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Way to coldness

von

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Königsbürde(n)

Als junger Prinz war er voller Zuversicht in diesen Krieg gezogen. Zehn Jahre später kehrte er, beinahe gebrochen, als König zurück. So viel Tod, so viel Leid, so unendlich viel Verlust und Trauer. Aber wofür? Hatten sie wirklich all die Jahre gekämpft und so viel ertragen, um zu sehen, wie die Schwäche der Menschen siegt? Hatten seine Männer und allen voran sein Vater und König ihr Leben dafür gegeben, dass die Schwäche der Menschen dem Bösen eine erneute Chance gab sich zu erheben? Sauron war geschlagen. Fürwahr er hatte ihn mit eigenen Augen fallen sehen und doch blieb das Insignium seiner Macht bestehen. Isildur, der König von Gondor, hatte die Prüfung nicht bestanden. Selbstsüchtig und verblendet von den Verheißungen des Ringes hatte er ihn an sich genommen. Der Ring ward nicht zerstört, die Macht des dunklen Herrschers nicht gebrochen. Isildur hätte klüger sein müssen, sein Geist – wenngleich von den Schrecken des Krieges geschwächt – hätte stärker sein müssen. Es wäre seine Pflicht gewesen Sauron endgültig zu vernichten. Seine Pflicht gegenüber seinem Königreich, der Allianz und vor allem in Gedenken an all jene, welche diese grausame Schlacht nicht überlebt hatten.
 

Die ehemals hell wie die Sterne strahlenden Augen des jungen Königs waren dunkel, hoffnungslos und umgeben von einem unaussprechlichen, unvorstellbaren Mantel der Trauer, während er gerade mal ein Drittel seines ehemals so großen Heeres zurück in ihre Heimat führte. Außer dem stampfen der Pferdehufe und dem gelegentlichen klingen einer Rüstung herrschte absolute Stille in den Reihen der Soldaten. Der Krieg war vorbei, nun brach die längst überfällige Zeit an, um ihre Gefallenen zu trauern. Ihre Verwandten, ihre Freunde und allen voran ihr gewählter und geliebter König selbst.

Zu viele Jahre hatten sie auf dem Schlachtfeld verbracht. Kein verlassenes Seelenhaus, keinen Leichnam konnten sie zurück in ihre Heimat bringen, um ihn so zu bestatten, wie er es verdient hätte. Kein Grabmal würde errichtet werden, nur die Erinnerung selbst brachten sie aus Dagorlad zurück.
 

Unhörbar für seine Männer seufzte der Anführer gequält. Die Trauer und der Schmerz unterschieden nicht zwischen König und Soldat, sie alle mussten ihn ertragen, genauso wie die Bilder der Schlacht sie noch für viele Jahrhunderte – bei einzelnen auch Jahrtausende – in den Schaf begleiten würden. Eines Tages würde der Vorhang, der Schleier der Trauer sich so weit gelichtet haben, dass die Namen der Gefallenen ausgesprochen werden konnten, ohne Wunden zu öffnen und unendliche Schmerzen zu verursachen, aber dieser Tag lag noch in weiter Ferne. Der Tag an dem der Toten gedacht werden konnte und die Zurückgeblieben ein leichtes Lächeln auf den Lippen tragen würden, da sie zuerst der guten Taten und schönen Erlebnissen gedachten, anstatt sofort den Dolch des Verlustes zu spüren, würde kommen. Aber noch war die Trauer zu nahe, der Verlust zu greifbar, der Schmerz zu echt und die Bilder zu real. „Ada.“ Eine einzelne Träne floss das makellose Gesicht des voranreitenden Sinda herab und er verstärkte seinen Griff in der Mähne seines Pferdes, als die grausamen Bilder der Erinnerung ihm den Atem raubten. Die Welt verschwamm vor seinen Augen und er hatte erneut das Gefühl zu fallen.
 

