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24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

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12. Türchen: Vanillkipferl

Vanillkipferl sind meine Lieblingssorte von allen Weihnachtsplätzchen. Ich knete den Teig durch, mach ihn zu einer langen Rolle und zwacke davon immer wieder kleine Teile ab, die ich einzeln mit den Händen zu Kipferl forme.

Der Backofen ist bereits am Vorheizen. Die zwei Bleche lege ich mit Backpapier aus und platziere darauf liebevoll meine Kipferl. Nach dem Backen würden sie in Puderzucker gewälzt werden und nahezu himmlisch schmecken.

Nur ganze leise spielt das Radio, und ich drehe es lauter, denn das Rumoren des uralten Backofens gruselt mich, jedes Mal aufs neue.
 

Aus der Ferne vernehme ich das Knattern eines Motorrads, das näher kommt und hier am Haus verklingt. Mein Herz beginnt höher zu schlagen. Denn das Motorrad verbinde ich mit R. Schulz, der neue Name auf dem Klingelschild seit Oktober.

Wir sind uns einige Male im Treppenhaus begegnet. Zuerst dachte ich, gähn, noch so ein einfältiger Macho, wie er rumläuft mit seiner Stachelfrisur, fehlt nur noch, dass er einen blöden Spruch reißt, oder mir hinterher pfeift, nicht mal grün hinter den Ohren… Und dann habe ich genauer hingesehen. Und noch genauer. Und habe festgestellt, dass ich mich geirrt hatte – sie war nämlich eine Frau!
 

Merkwürdigerweise war, glaube ich, genau das der Moment, wo ich mich in sie verguckt hatte. In diese taffe Frau, bei der ich mir vorstelle, dass sie breitbeinig auf dem Friseurstuhl Platz nimmt und einen Herren-Haarschnitt fordert, dabei mit ihrem Blick verrät, dass sie ihren Stahlkappen-Stiefel in seinem Allerwertesten versenken würde, wenn der Friseur sich weigert.
 

Kann man verknallt sein und sich gleichzeitig vor ihr fürchten? Oder ist das schizophren? Das ist nämlich meine aktuelle Situation. Einerseits sehne ich mich schmerzlich danach, an ihren Rücken gekuschelt auf ihrem Motorrad davonzuknattern, andrerseits schrillen sämtliche Alarmglocken in mir, wenn mich ihre dolchscharfen grünen Augen im Treppenhaus ansehen…
 

Wenn sie in ihren Briefkasten schaut, wird sie gleich klingeln. Denn da liegt die Nachricht von der Post, dass ich ein Paket für sie angenommen habe, weil sie noch nicht zuhause war. Für Rebecca Schulz.
 

Während ich die Kipferl forme, überlege ich, wie ich subtil durchsickern lassen kann, dass ich an ihr interessiert bin, ohne dass es peinlich wird. Sie auf einen Kaffee einladen, meint eine Freundin von mir – aber das ist doch viel zu direkt! Total nicht meine Art, sowas kann ich einfach nicht. Was, wenn sie gar nichts von mir will?
 

Es klingelt! Gleichzeitig gibt es einen lauten Knall. Ich zucke zusammen. Dunkelgrauer Dampf steigt aus dem Backofen auf. Ich eile zum Fenster, reiße es auf. Sehe, wie die Backofentür wie grobkörniger Zucker zu Boden rieselt – zu tausend Scherben zerbröselt!

Heilige Scheiße!

Beide Hände halte ich an den Mund gepresst, starre wie hypnotisiert auf die Bescherung. Das ist doch nicht wirklich gerade passiert, oder?!
 

Es klingelt nochmal. Leben fährt in meinen Körper zurück und ich schalte endlich den Ofen ab. Dann mache ich auf dem Absatz kehrt und eile zur Tür. Hole vorher tief Luft und sammele allen Mut.
 

Sie ist es! Oh mein Gott. Breitbeinig steht sie in ihrer Motorradkluft auf meiner Türschwelle, den Helm unter den Arm geklemmt, ganz lässig. Einen Kopf größer ist sie als ich, hat ein Augenbrauen-Piercing. Und schwarze, zentimeterkurze Haare voller Gel. Ihre Augen blitzen mich böse von oben herab an. Ihr hartes Moschusparfüm mit einer leisen Zitrus-Note wabert in meine Nase und direkt in mein Herz… Ich muss zwei Atemzüge holen um mich zu fangen, es ist immer aufs Neue eine Wucht, ihr gegenüber zu stehen.
 

