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L'amour de Fayette

von

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Alone With Sunny

Es gibt so Tage, die echt mies gelaufen sind und man danach heilfroh ist, dass sie endlich vorbei sind. Und manchmal findet dann ein ganz merkwürdiges Phänomen statt. Denn am nächsten Morgen, wenn man aufwacht, dann ist einem so, als wäre dieser letzte Scheißtag gar nicht passiert. Man fühlt sich, als wäre man aus einem echt miesen Traum aufgewacht. Wenn dann aber diese Spuren des gestrigen Tages wieder zurückkehren, realisiert man so allmählich, dass das alles wirklich passiert ist und man fühlt sich dann so, als würde alles wieder auf einen hereinbrechen. Man könnte es fast schon als eine Art zeitverzögerten Kater nach einer durchzechten Nacht nennen. Es ist ein echt beschissenes Gefühl und man wünscht sich umso mehr, dass der Tag endlich rumgeht, obwohl der Scheißtag schon längst gelaufen war. Genauso ging es mir am nächsten Morgen, als ich aufwachte und runter ins Wohnzimmer ging in der Annahme, dort auf Rion zu treffen, der noch ein paar Bildkorrekturen an seinem Laptop machte, bevor er ins Studio ging. Nun ja, er saß zwar am Tisch, allerdings war da noch jemand, der da bei ihm saß und der sich angeregt mit ihm unterhielt. Das Blondchen von gestern… Mr. Strahlemann von der Bushaltestelle. Und direkt neben ihm saß diese schadenfrohe und hinterhältige Hexe von gestern, nämlich die Eifersucht, die mir mit einem breiten Grinsen zuwinkte und in einem abgrundtief falschen Ton fragte „Na? Hast du mich vermisst, Fayette? Sieht so aus, als würden wir zwei noch ein bisschen Spaß zusammen haben.“

Von einer Sekunde zur anderen war meine gute Laune dahin und am liebsten hätte ich mich wieder hingelegt, denn ansonsten hätte es noch ein Unglück gegeben. Doch da ich mich nur allzu gut erinnerte, dass ich Rion ja gestern schon zur Rede gestellt und ihn genug gestraft hatte, versuchte ich zumindest gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

„Guten Morgen“, grüßte ich und sofort kam ein fröhliches „Ebenfalls einen schönen guten Morgen!“ von Sunny, gefolgt von zwei angehauchten Wangenküssen und einer kurzen Umarmung.

„Schön, dass du da bist, Fay. Es gibt gleich Frühstück. Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht.“

Zugegeben, ich war ziemlich überrumpelt von dieser Begrüßung. Immerhin hatte ich ihn erst gestern kennen gelernt und er grüßte mich schon wie einen engen Freund. Nun gut, Rion hatte mich da schon vorgewarnt gehabt, dass Sunny so etwas machen würde, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es schon so bald passieren würde. Ich versuchte es so hinzunehmen und setzte mich. Mit einem fröhlichen Summen verschwand Sunny in die Küche und ich wandte mich Rion zu.

„Er scheint ziemlich anhänglich zu sein“, stellte ich trocken fest und merkte erst einen Moment später, dass ich schon wieder diesen leicht vorwurfsvollen und bissigen Ton angeschlagen hatte, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, ruhig und friedlich zu sein und den Tag nicht schon wieder mit einer schlechten Laune anzufangen. Doch Rion ging zum Glück nicht weiter darauf ein und erklärte ganz einfach „Er gehörte schon immer zu der anhänglicheren Sorte Mensch. Um es einfacher auszudrücken: ein femininer Schwuler. Sag mal Fayette, könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun?“

