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Yasashikunai Mirai

Tsuzuku x Meto
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, da bin ich wieder, und ich habe neuen Stoff für euch im Gepäck! ^o^

Sorry, dass es so lange gedauert hat, aber ich bastel nebenbei noch bei Yoyogi rum und habe außerdem das RPG-Schreiben auf einer anderen Site entdeckt. Und, ihr werdet es kennen, das Real Life beansprucht einen manchmal sehr.

Ich hoffe, dass ich das, was ihr euch für diese Geschichte wünscht, auch umsetzen kann, und dass ihr weiterhin Gefallen an meiner Arbeit findet. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Soo~
Ich hab dieses Kapitel dann doch schneller fertig bekommen, als ich erwartet hatte.
Meine erste Koichi-Ichperspektive.
Und ich möchte es gern daietto_usagi widmen, da sie mich schon gegen Ende von Muzukashii Sekai auf die Idee gebracht hat, auch Koichis Sichtweise zu schreiben und sein Innenleben mehr auszuarbeiten.
Ich hoffe sehr, dass euch meine Idee von Koichis Seelenleben zusagt, muss aber leider wieder dazu sagen, dass dieses Kapitel aus verschiedenen Gründen trauriger und dunkler als geplant ausgefallen ist. Hoffentlich gefällt es euch trotzdem. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und schon geht's weiter ^^
Es ist ein bisschen traurig und es gibt auch ein wenig Streit, aber ich glaube, im Großen und Ganzen hab ich ein recht harmonisches Kapitel hinbekommen.
Ich plane nicht viel, deshalb weiß ich gar nicht, wo genau die Geschichte auf lange Zeit hinführt, aber ich schreibe sie unheimlich gern. ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Soo, passend zum neuen Jahr gibt's jetzt auch ein neues Kapitel ^^
Koichi zu schreiben, fällt mir immer leichter. Ich weiß noch nicht genau, wo das mit ihm in dieser Geschichte hinsteuert, da muss ich mich von meinen Ideen überraschen lassen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, es ist fertig, das siebte Kapitel.
Hat mich wieder einiges an Nerven gekostet, aber das ist es mir wert.
*Ne Packung Taschentücher hinleg und Kekse als Nervennahrung dazustell* Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und da bin ich wieder, mit Kapitel 9.
Ich hoffe sehr, dass es euch gefällt.
Soll ich Mikan bei den Charakteren auflisten, was meint ihr? Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Oh man, Leute ... Ihr holt euch jetzt besser ein paar Taschentücher. Das Kapitel ist nämlich wesentlich dramatischer und tränenreicher ausgefallen, als ich das geplant hatte ... Und es hat vermehrt Triggerkram drin. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Da bin ich mit einem neuen Koichi-Kapitelchen.
Es fließen wieder einige Tränen, aber das seid ihr ja von mir schon gewöhnt, oder?

Ein lieber Dank geht an daietto_usagi, für ihre hilfreiche Hilfe bei einer bestimmten Szene in diesem Kapitel. Usagilein, du weißt bestimmt noch, welche ich meine? ^^

@Freischalter: Ich bin nicht sicher, ob die kleine Szene am Kapitelende unter adult zählt oder nicht. Wäre aber nett, wenn's nicht adult wäre ... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Tjajaja, das Tsuzuku-Kapitel wieder ... Es gibt die üblichen Stimmungsschwankungen und das alles, und es ist auch ne recht wichtige Erkenntnis und Information bezüglich Meto dabei.
Und das Ende vom Kapitel ... na ja ... lest selber ... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, hier ist endlich Kapitel 17 ^^

Tja, auch hier ist natürlich wieder Drama und so weiter drin, die Situation vom Ende von Act 16 ist ja noch nicht gelöst.

Hoffentlich habt ihr trotzdem Spaß an diesem Kapitel ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hab das Kapitel schon seit ca. vier Wochen fertig und jetzt kann ich es auch endlich mal hochladen ... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und schon ist Act 22 auch fertig ^^
In der Nummerierung der Kapitel als "Act" ist das die Nr. 22, auch wenn es Kapitel 23 ist, weil das Special dazwischen ist. Und es ist ein Tsuzuku-Kapitel. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und da ist es nun, Kapitel 24 ^^
Ich hab mir Mühe gegeben, Kyoto als Stadt ordentlich zu beschreiben, aber einiges musste ich ein wenig variieren, ich hoffe, das geht so okay ... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Meto ist wieder dran mit seiner Sicht der Dinge.

Die Reaktion seiner Eltern auf seine Hochzeitspläne mit Tsuzuku habe ich bewusst so positiv geschrieben. Metos Eltern sind beide ziemlich fortschrittlich gestrickt, und außerdem gibts drum herum genug Homophobie, da müssen wenigstens seine Eltern voll hinter ihm stehen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, es ist soweit, hier kommt das große Drama, bzw der Anfang davon ...
Ich spreche für dieses Kapitel eine Extra-Triggerwarnung aus, weil es doch seeehr Borderline-lastig geworden ist.
Und für alle, die sich zutrauen, es zu lesen, gibts ne Runde Taschentücher ... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, und jetzt schick ich das nächste Kapitel gleich nach. Ist ja fies zuende gegangen, das letzte Kapitel ... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, und mit diesem Kapitel ist das ganz große Drama dann auch vorbei. Sie haben sich wieder.

(Ich bin mir nicht sicher, obs adult ist oder nicht, weils nur zwei kleine, nicht ausgeführte Andeutungsszenen gibt ...) Komplett anzeigen

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[Tsuzuku] Act 1

Der Gesang der Vögel im Tempelgarten weckte mich am Morgen des 1. März schon lange, bevor der Wecker im Zimmer klingeln sollte. Irgendein Vogel saß im Baum vor dem Fenster und sang sich die Seele aus dem Leib, so als wäre schon Mitte April. Genervt von diesem fröhlichen Trällern zog ich mir das Kissen über den Kopf und versuchte so, es abzuschirmen, doch das Fenster war offen und so brachte das nicht viel.

Komori schlief noch, trotz des Gezwitschers, und so blieb ich ebenfalls liegen, um ihn nicht zu wecken. Obwohl … jemand, der nicht mal aufwachte, wenn direkt vor dem Fenster ein Vogel herumschrie, würde wohl auch weiterschlafen, wenn ich mal eben aufstand, um dieses verdammte Fenster zu schließen. Und so erhob ich mich, schritt zum Fenster und klappte es entschlossen zu, woraufhin der Vogel auch gleich davonflog, um irgendwo anders weiter zu singen, wo er vielleicht nicht gerade jemanden weckte und nervte, der sowieso schon aufgeregt war, weil heute sein letzter Tag hier war.
 

Jemanden wie mich. Ja, heute war er, der Tag, an dem meine Zeit im Hikuyama-Tempel vorbei ging. Meine Tasche stand offen vor dem Schrank, bereit, dass ich meine Sachen wieder hineinräumte, und die Wohnung, die Koichi letztes Jahr in der nächsten Großstadt gefunden hatte, war inzwischen auch frei und bezugsfertig. Ich hatte in den nächsten Wochen vier Vorstellungsgespräche bei ganz verschiedenen Arbeitgebern und fühlte mich motiviert und bereit, mein neues Leben in Angriff zu nehmen.

Zumindest einerseits.

Denn andererseits hatte ich Angst. Vor dem vielen Neuen, was auf mich zukam, vor den Menschen, mit denen ich zu tun haben würde, und davor, dass ich das vielleicht nicht packte.
 

Ich setzte mich auf die Bettkante, streckte mich und schaute an mir herunter: Da ich ja eben erst aufgewacht war, hatte ich mich natürlich noch nicht angezogen und trug nur ein T-Shirt und Shorts am Leib. Ich mochte keine Shorts, zumindest nicht, wenn mich jemand außer Meto darin sah. Shorts betonten zu sehr, wie dünn meine Beine waren, auch, wenn es inzwischen nicht mehr ganz so schlimm war, weil ich in der Zeit hier einige Kilos zugenommen hatte. Eben jene konnte ich sehen, wenn ich mich so anschaute. Auch wenn ich immer noch unterhalb des Normalgewichtes war, so sahen gerade meine Beine nicht mehr ganz so krank aus.
 

Was ich hier im Tempel angefangen hatte und sich ebenfalls langsam an meinem Körper zeigte, war: Ich versuchte mich wieder am Kraftsport. Es gab hier einen kleinen Trainingsraum und irgendwann war mir die Idee gekommen, meine viele Freizeit dazu zu nutzen, dieses frühere Hobby von mir wieder aufleben zu lassen. Wenn ich nichts zu tun hatte oder es mir mental nicht gut ging, kümmerte ich mich jetzt darum, meinen Körper wieder halbwegs in Form zu bringen.
 

Mich bis über die Schmerzgrenze hinweg auszupowern, hatte mir schon in meinem alten Leben früher geholfen, mit meinen seltsamen Stimmungsschwankungen und Negativgedanken umzugehen. Danach, wenn mir alle Knochen und Muskeln wehtaten, ging es mir im Kopf immer irgendwie besser und ich konnte wieder klarer denken. Doch nach Mamas Tod hatte mir die psychische und auch die physische Kraft gefehlt, damit weiter zu machen, und später, als ich alles verloren hatte, war daran natürlich nicht mehr zu denken gewesen.
 

Das Piepen des Weckers riss mich aus meinen Gedanken. Es folgte ein energischer Schlag, als Komori, an dessen Bett unser gemeinsamer Wecker stand, ihn ausschaltete.

„Morg’n, Tsu“, begrüßte er mich verschlafen.

„Morgen.“

Ich stand auf, ging zum Schrank, öffnete die Türen und Schubladen und begann, meine Sachen in meine mehr als abgewetzte Tasche zu packen. Über den Winter war mein Besitz um mehrere Kleidungsstücke, zwei Paar Schuhe, zwei Bücher und einen MP3-Player (den Meto mir zu Weihnachten geschenkt hatte) angewachsen. Nicht mitgezählt diejenigen Sachen, die ich immer noch bei Meto zu Hause lagerte.
 

„Ich hab’s gewusst …“, murmelte ich, als ich meine Tasche randvoll gepackt hatte und trotzdem noch zwei Hosen und meine zerrissene schwarze Sweatjacke im Schrank lagen.

„Passt nicht alles rein?“, fragte Komori.

„Ich kann kaum glauben, dass ich so viel Kram angesammelt habe“, antwortete ich und blickte zu den Sachen, die ich heute anziehen wollte und die deshalb auf dem Stuhl neben meinem Bett lagen.

„Du hast es gut, Tsu, du hast einen Freund, der dich von hier abholt. Er hat bestimmt noch ‘ne Tasche dabei“, sagte er.
 

Komori und ich waren, wenn man das so nennen konnte, Freunde geworden. Wir verstanden uns recht gut, zumal er jemand war, der einen, wenn man nicht gut drauf war, konsequent in Ruhe lassen konnte und sich nicht aufdrängte. Ich hoffte, mit ihm auch weiterhin irgendwie in Kontakt zu bleiben und dass unsere allein durch räumliche Nähe entstandene, lockere Freundschaft nicht abbrach. Er hatte ebenfalls eine Wohnung gefunden, allerdings nicht so wie ich in der Großstadt, sondern hier, sogar ganz in der Nähe des Tempels. Ich kannte die Adresse, hatte ihn zur Besichtigung begleitet, so wie er die Adresse meiner neuen Wohnung ebenfalls kannte.
 

„Tsu?“, fragte er, als wir beide richtig aufgestanden und angezogen am wieder geöffneten Fenster saßen und rauchten.

„Hm?“

„Hast du denn das Gefühl, dass du die Zukunft packst?“ Er sah mich ernst an und blickte dann nach draußen zu den im Zen-Garten mit ihren Übungen beschäftigten Mönchen.

„Ich denke, schon“, antwortete ich. „Ich hab hier einiges wieder gelernt und mir geht’s gut, also muss es doch klappen, oder?“

„Na ja … Was machst du, wenn es dir wieder schlechter geht?“

Einen Moment lang schwebten seine Worte zwischen uns, dann sagte ich: „Dann hole ich mir Hilfe.“

„Gut.“ Komori lächelte. „Ich geh jetzt frühstücken.“

„Ich komm gleich nach“, erwiderte ich. Und das war weder gelogen, noch vorgeschoben. Ich hatte wirklich Hunger und auch Lust auf Essen, nur wollte ich vorher noch mal in die Gebetshalle, um heute, an meinem letzten Tag hier, noch einmal ein wenig mit dem Buddha allein zu sein.
 

Ich ließ mich vor der großen Statue auf die Knie sinken und schaute dem Buddha in das mild und freundlich lächelnde Gesicht. Spürte die angenehme Ruhe, die von ihm ausging und die mich in den letzten Monaten immer wieder auf den Boden zurückgeholt hatte, wenn ich drohte, mich wieder zu sehr in meinen Gedanken zu verstricken.
 

Ich hatte den Winter über viele Gespräche mit Frau Watanabe geführt. Über Arbeit, selbstständiges, stabiles Leben, und natürlich auch über mich und Mama. Doch ich war dem Thema meistens ausgewichen, aus Angst, dass ich, wenn ich mit jemandem ‚vom Fach‘ über meine Trauer und meine Schuldgefühle sprach, gezwungen sein würde, da tiefer zu graben und alles wieder hochzuholen.

Wenn ich mit Meto über meine Traurigkeit sprach, lief das oft darauf hinaus, dass ich weinend in seinen Armen lag, er stellte keine Fragen, sondern ließ mich einfach wie ich war.
 

Eine Psychologin wie Frau Watanabe dagegen hätte, wenn ich es denn zugelassen hätte, nachgefragt, analysiert, diagnostiziert, alle möglichen tiefenpsychologischen Ideen ausprobiert, und das wollte ich nicht. Zum einen eben, weil ich meine Schuldgefühle nicht anrühren und dadurch wieder präsent machen wollte, und dann … dann war da noch die Sache mit diesem Wort, Borderline, das ich einfach nur verdrängen wollte.
 

Ein Mal, ein einziges Mal, war ich alleine losgezogen, in die Stadt gegangen und hatte mir in der Bibliothek ein Buch über psychische Störungen angeschaut. Und was ich da über das Krankheitsbild Borderline erfahren hatte, hatte mich fast wieder abstürzen lassen. Da hatte etwas gestanden von Veranlagung, davon, dass sich so etwas schon in der Jugend herausbildete und dass es extrem schwer zu heilen war. Von Selbstverletzung, Angst vor Menschen und vor Einsamkeit, von mangelnder Distanz, extremen Stimmungsschwankungen und von Selbstmordfantasien.

Lauter Dinge, die mal mehr und mal weniger im Laufe meines Lebens aufgetreten waren.

Nachdem ich das alles erfahren hatte, hatte ich mich im Trainingsraum des Tempels eingeschlossen und mich stundenlang durch das Kraftsportprogramm gequält, bis mir alles wehtat und ich nicht mehr daran denken konnte, dass ich krank war.

Doch ich hatte mit niemandem darüber gesprochen. Nicht einmal mit Meto.
 

Noch immer vor dem Buddha kniend, verbarg ich mein Gesicht mit meinen Händen und wollte am liebsten wieder weinen. Auf einmal hatte ich große Angst vor der Zukunft, wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Eigentlich war alles klar und geregelt, die Wohnung, Vorstellungsgespräche für Arbeit, der ganze Papierkram, alles gut. Doch mein Innenleben fühlte sich schwach und unsicher an, ich wusste einfach nicht, wie ich mit diesem Ungeheuer Borderline umgehen sollte. Der Gedanke, an einer handfesten Persönlichkeitsstörung zu leiden, machte mir Angst, obwohl ich mich ja eigentlich längst damit abgefunden hatte, nicht ganz gesund zu sein. Aber irgendwie hatte ich das, woran ich litt, immer eher für eine Folge meiner Trauer um Mama gehalten. Persönlichkeitsstörung, das klang so, als sei mein Charakter, mein ganzes Ich, von Anfang an dazu verurteilt, krank zu sein.
 

Ich hatte keine Schritte hinter mir gehört, doch als ich eine vertraute Hand auf meiner Schulter spürte, wusste ich sofort, dass Meto da war. Ich ließ die Hände sinken und drehte mich zu ihm um.

„Tsuzuku? Alles okay?“, fragte er besorgt.

So schnell ich konnte, schloss ich meine Angst hinter der Gedankentür ein. Ich wollte nicht, dass Meto davon wusste. Wollte nicht, dass er schon wieder Angst um mich haben musste und sich Sorgen machte.

„Alles gut“, sagte ich.

Meto kniete sich neben mich, schaute kurz zu dem Buddha hoch und fragte dann: „Hast du nicht auch ein bisschen Angst davor, was jetzt kommt?“

„Ja, schon“, gab ich zu. „Ein bisschen.“

Mein Liebster sah mich an und lächelte, dieses wahnsinnig süße, strahlende Lächeln, und sagte dann: „Aber ich freu mich wahnsinnig darauf, jetzt mit dir zusammen zu leben.“

„Ich auch“, erwiderte ich, konnte nun ebenfalls wieder lächeln.

Meto beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf meine Wange. „Komm, steh auf und geh noch was frühstücken, dann packen wir deine Sachen und du kommst mit zu mir.“
 

Ich erhob mich, atmete tief durch und sah den Buddha wieder an. Und glaubte zu hören, wie diese eigentlich leblose Statue mir zuflüsterte: „Du schaffst das schon, Tsuzuku.“

Meto nahm meine Hand, was augenblicklich dafür sorgte, dass ich mich gut fühlte, und begleitete mich zum Essraum. „Ich warte draußen auf dich.“
 

Während des Frühstücks, das wie immer aus Reis und Gemüse bestand, kam mir ein Gedanke, der mich irgendwie ziemlich glücklich machte: Wenn Meto und ich ab jetzt zusammen lebten und ich für uns arbeiten ging, würde endlich ich es sein, der ihn versorgte, und nicht umgekehrt.

Klar, er wollte auch arbeiten und etwas dazuverdienen, doch allein die Tatsache, dass ich mir dann irgendwann kein Geld mehr von ihm würde leihen müssen, und dass ich uns beide von meiner Hände Arbeit ernähren würde, machte, dass ich mich jetzt wesentlich stärker fühlte als eben noch in der Gebetshalle.
 

Nach dem Frühstück sprach mich Frau Watanabe noch einmal an.

„Haben Sie noch einen Moment, Aoba-san?“, fragte sie.

„Mein Freund wartet draußen auf mich“, antwortete ich.

„Es dauert auch gar nicht lange“, sagte sie. „Ich wollte Sie nur noch einmal fragen, ob Sie sich in dem, was wir wegen Ihrer Arbeitsfähigkeit besprochen haben, sicher genug fühlen. Falls irgendwelche Unsicherheiten auftreten, kommen Sie bitte schnellstmöglich zu mir.“

Ich nickte. „Ja, werde ich machen.“

In diesem Moment fühlte ich mich zwar wieder so, als ob ich das alles schon schaffen würde, doch ich kannte mich gut genug um zu wissen, dass meine Unsicherheit jederzeit zurückkommen konnte.
 

Ich ging in mein Zimmer, um meine Tasche zu holen und mich von Komori zu verabschieden.

„Jetzt gehst du also?“, fragte er, auf dem Bett sitzend, eine Zigarette in der Hand.

„Ja“, sagte ich. „Ich geh jetzt erst mal mit zu Meto nach Hause und morgen ziehen wir in die neue Wohnung.“

„Na dann, viel Glück, Tsuzuku. Und lass dich vom Leben da draußen nicht unterkriegen.“ Komori lächelte, nahm einen Zug von seiner Zigarette und hielt sie mir hin. „Hier, als kleine Abschiedsgeste.“

Ich nahm die halbe Zigarette an und rauchte sie noch zuende, bevor ich meine letzten herumliegenden Klamotten noch irgendwie in meine Tasche zwängte und dann den Raum, der die letzten Monate über mein Zuhause gewesen war, verließ. Komori lächelte mir zu, als ich die Tür hinter mir zuzog. Es war durchaus möglich, dass wir uns wiedersahen, schließlich kannte ich seine neue Adresse, doch ich wusste nicht, ob ich ihn wirklich einmal dort besuchen würde.
 

Meto erwartete mich im Tempelgarten. Er hatte zwei Taschen dabei, einmal seine übliche Umhängetasche und dann noch eine zweite, die er mit Blick auf meine übervolle schwarze Reisetasche öffnete.

„Pack doch ein paar Sachen hier rein“, sagte er, woraufhin ich meine Tasche abstellte und diejenigen Sachen, die kaum noch da hineingepasst hatten, herausnahm und umpackte.
 

Auf dem Weg nach Akayama redeten wir nicht viel. Ich war in Gedanken damit beschäftigt, mir das jetzt auf mich zu kommende neue Leben vorzustellen, und nahm an, dass Meto dasselbe tat.

Morgen schon würden wir zusammenziehen, in die große Stadt am Meer, in eine Wohnung, die nur uns beiden gehörte. Ein seltsames Gefühl irgendwie. Da kam etwas ganz neues auf mich zu, etwas, worauf ich mich freute, und gleichzeitig auch ein wenig Angst davor hatte.

„Ich bin ganz aufgeregt“, sagte Meto leise, kurz bevor wir sein Elternhaus erreichten.

„Wegen morgen?“

Er blieb stehen, nickte, nahm meine Hand.

„Wir schaffen das schon irgendwie“, sagte ich und spürte weiter diese Mischung aus Vorfreude und leichter Angst. Ich wollte das so sehr, mein Leben mit Meto verbringen, doch ich kannte mich gut genug, um zu wissen, dass es nicht leicht werden würde.
 

„Da seid ihr ja“, begrüßte uns Metos Mama an der Tür. „Yuu, fangt ihr gleich an, deine Sachen einzupacken? Dann können wir die ersten Kisten nachher schon losschicken, wenn der Umzugswagen da ist.“

„Ich … hab schon fast alles … eingepackt“, antwortete Meto und zog sich die Schuhe aus. „Gestern Abend …“
 

Die Planung unseres Umzuges hatte fast den ganzen Winter in Anspruch genommen. Immer mal wieder war ich zu Meto nach Hause mitgekommen und wir hatten mit seinen Eltern alles besprochen. Sie hatten darauf bestanden, uns nicht nur sämtliche neuen Möbel zu bezahlen, sondern auch die ersten Mieten zu übernehmen, bis er und ich genug eigenes Geld verdienten.

Und, was für mich emotional noch viel wichtiger war: Die Eltern meines Liebsten behandelten mich inzwischen wie ein Familienmitglied. Metos Mama Manami war dazu übergegangen, mich ab und zu Genki zu nennen, da sie anscheinend fand, dass, wenn sie ihren Sohn mit seinen richtigen Namen ansprach, das auch für mich als So-was-wie-Schwiegersohn-in-spe galt. Ich bekam dadurch langsam wieder so etwas wie ein Familiengefühl und spürte, dass ich das vermisst hatte.
 

Zu meiner verbliebenen Blutsverwandtschaft wollte ich jedoch auch weiterhin keinen Kontakt. Die sahen mich sicher nur als abgestürzte Existenz an und hatten in meiner Gefühlswelt auch absolut nichts mit Mama gemeinsam, zumal wir beide auch, als sie noch gelebt hatte, kaum Kontakt zu ihrer Familie gehabt hatten. Nein, ich brauchte diese Leute nicht. Und meinen Vater, den ich seit meinem achten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte, schon gar nicht. Ich konnte mich ja kaum mehr an ihn erinnern.
 

Meto und ich gingen Hand in Hand hinauf in sein Zimmer. Dort herrschte schon totales Umzugschaos, nichts war mehr an seinem Platz und um das Bett herum standen Kisten, gefüllt mit allem, was in den Schränken gewesen war oder herumgestanden hatte. Auf einer der Kisten las ich meinen Namen und vermutete, dass sie die Sachen aus der großen Schublade unter Metos Bett enthielt.

Das Bett war der einzige Ort in diesem Chaos, der noch normal aussah. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass es hier bleiben sollte und wir in der neuen Wohnung ein neues bekamen. Für den Fall, dass wir mal wieder hierher zu Besuch herkamen und über Nacht blieben.
 

Meto setzte sich aufs Bett, zog mich zu sich herunter und küsste mich. Seine Lippen, so unglaublich süß und weich, vertrieben sofort jede Angst, mit einem Mal fühlte ich mich wieder vollkommen sicher. Ich legte meine Hände auf seine Schultern und drückte ihn rückwärts in die Kissen, meinen Körper an seinen, küsste ihn mit meiner ganzen Liebe. Dachte daran, dass ich ab Morgen jeden Tag neben ihm aufwachen würde, und dieser Gedanke machte mich einfach wahnsinnig glücklich.

„Ich liebe dich“, flüsterte ich gegen seine Lippen.

„Ich dich auch, Tsu.“
 

Am liebsten wäre ich mit ihm viel länger so liegen geblieben, doch hier lagen noch einige Sachen herum, die darauf warteten, in Kisten gepackt zu werden. Und so erhob ich mich wieder und begann, mir einen Überblick über die Umzugskartons und ihren Inhalt zu verschaffen. Alles war noch nicht eingepackt und so brachten Meto und ich die nächste Viertelstunde damit zu, diesen Rest auch noch irgendwie unter zu bringen.
 

In diesem Durcheinander fand ich mein Messer wieder. Es steckte in dem Spalt zwischen Matratze und Bettrahmen, wo ich es nur zufällig entdeckte, als ich einen kleinen Stapel DVDs in einen der Kartons packen wollte.

Ich erschrak ein wenig, zog es mit leicht zitternden Händen aus dem Spalt heraus und hielt es geschlossen in der Hand, wusste nicht, wohin damit.

„Meto …“, begann ich, doch er hatte schon gesehen, was ich gefunden hatte.

„Gib das mir, ich tu’s in den Karton mit deinen Sachen.“

Ich gab ihm das Messer in die Hand und spürte augenblicklich, dass ich mich besser fühlte, wenn ich es nicht hatte. Denn solange ich es nicht zur Hand hatte, konnte ich mir damit ja auch nichts tun.

Meto legte es zu meinen anderen Sachen in den Karton, klappte diesen zu und kurz darauf rief Manami von unten: „Der Umzugswagen ist da!“
 

Es war irgendwie ein etwas eigenartiges Gefühl, die ganzen Kartons aus dem Zimmer zu tragen und unten auf der Straße in den Umzugswagen zu räumen. Es erinnerte mich ein wenig daran, wie ich damals, als ich Mamas und meine Wohnung verloren hatte, den Großteil meines Besitzes hatte verkaufen müssen. Doch ich wischte diese Gedanken schnellstmöglich beiseite. Vor mir lag eine neue Zukunft, da war es nicht gut, an solche vergangenen Dinge zu denken.
 

Um mich abzulenken, dachte ich daran, wie ich heute Abend mit Meto in seinem bis auf das Bett leeren Zimmer liegen würde. Ich hatte nicht vor, heute mit ihm zu schlafen, sondern wollte ihn einfach im Arm halten, ein bisschen kuscheln und küssen. Sex würden wir dann in der neuen Wohnung haben, wo keine Eltern da waren, die uns hätten hören können, und wo der Reiz einer neuen Umgebung es sicher noch mal anders schön machen würde.
 

Als der Umzugswagen dann davonfuhr, bemerkte ich, dass Meto ziemlich aufgeregt war. Verständlich, denn immerhin würde er morgen sein Elternhaus verlassen. Ich legte meinen Arm um ihn, zog ihn an mich und drückte meine Lippen kurz auf seine.

„Hey, wir schaffen das schon“, sagte ich, auch um mich selbst noch einmal zu überzeugen. „Und wenn nicht, können wir immer noch wieder zurück.“

„Meinst du, du packst das?“, fragte Meto leise.

„Na klar, ich hab ja dich.“
 

Da fast alles, womit wir uns sonst beschäftigt hatten, jetzt verpackt und weggeschickt war, mussten wir uns irgendwas einfallen lassen, um die Zeit bis Mittag herumzukriegen.

Letztendlich landeten wir vor dem Fernseher im Wohnzimmer mit einer DVD, die deshalb nicht in die Umzugskisten gewandert war, weil der Film Manami gut gefiel und sie die DVD deshalb hierbehalten wollte. Der Film war zwar nicht hundertprozentig mein Fall, aber okay, und er war lang genug, damit wir bis zum Mittag beschäftigt waren.
 

Mittags hatte ich richtig Hunger, es gab irgendwas Italienisches, was ich auch recht gern mochte. Im Tempel wurde nur traditionell japanisch gekocht, das war mir über den ganzen Winter immer mal wieder beinahe ein wenig langweilig geworden.

Ich aß auch heute nicht viel, aber genug, wurde satt und verspürte kaum Angst vor dem Essen. Ich war nur ein wenig aufgeregt und hatte auch das Gefühl, dass mein Magen nicht so viel aufnehmen konnte wie der von anderen Menschen.

„Schmeckt’s dir?“, fragte Manami.

Ich nickte, lächelte, nahm mir aber nicht noch mehr, weil ich wirklich nichts mehr runterbekam.

„Das ist schön. Ich kann euch was davon einpacken, dann müsst ihr morgen nicht kochen, sondern nur aufwärmen.“

„Danke.“
 

Manami war wirklich toll, hatte auch ein bisschen Ähnlichkeit mit Mama und ich mochte sie sehr gern. Wie gesagt, sie behandelte mich schon wie ein festes Mitglied ihrer Familie, sah mich als ihren Schwiegersohn an und ich vermutete, dass sie sich viele Gedanken um mich machte.

„Yuu, Genki, wenn ihr irgendwie Hilfe braucht, dann bin ich da, hört ihr?“, sagte sie.

„Jaa, Mama …“, antwortete Meto leise, klang wie ein leicht genervter Teenager.

„Wir kommen darauf zurück“, sagte ich und lächelte.
 

Nach dem Mittagessen wollten wir noch los, in die Stadt, zu einem Einrichtungsladen, da Manami darauf bestand, dass wir unsere neue Wohnung ordentlich ausstatteten.

Tamotsu, wie ich Metos Vater inzwischen nannte, war natürlich wieder arbeiten und kam nicht mit, aber es reichte auch vollkommen, dass Manami dabei war, um die Sachen, die sie längst mit uns zusammen bestellt hatte, entweder abzuholen oder die Lieferung zu unserer Wohnung zu organisieren.
 

Am Anfang der ganzen Planung hatte ich noch darauf bestanden, dass das Geld für das alles nur geliehen war und ich es irgendwann zurückzahlen würde, doch das hatten mir die Eltern meines Liebsten sehr schnell ausgeredet.

„Keine Widerrede, wir schenken euch das!“, hatte Tamotsu gesagt und damit war das Thema Geld fürs Erste vom Tisch gewesen. Und ich hatte mich damit zufrieden gegeben, zumal ich mangels eines gesicherten Jobs auch keine Argumente hatte. Es hatte definitiv seine Vorteile, wenn der eigene Freund aus einer reichen Familie kam, in der man sich um Geld keine Sorgen machen musste.
 

Als wir den Laden erreichten, dessen Sortiment sich, schon am Schaufenster ersichtlich, in einer gehobeneren Preisklasse befand, war es mir dann aber doch wieder ein wenig unangenehm, dass wir hier die Möbel für unsere kleine Wohnung kaufen sollten. Aber Manami ließ in der Hinsicht nicht mit sich reden. Ich verstand zwar nicht ganz, warum sie so sehr auf einer teureren Einrichtung bestand, doch ich nahm es wie gesagt irgendwie hin.
 

Als ich mir das Schaufenster genauer ansah, fiel mir eine kleine, silberne Buddha-Figur zwischen den teils sogar antiken Möbeln auf. Sie hatte genau denselben Ausdruck auf dem Gesicht wie die Statue im Tempel und strahlte eine solche ruhige Schönheit aus, dass ich vor dem Fenster stehen blieb.