~ Schlachtfeld von Dagorlad~
 

Der junge Prinz blickte in die zuversichtliche und stolze Miene seines Vaters und spürte, wie die Erleichterung ihn durchfuhr. Thranduil wusste, dass es nur eine Maske war, die sein Vater trug, um seinen Männern Mut zu geben. Er selbst hatte von klein auf gelernt, dass absolut gar nichts auf dem Schlachtfeld gewiss war, aber die Maske seines Vaters zeigte Wirkung, selbst der Prinz nahm die Zuversicht, die sein Vater und König ausstrahlte voller Dankbarkeit tief in sein Herz auf und ließ sie von da aus seinen ganzen Körper durchströmen. Für den Augenblick glaubte er, den Lektionen seines Vaters zum Trotz, dass am Ende alles gut werden würde, dass ihnen der Sieg gewiss war. Er hatte sich nie in seinem Leben so sehr getäuscht und die Worte seines Vaters sollten sich bewahrheiten. Nichts war gewiss und der Feind nie berechenbar.
 

Aus der Ferne erklang der erste Signalton, zwei weitere sollten folgen, bevor Oropher sein Heer in den Angriff führen sollte. So war es mit dem Hochkönig abgesprochen, so würde der Plan funktionieren. Nervös strich der Prinz eine seiner silbernen Haarsträhnen aus dem Gesicht und zog sein zweites Schwert, als der nächste Signalruf über die Ebene schallte. Nur noch wenige Sekunden, eine Minute vielleicht, dann würde die besser bewaffnete und stärker gepanzerte Armee unter der Führung von Gil-Galad über ihre rechte Flanke angreifen, dann hätten die Horden Saurons den Köder geschluckt. Sie sollten denken, sie hätten leichtes Spiel. Die leichter bewaffnete Armee des Waldlandreiches sollte Sauron provozieren, ihn aus der Reserve locken. Die größere Macht des Bündnisses hatten sie vor dem Blick des dunklen Herrschers verborgen, aber er würde sie kennen lernen und dann würde er untergehen.
 

Ein kurzer scharfer Atemzug ließ den Prinzen wieder zurück in die Realität kommen. Sie standen vor einer Schlacht, es war mehr als nur zu früh, um von ihrem Sieg zu träumen. Irritiert musterte er die Silhouette seines Vaters, nach außen hin wirkte er ruhig und unbezwingbar, wie ein Fels in der Brandung, aber der Ausdruck des nackten Grauens in seinen Augen ließ den Prinzen erschaudern. Was löste solche Panik in dem Krieger aus, den Thranduil in seinem ganzen Leben noch nie auch nur eingeschüchtert gesehen hatte? Voller Unruhe ließ er seinen Blick über die näher kommende Orkmeute streifen und erstarrte dann in all seinem Sein. Das konnte, das durfte einfach nicht sein!
 

Natürlich waren sie sich alle darüber bewusst gewesen in welche Bedrängnis das letzte Bündnis, ihre Allianz, den dunklen Herrscher stürzen würde und doch hatte niemand von ihnen das erwartet, was sich gerade vor den Augen der Waldelben abspielte. Verzweifelt und mit schreckgeweiteten Augen starrte der blonde Prinz auf das Wesen, welches nun durch die Reihen der Orks trat, um diese in den Angriff zu führen. Natürlich hatten sie über die Ùlairi gesprochen, aber nicht einen Gedanken hatte sie darauf verschwendet, dass Sauron sie so früh rufen würde. Niemand hatte die unwahrscheinliche Möglichkeit in Betracht gezogen, dass er seine Armee von ihnen würde führen lassen. Die Anführer des Bündnisses waren sich einig gewesen, dass Sauron sich seiner tödlichsten Waffe erst dann bedienen würde, wenn er keine andere Wahl mehr haben würde und genau darauf waren sie auch vorbereitet gewesen. Allerdings nicht darauf ihnen jetzt schon entgegen trete zu müssen und doch waren die Schatten hier auf dem Schlachtfeld. Vier von neun führten nun das Heer von Orks auf die nur leicht gepanzerte Armee des Waldelbenkönigs zu, aber auch wenn sie besser gepanzert gewesen wären, so hätten sie verloren. Kein Elb vermochte es einen Ringgeist zu töten.

