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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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24. Türchen: Christkind

Schon um sieben Uhr morgens herrscht hektisches Treiben vor der Uni-Klinik. Ich traue mich fast nicht, aus dem Taxi auszusteigen. Der Fahrer wundert sich schon, was da los ist. Ich zahle ihm ein großzügiges Trinkgeld, weil er sich wirklich beeilt hat, trotz des Schnees.
 

Ich kämpfe meinen Weg durch das Blitzlichtgewitter frei vom Taxi bis zur Eingang der Klinik, doch sie machen sich über mich her wie ein Rudel Hyänen und wollen mich nicht passieren lassen, ehe ich den Mund aufmache, aber da können sie lange warten.
 

„Dr. Maier, hätten Sie…“ – „Exklusiv-Foto!!! Wir zahlen das Dreifache!!!“ – „…den Nobelpreis bekommen?“ „… wie ist die Geburt verlaufen? Gab es Komplikationen?“

„Werden Männer ab dem heutigen Tag überflüssig, Dr. Maier?“
 

Alle quasseln durcheinander und halten mir ihre Mikrofone ins Gesicht. Deutschlands auflagenstärkste Tageszeitung an vorderster Front, war ja klar… Ich sehe schon die Schlagzeilen bildlich vor mir, in denen ich als Radikalemanze betitelt werde und sich über meine Arbeit das Maul zerrissen wird. Ob wir das Land verlassen müssen?
 

„Lassen Sie mich durch!“, brülle ich.

Ich werde kein Wort mit ihnen wechseln. Nicht, ehe ich nicht meine Tochter zu allerersten Mal in den Armen gehalten habe, mein eigen Fleisch und Blut. Die schon ein Star war, bevor sie überhaupt zur Welt gekommen ist. Mir wäre lieber, wenn diese monatelange mediale Schlammschlacht mit diesem Tag ihr Ende findet, damit sie in Ruhe aufwachsen kann. Das ist alles was ich mir wünsche. Natürlich muss sie wohl noch ihr Leben lang Untersuchungen über sich entgehen lassen, aber das ist eine andere Geschichte…
 

Durch die Security kann ich sie abschütteln. Und laufe atemlos ich durch die Gänge, suche die richtige Station. Mein Herz droht zu zerspringen, als ich besagte Tür erreiche.

Meine Finger berühren die Klinke, und ich hole tief Luft, bereite mich mental auf ein Gefühlschaos vor. Denn wenn ich durch diese Tür getreten bin, werde ich nicht mehr dieselbe sein, das weiß ich.
 

Als ich das Zimmer betrete, drehen zwei Frauen die Köpfe zu mir um. Meine Schwiegermutter und meine Schwägerin. Ihnen gegenüber am Bett sitzen mein Schwiegervater und mein Schwager. Und zwischen ihnen allen, aufrecht im Bett sitzend, erblicke ich das wunderschönste Geschöpf auf Erden: Linda, meine Frau und Gefährtin.

Sie hebt den Kopf und strahlt mich an. In ihren Armen ein weißes Bündel, wo man gar nichts erkennt.
 

„Ute!“, ruft meine Schwiegermutter und heute ist mal gar kein Tadel in ihrer Stimme. Sie strahlt bis über beide Ohren, weil sie jetzt Oma ist. Keine Spur davon, dass sie mich noch vor einem Jahr ignoriert und verleugnet hat, und ihre Tochter dreist nach einem Freund fragte, obwohl ich mit ihr verheiratet bin!

Noch auf der Türschwelle kommen mir die Tränen. Fast stolpere ich über den kleinen Plastiktannenbaum, den irgendjemand in der Ecke aufgestellt hat.
 

„Endlich.“ Linda umarmt mich, küsst mich. Ihre Wangen glühen. Ihr Gesicht wirkt so jungendlich und so zerbrechlich wie das einer Porzellanpuppe. Kaum zu glauben, dass sie die Strapazen der Geburt erst wenige Stunden hinter sich hat.

