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Bitterkeit

von

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Kapitel 2: Der Duft nach Lilien und Rosen

Der Regen fällt wie eisige Nadelstiche auf das zarte Gesicht. Sie spürt ihn nicht. Seid der Nacht, in der Ihr Leben sich gewandelt hat, spürt sie rein gar nichts mehr.
 

Eine leblose Hülle. Eine in Fetzen gerissene Seele. Nur das blieb von ihr übrig.

Gezeichnet. Gebrandmarkt.

Aber das Schlimmste, was dort an den zertrümmerten Resten ihrer Seele nagt, ist der eine Gedanke.
 

Der unaufhörliche, erbarmungslose und immer fortwährend quälende Gedanke, der auch noch die letzten Ruinen zum Einsturz bringt.

Er regiert seid jenem Tag ihr Denken, ihr Handeln, er lässt sie Nachts nicht Schlafen und er lässt sie Tags rastlos durch die Gänge 'Amertume´s' ziehen.
 

Das Wissen, sie mit in das Verderben gezogen zu haben, wiegt schwerer in ihrer Brust, als die Erinnerung an diese eine, alles zerstörende Nacht vor fast vier Wochen.
 

~Abwesend hockte sie da, ihre Knie umklammert. Wispernd, wimmernd wie ein geschundenes Tier.

Wie durch Watte nahm sie wahr, was in diesem Moment geschah. Sie sah, wie sie auf ihn einschlugen, ihn beschimpften, einfach nicht von ihm abließen. In Trance erhob sie sich auf die langen Beine, trat zitternd auf die drei Menschen zu und blickte in beschmutze Gesichter. Ignorierte, das ihr die Kleider nur noch halbherzig am Körper hingen. Sie wollte nach Hause. Sie wollte diese quälenden Momente vergessen, verdrängen, ausmergeln.
 

Es brauchte keine Worte. Sie erkannten die Bitte in den starren Augen. Sie wischten sich den feinen, roten Lebenssaft von ihrer makellosen Haut und ließen ihn einfach liegen. Würdigten ihn keines Blickes mehr. Es war unwichtig, was mit ihm passierte. Er hatte über das Schicksal der jungen Frau entschieden und nun würde das Schicksal über ihn entscheiden.~
 

Das Bedürfnis sich übergeben zu wollen, drängt sich ihr auf. Noch immer kann sie seinen fauligen Atem riechen, fühlt noch immer die schweren, rauen Hände auf ihrer Haut, hört noch immer seine bissige Stimme, die nach ihr verlangte.
 

Schuld ruht auf ihren Schultern. Schwer und erdrückend liegt die Last auf ihr. Sie weiß, ist überzeugt davon, dass all das nur ihr zu geschoben werden kann.

Die Bürde, die sie von nun an mit sich tragen wird.
 

~“Seid ihr Verrückt geworden?“ er schrie, war außer sich. So hatte sie ihn vorher nie erlebt. Er, der besonnene, der liebevolle, der sanfte, der große Bruder. Er, der sie alle immer beschützte, für sie da war und für sie Sorgte.
 

Sie selbst saß nur auf dem großen Kissen vor dem Fenster und starrte wortlos in die Nacht. Bemühte sich zu vergessen, zu verdrängen.
 

Das plötzliche Klingeln an der Türe riss die vier Geschwister aus ihrer Apathie. Ahnend, wer zu nachtschlafender Zeit vor der Tür warten würde, wankte Mamoru zur Tür. Sie vernahmen seine Stimme bis in die große Stube.
 

Sie hob den Blick vom Fenster, besah ihre Schwestern mit den noch immer blutbefleckten Gesichtern. Stur saßen beide noch auf dem ledernen Sofa. Sagten kein Wort. Leise zog sie sich selbst auf die schlanken Beine und schritt zu ihnen. Ihr war schmerzlich bewusst was folgen würde. Vor ihren Schwestern sank sie auf die Knie, bettete ihren Kopf auf dem Schoß der Schwarzhaarigen, die ihrem Bruder fast bis aufs Haar ähnelte.
 