Noch immer starrte Thranduil, wie versteinert, auf die vier Ùlairi, als das nervöse Flüstern des Heeres wahrnahm. Der dritte Hornstoß war noch immer nicht erklungen, sie standen dem dunkelsten aller Schatten allein gegenüber. Auch Oropher hatte sich nicht ein Stück bewegt, seit er den Hexenkönig erblickt hatte, nun hob er langsam eine Hand, brachte seine Männer zur Ruhe und die Aufmerksamkeit seines Sohnes wieder auf ihn. Noch immer strahlte der Sinda für seine Männer nichts anderes, als absolute Selbstsicherheit aus, noch einmal gab er ihnen das Gefühl, dass ihnen nichts geschehen würde, solange er zwischen ihnen und den Dienern Saurons stand. Einzig und allein sein Sohn war nun in der Lage seine Maske zu durchschauen und was Thranduil sah gefiel ihm ganz und gar nicht. Orophers Geist war von Zweifel und Unsicherheit durchdrungen, während seine Augen beinahe schon panisch nach einem Ausweg suchten.

Würde er sein Heer noch länger hier verweilen lassen, wären sie verloren, abgeschnitten von den anderen Einheiten des Bündnisses. Dem todbringenden Schwert der Nazgùl ausgeliefert und verloren, lange bevor auch nur ein Krieger Gil-Galads zu ihren durchgedrungen wäre. Noch einmal blickte der König den Berghang hinauf, dann wandte er sich an seinen Sohn. Thranduil hatte verstanden, er hatte die Ausweglosigkeit ihrer Situation voll und ganz begriffen, während er sich beinahe schon flehentlich an seine Zwillingsschwerter klammerte. Jedoch loderte felsenfeste Entschlossenheit in seinen Seelenspiegeln, als er seinem Vater in die Augen sah und kaum merklich nickte. Sie mussten handeln, jetzt oder nie. Der König, der Prinz und mit größter Sicherheit auch Gil-Galad selbst wussten, dass es keinen anderen Ausweg mehr gab. Der Hexenkönig und sein Gefolge waren zu früh auf der Bildfläche erschienen. Die Adler würden zu spät kommen.

Kurz, beinahe schon zufällig und doch so voller Bedeutung berührte Oropher die Schulter seines Sohnes, dann befahl er seiner Armee den Angriff, ohne auf das vereinbarte Signal zu warten. Auch wenn die Chancen gering waren, so war der sofortige Angriff doch überhaupt die einzige Chance, die ihnen noch blieb.
 

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Thranduil seinen Vater aus dem Blick verloren hatte, allerdings hatte der Prinz auch keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen, auch wenn er es wie durch ein Wunder geschafft hatte bisher jedem Ùlairi aus dem Weg zu gehen, so waren auch die schier unerschöpflichen Massen von Orks mehr als genug, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Mit todbringender Präzision schwang er seine Zwillingsschwerter beinahe schon so, als wären sie eine Verlängerung seiner Arme. Eine Ausgeburt des Bösen nach der anderen fiel, jedoch schienen jedem gefallen Ork zehn weitere zu folgen. Noch immer war weit und breit nichts von der versprochenen Verstärkung zu sehen und allein der Gedanke daran, dass in ihrer Mitte vier der Schatten wüteten ließ Thranduil die Nackenhaare zu berge stehen.
 

Es war beinahe schon ein Blutrausch, eine einsetzende Monotonie darin immer und immer mehr Leben zu nehmen, während Elben doch eigentlich nichts mehr liebten als das Leben, jedoch war dies ein Schlachtfeld, das größte Schlachtfeld seit Melkors Zeiten, das Leben zu lieben hieß hier und jetzt nur noch sein eigenes mit allen Mitteln zu verteidigen. Es gab keine einzige Sekunde, um sich umzusehen, herauszufinden wo die Schatten lauerten, zu sehen, wie es dem Rest des Heeres erging, ob sein Vater noch am Leben war. Der Gedanke daran, dass er es nicht mehr sein könnte hätte den Prinzen beinahe zum Lachen gebracht, es war absurd auch nur daran zu denken, was passieren würde, sollte Oropher fallen. Nein, sein Vater konnte nicht sterben, wahrscheinlich steckte in dem blonden Elben eben manchmal doch noch mehr von einem Elbling, als er es jemals nach außen hin gezeigt hätte, denn eigentlich glaubten einzig und allein kleine Kinder wirklich noch daran, dass ihre Eltern unfehlbar und vor allem unsterblich waren. Gerade jetzt und hier sollte dem Prinzen klar sein, dass auch das eigentlich unterbliche Leben seines Vaters durch eine scharfe Klinge beendet werden konnte und doch war dies ein Gedanke, den er niemals als wirklich real möglich einstufen würde.