Ich schließe endlich, endlich meine schlafende Tochter in die Arme. Atme ihren Duft. Fühle den Flaum auf ihrem winzigen Kopf und ihre keinen Tag alte Haut. Von dem, was ich da gerade wirklich und tatsächlich in der Hand halte, bin ich nahezu erschüttert. Denn mehr als zwanzig Jahre lang lebte ich in der Gewissheit, nie und nimmer Mutter zu werden, während ich anderen Frauen ihren Kinderwunsch erfüllte. Und hier und heute halte ich dieses Leben wahrhaftig in der Hand…

Habe ich nun also doch noch die mir von Geburt an zugewiesene Rolle erfüllt, und zwar ganz auf meine Art…
 

Es werden Belanglosigkeiten ausgetauscht. Darüber, wie kräftig und gesund das Kind ist, geredet. Darüber gescherzt, wem sie mehr ähnelt. Ich höre kaum zu. Ich staune bloß über dieses neue Leben. Und darüber, dass es mich ebenso ergreift wie alle anderen im Raum.
 

Sie ist nicht nur ein Mädchen, sondern ein Meilenstein der Forschung. Gleichzeitig ein Bruch des heiligsten aller Tabus, das tief verborgen in den Köpfen der Menschen schlummert.
 

Das Baby ohne Vater.
 

Doch ohne Vaterschaftsstreitereien. Ohne Gequengel, wenn sie größer ist, dass sie ihren Samenspender kennen lernen will. Denn es gibt keinen. Ich bin ihr Vater und gleichzeitig ihre Mutter. Ebenso wie ich die Leiterin dieses Forschungsprojekts in der Reproduktionsmedizin bin. Eigentlich waren ursprünglich andere Frauen dafür eingeplant gewesen. Da das Projekt jedoch mehrmals fehlschlug, hatte Linda sich selbst vorgeschlagen – niemals hätte ich sie darum gebeten; ihr diese Last aufgebürdet.
 

In einem komplizierten, kostspieligen Verfahren war es gelungen, unsere beiden Eizellen zu verschmelzen. Die Zellteilung fand statt, das Glück war auf unserer Seite gewesen und die Zellen konnten Linda eingepflanzt werden. Nur Mädchen können so entstehen. Doch Mädchen hin oder her, sie ist ein Kind der Liebe.
 

„Wir lassen euch dann mal alleine.“ Der Vater verlässt als Erster den Raum, und die übrigen folgen, während sie mich nochmal beglückwünschen. Bis wir ganz alleine sind. Linda macht mir auf dem Bett Platz und ich lege mich neben sie.
 

„Und? Hat sich irgendeiner deiner Alpträume bewahrheitet?“ In den letzten Wochen war sie oft schweißgebadet aufgewacht. Manchmal erzählte sie mir die Träume, die sie hatte, manchmal nicht.

„Kein einziger.“

„Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir war, Herzchen.“

Sie lächelt gütig. „Am Ende war´s doch ein Kaiserschnitt. Ich habe nicht viel mitbekommen.“

„Trotzdem, es geht ums Prinzip. Ach, ich hätte erst gar nicht nach London fliegen sollen!“
 

Ich rege mich lieber nicht darüber auf, dass ich schon gestern Abend hätte zu Hause sein können. Wenn mein Flug aus London, wo ich auf einer Konferenz gewesen war, nicht wegen des Schneegestöbers abgesagt und ich notgedrungen den Fernbus hatte nehmen müssen. In dem ich eine unbequeme Nacht verbracht hatte, von der jetzt mein Nacken schmerzte. Diese Dinge passierten, so war eben das Leben. Aber nun war ich da, und ich war bei Linda und bei unserem Baby, einzig das zählte.
 

„Sie ist ein Christkind geworden“, sagt Linda und ich muss schmunzeln. „Armes Ding. Geburtstag und Weihnachten an einem Tag.“

„Stimmt. Sie hat es ziemlich eilig gehabt. Weißt du denn schon einen Namen?“

„Eva soll sie heißen. Es bedeutet: Das Leben. Und wenn ich sie so anschaue, dann kommt einfach kein anderer Name in Frage.“

„Ein schöner Name. Ich liebe dich, Schatz.“

„Ich liebe dich auch.“
 

~*~


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, Träume und Wünsche muss der Mensch haben, und seien sie noch so utopisch…

Liebe Leute, ich hoffe ihr hattet viel Spaß dabei, jeden Tag ein Türchen zu öffnen und euch überraschen zu lassen, was dahinter lauert.
War mag kann mir gern schreiben, welche Geschichte ihm am besten gefallen hat oder welches Paar ihn am meisten gerührt hat. Oder mir knallhart sagen, was scheiße war.

Ich bedanke mich mal für alle Favoriten, Empfehlungen und Kommentare, und wünsche euch ein schönes Weihnachten und erholsame Feiertage!

Bis bald,
Evilsmile
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