Sie spürte, wie sanfte Finger ihr durch das schimmernde Haar fuhren. Wärme ging ihr durch die frierenden Knochen. Sicherheit breitete sich in ihr aus. Sie wusste, sie hatten alles nur für sie getan.

Sie schloss die Augen, genoss die Nähe der Menschen, die ihr das Wichtigste waren. Ihr inneres Treiben ruhte langsam. Nur hier war sie noch immer das kleine Mädchen, das nach dem Schutz ihrer Familie suchte.
 

„Wir werden niemals zulassen das jemand zwischen uns steht!“ wispernd verließen die Worte den zart roten Mund der Brünetten.

Die grünen Augen öffneten sich zaghaft und erblickten ein ausdrucksloses Gesicht mit auberginefarbenen Fenstern.
 

„Wir werden niemals zulassen das jemand zwischen uns steht!“ immer wieder flüsterten die lieblichen Lippen diesen Satz.~
 

Mit trüben Blick starrt sie unbefangen gegen den grauen Beton. Eingesperrt, festgehalten.

Wohin waren ihr Träume verschwunden?

Reisen, Leben, durch die Welt tanzen, Leidenschaften finden und wieder aufgeben.

Und nun? Sie sitzt fest. Allein gelassen. Sieht ihre Schwestern selbst nur zu Besuchszeiten oder wenn sie, wie jetzt, im Garten steht und zu den Fenstern im zweiten Stockwerk des alten Sanatorium's blickte. Wehmütig und sehnsüchtig suchen die so oft beneideten grünen Augen haltlos jedes Fenster ab. Aber sie finden die bekannten Gesichter nicht. Wie lang steht sie schon da und hofft? Nur ein kurzer Blick, in die Gesichter, die ihr Halt und Schutz versprochen hatten sie erbeten, aber nichts.

Nicht einmal eine Silhouette, die sie für eine ihrer Schwestern hätte halten können.
 

Aufgebend wendet sie ihren Blick ab, dabei stolpern die giftig grünen Seen über das junge Mädchen das dort im Regen vor ihr steht.

Noch immer trägt sie das zarte Hemdchen mit dem filigranem Rosendruck, wie schon am Morgen. Ihre nackten Füße stehen in Mitten der schlammigen Pfütze. Über den, vor ihrem Bauch verschränkten, Armen hängt ein quietschgelber Regenmantel.

Minako. Das Mädchen mit dem herzlichen Lächeln auf den kirschroten Lippen.
 

Anstandslos dreht sie von ihr weg. Sie erträgt den Anblick des Mädchens kaum. Die Güte, die ihr immer wieder aus den enzianblauen Augen entgegenschlägt hat sie nicht verdient. Bemüht darum, das innere Treiben zu beruhigen, bemerkt sie ihr eigenes Zittern kaum.
 

Erst eine plötzliche Berührung lässt sie aus ihrem Gedankenkreisen aufschrecken. Schwer atmend blickt sie auf die Blondine hinab, wird eingebunden von den großen, glücklichen Augen und registriert daher nur beiläufig wie die Kleinere ihr den gelben Mantel um die Schultern legt.

In großen, ovalen Runden dreht sich in ihrem Kopf immer wieder die Frage, warum sie ihren Blick nicht abwenden kann von dem Mädchen, dass sie immer und immer wieder anstarrt.

Wenn sie lächelnd auf dem Gang steht, wenn sie träumend aus dem Fenster blickt, nicht mal in der Nacht, wenn Minako im Bett nebenan liegt und selig in ihrer Traumwelt wandelt.
 

Kaum kann sie sich rühren unter dem Anblick des zarten Wesens. Die Angst, sie könnte sie wie ein Reh mit jeder Bewegung erschrecken, lässt sie stocksteif einfach da stehen.

Minako hingegen, streicht ihr behutsam, als könne sie unter der Berührung zerbrechen, die regennassen Silbersträhnen aus dem Gesicht um der Älteren anschließend die Kapuze über den bereits durchtränkten Schopf zu ziehen.

