Zum Inhalt der Seite

24 Farben der Liebe

Adventskalender 2015
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

8. Türchen: SgwdT

Sie war hübsch. Ich nippte an meiner zweiten Tasse Kakao. Ja, verdammt hübsch auf eine unscheinbare Art. Und ein Modell, das sich gut zum Üben eignete. Mein Dozent hatte uns empfohlen, wo immer wir auch waren, Menschen abzuzeichnen bei allem, was sie taten. Und nun saß ich in einem vollen Café in der Innenstadt und zeichnete mit Bleistift auf meinen billigen Skizzenblock diese Frau, die an einem Tisch am Fenster saß, die Passanten beobachtete, die ihre Weihnachtseinkäufe in der geschmückten Fußgängerzone erledigten, und sich dabei unbeobachtet fühlte. Immer wieder schrieb sie dabei etwas in ein Buch, das vor ihr auf dem Tisch lag. Ich schätzte sie auf Ende Dreißig oder Anfang Vierzig. Frauen zeichnete ich mit Vorliebe, schon seit ich einen Stift in der Hand halten konnte.
 

Sie trug eine hochgeschlossene schwarze Seidenbluse, die einen harten Kontrast zu ihrer elfenbeinfarbenen Haut bildete. Kräuselte ab und an ihre Lippen und schüttelte unmerklich den Kopf. Den Moment, als sie die Teetasse an ihre sinnlichen Lippen führte und dabei den Finger abspreizte, hatte ich nahezu perfekt eingefangen.

Aus ihrem hochgesteckten honigblonden Haar hatte sich eine Strähne gelöst, die ihr nun vor ihrer randlosen Brille baumelte, sie jedoch nicht zu stören schien. Sie blätterte eine Seite um und schrieb seelenruhig weiter.

Ich zeichnete auch diese verwegene Strähne in ihr Gesicht.

Wie wohl ihr Name lautete, das Zauberwort, das sie aufhorchen lassen und den Blick suchend im Raum umherwandern lassen würde, nach der Person, die ihn ausgesprochen hatte?
 

Plötzlich klappte sie das Buch zu und legte es auf den Stuhl. Dann erhob sie sich und ging wohl zur Toilette. Ich schraffierte ihre Schatten und zeichnete noch zwei andere Leute im Café, und trank meine Tasse aus. Doch sie kam nicht wieder, schien wohl schon bezahlt zu haben und gegangen zu sein.
 

Ich zahlte und erkundigte mich beim Cafébesitzer nach ihr. Erfuhr, dass sie regelmäßig herkam und etwa eine Stunde blieb.

Im Gehen nahm ich unauffällig ihr in schwarzes Leder gebundenes Buch vom Stuhl und packte es in meine Umhängetasche. Ich klaute es nicht, ich rettete es.
 

Draußen schaute ich neugierig hinein. Gleich auf der ersten Seite prangte ein Stempel mit einer Adresse, darüber in feinsäuberlicher Handschrift: „Dieses Büchlein ist mein Leben! Bei Verlust bitte ich, es unfrei an folgende Adresse zu schicken“ Susanne. Ihr Name lautete Susanne. Und die Adresse lag nur einige Straßen vom Café entfernt. Vielleicht war sie jetzt sogar zuhause?
 

Um das Buch nicht durchzublättern, war meine Neugier viel zu groß… „S… g... w, d, T“, entzifferte ich mühsam das einsam dastehende Wort auf der dritten Seite. SgwdT? Was war das denn? Ein Kürzel für irgendwas?

Die unbedruckten Blanko-Seiten waren bis zur Hälfte beschrieben, mit Kugelschreiber. Und es herrschte das Chaos. Kreuz und quer waren Passagen geschrieben in mickriger, unleserlicher Schrift; dazu Pfeile, Wellen- und Zickzacklinien und komplett durchgestrichene oder eingekastelte Absätze. Das @-Zeichen hier und dort, eingekringelte Zahlen.

Konnte die Schreiberin selbst darin noch etwas erkennen? Das einzige, was mir regelrecht ins Auge sprang war das unterstrichene Wort ‚Emma‘ hier und dort. Und ‚Carina‘. Emma und Carina - wie die Protagonisten aus dem erfolgreichen Erotikroman? Bloß ein Zufall? Oder hielt ich tatsächlich das Manuskript meines Lieblingsbuches in Händen?!
 

Ich beeilte mich, zu ihrem Haus zu kommen und dort zu klingeln. Tatsächlich stand der Name auf der Türklingel.