Dass er jetzt so plötzlich von Gefallen sprach, behagte mir nicht sonderlich. Es war einfach zu offensichtlich, dass dieser Gefallen irgendetwas mit unserem Gast zu tun hatte und das wollte ich einfach nicht. Nichts gegen Sunny persönlich, aber er war Rions Gast und außerdem war da noch diese verdammte Zicke da im Raum, die mir immer wieder einzutrichtern versuchte, dass Sunny nichts anderes vorhatte, als sich an Rion ranzumachen und dass Rion selber drauf und dran war, darauf hereinzufallen. Ich hasste das. Ich hasste meine eigene Eifersucht und wusste, dass es verdammt ungerecht gegenüber Rion war. Aber es fühlte sich für mich einfach so an, als würde seine alte Flamme zu Besuch kommen, die immer noch Gefühle für ihn hatte. Und um die sollte ich mich dann kümmern? Na sicher doch… Lass Fayette das doch machen. Als ob er nicht schon genug Probleme hätte, dass es nur noch neun Tage bis Weihnachten war und er kurz davor stand, das schlimmste Weihnachten seines Lebens zu erleben. Ganz einfach aus dem Grund, weil er für seinen Liebsten immer noch kein Geschenk hatte, geschweige denn überhaupt eine zündende Idee und sein bester Freund heulte sich wahrscheinlich immer noch die Augen aus wegen diesem Gigolo von Barkeeper.

Ernsthaft, warum muss ich eigentlich immer der Depp sein, dem das alles passieren muss? Steht irgendwo auf meiner Stirn „Probleme bitte hier abladen!“ geschrieben? Vielleicht sollte ich mir stattdessen mal ein Schild mit der Aufschrift „Denkt nicht mal dran!“ um den Hals hängen, vielleicht wäre das hilfreich…

„Darf ich raten? Es geht um Sunny.“

Rion nickte und erklärte „Ich habe gleich einen sehr wichtigen Termin im Studio und den kann ich unmöglich absagen. Es wäre mir lieb, wenn du dich vielleicht ein wenig um Sunny kümmern könntest.“

„Bin ich hier jetzt sein Babysitter? Der Kerl ist erwachsen“, erklärte ich und wurde langsam wirklich sauer, nicht zuletzt weil meine Eifersucht noch schön Öl ins Feuer goss. Doch bevor Rion etwas darauf erwidern konnte, kam auch schon Sunny zurück, der uns das Frühstück servierte. Es gab Croissants mit Marmelade, Spiegelei und Speck und noch dazu goldbraunen Toast. Im Grunde genommen erinnerte dieses Frühstück an eine sehr seltsame Beziehung zwischen einer Französin und einem Amerikaner. Aber er hatte es gut gemeint und da ich nicht unhöflich erscheinen wollte, da ich sowieso schon mal wieder komplett herumgezickt hatte, begann ich als erstes mit dem amerikanischen Teil des Frühstücks, um mir den süßen Teil für den Schluss aufzuheben. Insgeheim hoffte ich, dass sich meine Stimmung wieder etwas bessern würde, wenn ich erst mal was im Magen hatte, denn es war ja bekannt, dass man zu einer absoluten Diva werden konnte, wenn man hungrig war. Zumindest hieß es immer in der Snickerswerbung so…

„Also was machen wir heute denn schönes?“ fragte Sunny direkt, der offenbar nicht mitgekriegt hatte, was Rion und ich gerade besprochen hatten. Nun, vielleicht war das auch besser so. Dennoch nutzte ich die Gunst der Stunde und sagte direkt „Ich muss noch die restlichen Weihnachtseinkäufe machen.“

Na gut, vielleicht war das ja nicht ganz richtig von mir, aber wieso sollte ich denn hier den Bespaßer für jemanden spielen, den ich gar nicht kannte, der nicht mein Gast war und auf den ich gerade ganz schön eifersüchtig war? Aber in der Hinsicht hatte Rion entweder einen absoluten Tunnelblick, oder aber eine komplette Ignoranz gegenüber meinen Ansichten und Wünschen. Denn er blieb bei seiner Erklärung, dass er einen Termin habe, den er unmöglich absagen konnte und dann meinte er doch tatsächlich, Sunny könnte mich bei meinen Einkäufen begleiten. So langsam hatte ich wirklich das Gefühl, er machte das mit Absicht. Warum nur konnte er einfach nicht akzeptieren, dass ich nicht in Sunnys Nähe bleiben wollte, weil ich dann immer dieses Bild vor Augen hatte, dass dieser Kerl mit meinem Rion was anfangen könnte? Das war einfach nicht fair. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass der Kerl so gut aussehend und ein absolutes Sonnenscheinchen war, nein er strahlte auch so ein verdammtes Selbstbewusstsein aus, dass ich nicht nur eifersüchtig, sondern auch neidisch war. Und das war überhaupt nicht gesund, ganz und gar nicht. Ich stand kurz davor, eine Szene zu machen, aber letzten Endes biss ich in den sauren Apfel und erklärte mich einverstanden. Aber fest stand, dass das noch ein Nachspiel für Rion haben würde, dass er mich einfach so überging.
 

