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Es war einmal im Dezember

von

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Ein kleines Wunder

Es war ein kalter und grauer Wintermorgen, im Jahr 1901. Am 31. Dezember dieses Jahr, war mein Land soweit angewachsen, dass ich endlich mein 19. Lebensjahr erreicht hatte. Langsam fielen schwere, weiße Schneeflocken vom Himmel und verdickten die Schneedecke zu meinen Füßen. Heute war ein bedeutender Tag, es wirkte als würde das ganze Land die Luft anhalten. Seit den frühen Morgenstunden lag die Gattin, Alexandra Romanov, meines Bosses Nikolaus Romanov in den Wehen. Ich war natürlich sehr aufgeregt, immerhin war ihr Nachkomme der Thronfolger und somit irgendwann mein Vorgesetzter.
 

Es waren schwere Zeiten für mein Land und mich... General Winter übertrieb dieses Jahr wieder gehörig und hatte viele Ernten zerstört. Meine Bevölkerung litt Hunger und die erbarmungslose Kälte brauchte nicht nur Zittern, sondern auch Krankheiten mit sich. Darum war ein freudiges Ereignis, wie ein Geburt, etwas das Hoffnung versprach. Ungeduldig, wie ein Tiger in einem Käfig, stapfte ich draußen vor dem Ipatjew Anwesen auf und ab. Laut knirschten Schnee und Eis unter meinen schweren Stiefeln, mein Atem fror in kleinen, weißen Wölkchen vor meinem Gesicht und sanfte Schneeflocken sammelten sich auf meiner Kleidung. Schwarze Ringe unter meinen Augen, untermauerten die Tatsache, dass ich seit Tagen schon nicht mehr geschlafen hatte. Es war nichts Neues für mich, meine ständigen Albträume raubten, mir seit meiner Kindheit, die nächtliche Ruhe. Immer wieder hörte ich die Stimmen der anderen in meinem Kopf, sie beleidigten mich, nannten mich „nutzlos", „schwach", „Monster". Obwohl ich es mittlerweile gewöhnt hätte sein sollen, schmerzte es mich immer wieder. Seit kurzem war ich ein freies Land geworden, niemand unterdrückte mich mehr. Doch die Wunden auf meinem Körper waren noch nicht verheilt. Der größte Verlust, den ich jedoch erlitten hatte war, der Glaube an Hoffnung, Liebe und das Gute in dieser Welt. Seit damals war da eine Kälte, die von meinem Herzen aus, auf meinen ganzen Körper übergriff und ihn geradezu gefühllos machte. Nur leider nicht ganz, Angst, Zweifel und Hass konnte ich weiterhin spüren. Egal was ich tat, ich hatte das Gefühl jeder verurteilte mich. Jede Mühe, die ich mir machte, um Freunde zu finden, schien vergeblich, für alle war ich nur der Fehler, das Monster oder der Sklave. Wie sehr ich sie alle doch hasste oder hasste ich mich selbst? Dafür, dass ich es nicht ändern konnte? Die Maske, das unerschütterliche Lächeln auf meinen Lippen drohte zu bröckeln, ich ballte die Hände zu Fausten und drängte Tränen zurück.
 

Das Quietschen der massiven Holztür, die gegen die Schneemassen ankommen musste, riss mich aus meinen Gedanken. Vor mir stand einer der Diener, er verbeugte sich tief, weshalb war mir ein Rätsel. Immerhin besaß ich keinen Adelstitel, ich war nur ein Land... „Der Zar möchte Sie sehen." Eröffnete mir der Angestellte. Schnell trat ich ein, da ich nicht wollte, dass die Kälte sich ins Haus schlich. Mit meinem üblichen Lächeln auf den Lippen, doch eher gemischten Gefühlen im Bauch, folgte ich dem Boten. Verwundert blickte ich mich um, als wir einen Teil des Hauses betraten, der definitiv zum Privatteil gehörte. Unbeirrt bog der Diener um die Ecken der Gänge. Hier drinnen war es angenehm war, warmes Kerzenlicht erhellte die Flure und der rote Samtteppich unter meinen Füßen dämpfte unsere Schritte. An den Wänden hingen Bilder vergangener Zaren. Bevor wir um die letzte Ecke bogen stach mir ein spezielles Gemälde ins Auge. Die Stimmung darauf war eher düster, schwere Gewitterwolken und kahle Bäume waren abgebildet, jedoch gab ein Detail, das dem Ganzen einen Hoffnungsschimmer verlieh... Es war ein kleines Sonnenblumenfeld, das mit seinem leuchtenden Gelb, die Bedrohlichkeit der Wolken zurückdrängte. Ich habe diese Blumen schon immer geliebt, sie waren für mich das Wunderschönste auf der Welt. Für einen Augenblick hielt mich der Anblick gefangen, doch dann besann ich mich auf meine Pflichten und schloss schnell wieder auf.
 