Aus weiter Ferne – so schien es dem Prinzen zumindest – erklang der dritte Hornstoß. Gil-Galad führte sein Heer also doch noch in den Kampf. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet Thranduil, dass sie es zumindest geschafft hatten sich aus der direkten Todeszone hinaus zu kämpfen, hätten sie allerdings wirklich bis jetzt gewartet, so wäre niemand mehr am Leben gewesen, der den Hochkönig hätte fragen können, wieso er so lange gezögert hatte, bevor er den Angriff befohlen hatte, nachdem doch auch er gesehen haben musste, dass die Waldelben sich den Ùlairi gegenüber fanden und keine Chance auf Rettung geblieben wäre, hätten sie noch länger verweilt. Ein markerschütternder Ton zu seiner Rechten ließ seine Aufmerksamkeit wieder auf das Kampfgeschehen zurückkommen. Noch nie in seinem Leben hatte er einen solchen Laut vernommen und sollte er ihn beschreiben so würde er nur erschaudernd sagen können, dass so wohl der Tod klingen müsse, nicht der sanfte Tod, den die Gerechten fanden, wenn sie der Welt schließlich müde waren, nein, dies war ein grausamer, schmerzhafter und niemals gerechter Tod, dessen war er sich sicher. Als er jedoch erblicken konnte, was oder besser gesagt wer diesen Ton erzeugt hatte war er unfähig sich zu rühren. Keinen Meter von ihm entfernt stand der Hexenkönig von Angmar, ein Elb nach dem anderen fiel seinem grausigen Morgenstern zum Opfer, niemand so schien es hatte auch nur den Hauch einer Chance gegen die Personifikation der Verderbtheit. Gerade noch rechtzeitig schaffte es der Prinz aus seiner Starre zu erwachen und dem Angriff zu entgehen. Sein Geist ward von purer Angst umnebelt, er wusste, dass er den Schatten nicht bekämpfen konnte, niemand konnte das, selbst der Balrogtöter hatte ihnen gesagt, dass ein Ùlairi nicht von eines Mannes Hand sterben konnte. Wenn selbst der glorreiche, aus den unsterblichen Landen zurückgekehrte Glorfindel sie nicht bezwingen konnte, wie sollte er, der Sohn des Oropher, dessen dann vermögen?
 