Nachdem Rion sich verabschiedet hatte, war ich mit Sunny alleine und ich wollte so schnell wie möglich los in die Stadt. Zum Glück hatte ich ja die Blasenpflaster und damit war das Laufen wieder einigermaßen möglich. Doch die Gewissheit zu haben, dass ich Sunny im Schlepptau hatte, munterte mich nicht sonderlich auf. Nachdem ich meinen Parka und die Stiefel angezogen hatte und auch Sunny soweit war, verließen wir das Haus und draußen wehte uns eine eiskalte Brise entgegen. Es war wirklich furchtbar kalt und ich war froh, dass ich wenigstens an meine Handschuhe gedacht hatte. Wenigstens schneite es nicht, das war zumindest eine gute Nachricht…

„Ach ja, ich freu mich schon richtig“, rief Sunny und strahlte übers ganze Gesicht. „Es gibt doch nichts Schöneres, als vor Weihnachten shoppen zu gehen. Am schönsten ist es immer noch, wenn es dunkel ist und die Beleuchtung angeht.“

Nun, ich konnte da nicht sonderlich viel abgewinnen, was aber auch daran lag, dass es immer so voll in den Geschäften war und ich es lieber etwas ruhiger hatte. Aber es stimmte auch, was Sunny sagte. Es hatte immer eine besondere Atmosphäre, wenn man zur Weihnachtszeit in die Stadt ging. Doch bevor ich darauf eine Antwort geben konnte, hatte Sunny schon wieder das Thema gewechselt und betrachtete mich mit seinen großen, strahlenden Augen.

„Sag mal Fay, ist der Parka nicht etwas zu groß für dich?“

„Ich hab halt sehr schmale Schultern und den gab es nur in der Größe. Mit so einem zierlichen Körper findet man nicht so leicht passende Klamotten.“

Warum zum Teufel fing der jetzt auf einmal an, über meine Kleidung reden zu wollen? Zwar war er Model, aber es war doch immer noch meine Entscheidung, was ich trug oder nicht. Und warum zum Teufel gab ihm darauf noch eine Antwort?!

„Vielleicht solltest du es mal mit einer Damenjacke probieren. Ich zum Beispiel trage auch Damenstiefel und eine Handtasche. Du hast so ein hübsches androgynes Gesicht, du solltest da viel mehr draus machen.“

„Ich mag mein Aussehen halt nicht so… Vor allem nicht, weil ich ständig deswegen aufgezogen wurde.“

Dass ich hauptsächlich von Rion so aufgezogen worden war, verschwieg ich lieber. Doch dann kam etwas, das mich völlig überraschte und womit ich jetzt gar nicht gerechnet hatte.

„Ja, ich kenne das gut“, gestand Sunny und steckte die Hände in seine Jackentaschen. „In der Schule haben sie sich über mich lustig gemacht, weil ich schwul bin und mich mehr für Mädchenkram interessiert habe. Manchmal haben sie mir auch aufgelauert und mich schikaniert. Wir haben es halt nicht leicht, ne?“

Überrascht sah ich ihn an, denn ich hätte nicht erwartet, dass Sunny so etwas auch erlebt hatte. Dafür wirkte er meiner Meinung nach viel zu selbstbewusst. Deshalb interessierte es mich auch umso mehr, wie er das schaffte. Und die Antwort war erstaunlich einfach: „Ich liebe mich halt so wie ich bin. Und dass andere mich deswegen schikanieren, weil ich zu dem stehe was ich bin, zeigt doch nur, dass sie neidisch sind, weil sie mit ihrem eigenen Leben unzufrieden sind. Solche Leute tun mir wirklich leid. Du kannst nicht ändern, wer du bist, aber du kannst das Beste daraus machen.“

Nun, eigentlich hatte er ja Recht, aber es war für mich halt nicht ganz so einfach. Nun, vielleicht machte ich mir manchmal zu viele Gedanken und ich sollte es genauso wie Sunny machen. Nun gut, meine Komplexe waren nicht mehr allzu schlimm wie früher, aber trotzdem fiel es mir immer noch sehr schwer, mein androgynes Aussehen vollständig zu akzeptieren. Deshalb kaufte ich immer noch Klamotten, die mir eh nicht passen würden, weil ich so schmale Schultern hatte und aus diesem Grund versuchte ich auch, möglichst männlich auszusehen, auch wenn das absoluter Schwachsinn war und Rion mich doch eigentlich so liebte wie ich wirklich war.