Meto sah mich fragend an und ich deutete auf die Figur.

„Die ist schön, oder?“

Er nickte und sah sie sich ebenfalls genauer an. „Magst du die?“, fragte er dann.

Manami war schon voraus in den Laden gegangen, ich sah durchs Fenster, wie sie eine der Verkäuferinnen ansprach und wahrscheinlich mit dieser den Einkauf, beziehungsweise das Abholen der bestellten Möbel, besprach.

Ich wusste, ich musste nur etwas sagen und ich würde diese Statue bekommen. Doch nach den zwei Jahren auf der Straße wollte ich nicht so wirken, als ob ich mir jetzt, wo das vorbei war, auf einmal alles nahm, was mir angeboten wurde. Ich hatte immer noch das Gefühl, in Metos Schuld zu stehen, und die Großzügigkeit seiner Eltern verstärkte das noch.
 

Meto sah mich einen Moment lang aufmerksam an.

„Die sieht fast so aus wie die im Tempel“, sagte ich mit Blick auf diese Statue.

„Glaubst du jetzt daran? Nachdem du da gelebt hast?“

„Ja“, antwortete ich. „Irgendwie schon.“

Ich zählte mich zwar immer noch zu keiner Religion und genau benennen, woran ich glaubte, konnte ich auch nicht, doch da war irgendwas, so ein Gefühl in mir, das sich ein wenig so anfühlte, wie ich mir ‚glauben‘ vorstellte.
 

„Du willst diese Statue hier haben, oder?“, fragte Meto.

Ich atmete einmal ein und aus und nickte.

„Dann sag das doch!“

„Ich wollte nicht … wegen dem ganzen Geld …“

„Hm … versteh ich. Aber du musst dir da wirklich keine Gedanken machen. Meine Eltern tun das wirklich gern.“

„Das weiß ich ja auch, aber …“

„Willst du sie jetzt haben oder nicht?“

„Ja. … Will ich.“

„Dann kriegst du sie.“ Meto lächelte mich strahlend an. „Keine Widerrede, Tsu.“
 

Wenn er mich so anstrahlte, konnte ich auch gar nicht widersprechen. Dieses Lächeln hatte auf mich eine derartig einnehmende, jede Widerrede in Luft auflösende Wirkung, dass es mir fast schon ein wenig unheimlich war. Ich war immer noch so wahnsinnig verliebt in ihn wie vor dem Winter, und es fühlte sich auch nicht so an, als würde dieses Gefühl jemals nachlassen.

Ich blieb vor dem Laden stehen, Meto lief hinein und berichtete seiner Mama von unserer Absicht, diese Buddha-Statue zu kaufen. Manami hatte anscheinend alles, was die Möbel betraf, geklärt, und kam mit Meto wieder aus dem Laden.

„Die ist aber auch wirklich schön“, sagte sie mit Blick auf die kleine Statue.

„Sie soll mich an den Tempel erinnern, an das, was ich da gelernt habe“, erwiderte ich leise.

„Das ist eine schöne Idee. Du bist ja sicher aufgeregt wegen der Vorstellungsgespräche, oder?“

Ich nickte. Ja, ich war aufgeregt, und ja, ich hatte Angst. Aber sobald ich dem Buddha in das gelassene, ruhige Gesicht blickte, wurde diese Angst weniger und ich konnte wieder lächeln.

„Und wenn was nicht klappt, musst du dir auch keine Sorgen machen. Wir unterstützen euch so lange, wie ihr es braucht“, sagte Manami.

„Danke.“ Ich deutete eine leichte Verbeugung an, die sie jedoch abwinkte. Vielleicht sollte ich das, was ich von ihr und Tamotsu geschenkt bekam, wirklich annehmen.
 

Der eigentliche Kauf der Statue war dann keine große Sache mehr, die Manami wieder allein erledigte. Währenddessen standen Meto und ich wieder vor dem Laden.

Über die Statue waren meine Gedanken wieder bei der großen im Tempel gelandet und bei dem, was ich heute Morgen gedacht hatte, als ich zum letzten Mal in der Gebetshalle gewesen war. Dass ich krank war, gestört, kaputt, vielleicht unheilbar. Und dass ich nicht wollte, dass Meto sich deswegen Sorgen um mich machte. Deshalb sprach ich nicht darüber. Solange ich selbst noch nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte, wollte ich nicht, dass sich jemand anderes Gedanken darum machte.
 

„Tsuzuku?“, riss mich Meto aus meinen Gedanken. „Ist was?“

„… Hm? Nein, wieso?“

„Du siehst gerade so traurig aus.“

„Bin ich aber gar nicht“, antwortete ich und das war noch nicht mal gelogen. Eigentlich war ich schließlich nicht traurig.

Meto sah mich an, legte dann seine Arme um mich und sagte: „Hey, lächeln! Ist doch alles gut, oder?“

Ich lächelte, konnte es jedoch nicht lange auf meinen Lippen halten. Und ich spürte, dass Meto sich jetzt Sorgen machte. Genau das wollte ich ja nicht, deshalb erwiderte ich die Umarmung und drückte kurz meine Lippen auf seine, nickte dann. „Ja, alles gut.“
 

In dem Moment kam Manami aus dem Laden, in der Hand eine Tüte mit einer rechteckigen Kiste darin, welche die kleine, silberne Statue enthielt. Ich hoffte, dass dieser Buddha uns Glück bringen, und mich in schweren Momenten beruhigen würde, wie es der im Tempel getan hatte.

Auf dem Weg zurück zur Villa hielt Meto fast die ganze Zeit über meine Hand. Ich spürte, dass er sich Gedanken machte und sich wahrscheinlich fragte, ob bei mir wirklich alles in Ordnung war.
 

Den Rest des Tages hingen wir wieder mehr oder weniger herum. Es gab nichts weiter zu tun und so landeten wir zum wiederholten Male vor dem Fernseher. Zum Glück liefen dort einige genügend interessante Sendungen, sodass es wenigstens nicht vollkommen langweilig wurde. Ab und zu sah ich Meto an und überlegte, was er wohl dachte und inwiefern er wohl bemerkte, dass ich ihm im Moment nicht die ganze Wahrheit von mir zeigte.
 

Irgendwie kam ich dann mit den Gedanken auf Koichi. Bei ihm war ich mir nämlich beinahe schon sicher, dass er wusste, was los war. Schließlich war ich für ihn wie ein offenes Buch und mich wunderte schon, dass er mich noch nicht darauf angesprochen hatte. Na ja, vielleicht wusste er zwar, dass bei mir wieder mal etwas nicht stimmte, doch hatte noch nicht ganz herausgefunden, worum es genau ging. Oder er spürte, dass ich nicht darüber sprechen konnte. Ich wusste es nicht.
 

Irgendwann, als wir einfach auf gar nichts mehr Lust hatten, gingen Meto und ich hinauf in sein fast leeres Zimmer, ins Bett. Da wir beide irgendwie noch nicht wirklich müde waren, lagen wir einfach Arm in Arm da und sprachen ein wenig darüber, wie unser Leben in der Großstadt am Meer von jetzt an aussehen würde. Wir gerieten beide ein wenig ins Träumen davon, jeden Tag zusammen zu sein, zu arbeiten und uns irgendwann selbst zu versorgen.
 

„Ich freu mich da irgendwie total drauf“, sagte Meto leise, rückte noch ein wenig näher zu mir und barg sein Gesicht an meinem Hals. „Immer mit dir zusammen zu sein.“

Ich lächelte, diesmal ganz ehrlich und glücklich. „Ich auch.“ Und legte meinen Arm um ihn, um seinen Körper enger an meinen zu drücken.

„Ich liebe dich“, flüsterte er, drückte seine Lippen auf meine Haut, während seine Hand von meinem Bauch nach oben wanderte und über meine Brust streichelte. Es tat mir immer noch so wahnsinnig gut, von ihm berührt zu werden, seine Hände und Lippen auf meiner Haut und seinen ganzen Körper nah an meinem zu spüren.

Es machte mich unheimlich glücklich, doch gleichzeitig tat es in diesem Moment auch irgendwie weh. Aber dieser Schmerz war … nicht unangenehm. Es war der Schmerz eines verliebt klopfenden Herzens.
 

Meto beugte sich über mich, drückte mich mit der einen Hand in die weiche Matratze und senkte den Kopf so weit, dass seine weichen, vollen Lippen mein Implantat berührten. Ich seufzte wohlig, schloss die Augen und genoss das sanfte Tasten auf meiner Haut, dachte daran, was diese süßen Lippen schon alles mit mir angestellt hatten und wie sehr ich Meto dafür liebte, dass er meine starken Gefühle für ihn so erwiderte.

Diese Zärtlichkeiten zwischen uns hatten, obwohl wir die vergangenen Monate über einige Male miteinander geschlafen hatten, immer noch etwas geradezu Magisches an sich, etwas, das mich völlig verzaubern konnte und seit unserem ersten Mal nichts von seiner Schönheit verloren hatte.
 

„Ist das schön?“, hörte ich Meto leise fragen. Ich nickte und hob meinen Brustkorb ein wenig an, zum Zeichen, dass er nur nicht aufhören sollte. Seine Hand strich über meinen Körper, blieb dann auf meinem Herzen liegen. Sofort begann es, wild zu klopfen, was mein Liebster mit einem leisen Lachen zur Kenntnis nahm und dann, als wollte er mich noch mehr in Ekstase versetzen, mit seinen Lippen über meine Brustwarzen streifte.

Ich liebte es, wie er einfach so die Initiative ergriff, und war froh, dass ihm das anscheinend so leicht fiel, ein bisschen die Rollen zu tauschen und mich spüren zu lassen, dass er mich genauso sehr begehrte und liebte wie ich ihn.
 

„Ich lieb dich so …“, sagte er. „So … so … so … so sehr …“ Zwischen jedem ‚so‘ hauchte er kleine Küsse auf meine Brust, drückte sich ein wenig enger an mich, sodass ich spüren konnte, wie er langsam heiß wurde.

Ich schob meine Hand zwischen uns, berührte vorsichtig seine Körpermitte und fragte: „Willst du?“

Er hob den Kopf, lächelte, rückte ein Stückchen hoch und küsste mich. „Aber nur anfassen.“ Legte sich wieder neben mich und zog seine Shorts aus. Ich tat es ihm gleich, wobei mein Herz vorfreudig zu klopfen begann.
 

Dann setzte er sich auf, zog mich mit hoch, sodass wir voreinander saßen. Es erinnerte mich ein bisschen an unsere erste Nacht, damals in dem Hotel am Meer, als ich ihm meine Liebe gestanden hatte.

Und jetzt taten wir als richtiges Paar dasselbe, berührten einander, schenkten uns gegenseitig Lust als Zeichen unserer Liebe.

Metos Kopf ruhte an meiner Schulter, sein zuerst leises, dann immer tieferes Stöhnen drang an mein Ohr, und die lustgeladene Hitze zwischen uns nahm an Intensität immer weiter zu, schuf eine ganz eigene Atmosphäre um uns herum, und baute dieses wundervolle Gefühl in meinem Innern auf, das fast noch schöner war als der darauf folgende Höhepunkt.
 

Danach lagen wir eng umarmt da, ich spürte Metos Hand streichelnd auf meinem Rücken und hörte ihn leise atmen. Er reckte den Hals, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: „Schlaf schön, Tsuzuku.“

[meto] Act 2

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 3

Es war spät abends, als ich mich als Letzter auf den Weg nach Hause machte. Meine Wohnung lag in einem anderen Stadtviertel und ich nahm die Nachtbahn, die zu dieser Zeit fast völlig leer war. Ich holte mein Handy aus der Tasche, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und stellte leise Musik an, während ich aus dem Fenster in die Dunkelheit schaute. Bahnfahren hatte für mich immer etwas meditatives, gerade wenn es so leer und ruhig war. Ich konnte dann immer gut nachdenken und so dauerte es auch heute nicht lange, bis ich in Gedanken war. Die sich, nachdem ich ja den Tag mit Tsuzuku und Meto verbracht hatte, vor allem um die beiden drehten.
 

Ich machte mir Sorgen um Tsu. Er wirkte irgendwie belastet und schien vor etwas Angst zu haben. Doch, und das war es, was mir wirklich Sorgen machte, er schien nicht darüber sprechen zu wollen. Und deshalb sprach ich ihn auch nicht darauf an. Ich sah viel Abwehr und eben Angst in seinen Augen, spürte deutlich, wie sehr er sich davor fürchtete, dass jemand bemerkte, dass bei ihm etwas nicht stimmte, und ihn darauf ansprach.

Also behielt ich meine Sorge für mich, machte mir meine eigenen Gedanken und Vermutungen und versuchte, mir nicht allzu viel anmerken zu lassen. Auch, weil ich selbst ein wenig Angst hatte. Hoffentlich war das, was Tsuzuku da mit sich herumtrug, nichts allzu schlimmes. Wobei mein Gefühl, auf das ich mich eigentlich immer verlassen konnte, mir sagte, dass genau das der Fall war. Dass es schlimm war, schlimm und gefährlich, und dass Tsuzuku deshalb nicht darüber sprach.
 

Die Bahn hielt an meiner Station und ich stieg aus, ließ aber die Musik an und hörte weiter, auf dem ganzen Weg bis zu meiner Wohnung. Es war kalt, normal für Anfang März, und ich kuschelte mich in meine cremefarbene Winterjacke und den rosa Wollschal. Mit klammen Fingern stellte ich die Musik aus, zog den Schlüssel aus meiner Vivienne Westwood Bambitasche und schloss die Tür auf, zog die Schuhe aus und hängte meine Jacke an die Garderobe.
 

Meine Schritte führten mich gleich ins Wohnzimmer, zum Kotatsu-Tisch, wo ich die Steuerung der Heizdecke aufdrehte, und dann in die Küche ging, um mir Tee zu kochen. Während der zog, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab.

„Hey, Kocha, hier ist Mikan. Sag mal, hast du nächste Woche vielleicht Zeit, mit mir zum Shoppen nach Tokyo zu fahren? Ich brauch mal wieder ein paar neue Klamotten und Closet Child hat neue Ware reinbekommen. Ruf mich zurück, wenn du Zeit hast.“

Jetzt war es natürlich zu spät, Mikan zurückzurufen, also verschob ich das auf Morgen, nahm mir meinen Tee und setzte mich an den inzwischen schön warmen Kotatsu.
 

Augenblicklich machte die Wärme mich müde und ich schaltete den Fernseher an, um wach zu bleiben. Dort lief jedoch irgendwie nur uninteressantes Zeug und so machte ich ihn wieder aus, trank meinen Tee und begnügte mich damit, mein kleines, süß eingerichtetes Wohnzimmer zu betrachten.

Meine niedlichen Möbel, meine Filmsammlung, eine Menge verschiedenster CDs und nicht zuletzt meine Sammlung von etwa zwanzig kleinen und größeren Rehen aus Plüsch, Plastik und Porzellan. Ich mochte Rehe (obwohl Bambi, mein Liebling, ja bekanntlich ein Hirsch war) und irgendwann hatte ich angefangen, sie zu sammeln.
 

Einen Moment lang überlegte ich, den Bambi-Film, der sich als Sonder-Schmuck-Fanedition in meiner Sammlung befand, jetzt anzuschauen, doch da ich morgen arbeiten musste, entschied ich mich dagegen, einen stundenlangen Film inklusive Extras jetzt so spät noch zu sehen. Stattdessen trank ich meinen Tee aus, ging ins Bad, wo ich mich auszog, abschminkte und das Haarspray rauskämmte, um dann noch mal ins Wohnzimmer zu huschen, den Kotatsu auszuschalten und mich dann in mein Bettchen zu begeben.
 

Ich zog die Knie an, wie eigentlich immer und gegen die Kälte, und blickte auf meine im Dunkel schemenhaft erkennbare Handtaschen- und Schmucksammlung. Chanel, Dior und eben meine Lieblingsdesignerin Westwood waren die Urheber der meisten meiner Schmuckstücke und ich liebte jedes einzelne. Ich war schon ein kleiner Sammelfreak und Markenfan, doch ich stand dazu, weil ich gern so war.
 

Lag es an der Kälte im Raum, dass ich mich auf einmal seltsam beengt, kalt und irgendwie allein fühlte? Es kam völlig aus dem Nichts und fühlte sich an wie ein kleines, dunkles Loch, durch das ein eisiger Wind zog. Plötzlich bekam ich Angst, zog meine Bettdecke etwas höher und fragte mich, was denn auf einmal mit mir los war. Ich kannte dieses Gefühl nur aus meinen seltenen Albträumen, doch dass es mich jetzt auch im Wachzustand heimsuchte, war mir völlig neu. Langsam stand ich auf, nahm ein Sweatshirt mit Kapuze aus dem Schrank und zog es mir über, legte mich dann wieder ins Bett und brauchte sehr lange, bis ich endlich eingeschlafen war.
 

Ein durchdringendes „Piep, piep, piep, piep …“ weckte mich am nächsten Morgen. Ich kroch unter der Decke hervor, streckte die Hand aus und versetzte der Lärmquelle, auch Wecker genannt, einen gezielten Schlag, was ihn für die nächsten vierundzwanzig Stunden zum Schweigen bringen sollte.

Gähnend richtete ich mich auf, streckte mich, woraufhin mir prompt leicht schwindlig wurde, und erst jetzt bemerkte ich, dass ich kein Schlafshirt, sondern einen meiner Kapuzenpullis trug.

Warum? Ich versuchte, mich an gestern Abend zu erinnern, doch ich bekam das seltsame Gefühl, das mich vor dem Einschlafen heimgesucht hatte, nicht recht zu fassen, konnte mich nur schemenhaft und entfernt daran erinnern. Vielleicht war das ganz gut so, immerhin war es kein gutes Gefühl gewesen und ich sollte gar nicht so sehr darüber nachdenken.
 

Mit einem Ruck zog ich die Bettdecke beiseite, stand auf und öffnete meinen Kleiderschrank, suchte mit geübtem Blick eine pinke Jeans, einen hellen, geblümten Pullover und eine lange, altrosa Strickjacke heraus, dazu eine schlichte Halskette, zwei Ringe und einen meiner Herzanhänger. Zusammen mit meiner Standartausstattung ergab das ein einigermaßen gelungenes Outfit.

Mit den Klamotten über dem Arm und dem Schmuck und meinem Handy in der Hand ging ich ins Bad, legte alles auf dem Regal ab, stellte Musik an, zog mich aus und ging erst einmal schnell unter die Dusche.
 

Das heiße Wasser vertrieb die Kälte und tat mir gut, die Musik sorgte dafür, dass ich gute Laune bekam und ich summte leise mit, während ich mich wusch und dann noch eine Weile unter dem warmen Regen stand. Schließlich stieg ich aus der wasserdampfgefüllten Kabine, schnappte mir ein Handtuch und trocknete mich schnell und gründlich ab, um mich dann anzuziehen.

Während meine Haare in ein Handtuch eingewickelt trockneten, ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich kurz an meinen Laptop, um meine Nachrichten auf diversen sozialen Netzwerken zu lesen und zu nachzuschauen, was es neues gab.

Es war nichts Großartiges passiert und so wandte ich mich wieder meiner Körperpflege zu, indem ich meine Haare trockenrieb, kämmte und zu meinem üblichen Zopf zusammenband. Ein Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich ein bisschen schwarzen Ansatz hatte und daher demnächst ein Besuch bei meiner Lieblingsfriseurin angesagt war.

Während ich mich schminkte, ließ ich weiter Musik laufen. Ich wusste nicht, warum, aber ich konnte mich immer besser hübsch machen, wenn dabei Musik lief, am besten melodische Rockmusik.
 

Als ich dann mit allem fertig war, wurde es langsam hell draußen und ich verließ die Wohnung, lief durch das kalte Treppenhaus nach unten und aus dem Haus, zur Bahnstation, die mich in das Viertel bringen sollte, in welchem sich meine Arbeitsstelle, das Kawaii-Café ‚Amai Ame‘ befand. Es lag gut, genau zwischen meiner Wohnung und der, in der Meto und Tsuzuku jetzt lebten. Da Meto, wenn alles gut lief, in ein paar Tagen dort anfangen würde, würden wir uns wohl jeden Morgen an der Bahnstation treffen und dann den Tag über zusammen arbeiten.

Es hatte mir Spaß gemacht, ihn die zwei Tage, die er zur Probe da gewesen war, in den Betrieb einzuführen und den Gästen vorzustellen. Er schien ziemlich überrascht, dass er bei den vornehmlich weiblichen Gästen so gut ankam, wirkte aber sonst recht zufrieden und schien sich darauf zu freuen, zu arbeiten. Meinem Wissen nach war das seine erste Beschäftigung nach dem Schulabschluss und dafür hatte er sich an diesen zwei Tagen recht gut geschlagen.
 

In der Bahn dachte ich noch ein bisschen über ihn und Tsuzuku nach, darüber, wie besonders das zwischen den beiden war und wie schwer zu verstehen es für andere schien. Ich erinnerte mich noch gut an MiA, daran, wie dieser versucht hatte, einen Blick ins Innere dieser engen, damals noch eher freundschaftlichen Beziehung zu werfen und daran gescheitert war.

‚Zwischen Tsuzuku und Meto passt kein Blatt Papier …‘, dachte ich und musste lächeln. Ich wusste, ich benahm mich da manchmal wie ein kleines Fangirl. Tsuzuku zog mich ja oft genug aus Spaß damit auf, dass ich schwärmerisch reagierte und ein wenig schmachtete, wenn er in meiner Anwesenheit Meto küsste und berührte. Aber ich nahm ihm das nicht übel, im Gegenteil, ich fand seine manchmal so leicht ironische Art sympathisch.

Und, zugegeben, ich war ein wenig neidisch. Wie gern hätte ich selbst so eine enge, süße Beziehung gehabt, in der man füreinander da war und sich gegenseitig ergänzte.
 

Die Bahn hielt und ich stieg aus, lief durch die Straßen, in denen es jetzt schon recht hell war, bis ich meinen Arbeitsplatz erreicht hatte.

„Morgen, Kocha!“, rief mir meine Kollegin Satsuki, genannt Satchan, entgegen. Sie war, mit Ausnahme unserer Junior-Chefin, die einzige weibliche Kraft hier, schlug sich aber ganz gut.

„Guten Morgen!“, grüßte ich sie lächelnd zurück und ging dann in die Privaträume, um meine Uniform anzuziehen. Diese bestand aus einem kaffeebraunen Anzug mit weißem Rüschenhemd und Schuhen mit leichtem Absatz, dazu meinem Namensschild, auf dem neben der niedlichen Zeichnung eines kleinen Rehkitzes mein Spitzname ‚Kocha‘ in Katakana stand. Eigentlich war es keine richtige Uniform, denn jede Bedienung in diesem Laden trug ein in Farbe, Schnitt und Muster individuell angefertigtes Outfit, doch der Einfachheit halber hieß diese edle Arbeitskleidung eben ‚Uniform‘.
 

Nachdem ich mich umgezogen hatte, begann ich mit der Arbeit, die vor den Öffnungszeiten vor allem daraus bestand, alles vorzubereiten und Waren wie Kuchen, Milch und so weiter aus dem im Hinterhof stehenden Kühlwagen in den Kühlschrank des Cafés zu räumen. Als ich damit fertig war und mir am Fenster des Umkleideraumes eine Zigarette genehmigte, kam Satchan dazu und fragte: „Weißt du, wann der Neue jetzt kommt?“

„Das Vorstellungsgespräch ist am Donnerstag“, antwortete ich. „Und er heißt Meto.“

Satchan kicherte. „Ich finde den so niedlich! Wo hast du so ein süßes Etwas gefunden?“

Ich nannte den Namen der Stadt, in der Meto bis gestern gelebt hatte, und den Namen des Parks.
 

„Und er ist echt schwul und hat nen Freund?“, fragte Satchan weiter, mit einem Leuchten in den Augen, das sie eindeutig als Fujoshi auswies.

„Ja. Aber du musst da nicht so ein Theater drum machen. Meto ist, na ja, nicht direkt schüchtern, aber eben nicht daran gewöhnt, dass irgendwelche Mädels ihn wegen seiner sexuellen Orientierung fangirlen. Ich möchte dich auch bitten, ihn nicht nach Top oder Bottom und so etwas zu fragen, okay?“, erwiderte ich, ruhig aber bestimmt. Ich wollte, dass Meto gern hier arbeitete, und möglichst ohne andauernd intime Fragen gestellt zu bekommen.

„Ist gut“, sagte sie und senkte den Blick. „Ich hab nur noch nie ‘nen Schwulen getroffen, deshalb bin ich halt so neugierig. Ich kenn das nur aus Manga und so.“

„Geh einfach ganz nett und normal mit ihm um“, sagte ich und drückte meine Zigarette auf dem Fenstersims aus.

Satchan nickte und verschwand wieder, ich blieb noch eine Weile am Fenster sitzen, machte es dann zu und mich wieder an die Arbeit.
 

Der Vormittag verlief so wie immer, ein fast normaler Arbeitstag in einem nicht ganz so gewöhnlichen Café. Ich bediente die Gäste, machte bei den Spielchen und Aktionen mit, die wir ihnen anboten, und hatte das Gefühl, meinen Job gut zu machen. Immerhin war ich relativ beliebt bei einer bestimmten Art von Mädchen und manche wollten explizit von mir und niemand anderem bedient werden.
 

„Kocha, du bist so niedlich!“, quietschte eine unserer Stammbesucherinnen, nachdem ich ihr den Kuchen mit einem Herz aus Schokosoße verziert hatte.

Ich lächelte, malte noch einen Smiley dazu, und sie fotografierte mein Stegreif-Kunstwerk mit der Handykamera, bevor sie ein Stück davon nahm, aß, und mich dann wieder anstrahlte.

Länger konnte ich nicht bei ihr bleiben, denn einer meiner Kollegen rief mich, weil eine andere Besucherin ein Foto mit ihm und mir wollte.

Ich wusste nicht genau, ob meine Beliebtheit bei den Gästen nur auf meine rosa Haare und mein feminin geschnittenes Gesicht zurückzuführen war oder darauf, dass ich einfach freundlich und aufgeschlossen war, aber ich nahm es so hin, schließlich war es ja ganz schön, beliebt und erfolgreich in meinem Tun zu sein.
 

Meine Mittagspause verbrachte ich woanders, in einem kleinen Park ein paar Straßen weiter. Ich kaufte mir an einem Stand etwas zu essen und setzte mich dann auf eine Bank, von wo aus ich den Leuten zusah, die ihre Pause ebenfalls hier verbrachten.

Dabei dachte ich an Mikan und an ihren geplanten Shoppingtrip. Kurzentschlossen holte ich mein Handy heraus und schrieb ihr eine Mail: „Hey, Mikan-chan! ^-^ Ich würde gern mit dir nach Tokyo fahren. Kann ja immer mal neue Sachen gebrauchen. ^_- Herz dich, Süße. Koichi <3“
 

Und schon musste ich grinsen. Ich freute mich jedes Mal unheimlich auf solche Shoppingtrips, einfach weil ich Einkaufen liebte und Mikan gern mochte. Meistens fuhr ich mit ihr, manchmal auch mit jemand anderem. Ich hatte fünf, sechs gute Freundinnen, und Mikan war meine beste.

Sie war zwei Jahre jünger als ich und ich kannte sie schon recht lange, genauer gesagt seit einer Visual-Styling-Convention vor fünf Jahren. Ich besuchte regelmäßig solche Veranstaltungen und Treffen, zum einen, um keinen Trend zu verpassen, und zum anderen, weil ich einfach gern neue Leute kennen lernte.
 

Während ich so da saß und über Sachen nachdachte, die so gewesen waren und was wohl noch kam, landeten meine Gedanken bei dem Tag im letzten Herbst, als ich mit Hanako und Haruna zum ersten Mal im Akutagawa-Park gewesen war und dort Tsuzuku getroffen hatte.
 

Er hatte abseits auf seinem Platz gesessen und zuerst hatte ich ihn gar nicht wahrgenommen mit seinen abgewetzten Sachen und den dunklen Klamotten. So richtig gesehen hatte ich ihn erst, als er auf Harunas Aufforderung hin zu uns gekommen und sich dazu gesetzt hatte.

Ich hatte mich mit Hanako unterhalten und den auffallend dünnen, aber für einen Obdachlosen recht gepflegten Mann, der älter wirkte als ich, obwohl wir etwa gleich alt waren, erst dann wirklich angeschaut. Hatte bemerkt, wie er mein an dem Tag sehr schickes, pastellfarbenes Outfit mit leicht hochgezogenen Augenbrauen gemustert hatte und erst einmal nur zuhörte, wie ich mich mit Mikan und den beiden anderen unterhielt. Nebenbei hatte ich etwas von seiner dunklen Ausstrahlung mitbekommen, und in seinen dunkelbraunen Augen etwas gesehen, das irgendwie mein Interesse weckte.

Dann hatte Hanako mich vorgestellt und ich hatte erfahren, wie sein Name war und dass er wirklich hier lebte. Und ich, freundlich wie ich eben war, hatte ihn gleich mit Namen angesprochen und gesagt, dass es mich freute, ihn kennen zu lernen.
 

Sein scheues Lächeln, welches als Erwiderung auf meine Freundlichkeit zurückgekommen war, hatte mein Interesse weiter bestärkt. Abgesehen von seinem offensichtlichen Untergewicht war Tsuzuku ein attraktiver Mann mit einer zwar dunklen, aber überhaupt nicht unangenehmen Aura, seine Tattoos und Piercings machten ihn interessant und ich hatte mir sofort gewünscht, mich mit ihm anzufreunden.

Von dem kurzen Gespräch zwischen ihm und Haruna hatte ich nicht viel mitbekommen, er war dann noch eine Weile geblieben, doch mit einem Mal aufgestanden, zu seinem Platz und dann woanders hingegangen.

„Koichi?“, hatte Haruna mich gefragt und ernst angesehen. „Würdest du Hanako und mir … einen Gefallen tun?“

„Was denn?“, war meine Antwort gewesen, ich hatte gelächelt.

„Könntest du dich … na ja, ein bisschen um Tsuzuku kümmern? Er ist ziemlich einsam, hat nur einen einzigen guten Freund, und es geht ihm … nicht so gut. Ich glaube, es würde ihm gut tun, mal jemand neues kennen zu lernen.“
 

Ich schreckte aus meinen Erinnerungen auf, als eine Taube direkt vor meinen Füßen plötzlich aufflog und mit einem klappernden Geräusch in einem der Bäume hinter mir verschwand. Automatisch blicke ich auf meine Armbanduhr. Ich hatte noch zehn Minuten, dann musste ich mich wieder auf den Weg ins Café machen. Und so hing ich noch eine Weile meinen Gedanken nach und erinnerte mich weiter daran, wie ich Tsuzuku kennen gelernt und zum ersten Mal auch in seine Dunkelheit geblickt hatte.
 

Mir war sofort klar gewesen, dass er, auch wenn er auf den ersten Blick eher zurückhaltend gewirkt hatte, auch ganz anders sein konnte, und so hatte es mich wenig überrascht, dass er, als ich zu ihm gegangen war und ihn gefragt hatte, ob alles okay war, ziemlich abweisend reagierte. Harunas Worte, dass Tsuzuku irgendwelche schwerwiegenden Probleme hatte, hatten sich in dem Moment bestätigt, als ich ihn auf dieser Bank am Fluss sitzen sah und den traurigen Ausdruck in seinen Augen bemerkt hatte.

In dem Moment hatte ich beschlossen, mich mit ihm anzufreunden. Ich hatte nur wenige männliche Freunde und Tsuzuku war mir schnell als jemand erschienen, mit dem ich mich vielleicht, wenn ich denn erst einmal durch seine harte Schale durch kam, gut verstehen konnte.

