er würde so fit sein, wie zu Beginn des Kampfes. Chino hingegen wäre weiterhin geschwächt.

Dieser stand nun auf der Rückseite von Blackcage. Als Chino die Augen zusammenkniff, um in das Feuer sehen zu können, erkannte auch er, dass Blackacge zu seiner alten Kraft zurückzufinden schien.

In diesem Moment sah er Maria vor sich.

Maria, wie sie ihn anlächelte. Unbeschwert und voller Freude. Ihre wohlklingende Stimme, auch wenn das Vergnügen, sie hören zu dürfen, nur von sehr kurzer Dauer gewesen war.

Ein Teil seiner Menschlichkeit floss in Chino zurück.

Wenn er jetzt versagen würde, würde Blackcage auf ewig hinter Maria her sein. Er würde ihr wieder wehtun, sie wieder verletzen, wieder ihre Seele zerstören.

Nein, das konnte er nicht zulassen.

„Verzeih mir, Maria“, flüsterte Chino.

Es bildeten sich einige Tränen in seinen Augen, die jedoch nicht mehr die Zeit hatten, sich ihren Weg über seine Wangen zu bahnen.

Mit einem letzten Schrei stürzte sich Chino in das Feuer. Die Hitze, die ihn erfasste, ließ sämtliche Tränen verdampfen, noch bevor sie sich hätten bilden können.

„Was machst du da, du Schwachkopf?!“, schrie Blackcage aus voller Kehle.

Chino hatte sich an seinen Rücken geheftet.

Spitze Fingernägel drückten sich in seinen Bauch und seine Schulter, was es unmöglich machte, Chino ohne weiteres wieder abzuschütteln. Messerscharfe Reißzähne bohrten sich in Blackcages Hals und entlockten diesem einen ohrenbetäubenden Schrei.

Als Chino das Blut des Dämons auf seiner Zunge schmeckte, musste er ein Würgen unterdrücken. Es schmeckte säuerlich und verfault, brannte in seinem Mund und seinem Hals. Wie Säure rann es seine Speiseröhre herunter, ließ ihn von innen verbrennen, wie das Feuer dies mit seiner äußeren Erscheinung tat. Chino wusste, dass es ihm das Leben kosten würde, würde er zu viel dämonisches Blut trinken.

Während das Blut der Menschen seinem Körper das Überleben sicherte und ihn regenerierte, tat das Blut seiner Artgenossen das genaue Gegenteil. Es würde ihn langsam und qualvoll zugrunde richten, ihn von innen heraus in einem langsamen Prozess zersetzen.

Mit weit aufgerissenen Augen griff Blackcage nach hinten, aufgrund der starken Emotionen, die ihn beherrschten, wurde die Hitze des Feuers noch einmal erhöht. Er spürte, wie das Leben aus ihm herausgezogen wurde.

Mit jedem Schluck, den Chino von ihm trank, konnte Blackcage nahezu zusehen, wie seine Adern sich leerten und die Farbe aus ihnen herauswich. Seine Venen zogen sich unter größter Pein zusammen, drückten auf seine Muskeln und auf seine Organe. Von unten nach oben spürte Blackcage eine Lähmung hinaufziehen, die nach und nach jede einzelne Faser in ihm erfasste, bis sie kurz vor seinem Herz angelangt war.

Ein letztes Mal brüllte er laut auf, die Hitze und das Feuer, das ihn und Chino umschloss, flammte so stark auf, dass selbst die Steine unter ihnen zu schmelzen begannen.

Auch Chino spürte unaussprechliches Leid, als die Hitze ihn mit voller Kraft erfasste. Zunächst brannte seine Kleidung an seinem Körper weg, dann ging das Feuer auf seine Haut über. Innerhalb weniger Sekunden war sie vollkommen schwarz.

Genau in dem Moment, in dem Chino das Herz seines Widersachers aussaugte, legte sich trotzdem ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen. Maria würde niemals wieder leiden müssen.

Eine Stichflamme schoss in den Himmel empor und mit einem Mal war die gesamte Umgebung wieder stockdunkel.

Hildegard, die den letzten fünf Minuten des Kampfes unbeteiligt beigewohnt hatte, ließ sich auf die Knie fallen. Leo trat neben sie und die Dämonin vergrub ihr Gesicht in der Mähne des mächtigen Tieres. Schluchzend presste sie sich an Leo heran, sowohl aus Freude, dass zumindest einer der Alpträume ein Ende hatte, als auch aus Trauer über den Tod des Dämons, der sie und ihre Schwester gerettet hatte.



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