Als wir schließlich die Innenstadt erreicht hatten, steuerte Sunny schon das erste Geschäft an, nämlich ein Laden für Handtaschen.

„Ich könnte den ganzen Tag nach Handtaschen schauen. Einfach herrlich. Sag mal, was willst du denn eigentlich Rion zu Weihnachten schenken?“

Hier blieb ich abrupt stehen und erwischte mich selbst bei einem demotivierten Seufzer. Aber wem wollte ich denn auch etwas vormachen? Es war nun mal wie es war und da war leugnen eh zwecklos.

„Ich hab einfach keinen Plan, was ich ihm schenken soll. Das Problem ist einfach, dass er mir auch keine große Hilfe ist und nie Wünsche äußert. Mein bester Freund Seth kam mit der Idee von heißen Fotos, aber Rion hat mich ja auch schon oft genug vor der Linse gehabt. Und eine Kamera kann ich mir nicht leisten…“

„Vielleicht kann ich dir ja helfen“, schlug Sunny direkt vor und bevor ich irgendetwas sagen konnte, redete er drauf los wie ein Wasserfall und es schien so, als hätte er nur auf die Gelegenheit gewartet.

„Rion liebt besonders persönliche Geschenke, wie zum Beispiel etwas selbst gemachtes oder einfach etwas, das von Herzen kommt. Das kann alles Mögliche sein. Und ob du es glaubst oder nicht, er kocht auch ab und zu mal ganz gerne und da hab ich ihm ein Set an Ölen aus Italien geschenkt und von meiner Schwester bekam er jedes Jahr Figuren aus Speckstein geschenkt, die sie selbst gemacht hat.“

Na große Klasse. Das half mir auch nicht sonderlich weiter. Zwar war ich Kunststudent, aber solche Handwerksarbeiten waren mir immer schon schwer gefallen und ich zweifelte auch, dass ich es schaffte, in der kurzen Zeit, die mir noch zur Verfügung stand, so etwas auf die Schnelle herzustellen. Nein, es musste eine schnellere Lösung her. Was also sollte ich ihm schenken? Ein Parfüm? Nee, das war doch zu 08/15. Das war eines der langweiligsten Geschenke, gleich neben Socken. Ach Mensch, warum musste das auch so verdammt schwer sein? Irgendwie hatte ich eine ganz schöne Blockade im Kopf. Seltsamerweise war es mir bei Mum, Emily und Seth nicht ganz so schwer gefallen. Bei ihnen konnte man ja auch nicht so viel falsch machen, aber bei Rion hatte ich keinen einzigen guten Einfall. Wieso denn? Auch Sunny schien mein Dilemma zu bemerken.

„Für den Liebsten das Passende zu finden ist nie einfach“, gab er zu, als wüsste er genau, wovon er sprach. „Insbesondere wenn man das erste Weihnachten zusammen feiert und der Partner einem wichtig ist, will man ihm etwas ganz Besonderes schenken.“

„Und was würdest du einem Partner schenken?“

Sunny dachte kurz nach. „Also ich hab mich mal selbst als Geschenk verpackt. Und Jimmy musste mir ja natürlich Socken schenken, obwohl er genau weiß, dass ich nur Damenstrümpfe trage…“

Stirnrunzelnd sah ich Sunny an. So etwas hatte er wirklich gemacht? Ob ich das auch machen sollte? Wozu denn bitte? Rion und ich hatten doch auch so Sex. Oder machte ich mir einfach zu viele Gedanken?