Und so hatte ich mich neben ihn gesetzt und ihm meine freundschaftlichen Absichten mehr oder weniger direkt ins Gesicht gesagt.
 

Ich wusste nicht, woher genau ich diese Fähigkeit hatte, in den Augen mancher Menschen ihr Gefühlsleben zu lesen. Na ja, meine Mutter konnte das auch, vielleicht hatte ich es ja von ihr geerbt. Jedenfalls konnte ich es und Tsuzuku war so ein Mensch, bei dem es mir sehr leicht fiel, zu erkennen, wie er sich gerade fühlte. So gesehen war er der perfekte beste Freund für mich, zumindest wenn es darum ging, ihm zu helfen. Es gab auch Menschen, die ich weniger gut lesen konnte, bei Meto zum Beispiel klappte es nicht so einfach, was jedoch meiner Zuneigung zu ihm keinerlei Abbruch tat.
 

Jedenfalls hatte ich diese meine Fähigkeit bei Tsuzuku von Anfang an voll ausgespielt und so sehr bald erkannt, dass er verliebt war, und von welcher Art seine Probleme mit dem Essen waren. Zusammen mit meiner Offenherzigkeit hatte meine Gefühlsleserei wohl einen ziemlich nervigen Ersten Eindruck hinterlassen, jedoch offensichtlich erfolgreich, denn wir hatten uns ja tatsächlich sehr gut angefreundet. Ich hatte seine harte Schale geknackt, oder zumindest einen Schlüssel zu seinem Innern gefunden, und bis jetzt war ich eigentlich relativ sicher gewesen, dass ich ihm damit helfen konnte.

Doch anscheinend war dem nicht so, zumindest schien es auf einmal etwas zu geben, das er so tief und fest in seinem Innern verschlossen hatte, dass nicht mal ich da wirklich rankam. Wann genau es begonnen hatte, konnte ich nicht sagen, nur, dass ich mir jetzt große Sorgen um ihn machte, weil er sich offenbar alle Mühe gab, etwas vor mir und auch vor Meto zu verbergen.
 

Ich stand auf, nahm meine Tasche und ging zur Arbeit zurück, wo ich den Rest des Tages verbrachte. Nachmittags war natürlich sehr viel mehr los und so hatte ich reichlich zu tun, merkte jedoch erst auf dem Weg zur Bahnstation, dass es mich doch ziemlich erschöpft hatte. Beklagen wollte ich mich nicht, schließlich war der Job sehr viel besser bezahlt als eine normale Kellner-Stelle und passte besser zu mir als jede andere Arbeit, die ich zuvor gemacht hatte.

Von der Bahnstation fuhr ich nicht nach Hause, sondern in Richtung von Tsus und Metos Wohnung, da ich ja versprochen hatte, den beiden beim Einkaufen zu helfen. Ich stieg die Treppen in den zweiten Stock hoch und gerade, als ich auf die Klingel mit der Aufschrift: ‚Aoba und Asakawa‘ drücken wollte, hörte ich hinter mir ein missbilligendes Zischeln.
 

Ich drehte mich um. Eine Frau von etwa sechzig Jahren musterte mich von oben bis unten, blickte dann auf die Wohnungstür und fragte dann: „Sagen Sie, was sind das für Leute, die da gestern eingezogen sind?“

„Freunde von mir“, antwortete ich. „Wieso?“

„Wir sind hier eine Hausgemeinschaft. Gedenken Ihre beiden Freunde auch mal, sich uns der Form halber vorzustellen?“ Der scharfe Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Sicher“, erwiderte ich, ähnlich bissig. „Aber gestern, als sie hier eingezogen sind, war keiner da, um sich vorzustellen.“

Die Frau sah ziemlich ertappt aus, murmelte noch irgendwas und verschwand dann nach unten.
 

‚Oh man‘, dachte ich. Hausgemeinschaft! Fast musste ich lachen. Ausgerechnet in so einem Haus waren Tsu und Meto also gelandet. Ich schlug mir leicht mit der Hand vor die Stirn, dann drückte ich den Klingelknopf und wartete, bis Tsuzuku, nur mit Jeans und Tanktop bekleidet, die Tür öffnete. Er war nicht geschminkt und wirkte auch sonst so, als wäre er den Tag über gar nicht richtig wach geworden. Und als ich ihm in die Augen schaute, sah ich, dass er innerlich auch nicht gerade stabil gestimmt war.
 

„Hey, Tsu!“, sagte ich und umarmte ihn kurz, ehe er mich in die Wohnung ließ. Es roch nach Kaffee und Zigarettenrauch und als ich kurz durch die offene Schlafzimmertür blickte, sah ich Meto schlafend im Bett liegen.

„Sorry, Koichi, wir sind irgendwie … heute nicht so wirklich aufgestanden“, sagte Tsuzuku.

„Das seh ich“, sagte ich. „Warum?“

Tsuzuku senkte seine Stimme und wich meinem Blick aus, als er antwortete: „War nicht so gut … gestern Abend …“

„Wieso?“, flüsterte ich. „Was war denn?“
 

Wir gingen in die Küche, Tsuzuku stellte sich wieder ans Fenster und ich setzte mich auf einen der drei Küchenstühle.

„Erzähl, was ist passiert?“, fragte ich.

Tsuzuku schaute noch einmal in Richtung Schlafzimmer, wo Meto immer noch schlief, und antwortete dann mit leiser Stimme: „Ich … hab ihm wehgetan. Er hat manchmal so … Verspannungen, verstehst du, und ich hab‘s erst nicht gemerkt.“

„Und deshalb habt ihr heute jetzt nur rumgesessen?“, fragte ich verwundert. „Ist Meto überhaupt mal aufgestanden?“

„Ja, aber vor ner Stunde hat er sich wieder hingelegt.“

„Weißt du denn, wo die … Verspannungen herkommen?“, wollte ich vorsichtig wissen.

Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Ich hab keine Ahnung. Koichi, ich …“, begann er, brach dann aber ab und ich sah wieder diese Abwehr in seinen Augen.
 

Ich ahnte, dass er gerade kurz davor gewesen war, mir etwas Wichtiges zu sagen, und fragte: „Was denn?“

Er antwortete nicht, sah mich nur an, mit Angst und Abwehr in den Augen. Und ich beschloss, dass das so nicht gehen konnte. Tsu würde, jetzt oder später, darüber reden müssen, was eigentlich mit ihm los war.

„Tsuzuku, sprich. Ich merk doch, dass bei dir irgendwas nicht stimmt. Also sag, was ist los?“, forderte ich und deutete auf den leeren Küchenstuhl mir gegenüber. Er setzte sich, sagte aber nichts.

Es dauerte eine ganze Weile, die wir uns schweigend gegenüber saßen, dann sagte er leise: „Ich kann nicht drüber reden. Das geht nicht. Wenn ich das tue, dann bricht es aus und ich dreh durch. Und außerdem … ich will nicht, dass ihr euch Sorgen um mich machen müsst.“

„Was denn? Was bricht aus? Tsu, ich mach mir doch schon Sorgen um dich! Eben weil du nicht sagst, was los ist.“

Er sah mich an, ganz ernst und ganz nah dran an dem, was er vor mir zu verbergen versuchte, und sagte: „Koichi, es geht nicht. Ich muss erst mal selber halbwegs damit klarkommen, vorher kann ich nicht darüber reden. Ich brauch noch Zeit, verstehst du das?“

Ich nickte. Ja, irgendwie verstand ich das. Und trotzdem fragte ich mich, nach dem, was er jetzt gesagt hatte, was es denn bitte war, wovor er sich so fürchtete und was seinen Worten nach ‚ausbrechen‘ konnte.
 

„Komm, zieh dir was Warmes an, weck Meto und dann gehen wir erst mal einkaufen. Ihr braucht hier was zu essen und man muss mindestens einmal am Tag raus vor die Tür gehen“, sagte ich schließlich, stand auf, nahm Tsu bei den Händen und zog ihn hoch.
 

Und als er sich dann ordentlich angezogen hatte, Meto wach war und wir zu dritt so was wie eine halbwegs vollständige Einkaufsliste zusammen hatten, zogen wir los zum nächsten Conbini. Auf dem Weg dahin erzählte ich den beiden von meiner Begegnung mit ihrer Nachbarin.

„Na klasse. Als wir uns die Wohnung letzten Monat zusammen angeschaut hatten, war kein Mensch da, und jetzt auf einmal sind die neugierig, oder was?“, seufzte Tsuzuku.

Meto sagte nichts, sah aber nicht gerade zufrieden mit der Tatsache aus, dass im Haus anscheinend ein paar konservative Leute wohnten, die wahrscheinlich nicht mit schiefen Blicken geizen würden.
 

„Ich glaube fast …“, sagte ich leise, „… ihr könnt denen nicht einfach so sagen, dass ihr ein Paar seid. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr das nicht verbergen wollt, aber manchmal hat man keine Wahl. Wenn’s schlecht kommt, verliert ihr die Wohnung sonst wieder.“

„Meinst du?“, fragte Tsuzuku.

Ich nickte. Es regte mich ja selbst auf, dass es so intolerante Leute gab, die aus irgendeinem Grund ein Problem mit homosexuellen Paaren hatten, aber ändern konnte ich ja nichts daran. Als ich die Wohnung für Tsuzuku ausgesucht hatte, hatte ich nicht gewusst, dass er vorhatte, mit Meto zusammen dort einzuziehen, und so hatte ich nicht recherchiert, ob vielleicht jemand dagegen war. Doch nach der Begegnung mit dieser Frau im Hausflur befürchtete ich jetzt, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wenn die beiden zu ihrer Beziehung standen.
 

Wir erreichten den Conbini und so war das Thema erst mal beiseite, sodass wir uns auf den Einkauf konzentrieren konnten. Schon bald fiel mir auf, dass Tsuzuku dazu tendierte, ein paar nicht gerade notwendige Sachen einzupacken, was mich zu der Frage brachte, ob er heute überhaupt schon richtig gegessen hatte oder jetzt etwa hungrig einkaufen ging.
 

„Tsu?“, fragte ich leise und nahm ihn kurz beiseite. „Hast du heute schon was gegessen?“

Er nickte. „Metos Mama hat uns was vorbeigebracht, heute Mittag. Wie kommst du drauf?“

Ich atmete erleichtert aus und lächelte. „Man soll ja nicht hungrig einkaufen gehen …“

Tsu lächelte zurück, nahm besagte Sachen wieder aus dem Korb und legte sie zurück. „Hast Recht.“
 

Und dann: „Kocha … irgendwann, da kann ich mit dir drüber reden. Es … geht nur jetzt noch nicht … okay?“

Ich wusste gleich, was er meinte, und antwortete: „Du solltest vor allem mit Meto reden. Er ist dein fester Freund, dein Lebenspartner, es ist nicht gut, wenn du Geheimnisse vor ihm hast.“

„Ich weiß … Aber ich will einfach nicht, dass er sich wieder solche Sorgen um mich machen muss.“

„Meinst du denn, er merkt nicht, dass du was hast?“, flüsterte ich.

„Wir reden später, okay?!“ Auf einmal wirkte Tsu ziemlich gereizt, und ich wusste, er kämpfte innerlich, darum, jetzt nicht weiter reden zu müssen und das, was ihn belastete, für sich zu behalten.

Und ich ließ ihn, fragte nicht weiter, weil ich wusste, dass es jetzt nichts bringen würde.
 

Über diesem Gespräch waren wir bei den Kühltruhen angekommen, wo Meto schon seit ein paar Minuten stand und auf uns wartete.

„Wollt ihr euch denn nur von Tiefkühlessen ernähren?“, fragte ich.

„Ich kann nicht kochen“, antwortete Tsuzuku. „Alles, was ich da versuche, brennt entweder an, oder verkocht. War schon früher so.“

So, wie er das sagte, musste ich beinahe ein bisschen lachen. Tsu war, auch abgesehen von seinen Problemen, irgendwie wirklich nicht der Typ für die Küche. Meto auch nicht so recht, daher wahrscheinlich der Hang zur Tiefkühlnahrung.

„Heute Abend könnte ich euch was kochen“, schlug ich vor, woraufhin Tsuzuku mich mit diesem Blick ansah, auf den stets ein Kommentar zu meinem femininen Verhalten folgte, und fragte: „Du kannst kochen, Kocha?“ Und dann, etwas leiser: „Aber natürlich kannst du das …“

Ich boxte ihm spielerisch in den Oberarm. „Ja, selbstverständlich kann ich kochen!“

„Dann lass sehen, Küchenfee.“
 

Ich brauchte einen Moment, bis mir eine Idee kam, was man denn mal eben für drei Leute kochen konnte und was für Zutaten ich dafür brauchte. Schließlich entschied ich mich für simple italienische Nudeln mit Tomatensoße, wobei die Soße natürlich selbst gemacht wurde. Hoffend, dass ich nichts vergaß, lief ich noch einmal durch den Laden, sammelte alles zusammen und erwischte, als ich zurückkam, Meto dann doch dabei, wie er etwas aus dem Tiefkühlkasten nahm.
 

„Damit wir morgen auch was haben“, erklärte er.

„Meto-chan, hattest du nicht erzählt, dass deine Mama dir kochen beigebracht hat?“, fragte ich.

„Ich … trau mich da nicht so richtig ran“, antwortete er.

„Okay“, antwortete ich. „Weißt du, was wir machen? Du schaust mir gleich, wenn ich in eurer Küche das Essen mache, ganz genau zu und hilfst mir.“

Meto nickte und sah Tsuzuku an, der jedoch dazu nur meinte: „Ich halt mich da raus. Mir kann man Kochen nicht mehr beibringen.“
 

Als wir, nach dem Bezahlen, mit vollgepackten Tüten wieder auf dem Rückweg waren, beobachtete ich die beiden Süßen ein wenig. Ich wusste ja nur von dem, was Tsu gesagt hatte, davon, dass ihre erste Nacht in der neuen Wohnung wohl nicht so gut gelaufen war und offenbar hatten beide infolgedessen auch keinen so schönen Tag gehabt. Es ging mich zwar wirklich nichts an, was die beiden nachts zusammen taten, und im Grunde interessierte es mich auch nicht, aber so, wie ich das verstanden hatte, hatte Meto da ab und an Probleme und das wiederum interessierte mich als guten Freund der beiden sehr wohl.

Ich hatte keinerlei Ahnung oder Erfahrung mit solchen Verspannungen, außer, dass ich mal irgendwo davon gelesen hatte, dass es das gab und dass es wohl oft mit unterbewussten psychosomatischen Vorgängen zusammenhing. Vielleicht, so dachte ich in diesem Moment, hing ja auch Metos Sprachproblem irgendwo damit zusammen? Er wirkte sonst kaum wie jemand, der psychosomatische Probleme hatte, aber die sah man ja auch nicht jedem an.
 

Wieder in der Wohnung angekommen, füllten wir mit den Einkäufen den Kühlschrank und dann machte ich mich daran, für uns drei ein schönes, italienisches Abendessen zu kochen.

Tsuzuku zog sich mithilfe von Metos Spielekonsole sofort aus der Affäre, während sein Schatz bei mir blieb und mir aufmerksam beim Zerschneiden der Tomaten zusah. Ich übertrug ihm das Kleinhacken der Kräuter, was er auch recht gut hinbekam, und unterhielt mich ein wenig mit ihm über Dieses und Jenes. Über den Winter hatten wir uns ein wenig besser kennen gelernt und wahrscheinlich lag darin auch der Grund, dass Meto mir gegenüber inzwischen recht fließend und verständlich sprach. Zwar war er nicht so redegewandt und offenherzig wie Tsuzuku, doch trotzdem war es schön, sich mit ihm zu unterhalten.
 

Meto fragte mich auch nach meinem Freundeskreis, danach, was ich so machte und vorhatte, und ich erzählte ihm von meinen Shoppingtouren mit Mikan und auch davon, dass ich erst einmal nicht mehr nach einer festen Freundin suchte. Ich hatte in dem Moment kaum das Gefühl, dass mir irgendwas fehlte oder so, und als Meto dann ein wenig besorgt fragte, ob ich denn auch wirklich nicht einsam sei, antwortete ich: „Nein, ich bin ja nicht alleine. Ich hab euch und so, ich bin echt nicht einsam.“
 

Meto sah irgendwie nicht so aus, als würde er mir das glauben, aber mehr als sagen konnte ich es ja nicht. Und so wechselte ich das Thema, fragte ihn nach seinen und Tsuzukus Plänen für die Wohnung und erzählte dann, als er mir davon berichtet hatte, von meiner eigenen. Er lachte, als ich mich zu meiner Sammelleidenschaft bekannte, und Tsu, der aus dem Wohnzimmer mitgehört hatte, dass ich Rehkitze sammelte, rief mir wieder einmal, ebenfalls lachend, zu, was für ein Mädchen ich doch sei.

„Wie wär’s, wenn du, statt zu zocken, lieber mal den Tisch deckst?“, antwortete ich und nahm die Nudeln vom Herd, um sie über der Spüle abzugießen. Dabei fragte ich mich, ob Metos Mama die Sachen für die Küche allesamt mit viel Bedacht ausgesucht hatte, denn es war praktisch alles vorhanden, was man so zum einfachen Kochen brauchte.
 

Das Essen verlief normal, jedenfalls so normal, wie es eben sein konnte, wenn einer sehr wenig aß und der andere kaum sprach. Ich hatte bei Meto den Eindruck, dass er, wenn er viel gesprochen hatte, immer erst mal eine Weile schweigen musste, um sich sozusagen vom Sprechen zu erholen und seinen Vorrat an Worten wieder aufzufüllen. Und mir fiel auf, dass er Tsuzuku beim Essen sehr genau beobachtete. Wahrscheinlich hatte er sich das angewöhnt, noch aus der Zeit, als er allein für seinen Freund hatte sorgen müssen. Zwar achtete ich ebenfalls darauf, dass Tsu sich nicht zu viel nahm, aber auch nicht zu wenig, aber die Sorge in Metos Augen wirkte noch weitaus größer als die Gedanken, die ich mir darum machte.
 

Nach dem Abendessen ließ ich nicht zu, dass Tsuzuku sich wieder verzog, sondern drückte ihm ein Handtuch in die Hand und er half mir infolge dessen beim Abwasch, während Meto sich irgendwohin setzte und seiner Mama eine ausführliche SMS schrieb.

„Koichi?“, sprach Tsuzuku mich auf einmal an, nachdem wir eine Weile schweigend das Geschirr gespült und getrocknet hatten. „Kannst du … weil wir ja gerade kein Internet haben … da mal was für mich nachschauen?“

„Was denn?“, fragte ich zurück.

Er schwieg einen Moment, schien nach den richtigen Worten zu suchen, dann sagte er: „Ich wüsste gern … na ja, ob das normal ist, dass ich, wenn ich mit Meto schlafe, so auf Macht und Erobern aus bin. Ich hab ihm wehgetan, weil ich nicht rechtzeitig bemerkt habe, dass er Schmerzen hatte, und das macht mich ziemlich fertig …“

„Ich glaube, das kann dir das Internet auch nicht beantworten“, sagte ich.

„Ich will einfach wissen, ob das … ob es ein Wort dafür gibt, verstehst du?“

„Und was soll dir das helfen? Ich meine, was bringt das, wenn man weiß, dass irgendein Verhalten angeblich gestört ist und einen Namen hat? Das zieht einen doch nur runter, oder?“
 

Tsuzuku schwieg daraufhin und mir fiel auf, dass seine Hände, die mechanisch einen der Teller abtrockneten, irgendwie angespannt wirkten. Vielleicht war diese Frage danach, ob ich etwas für ihn recherchieren konnte, eine Art versteckter Hilferuf, den er nicht offen aussprechen konnte?

„Okay“, sagte ich schließlich. „Ich schau mal nach, ob ich was finde. Aber wenn ich den Eindruck habe, dass dir das Wissen darum nicht gut tut, dann erzähl ich dir nichts.“

Er nickte, stellte dann den Teller in den Schrank und hängte das Handtuch über die Heizung.
 

Bald darauf machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Tsuzuku umarmte mich zum Abschied und flüsterte mir noch einmal seine Bitte zu, dass ich diese Sache für ihn nachschaute. Ich fragte mich, wie diese Nacht für ihn und Meto wohl werden würde, und hoffte, dass er sich nicht zu viele schlechte Gedanken machte.
 

Zurück in meiner Wohnung setzte ich mich mit meinem Laptop an den Kokatsu und überlegte eine ganze Weile, was ich da jetzt als Suchbegriff eingeben sollte. Schließlich tippte ich einfach die Frage ein, die Tsu mir gestellt hatte, und landete auf einer Selbsthilfesite für Menschen, deren psychische Probleme sich auf ihr Sexualleben auswirkten.

Es gab dort tatsächlich einige Einträge, die dem, was Tsuzuku mir erzählt hatte, ähnelten, doch diese anonymen Menschen schienen genauso ratlos zu sein wie er. Und die Antworten auf diese Einträge reichten von Intoleranz und Unverständnis bis hin zu schlichten, unzureichend begründeten Diagnosen irgendwelcher Störungen, die allesamt unheimlich klangen und von denen ich meinem besten Freund garantiert kein Wort erzählen würde.
 

Ich suchte weiter, innerhalb dieser Site, die ansonsten relativ seriös wirkte, und während ich mir die vielen Einträge durchlas, spürte ich, dass ich unabsichtlich anfing, mich sehr auf Tsuzukus Probleme, seine dunklen Seiten, zu konzentrieren. Das war gar nicht gut, fühlte sich ziemlich eklig an, und ich schloss die Site schnell, damit ich nicht noch mehr davon las.

Ich wollte ihn, obwohl ich seine Probleme kannte, nicht als kranken, vielleicht sogar gestörten Menschen sehen. Wollte sein Verhalten als seinen Charakter und die Folge dessen, was er erlebt hatte, ansehen, und nicht mit irgendwelchen Störungen abgleichen.
 

Nicht wissend, was ich ihm von den Suchergebnissen erzählen sollte, und unwillig, das Ganze noch mal zu recherchieren, machte ich mir meine eigenen Gedanken zu seinen Fragen. Ich wollte gar nicht so genau wissen, was Tsuzuku und Meto nachts zusammen taten, aber so, wie ich die beiden kannte, ging es doch wahrscheinlich liebevoll zwischen ihnen zu. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Tsu seinem Liebsten absichtlich wehtat, doch dass er sich trotzdem Vorwürfe machte, wenn es passierte, passte zu ihm.
 

Irgendetwas brachte ihn seit einiger Zeit offenbar dazu, sein eigenes Verhalten als krank oder sogar gestört einzuordnen und seine besitzergreifende Art zu lieben vor sich selbst schlechtzureden.

Als ich ihn kennen gelernt hatte, war davon noch nichts zu sehen gewesen.

Ich hatte ihn erlebt, wie er vor verzweifelter Eifersucht geweint und gewütet hatte, als Meto noch mit MiA zusammen gewesen war, und erinnerte mich noch gut an seine Worte damals. Er war vor mir ganz offen gewesen, hatte „Mein Meto gehört zu mir!“ und solche Dinge gesagt, ganz ohne diese Selbstkritik, die er jetzt an den Tag legte.

Ich hatte keine Ahnung, ob man eine solche Eifersucht und besitzergreifende Art irgendwo als krank bezeichnete, aber für mich war das immer einfach ein Teil von Tsuzukus Charakter gewesen, etwas, wo man sagte: ‚So ist er eben‘

Das würde ich ihm sagen, wenn er danach fragte. Dass er eben so war, wie er war und ich keinen Grund sah, ihn, abgesehen von seiner Essstörung und den Schuldgefühlen seiner Mutter gegenüber, als krank zu bezeichnen.
 

Ich klappte den Laptop zu, blieb aber noch eine Weile sitzen, auch weil der Kokatsu so schön warm war. Jetzt, wo meine Gedanken sich einmal so richtig auf Tsuzuku eingestellt hatten, wollten sie ihn nicht recht wieder loslassen und so dachte ich noch ein bisschen über ihn nach, darüber, was ich an ihm mochte und wie ich ihn kannte.

Ich war wirklich gern sein bester Freund und da, wo andere, die ihn weniger gut kannten, vielleicht nur einen essgestörten Typen sahen, mit Stimmungen, die wie Aprilwetter wechselten, und einer Tendenz zum negativen Denken, da sah ich einen heftig liebenden, leidenschaftlichen, emotionalen Menschen, offenherzig ehrlich und in seiner Art zwar zweiseitig, schwarz und weiß, aber dabei immer noch lieb und auf gewisse Weise süß. Und ich wollte nicht, dass er so schlecht von sich dachte.
 

Irgendwann stand ich auf und ging ins Bad, machte mich für die Nacht fertig und begab mich dann in mein Schlafzimmer, wo ich weiter über Tsu und Meto nachdachte, mich fragend, ob die beiden jetzt auch eine schöne Nacht hatten, bis …
 

Ja, bis ich auf einmal wieder dieses kleine, dunkle, eisige Loch spürte.

Gestern Abend hatte ich eher das Gefühl gehabt, dass dieses Loch eher im Zimmer war, irgendwo in der Wand, doch jetzt fühlte es sich so an, als wäre diese kleine, schmerzhafte Kälte in mir drin, so als hätte ich ein kleines Loch im Herzen. Automatisch schlang ich meine Arme um meine Brust und zog die Knie hoch, was nur kurz Abhilfe schaffte. Ich hatte keine Ahnung, woher es kam und was es war, und es machte mir Angst.

Intuitiv wusste ich, dass es keine anatomische Ursache hatte, dass ich körperlich vollkommen gesund war und dieses Loch ein Produkt meiner Seele, doch ich konnte es mir nicht erklären, hatte ich doch meine Seele immer für ziemlich gesund gehalten. Ich hatte nie irgendwelche schlimmen seelischen Verletzungen erlitten, zumindest nichts, was mich wirklich aus der Bahn geworfen hatte, und so fand ich keinen greifbaren Grund dafür, dass ich mich auf einmal so seltsam und schlecht fühlte.
 

Zitternd vergrub ich mich unter der dicken Bettdecke und versuchte, mich abzulenken. Doch weder der Gedanke an Tsu und Meto, noch die Vorstellung, bald wieder mit Mikan nach Tokyo zu fahren, lenkten mich ab, im Gegenteil, ich fühlte mich noch schlechter.

Nicht wissend, was das jetzt sollte und warum ich mich auf einmal so mies fühlte, schlief ich irgendwann ein, träumte absolut wirres Zeug und wachte mitten in der Nacht auf.
 

Ich war sofort hellwach und wusste, dass jetzt am besten ein nächtlicher Spaziergang helfen konnte, der jedoch in einer Großstadt nachts um zwei keine so gute Idee war. Stattdessen schnappte ich mir meine Zigaretten, zog mir meinen Morgenmantel über und ging durchs Wohnzimmer auf den Balkon, wo ich Nachtluft atmete, rauchte und dann versuchte, ein bisschen zu meditieren, was jedoch darin endete, dass ich am liebsten zu weinen angefangen hätte. Ich wollte absolut nicht weinen, schluckte die Tränen runter und ging wieder hinein, legte mich zurück ins Bett und schlief gottseidank bald ein.

[Tsuzuku] Act 4

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[meto] Act 5

„Piep-piep … piep-piep …“

Noch im Halbschlaf, streckte ich die Hand aus und versetzte meinem Wecker einen Schlag, damit er schwieg. Ich traf jedoch nicht, schlug ihn stattdessen vom Nachttisch, er fiel zu Boden, wo er unbeeindruckt weiterpiepte.

Ein müdes, leicht genervtes Brummen von Tsuzukus Betthälfte ließ mich mich umdrehen. Er war ganz unter der Decke vergraben, nur seine schwarzen Haare waren zu sehen.

„Mmeto … Mmach bidde den verdammten Wecker aus …“, brummte er verschlafen, ohne sich zu mir umzudrehen.

Ich erhob mich halb, beugte mich dann runter vom Bett, angelte nach dem piependen Wecker und stellte ihn, diesmal erfolgreich, aus.
 

„Sieben Uhr“, informierte ich meinen Freund über die Uhrzeit, doch anstatt dass er unter der Decke rauskam und mir einen guten Morgen wünschte, kroch er nur tiefer darunter.

„Tsu?“, fragte ich verwundert. „Alles okay?“

Es dauerte ein paar Sekunden, zu lang für mein Gefühl, bis er antwortete: „Hab Kopfschmerzen.“

Kopfschmerzen? Woher das denn auf einmal? So, wie ich ihn kannte, kam so was eigentlich selten vor. Bauchschmerzen, das ja, aber Kopfweh war irgendwie ungewöhnlich.

Jedenfalls fiel mir bei dieser Frage ein, dass Tsuzuku heute um neun sein Vorstellungsgespräch bei dem Bodyart-Shop in der Innenstadt hatte. Hoffentlich ging das gut …

„Schatz, weißt du, was heute ist?“, fragte ich.

Es dauerte ziemlich genau drei Sekunden, bis Tsuzuku sich erinnerte und reagierte.

„Fuuuck!“ Mit einem Ruck war die Decke weg, er sprang auf und lief zum Schrank, griff sich wahllos Unterwäsche und verschwand im Richtung Bad. Kurz darauf hörte ich das Wasser in der Dusche rauschen.
 

Langsam stand ich ebenfalls auf, suchte mir Klamotten aus dem Schrank, zog mir aber erst einmal meinen Bademantel an und ging dann in die Küche, um schon mal Kaffee und Frühstück zu machen. Dabei spürte ich zwar ein wenig die Folgen des Aktes von gestern Abend, doch ich sah nicht ein, deswegen schon wieder im Bett zu bleiben, und ignorierte den leichten Schmerz.
 

Als das Wasserrauschen aufgehört hatte, ging ich ins Bad, da ich ebenfalls duschen wollte. Tsuzuku stand, halb angezogen, vor dem Spiegel und hatte meine Concealer-Dose in der Hand. Er sah müde aus, hatte leichte Schatten unter den Augen, fast so, als hätte er nachts lange geweint.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich vorsichtig. „Hast du schlecht geschlafen?“

Er nickte und sah mich einen Moment lang an, mit einem Blick, den ich nicht so recht deuten konnte. War, nachdem ich gestern Abend eingeschlafen war, noch irgendwas gewesen? Hatte er sich etwa wieder Vorwürfe gemacht, und das, obwohl ich ihm diesmal mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, was ich wollte und mochte? Das gestern Abend, das war doch schön gewesen und Tsuzuku hatte, als ich danach eingeschlafen war, auch glücklich gewirkt. Langsam verstand ich wirklich nicht mehr, was los war. Und ich wollte endlich wissen, worum es eigentlich ging.
 

Ich verschwand erst einmal unter die Dusche, Tsuzuku schminkte sich fertig, machte seine Haare und ging sich dann anziehen im Schlafzimmer, und als ich mich gewaschen, abgetrocknet und angezogen hatte, traf ich ihn in der Küche wieder. Er hatte sich richtig schön gemacht, trug Netzhemd, Lacklederjacke und Lackstoffhose und einiges an Schmuck. Genau das richtige Outfit, um sich in einem Laden für Tattoos, Piercings und dergleichen zu bewerben.

„Du siehst schön aus“, sagte ich und lächelte.

„Danke.“

Jetzt wirkte er wieder ganz ausgeglichen, schien mit sich und seinem heutigen Vorhaben zufrieden zu sein und sich sogar auf das Vorstellungsgespräch zu freuen. Vielleicht hatte es ihm gutgetan, sich mal wieder richtig schön zu machen und so nach Visual Kei anzuziehen, und ich musste mir keine Sorgen mehr machen.
 