Die nächsten Sekunden schienen sich für Thranduil wie in Zeitlupe zu entfalten, obwohl sie doch für alle anderen so schnell vergingen, wie alle anderen Sekunden auch. Noch währen er einen Ork abwehrte konnte er spüren, wie ihn etwas aus dem Gleichgewicht brachte, er taumelte und stürzte schließlich, er war über einen Toten gefallen, ob Elb oder Ork vermochte er nicht zu sagen. Noch einmal Drang der Schrei des Hexenkönigs an sein Ohr, entriss ihm erneut die Fähigkeit zu denken, Angst lähmte seinen Körper, hielt ihn am Boden, bis der Schatten sich bedrohlich vor ihm aufgebaut hatte. Mit der Rechten hob er den Morgenstern, Thranduil schloss die Augen, aber der Schmerz blieb aus, stattdessen hörte er eine wohl vertraute Stimme schmerzverzerrt aufkeuchen, hörte ihn seinen Namen flüstern. „Thranduil ion-nin.“ Voller Schrecken riss der Prinz die Augen auf, gerade noch rechtzeitig war er in der Lage seinen Muskeln wieder Befehle zu geben, nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor der sterbende Körper seines Vaters auf dem Boden aufschlug konnte er ihn fangen. „Ada!“ Oropher begann zu schwinden, viel zu schnell, als das irgendetwas auf ganz Arda ihn hätte retten können. Von Krämpfen geschüttelt bäumte sich sein Körper noch ein letztes Mal in den Armen seines Sohnes auf, dann sank er zurück auf den blutdurchtränkten Boden. Seine Augen verloren ihren Glanz und seine Stimme versagte ihren Dienst, noch bevor er in der Lage war den Namen seines Sohnes noch einmal vollständig auszusprechen. „ADA!“ Der Schmerz schien Thranduil von innen heraus zu verbrennen, er schrie, immer und immer wieder, dann wurde er still, legte seinen Vater vorsichtig zu Boden und bettet seinen Kopf auf dessen vollkommen zerschlagenen Brustpanzer. Die Welt um ihn herum wurde schwarz und kalt, genau so, wie er sich den Ruf aus Mandos Hallen immer vorgestellt hatte. Er lebte dank dem Opfer seines Vaters, er war sogar unverletzt und dennoch begann er zu schwinden. Thranduil erlebte die Ankunft der Aller nicht mehr mit, zu sehr hatten ihn der Schmerz und der Verlust in ihrer Gewalt, genauso wenig, wie er bemerkte, dass sich die Horden Saurons zurückzogen, als ihnen bewusst wurde, dass sie nicht gewinnen konnten, wieder verschanzte sich der Feind hinter seinen riesigen schwarzen Toren, wieder ward ihnen die Möglichkeit genommen ihn endlich zu schlagen.
 

Vielleicht waren es Minuten, vielleicht aber waren es auch Stunden, bis jemand versuchte ihn aus dieser Position, aus der schützenden Umarmung um den Leichnam seines Vaters zu lösen, er wusste es nicht, er wollte es nicht wissen, einzig und allein, dass er Oropher nicht loslassen würde wusste er. Energisch und gewalttätiger, als er es hätte sein müssen wehrte er die Hände ab, welche sich auf seine Schultern legten, mehrmals wurde er losgelassen, dann packte ihn zwei Hände, welche weitaus fordernder waren, als es sich seine eigenen Soldaten je gewagt hätten. „Thranduil, kommt wieder zu Sinnen. Ihr könnt hier nicht bleiben. Ihr könnt ihm nicht mehr helfen, niemand kann das. Aber Euer Heer braucht Euch, egal wie schwer es ist.“ Die grauen Augen des Heilers waren von Trauer und aufrichtig gemeintem Mitleid umschattet. Lord Elrond hatte seinen Vater gekannt, er hatte ihn sogar gut gekannt und dennoch fühlte Thranduil sich allein, schrecklich allein und schrecklich leer. Es schien als sei der Schmerz gewichen und hätte dieser Leere Platz geschaffen, welche sich nun in ihm ausbreitete und ihn immer weiter, Schritt für Schritt auf die Hallen Mandos zutrieben. Willenlos ließ er es geschehen, dass zwei Soldaten den Leichnam seines Vaters auf eine Bahre legten und ihn zurück ins Lager trugen, ebenso willenlos ließ er sich schließlich von Elrond in eben dieses Lager führen.
 

~
 

Als die Realität sich der Sinne des Königs langsam wieder bemächtigte drangen längst vergessene Töne an seine Ohren. Ohne sein Zutun bildeten sich langsam und unaufhaltsam Tränen in seinen Augen, sodass der Wald direkt vor ihm zu verschwimmen begann. Der Eryn Lasgalen wirkte beinahe so, als wäre ihre Abwesenheit nur ein Traum gewesen, nicht schien sich in diesem uralten Wald verändert zu haben, alles war beim Alten. Erneut kämpfte Thranduil mit dem Drang, bei dem bloßen Gedanken daran den Wald seines Vaters zu betreten, zusammen zu zucken, dann ritt er für seine Soldaten scheinbar unbeeindruckt, wenn auch sehr still, weiter auf die ersten Baumreihen zu. Das leise Rascheln in den Baumkronen erstarb, als sie die ersten Stämme erreichten, so als hätte der Wald ihnen mitteilen wollen, dass sie noch immer willkommen waren und wäre nun in ihre Trauer eingefallen, nachdem gesagt worden war, was gesagt werden musste.
 

