Super Heroes
Comics waren meine erste Lektüre, bevor ich überhaupt die erste Klasse besuchte. Wirklich lesen konnte ich nicht, aber das störte mich kaum. Ich schwärmte hauptsächlich von den Zeichnungen und fieberte bei jedem Heft mit. Sie prägten mich und begleiteten mich mein ganzes Leben lang. Sie waren meine Beschützer, meine Zuflucht. Auch wenn ich oft eine lange Lesepause einlegte, kehrte ich immer wieder gerne zu den Highlights der Superhelden-Sparte zurück. Wahrscheinlich, weil ich noch immer darauf hoffte, selbst in einem Action- Comic zu landen, in dem es um die Definition der Grenzen zwischen Gut und Böse ging und fast schon flatterhaft die Liebe hin und wieder zwischen einigen Zeilen zu erkennen war. Jeder Held brauchte eine Frau, die er erretten konnte. Oder nicht?
Welche Frau will denn schon keinen Helden? Am besten noch einen, mit einem Doppelleben. Das und die ganzen Dilemmata, die ein solches Superhelden-Leben mit sich brachten, ließen mein Herz so aufgeregt in meiner Brust trommeln, wie schon lange nicht mehr.
Stellt euch doch mal vor, Green Lantern leuchtet euch den Weg aus der Dunkelheit mit seinem sexy hautengen Anzug. Ja, der Name war bescheuert – und ja, der Ring und die Laterne waren irgendwie… skurril, aber attraktiv war er schon. Und der Ring war magisch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Was auch immer du dir wünschen würdest, allein mit deinem Willen und deiner Fantasie könntest du es erschaffen. Um dessen Ring würdig zu sein, galt es sich seinen Ängsten zu stellen. Im Leben einen Schritt vorwärts zu machen, ohne zu zögern.
Ich wäre dem Ring nie würdig gewesen. Nur allzu gern ging ich eher einen Schritt zurück, um eine mögliche Konfrontation zu vermeiden.
Und dann zerfloss ich in Selbstmitleid, über meine mangelnde Charakterstärke, die eigentlich existent, aber in einem Schlummermodus verfallen war. Mir entfloh ein Grummeln und ich rutschte auf meinem schwarzen Koffer herum. Es waren eisige Temperaturen, dabei hatte sich der Sommer erst vor wenigen Tagen verabschiedet.
Meine Gedanken huschten zu Batman und dessen starke Muskeln. Gab es einen männlicheren Superhelden als ihn? Dieses Dunkle, das ihn umgab, ließ mich oft frösteln. Selbstjustiz war natürlich nicht unbedingt das Beste… und er war in den Jahren noch düsterer geworden, als zu Beginn. Dennoch zögerte nicht mal Batman, eine Frau in Nöten zu retten. Batman vermied es, seine Gegner zu töten und er besaß keinerlei übernatürliche Kräfte. Er eroberte mich mit seinem Intellekt. Er war ein gebrochener Charakter, dennoch versuchte er, die Welt um ihn herum neu zu erschaffen.
Ich hingegen unterwarf mich den gesellschaftlichen Normen. Sträubte mich dagegen, auch nur ansatzweise gegen den Strom zu schwimmen. Die Gesellschaft formte die Regeln und ich war gewillt, diesen immer zu folgen. Dennoch landete ich hier. Irgendwo in der Innenstadt. Auf einem Koffer sitzend und umgeben vom flackernden Licht der Straßenlaterne, die eigentlich auch aus sein könnte, denn die erzeugte Helligkeit wurde im Sekundentakt unterbrochen. Ich hätte mich unwohler gefühlt, wäre der Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straße bereits geschlossen. Seltsamerweise fühlte ich mich sicherer und entspannte, sobald meine Augen eine alte Dame aus dem Markt gehen sahen.