Wir frühstückten zusammen und Tsuzuku aß sogar etwas mehr als sonst morgens. Er hatte mir mal glaubhaft versichert, dass er auch früher schon jemand gewesen war, der morgens einfach nicht so viel Hunger hatte und dann nur mehr aß, wenn es ihm wirklich gut ging. Entweder spielte er mir jetzt sehr gekonnt gute Laune vor, oder ihm ging es wirklich wieder gut, wobei ich dazu tendierte, Zweiteres anzunehmen, da er einfach kein guter Lügner war.
 

„Tut’s noch weh?“, fragte er auf einmal, völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Ich musste tatsächlich kurz überlegen, was er meinte, schüttelte dann den Kopf und lächelte leicht.

„Die Schmerztabletten brauchst wohl eher du, oder sind deine Kopfschmerzen von vorhin schon wieder weg?“, fragte ich zurück.

„Geht schon.“

„Wirklich?“

„Ja. Alles gut. Ich hab nur schlecht geschlafen, daran lag‘s wahrscheinlich.“
 

Jetzt sah ich es ihm wirklich an, dass er log. Aber warum? Wieso konnte er mir nicht einfach sagen, was los war? Ich mochte gar nicht daran denken, dass er mir vielleicht nicht genug vertraute. Eigentlich standen wir uns doch so nah, dass es keine Geheimnisse zwischen uns geben sollte.

Aber vielleicht war jetzt auch einfach der falsche Moment, darüber zu sprechen. Tsuzuku hatte gleich sein Vorstellungsgespräch und musste sich sicher darauf konzentrieren, da war jetzt keine Zeit, tiefgrabende Gespräche zu führen.

Mir blieb nichts anderes übrig, als mir weiter Sorgen zu machen und zu warten, dass ein halbwegs passender Moment kam, in dem ich meinen Freund endlich darauf ansprechen konnte. Denn obwohl ich auch Angst davor hatte, ahnte ich, dass wir, wenn er weiter darüber schwieg, ein echtes Problem haben würden. Und davor hatte ich noch mehr Angst.
 

Nach dem Frühstück machte Tsuzuku sich alleine auf den Weg in die Innenstadt. Meinem Wissen nach wollte er sich vorher mit der Sozialarbeiterin vom Hikuyama-Tempel treffen und mit ihr zusammen zu dem Bodyart-Studio gehen, um sich da für eine Arbeitsstelle vorzustellen.

Das beruhigte mich ein bisschen, denn so musste er nicht allein da durch und ich hatte gestern beim Kauf des Handys schon bemerkt, dass er irgendwie Probleme damit hatte, solche Situationen alleine durchzustehen. Eigentlich seltsam, wo er doch sonst so selbstbewusst war.
 

Und zum ersten Mal fiel mir so richtig auf, dass mein Freund offenbar wirklich zwei Seiten hatte, einerseits so und andererseits ganz anders war, und das in mehrfacher Hinsicht. Ich setzte mich ins Wohnzimmer aufs Sofa und schaute aus dem Fenster, während ich mir weiter Gedanken machte, versuchend, Tsuzuku noch besser zu verstehen und vielleicht so selbst dahinter zu kommen, was mit ihm in letzter Zeit nicht stimmte.

Er schien ein großes Stück seines Selbstbewusstseins durch irgendetwas verloren zu haben, langsam, schleichend, und es dauerte lange, bis ich darauf kam, dass es möglicherweise an dem Tag im letzten Jahr begonnen hatte, als das mit der Frau bei ihm im Tempel passiert war. Ich wusste ihren Namen nicht mehr, aber was ich noch wusste, war, dass das, was sie getan hatte, Tsuzuku einen ziemlichen Schlag versetzt hatte. Auch, wenn er nicht viel darüber gesprochen hatte. Ich hatte einfach das Gefühl, dass es da begonnen hatte, und es war diese Art von Gefühl, die mich selten trog.
 

Da ich heute nichts weiter zu tun hatte, beschloss ich, dem Ganzen mal etwas genauer nachzugehen. Wenn Tsuzuku mir nicht sagen konnte oder wollte, was los war, musste ich es eben, so gut es ging, selbst herausfinden. Ich stand auf, packte meine Handtasche, schrieb für Tsu einen Zettel („Bin Mama und Papa besuchen.“) und verließ die Wohnung in Richtung Bahnhof, um in meine Heimatstadt zu fahren. Mein Ziel war der Tempel, vielleicht konnte ich dort mit jemandem sprechen, zum Beispiel mit Tsuzukus Zimmergenossen Komori, falls dieser noch dort war.

Im Zug kam mir kurz der Gedanke, dass es vielleicht nicht ganz richtig war, wenn ich meinem Freund sozusagen nachspionierte, doch ich rechtfertigte das vor mir selbst damit, dass ich mir Sorgen um ihn machte und ihm vielleicht helfen musste.
 

Ich ging direkt zum Tempel, die Frau am Eingangstresen kannte mich noch und ich fragte nach Frau Sato. Doch die war nicht da und ich erfuhr, dass ausgerechnet sie es war, die Tsu heute zu dem Vorstellungsgespräch begleitete. Und außerdem dürfe sowieso keiner hier mir Informationen geben, wegen der Schweigepflicht. Da nützte es auch nicht, dass ich sagte, dass ich Tsuzukus engste Bezugsperson war und er außer mir, meinen Eltern und Koichi niemanden hatte.

„Komori… noch da…?“, fragte ich schließlich.

„Ja, der ist noch hier“, sagte die Frau und erlaubte mir auch, zu dem Zimmer zu gehen, in dem Tsu mit ihm zusammen gewohnt hatte.
 

Komori saß auf dem Bett und rauchte, als ich die Tür öffnete und das Zimmer betrat.

„Na“, sagte er. „Wie geht’s Tsu?“

„Geht… so…“, antwortete ich. „Er… hat irgendwas… und ich weiß… nicht, was… Hat er… zu dir mal… irgendwas gesagt…?“

„Nein“, antwortete Komori. „Seit wann ist er denn schon so?“

„Ich glaube… das… ging schon los, als… als das mit… der Frau hier… passiert ist…, die sich verletzt hat. Seitdem… ist er… langsam… irgendwie… anders geworden…“

„Hitomi?“

Jetzt erinnerte ich mich wieder an den Namen und nickte.

Komori stand auf, drückte seine Zigarette in den Aschenbecher und sagte dann: „Mach mal die Tür zu. Ich glaube, ich weiß da was.“

Ich schloss die Schiebetür hinter mir und setzte mich auf das leere Bett, das zuvor für ein paar Monate Tsuzukus gewesen war.
 

Und dann erzählte Komori mir folgendes: In der Nacht damals war er vom Sirenengeheul aufgewacht und hatte gesehen, dass Tsuzukus Bett leer war. Er hatte jedoch nur angenommen, dass Tsu einfach nicht schlafen konnte und ein bisschen rausgegangen war, und gedacht, die Sirenen kämen von einem einfach vorbeifahrenden Krankenwagen. Deshalb war er nicht aufgestanden und hatte stattdessen gewartet, bis Tsuzuku wieder ins Zimmer kam. Als der dann wiederkam, bemerkte er offensichtlich gar nicht, dass Komori wach war. Doch dieser sah ihn, wie er schwankend hereinkam, die Tür hinter sich zuknallte, taumelnd ins Bett fiel und sich die Decke über den Kopf zog. Komori glaubte auch, unterdrücktes Weinen gehört zu haben, doch da war er sich nicht sicher.

Am nächsten Morgen fehlte Hitomi, und Komori erfuhr, dass sie sich beinahe umgebracht hatte. Er ging davon aus, dass Tsuzuku die daraus folgende Aufregung im Tempel nachts mitbekommen hatte und deshalb so geschockt gewesen war.

„… Aber irgendwie kam mir das so vor, als ob da noch mehr dahinter steckte“, schloss er und sah mich dann an.
 

Ich nickte. „Wo… ist Hitomi …jetzt?“, fragte ich.

„Sie ist nicht mehr hierher zurück gekommen, sondern gleich in die Psychiatrie. Ob sie da noch ist oder nicht, weiß ich nicht“, sagte Komori. „Sag mal, kannst du Tsuzuku ausrichten, dass ich in ein paar Tagen in meine neue Wohnung ziehe und dass er mich da mal besuchen soll? Er hat die Adresse schon.“

„M-hm“, machte ich, nicht wissend, wie ich Tsu überhaupt erklären sollte, dass ich Komori getroffen hatte. Wahrscheinlich musste ich lügen und sagen, dass ich ihm in der Stadt begegnet war oder so.
 

Ich verabschiedete mich wieder von Komori und machte mich auf den Weg zu meinem Elternhaus. Dabei kam ich, ohne dass ich es zuerst so recht bemerkte, durch ein Viertel, das mir erst, als ich an einem bestimmten Haus vorbeikam, Erinnerungen wieder wachrief, die ich bis jetzt ziemlich erfolgreich vergraben hatte. Es war die Gegend, in der MiA lebte, und ich blieb unwillkürlich stehen, als mein Blick im Vorbeigehen an dem Fenster im zweiten Stock hängen blieb, das zu seiner Wohnung gehörte. Hinter der Scheibe sah ich seine weiße, plüschige Katze sitzen und hinausschauen, und Sekunden später ertappte ich mich selbst dabei, wie ich ein wenig hoffte, dass er ebenfalls ans Fenster kam und mich sah. Es tat seltsamer- und glücklicherweise kaum weh, hier zu stehen und zu seiner Wohnung hochzuschauen. Doch es war definitiv besser, wenn ich jetzt schnell weiter ging, bevor er wirklich noch ans Fenster kam und mich bemerkte. Ich lächelte der Katze (Sawako hieß sie, oder?) ein wenig zu, dann ging ich weiter.
 

Als ich dann mein Elternhaus erreichte, fühlte sich das irgendwie merkwürdig an. Nicht schlecht, aber … seltsam eben. Ein bisschen so, als würde ich in ein Leben zurückgehen, das nicht mehr so sehr meines war, obwohl es ja gerade einmal ein paar Tage waren, die ich nicht mehr hier wohnte. Ich verstand jetzt, warum Tsuzuku nicht mehr in den Akutagawa-Park wollte.

„Yuu!“, begrüßte Mama mich strahlend an der Tür und umarmte mich.

„Hey, Mom.“

„Wie geht’s dir?“

„Okay“, antwortete ich, zog meine Schuhe aus und folgte Mama in die Küche.
 

„Und Genki? Geht es ihm besser?“

Ich setzte mich auf meinen alten Platz am Küchentisch und schüttelte den Kopf.

„Was ist denn los?“, fragte Mama, während sie zwei Teetassen aus dem Schrank holte.

„Weiß nicht. Er … hat irgendwas, aber er … will nicht mit mir … drüber reden.“

Mama gegenüber wurde es mit dem Sprechen auch immer besser. Seit wir uns wieder näher standen, stockte meine Sprache bei ihr nur noch ein wenig. Vielleicht, so vermutete ich, brauchte ich einfach viel Vertrauen, um richtig sprechen zu können.

„Was, warum denn nicht?“

„Ich hab … keine Ahnung. Ich mach mir … Sorgen um ihn, …aber er sagt immer nur ‚Alles okay‘ …und so was. Manchmal bin ich… ganz nah dran, aber er …blockt immer ab...“

Mama stellte mir eine der Tassen hin und begann, Tee zu machen.

„War er eigentlich mal beim Psychologen oder so?“, fragte sie.

„Im Tempel“, antwortete ich. „Aber … ich glaube nicht, … dass Tsu da wirklich … geredet hat.“
 

Erst jetzt wurde mir klar, dass ich gerade zum ersten Mal überhaupt darüber sprach, dass mein Freund offenbar ein schmerzhaftes Geheimnis vor mir hatte. Und wie große Sorgen ich mir tatsächlich um ihn machte. Ich hatte Angst, dass er das Vorstellungsgespräch, das in diesem Moment stattfand oder vielleicht schon vorbei war, nicht packte, und dass ihn das runterziehen würde. Runterziehen, das konnte in seinem Fall auch einen Rückfall bedeuten. Ich erinnerte mich noch allzu gut an die Anfangszeit unserer Freundschaft, als es ihm richtig, richtig schlecht gegangen war und ich unheimliche Angst um ihn gehabt hatte. Auf keinen Fall durfte er in diese alten Muster zurückfallen!
 

Dass ich kurz vorm Weinen war, merkte ich erst, als Mama mich auf einmal in den Arm nahm.

„Yuu“, sagte sie leise, und das reichte, damit mir die ersten Tränen über die Wangen liefen. „So schlimm, das alles?“

Ich nickte weinend, spürte erst jetzt so richtig, wie sehr mich die Sorge um Tsuzuku belastete und dass ich wieder Angst um ihn hatte. Warum war denn schon wieder alles so schwer? Warum sagte er mir nicht, was los war?! Es verletzte mich, dass er mir offenbar doch weniger vertraute, als ich gedacht hatte, oder mir nicht zutraute, mit seinem Problem klarzukommen. Wir hatten doch so viel zusammen durchgestanden!

„Ihr müsst miteinander reden“, sagte Mama, ließ mich los und sah mich an. „Sonst tut ihr euch gegenseitig immer mehr weh. Schau, wie sein Gespräch heute gelaufen ist, und dann, ob du heute Abend oder so mit ihm reden kannst.“

„Er wird… nur sagen, …dass ich mir …keine Sorgen machen… soll…“ Ich schniefte und fuhr mir mit der Hand über die Augen, was meinem Make-up natürlich den Rest gab. Irgendwie, so dachte ich, musste ich Tsuzuku doch zeigen und beweisen können, dass ich ihn über alles liebte und dass er mit mir über all das sprechen konnte, was in ihm vorging. Nur wie, das wusste ich nicht.
 

Ich blieb noch eine Weile, trank den Tee, den Mama mir einschenkte, und beruhigte mich wieder. Mein Make-up stellte ich in Mamas Badezimmer mit ihren Sachen wieder her. Dann wollte ich zurück in mein neues Zuhause, auch weil das Vorstellungsgespräch inzwischen vorbei sein und Tsuzuku eigentlich wieder zu Hause sein musste.

Und so verabschiedete ich mich wieder von Mama und versprach, demnächst mit Tsu zusammen wieder zu kommen.

Im Zug hörte ich Musik und versuchte, an nichts zu denken. Es half uns bestimmt nicht weiter, wenn ich jetzt auch noch Angst hatte und niedergeschlagen war. Stattdessen sollte ich, so wie immer, versuchen, meinen Freund so glücklich wie eben möglich zu machen.
 

Als ich unsere Wohnung wieder betrat, sah ich Tsuzuku umgezogen auf unserem Bett liegen, wieder in alltäglichen Kleidern. Er blickte an die Decke und sah ziemlich nachdenklich, fast traurig aus.

„Hey“, sagte ich leise, ging auf ihn zu und setzte mich auf die Bettkante.

Er hob den Kopf, sah mich an und augenblicklich hellte sich sein Gesichtsausdruck auf. „Meto! Ich hab den Job!“ Mit einem Ruck setzte er sich auf und ich umarmte ihn.

„Ich freu mich für dich“, sagte ich, küsste seine Wange, und er schmiegte sich an mich.
 

„Und wo warst du?“, fragte er dann und löste sich wieder von mir.

„Bei meiner Mama. Ich … wollte sie mal besuchen.“ Ich dachte an mein Treffen mit Komori und daran, dass ich Tsu etwas von ihm ausrichten sollte, und fügte hinzu: „Und ich hab Komori getroffen. Er sagt, er zieht bald in seine neue Wohnung und du sollst ihn besuchen.“

„Du warst im Tempel?“ Mein Freund sah mich verwundert an. „Warum das denn?“

Sollte ich lügen? Sagen, dass ich Komori zufällig in der Stadt getroffen hatte? Oder die Wahrheit sagen und damit möglicherweise bewirken, dass Tsuzuku erfuhr, dass ich ihm sozusagen nachspioniert hatte?
 

„Tsu, ich …“, begann ich zögernd.

„Was?“ Er sah mich an und ich glaubte, in seinem Blick zu erkennen, dass er ahnte, dass ich einen Fehler gemacht hatte.

„… Ich wollte …“, brachte ich langsam heraus, und dann ging es ganz schnell, die Worte sprudelten nur so aus mir heraus: „Ich mach mir Sorgen um dich! Deshalb war ich bei Komori. Weil ich dachte, dass er vielleicht ‘ne Ahnung hat, was mit dir los ist! Du bist irgendwie … anders, als ich dich kenne, und das macht mir Angst.“

Tsuzuku sah mich erschrocken an. Ich hatte ihn erwischt. War genau an den Punkt gekommen, den er vor mir zu verbergen versuchte.
 

„Wie … anders?“, fragte er mit zitternder Stimme.

Ich kannte kein Halten mehr. In meinem Kopf war ein Schalter umgesprungen und die Worte, die Angst und Sorge, all das kam hoch und raus. Ihm nicht in die Augen sehen könnend, blickte ich zu Boden, spürte wieder Tränen in meinen Augen und machte meiner Sorge Luft.

„Tsuzuku, ich merk doch, dass du was hast! Du hast Angst vor irgendwas, und du versuchst, dich zu verstellen! Ich weiß kaum mehr, was in dir vorgeht, weil du nichts sagst, aber ich spüre, dass da was ist, was Großes, und dass du dich davor fürchtest! Und ich krieg Angst um dich, dass du rückfällig wirst und so was! Wieso sagst du mir nicht, was los ist?!“
 

„Meto …“, sagte er leise, ich sah aus dem Augenwinkel, dass er ebenfalls zu Boden blickte. „Meto, ich kann nicht. Ich kann nicht drüber reden. Mit niemandem. Du musst nicht denken, dass ich dir nicht vertraue und dir deshalb nichts sage, das ist es nicht, auf keinen Fall.“

„Sag mir wenigstens ungefähr, was es ist!“, wurde ich laut.

Jetzt konnte ich ihn auch wieder ansehen, sah die Verzweiflung in seinem Blick. Und er schüttelte den Kopf.

„Meto, bitte, lass uns ein anderes Mal darüber reden. Ich bin ziemlich erschöpft, dieses Vorstellungsgespräch war nicht so einfach für mich, und …“ Er schwieg einen Moment, sah mich lange an und fügte dann hinzu: „… Du hast Recht. Ich habe Angst. Und ich … spüre auch, dass ich wieder … unter Druck gerate.“

„Kann ich …“, fragte ich leise, „… irgendwas für dich tun?“

Tsuzuku hob die Hand, berührte meine Wange, streichelte mich und sagte: „Warte bitte … auf mich. Irgendwann kann ich dir sagen, was los ist. Ich muss nur erst mal selber damit klarkommen. Bis dahin … sei einfach meine Sonne, Meto. Das kannst du doch, oder?“

Ich nickte, versuchte auch, ein wenig zu lächeln. Tsu beugte sich vor, seine Hand wanderte in meinen Nacken und er küsste mich, ganz vorsichtig und sanft. Und irgendwie schaffte er es damit, dass ich mich beruhigte.
 

Tsuzuku stand auf, ging aus dem Zimmer auf den Flur, ich folgte ihm und sah, wie er seine Schuhe und die Jacke anzog.

„Wo … gehst du hin?“

„Die Straße runter ist dieses Sportstudio, da will ich mich anmelden. Ich ... brauche was, wo ich mich auspowern kann.“
 

Ich nickte nur, und ging dann, als er weg war, in die Küche, um so was wie ein Mittagessen für uns zu machen. Ich hatte Koichi neulich genau zugesehen und glaubte, dass ich es schon irgendwie hinbekommen würde, dass nicht alles anbrannte. Und wenn doch, dann waren da immer noch zwei Tiefkühlpizzen.

Und so machte ich mich ans Werk, versuchte mithilfe von Mamas Kochbuch, aus dem, was wir im Schrank hatten, ein schönes Essen zu zaubern, etwas, von dem Tsu gern essen würde. Irgendwann fing es sogar an, mir richtig Spaß zu machen. Es war gar nicht so kompliziert, wie ich gedacht hatte, und am Ende saß ich zufrieden am Tisch, auch wenn ich es nur zu Nudeln mit Soße gebracht hatte. Aber immerhin, es war essbar und schmeckte sogar gut.
 

Und als Tsuzuku dann nach einer ganzen Weile wiederkam, fragte er schon im Flur, was denn hier so gut roch.

„Ich hab gekocht“, antwortete ich, zugegebenermaßen ziemlich stolz auf mein Werk.

„Das ist gut, ich hab Hunger.“ Er setzte sich auf seinen Platz mir gegenüber und nahm sich eine Kelle voll Nudeln, dann Soße und ein bisschen Pfeffer.

Ich wunderte mich ein bisschen, wollte mir aber nicht andauernd Sorgen um ihn machen und sagte deshalb nichts, auch nicht, als er zu essen begann und das ziemlich gierig wirkte.

„Mmmh, das ist sehr gut“, sagte er zwischendurch und ich lächelte, aß ebenfalls und freute mich, dass es Tsuzuku offenbar gut ging, auch wenn ich nicht recht verstand, warum er jetzt auf einmal so gut drauf war.
 

„Hast du heute noch irgendwas vor?“, fragte er nach dem Essen.

„Nein, nicht wirklich. Wieso?“

„Weil ich gerne mit dir zum Strand gehen würde. Und danach vielleicht ins Schwimmbad hier, was meinst du?“

„Ja … Ja klar, gerne“, antwortete ich. „Aber wie kommst du darauf?“

„Ich hab jetzt ‘nen Job, das müssen wir doch feiern“, antwortete er lächelnd.

Vielleicht sollte ich mich gar nicht so viel fragen, was denn wohl die Gründe für Tsuzukus Launen waren, sondern mich einfach freuen, wenn es ihm gut ging, und mir nur dann Sorgen machen, wenn er wirklich ein Problem hatte.
 

Wir packten uns eine Tasche mit Badesachen, Handtüchern und so weiter, verließen die Wohnung und nahmen die Stadtbahn in Richtung Strand. Heute war es zwar kühl, windig und bewölkt, aber das machte mir wenig aus, solange es nur nicht regnete.

Das Meer hatte diese schöne, graublaue Farbe, da waren viele Wellen und die Möwen tanzten im Wind über dem Wasser, ich hörte ihre typischen Schreie und fühlte mich auf einmal richtig gut. Wir gingen runter auf den grauen Sand, blieben dort, ganz nah am Wasser, eine Weile stehen. Tsuzukus Arm um mich, seine Nähe, das Meer, der Wind, der uns durch die Haare fuhr, das erinnerte mich an unsere Reise damals. Wir waren als beste Freunde losgefahren und als Liebende zurückgekehrt, zuerst war es noch heimlich gewesen, jetzt waren wir ein richtiges Paar.
 

Tsuzuku zog mich eng an sich, ich sah ihn an und fand ihn auf einmal wahnsinnig wunderschön. Nicht, dass ich ihn nicht sonst auch schön fand, aber in diesem Moment war da so ein Strahlen in seinen Augen, das mich beinahe schon rührte und mein Herz wie wild klopfen ließ.

„Ist dir kalt?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht.“

„Du zitterst ein bisschen.“

„Ich bin … irgendwie aufgeregt. Weil ich … dich so wahnsinnig lieb habe.“

Er lachte leise, dieses liebe, süße Lachen, dann antwortete er: „Dann lass uns mal ins warme Wasser gehen, bevor du noch wirklich frierst.“

Fast hätte ich erwidert, dass er ja wohl derjenige war, der eher zu frieren anfing, doch im letzten Moment ließ ich es, wollte nicht schon wieder dieses Thema hochholen.
 

Das Schwimmbad war nur ein kleines Stück vom Strand entfernt, und es war eins von diesen ganz modernen Bädern, in denen wir wegen unserer Tattoos und Piercings wohl keine Probleme zu erwarten hatten. Wir zogen uns schnell um und in der Vordusche dachte ich kurz daran, wie ich im vergangenen Jahr immer mit Tsuzuku im Badehaus unserer Heimatstadt gewesen war. Ich war mir sicher, dass er sich jetzt ebenfalls daran erinnerte.
 

Zum Glück war es nicht sehr voll, aber weder ich noch Tsu hatte großartig Lust, richtig zu schwimmen. Stattdessen fanden wir eine Grotte in einem der kleineren Wasserbecken und setzten uns dort hinein, um ein bisschen für uns allein zu sein. Das Wasser war aufgeheizt und roch ein wenig nach Salz, vielleicht kam es aus dem Meer.

Es dauerte nicht lange, bis Tsuzuku die Privatsphäre unseres ‚Verstecks‘ nutzte und begann, mich zu streicheln und zu küssen, was ich mit einem angetanen Seufzen erwiderte und ihn ebenfalls ein wenig anfasste. Durch sein Training den Winter über hatte er schön an Bauch- und Armmuskeln zugelegt, die ich jetzt unter meinen Händen spürte, und die ihn weniger mager wirken ließen.
 

An der gekachelten Wand hing ein kleines Hinweisschild mit Uhrzeiten, zu denen das Wasser hier zu sprudeln anfing, und als es das schließlich auch tat, stand Tsu kurz auf, lächelte und kniete sich dann über meine Beine, sodass ich ihn richtig umarmen konnte. Ein bisschen vorsichtig, drückte er sich an mich, senkte den Kopf, bis seine Lippen an meinem Ohr waren, und sprach, gerade so laut, dass ich es durch das Geräusch des Wassers verstehen konnte: „Ich … würd das gern so lassen. Dass ich dich einfach küssen und berühren kann, … ohne gleich mit dir schlafen zu wollen.“

„Dann mach das doch so“, antwortete ich.

„Ich … kann mich kaum beherrschen. Am liebsten würde ich jetzt mit dir zurück nach Hause und ins Bett, dich nehmen und spüren, dass du fest zu mir gehörst. Aber … andererseits will ich das nicht.“ Er hob die Hand, sah mich an und strich mit dem Daumen sanft über meine Lippen. „Meto, ich will, dass es romantisch ist zwischen uns. Und das … kriege ich beim Sex nicht so hin, das Romantische.“
 

Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich wieder das Gefühl, dass Tsuzuku wirklich mit mir redete, mir einen Blick auf sein Innerstes erlaubte und so offenherzig war, wie ich ihn kannte. Ich legte meine Arme um ihn, zog ihn an mich und küsste ihn, innig und liebevoll, versuchte, ihm zu verstehen zu geben, dass ich seine Mühen zu schätzen wusste. Er seufzte genießend, schmiegte sich an mich, seine Hände strichen über meinen Rücken und auf einmal kam mir das ohnehin sehr warme Wasser noch heißer vor. Ich ahnte, in welche Richtung das hier ging, aber es fühlte sich einfach zu gut an, um mich dagegen zu wehren.

„Meto …“, flüsterte Tsuzuku. „Ich liebe dich, so, so, so sehr …“

„Ich dich auch, sehr, aber …“ Ich nahm mich zusammen, sammelte das ein, was in diesem Moment von meinen aktiven Hirnzellen noch übrig war, und brachte ein wenig Abstand zwischen uns.

Er stoppte, ließ mich los, stieg von mir runter und setzte sich wieder neben mich. „Tut mir leid … Es überkommt mich einfach so …“

„Ist doch nicht schlimm“, sagte ich. „Aber du hattest eben noch gesagt, dass du’s langsamer angehen lassen willst, deshalb …“

Tsuzuku lächelte, drückte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen und stand auf. „Komm, wir gehen noch ein bisschen schwimmen.“
 

Wir stiegen aus dem heißen Wasser und gingen wirklich noch ein paar Bahnen schwimmen. Danach blieben wir noch ein bisschen am Rand und sahen den anderen Menschen zu. Tsu wirkte ziemlich entspannt und ab und zu lächelte er mich an.
 

Als wir, abgetrocknet und angezogen, das Schwimmbad wieder verließen, war es schon ganz dunkel draußen und noch windiger als vorhin. Wir gingen noch mal runter zum Strand, Tsuzuku umarmte mich wieder und wir blieben eine Zeit lang einfach so stehen.

„Heute Nacht machen wir nichts“, sagte er nach einer Weile. „Ich bin viel zu erschöpft, und außerdem … will ich mich jetzt wirklich mal beherrschen lernen.“

Ich wollte erwidern, dass er das nicht musste, doch er legte mir den Zeigefinger auf die Lippen.

„Shhh… Das ist meine Entscheidung.“
 

Bald darauf fuhren wir mit der Stadtbahn nach Hause zurück. Ich spürte, dass Tsuzuku sich Mühe gab mit der Selbstbeherrschung, aber es schien ihm so gut zu gehen, dass ich mir jetzt keine Sorgen machte. Im Zug nahm er zwar meine Hand, hielt aber sonst einen gewissen Abstand zu mir, und auch, als wir am Haus angekommen waren, wirkte er ganz ruhig und beherrscht. Immer, wenn er mich ansah, war da dieses feine, hübsche Lächeln auf seinen Lippen, das mir versicherte, dass er sich gut fühlte und das gab mir fast noch mehr Sicherheit, als wenn er mich geküsst hätte.
 

Wir machten uns gleich bettfertig, ohne noch etwas zu essen, und gingen dann ins Schlafzimmer. Tsuzuku streckte die Arme nach mir aus und ich legte mich zu ihm, ganz nah, wollte seine Nähe spüren, sein Atmen, seinen Herzschlag. Er trug ein einfaches weißes T-Shirt und schwarze Shorts als Schlafsachen und ich wusste, er war jetzt nicht dazu zu bewegen, sich auszuziehen und noch irgendwas zu machen. Statt auf den Mund gab er mir einen Kuss auf die Stirn, zog mich nicht so eng an sich wie sonst und sagte leise: „Ich mach jetzt Ernst, Meto. Ich werde mit aller Mühe, die ich mir geben kann, versuchen, gut zu dir zu sein.“

„Bist du doch schon. Tsu … hab ich mich jemals beschwert, dass du mir kein guter Freund bist? Nein. Weil ich dich liebe, so, wie du bist. Du musst dich nicht großartig verändern.“

„Das ist lieb von dir. Aber ich ertrag mich selber kaum noch. Ich muss was ändern.“

„M-hm …“ Mehr wusste ich nicht zu sagen. Tsuzuku schien sich in diesem Moment ganz sicher zu sein. Ich ahnte zwar, dass er auch noch wieder anders denken würde, spätestens dann, wenn ich wieder anfing, ihn zu verführen, aber für diesen Moment war das so okay.
 

Und so blieben wir einfach so liegen, ich streichelte ihn ein wenig und er mich, und schließlich holte ich Ruana dazu. Tsuzuku lächelte, tippte ihr auf die schwarze Bärchennase und entschuldigte sich bei ihr dafür, dass sie wegen seiner Sehnsucht nach mir kaum noch von mir geknuddelt wurde.

„Wie lange hast du sie schon?“, fragte er mich.

„Schon seit ich klein war, so vier oder fünf“, antwortete ich. „Sie sah auch nicht immer so aus.“

„Wer hat sie denn so … schick gemacht?“

„Sie ist mal kaputt gegangen, da hat meine Oma sie so repariert.“

Tsuzuku lachte leise. „Deine Oma, die jetzt auf Kyushu lebt?“

„Nein, die andere. Die lebt schon nicht mehr.“

„Oh …“

„Sie ist gestorben, als ich neun war. Muss dir nicht leidtun oder so, ich bin längst drüber hinweg.“
 

Wir redeten noch ein wenig über meine Familie, so dies und das, ich erzählte Tsuzuku ein bisschen was aus meiner Kindheit und er hörte mir einfach zu. Über seine Familie sprachen wir nicht, oder fast nicht, denn er erzählte kurz, dass er seine Großeltern nie kennen gelernt hatte.