Während wir die Geschäfte abklapperten und Sunny sich noch einen neuen Gürtel und dann noch einen Schal kaufte, gingen wir schließlich ins Café Zodiac, wo wir uns bei einer Tasse Cappuccino aufwärmen wollten. Es war furchtbar kalt draußen und eines meiner Pflaster hatte sich gelöst, sodass das Laufen ziemlich schmerzhaft geworden war. Mit einem demotivierten und ratlosen Gesichtsausdruck saß ich da und wusste immer noch nicht weiter. Irgendwie schien kein Geschenk der Welt gut genug für Rion zu sein und das merkte wohl auch mein Begleiter so langsam, denn nach einer Weile fragte er „Warum machst du es dir so schwer damit, das passende Geschenk zu finden?“

Nun, das hatte ich mich manchmal auch gefragt, immerhin zerbrach ich mir schon seit Ende Oktober den Kopf, was ich ihm schenken könnte und hatte gefühlte tausende Ideen verworfen.

„Mit Rion hab ich die allererste gleichgeschlechtliche Beziehung“, gestand ich und stützte mit einem leisen Seufzer meinen Kopf auf die Handfläche. „Davor war ich immer mit Mädchen zusammen, aber es ist immer schief gelaufen. Meist wurde ich verlassen, weil ich nicht männlich genug für die Damen war, die letzte Beziehung habe ich beendet, weil ich jedes Mal ohnmächtig geworden bin, wenn es zum Kuss kam. Rion und ich sind früher Feinde gewesen und ich hab ihn damals gehasst. Jetzt da ich weiß, was wirklich gewesen ist und wie lange er mich schon liebt, ist es mir halt umso wichtiger, ihm etwas ganz Besonderes zu schenken. Aber obwohl wir sechs Monate zusammen sind, erzählt er mir nicht sonderlich viel über sich.“

„Ja, er ist eben ziemlich verschlossen, was das betrifft.“

„Aber es ist nicht fair“, rief ich und schlug vor Wut mit der Faust auf den Tisch. Wieder war da diese boshafte Ex-Freundin namens Eifersucht da, die mir schadenfroh grinsend die nächsten Dinge ins Ohr flüsterte, die ich am besten gar nicht hören sollte. „Selbst seine Freunde scheinen mehr über ihn zu wissen als ich.“

„Das täuscht bloß“, versicherte Sunny, aber ich konnte ihm das nicht so wirklich glauben. Ich als derjenige, der mit Rion unter einem Dach lebte, ein Bett mit ihm teilte und mit ihm in einer Beziehung war, sollte verdammt noch mal auch derjenige sein, der all diese Dinge über ihn wusste und nicht so ein dahergelaufener Kerl, der wahrscheinlich schon seit Ewigkeiten nicht zu Besuch gekommen war. „Dass ich so einiges über Rion weiß, ist eigentlich nur wegen meiner Schwester.“

„Er und Isabelle haben sich wohl gut verstanden, oder?“

„Das kannst du laut sagen.“ Sunny gab noch etwas Zucker in seinen Cappuccino und trank einen Schluck. „Sie ist damals einfach auf ihn zugegangen und hat ihm angeboten, dass er mit ihr reden könne, wenn ihn so viel bekümmern würde und er niemanden zum reden hätte. Sie hatte diesen ganz besonderen Draht zu ihm, als wäre sie eine Art Schwester für ihn. Da hatte er sich zum allerersten Mal geöffnet und da ich ja immer mit von der Partie war, weiß ich halt so einiges über ihn. Und ich bin halt ziemlich froh, dass er jetzt jemanden hat. Ich hab ehrlich gesagt schon befürchtet, dass er irgendwann noch völlig vereinsamt vor die Hunde geht. Immerhin hat er ja sonst keine wirklichen Freunde.“

Das mochte wohl so sein, aber trotzdem war ich nicht sonderlich zufrieden mit der Situation. Was musste ich denn tun, damit Rion sich mir genauso öffnete wie er es bei Isabelle getan hatte? Es hinterließ halt diesen bitteren Beigeschmack, dass Isabelle bei ihm einen höheren Status hatte als ich. Vielleicht war ich auch zu selbstsüchtig, aber eigentlich sollte ich doch die wichtigste Person für Rion sein.

„Sag mal Fay, was genau liebst du an Rion?“

Diese Frage kam jetzt ein bisschen überraschend und ehrlich gesagt wusste ich auch nicht direkt eine Antwort darauf. Für gewöhnlich fand ich immer genügend Gründe, über ihn zu meckern, weil er immer seinen eigenen Kopf durchsetzen musste. Aber es gab durchaus die einen oder anderen Dinge, die dazu beigetragen hatten, diese ganzen anderen Dinge zu vergessen, die mich ansonsten über ihn aufregten.