Hin und wieder malte ich mir aus, was passieren würde, wenn ein Kleinkrimineller einer Frau die Tasche stahl. Und gerade als ein schriller Laut des Schreckens und der Empörung ihre Kehle verlassen würde, käme schon Spiderman um die Ecke geschwungen. Der Underdog unter den Superhelden. Während Batman als Bruce Wayne ja nun wirklich nichts zu jammern hat und Superman allein mit einem Fingerschnippen die Welt verändern könnte, muss good old Spidey täglich um die Miete kämpfen. Und ich? Ich war seit drei Monaten und vierzehn Tagen arbeitslos. Der Antrieb fehlte. Ich sollte mir eine Scheibe von Spiderman abschneiden. Obwohl er für seine Heldentaten kaum Anerkennung bekam, gab er dennoch nie sein Leben auf. Er zog sich trotz dem mühseligen Geldverdienen am Tag, jede Nacht sein Kostüm über und rettete immer wieder Mary Jane. Mir entfuhr ein Seufzen. Ich würde sofort mit Mary Jane den Platz tauschen. Und noch viel lieber hätte ich mit Lois Lane den Platz getauscht.
Warum? Weil sie Superman’s Herz besaß. Außerdem war sie hübsch und erfolgreich in ihrer Arbeit. Ja, ich weiß, Superman war die Bild-Zeitung unter den Superhelden. Er konnte superschnell um die Welt fliegen und dabei die Zeit zurückdrehen. Das war vielleicht ein wenig übertrieben. Bei dem Gedanken rollte ich mit den Augen. Aber seine Macht war schon ziemlich sexy. Außerdem hielt ihn nicht nur Kryptonit in Schach, sondern sein eigener moralischer Anspruch, der Hüter und vor allem das Vorbild für die Menschen zu sein. Es war eine Super-Gratwanderung den Menschen die Freiheit zu lassen, sich zu entwickeln, ob sie dabei Böses oder Gutes taten. Superman half den Schwachen, schützte sie und ermutigte sie stets – eine wahrhaft heroische Aufgabe. Und diese kleinen Geschichten um Clark Kent und Lois Lane, hach. Superman war der schmuckste von allen. Die Locke musste zwar nicht unbedingt sein, aber Optisches konnte man immerhin immer ändern.
Ich zog meinen Mantel näher und stieß warme Luft aus meinen Lungen.
Hier saß ich also nun. Vor der Wohnung meines besten Freundes, den ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich besaß weder einen eigenen Wohnsitz, noch einen Job und mein ganzer Besitz war in meinen schwarzen Koffer gepresst worden. Und warum? Weil irgendwann auf meinem Weg eine Mauer erschien, die ich nicht überspringen konnte. Es ging nicht. Superman hätte mich packen und drüber fliegen können, aber Superman war nicht da.
„Was machst du hier?“
Seine tiefe Stimme ließ mich zusammen zucken und ich schielte unter meinem fransigen Pony nach oben. „Ich warte“, gab ich zischend als Antwort. Auf ihn hatte ich sicher nicht gewartet.
„Hn. Worauf?“
Ich lachte freudlos auf. „Auf Superman.“
Er hob eine seiner fein geschwungenen Augenbrauen und Amüsement blitzte in seinen Augen. Ich blies die Backen auf. „Er verspätet sich nur“, grummelte ich.
„Ach, tut er das?“
„Er sitzt bestimmt in einem Waschsalon und wäscht sein Cape“, nuschelte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Natürlich.“ Ein leises Lachen verließ seine Kehle und ich bekam Gänsehaut.
Sasuke Uchiha war Narutos Mitbewohner. In der Schule waren die Beiden ein seltsames Gespann an Freunden, die sich eher rivalisierend gegenüberstanden, als sich gegenseitig Trost und emotionalen Halt zu schenken. Dennoch erzählte Naruto immer mit einem breiten und treudoofen Grinsen, dass Sasuke Uchiha auf verworrene Art und Weise sein Bruder war.
Ich kickte einen kleinen Stein gegen seinen Fuß und drückte mein Comic schützend an meine Brust.
„Komm jetzt. Naruto verspätet sich.“
Ich zögerte, was ihn genervt aufseufzen ließ.
„Du kannst auch drinnen auf deinen Superman warten.“
Ein erneutes Seufzen verließ meine Kehle und ich stand auf. Mit einem müden Blick bedachte ich Sasukes Rücken.
Wenn jemand sowas von überhaupt nichts mit einem Helden gemeinsam hatte, dann war er es.
Sasuke Uchiha war der Antiheld, der sich nie ein Cape um die Schultern schwingen würde.
Ich erwischte mich dabei, dass mich dieser Gedanke etwas traurig stimmte, als ich Narutos lautes Lachen hinter mir vernahm.
Das war der Beginn eines neuen Kapitels in meinem eigenen Comic, in meinem Leben.
Und da sollte sich schleunigst etwas ändern...