„Ja?“, ertönte eine Frauenstimme aus dem Sprecher.

„Äh, hallo, mein Name ist Carina Schneider“, sagte ich und meine Stimme überschlug sich. „Ich habe Ihr Notizbuch gefunden, das Sie im Café haben liegen lassen. Soll ich es in Ihren Briefkasten legen?“

Pause. Dann:

„Kommen Sie hoch. Dritter Stock.“ Der Summer ertönte, und ich beeilte mich einzutreten und dann die Treppen hochzugehen. Mein Herz raste von der ungewohnten sportlichen Aktivität.
 

Da stand sie im Türrahmen – mit ihrer Hochsteckfrisur, noch immer die Seidenbluse von vorhin an. Lippenstift hatte sie nun aufgetragen, das dunkelste Rot, das noch als Rot durchgehen durfte. Die Lieblingsfarbe der Emma von Wolfspelz, die Adlige mit der sadistischen Ader. In die sich die Fotographie-Studentin Carina unsterblich verliebte… Die Bücher standen seit Wochen auf den Bestsellerlisten und in meinem Regal, der letzte Band würde im Frühjahr rauskommen, ich war schon gespannt auf das Finale. Doch ich hatte noch nie ein Foto der Autorin gesehen...
 

„Hier, bitte sehr.“ Das Buch hielt ich ihr hin, sie nahm es, blätterte auf die Seite, in dem das Lesezeichen steckte und nickte. Im Hintergrund hörte ich Sittiche zwitschern.

„Vielen Dank! Ich habe es schon vermisst. Sonst passiert es mir nie, dass ich es aus der Hand lege. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Tee, Kaffee, Cola, Bier?“

„Nichts von alldem, ich hätte einfach nur gerne ein Autogramm von Ihnen“, gab ich zurück und sie hob die Brauen.

„SgwdT – das steht doch für ‚So grün wie der Teufel‘, nicht wahr?“, konfrontierte ich sie mit ihrem Buch. „Haben Sie die Bücher geschrieben?“

„Richtig“, antwortete sie mit einem dezenten Lächeln. „Und zwar unter dem Pseudonym…“

„Madeleine Stramm“, ergänzte ich. „Ich habe Ihre Romane verschlungen, mehrmals. Ich habe noch nie so einen fesselnden Roman gelesen und…“
 

Oh Mann, die Zweideutigkeit meiner Worte wurde mir erst jetzt bewusst. Ich errötete, während Susannes Grinsen breiter wurde.

„Jedenfalls, Emma und Carina sind einfach füreinander bestimmt!“

„Nun, mal sehen, was Emma davon hält – sie ist schließlich ein harter Kern, mit einer stacheligen Schale.“

Ich reichte ihr einen Kugelschreiber und schlug die Seite meines Skizzenblocks auf, wo ich sie gezeichnet hatte. „Bitte hier hin.“

„Das ist … bin das etwa ich?!“

„Ja. Ich studiere an der Kunsthochschule. Und zeichne oft und gerne Menschen. Und Sie saßen im Café und boten sich geradezu an…Verzeihen Sie, falls-“

Doch sie lachte. „Gute Arbeit. Vor allem, da ich überhaupt nichts bemerkt habe.“

„Sie waren wohl zu sehr ins Schreiben vertieft.“
 

Sie nahm den Stift und unterschrieb mit Madeleine Stramm, in derselben unentzifferbaren Kritzelschrift wie im Notizbuch.

„Vielen, vielen Dank!“ Ich konnte es kaum fassen, dass ich ihr leibhaftig gegenüberstand.
 

„Carina. Die Deadline rückt zwar immer näher, aber ich würd dich trotzdem gerne zum Essen einladen, Freitagabend um achtzehn Uhr. Im Domus“, sagte sie und es klang wie eine Drohung. Wie viel Emma wohl in Susanne schlummerte?

„Ich werde da sein!“, sagte ich mit heißen Ohren, und jetzt schon aufgeregt, was mich dort wohl erwarten würde. „Auf Wiedersehen!“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: Arcturus
2015-12-15T11:32:19+00:00 15.12.2015 12:32
Ich habe spontan einfach mal Türchen Nummer 8 geöffnet und Yay! ich hab Girls Love gefunden! ♥
 
Ich finde die Geschichte sympathisch. Netter Twist, dass die beiden Damen sich in den Romanfiguren spiegeln. :)
 
lG
NIX


Zurück