„Du kannst meine Familie mit haben“, sagte ich lächelnd. „Für Mama und Papa gehörst du sowieso schon dazu.“

Als Antwort wurde ich fest umarmt und bekam einen Kuss.

„Danke“, flüsterte Tsuzuku, und ich dachte an das mit seiner Mama, fragte mich, ob es wohl möglich war, dass er irgendwann darüber hinweg kam. Konnte man über so etwas denn hinweg- und damit zurechtkommen? So ganz, dass es nicht mehr weh tat? Wahrscheinlich nicht, dachte ich.
 

Tsuzuku bemerkte, dass ich nachdenklich wurde, und fragte: „Woran denkst du?“

Ich antwortete nicht, wollte ihn nicht daran erinnern, und umarmte ihn einfach ganz fest.

„Ich bin für dich da, Tsu. Vergiss das nie.“

Wir blieben so liegen, irgendwann hörte ich seine gleichmäßigen schlafenden Atemzüge und sah, dass er eingeschlafen war. Ich gab ihm einen sanften Kuss und hielt ihn weiter, bis ich selbst einschlief.

[Koichi] Act 6

Der 6. März begann für mich damit, dass ich mit leichten Kopfschmerzen aufwachte und feststellte, dass ich mich im Schlaf vollkommen in meiner Bettdecke verheddert hatte. Ich konnte mich nicht wirklich daran erinnern, etwas geträumt zu haben, doch anscheinend hatte ich eine recht unruhige Nacht hinter mir, denn wie ich einen Moment später bemerkte, lag ich falsch herum im Bett, spürte das Kopfkissen an meinen Füßen.

Seufzend wickelte ich mich umständlich aus der Decke, setzte mich auf und betrachtete einen Moment lang einfach mein pinkschwarzes Schlafzimmer, bevor ich aufstand und begann, meine Klamotten für heute rauszusuchen.
 

„Kocha, was ist eigentlich los mit dir?“, murmelte ich auf dem Weg ins Bad zu mir selbst und sah mich im Vorbeigehen im Flurspiegel an.

Oh mein Gott!

Ich starrte mein Spiegelbild ziemlich fassungslos an, denn das, was mich da anschaute, hatte weniger Ähnlichkeiten mit mir, als vielmehr mit einer Art Gespenst. Nicht nur, dass meine Haare einem Vogelnest ernste Konkurrenz machten, ich hatte außerdem dunkle Schatten um die Augen und war recht blass um die Nase.

Willens, meine Schönheit umgehend wiederherzustellen, huschte ich ins Bad, direkt unter die Dusche, und griff dann, als ich mit Duschen fertig war, tief in meine Make-up- und Styling-Trickkiste, um mich wieder in den hübschen, schlafstörungsfreien Koichi zurück zu verwandeln, als den ich mich kannte.
 

Als ich mir schließlich wieder einigermaßen gefiel und öffentlichkeitstauglich aussah, war es schon ziemlich spät und ich musste das Frühstück in meiner Wohnung ausfallen lassen. Stattdessen würde ich mir wohl am Bahnhof ein Sandwich oder dergleichen holen. Ich schnappte mir meine Handtasche, kuschelte mich in meine Jacke und verließ meine Wohnung in Richtung Bahnstation.

Im Zug hörte ich ziemlich laut Musik, um wach zu werden und in Schwung zu kommen. Es war immer noch dämmrig draußen und ich war froh, dass der Bahnhof gut ausgeleuchtet war.
 

Kaum ausgestiegen, sah ich Meto auf einer der Bänke sitzen. Er wirkte jedoch ziemlich tief in Gedanken versunken und bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand und laut „Hey!“ sagte. Er schrak ein wenig zusammen, sah auf und erkannte mich.

„… Hi, Koichi …“, sagte er leise.

„Na, bereit für deinen ersten richtigen Arbeitstag?“, fragte ich.

Meto nickte und sein Gesicht hellte sich etwas auf.
 

Wir verließen den Bahnhof in Richtung unseres von nun an gemeinsamen Arbeitsplatzes und ich versuchte, eine Unterhaltung mit ihm anzufangen, indem ich danach fragte, wie es Tsuzuku ging und ob dieser seinen Wunschjob bekommen hatte.

Meto nickte und erzählte mir, dass sie beide, um diesen Erfolg zu feiern, zusammen schwimmen gewesen waren.
 

Ich konnte mir das nur zu gut vorstellen. Und ich musste zugeben, dass mich nach meiner Recherche letztens irgendwie doch ein wenig interessierte, wie Tsuzuku sich verhielt, wenn er mit Meto allein war. Das zwischen den beiden war so innig und besonders, dass ich … nun ja, ein wenig neidisch war. Immerhin hatte ich selbst zurzeit nicht mal die Aussicht auf ein baldiges Ende meines Singledaseins.
 

„Koichi?“, riss mich Meto mit leiser Stimme aus meinen Gedanken. „Kann ich… dich was …fragen?“

„Was denn?“

Es dauerte einen Moment, bis Meto antwortete, er blickte zu Boden und schien nicht recht zu wissen, ob er diese Frage nun stellen sollte oder lieber nicht. „…Hat Tsuzuku …mal was zu dir gesagt, ob… irgendwas …mit ihm ist?“

Meto wusste es also auch nicht, genau wie ich. Wir schienen in Bezug darauf, dass Tsuzuku irgendwas mit sich herumschleppte, in derselben Lage zu sein, nicht zu wissen, was mit ihm los war.

„Na ja …“, sagte ich, „er hat mir nur gesagt, dass er nicht darüber sprechen kann. Dass er noch Zeit braucht. Dir sagt er also auch nicht mehr?“

Meto nickte wieder.
 

„Was …hat er dich… denn gebeten, nachzuschauen…?“, fragte er dann.

Erst wusste ich nicht, ob ich ihm das sagen sollte. Schließlich war es etwas gewesen, um das Tsuzuku mich im Vertrauen gebeten hatte, und vielleicht wollte er nicht, dass ich mit Meto darüber sprach. Doch andererseits … wenn es vielleicht mit dem zusammenhing, weshalb wir beide uns solche Sorgen um ihn machten, hatte sein fester Freund doch irgendwo ein Recht darauf, dass ich ihm sagte, was ich wusste.

„Ich weiß gar nicht, ob du das wissen sollst …“, sagte ich. Wir hatten inzwischen das Café erreicht und ich blieb stehen.

„Kocha, sag’s mir, bitte… Ich mach… mir Sorgen um Tsu, …und wenn du …was weißt…“

„Also gut“, erwiderte ich. „Komm mit, ich sag es dir in der Umkleide, okay?“
 

Nachdem wir dann das übliche ‚Guten Morgen‘ und so weiter mit meinen Kollegen hinter uns gebracht hatten, zu zweit in der Umkleide standen und uns umzogen, erzählte ich Meto, was ich genau für Tsuzuku recherchiert hatte und was dabei herausgekommen war.

Ich verschwieg sämtliche Namen irgendwelcher Störungen, da ich mir absolut sicher war, dass besser keiner der beiden solche unheimlichen Bezeichnungen erfuhr, und sagte wahrheitsgemäß, dass ich rein gar nichts davon hielt, Tsuzukus nächtliches Verhalten in irgendeiner Form als gestört zu deklarieren.
 

„So ähnlich… sag ich ihm… das auch immer…“, sagte Meto leise. „Aber …er scheint …da nicht auf mich …zu hören. Eigentlich weiß er… dass ich… es mag, …wenn er so …dominant ist…“

„Hat er eigentlich mal irgendwo ein Buch über psychische Störungen gelesen, oder wie kommt er darauf, sich da als krank zu bezeichnen?“, fragte ich.

Meto schüttelte den Kopf. „Hab ich …noch nie gesehen, …dass er …so ein Buch… hatte…“

„Kennst du dich überhaupt irgendwie mit so was aus, also mit psychischen Sachen?“

Wieder Kopfschütteln seitens Meto. „Gar …nicht…“

„Ich auch nicht. Na ja, ich weiß ein bisschen was, so das, was man so hört und so. Aber was Tsuzuku sich da zusammendenkt, versteh ich auch nicht.“
 

In dem Moment kam Haruma, einer meiner Kollegen, herein. „Wo bleibt ihr denn?“

„Wir hatten noch was zu besprechen“, sagte ich, sah Meto noch einmal von oben bis unten an (er trug das blaue Kleid und die Perücke, die ich letztes Jahr in meinem Lieblingsladen für ihn ausgesucht hatte), befand sein Outfit für süß und fühlte mich ein bisschen wie sein Senpai. Ich wollte mein Bestes geben, dass er sich hier wohl fühlte und gern arbeitete.

„Komm, Meto, der Chef will dich sehen“, sagte Haruma.
 

Meto wirkte unheimlich aufgeregt, als wir zum Büro unseres Chefs gingen. Verständlich, war es doch meinem Wissen nach das erste Mal, dass er sich für einen Job vorstellte. Er hatte mir erzählt, dass er seit dem Schulabschluss nichts mehr wirklich gemacht und seine Tage stattdessen im Park verbracht hatte. Grund dafür war wohl sein Problem mit dem Sprechen.

Bevor ich die Bürotür öffnete, legte ich Meto kurz die Hand auf die Schulter. „Du schaffst das schon.“

Er nickte etwas unsicher, atmete tief durch und betrat das Büro.

Ich wandte mich meiner Arbeit zu, die wieder einmal darin bestand, Kuchen aus dem Kühlraum in die Theke zu bringen und die Selbstreinigungsautomatik der Kaffeemaschinen anzuwerfen. Schon standen die ersten Mädels vor der Tür, die hier frühstücken wollten, und ich öffnete die Eingangstür, begrüßte die Gäste mit meinem üblichen Lächeln und erkannte unter ihnen auch die eine oder andere Stammbesucherin.
 

Als ich schon mitten bei der Arbeit war, kam Meto endlich von dem Gespräch zurück. Er strahlte glücklich und ich freute mich unheimlich, ihn jetzt zu meinen Kollegen zählen zu dürfen. An seinem Kleid glitzerte das mit silbrigem Glitter verzierte Namensschild mit der Katakana-Aufschrift ‚Meto‘ und er schien sehr stolz darauf zu sein.

„Na, geschafft?“, fragte ich.

Er nickte strahlend, legte dann den Kopf ein wenig schief und sah mich mit großen Augen an.

„Und jetzt sagst du nichts mehr?“

Breites Grinsen, Kopfschütteln und lautloses Lachen war die Antwort.

Die Mädchen am Tisch hinter mir machten sich gar nicht erst die Mühe, ihr begeistertes Quietschen zu unterdrücken.

„Meto-chaaaan!“, rief eine. „Einen Chai-Tee bitte!“

Er sah mich fragend an und ich ging mit ihm zur Theke, um ihm zu zeigen, wie man so einen Tee zubereitete.
 

Der Vormittag lief ziemlich gut. Ich kam zuerst zwar kaum selbst dazu, die nach mir rufenden Mädchen zu bedienen, weil ich mich heute erst einmal mehr um Meto kümmern wollte, doch mit der Zeit kam er immer besser allein zurecht und ich konnte mich wieder meiner eigenen Arbeit zuwenden.

Es machte mich ziemlich happy, zu sehen, wie er aufblühte und fast die ganze Zeit über lächelte. Wenn Meto so strahlte, dann konnte ich gut nachvollziehen, warum Tsuzuku ihn als seine Sonne bezeichnete und so sehr liebte. Für jemanden wie Tsu, der im Leben solche Dunkelheit erlebt hatte, war ein so süß lächelnder, lieber Mensch wie Meto wie geschaffen.
 

Die Mittagspause konnten wir leider nicht zusammen verbringen, da es um die Zeit eine Menge für mich zu tun gab und ich deshalb meine etwas nach hinten verschieben musste, während Meto schon gegen zwölf Uhr eine Pause machen konnte. Er wirkte ein bisschen erschöpft, was ja kein Wunder war, schließlich war er Arbeit nicht gewöhnt. Doch es schien ihm gut zu gefallen und er hatte offenbar eine Rolle gefunden, die er hier spielen konnte und mit der er auch gut ankam.
 

Am Nachmittag hatten wir dann endlich wieder eine Gelegenheit zu einer gemeinsamen Pause. Wir standen im Hinterhof an der Wand, ich rauchte und bot Meto auch eine Zigarette an. Doch er schüttelte den Kopf.

„Ich hab dich doch schon rauchen gesehen“, sagte ich.

„…Will aber …aufhören“, antwortete er. „Tsu …raucht schon… so viel…“

Ich nickte. Mir war auch schon aufgefallen, dass Tsuzuku, seit er es sich wieder leisten konnte, sehr viel rauchte, und fand es da verständlich, wenn Meto damit aufhören wollte.
 

„Sag mal …“, begann ich, „Ohne dich jetzt irgendwie ausfragen zu wollen … Aber, na ja, ich wüsste gern, wie Tsuzuku eigentlich auf die Idee kommt, seinen Anteil an eurem Intimleben als krank zu bezeichnen. Er ist doch immer lieb zu dir, oder?“

Meto sah mich überrascht an, ein leichter Rotschimmer schlich sich auf seine Wangen und er nickte mit einem kleinen Lächeln. „Ja, ist er. Ich… liebe ihn, und er mich… Deshalb versteh ich’s ja nicht. Er… scheint …zu denken, dass er …mich bedrängt. Nur …weil er mir… ein Mal wehgetan hat. Und dann …ist er auch wieder …anders, kann… kaum die Hände …von mir lassen…“

„Habt ihr seitdem noch mal … miteinander geschlafen?“

„Ja… Und es war schön, …total schön…“
 

„Du hältst mich jetzt für neugierig, oder?“, fragte ich, zugegeben ein wenig unsicher.

Meto lachte, wirkte auf einmal total selbstbewusst und sagte dann, ohne Stocken: „Alles okay, Koichi. Es tut gut, mal mit jemandem darüber zu reden.“

Ich staunte ein wenig. Der Sprachfehler ließ Meto irgendwie so schüchtern und unsicher wirken, doch das war er gar nicht. Zumindest nicht immer. Er war viel mutiger, stärker und selbstbewusster, als er auf den ersten Blick wirkte. Wo auch immer dann sein Problem mit dem Sprechen her kam.
 

„Ich würde euch einfach gern helfen, wenn ich kann und darf“, sagte ich.

„Natürlich… darfst du“ antwortete er.

Den Rest der Pause redeten wir über nicht mehr und nicht weniger als Metos Gefühle für Tsuzuku, ungefähr das, was die beiden zusammen taten, und dass Tsu sich irgendwie verändert hatte.

Mit jedem Satz stockte Meto weniger, sprach flüssiger und wirkte dadurch selbstsicherer. Ich hatte das Gefühl, dass er jetzt endlich wirklich Vertrauen zu mir gefasst hatte, und war mir im Klaren darüber, dass es etwas Besonderes war, wenn er so einfach mit mir sprach. Schließlich wusste ich, dass er lange Zeit nur mit Tsuzuku so flüssig hatte sprechen können.
 

Als wir zurückgingen und uns wieder unserer Arbeit zuwandten, hatte ich das Gefühl, mich mit Meto richtig angefreundet und ihm auch ein wenig geholfen zu haben.

Der weitere Nachmittag verlief ähnlich gut wie der Vormittag und als Meto und ich abends zusammen zum Bahnhof gingen, fragte ich mich, ob Tsuzukus erster Arbeitstag ähnlich gut gelaufen war. Ich hoffte es sehr, denn so, wie er im Moment drauf war, konnte er beruflichen Misserfolg ganz sicher nicht gebrauchen. Ich spürte, dass seine allgemeine Stimmung wieder auf recht unsicherem Boden stand, und etwas in mir erwartete schon, dass es in nächster Zeit schwer mit ihm werden würde.

„Meto?“, fragte ich den Jungen neben mir deshalb, „Kannst du Tsuzuku sagen, er soll mich heute Abend noch mal anrufen?“

„Ja, klar. Kann er ja jetzt. Ich sag’s ihm.“
 

Der Zug in meine Gegend kam früher als der, den Meto nehmen musste, und so ließ ich ihn kurz darauf auf dem Bahnsteig zurück und fuhr nach Hause. Schon in der Bahn hatte ich ein etwas seltsames, irgendwie nicht sehr gutes Gefühl, und als ich ausstieg und in Richtung meines Zuhauses lief, wurde dieses Gefühl immer stärker, bis ich, als ich die Tür aufschloss und die Treppe rauf ging, merkte, dass meine Hände zitterten.

Auf einmal wurde mir seltsam klar, dass ich allein lebte, meine Eltern weit weg waren und ich im Gegensatz zu Meto niemanden hatte, der mich abends empfing, in den Arm nahm und mit mir das Bett teilte. Jetzt am ganzen Körper zitternd, suchte ich meinen Wohnungsschlüssel raus, er fiel zu Boden, ich hob ihn auf, versuchte, die Tür aufzuschließen und traf das Schloss erst beim dritten Versuch.
 

Ich zerrte mir die Schuhe von den Füßen, zog meine Jacke aus und lief automatisch ins Wohnzimmer zum Kotatsu, den ich einschaltete und mir dann Tee machen wollte. Beruhigungstee, damit ich mich wieder einkriegte und darüber nachdenken konnte, was denn eigentlich mit mir los war.

Fast wäre mir die Tasse auch noch runtergefallen, ich hielt sie geradeso fest und ein bisschen Tee schwappte heraus, landete auf dem Küchenfußboden. Leise fluchend, stellte ich die Tasse ab und wischte den Fleck mit einem nassen Lappen auf, dann nahm ich mir den Tee und ging ins Wohnzimmer, setzte mich an den Kotatsu und wartete.
 

Was war denn nur mit mir los? Warum machte es mir auf einmal etwas aus, dass ich eben allein lebte, Single war und im Moment auch keine Aussicht auf eine Freundin hatte? Bisher hatte ich damit doch ganz gut gelebt. Ich war sogar ein bisschen stolz darauf gewesen, dass ich mein Leben so gut allein hinbekam und dadurch Kapazitäten frei hatte, anderen Menschen zu helfen, denen es nicht so gut ging wie mir. Menschen wie Tsuzuku, der ja wirklich litt und Dinge erlebt hatte, die nicht wieder gut zu machen waren. Ihm wollte ich, so gut es eben ging, helfen, und da konnte ich es nicht gebrauchen, dass es mir auf einmal auch schlecht ging, wo ich doch eigentlich gar keinen Grund dazu hatte.
 

In dem Moment hörte ich mein Handy im Flur klingeln. Gerade hatte ich an Tsu gedacht und jetzt war es sicher er, der mich anrief, weil ich ihn über Meto darum gebeten hatte.

Ich fischte mein Handy aus meiner Handtasche und hob mit einem leisen „Ja?“ ab und ging ins Wohnzimmer zurück.

„Koichi?“, hörte ich Tsuzuku am anderen Ende der Leitung fragen.

„Japp“, erwiderte ich, versuchend, fröhlich zu klingen.

„Du wolltest, dass ich dich anrufe?“

„Ja. Du hattest doch heute deinen ersten Tag in dem Tattoo-Studio und da wollte ich fragen, ob alles gut gelaufen ist.“
 

Eine kurze Stille folgte, ich hörte ein paar Geräusche im Hintergrund, so als ob er von einem Raum in einen anderen ging, dann antwortete er: „Ja, alles gut.“ Und dann: „Na ja … so ganz nicht. Ich hab irgendwie so eine seltsame Angst vor den Leuten. Dass sie schlecht von mir denken, verstehst du?“

„Wieso sollten sie das?“

„Ich komm von der Straße. Und wie ich aussehe …“

„Dein Aussehen wird in einem Tattoo-Studio wohl das geringste Problem sein“, sagte ich. „Und dass du mal auf der Straße gelebt hast, müssen ja nicht alle wissen.“

„Sie wissen es aber. Weil ich es erzählt habe.“

„Warum erzählst du das denn, wenn du doch Angst hast, dass die Leute dich dafür verurteilen?“

Stille. Dann: „Ich weiß es nicht. Ich hab‘s einfach so erzählt.“

Der Tonfall, in dem Tsuzuku das alles sagte, gefiel mir irgendwie nicht. Es war derselbe Tonfall, in dem er mich um die Recherche zu seinem Bettverhalten gebeten hatte. Er klang leicht ironisch, jedoch nicht so wie sonst, und hatte eine deutliche Spur von Aggression gegen sich selbst.
 

Ich schwieg einen Moment, wusste erst nicht, was ich erwidern sollte, und dann sagte Tsuzuku ganz leise: „Koichi, ich hab Angst. Ich hätte da heute einmal fast gebrochen. Ich will davon weg, aber ich merke, wie es mich einholt. Es kommt immer näher …“ Jetzt klang er wirklich nicht mehr gut. Fast schon panisch. Und ich spürte, dass er nah dran war an dem, was er vor Meto und mir verschwieg. Ganz nah.

„Hast du da mal mit der Psychologin vom Tempel darüber gesprochen?“, fragte ich.

„Nein.“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich … Ich kann nicht darüber reden. Die Psychologin würde doch sofort merken, dass ich …“

„Dass du was?“

Dieses Gespräch ging eindeutig in eine sehr gefährliche Richtung. Ich war in diesem Moment nicht wirklich in der Lage, Tsuzuku zu helfen, da ich innerlich immer noch mit meinem plötzlichen eigenen Problem zu kämpfen hatte. Doch er schien auf einmal beinahe gewillt, endlich zu sagen, was mit ihm los war, und da durfte ich ihn doch jetzt nicht abblocken, oder?

„Tsu…“, begann ich, doch da hörte ich ein Klicken in der Leitung und dann dieses nervenzerreißende Tuten, das Zeichen, dass er aufgelegt hatte. Ich starrte das Handy in meiner Hand ein paar Momente lang an, dann sprang ich auf, trank den letzten Rest Tee aus und lief in den Flur, zog meine Jacke und meine Schuhe an, lief aus der Wohnung und in Richtung Bahnstation.
 

Ich rannte, so schnell ich konnte, die kalte, nächtliche Märzluft brannte in meinen Lungen und als ich keuchend den kleinen Bahnhof erreichte, fuhr gerade die Bahn ein, für das Viertel, in dem Tsuzuku und Meto lebten. Ich stieg ein, die Bahn war so voll, dass ich stehen musste, und erst jetzt spürte ich richtig, dass ich Angst um Tsuzuku hatte. Ich hatte Angst, dass er rückfällig wurde, dass er erbrach und sich verletzte, was ich zwar zum Glück noch nie direkt mitbekommen hatte, aber eben wusste, dass er das schon oft getan hatte.
 

Als die Bahn hielt, stieg ich aus und lief schnell weiter, und mit jedem meiner Schritte nahm meine Sorge weiter zu. Wenn Tsuzuku nicht so einfach aufgelegt hätte, wäre ich jetzt vielleicht nicht ganz so besorgt gewesen, aber so machte ich mir furchtbare Gedanken. Auch, wenn Meto ja sicher bei ihm war.

Ich erreichte das Haus, sah in einem Fenster im zweiten Stock Licht brennen und klingelte Sturm bei dem Schildchen mit der Aufschrift ‚Aoba & Asakawa‘. Es dauerte für mein Gefühl viel zu lange, bis der Türöffner summte, ich die Tür aufdrückte und durchs Treppenhaus nach oben rannte.
 

Völlig außer Atem kam ich an der Wohnungstür an, musste mich erst wieder ein wenig fangen und klingelte dann wieder Sturm. Ein paar Sekunden, Schritte, dann öffnete Meto die Tür. Und er sah ziemlich genau so besorgt aus, wie ich mich fühlte.

„Koichi …“, sagte er leise. „Was …?“

„Wo ist Tsuzuku?“, fragte ich, immer noch keuchend davon, dass ich die Treppen raufgerannt war.

Meto sah mich traurig und ängstlich an und sagte dann: „Im Bad. Er … hat sich eingeschlossen.“

Ich schob Meto zur Seite, rannte zur Badezimmertür und rüttelte an der Klinke. Abgeschlossen.

„Tsu, ich bin‘s, Koichi! Mach auf!“, schrie ich.

Er antwortete nicht, aber ich hörte ihn schluchzen. In meinem Kopf lief unser Telefongespräch wie ein Tonband ab, immer wieder, das, was er gesagt hatte. Er war so nah dran gewesen, mir zu sagen, was mit ihm los war, und wahrscheinlich hatte das irgendwas in ihm hochgeholt.
 

Meto stand hinter mir und sagte leise: „Es ging ihm schon nicht gut, als ich nach Hause kam. Ich … weiß nicht, was mit ihm los ist …“

„Tsuzuku, hör mir zu!“, rief ich gegen die verschlossene Tür. „Entweder du machst jetzt auf und sagst uns verdammt nochmal endlich, was mit dir los ist, oder ich breche die Tür auf!“

Er antwortete nicht, schluchzte immer noch.

„Meto, hast du mitbekommen, ob er … gebrochen hat?“, fragte ich leise.

Meto schüttelte den Kopf. „Ich glaube, nicht.“

Ich hörte ein leises Geräusch von der anderen Seite der Tür, dann leise Schritte und schließlich Tsuzukus tränenerstickte Stimme: „Ihr … macht euch jetzt Sorgen, oder?“

„Natürlich!“, rief Meto, schob mich zur Seite und rüttelte an der Türklinke. „Tsu, bitte, mach auf!“
 

Es dauerte wieder einen Moment, dann klackte das Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht und die Tür einen Spalt breit geöffnet. Ich stellte sofort meinen Fuß in die Tür, aber das war gar nicht notwendig, denn Tsu machte keine Anstalten, sie wieder zuzumachen. Er stand einfach nur da, mit rotgeweinten Augen, Tränen auf den Wangen, leicht zerzausten Haaren, zerkratzten Händen, die Unterlippe blutig gebissen, und wirkte wieder so traurig und hilflos, wie ich ihn damals kennen gelernt hatte.

Ich blickte auf seinen rechten Arm, wo ja zwischen den Tattoos noch ein wenig Platz war, doch ich konnte zum Glück keine tiefen Kratzer oder gar Schnitte erkennen. Gut, er war wenigstens nicht so schlimm rückfällig geworden. Was aber nichts daran änderte, dass ich mir unheimlich große Sorgen um ihn machte.

[Tsuzuku] Act 7

Da stand ich nun, vor den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben, und wusste nicht, wie ich ihnen das alles erklären sollte. Mein Kopf war wie leergefegt, ich spürte einen schmerzhaften Druck im Herzen und immer noch Tränen in meinen Augen.

Ich hatte versucht, den Druck abzubauen, hatte mit den Fingernägeln meine Handrücken zerkratzt und meine Lippe wundgebissen, dadurch versuchend, mich weder zu schneiden, noch zu erbrechen. Doch es lief auf dasselbe hinaus: Dass ich mir selbst wehtat und schadete, und es mir danach seltsam besser ging. Automatisch machte ich weiter, kratzte mit den Fingernägeln über meine Hände und Unterarme, und spürte, wie schon dieser leichte Schmerz mich ein wenig lockerte und beinahe entspannte.
 

„Tsuzuku …“ Meto kam auf mich zu, griff meine Hände und hielt sie fest, verhinderte, dass ich mich weiter kratzen konnte. Er zog mich zu sich, in seine Arme, hielt mich fest und führte mich aus dem Bad ins Wohnzimmer, wo er mich sanft aufs Sofa niederdrückte und sich dann setzte.

Koichi folgte uns, setzte sich rechts neben mich und sah mich betroffen und besorgt an.

Langsam kehrten die Gedanken in meinen Kopf zurück, und damit auch die Worte aus dem Buch über Borderline, die mir die Brust zusammenschnürten. Und ich wusste, ich hatte mich, ob ich nun wollte oder nicht, genau so verhalten, wie es da stand. Beinahe schon musste ich lachen, so eindeutig war es, und so nichtig meine Bemühungen, mich anders zu verhalten.
 

„So“, sagte Koichi, während Meto mich weiter umarmt hielt. „Jetzt erzählst du uns erstmal, was da heute passiert ist.“

Ja, was war passiert … Ich war zurückgefallen, in ganz alte Verhaltensmuster, vielleicht unter anderem deshalb, weil ich mich an meine Ausbildung früher erinnert hatte und daran, wie ich damals gewesen war. Auf einmal war es mir wieder ganz leicht, zu leicht, gefallen, auf Leute zuzugehen, ich hatte zu offen geredet und dabei war mir eben auch entwischt, was ich eigentlich für mich hatte behalten wollen: Dass ich von der Straße kam, fast zwei Jahre lang unter der Brücke und in Notunterkünften gelebt hatte. Und als mir dann klargeworden war, was ich gesagt hatte, da hatte ich es bereut, mich sofort zurückgezogen, war auf die Toilette verschwunden und kurz davor gewesen, wieder zu brechen. Nur mein Versprechen an Mama hatte mich davon abgehalten.
 

Meinen neuen Kollegen gegenüber hatte ich mir alle Mühe gegeben, so zu tun, als wäre alles okay, und der restliche Arbeitstag war zumindest halbwegs normal gelaufen. Zumindest oberflächlich gesehen. Für die anderen unsichtbar, war in meinem Kopf das schmerzhafte Tonband mit Symptomen und Merkmalen ununterbrochen gelaufen, hatte mich immer noch weiter verletzt. Dazu kam die Angst davor, dass selbst Meto und Koichi mich nicht mehr vorbehaltlos gern haben würden, wenn sie erfuhren, wie gestört ich wirklich war. Und dass es schlimmer werden würde mit mir, wenn ich darüber sprach.
 

Ich wusste, in dieser Situation konnte ich nicht länger verschweigen, dass ich ein gewaltiges Problem hatte, doch ich hatte keine Ahnung, wie ich es sagen sollte und wie viel. Und so, wie ich mich kannte, würde ich zu viel sagen. Das war ja vorhin, als ich mit Koichi telefoniert hatte, auch so gewesen. Ich hatte, ohne nachzudenken, einfach geredet und mich nur geradeso stoppen können, bevor mir das Wort ‚Borderline‘ über die Lippen gekommen wäre.
 

„Tsuzuku“, sagte Koichi, als ich nicht antwortete, „… Wenn du nur nichts sagst, damit wir uns keine Sorgen um dich machen, dann kann ich dir sagen: Das tun wir doch schon längst. Also sprich!“

„Das ist es nicht“, erwiderte ich leise. „Nicht nur.“

„Was dann?“, fragte Meto. Er schien den Tränen genauso nah wie ich, und es tat mir leid, dass ich ihn mit meiner Mich-ins-Bad-einschließen-Aktion so in Angst versetzt hatte. Es war nicht fair, dass ich meinem Liebsten solche Angst machte. Aber war es denn besser, wenn ich ihm alles sagte? Würde er sich denn dann nicht noch mehr Sorgen machen? Und Angst haben, dass ich genauso endete wie Hitomi? Was, wenn er damit nicht klarkam und mich am Ende …?
 

Schon der Gedanke, Meto könnte mich allein lassen, tat wahnsinnig weh, nicht nur psychisch, sondern auch körperlich. Mein Herz fühlte sich an, als würde es ein paar Schläge aussetzen, heiße Tränen brannten in meinen Augen und ich konnte kaum noch atmen. Unwillkürlich griff ich mir an mein schmerzendes Herz, was natürlich nicht unbemerkt blieb.

„Tsuzuku?!“, fragte Meto, klang heftig besorgt. „Tut dir was weh?“

Ich nickte zitternd. Und die Tür in meinen Gedanken, hinter der ich versucht hatte, alles, was mit Borderline zusammenhing, einzuschließen, stand einen Spalt breit offen, ließ ein wenig davon nach draußen. Ich war nicht mehr imstande, sie ganz geschlossen zu halten.