Es war still. Viel zu still für den sonst so sehr mit Leben gefüllten Wald um sie herum. Kein Wind ging durch die Blätter, kein Vogel sang und kein Tier brach durch das Unterholz. Der Wald schwieg, so als wäre es nicht Oropher, sondern der Wald selbst gewesen, welchen sie auf dem Dagorlad verloren hätten. Langsam, zögerlich begannen die Soldaten zu summen, immer wieder konnte Thranduil spüren, wie ihre Blicke zu ihm hinüber glitten, so als wollen sie sicher gehen, dass er ihnen nicht gleich den Kopf abschlagen wolle, weil sie es wagten die Stille zu durchbrechen und zu singen. Der Sinda jedoch überließ es seinem Pferd selbst den Weg durch den Wald zurück zu seinen Hallen zu finden, während er mit geschlossenen Augen auf die Melodie lauschte, welche seine treuen Soldaten angestimmt hatten. Erst leise und schließlich durch die mit einfallenden Stimmen seiner Männer bestärkt begann er selbst ein Lied zu singen. Voller Schmerz und Schwermut hallte der vielstimmige Gesang durch den stillen Hain, voller Trauer beklagten sie den Tod ihres Anführers, hinterfragten erneut die Entscheidungen des Hochkönigs, ohne jemals eine wirkliche Antwort zu erhalten und schließlich, kurz bevor sie auf die breite Straße einbogen, welche sie direkt ins Herz des Waldes, direkt nach Hause führen würde verstummte der Anführer, während seine Soldaten eine weitere Strophe in die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht zu singen begannen. Mit jedem Wort der neuen Hoffnung, mit jedem Wort der Zuversicht, dass er Thranduil, in die Fußstapfen seines Vaters würde treten können, dass er sie würde führen können, sank der Mut des jungen Sinda. Er fühlte sich schrecklich verloren und allein. Sein Vater war so ein großer Elb gewesen, seine Taten so bedeutend für jene die ihm folgten und auch wenn Thranduil es niemals zugeben würde, so hatte er Angst. Natürlich hatte sein Vater ihn darauf vorbereitet eines Tages die Führung zu übernehmen und doch fühlte er nun, dass er dazu noch nicht bereit war. Die Krone seines Vaters war so groß und schwer, dass er mit all seinem Sein fürchtete sie nicht tragen zu können, ohne das ihr Gewicht ihn in die Knie zwingen würde.
 