„Na er ist halt immer mit Leidenschaft dabei, wenn er seine Fotos macht und er kann da auch so einfühlsam sein und dennoch dominant sein. Außerdem ist er sehr bodenständig. Obwohl er Kohle hat, ist ihm seine Arbeit wichtig und er bleibt eigentlich recht bescheiden und er ist auch nicht so abgehoben wie so manch andere. Außerdem macht er sich auch wirklich Gedanken um andere. Insbesondere als meine Schwester ihm erzählt hat, dass sie Model werden will. Da hat er ihr auch die Schattenseiten des Modellebens gezeigt und ihr ans Herz gelegt, ihre Pläne zu überdenken. Damals, als ich ihn noch für einen arroganten Blödmann hielt, hat mich das schon ziemlich beeindruckt.“

Sunny schmunzelte und sah so aus, als hätte er sich so etwas in der Art bereits gedacht.

„Du scheinst ihn wirklich zu lieben, oder?“

Ja und vor allem genug, um nicht zuzulassen, dass sich irgendjemand zwischen uns drängte. Das hätte ich ihm am liebsten gesagt, aber ich verkniff es mir, denn ich wusste, dass es nur nachher Stress mit Rion geben würde. Naja, einen Lichtblick gab es ja: die nächsten Tage würde Sunny im Hotel übernachten und das hieß: ich hatte Rion dann auch die meiste Zeit für mich alleine. Das war doch zumindest ein Lichtblick.
 

Am späten Nachmittag kam Rion wieder zurück, nachdem er seinen Termin abgearbeitet hatte. Er schien dieses Mal bessere Laune als gestern zu haben und hatte sogar genug Energie und Laune zum Kochen. Nun gut, er war zwar kein Fünfsternekoch, aber er wusste, was schmeckte. Es hab eine italienische Pasta und wir saßen dann gemeinsam am Tisch und meine Laune befand sich wie auf einem Schiff bei starkem Wellengang. Warum? Na ganz einfach deshalb, weil Sunny sich so viel mit Rion unterhielt und die beiden mal wieder unter sich waren. Ich versuchte ruhig zu bleiben und die Stimme der Eifersucht in meinem Kopf zu ignorieren. Immerhin war Sunny ein Gast und Rions Freund. Warum sollte er da nicht mit ihm reden dürfen? Außerdem würde der Kerl bald eh ins Hotel verschwinden. Da brauchte ich mich dann auch nicht mehr so aufzuregen. Doch diese Hoffnung sollte sich schnell wieder in Luft auflösen, als Rion doch tatsächlich verkündete, Sunny könne gerne hier bei ihm im Haus schlafen. Er hätte sogar schon das Gästezimmer vorbereitet.

In diesem Moment fragte ich mich nur: warum? Wieso nur behielt er diesen Kerl im Haus, wenn er doch wusste, dass ich eifersüchtig war? Am liebsten hätte ich Rion in diesem Moment wirklich eine Szene gemacht, doch ich entschied mich doch lieber dafür zu gehen. Ich ging rauf in mein Zimmer, in welches ich mich zurückziehen konnte und wo auch meine Staffelei und meine ganzen anderen Kunstutensilien standen. Ich setzte mich auf den Hocker, begann die Ölfarbe vorzubereiten und malte an meinem Bild zum Thema Surrealismus weiter. Ich hab keine Ahnung, wie viel Zeit verging, bis sich die Tür öffnete und Rion hereinkam.

„Fayette, was ist denn schon wieder los mit dir?“

„Das fragst du echt noch?“ rief ich wütend. „War denn nicht abgesprochen gewesen, dass er ins Hotel geht? Wieso bleibt er hier?“

„Er ist ein guter Freund von mir. Seth würdest du dasselbe anbieten und mach ich dir dann so eine Szene?“

Nein, da hatte er leider Recht, aber ich hatte nun mal ein Problem damit, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. So war ich eben halt, da konnte ich nichts dagegen machen. Ich hasste es ja selbst, so eifersüchtig zu sein, aber Rion machte es mir leider auch nicht allzu einfach.