„Du hast ein Paket für mich angenommen“, beschuldigt sie mich und ich muss schlucken angesichts des harten Tonfalls.

„Ja. Einen Moment…“ Ich gehe zur Seite, um es zu holen. Tränen verschleiern mir die Sicht. Alles ist gelaufen. Keine Vanillkipferl dieses Jahr!
 

Ich kann ihr nicht in die Augen sehen und weiß nicht, was schlimmer ist; ihre Gefühlskälte oder dass mein Backofen kaputt ist – beides zusammen ist das der Tropfen, der das Fass buchstäblich zum Überlaufen bringt. Ich bekomme einen regelrechten Heulkrampf, als sie das Paket nimmt. Rotz läuft mir aus der Nase.
 

„Alles okay?“, erkundigt sie sich. Ich schüttele den Kopf, kann aber auch nichts sagen, weil ich zu heftig schluchze.

Sie handelt. Indem sie Paket und Helm ablegt und mich umarmt. Meine Knie werden weich wie Pudding in ihren starken Armen.
 

„Schhh“, sagt Rebecca nah an meinem Ohr, und nun klingt sie nicht mehr so, als ob sie mich schlachten will. Sie klopft mir immer wieder beruhigend auf den Rücken. Wahnsinn, wie weich sie ist und wie zart ihre Finger, die sich in meinen Locken verfangen. „Jetzt beruhig dich doch erst mal. Was ist denn los?“
 

Was los ist? Ich werde nächstes Jahr Dreißig. Hab noch nichts erreicht, auf das ich stolz sein kann. Ich werde meine Eltern um Geld für eine Backofen-Reparatur anbetteln müssen. Meine ganze Woche war scheiße. Und ich blamiere mich hier vor ihr zu Tode… Nur das ist los.
 

„Mein Backofen“, sage ich. „Ist kaputt gegangen.“

„Dein Backofen?“, fragt sie nach. „Soll ich ihn mir mal anschauen? Ich bin Elektronikerin.“
 

Also führe ich sie in meine Küche, wo das Häufchen Elend auf dem Boden liegt, das vor fünf Minuten noch eine Backofentür gewesen war.

„Puhh, das ist mal ein ordentlicher Sprung, sowas habe ich ja noch nie gesehen“, sagt sie, kniet sich hin und schaut sich die Fassung und die Röhre an. Die Vanillkipferl liegen noch roh auf den Blechen, Reste des Teiges auf der Arbeitsfläche. Sie beachtet all das nicht, ist ganz in ihrem Element.
 

„Schätze mal, es wird dich billiger kommen, einen neuen Ofen zu besorgen.“

Super. „Und die Plätzchen? Die kann ich nicht so lange aufheben.“ Ich deute auf die Bleche.

„Back sie oben bei mir.“
 

Wir fahren mit dem Fahrstuhl zwei Etagen nach oben, während mein Herz immer schneller schlägt. Ich mache mich viel zu verrückt – das ist Wahnsinn! Falls sie mir einen Korb gibt, dann sehe ich mein Herz schon genauso zerspringen wie die Glastür.

Sie trägt das Paket und ihren Helm in die Wohnung, und ich meine zwei Bleche, den Teig, etwas Mehl und Puderzucker. Ihre Wohnung sieht viel heimischer aus als ich es mir ausgemalt hatte, hell und freundlich eingerichtet mit abstrakten Gemälden. Sie überlässt mir die Küche, mit den Worten, mich dort auszubreiten wie es mir beliebt, weil Kochen und Backen eh nicht ihr Ding ist. Während sie sich umziehen geht.
 

Zehn Minuten später sind die Vanillkipferl im Ofen und köstlicher Duft breitet sich aus. Ich lehne an der Arbeitsfläche gegenüber dem Ofen. Rebecca gesellt sich zu mir in Jeans, einem schwarzen Kapuzenpullover und…riesigen Eulen-Plüschpantoffeln.
 

Ihr Arm berührt meinen; sie ist mir so nah wie nie zuvor. Ihre Augen sind jetzt so weich und freundlich und fixieren meine, während ich halb zerfließe. Jetzt lacht sie, und ihr Lachen ist so schön und weiblich, und steht ihr.

„Da grübel ich wochenlang, wie ich dich ansprechen könnte, und jetzt stehst du in meiner Küche“, sagt Rebecca. „Magst du ein Bier, Silke?“

„Gern.“ Mein Kopf legt sich wie von selbst auf ihrer Schulter ab.



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