„Ich … ich hab Angst“, brachte ich leise heraus. „Mit mir stimmt was nicht und es wird immer schlimmer. Ich glaube, … ich werde wahnsinnig …“
 

„Wovor hast du denn Angst?“, fragte Koichi, legte seine Hand auf meinen Arm und sah mich besorgt und ein bisschen traurig an. Er war mein bester Freund und hatte mir nie einen Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen, und trotzdem hatte ich Angst, dass er mich hassen könnte, wenn er erfuhr, wie kaputt und gestört ich war.

Doch ich war nicht länger in der Lage, das alles für mich zu behalten. Ich musste reden, hier und jetzt, es musste einfach raus. Mein Herz hielt dem Druck hinter der verschlossenen Tür nicht mehr stand, das spürte ich deutlich, und es tat so sehr weh, dass ich kaum noch die Fassung wahren konnte.
 

„Versprecht mir, … dass ihr mich nicht hasst …“ Meine Stimme brach beim letzten Wort zusammen, ich konnte weder Meto, noch Koichi ansehen, blickte zu Boden und hörte das Blut durch meine Adern rauschen. Meine Hand drückte immer noch auf mein Herz, versuchend, den brennenden Schmerz ein wenig zu lindern.

Ich fühlte, wie Meto mich fester umarmte, spürte Koichis Hand immer noch an meinem Arm.

„Warum sollten wir dich hassen?“, fragte Meto leise und ich glaubte, schon Verzweiflung aus seiner Stimme herauszuhören. „Wie kommst du denn nur auf so was?!“

„Ich … bin so kaputt. Völlig gestört …“, sagte ich und spürte, wie wieder Tränen über meine Wangen liefen. Und die Tür in meinem Innern öffnete sich noch ein Stückchen weiter.
 

„Aber war das für uns jemals ein Grund, dich nicht zu lieben?“, fragte Koichi. „Denkst du wirklich, dass wir dich wegen irgendwas allein lassen würden?“

„Und wenn es schlimmer wird mit mir? Wenn ich so durchdrehe, dass ihr mich nicht mehr ertragt?“

Meto bewegte sich, packte mich an den Schultern, sodass ich ihn ansehen musste und sah, dass ihm ebenfalls Tränen übers Gesicht liefen. „Tsu, ich hab dir mal was versprochen! Und zwar, dass ich immer bei dir bleibe! Ich liebe dich, über alles, und das einzige, was ich kaum ertrage, ist, wenn du dich so runtermachst und daran zweifelst, dass du alles für mich bist! Verstehst du das?!“
 

Langsam drangen seine Worte zu meinem Verstand durch, und als ich verstand, begriff, dass Meto das ernst, sehr ernst meinte, da verlor ich vor Rührung erst recht die Fassung: Ich drückte mich an ihn, schluchzend, zitternd, meine Hände krallten in seinen Rücken, ich hielt mich an ihm fest, mich danach sehnend, dass seine Nähe den Schmerz vertrieb. Er ließ es einfach zu, hielt mich, streichelte liebevoll, war so lieb und süß wie immer, und schob schließlich eine Hand zwischen uns, legte sie auf mein Herz.

„Tut das richtig echt weh?“, fragte er leise.

Ich nickte. „Aber … wenn du deine Hand da hast … nicht mehr so …“ Tatsächlich wurde der Schmerz fast augenblicklich weniger und ich konnte wieder freier atmen, nur wegen Metos warmer Hand.

Er lächelte, mit Tränen in den Augen. „Na siehst du. Und deshalb lass ich dich auch bestimmt nicht alleine. Ich bin gern für dich da, ich liebe dich und ich weiß, wie sehr du mich brauchst.“
 

„Tsu, du kannst uns vertrauen. Und eigentlich weißt du das doch auch“, sprach Koichi. „Also sag, was ist mit dir los?“

Langsam löste ich mich wieder ein wenig von Meto, doch nicht ganz, sodass ich immer noch seine Nähe fühlen konnte. Er schien mich auch nicht so recht loslassen zu wollen, so blieb sein Arm um meine Schultern liegen und ich lehnte mich an ihn.

Und irgendwann, da war ich dann bereit zu reden. Ich wusste immer noch nicht, wo ich anfangen sollte, doch sowohl Koichi, als auch Meto, mein Liebster, wartete geduldig, bis ich einen ungefähren Anfang wusste und beschlossen hatte, mit Hitomi anzufangen, damit, was Frau Sato gesagt hatte, ohne zu wissen, dass ich es gehört hatte.
 

„Als Hitomi … sich damals geschnitten hat, da … bin ich nachts von dem Blaulicht aufgewacht und aufgestanden. Ich hab gefragt, was los war, und das dann erfahren. Und als ich dann wieder weg bin, auf dem Flur in mein Zimmer, da hat Frau Sato …“ Ich hatte das alles so lange so fest in mir eingeschlossen, dass ich jetzt eine ganze Weile brauchte, um es wirklich auszusprechen. Meto bemerkte, wie schwer es mir fiel, und legte wieder seine Hand auf mein Herz. Das tat so gut, fühlte sich geradezu befreiend an, sodass ich weiter sprechen konnte: „Sie hat nicht bemerkt, dass ich es gehört habe, und sie weiß es bis heute nicht. Im Grunde war das der Auslöser, denn ich hab vorher nie wirklich darüber nachgedacht, was mit mir los ist.“

„Und was hat sie gesagt?“, fragte Koichi leise.

Es kam ganz leicht raus, auf einmal, die Tür in meinem Innern stand weit offen: „Dass Hitomi Borderline hat.“ Und dann: „Und ich weiß, ich bin wie sie. Ich weiß, ich hab’s auch.“
 

Meto sah mich fragend an. Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass er vielleicht gar keine Ahnung von psychischen Krankheiten hatte und deshalb gar nicht wusste, was ich damit meinte.

„Oh Gott …“, hörte ich Koichi sagen. „Und das schleppst du seitdem mit dir rum, ohne was zu sagen?“

Ich wusste nicht, inwiefern Koichi darüber Bescheid wusste und woher. Was ich wusste, war, dass es Gerüchte gab und Vorurteile. Und ich hoffte, betete, dass mein bester Freund diese nicht kannte oder nichts davon hielt.

Ich nickte auf seine Frage hin und sagte leise: „Jetzt wisst ihr’s. Ich bin krank und gestört und kaputt.“

„So’n Quatsch.“ Meto zog mich wieder näher an sich. „Und selbst wenn da irgendwas ist, ändert das rein gar nichts daran, dass ich dich liebe.“
 

Ich konnte nichts antworten, ließ mich einfach von ihm und Koichi umarmen und halten, bis ich mich wieder so einigermaßen sicher fühlte, dass ich über das sprechen konnte, was ich die letzten Monate still und einsam durchgemacht hatte. Die Tür in meiner Gedankenwelt stand endgültig weit offen und ich wusste, ich würde sie nicht wieder schließen können. Immer noch hatte ich wahnsinnige Angst, jetzt rückfällig und noch kränker zu werden, doch ich konnte es auch nicht länger für mich behalten.
 

Und so redete ich. Über alles, angefangen von meiner Angst, bis zu dem, was ich in diesem verdammten Buch gelesen hatte. Darüber, dass ich alles, was ich tat, mehr oder weniger für kranke Anzeichen hielt, dass ich fürchtete, mein Versprechen an Mama nicht halten zu können und den Menschen, die mir geblieben waren, weh zu tun.

Und ich erklärte Meto endlich, warum ich in unserer ersten Nacht hier in dieser Wohnung so auf seine Schmerzen reagiert hatte: Ich hatte dieses Machtgefühl und meine unkontrollierte Lust sofort, als er „Hör auf“ gesagt hatte, unter ‚krank‘ eingeordnet, so, wie ich fast alles, was ich tat, in letzter Zeit immer mit ‚krank‘ in Verbindung brachte.
 

„Und wie, dachtest du, kommst du allein mit so was klar?“, fragte Koichi irgendwann. „Bist du nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sich so was leichter tragen lässt, wenn man es mitteilt?“

„Doch“, antwortete ich. „Aber … ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen um mich machen müsst. Meto, du hast schon so viel Angst um mich gehabt, ich wollte nicht, dass du wieder Angst bekommst …“

Mein Liebster zog mich näher an sich, streichelte meine tränennasse Wange und sagte: „Und du dachtest, ich merke nicht, wie du leidest?“

„Ich hab versucht, es zu verstecken. Aber … dieses verdammte Ungeheuer, … es will immerzu, dass ich es zeige. Ich krieg’s nicht hin, ich kann’s nicht verstecken.“
 

„Dann lass es.“ Koichi legte seine Hand auf meine Schulter, ich sah ihn an. „Tsuzuku, das, was du da Borderline nennst, ist zum Teil auch einfach deine Persönlichkeit. Du bist eben so und die wenigsten Menschen können verstecken, wie sie sind. Leidest du darunter, dass du eben leidenschaftlich, emotional, ein bisschen dominant und impulsiv bist? Doch erst, seit du das ‚krank‘ nennst, oder? Vorher nicht, soweit ich dich damals verstanden habe. Eine Krankheit ist doch erst dann eine echte Krankheit, wenn du darunter leidest.“

„Und was ist mit dem Schneiden und Kratzen? Damit, dass ich nicht genug esse und Angst habe, alles wieder auszukotzen? Dass ich manchmal so überreagiere? Was ist damit?!“, fragte ich, wurde dabei immer lauter. In meinem Kopf ratterte es wieder Symptome herunter und ich spürte, wie mir langsam alles zu viel wurde.
 

Meto hielt mich immer noch im Arm, streichelte meinen Rücken und sagte leise: „Du trauerst doch immer noch. Auch, wenn es nicht mehr so allgegenwärtig ist. Das ist doch gerade mal zwei Jahre und ein paar Monate her, dass du deine Mama verloren hast, ich glaube, da ist es ziemlich normal, dass du da noch nicht drüber hinweg bist.“

In dem Moment, als er Mama erwähnte, sah ich sie in Gedanken vor mir. Sie sah traurig aus, so als würde sie von dort, wo sie jetzt war, sehen können, wie ich gerade litt, und sich ebenfalls Sorgen um mich machen. Das wollte ich doch nicht! Ich hatte Mama in ihrem Leben schon oft genug Sorgen bereitet, da sollte sie wenigstens im Tod Ruhe vor meinen Eskapaden haben.
 

Der Gedanke an sie hatte in den letzten Monaten nicht mehr so sehr weh getan, doch jetzt schmerzte es wieder, mich an sie zu erinnern, und aufgewühlt, wie ich war, fing ich schon wieder zu weinen an. Es tat mir so wahnsinnig leid, mein Versprechen an ihren Geist, glücklich zu werden, kaum halten zu können.

„Tut mir leid, ich … ich wollte dich nicht dran erinnern …“, flüsterte Meto neben mir ganz betroffen.

Ich versuchte, zu lächeln, was mich jedoch nur noch mehr weinen ließ, und es kostete mich all meine Kraft, da jetzt nicht noch tiefer zu graben und alles, was mit Mama zu tun hatte, wieder hochzuholen. Ich wusste, das hätte mich jetzt vollkommen fertig gemacht.
 

Eine Weile saßen wir einfach so, ich versuchte, mich wieder einigermaßen zu beruhigen und nicht alles noch schlimmer zu machen, und Meto hielt mich weiter, Koichis Hand lag auf meinem Arm.

Irgendwann blieb mein Blick an der hübschen, silbernen Buddha-Statue hängen, die wir vor dem Umzug gekauft hatten und die jetzt im Regal in der Mitte stand. Der Buddha lächelte gelassen, und nachdem ich ihm einfach ein paar Sekunden lang ins Gesicht geschaut hatte, spürte ich, wie ich innerlich wieder ruhiger wurde.
 

Langsam erhob ich mich, ging zu der Statue hinüber und kniete mich davor auf den Boden. Ich fühlte mich leer und erschöpft, wie ausgeblutet. Mein Zeitgefühl war weg, ich wusste nur, dass es draußen dunkel war. Aber ich spürte auch, ganz tief in mir war noch etwas, das okay war, und dieser Teil von mir war jetzt vollkommen ruhig. Ich erinnerte mich daran, dass ich im Tempel gelernt hatte, meinen Atem zu beobachten, und blieb eine Weile so sitzen, hörte mich selbst atmen und versank dabei fast ein wenig darin.
 

„Tsuzuku?“, riss mich Metos leise Stimme irgendwann aus der Stille. „Geht’s wieder …?“

Ich sah mich um. Meto und Koichi saßen immer noch auf dem Sofa hinter mir, sie schienen auf mich zu warten. Ich stand langsam auf, ging zu ihnen zurück und setzte mich wieder dazwischen. „Könnt ihr … mir was versprechen?“

„Was denn?“, fragte Koichi.

„Dass ihr das nicht irgendwo nachschlagt … Borderline … Ich will nicht, dass ihr das lest.“

„Das hast du gemacht, oder? Das gelesen?“, fragte Meto.

Ich nickte. „Und ich mach das nie wieder. Das war … einfach nicht gut. Ich kriege die Sätze jetzt nicht mehr aus meinem Kopf raus.“

„Versprochen, wir lesen da nichts“, sagte Koichi.

Meto legte wieder seinen Arm um mich, streichelte meine Wange und sagte leise: „Ich lese so was ganz bestimmt nicht. Ich will dich nicht als ‚gestört‘ ansehen, egal wie du bist.“
 

Eigentlich hätte ich ihn für diese Antwort küssen müssen, doch in diesem Moment war ich dazu einfach nicht imstande. Ich wollte einfach nur Ruhe, ins Bett und schlafen, und nicht daran denken, dass ich ja morgen wieder los musste. Die Arbeit an sich war nicht das Problem, die gefiel mir, aber vor den Menschen hatte ich in diesem Augenblick Angst.

Koichi warf einen Blick auf die Uhr und erst jetzt kehrte mein Zeitgefühl zurück. Es musste gegen neun, halb zehn Uhr nachts sein, spät jedenfalls.

„Viertel nach neun“, sagte er. „Ich fahr mal lieber wieder nach Hause. Ihr kommt hier klar, oder?“

Meto sah mich kurz fragend an und ich nickte. „Ja. Wir gehen gleich schlafen.“
 

Als Koichi dann wieder weg war, machten wir uns schnell bettfertig und legten uns dann zum Schlafen hin. Zuerst jeder auf seiner Betthälfte, doch dann machte Meto das Licht aus, kam zu mir rüber und legte sich dicht neben mich.

„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte er vorsichtig. Und als ich nicht antwortete, weil ich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte, hob er die Hand und strich mir die Haare aus der Stirn. „… Oder kannst du’s nicht in Worte fassen?“

„Ich hab Angst, vor den Leuten morgen“, sagte ich schließlich.

„Möchtest du, dass ich dich zur Arbeit begleite? Ich könnte den Hinweg mit dir zusammen fahren, dann musst du da nicht ganz alleine hin.“

Ich war ihm wahnsinnig dankbar, aber viel zu erschöpft für irgendwelche überschwänglichen Gefühlsreaktionen, deshalb küsste ich meinen Liebsten ganz einfach auf die Wange. „Danke, mein Schatz.“
 

Er kuschelte sich an mich, legte seinen Kopf auf meine Brust und sprach: „Ich liebe dich, Tsuzuku. Und mir ist egal, ob du Borderliner oder sonst was bist, für mich bist du einfach nur du. Und deine Probleme, das mit dem Essen und so weiter, das wird schon, da glaub ich dran. Du schaffst das.“

„Wenn ich … mir da nur so sicher wäre wie du …“, sagte ich leise.

„Dann bin ich mir eben für dich mit sicher.“ Meto hob den Kopf, zog mich auf die Seite, zu sich, und küsste mich, genauso lieb und lustvoll, wie ich es jetzt auch gern getan hätte. Seine Hände fuhren durch meine Haare, in meinen Nacken, er hielt mich ganz fest und ich spürte, wie seine Liebe mein verletztes Herz wieder auffüllte. Ich seufzte, drückte mich an ihn, nahm seine Zuneigung in mich auf und war einfach froh, dass dieser furchtbare Tag doch ein so schönes Ende nahm.

Und irgendwann, nach diesem süßen Kuss, schlief ich einfach ein.
 

„Tsuzuku, wach auf“, riss mich die leise Stimme meines Liebsten aus meinem wirren, unbedeutenden Traum. Ich spürte seine Hand auf meinem Oberkörper, er streichelte mich wieder so liebevoll wach wie letztens und ich bewegte mich ein wenig der Berührung entgegen.

„Aufwachen!“ Aus seiner Stimme war ein süßes Lächeln herauszuhören.

Ich gab ein verschlafenes Brummen von mir, öffnete dann aber die Augen. Das Licht war noch aus und es draußen noch dunkel, ich drehte mich um und tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe.

Warmes, gelbes Licht füllte den Raum und ich sah meinen Freund an, der mitten auf dem Bett saß und sich erst einmal streckte. Dabei rutschte sein Schlafshirt ein wenig hoch, bis über seinen Bauchnabel. Kurzentschlossen rutschte ich zu ihm rüber, richtete mich auf und legte meine Arme um ihn, begann, ihn zu streicheln und ein wenig zu kitzeln.
 

„Tsu…!“

„Komm, du magst das doch …“

Meto lachte, schmiegte sich in meine Umarmung, wand sich ein bisschen und drehte sich dann zu mir um. „Was wird das?“

„Wenn ich dich morgens lachen höre, wird mein Tag besser“, schnurrte ich in sein Ohr.

Ich zog ihn näher an mich und bekam richtig Lust auf ihn, meine Hand wanderte unter sein Shirt, streichelte seine Brust. Er seufzte genießend und umarmte mich ebenfalls, doch auf einmal löste er sich wieder von mir, lächelte und sagte: „Wir sollten aufstehen. Du musst duschen, ich auch, und da du unter der Dusche wohl kaum die Hände von mir lassen kannst, duschen wir besser nacheinander.“
 

Ich sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. Fünf nach Sieben. Meto hatte Recht, wir sollten aufstehen, statt uns hier heiß zu machen. Schließlich mussten wir beide heute arbeiten. Doch andererseits war der Gedanke, mal wieder mit ihm zusammen zu duschen, unheimlich verlockend. Wir konnten es ja dabei belassen, dachte ich, es musste ja nicht ausarten. Ich wollte mich beherrschen, wollte doch nur ein bisschen was mit meinem Liebsten machen, gar nicht viel.

Irgendwie sah Meto mir meine Gedanken an, oder er kannte mich einfach zu gut.

„Meinst du, das ist ‘ne gute Idee …?“, fragte er.

„Ich … weiß ja auch nicht … Ich will mich ja beherrschen … aber ich hab dich so wahnsinnig lieb und … ich will dich immer nur bei mir haben …“

Er sah mich einen Moment lang abwägend an, dann sagte er: „Okay. Aber nur zusammen duschen, dann frühstücken und dann los zur Arbeit. Nicht mehr.“

Ich nickte. „Nicht mehr. Bis heute Abend.“ Beugte mich vor und küsste ihn, ehe er aufstand, meine Hand nahm und mit mir zusammen ins Bad ging.
 

Als ich dort meine Schlafsachen auszog, musste ich auf einmal an gestern Abend denken, an das, was da gewesen war und dass es jetzt raus, ausgesprochen war. Ich fühlte mich schon ein bisschen erleichtert und hatte auch das Gefühl, dass es richtig war, wenn Meto und Koichi Bescheid wussten über das, was da in mir vorging.

Aber mit jemandem darüber zu sprechen, der auf dem Gebiet der Psychologie bewanderter war, davor hatte ich immer noch Angst. Ich spürte, ich wollte das nicht, das alles mit Diagnosen, Therapien und so weiter. Glücklich und gesund werden, das ja, aber das Wort ‚Therapie‘ machte mir Angst und löste bei mir schmerzhaftes Kopfkino aus.

Ich schob die Gedanken daran beiseite und sah meinen Freund an, der sich schon ganz ausgezogen hatte und gerade in die Duschkabine stieg.
 

Ich schaute ihn einen Moment lang einfach nur an, wie er da so vor mir stand, mit dem Rücken zu mir, und das Wasser einstellte. In meinen Augen war er einfach wunderschön, perfekt und einzigartig. Und als er sich zu mir umdrehte und mir einladend die Hand hinhielt, sah ich in seine dunklen Augen und versank geradezu in ihnen. Es fühlte sich unheimlich gut an, so verliebt zu sein, und ich genoss es, so gut ich eben konnte.
 

Meto zog mich in seine Arme, stellte das Wasser an und eine Weile blieben wir so stehen, ließen uns von dem warmen Wasser beregnen. Ich spürte die vielen Tropfen auf meiner Haut, Metos warmen Körper ganz nah an meinem, seine Haut an meiner. Seine Hände streichelten über meinen Rücken, er legte seinen Kopf auf meine Schulter und sagte schließlich, ganz leise: „Ich hab dich so lieb, Tsuzuku.“

„Ich dich auch“, antwortete ich und legte meinerseits meine Arme um ihn.
 

Und auf einmal war da, entstanden aus dieser unheimlich wohltuenden Nähe, dieser Gedanke, der mich lächeln und mein Herz vor Glück wild klopfen ließ: Ich wollte diese Liebe, dieses wahnsinnig Schöne, festhalten, fest machen, offen zeigen, und zwar so, dass es durch nichts mehr zerbrechen konnte, für mein ganzes Leben und die Ewigkeit. In Gedanken hörte ich mich ‚Ja, ich will‘ sagen und einen Moment später war es ganz klar: Ich wollte Meto heiraten.

Ich drückte ihn enger an mich, er sah mich an und ich küsste ihn, mit aller Liebe, die ich in diesem Moment für ihn empfand. Und ich beschloss, diesen Gedanken, ihn zu heiraten, noch ein wenig für mich zu behalten, bis zum richtigen Moment, um ihn zu fragen, ob er das denn auch wollte. Dass er sein Leben mit mir verbringen wollte, daran hatte ich in diesem Augenblick keinen Zweifel, doch um zu wissen, ob er das auch so offiziell machen wollte, würde ich ihn fragen müssen. Und außerdem wollte ich ihm diese Frage mit einem Ring stellen.
 

Meto nahm, nicht ahnend, an was genau ich dachte, das Duschgel in die Hand, tat sich etwas davon auf die Hände und begann, es auf meinem Körper zu verteilen. Jede seiner Berührungen tat unheimlich gut und ich seufzte leise.

„Ich kann … mich auch kaum beherrschen“, sagte Meto, während seine Hände mich weiter liebevoll einseiften. „Da bist du nicht der Einzige.“

„Wirklich?“, fragte ich leise.

Er nickte, nahm noch etwas von dem Duschgel und sprach: „Wenn ich dich so nackt vor mir sehe und dich dann anfasse, dann sehne ich mich auch danach, mit dir zu schlafen, genau wie du. Und ich will es in dein Herz schreiben, damit du es nie wieder vergisst, dass ich dich liebe und begehre.“ Er legte seine Hand sanft drückend auf mein Herz, zeichnete mit dem Finger ein kleines Herzchen in den Schaum und küsste mich. Ich seufzte wohlig, wünschte mir einen Moment lang, dass er noch ein bisschen mit meinen Nippeln spielen sollte, sah aber dann ein, dass mich das wohl zu sehr erregt hätte, und nahm stattdessen die Flasche mit dem Duschgel, um meinen Liebsten so zu waschen wie er mich.
 

Mich daran erinnernd, dass ich mich jetzt, ob ich wollte oder nicht, im Griff haben musste, weil wir ja heute beide noch zur Arbeit mussten, und daran denkend, dass wir es vielleicht ja heute Abend tun würden, seifte ich Meto von oben bis unten ein, und war am Ende, als ich das Wasser wieder anstellte, um uns beiden den Schaum wieder abzuwaschen, fast ein bisschen stolz auf mich, dass das jetzt ohne viel Lust und Heiß-werden abgegangen war.

Die Haare wuschen wir uns jeder selbst, und danach blieben wir noch ein bisschen unter dem warmen Wasser stehen, eng umarmt, und Meto tastete und streichelte mit beiden Händen über meinen Körper.
 

„Kann es sein, dass du ein bisschen zugenommen hast?“, fragte er.

Ich zuckte mit den Schultern. „Kann sein, vielleicht.“

„Wäre doch schön, oder?“

Ich dachte an gestern, als ich beinahe rückfällig geworden wäre, und daran, dass ich das Gefühl hatte, von der Bulimie wieder eingeholt zu werden. Wie schön wäre es, wenn dieses Gespenst einfach für immer aus meinem Leben verschwinden würde …

„Dir geht es ja nicht darum, dünn zu sein, oder?“, fragte Meto.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Es … ist mehr so eine Art … Selbstverletzung. Wenn … mein Herz zu sehr wehtut, dann …“ Es fühlte sich seltsam an, so darüber zu sprechen, nachdem ich so lange nichts mehr davon ausgesprochen hatte. Darüber zu reden, dass ich mich nun mal auf die eine oder andere Art selbst verletzte und dass das, ob es nun Borderline hieß oder nicht, irgendwie ein Teil meines Lebens war. Ich spürte jedes Mal, wenn ich dieses Wort dachte, einen merkwürdigen Schauer im Herzen, wie einen leichten Schock.

Meto schob eine Hand zwischen uns, legte sie auf mein Herz, und ich spürte, dass er versuchte, meinen Herzschlag zu ertasten. „Aber jetzt gerade tut es nicht weh, oder?“, fragte er.

„Nein, alles gut.“ Ich lächelte leicht.
 

Mein Freund löste sich langsam von mir, stellte das Wasser aus, griff dann nach seinem Handtuch und begann, sich abzutrocknen. Ich nahm mir meines und stieg aus der Dusche, da sie doch recht klein war und zu wenig Raum für uns beide zum Abtrocknen bot.

Fertig abgetrocknet ging ich in unser Schlafzimmer und zog mich an, wählte eine Mischung aus relativ normalen Sachen und etwas auffälligerem Schmuck und kehrte dann ins Bad zurück, um meine Haare schön zu machen und mich ein bisschen zu schminken. Meto kam mir entgegen, er hatte sich wohl noch eingecremt und zog sich jetzt erst an.
 

„Willst du frühstücken?“, fragte er.

Ich fühlte einen Moment lang in mich hinein, ob ich Hunger hatte, und stellte fest, ja, Hunger hatte ich, aber auch Angst, dass es heute auf der Arbeit zu einer ähnlichen Situation kommen würde wie gestern. Vielleicht war es besser, wenn ich nichts aß.

„Ich weiß nicht“, sagte ich.

„Du weißt aber, dass du essen musst, oder?“

„Ich hab Angst. Dass ich unter Druck gerate und am Ende …“

„Das wirst du nicht.“ Meto legte beide Hände auf meine Schultern, sah mich ganz direkt an und fuhr fort: „Tsu, du wirst nicht rückfällig. Du reißt dich zusammen. Denk dran, dass du nicht brechen willst, und dass du was versprochen hast.“

Ich nickte, obwohl ich mir gar nicht sicher war. Aber Meto sollte sich keine Sorgen um mich machen. Das wollte ich einfach nicht.
 

Und so ging ich, nachdem ich mit Rasieren, Schminken und Haare machen fertig war, in die Küche und deckte den Tisch, dachte dabei daran, dass ich das mit der Arbeit ja hinbekommen wollte und dass es ein Versprechen gab, das ich halten musste.

Ich hatte wirklich kaum Appetit, doch ich zwang mich, als Meto sich dann dazu setzte und zu essen begann, ebenfalls zum Essen. Anders würde ich nichts ändern können, das wusste ich, und mir war auch klar, dass das der schwere Teil des Weges weg von der Bulimie war: Das Durchhalten, Dranbleiben, nicht wieder rückfällig werden.
 

Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zur Bahnstation. Bis in die Innenstadt hatten wir denselben Weg und Meto hielt sein Versprechen von gestern Abend, mich heute auf dem Weg zur Arbeit zu begleiten. In der Bahn war es so voll, dass nicht weiter auffiel, dass er fast die ganze Zeit über meine Hand hielt, und als wir ausstiegen, gab er mir auf dem Bahnsteig einen Kuss auf die Wange.

„Schaffst du’s von hier alleine oder soll ich noch weiter mitkommen?“, fragte er.

„Kommst du dann nicht zu spät ins Café?“

„Das geht schon. Wir haben ja noch ein bisschen Zeit.“

Und so ging er noch die Strecke von der Bahnstation bis zum Tattoo-Studio mit mir mit, hielt wieder meine Hand und sorgte so dafür, dass ich mich gut und sicher fühlte. Als wir dann schließlich da waren, war er es, der mich umarmte.
 

Über seine Schulter hinweg sah ich, dass einer meiner Kollegen hinter dem Schaufenster saß und uns beobachtete. Und auf einmal war sie wieder da, die Angst. Was, wenn einer meiner neuen Kollegen ein Problem damit hatte, dass ich mit einem jungen Mann zusammen war? Es war eine feige, fiese Angst davor, dass die anderen Menschen schlecht von mir dachten. Und ich schämte mich vor mir selbst dafür, dass ich es wegen dieser Angst jetzt nicht hinbekam, zu meiner Liebe zu stehen.
 

Meto ließ mich los und sah mich fragend an, hatte sicherlich bemerkt, dass ich seine Umarmung nicht so erwidert hatte, wie er es von mir kannte.

„Du schaffst das schon“, sagte er. „Ganz bestimmt. Ich glaub an dich.“ Und er lächelte, so lieb und süß und strahlend, dass ich gar nicht anders konnte, als auch zu lächeln und ihn nun auch meinerseits zu umarmen.

„Danke, mein Liebster“, flüsterte ich.

Meto löste sich von mir, lächelte mich noch einmal an und ging dann in Richtung seiner eigenen Arbeitsstelle davon. Und ich wandte mich dem Studio zu, öffnete die Tür und ging hinein, hörte das Summen der Nadeln und die dunkle Musik im Hintergrund.
 

„Guten Morgen, Aoba“, begrüßte mich der Kollege, den ich eben durch das Fenster gesehen hatte.

„Morgen.“

„Wer war das denn eben?“

Und schon ging es wieder los mit der Angst auf der einen Seite und meiner Offenherzigkeit andererseits. Es war dieselbe Situation wie gestern. Ich wurde etwas Persönliches gefragt und wollte ehrlich antworten, doch gleichzeitig hatte ich Angst, dann verurteilt zu werden. Und wenn ich zu lange nachdachte, würde das vielleicht wie Lügen aussehen.

„Mein Freund.“ Und schon war es wieder passiert. Ich antwortete einfach, offenbarte zu viel, sagte etwas, von dem ich wusste, dass es sehr leicht gegen mich zu verwenden war.

„Wie, dein Freund?“ Mein Kollege, der übrigens Takashima hieß, schien zum Glück nicht sofort verstanden zu haben, was ich meinte.

Doch ich, bescheuert wie ich eben war, konnte selbst nicht verhindern, dass ich erklärte: „Mein fester Freund. Mein Lebensgefährte.“
 

Takashima sah mich einen Moment lang nur verwundert an und ich hätte mich selbst dafür schlagen können, dass ich schon wieder zu viel über mein exzentrisches Leben erzählt hatte.

Und gleichzeitig hasste ich mich dafür, dass ich nicht so zu Meto stand, wie ich sollte. Wieso war ich nur so?! Einerseits umarmte und küsste ich ihn in der Öffentlichkeit, wollte unsere Liebe zeigen und es in die Welt hinausschreien, dass ich an seiner Seite so glücklich war, und auf der anderen Seite hatte ich diese feige Angst davor, dass man mich dafür verurteilte und abstempelte. Warum?

Die Antwort war so einfach, dass es wehtat: ‚… zweiseitiges Verhalten ist ein anderes Merkmal dieser Persönlichkeitsstörung, die sich des Weiteren dadurch zeigt, dass der Erkrankte übertrieben offen ist und sich gleichzeitig zurückzieht …‘ Ein Satz aus dem Buch. Borderline. Schon wieder.
 