Gerade als die erneute Dunkelheit seines Geistes ihn mit sich in die Tiefe ziehen wollte wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Umgebung gelenkt. Urplötzlich war der Gesang verstummt und die plötzliche Stille wirkte beinahe schon unnatürlich, bis die Erkenntnis in seinen Geist vordrang, dass es nicht nur der Gesang war, welcher verstummt war, auch die Hufschläge der Pferde waren erstorben. Erst jetzt begriff er, dass auch sein eigenes Pferd sich nicht mehr bewegte, obwohl er ihm kein Signal zum Anhalten gegeben hatte. Irritiert blickte er auf und wäre in seinem Erstaunen beinahe aus dem Gleichgewicht gekommen, welches ihn im Sattel hielt. Direkt vor ihnen in der Mitte des breiten Hauptweges stand er. Wie in Trance schwang er sich von seinem Hengst und bewegte sich langsam auf ihn zu, während seine Soldaten versuchten ihre Augen vor dem gleißend weißen Licht zu schützen, welches ihn umgab. Seine dunklen, weisen Seelenspiegel schienen durch den Sinda hindurch, direkt in sein aufgewühltes Herz zu blicken, während nicht eine Muskel seines Körpers verriet, dass er darauf reagierte, dass Thranduil in seine Richtung kam. Nur wenige Schritte von dem weißen Hirsch entfernt ließ der Prinz sich auf die Knie sinken und senkte demütig den Kopf. „Aran en eryn.“ Zu seinem eigenen Erstaunen war seine Stimme nicht mehr als ein heiseres Flüstern, als das majestätische Lebewesen langsam die Distanz zwischen ihnen überbrückte und mit der Schnauze die Wange des knienden berührte. Sanfte Wogen der Liebe, der Zuversicht und des Vertrauens glitten durch seinen Körper und das erste Mal, seit er seinen toten Vater in den Armen gehalten hatte, lächelte Thranduil, wenn auch nur sehr schwach. Beinahe schon flehentlich blickte er auf, als der Hirsch ihre körperliche Verbindung löste und damit auch die Welle an Zuversicht zu verebben schien. Leicht schüttelte der heilige Hirsch den Kopf und fixierte einen langen Moment einen Punkt zwischen den dunkler werdenden Bäumen. Ein zweiter Hirsch trat zwischen den Buchen hervor und gesellte sich zum König des Waldes und dem Elb, welcher noch immer vor dem Hirsch kniete. Der zweite Hirsch war ein wenig größer als der heilige Hirsch, auch sein Geweih ähnelte eher dem eines Elches und sein Fell war braun. In seinen dunklen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Entschlossenheit, Mut, Stolz und Liebe, als er auf den Sinda hinabblickte. Kurz berührte auch er Thranduils Wange mit der Schnauze und erneut kam das Gefühl der Wärme und Geborgenheit zu ihm zurück.
 

Vollkommen in die Berührung des Tieres versunken hatte er gar nicht mitbekommen, dass der König des Waldes sich für einen Moment von seiner Seite gelöst hatte, erst als er wieder neben ihm erschien und einen Zweig mit roten Früchten trug wurde Thranduil ihm wieder gewahr. Leicht berührte der Hirsch sein blondes Haar mit dem Zweig und Thranduil spürte eher als das er es sah, wie eine Krone aus dem Zweig wuchs, welche ihm allein und keinem anderen jemals passen würde. Einen langen Moment blickten er und der Hirsch sich in die Augen, dann erhob sich der Elb und ging zwei Schritte zurück. Gleichzeitig verbeugten sich die beiden voreinander, bevor der heilige Hirsch sich abwandte und genau so abrupt verschwand, wie er gekommen war. Kurz berührte Thranduil die Krone gedankenverloren, während er mit der freien Hand über den Hals des braunen Hirsches strich, welcher den Platz an seiner Seite nicht verlassen hatte, dann wandte er sich wieder seinen Soldaten zu. Sie alle waren von ihren Pferden gestiegen und nachdem sie den Sinda einen langen Moment lang einfach nur angesehen hatten war es als würde ein stummer Befehl durch ihre Reihen gehen. Gleichzeitig und dennoch beinahe lautlos ließen sie sich vor ihm auf die Knie sinken, bevor sich ihre Stimmen zu einem einzigen Ausruf erhoben. „Heil, Thranduil Oropherion, aran-vin!“
 

Jeder andere wäre wohl vor Stolz und Freude überwältigt, Thranduil jedoch fühlte sich nur noch verlorener als zuvor, der heilige Hirsch, der Schutzpatron seines Volkes hatte ihn nicht nur als den neuen Fürsten anerkannt, nachdem Oropher nicht mehr am Leben war, nein er hatte ihm die Würde des Waldkönigs übertragen und seine Soldaten, sein ganzes Volk – wie er bemerkte, als er über die Schulter blickte und dort die Bewohner der Stadt ausmachen konnte, welche ebenfalls auf die Knie gesunken waren – hatten diese Wahl angenommen. Er war nicht nur ihr Anführer, er war von heute an ihr König.
 

Leicht zuckte er, als der Hirsch, dessen Augen ihn so an die Seelenspiegel seines Vaters erinnerten, sein weiches Maul gegen seine Wange legte und eine Woge der Zuneigung über ihn hereinbrach, dann straffte er die Schultern, legte eine Hand in das Geweih des Hirsches und wandte sich in Richtung seiner Heimat. „Tolo mellon-nin, gehen wir nach Hause.“



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