Aber nicht einmal diese Geste scheint die Grünäugige wirklich zu realisieren, viel zu versunken ist sie bereits in dem zarten Antlitz ihrer Gegenüber. Bemerkt weder den Regen noch den Wind, der um sie herum pfeift.
 

Die Kälte die der Herbsttag mit sich trägt wird ihr erst bewusst, als die feinen, schmalen Finger der Blonden ihre schon blaugefärbten Lippen berühren. Als wäre es eine Konversation unter alten Freunden, wird ihr klar, was das Mädchen ihr damit sagen will. Sie sorgt sich.
 

Im Taumel ihrer Gedanken beobachtet sie, wie Minako sich, wie immer mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, von ihr entfernt. Sieht ihr zu, wie sie fast schon spielerisch und kindlich durch die Pfützen tanzt, nur um sich, an der großen Glastür angekommen noch einmal umzudrehen und ihr einen vorerst letzten Blick auf die blauen Augen zu gewähren.
 

° ° ° °
 

Das Gewitter, welches sich bereits den ganzen Tag angekündigt hatte, bricht in diese Nacht über 'Amertume' ein.

Die Frau mit dem schimmernden Haar liegt mit wachem Verstand auf ihrem Bett und lauscht zwischen dem Grollen des Donners, dem gleichmäßigen Atem der Honigblonden neben sich. Nie hatte sie etwas mehr zur Ruhe rufen können als das stetige, leise Geräusch das in kleinen Wellen aus dem anderen Bett zu ihr hinüber schwappt. Es wirkt beinah schon hypnotisierend auf die Sechsundzwanzigjährige und verhalf ihr in den letzten Wochen doch schon ein ums andere Mal wenigstens in einen flachen Sekundenschlaf zu fallen.
 

Yaten bemüht sich angestrengt, ihren Blick an der Decke zu halten, irgendeinen imaginären Punkt zu fixieren. Will sich zwingen, nicht zu ihr zu sehen. Doch jedes Mal, wenn ein Blitz das Zimmer für Bruchteile der Zeit erhellt, wandern die grünen Augen im Winkel zu dem zweiten Bett in ihrem Zimmer. Sie kommt nicht umhin, zu erkennen, das sich das feine Haar wie ein Wasserfall voller Glück über das große Kissen ergießt.
 

Nur für einen Augenblick will sie die Augen schließen und sich vorstellen, wie es wäre mit den Fingern durch das dichte Haar zu streichen. Doch schon das nächste Grollen der Naturgewalt lässt sie wieder aufsehen und bemerken das, das Mädchen, welches sie nicht kennt, mit dem sie nicht einmal gesprochen hat in den letzten WochenWochen, das Bett verlassen hat.

Haltlos blickt sie durch den Raum. Doch, nur das zerknitterte Laken zeugt davon das Minako, eben noch in ihrem Bett lag.
 

Die angelehnte Zimmertür wirft einen schwachen Spalt Licht auf den dunklen Boden. Schleichend und selbst nicht wissend warum, nimmt sie den Weg auf sich um dem blonden Mädchen zu folgen. In der geflügelten Tür zum Musikzimmer stoppt sie und betrachtet das junge Mädchen von hinten.

In die ferne träumend steht sie am Fenster und bewundert den Nachthimmel voller Wolken.

Mechanisch tragen ihre Füße sie zu ihr, stellen sich von ganz allein neben das blonde Ding.
 

„Hast du schlecht geträumt?“ es ist nur ein Flüstern, doch in der Stille der Nacht klingt ihre Stimme schreiend. Ihr wird schwer ums Herz, wenn sie bedenkt das dies nun die ersten Worte sind, die sie mit ihr wechselt und sie wünscht sich in diesem Moment, das es ein glanzvolles Thema gewesen wäre, das sie gewählt hätte. Doch sie konnte ihre Worte nun nicht mehr zurück nehmen.
 

Minako schweigt.

Keine Silbe schafft es über ihre Lippen. Die schönen blauen Augen starren nur weiter in das dunkle der Nacht. Scheint versunken in dem tristen Licht, das hin und wieder durch die ziehenden Wolken bricht.
 