Ich drehte mich einfach um und verschwand in den hinteren Räumen des Ladens. Kaum allein, spürte ich ihn auch schon, diesen altvertrauten Druck im Bauch. Ich wusste, gleich würde es leicht sein, dem nachzugeben, so viel leichter als dagegen anzukämpfen. Meine Schritte trugen mich auf die Toilettenräume zu, doch als ich den Türgriff schon in der Hand hatte, hielt ich inne.

Ich wollte das doch gar nicht. Wollte mein Versprechen an Mama halten, Metos Glauben in mich nicht enttäuschen und auch mich selbst nicht. Wenn ich jetzt da reinging, mich einschloss und erbrach, würden meine ganzen Bemühungen, davon loszukommen, mit einem Schlag zerstört werden. Meine Hand um den Türgriff zitterte und der Druck stieg langsam in mir hoch.
 

„Aoba?“, hörte ich in dem Moment Takashimas Stimme hinter mir. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Ich schrak zusammen, drehte mich um und sah, dass mein Kollege mich besorgt ansah. Waren mir meine Ängste so deutlich anzumerken? Anscheinend schon.

„A-alles gut“, beeilte ich mich zu sagen und ließ den Türgriff los.

„Ähm … das ist kein Problem für mich, dass du ‘nen Freund hast. Nicht, dass du das denkst …“, sagte Takashima und sah mich ein wenig unsicher an. „Ich hätte dich nur, na ja, nicht so eingeschätzt.“

Jetzt war ich derjenige, der überrascht war. Und natürlich antwortete ich wieder zu viel: „Ich war auch eigentlich mal hetero. Oder … ich hab mich zumindest dafür gehalten.“
 

Kurz dachte ich an die Mädchen früher, an die, denen ich wahrscheinlich ziemlichen Herzschmerz bereitet hatte, und diejenigen, die mein Temperament nicht ausgehalten und mit mir Schluss gemacht hatten. Das alles war so verblasst, als wäre es in einem anderen Leben passiert. Das einzige, was von diesem Player-Leben geblieben war, war die leise Gefahr, dass ich mir bei einem der Mädchen vielleicht irgendwas eingefangen hatte, weshalb ich bei Meto jetzt immer darauf achtete, ein Kondom zu benutzen. Ich kannte mich nicht aus mit solchen Krankheiten und ging deshalb lieber auf Nummer sicher, wollte ich doch meinen Liebsten auf keinen Fall mit irgendetwas anstecken.
 

„Wo die Liebe hinfällt, hm?“, sagte Takashima.

Ich nickte, lächelte leicht und dachte, ohne es auszusprechen: ‚Meto ist meine große Liebe. So nennt man das doch, wenn man jemanden so wahnsinnig lieb hat und begehrt, oder?‘

Wir wandten uns beide unserer Arbeit zu, die für mich vorläufig noch darin bestand, die Motive vom Papier auf ungegerbte Tierhaut zu übertragen, die als Testfläche diente. Takashima war schon weiter, er erwartete eine Kundin, die bald darauf eintraf und den Drachen auf ihrem Rücken von ihm vervollständigen lassen wollte.
 

Ich merkte, dass ich ziemlich aus der Übung war, was das Zeichnen und das Stechen betraf. Wahrscheinlich war das normal, schließlich hatte ich beides ja seit Jahren nicht mehr gemacht, aber es störte mich trotzdem und ich gab mir Mühe, es wieder so zu lernen, wie ich es früher gekonnt hatte. Immerhin hatte ich die Ausbildung damals fast fertig gehabt.

Jedenfalls, je mehr ich mich wieder in die Arbeit einfühlte und mich anstrengte, umso mehr Lust bekam ich, mir endlich auch mal wieder ein neues Tattoo stechen zu lassen. Ich schaute mir die Motive an, doch ich fand keines, das mich genügend ansprach, und beschloss schließlich, mir nebenbei ein eigenes zu entwerfen.

Damit und mit meiner Arbeit war ich bis zum Mittag beschäftigt. Zwischendurch erlaubte ich mir zwar zwei kurze Zigarettenpausen, doch trotzdem war ich mittags irgendwie froh, eine etwas längere Pause machen zu können.
 

„Trinkst du Kaffee oder Tee, Aoba?“, fragte Ami, die meine einzige weibliche Kollegin war, und jetzt an der kleinen Küchenzeile im Pausenraum stand und sich um die Pausenverpflegung kümmerte. Wir waren nur zu zweit im Raum, die anderen würden aber bestimmt gleich dazu kommen.

Während der Arbeit war ich ziemlich konzentriert gewesen, hatte nicht ein einziges Mal an Essen und so was gedacht, und so holte mich diese Frage auf recht unangenehme Weise in die Welt der Angst vor dem Essen zurück.

„Tee, bitte“, antwortete ich, denn Kaffee fiel bei mir zu sehr unter Essen. Ich wollte heute nicht noch einmal riskieren, wieder diesen Druck im Bauch zu spüren und … an alles Weitere wollte ich nicht mal mehr denken.

Ich wusste, dass diese Angst vor dem Essen einen Rückfall in die Zeit vor dem Winter bedeutete, doch alles war besser als Brechen und ich klammerte mich an die Hoffnung, dass diese kleine Tiefphase schon irgendwann wieder vorbeigehen würde. Ich hatte doch letztens das Essen, das Meto für uns gekocht hatte, gegessen und auch wirklich genossen. Vielleicht lag mein Problem jetzt einfach darin, dass ich hier auf der Arbeit neu war und mich erst eingewöhnen musste.
 

Ich schloss für einen Moment die Augen, stützte den Kopf in die Hände und atmete so ruhig wie möglich ein und aus, so, wie ich es im Tempel gelernt hatte. Diese Übungen waren für mich viel hilfreicher als es die eigentliche Therapie gewesen war, bei der ich ja doch nicht richtig mitgemacht hatte, aus Angst, dabei an das Thema ‚Borderline‘ zu stoßen.

Ich hatte mich lieber mit den Mönchen, als mit Frau Watanabe unterhalten, obwohl die nicht sehr gesprächig waren und mein Zusammensein mit ihnen mehr darin bestanden hatte, dass ich ihren Meditationsübungen zugesehen und so von ihnen zu lernen versucht hatte. So ganz hatte ich den Dreh mit dem Meditieren noch nicht raus, aber das bisschen, was ich konnte, half mir.
 

„Aoba?“, riss mich Amis Stimme aus meinen Gedanken. „Geht’s dir nicht gut?“

Ich öffnete die Augen, sah sie an und antwortete schnell: „Doch, doch, alles gut.“

„Du siehst aus, als ob dir schwindlig wäre.“

„Nein, alles gut, ich hab nur … über was nachgedacht.“

Ami stellte die Teekanne auf den Tisch und kam auf mich zu, setzte sich mir gegenüber und fragte dann leise: „Kann ich … dich mal was fragen?“

„Was denn?“

Sie sah mich einen Moment lang an, dann fragte sie: „Kann es sein, dass du … na ja … vielleicht ist die Frage auch zu persönlich, du musst nicht antworten …“

„Das weiß ich ja erst, wenn du die Frage stellst“, erwiderte ich.

„Okay. Wie gesagt, du musst nicht antworten, wenn du nicht willst, aber … kann es sein, dass du … psychische Probleme hast? Nicht, dass du denkst, ich wär neugierig oder so … aber … ich hab eine Freundin, die hat welche, und irgendwie … erinnerst du mich an sie.“
 

Sofort war es da, dieses Zittern im Herzen, und die Angst, dazu andererseits das Drängen, darüber zu sprechen, was mit mir los war. Ich wusste, es war mir anzusehen und es hatte keinen Sinn, zu versuchen, es zu verstecken.

„Was hat sie denn?“, fragte ich.

„Sie schneidet sich. Und sie hat Probleme mit dem Essen. Vielleicht erinnerst du mich deshalb an sie, weil du auch so … sehr schlank bist.“

Meine Offenherzigkeit siegte in meinem inneren Kampf und ich wagte mich zögernd ins Neuland vor, wo ich offen mit dem umging, was in mir los war. „Sag ruhig ‚dünn‘, das ist schon okay.“

Sollte ich auch sagen, dass ich mich ebenfalls schon mit einem Messer absichtlich verletzt hatte? Dass ich (wieder dieser heißkalte Schauer) Borderliner war? Einerseits drängte mich etwas dazu, darüber zu sprechen, jetzt, wo ich es nicht mehr völlig geheim halten wollte, und andererseits hatte ich wieder Angst.
 

„Wie heißt sie denn, deine Freundin?“, fragte ich, einfach nur um überhaupt etwas zu sagen.

„Sie heißt Hitomi“, antwortete Ami.

Allein der Name reichte aus, damit ich zusammenschreckte. Doch nicht etwa dieselbe Hitomi, die ich kannte?! Wie viele Frauen mit diesem Namen und solchen Problemen gab es in dieser Gegend?

„Hitomi?“, fragte ich heiser und wusste, dass mir der Schreck anzusehen war. Und sagte dann, weil es sowieso schon zu spät war: „Ich kenne eine, die so heißt und … die auch diese Probleme hat …“

„Woher?“, fragte Ami, deutlich interessiert.

„Ich war mit ihr im Hikuyama-Tempel.“

„Du, ich glaube, wir kennen dieselbe“, sagte Ami.

„Ja …“, sagte ich leise, „ …Das glaube ich auch.“
 

Woher Ami und Hitomi sich kannten, war mir erst mal egal. Ich war einfach … schockiert, hier auf einmal, wenn auch indirekt, mit ihr konfrontiert zu sein, und damit auch mit dem, was sie und mich auf gewisse Weise verband. Hitomi hatte mir Borderline angemerkt, bevor ich überhaupt dieses Wort gekannt hatte, durch sie war ich dann schließlich darauf gebracht worden und ihr Verhalten war es, das sich für mich wie ein Spiegel angefühlt hatte.

„Wo ist sie denn jetzt?“, fragte ich.

„Immer noch in der Klinik. Sie war kurz draußen, hat sich dann aber wieder einliefern lassen, weil es ihr ziemlich schlecht ging. Jetzt geht’s ihr langsam besser, aber sie bleibt noch ein bisschen da. Ich besuche sie morgen.“ Ami sah mich an und fügte dann hinzu: „Ich kann sie fragen, ob du mitkommen kannst.“

„Nein“, erwiderte ich sofort, ohne nachzudenken. Und sagte dann, um dieses plötzliche ‚Nein‘ zu erklären: „Morgen hab ich meinem Freund versprochen, dass wir zusammen was unternehmen.“

Ich wollte Hitomi nicht sehen. Zumindest noch nicht. Ich spürte, dass ich noch nicht so weit war, ihr wieder zu begegnen und mit ihr zu sprechen.
 

In dem Moment kamen Takashima und Kurata, der Besitzer des Studios, in den Pausenraum, sodass Ami und ich das Gespräch nicht fortführen konnten.

„Na ja, schade“, sagte Ami noch und goss dann Tee in die vor mir stehende Tasse.

Der Nachmittag verlief ähnlich wie der Vormittag. Ich übte mich weiter im Zeichnen und machte neben der Arbeit ein paar flüchtige Skizzen für mein eigenes neues Tattoo. Weit kam ich jedoch nicht, meine Kreativität war wie blockiert dadurch, dass ich immer wieder an Hitomi denken musste. Schließlich versuchte ich dann, dagegen anzugehen, indem ich betont an Meto dachte und daran, dass wir vielleicht heute Abend noch was zusammen machen würden. Das wiederum hob zwar meine Laune und setzte meine Kreativität wieder in Gang, tat jedoch meiner Konzentration nicht besonders gut, sodass ich schließlich mehr oder weniger herumsaß und nicht mehr viel machte.

Mein leichtes, verliebtes Lächeln fiel dann auch noch Takashima auf, der daraufhin grinsend meinte, dass man mir anmerken konnte, dass ich in einer Beziehung war. Anscheinend war er einer von den Leuten, die wirklich kein Problem damit hatten, und das beruhigte mich doch sehr.
 

Als ich dann abends nach Hause kam, war Meto schon da. Er stand in der Küche und schnitt irgendwelches Gemüse für unser Abendessen klein.

„Warst du noch einkaufen?“, fragte ich, denn heute Morgen war der Kühlschrank fast leer gewesen.

„Ja, auf dem Heimweg“, antwortete er und fragte dann: „Hast du viel Hunger oder eher wenig?“

„Es geht“, sagte ich. „Zu viel brauchst du nicht zu machen.“

Er stellte den Herd an, gab das Gemüse in eine Pfanne und warf einen Blick in das auf der Arbeitsplatte liegende Kochbuch.
 

Irgendwas an diesem Bild, wie mein Freund da am Herd stand und unser Abendessen kochte, gefiel mir nicht. Es war nicht das Essen, sondern etwas anderes, über das ich erst einen Moment lang nachdenken musste, bevor ich darauf kam, was mich störte: Es war diese mit dem Kochen verbundene weibliche Rolle, in die Meto sich da begab. Ich kam von der Arbeit nach Hause, er war schon da und kochte für uns, das erinnerte mich sehr an die typische Frau aus Fernsehserien. Ich wusste nicht, ob er das selbst bemerkte, aber mir fiel es eben auf, zumal ich in der Bahn nach Hause kurz daran gedacht hatte, dass er im Bett bisher fast immer unten lag, und ich ihn nahm, wir bis jetzt noch nicht wirklich die Positionen getauscht hatten. Aus irgendeinem drängenden Gefühl heraus fand ich das wichtig, mir darum Gedanken zu machen und mit ihm darüber zu sprechen.
 

„Und? Wie war dein Tag?“, fragte Meto und drehte sich zu mir um. „Erzähl mal.“

Ich setzte mich an den Tisch und nach kurzem Nachdenken erzählte ich ihm mehr oder weniger alles, was auf der Arbeit gewesen war, von meinem kurzen Gespräch mit Takashima, über meine Pläne für ein neues Tattoo, bis zu dem Gespräch mit Ami, bei dem ich wieder von Hitomi gehört hatte. Und ich erzählte auch, dass mich der Gedanke an Hitomi beunruhigte, dass ich ihr nicht begegnen wollte, weil ich Angst hatte, mit ihr dann reden zu müssen über das, was damals passiert war.
 

Es tat gut, so offen darüber reden zu können und keine Geheimnisse mehr vor Meto haben zu müssen. Ich spürte, wie etwas von der Anspannung, die ich die letzten Wochen und Monate mit mir herumgetragen hatte, von mir abfiel, und ich mich in der Nähe meines Liebsten entspannte. Erst jetzt begriff ich so richtig, was er da gestern gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass er mich so liebte, wie ich war, egal ob ich krank war oder nicht. Eine unheimlich wohltuende Wärme breitete sich in mir aus, ich stand auf und umarmte Meto, küsste ihn und zog ihn eng an mich.

„Ich weiß, ich hab’s dir schon tausendmal gesagt, aber ich kann dir einfach nicht oft genug sagen, wie sehr ich dich liebe …“

Er legte seinerseits seine Arme um mich und sagte leise: „Ich liebe dich auch. Und das kann man fast nicht oft genug sagen.“
 

Das Gemüse in der Pfanne zischte und ich ließ Meto los, damit er sich wieder dem Kochen zuwenden konnte, legte dann die Hände an seine Seiten und schmiegte mich leicht an seinen Rücken.

„Tsu, weißt du, dass das süß ist, wenn du so kuschelbedürftig bist?“, sagte er. „Nachher machen wir’s uns schön gemütlich, dann kannst du mich kuscheln, bis wir einschlafen.“

„Jaa“, schnurrte ich in sein Ohr. „Aber nackt.“

Meto lachte, schmiegte sich rückwärts an mich und erwiderte: „Gerne.“

Ich fühlte mich in diesem Moment ganz sicher und gut, und ich wusste, dass Meto es spürte und dass es ihm gefiel.

Umso wichtiger war mir die Gleichberechtigung in unserer Beziehung, dass wir trotz der fünf Jahre Altersunterschied irgendwie gleichauf und auf Augenhöhe waren.
 

Das Abendessen dauerte nicht lange, da ich kaum Hunger hatte, und Meto sagte, dass er schon bei der Arbeit viel gegessen hatte. Ich stellte das, was noch an Gemüse in der Pfanne übrig war, in einer Schüssel in den Kühlschrank und ging dann schon mal ins Bad. Meto kam dazu, nachdem er das Geschirr in der Küche fertig abgewaschen und aufgeräumt hatte, da war ich schon fast fertig mit Abschminken und mich bettfertig machen. Als er dann auch so weit war, gingen wir zusammen ins Schlafzimmer wo ich mich erst einmal nur auf die Bettkante setzte, während Meto sich bis auf die Unterwäsche auszog.
 

„Ist was?“, fragte er, als ich keine Anstalten machte, mich auch schon auszuziehen.

„Ich muss mit dir über was reden“, sagte ich.

„Was denn?“ Er setzte sich neben mich und sah mich an. „Was Schlimmes?“

„Nein, nichts Schlimmes. Ich hab nur mal über was nachgedacht, nämlich über unsere Rollenverteilung. Beziehungsweise darüber, dass wir anscheinend eine haben und ich das irgendwie nicht gut finde.“

„Du meinst, weil ich unser Essen koche?“

„Das hat mich darauf gebracht, aber ich meine vor allem, dass wir im Bett noch nicht wirklich getauscht haben. Ich find’s nicht richtig, dass du … na ja, dass ich dich da so ein bisschen in eine … wie soll ich sagen … ‚Frauenrolle‘ dränge. Ich weiß, du lässt mich machen, weil du noch keine Erfahrung als Top hast, aber meinst du nicht, wir sollten das irgendwann mal ändern?“
 

Meto sah mich mit großen Augen an, blickte dann zu Boden und sagte: „Ich … hab Angst, dass ich was falsch mache und … dass ich dir wehtue. Und außerdem … weiß ich doch, wie sehr du das magst, Top zu sein.“

„Und es gefällt dir, wenn ich in dich eindringe?“, fragte ich.

Er nickte. „Sehr sogar.“

„Aber …“ Ich beugte mich vor, legte eine Hand auf seine Schulter und zog ihn zu mir, bis meine Lippen nah an seinem Ohr waren, „… denkst du nicht manchmal daran, wie es wäre, wenn …“ für die nächsten Worte senkte ich meine Stimme zu einem leicht rauen Flüstern ab, „… du deinen harten Schwanz in mein heißes Inneres schieben und mich richtig vögeln würdest, bis du in mir kommst?“

„Tsu …!“

Ich sah ihn an, er war knallrot im Gesicht und wich meinem Blick aus.
 

„Na, stell dir das doch mal vor. Du bist doch auch ein Mann, genau wie ich, du kannst mir nicht erzählen, dass dieser Wunsch, in ein heißes Loch zu stoßen, nicht irgendwo in dir vorhanden ist.“

„Kann sein, ich … hab ehrlich gesagt noch nicht wirklich darüber nachgedacht“, sagte Meto leise und fragte dann unsicher: „Willst du … heute …?“

„Nein, nicht heute. Ich möchte nur, dass du dir das mal durch den Kopf gehen lässt.“ Ich beugte mich wieder vor und hauchte einen Kuss auf seine Wange. „Weil ich es einfach schön fände, wenn wir gleichauf sind.“

„M-hm …“ Er nickte. „Finde ich ja irgendwie auch, aber ich hab da eben noch nicht so dran gedacht.“ Jetzt beugte er sich vor und küsste mich, allerdings nicht auf die Wange, sondern mitten auf den Mund. Seine Hände schoben meinen Pullover hoch, den ich daraufhin auszog, schlüpften unter das Shirt, das ich darunter trug, und berührten meine Haut, was sich unheimlich gut anfühlte.
 

Wenn ich jetzt daran dachte, was gestern Abend gewesen war, kam mir das Glück, welches ich empfand, wenn Meto mich so liebevoll berührte, wie ein kleines Wunder vor. Ich hatte geglaubt, dass sich etwas zum Schlechten ändern würde, wenn ich über meine Probleme sprach, doch stattdessen lief alles irgendwie halbwegs normal weiter, so, wie ich es kannte. Vielleicht gab es ja doch eine Möglichkeit, mit den Dämonen in mir zu leben und irgendwie zurechtzukommen.

[meto] Act 8

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 9

[am selben Tag, morgens]
 

Ich hatte Vormittagsschicht, musste arbeiten. Meto hatte ja frei und ich musste ihn mitvertreten, wie das halt so war. Aber ich mochte meine Arbeit ja.

Während einer meiner Zigarettenpausen bekam ich eine SMS von Mikan. Sie schrieb, dass sie am liebsten schon morgen mit mir nach Tokyo fahren wollte, und dass sie sich darauf freute. Sie wusste, dass ich morgen den ganzen Tag frei hatte und schlug deshalb vor, unseren Shoppingtrip vorzuverlegen.

Ich schrieb ihr zurück, dass mir die Idee gefiel und dass ich es kaum erwarten konnte, die ‚heiligen Hallen‘ meines tokyoter Lieblingsladens Closet Child mal wieder unsicher zu machen.

Vielleicht hatten sie da ja wieder Sachen von Vivienne Westwood auf Lager? Schon beim Gedanken an neuen Schmuck, neue Schuhe oder ein hübsches Top schlug mein Herz schneller und wenn ich dann auch noch an die Ginza dachte, an die vielen teuren Läden dort, mit den wundervollen Handtaschen in den Schaufenstern … Hach, ja, ich liebte das!
 

In dem Moment kam Satchan in den Pausenraum, sah mich mit Handy und Zigarette am Fenster stehen und bemerkte mein verträumtes Lächeln.

„Na, Kocha, was strahlst du so?“, fragte sie lächelnd.

„Ich fahr morgen nach Tokyo“, antwortete ich.

„Shoppen, oder wie?“ Satchan grinste.

Ich nickte, drückte meine Zigarette im auf dem Fensterbrett stehenden Aschenbecher aus und schloss das Fenster. Meine Kollegin kam auf mich zu, grinste wieder und fragte: „Sag mal, wieso trägst du eigentlich zur Arbeit keine Frauensachen, so wie Meto-chan?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Aber ich mag diesen Anzug irgendwie.“

„Ein Kleid würde dir aber auch stehen.“
 

Irgendwie, obwohl ich ja ab und zu gern mal ein Kleid trug, gab mir diese Aussage einen Stich. Es waren weniger die Worte an sich, als eher der Ton, in dem Satchan das sagte, und der Blick, mit dem sie mich ansah. Ich wich ihrem Blick aus, sah zu Boden, und dann spürte ich, was es war, das mir wehtat: Ich fühlte mich in diesem Moment nicht als Mann angesehen, sondern wieder in die Rolle des süßen Mädchens gesteckt.

Friendzoned war ich bei Satchan sowieso, und ich wusste ja auch, wie ich mit meinem femininen Benehmen auf Frauen wirkte, aber auf einmal, da wünschte ich mir doch sehr, dass sie mich auch mal als Mann erkannten, der sich zwar gerne schön machte und Rosa liebte, aber eben … na ja, ein Mann war.
 

Wenn Tsuzuku mich mit meinem Aussehen und so weiter aufzog, fühlte sich das ganz anders an. Weil er ja auch ein Kerl war und mich ja nur freundschaftlich neckte. Als heterosexueller Mann wollte ich eben absolut nichts solches von ihm und darum war es okay, wenn er mich ein bisschen auslachte und ‚Mädchen‘ nannte.

Aber meine Kolleginnen und guten Freundinnen, von denen ich mir doch irgendwo immer noch mehr erhoffte, die sollten mich endlich mal irgendwie als männlich ansehen.

Ohne ein Wort ging ich an Satchan vorbei, wandte mich wieder meiner Arbeit zu und registrierte nur nebenbei, dass sie nicht verstand, warum ich so reagiert hatte.
 

„Kocha!“, rief mich eine Besucherin zu sich. „Lass mal spielen!“

Zum ersten Mal hatte ich auf einmal keine Lust, die Mädels zu bespaßen. Ich hatte generell in diesem Moment keine Lust auf weibliche Wesen. Fast war ich sogar ein bisschen genervt, wenn ich auch nicht so genau sagen konnte, ob von ihnen oder vielleicht auch von mir selbst.

Doch ich konnte mich hier jetzt nicht so einfach rausziehen. Und so setzte ich mein möglichst süßestes Lächeln auf und ging zu dem Tisch, wo drei zuckersüß gekleidete Mädchen mit einem Kartenspiel auf mich warteten.
 

Der Vormittag zog sich scheinbar endlos in die Länge und ich war unheimlich froh, als mein Kollege für heute Nachmittag auftauchte und ich mich umziehen und dann verschwinden konnte.

Im Zug nach Hause schrieb ich eine Nachricht an Tsuzuku, einfach um zu wissen, ob es ihm nach seinem Zusammenbruch wieder einigermaßen gut ging. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, er schrieb zurück, dass er heute mit Meto in ihrer beider Heimatstadt gewesen und seine Mutter auf dem Friedhof besucht hatte. Ich fragte, ob er okay war, und er antwortete, ja, er fühlte sich jetzt gut. Jetzt schon, dort auf dem Friedhof aber wahrscheinlich nicht.

Ich konnte mir das nur zu gut vorstellen, dass da eine Menge Tränen geflossen waren. Schließlich war Tsuzuku ein hoch emotionaler Mensch und ich hatte oft den Eindruck, dass er seine Trauer die meiste Zeit über beiseiteschob. Da war es nicht verwunderlich, dass er in so einer Situation die Fassung verlor und weinte.
 

Den Rest der Bahnfahrt über dachte ich noch ein wenig über ihn nach, überlegte, ob es etwas gab, wo ich ihm helfen konnte. Jetzt, wo ich besser wusste, was mit ihm los war, hätte es ja eigentlich einfacher werden können, doch irgendwie war dem nicht so. Es fühlte sich sogar noch komplizierter an. Denn auch, wenn ich wirklich nicht so denken wollte, konnte ich kaum etwas dagegen tun, dass ich das wenige, was ich über Borderline wusste, mit Tsuzukus Verhalten abglich, und mich fragte, was davon auf ihn zutraf. Diese Gedanken fühlten sich ziemlich furchtbar an und ich versuchte schnell, an etwas anderes zu denken.
 

Zum Beispiel an die geplante Shoppingtour mit Mikan. Ich freute mich immer noch darauf, doch gleichzeitig fragte ich mich, wie sie mich eigentlich sah. War ich für sie auch mehr ‚beste Freundin‘, als Mann, oder blickte sie als meine engste Freundin hinter mein Aussehen? Ich wusste es nicht und es war auch schon ziemlich lange her, dass wir über dieses Thema gesprochen hatten.
 

Ich sah mich in der spiegelnden Fensterscheibe an, prüfend, mit Blick darauf, was an meinem Äußeren mich für Frauen auf sexuelle Weise attraktiv machen konnte. Und stellte dabei fest, dass ich doch recht gern so aussah, wie ich aussah. Ich liebte meine langen, rosa Haare mit den schwarzen Strähnchen, die Form meiner Lippen und auch die meiner heute kaum geschminkten Augen. Es war einfach mein persönliches Schönheitsideal und ich war ziemlich glücklich, dem zu entsprechen.
 

Da stellte sich mir die Frage, warum man denn als Mann wie einer aussehen musste, um auch als solcher wahrgenommen zu werden. Gab es nicht noch andere Attribute, denen ich entsprechen konnte, ohne mein geliebtes süßes Aussehen verändern zu müssen?

Vielleicht, so dachte ich, sollte ich Mikan mal ernsthaft danach fragen, wie Frauen das sahen?
 

Die Bahn hielt an meiner Station, ich stieg aus und steuerte kurzentschlossen auf einen der Imbissläden im Bahnhof zu, um mir ein Mittagessen zu kaufen. Ich hatte Lust auf ein richtig schickes Luxus-Bento, und so eines holte ich mir, nahm es mit nach Hause und machte es mir dort am Kokatsu gemütlich. Ich stellte den Fernseher an, fand einen Liebesfilm, den ich kannte, und sah ihn mir an, während ich zu Mittag aß.
 

Doch irgendwie gefiel mir der Film auf einmal nicht mehr so, wie ich das von mir kannte. Ich mochte solche kitschigen Filme normalerweise sehr, bezeichnete mich selbst als romantisch veranlagten Menschen und stand dazu, dass es mir eben gefiel, zu beobachten, wie zwei Menschen in Liebe zueinander fanden. Doch heute konnte mich dieser Film nicht so mitreißen und begeistern, dass ich mit rosa Herzchen in den Augen vor dem Fernseher gesessen hätte. Ich konnte mich weder auf die Handlung, noch auf mein Essen wirklich konzentrieren, und aß das teure Bento, ohne es richtig zu genießen, während der Film eine Art Hintergrundgeräusch wurde.
 

Langsam wurde mir dabei immer klarer, dass bei mir irgendwas nicht stimmte. Irgendetwas lief in letzter Zeit falsch und ich glaubte auch schon, die Ecken und Ränder des Grundes dafür erkennen zu können. Dieses dunkle, kalte Loch abends, dass ich unruhiger schlief als sonst und morgens vor dem Duschen wie ein Gespenst aussah, und dass es mich auf einmal so sehr störte, wenn mich Frauen nicht wirklich als Mann wahrnahmen. Doch ich traute mich irgendwie nicht so recht, da näher ran zu gehen und nachzuschauen, was in meinem Inneren durcheinander geraten war. Ich ahnte, dass ich dann würde weinen müssen, und das wollte ich nicht.
 

Ich schaltete den Fernseher aus, stand auf, nahm die Reste des Bento mit in die Küche und stellte es dort in den Kühlschrank. Dabei fiel mein Blick auf meine in der Spüle stehende Teetasse mit Bambi drauf und ich überlegte einen Moment, ob ich mir Tee kochen sollte. Irgendwie stand meine innere Uhr schon auf Abends, obwohl es erst kurz nach Mittag war. Vielleicht sollte ich mich ein wenig hinlegen und schlafen.

Ich nahm einen Beutel Kirschtee aus dem Schrank, füllte Wasser in den Wasserkocher und während ich wartete, blickte ich aus dem Küchenfenster. Davor stand ein Zierkirschbaum im Innenhof, der schon die ersten Knospen aufwies und sicher demnächst schön hellrosa blühen würde. Ich mochte Kirschbäume, allein schon wegen der Farbe ihrer Blüten. Doch in diesem Moment machte mich der Anblick der kleinen Blütenknospen irgendwie traurig und ich wandte den Blick ab.
 

Das Wasser kochte und ich goss es über den Teebeutel, dann nahm ich die Tasse mit ins Wohnzimmer und stellte sie erst einmal auf dem Kokatsu ab, damit der Tee zog, während ich mir ein Lager auf der Couch machte. Ich zog mich bis auf die Unterwäsche aus und kroch unter die dünne Flanelldecke, die ich auf dem Sofa liegen hatte. Es fühlte sich fast so an, als würde ich krank werden. Vielleicht hatte ich mir doch nur irgendwo eine Grippe eingefangen. Doch eine kleine, gemeine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, dass das keine Grippe war, sondern etwas viel tiefer sitzendes und schwerer zu heilendes.
 

Irgendwann dann muss ich einfach eingeschlafen sein und dann auch lange geschlafen haben. Denn als ich wieder aufwachte, war es dunkel draußen. Ich beugte mich vor und griff nach der Teetasse. Sie war kalt, der Tee ebenfalls, und er schmeckte viel zu stark, wie hochkonzentrierter Kirschsaft. Ich erhob mich seufzend, ging langsam in die Küche und kippte den Tee samt Beutel in die Spüle.