Der Diener blieb vor einer Zimmertür stehen und klopfte leise. Sofort klang eine vertraute Stimme nach draußen. „Herein." Es war die Stimme von Nikolaus. Immer noch etwas verdutzt darüber, was ich hier sollte, trat ich am Boten vorbei und öffnete die Tür. Drinnen stand Herr Romanov vor dem Fenster und blickte nach draußen in den verschneiten Innenhof. Seine schwarze Uniform, mit den goldenen Schulterpolstern und der Zarenscherpe, wirkte unordentlich. Auch seine Stimme hörte sich müde an, jedoch war sie nicht traurig. Das war jedoch kein Grund für mich, zuversichtlich zu werden. Unsicher trat ich ein und verbeugte mich kurz. „Ihr wolltet mich sehen Zar.". „In der Tat, das wollte ich." antwortet er und drehte sich zu mir um, auch unter seinen Augen waren schwarze Silhouetten. „Wir wollten dich sehen." ertönte plötzlich eine weitere Stimme. Erschrocken fuhr ich herum und blickte in das erschöpfte Gesicht seiner Frau. Schnell verbeugte ich mich auch vor ihr, sie sah wirklich schlecht aus. Ihr sonst immer geordnetes Haar war zerzaust. „Weshalb?" fragte ich etwas besorgter. Die Zarenfamilie war mir sehr wichtige geworden, auch wenn sie diese Gefühle nicht zu erwidern schienen, wer tat das schon? Natürlich war mir bewusst, dass dieses Anliegen hier etwas mit der Geburt zu tun haben musste. Aber die Stimmung im Raum verriet nicht, ob es gut oder schlecht verlaufen war. Plötzlich brach die steinerne Maske meines Vorgesetzten und er lächelte mich an. Selten hatte ich ihn Lächeln sehen und auch Alexandra schien überglücklich. „Um dir jemanden vorzustellen." Antwortete sie und zeigte mir das in Decken gewickelte Bündel, welches mir zuvor vollkommen entgangen war, in ihren Armen. Nachdem ich etwas genauer hinsah, eröffnete sich mir eines der wunderbarsten Dinge, die meine Augen je erblickt hatten. Seelig schlief das Baby mit dem feuerroten Haar, das es zweifellos von ihrer Mutter hatte. Das ansonsten so falsche Lächeln auf meinen Zügen, wurde ehrlich. Das Kleine wirkte so unschuldig und glücklich. Seine kleinen Hände, das liebliche Gesichtchen und der zierliche Körper schienen so verletzlich und winzig. Dennoch war es wunderschön. Ich wagte nicht es zu berühren, gerade wusste ich nicht mal, ob ich atmen sollte... „Darf ich vorstellen Anastasia Nikolajewna Romanov, zukünftige Zarin Russlands." verkündete Nikolaus stolz und stellte sich neben mich. „Ein Mädchen also..." flüsterte ich vor mich hin. Was ich damals noch nicht wusste, wie sehr dieses kleine Ding mein Leben verändern würde. Doch vom ersten Moment an, hatte sie etwas geschafft, dass seit Jahrzehnten niemand mehr gekonnt hatte... Sie hatte mein Herz so etwas, wie Freude fühlen lassen. „Möchtest du sie halten?" fragte mich ihre Mutter und strich ihrer Tochter behutsam das Haar aus dem Gesicht. Schlagartig wurde mein Gesicht bleich und ich begann nervös zu werden. Immerhin war ich so groß und hatte meine Hände selten für etwas Feinfühliges benutzt. Zusätzlich was wäre würde ich sie fallen lassen? Oder schlimmeres, sie verletzten. Wie konnten sie mir, dem der