„Sprichst du nicht mit mir?“ versucht das flüstern es erneut, auch diesmal soll ihre Frage unbeantwortet bleiben.

Beide Frauen stehen wieder schweigend da. Eine sieht stur durch das Glas, während die Andere das zauberhafte Profil der Ersten mustert.

Erst das leise Stimmengewirr der Nachtschwestern reißt sie aus ihren Gedanken und eher Yaten überhaupt reagieren kann, greift Minako nach ihrer Hand und zieht sie mit weichem Griff hinter sich her. Durch das große Zimmer auf den Flur, weg von dem Gebrabbel, entlang an verschlossenen Zimmern bis in das einladende Foyer, vorbei an der großen Marmortreppe, bis hinter eine der versteinerten Säulen, die bis hinauf zu dem gläsernen Dach reichen.
 

Grinsend wie ein Kind, zieht Minako die Ältere näher an sich um zu verhindern dass sie hinter dem Gestein entdeckt werden.

Mit den Finger auf den Kirschroten Lippen bedeutet sie der Älteren auf keinen Fall und unter keinen Umständen einen Laut von sich zu geben. Der jedoch, entlockt das kleine Versteckspiel nur ein vorsichtiges Lächeln.
 

In dem Moment, in dem die zwei schönen Schwestern an dem ungleichen Frauenpaar vorbeiziehen, schiebt Minako die Grünäugige in die gegenüberliegende Richtung, nur um unvermittelt wieder ihre Hand zu ergreifen und den Sprint geradewegs zurück in ihr gemeinsames Zimmer anzutreten.
 

Tonlos lacht die Blondine als sie sich von innen gegen die leichte Tür lehnt und kitzelt damit auch der Silberhaarigen ein Lächeln auf die Lippen.

Das tanzende Licht, der in die Weite gerückten Blitze ist die einzige Bewegung in der Dunkelheit des sonst so hellen Zimmers.
 

Yaten lässt sich in das weiche Kissen fallen und schafft es einfach nicht sich das kindlich wirkende Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.

„Also?“ startet sie einen erneuten Versuch, der Blonden zu entlocken warum sie das Bett verlassen hat. Doch die Angesprochene antwortet auch diesmal nicht, was die älter dazu veranlasst die Stirn kraus zu ziehen.

„Soll ich dich erst auf einen Drink einladen, das du mit mir redest?“ es soll ein Scherz sein, bewirkt lediglich aber nur das Minako sie wieder nur mit großen Augen ansieht.
 

Mit einer Geste deutet sie an, wie sie ihre Lippen versiegelt und den Schlüssel zu dem passenden, nicht vorhandenen Vorhängeschloss über die rechte Schulter wirft.

Ohne weiter darauf einzugehen oder auf eine Reaktion der älteren zu warten, steigt Minako in ihr Bett zurück und kehrt der Welt den Rücken zu.
 

Einige Momente beäugt Yaten den zarten Rücken des Mädchens, eher ihr die kleinen, wellen artigen Erschütterungen auffallen, die den zierlichen Körper im Schleier der Nacht erbeben lassen.

Ohne weiter über ihr Handeln Nachzudenken, legt sich Yaten neben das Mädchen das Tag ein, Tag aus im seichten Hemdchen durch die Gegend zieht. Sie zieht den warmen, weichen Körper an sich und nimmt das Bouquet aus einer wagen Mischung von Lilien und Rosen wahr.
 

Still liegen die Frauen auf dem schmalen Bett und ohne es zu wissen ziehen beide aus diesem vertrautem Moment Kraft für neue Stunden und für ihren eigenen inneren Kampf; den die eine schon seit Jahren auf sich nimmt und dem die andere erst seid wenigen Wochen zu erliegen droht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2015-10-06T16:02:09+00:00 06.10.2015 18:02
Tolles Kapitel
Mach weiter so
Antwort von:  SchattenWeltxX
06.10.2015 19:02
Arigatoh!!
Vielen dank...Ich bin steht bemüht ;)


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