„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie ich mich fühle?“ Ohne es zu wollen, waren mir die Tränen gekommen, als ich ihn das fragte. „Dieser Sunny weiß mehr über dich als ich, obwohl wir beide schon seit sechs Monaten zusammen sind. Und auch diese Isabelle wusste mehr als ich. Weißt du eigentlich, was das für ein beschissenes Gefühl ist? Dass du ein verschlossener Typ bist, weiß ich, aber wir sind zusammen. Wir wohnen zusammen, wir arbeiten manchmal zusammen, wir schlafen miteinander und trotzdem erzählst du mir kaum was über dich. Was bin ich denn für dich? Spiel ich hier nur die zweite Geige? Du weißt genau, wie eifersüchtig und neidisch ich auf ihn bin, trotzdem übergehst du mich einfach und beschließt, dass ich ihn betreuen darf.“

„Ich habe das doch nur gemacht, damit ihr euch besser kennen lernt“, versuchte er zu erklären. „Außerdem hatte Sunny den Wunsch geäußert, dich besser kennen zu lernen, weil er dich sympathisch findet. Ja ich gebe zu, dass das trotzdem nicht in Ordnung von mir war, aber ich mache das doch nicht, weil ich dir irgendetwas Böses will, Fayette. Ich will doch nur, dass ihr zwei euch versteht. Sunny ist der einzige richtige Freund, den ich noch habe und du bist meine große Liebe.“

Mit der großen Liebe hatte er mich. Wie konnte ich da noch länger böse auf ihn sein, wenn er so etwas sagte? Ach verdammt, er wusste eben genau, welche Knöpfe er bei mir zu drücken hatte. Und so konnte ich auch nicht anders, als ihn zu umarmen und ihn zu küssen. Zugegeben, ein kleines bisschen schwindelig wurde mir immer noch, wenn wir uns küssten, aber ich war schon seit vier Monaten kein einziges Mal mehr ohnmächtig geworden. Und das war ein enormer Fortschritt.

„Sei ehrlich“, sagte ich und sah in seine eisblauen Augen. „Was muss ich tun, damit du dich mir gegenüber genauso öffnest wie bei Isabelle? Wir beide sind ein Paar, da sollte ich doch derjenige sein, der all deine Geheimnisse, Vorlieben und Abneigungen kennen sollte.“

„Es ist halt schwer für mich“, gestand er und drückte mich fest an sich. So in seinen Armen zu liegen, ließ mich für einen Moment all die Sorgen und Probleme vergessen und ich fühlte mich einfach nur geborgen in seiner Umarmung. „Es mag ja sein, dass ich Isabelle viel erzählt habe, aber… sie ist eben tot, genauso wie fast alle anderen, die mir etwas bedeuten. Tief in mir ist eben diese Angst, dass ich dich auch verlieren könnte. Das mag zwar vollkommen abstrus in deinen Ohren sein, aber es fällt mir eben schwer, mich ganz auf andere einzulassen. Und in einer richtigen Beziehung zu sein, ist für mich auch recht ungewohnt. Deswegen wollte ich ja auch, dass du bei mir einziehst: weil ich auch selber erkannt habe, dass ich mein Verhalten ändern muss. Ich dachte halt, es wäre momentan alles so in Ordnung wie es ist, aber das ist es offenbar nicht. Hör mal, ich mach dir einen Vorschlag: das Streitthema Sunny ist beendet und ich erzähle dir eben alles, was du über mich wissen willst, wenn dich das glücklicher macht. Ist das ein Deal?“

Erleichtert darüber willigte ich ein und so hoffte ich auch, dass endlich diese verdammte Eifersucht ein Ende finden würde. Ich hatte ja auch keine Lust, bis zu Weihnachten schlechte Stimmung zu verbreiten. Das würde keinen von uns wirklich glücklich machen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  mor
2016-01-04T18:12:53+00:00 04.01.2016 19:12
vieleicht sollte Fayette zu Weihnachten für seinen Rion ein Bild malen.
Von:  San-Jul
2016-01-04T09:36:52+00:00 04.01.2016 10:36
Naww,
Fayette ist einfach zu süß, auch wenn er sehr eifersüchtig ist.
Hoffentlich klärt sich das bald, weil ich finde, das es bisher nicht so sehr dannach aussieht, obwohl von Rion´s Seite vielleicht schon;)
Ganz liebe Grüße
San-Jul<3


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