von allen nur als Monster bezeichnet wurde, anbieten das wertvollste das sie besaßen, zu halten? Alexandra schien meine Unsicherheit und Besorgnis zu bemerken und fackelte nicht lange. Das hatte sie noch nie. Ehe ich mich versah hatte sie meine Arme in die richtige Position gerückt und mir Anastasia auf den Arm gelegt. Vor Schock erstarrt stand ich da und betrachtete sie, wie verzaubert. Plötzlich begann sie sich zu regen und ich geriet noch mehr in Panik. Aber sie schlug nur die wunderschönen blauen Augen auf und sah mich an. Ich vermutete sie würde gleich anfangen zu weinen, doch ihr Mund formte sich zu einem Lächeln. Mein Herz setzte einen Schlag aus, sie war so wunderschön. Noch nie hatte ich ein so unschuldiges und ehrliches Lachen gesehen, ihre großen Augen sprühten vor Freude... Ganz vorsichtig drückte ich sie etwas an mich, sie war warm. Ihre Ausstrahlung brachte die dicke Eisschicht, welche seit Jahren mein Herz umgab zum tauen. Da es peinlich für einen Mann gewesen wäre zu weinen, tat ich es nicht, auch wenn ich mich überglücklich fühlte. Sie hatte meinen Blick an sich gefesselt, als sie sich bewegte, bekam ich wieder Angst. Doch sie streckte nur ihre winzige Hand aus. Etwas irritiert fragte ich mich wonach, bis ich merkte, dass sie an meinem Schal zupfte. Vorsichtig hielt ich sie auf, da mir das Kleidungsstück sehr wichtig war. Kurzerhand hielt sie meinen Zeigefinger fest und weigerte sich ihn wieder loszulassen. „Sie scheint dich zu mögen." meinte Alexandra und lächelte mich beglückwünschend an. Ich hielt den Atem an, nichts konnte beschreiben, wie glücklich ich im Moment war. Nach einiger Zeit, die für mich, wie ein perfekte Ewigkeit wirkte, „entriss" man mir die Kleine wieder. Sofort vermisste ich ihre Wärme und ihr kleines Händchen, das meine Finger fasziniert festhielt. Während Alexandra zu stillen begann, nahm Nikolaus mich mit nach draußen.
 

Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her, bis ich die Stille brach und murmelte „Sie ist wunderschön." Stolz lächelte mich der Zar an und antwortete „Sie ist perfekt, ich weiß. Irgendwann, wenn du mal Kinder hast, wirst du verstehen, was für ein atemberaubendes Gefühl es ist sein eigenes Fleisch und Blut in Armen zu halten." Diese Aussage versetzte mir doch einen schmerzhaften Stich, wer sollte mit mir schon Kinder haben wollen? Außerdem glaubte ich nicht daran, dass ich jemals lieben würde. Weshalb sollte ich dann Nachkommen haben? Um keinen Streit vom Zaun zu brechen nickte ich nur stumm und lächelte ihn wieder falsch an. Schnell wechselte ich das Thema „Die Dörfer im Norden verhungern vor ihren leeren Tellern." Nikolaus seufzte laut und nickte, das Grinsen auf seinen Zügen erstarb. „Ich weiß Ivan, aber was soll ich tun?" fragte er verzweifelt und blickte mich an. Hätte ich eine Antwort gewusst, hätte ich sie ihm gegeben, doch alles was ich tun konnte war die Schultern zu zucken. Den Rest des Tages verbrachten wir damit über mögliche Lösungen zu diskutieren, leider erfolglos.



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