Dann sah ich auf die Uhr. Es war halb sechs. Ich hatte wirklich fast fünf Stunden geschlafen, einfach so, mitten am Tag. Das war zuletzt vor Jahren vorgekommen, während meiner kurzen Zeit an der Uni, als ich viel gelernt und deshalb zwischenzeitlich auch viel geschlafen hatte.
 

Ich ging in den Flur und warf einen Blick aufs Telefon. Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Ich hatte anscheinend so tief geschlafen, dass ich das Klingeln nicht gehört hatte. Die Nachricht war von Mikan: „Hey, Kocha, hier ist Mikan! Wie geht’s dir? Ich würde dich gern besuchen, wir könnten doch mal wieder zusammen ausgehen. Ruf mich einfach zurück. Hab dich lieb, Ko. Baiii!“

Ich griff nach dem Hörer, doch als ich ihn berührte, bemerkte ich, wie meine Hand zitterte. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern ziemlich stark. Ich zog sie zurück, sah sie verwirrt an. In meinen Ohren klang Mikans durch den Anrufbeantworter leicht elektrisch verzerrte Stimme, ihr ‚Hab dich lieb, Ko‘, und wie vorhin beim Anblick der Blütenknospen fühlte ich mich auf einmal unheimlich traurig. Aber warum machte es mich überhaupt traurig, wenn sie sagte, dass sie mich lieb hatte?
 

Ich ging erst einmal ins Wohnzimmer zurück und zog mich wieder ganz an, dann ging ich wieder zum Telefon, um Mikan zurückzurufen. Doch was sollte ich ihr eigentlich sagen? Wollte ich sie treffen, oder heute Abend lieber allein bleiben?

Einen kurzen Moment lang spielte ich mit der Idee, Mikan abzusagen, stattdessen Tsuzuku anzurufen und ihn zu fragen, ob er mich besuchen wollte. Doch dann dachte ich daran, dass er sich bestimmt einen schönen Abend mit Meto machen wollte, und verwarf die Idee wieder.

Schließlich wählte ich doch Mikans Nummer und während es bei ihr klingelte, entschied ich, es einfach auf mich zukommen zu lassen, ob sie mich sehen wollte, und was wir taten.
 

„Hey, Kocha!“, begrüßte sie mich und ich sah sie im Geiste vor mir, ihre braunen Augen und blond gebleichten Haare mit dem Hauch von Violett darin.

„Mikan …“, antwortete ich. „Tut mir leid, ich hab geschlafen und das Telefon nicht gehört.“

„Geschlafen? Mitten am Tag?“

„Ja. Ich bin einfach eingepennt.“

„War die Arbeit heute so anstrengend?“, fragte sie.

Ich antwortete einen Moment nicht, überlegte kurz, was ich sagen sollte. „Ich glaube, ich brüte eine Grippe oder so was aus“, sagte ich schließlich.

„Oh, okay. Dann ist ein Trip in den Visual-Club vielleicht keine so gute Idee, oder?“ Mikan klang ein bisschen enttäuscht, schien sich auf eine aufgestylte Partynacht mit mir gefreut zu haben.

„Ja, wahrscheinlich. Tut mir leid“, antwortete ich.

Auf einmal kicherte sie leise, sagte dann: „Du, ich weiß, was wir machen. Ich komm zu dir und pflege dich gesund, bevor du noch richtig krank wirst.“

Ich musste lachen, einfach wegen dem Ton, in dem sie das sagte. Sie klang wie ein kleines Mädchen.

„Komm halt her und steck dich an“, erwiderte ich.

„Bin schon unterwegs! Bis gleich!“ Und schon hatte sie aufgelegt.
 

Ich blieb noch einen Moment mit dem Hörer in der Hand stehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Herz klopfte wie verrückt. Und wieder fragte ich mich, was denn bitte mit mir los war. Doch an eine mögliche Antwort traute ich mich nicht heran.

Während ich auf Mikan wartete, räumte ich im Wohnzimmer ein bisschen auf und kochte eine Kanne Grünen Tee für uns. Dieses Mal stellte ich die Teeuhr, und während die lief, suchte ich ein paar Filme aus, von denen ich wusste, dass Mikan sie ebenso mochte wie ich. Zuerst war ‚Bambi‘ auch dabei, doch dann entschied ich mich zum ersten Mal aus emotionalen Gründen gegen meinen Lieblingsfilm und stellte ihn ins Regal zurück. Ich hatte Angst vor den traurigen Stellen, wollte nicht weinen.
 

Und als ich dann den Teebeutel aus der Kanne nahm, fiel mein Blick wieder auf den Kirschbaum im Innenhof. Ich wusste immer noch nicht, was mich daran so melancholisch stimmte, doch dass es so war, daran gab es keinen Zweifel. Ich musste mir zumindest eingestehen, dass es mir zurzeit nicht besonders gut ging und dass sich der fröhliche, starke Koichi, als den ich mich kannte, gerade hinter dunklen, grauen Wolken versteckte.
 

Ich biss mir auf die Unterlippe, wodurch mein Piercing gegen meine unteren Schneidezähne drückte. Es stach ein bisschen, doch das war nicht der Grund, warum mir auf einmal Tränen in die Augen sprangen. Ich stellte die Teekanne auf den Küchentisch, setzte mich auf einen der Stühle und zog die Knie hoch, schloss meine Arme darum und versuche, die Tränen niederzukämpfen. Doch es waren so viele, so schwer, und die Traurigkeit mit einem Mal so groß und dunkel, dass es mir nicht gelang.

Und so legte ich den Kopf auf die Knie und weinte, nicht laut oder heftig, sondern ganz leise, ließ die Tränen fließen, weil ich sie nicht mehr aufhalten konnte. Ich wusste nicht mal, warum genau ich so traurig war, nur, dass ich es eben war, und dass ich Angst davor hatte.
 

Als die Türklingel schrillte, schreckte ich auf. So schnell ich konnte, sprang ich auf, fuhr mir mehrmals mit dem Handrücken über die Augen und schniefte. Sofort schämte ich mich irgendwie, dass ich mich so hatte gehen lassen. Das war doch gar nicht meine Art!

Ich lief ins Bad, sah, dass meine Augen rot geweint waren, und wusste, dass ich das kaum vor Mikan würde verbergen können. Ich puderte trotzdem ein wenig die Region unter meinen Augen, wagte mich dann zur Tür und öffnete.
 

„Hey, Kocha!“ Mikan klang fröhlich wie immer und strahlte mich an. Doch sowie sie sah, dass es mir nicht gut ging, wurde sie ernst. „Du siehst wirklich müde aus, wie geht’s dir?“

„Geht …“, antwortete ich und ließ meine beste Freundin in die Wohnung.

Mikan blieb im Flur neben mir stehen, blickte mich einen Moment einfach nur an, dann fragte sie ganz direkt: „Hast du geweint?“

Ich konnte sie nicht anlügen. „Ja. Ein bisschen.“

„Weil du dich krank fühlst, oder weil du traurig bist?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich fühl mich irgendwie einfach nicht gut.“

Mikan zog ihre Schuhe und Jacke aus, nahm ihre Mütze ab und hängte ihre Tasche an meine Flurgarderobe. Dann ging sie mir voran ins Wohnzimmer.
 

„Ist ja total dunkel hier“, bemerkte sie und machte erst einmal Licht, dann setzte sie sich aufs Sofa und sah sich meine ausgesuchten, auf dem Tisch liegenden DVDs an. „Na, dann schauen wir uns mal ‘nen süßen Film an, danach geht’s dir bestimmt schon besser.“

Ich sagte nichts dazu, sondern setzte mich einfach neben sie und ließ sie einen Film aussuchen.

„Hast du was zum Knabbern da?“, fragte Mikan.

Ich nickte, stand auf und holte eine Tüte Chips aus der Küche, legte diese dann geöffnet auf den Tisch und nahm mir eine Decke, um es mir neben meiner besten Freundin auf dem Sofa gemütlich zu machen.
 

Wir sahen uns einen koreanischen Liebesfilm an, den ich eigentlich ziemlich gern mochte und schon einige Male gesehen hatte. Und im Gegensatz zu dem Fernsehfilm, den ich heute Mittag gesehen hatte, konnte ich mich auf diesen auch einigermaßen konzentrieren. Die Geschichte war süß und romantisch, genauso wie ich es mochte, ich futterte Chips, kuschelte mich an Mikans Seite und fühlte mich wieder halbwegs gut. Ab und zu sah sie mich an und lächelte.
 

Alles schien wieder so weit okay, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als es im Film sexuell zur Sache ging. Irgendwie vertrug ich das in diesem Moment nicht. Sonst sah ich immer ganz normal hin, fühlte mich davon angenehm leicht erregt und mochte solche Szenen, aber heute konnte ich mir das irgendwie nicht anschauen. Ich blickte zu Mikan, die interessiert zusah, und starrte dann selbst knapp am Fernseher vorbei zum Fenster.
 

Und während das Liebespaar im Film lustvoll seufzend und küssend unter einer raschelnden Bettdecke verschwand, und meine beste Freundin, die mich von Anfang an gefriendzoned hatte, dabei zusah, kam mir der Gedanke, warum ich, ausgerechnet ich, eigentlich hetero war. Ich dachte an Tsuzuku, der anscheinend bisexuell war, und der nach früheren Abenteuern mit Mädchen jetzt seine Liebe fürs Leben in einem anderen Mann gefunden hatte, und an Meto, der nur auf Kerle stand und zwischenzeitlich gleich zwei Interessenten gehabt hatte.

Irgendwie erschien es mir auf einmal fast so, als seien Männer leichter zu bekommen, und ich als Hetero-Mann ziemlich alleine, zumindest als einer, der nun mal gern süß und mädchenhaft aussah. Mein Aussehen hatte doch absolut nichts mit meiner Sexualität zu tun, es war einfach nur mein Schönheitsideal, mehr nicht. Warum war das so schwer zu sehen?! Ich konnte doch auch nichts daran ändern, dass ich mich sexuell nun mal nur zu Frauen hingezogen fühlte!
 

Ich richtete mich auf, tat, als müsste ich mich ein wenig strecken, doch eigentlich wollte ich nur ein wenig Abstand zu Mikan bekommen. Sie sah mich fragend an und ich tat wiederum so, als müsste ich mich nur bequemer hinsetzen.

Der Film war inzwischen über die erotische Szene hinweg und lief normal weiter, doch jetzt konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Ich achtete nur noch darauf, dass der Abstand zwischen Mikans und meinem Körper nicht zu klein, aber auch nicht zu groß wurde, schwankte dazwischen, mich an sie kuscheln zu wollen, weil ich mich nach Nähe sehnte, und ihr nicht zu nahe zu kommen, weil sie ja nur meine beste Freundin war.

Und irgendwann, als der Film fast vorbei war, wurde mir klar, was ich da tat: Ich hatte Mikan lieb, sehr lieb, ich stand auf sie, und der Abstand zwischen uns war nur da, weil ich nicht wusste, ob von ihrer Seite nicht doch mehr als nur Freundschaft möglich war. Und mir kamen schon wieder fast die Tränen, als ich daran dachte, dass sie mich nur als besten Freund sah, und als halbes Mädchen noch dazu.
 

Jeden weiteren Gedanken verbot ich mir. Ich durfte jetzt nicht zulassen, dass meine Gefühle und Hormone mit mir durchgingen und ich am Ende noch etwas tat, was unserer Freundschaft schadete.

Zum Beispiel, sie zu umarmen und zu küssen.

‚Nein!‘, dachte ich energisch. ‚Koichi, willst du wohl aufhören damit?!‘

Mikan sah mich wieder fragend an. „Ko, alles okay?“

„Ja, alles gut“, beeilte ich mich zu sagen und dachte dabei nur daran, sie in meine Arme zu nehmen. Ich starrte geistesabwesend auf das Bild auf ihrem pastelllila T-Shirt, eine kleine schwarze Katze, und bemerkte zwei Sekunden zu spät, dass ich eigentlich das anstarrte, was sich unter dem Shirt befand, die sanften, weichen Rundungen ihrer Brüste.

Ich blinzelte, blickte an ihr vorbei, und wusste auf ihren leicht verwirrten Blick nichts zu antworten. Überhaupt hatte ich absolut keine Ahnung, wie ich ihr beibringen sollte, dass ich mehr von ihr wollte und eben nicht die männliche ‚beste Freundin‘ war, für die sie mich hielt.
 

Ich stand auf und stellte den Fernseher und den DVD-Player aus. Und als ich mich wieder zu Mikan umdrehte, da sah sie, obwohl sich eigentlich gar nichts verändert hatte, auf einmal so schön aus, mit ihren knapp über schulterlangen, blond-lila Haaren, ihren leuchtenden, braunen Augen und ihrem süßen Fairy Kei-Outfit, so wahnsinnig schön.

Sie lächelte. „Koichi, was starrst du mich so an?“

Ich konnte nicht anders, als halbwegs ehrlich zu sein. „Du siehst heute so hübsch aus.“

„Danke. Du auch.“

„Ich bin nicht mal geschminkt“, erwiderte ich trocken und hatte endlich das Gefühl, dass alles wieder halbwegs normal war, dass ich mich wieder gut und sicher fühlte, zumindest für den Moment. Mit einem Unterschied: Ich wusste jetzt zumindest bei einer Sache, was los war. Auch, wenn ich noch keine Ahnung hatte, was daraus werden würde.
 

„So, ich glaube, die Grippe haben wir abgewehrt. Du siehst jedenfalls wieder okay aus“, sagte Mikan schließlich und stand auf. „Wollen wir noch was machen, oder soll ich wieder gehen?“

Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass sie und ich morgen zusammen nach Tokyo wollten.

„Geh mal lieber“, sagte ich. „Wir sehen uns ja morgen.“

Mikan lächelte. „Stimmt. Soll ich dich dann abholen?“

„M-hm.“ Ich nickte.

Sie ging in den Flur, zog sich Schuhe, Jacke und Mütze wieder an und nahm ihre Tasche.

„Also dann, bis morgen, Koichi.“ Und ehe ich etwas sagen oder tun konnte, hatte sie sich vorgebeugt und mir einen Kuss auf die Wange gedrückt. „Hab dich lieb.“

„… Ich dich auch …“, erwiderte ich, mehr automatisch, meine Wange fühlte sich heiß und kalt zugleich an.

Sie lächelte mir noch einmal zu, dann schloss sie die Tür hinter sich und ich hörte ihre Schritte im Treppenhaus. Ich blieb noch ein paar Augenblicke im Flur stehen. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich war schon wieder den Tränen nahe.
 

Am liebsten hätte ich jetzt Tsuzuku angerufen und ihm alles erzählt, aber dafür war es jetzt eindeutig zu spät. Sicher lag er jetzt mit Meto im Bett, vielleicht schliefen sie sogar miteinander, oder sie waren beide längst im Land der Träume, bestimmt glücklich umarmt.

Ich hatte nicht allzu viele männliche Freunde, und der einzige von ihnen, der mir nahe genug stand, dass ich mit ihm über so etwas hätte sprechen können, war nun mal Tsuzuku. Er hatte mir letztens ja sogar von sich aus angeboten, dass ich, wenn ich mal jemanden zum Reden brauchte, auch zu ihm kommen konnte.

Ich dachte an ihn und Meto, daran, wie glücklich die beiden trotz aller Schwierigkeiten miteinander waren und wie süß ich sie als Paar fand. Und auf einmal spürte ich einen fiesen kleinen Stachel im Herzen, einen neidischen Stachel, weil die zwei einander hatten und ich allein war.

‚Morgen …‘, dachte ich, ‚Morgen bin ich den ganzen Tag mit Mikan zusammen. Da hab ich bestimmt eine Gelegenheit, sie unauffällig zu fragen, wie sie mich eigentlich sieht.‘
 

Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen, merkte jetzt erst, wie müde ich schon wieder war, und ging noch schnell ins Bad, um mich bettfertig zu machen, und dann in meinem Schlafzimmer zu verschwinden. Ich zog mich bis auf die Shorts aus und legte mich einfach so ins Bett, hatte irgendwie keine Lust, noch meinen Schlafanzug anzuziehen.

Liegend schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper, streichelte mich selbst und spürte dabei deutlich, was tagsüber durch süße Kleidung und Make-up verdeckt wurde: Dass ich ein Mann war und das gerne, dass ich meinen Körper mochte, wie er war, und endlich wollte, dass Menschen wie Mikan das auch irgendwie sahen. Gerade Mikan. Nur hatte ich keine Ahnung, wie ich ihr das erklären sollte, ohne unserer Freundschaft zu schaden, von der ich insgeheim hoffte, dass mehr daraus werden konnte.
 

Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, es mir noch ein bisschen gemütlicher zu machen, mir irgendwas Erregendes vorzustellen und mir dann darauf einen runterzuholen. Das hatte ich schon eine Weile nicht mehr gemacht und eigentlich verspürte ich jetzt Lust darauf. Doch da ich befürchtete, dabei dann doch an Mikan denken zu müssen, ließ ich es lieber, rollte mich unter der Decke zusammen und schlief auch gottseidank bald ein.
 

„Piep-piep … piep-piep … piep-“

Ich streckte die Hand unter der Decke raus und versetzte meinem Wecker einen mehr oder weniger gezielten Schlag auf den Knopf an der Oberseite. Das Piepen verstummte und ich zog die Decke, die mich bis über den Kopf zudeckte, weg, atmete kühle Zimmerluft. Anscheinend hatte ich gestern vergessen, die Heizung im Schlafzimmer aufzudrehen, denn es war kälter als sonst.

Und so traute ich mich nur langsam unter der Decke hervor, fühlte mich ein bisschen wie ein kleines Tier nach dem Winterschlaf und es dauerte ein wenig, bis ich es wagte, sie beiseite zu ziehen und meinen bis auf die Shorts unbekleideten Körper der kühlen Luft auszusetzen. Fröstelnd rieb ich mir die Arme und beeilte mich, ins Bad zu kommen.
 

Dort angekommen, stellte ich das Wasser heiß, streifte mir die Shorts vom Leib und verschwand erst einmal in der Dusche, genoss die Wärme und wusch mich ausgiebig, vertrieb gleichzeitig die Müdigkeit und sorgte selbst dafür, dass ich mich gut fühlte. Dabei kehrte langsam die Erinnerung an gestern zurück, daran, wie traurig ich gewesen war, daran, wie Mikan mich besucht hatte, und was sich zumindest von meiner Seite her zwischen uns verändert hatte. Noch kam ich ganz gut damit klar und vielleicht würde ich heute sogar mit ihr darüber reden können. Doch ich ahnte, dass das nicht ganz einfach werden würde.
 

Als ich aus der Dusche kam und gerade dabei war, mich abzutrocknen, schrillte das Telefon. Ich wickelte mich schnell in mein Handtuch und huschte auf den Flur raus, sah Mikans Nummer auf der Anzeige und hob ab.

„Hey, Kocha, bist du schon auf?“ Sie klang fröhlich und vorfreudig.

„Ich komm gerade aus der Dusche.“

„Ich ruf nur an, weil ich dachte, ich hole uns noch Frühstück.“

„Meinetwegen.“

„Okay, bis gleich!“
 

So schnell ich konnte, war ich wieder im Bad, trocknete mich ab und versuchte, meine langen Haare so schnell wie möglich ebenfalls trocken zu bekommen. Und als ich kurz darauf im Schlafzimmer vor meinem Kleiderschrank stand und überlegte, was ich anziehen sollte, entschied ich mich für recht schlichte Sachen, bei denen das Wichtigste war, dass ich sie in den Umkleidekabinen der tokyoter Läden leicht an – und ausziehen konnte. Mein Makeup fiel ähnlich einfach aus, aus demselben Grund. Und als ich mit allem fertig war, vor dem Flurspiegel stand und mich für gutaussehend befand, klingelte es auch schon an der Tür.
 

„Hey, Ko!“, begrüßte Mikan mich fröhlich, als ich öffnete, strahlte mich an und hielt eine Tüte hoch, auf der der Name der französischen Bäckerei am Bahnhof stand. „Wie geht’s dir?“

„Besser als gestern auf jeden Fall“, antwortete ich.

„Das ist doch schon mal schön.“ Sie lächelte, ich ließ sie rein und sie zog Jacke und Schuhe aus.
 

Wir frühstückten zusammen, unterhielten uns aber nicht allzu viel, da wir beide noch ein wenig müde waren und, statt zu reden, lieber aus dem Fenster schauten, wo die rote Morgensonne hinter den Häusern rauskam.

„Du siehst gut aus heute, Koichi“, sagte Mikan irgendwann und sah mich an.

Ich lächelte, nahm einen Schluck Tee und antwortete dann: „Danke. Du auch.“

Sie sah heute wirklich hübsch aus. Ihr Outfit war ähnlich shoppingtauglich wie meines, aber insgesamt doch etwas auffälliger und niedlicher. Sie trug ein rüschenbesetztes rosa T-Shirt mit Lolita-Print, einen kurzen, getupften Faltenrock, bunte Kniestrümpfe und rosa Schuhe mit leichtem Absatz, hatte ihre Haare zu zwei offenen Zöpfen gebunden und rosa-blauen Lidschatten aufgelegt.

Als ich merkte, dass ich sie anstarrte, blickte ich schnell wieder aus dem Fenster.

„Findest du mich hübsch, Ko?“, fragte sie, hatte es anscheinend bemerkt und beugte sich lächelnd ein wenig vor.

„Du … bist immer hübsch …“, antwortete ich ein wenig verlegen und nahm den letzten Bissen von meinem Brötchen.
 

Nach dem Frühstück packte ich meine Handtasche (die Westwood-Tasche mit dem Bambi drauf), zog meine Jacke an und suchte noch kurz nach passenden Schuhen, entschied mich der Bequemlichkeit halber für rosa Chucks, die schön zu meiner pastellblauen Hose passten.

„Na dann, auf nach Tokyo!“, rief Mikan durchs Treppenhaus, während ich noch meine Jacke anzog.

Dann machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof.
 

Wir fuhren erst mit der Stadtbahn zum Hauptbahnhof und nahmen von dort den Shinkansen in Richtung Tokyo. Es war schon relativ voll und als wir einen Platz gefunden hatten, wo wir nebeneinander sitzen konnten, holte ich mein Handy raus und machte mir erst mal Musik an.

Eigentlich war das ja etwas unhöflich, Musik zu hören, während ich mit meiner besten Freundin unterwegs war und mich auch hätte mit ihr unterhalten können, aber ich wusste gerade nicht mehr so recht, worüber wir hätten reden sollen. Die Dinge, die ich mit ihr besprechen sollte, passten besser in ein Café oder dergleichen, nicht in den Zug, wo es vielleicht jemanden gestört hätte.

Mikan tat es mir gleich und so saßen wir eine ganze Weile nur nebeneinander, jeder in seine Musik vertieft und mit sich selbst beschäftigt.
 

Irgendwann tippte sie mich an, ich zog mir den Ohrhörer aus dem Ohr und sah sie fragend an.

„Ko, sag mal, geht’s dir wirklich besser? Ich denke gerade so darüber nach, ob wir nicht vielleicht doch besser erst nächste Woche gefahren wären, wenn du dich wieder ganz gut fühlst …“

„Nein, nein, das ist schon gut so“, antwortete ich schnell. „Ich weiß ja selber nicht genau, was mit mir los ist, da ist so ein Ausflug ‘ne gute Idee. Es lenkt mich ab.“

„Also war’s keine Grippe oder so, was du gestern dachtest, dass du’s kriegst?“

Ich schüttelte den Kopf. Sollte ich Mikan zumindest davon erzählen, dass ich mich so furchtbar traurig und verkannt gefühlt hatte? Oder hob ich das besser für einen geeigneteren Zeitpunkt auf?

„Ich war einfach … irgendwie traurig, weiß auch nicht, warum“, sagte ich schließlich leise und stellte die Musik aus, die durch den anderen Hörer immer noch in meinen Kopf schallte.

„Aber jetzt geht’s wieder?“

„Ja. Ich freu mich drauf, dass wir nachher in Harajuku sind und uns einen schönen Tag machen.“

Mikan lächelte, beugte sich vor und umarmte mich, einfach so. Augenblicklich fing mein Herz an zu klopfen wie verrückt und ich musste mich richtig zusammenreißen, um sie nicht viel zu eindeutig zurück zu umarmen.
 

Den Rest der Fahrt über redeten wir über Klamotten, über die Läden, in die wir wollten, und all so was, schnitten beide das Thema ‚Koichi geht’s nicht so gut‘ nicht mehr an.

Wir fuhren bis zum nächsten großen Bahnhof in Tokyo und nahmen von dort die Yamanote-Linie nach Shinjuku. Schon in der Bahn waren ein paar Leute unserer Szene zu sehen, Visual-Cosplayer und Leute in modischen Eigenkreationen. Obwohl es ja in unserer Heimatstadt ebenfalls eine Visu-Szene gab, die in Tokyo war noch mal etwas ganz anderes. Hier erschien mir alles noch auffälliger, noch kreativer und bunter, auch irgendwie originaler. Ich freute mich schon auf die Harajuku-Brücke, darauf, von dort ein paar Ideen mitzunehmen für meine eigenen Looks.
 

Als wir in Harajuku ausstiegen, war ich Koichi im Wunderland, fühlte dieses vorfreudige Shopping-Kribbeln und war mit einem Mal richtig gut drauf. Für eine Weile waren alle traurigen Gedanken beiseite gewischt und ich genoss das schöne Wetter, bewunderte die tollen Outfits um mich herum und folgte Mikan, die zielsicher auf die Takeshitadori zusteuerte.
 

Was dann folgte, war ein Shoppingstrip der Extraklasse. Extravagante Schuhe, bunte T-Shirts, Hosen, süße Kleider, fluffige Röcke und jede Menge Schmuck, ich probierte eine Unzahl Kram an, auch vieles, was ich dann gar nicht kaufte. Aber genau das machte mir Spaß: Verrückte Sachen anprobieren, kombinieren, interessante Stilbrüche austesten, und dann nur die schönsten Teile wirklich kaufen.

Und nachdem wir die Takeshita gründlich abgeklappert hatten und mit vollen Einkaufstaschen auf dem Weg zu Closet Child waren, fühlte ich mich, als hätte ich irgendwas genommen, war aufgedreht und kribbelig. Gut, dass mein Job im Café so ausnehmend gut bezahlt wurde.
 

Closet Child war immer noch mal etwas Besonderes. Weil es eben ein Second-Hand-Laden war und sie dort viele Sachen hatten, die es woanders längst nicht mehr gab. Alles war schön nach Brands sortiert und für einen Markenliebhaber wie mich absolut perfekt. Oft schon hatte ich dort wundervolle Sachen gefunden, nach denen ich zuvor jahrelang gesucht hatte.

Als wir den Laden erreichten und betraten, strebte ich zielsicher auf die Ecke mit den Westwood-Sachen zu und erblickte dort schon von weitem eine rote, herzförmige Handtasche, die mein Herz augenblicklich höher schlagen ließ. Allein schon das goldene Westwood-Planetenlabel, welches groß und gut sichtbar mitten auf dem roten Leder leuchtete, begeisterte mich, und ich nahm die Tasche aus dem Regal, schaute nach dem Preis. Dabei entdeckte ich auf der Rückseite einen kleinen Kratzer, aber der störte mich nicht. Kleine Schäden bei einem Second-Hand-Teil sprachen ja nur davon, dass es zuvor jemandem gehört hatte, der es oft benutzt hatte. Und der Preis war auch gut danach.
 

Mikan kam mir lächelnd hinterher. „Na, Kocha, hast du ein neues Schätzchen gefunden?“

Ich nickte begeistert. „Ist die nicht wunderschön?“

„So eine hast du doch schon, oder?“

„Ja, aber nur in Schwarz. Die hier ist rot. Rot wie die Liebe.“

„Koichis Liebe zu Designerhandtaschen, haha“, lachte Mikan.

„Lass mich, ich mag so was halt!“, konterte ich gespielt beleidigt und hängte mir die Tasche übers Handgelenk, da ich soeben in der nächsten Abteilung ein wahnsinnig niedliches Oberteil entdeckt hatte und mir das ebenfalls ansehen wollte. Es war unverkennbar Frauenkleidung, aber ich sah es und wollte es haben.
 

„Sag mal, Ko, hast du eigentlich noch genug Geld oder überziehst du deine Karte schon wieder?“

„Ich glaube, für das beides hier reicht‘s noch. Und wir können danach auch noch ein Crêpe essen gehen“, antwortete ich.

„Na dann, die beiden Sachen noch. Aber mehr dann auch nicht“, sagte Mikan mit leichter Strenge und deutete auf die beiden großen Tüten, in denen sich unsere modischen Errungenschaften aus der Takeshita befanden.

Ich schnappte mir das Oberteil und ging es anprobieren, stellte meine zum Glück leicht an- und ausziehbaren Schuhe ordentlich vor der Umkleide ab und schloss den Vorhang hinter mir. Die rote Handtasche hängte ich an einen der Kleiderhaken, zog dann das Top an und betrachtete mich im Spiegel. Zwar hatte ich heute schon sehr viel anprobiert, aber das hier war mein Lieblingsladen und ich hatte einen Moment Ruhe.
 

Das Top war wirklich schön und es stand mir richtig gut. Rosa Rüschen, Blümchenmuster, bauchfrei, ein richtiges Mädchenteil, das wunderbar zu meinen Haaren passte und mein Bauchnabelpiercing betonte. Einen Moment lang schaute ich mich nur an, von vorn und von der Seite, und dabei kam mir wieder in den Kopf, was ich Mikan hatte fragen wollen. Es war kein Wunder, dass sie mich als halbes Mädchen ansah, wenn ich mir rote Handtaschen und rosa Rüschentops kaufte und meine rosa Haare so wie heute in zwei schmalen Zöpfen trug. Irgendwie musste ich meine beste Freundin auf das Thema ansprechen, aber ich wusste einfach nicht, wie.
 

„Und?“, fragte sie von draußen. „Wie sieht’s aus, das Teil?“

Ich öffnete den Vorhang und trat aus der Kabine.

„Wow! Das ist ja süß, das Top!“ Mikan war richtig begeistert, fangirlte mich fast schon. Und ich dachte, dass es wirklich nicht einfach werden würde, ihr zu sagen, wie ich mich dabei fühlte. Einerseits mochte ich es ja, wenn sie sich so über meine feminine Art und mein süßes Aussehen freute. Aber auf der anderen Seite fühlte ich mich eben nicht richtig wahrgenommen. Und das stimmte mich, nachdem ich die letzten zwei, drei Stunden wirklich gut drauf gewesen war, wieder ein wenig nachdenklich.
 

Ich ging das Top und die Tasche bezahlen, und dann ging es den Weg zurück, ganz bis zur Harajuku-Brücke, um uns im dahinter gelegenen Yoyogi-Park etwas zu Essen an einer der Imbissbuden zu holen.

Und als wir dann an einem der Tische im Park saßen und jeder unser Crêpe aßen, da suchte ich nach dem richtigen Moment, um Mikan auf das Thema ‚Wie siehst du mich eigentlich‘ anzusprechen.
 

„Mikan …?“, begann ich schließlich, „Sag mal …“ Weiter wusste ich nicht.

„Hm?“ Sie sah mich fragend an. „Koichi?“

Jetzt hatte ich es angefangen, wusste aber nicht, wie ich die ganze Sache ausdrücken sollte. Immerhin war damit auch mein verändertes Interesse an ihr verbunden und ich wollte ihr keinesfalls jetzt schon mit meinen Gefühlen ankommen, die ich ja nicht mal für mich selbst so ganz sortiert hatte.

„… Sag mal … ähm … also …“, begann ich wieder, und dann kam es wie von selbst raus: „Sag mal, siehst du mich eigentlich als vollwertiges männliches Wesen an?“

Mikan sah mich mit großen Augen an. „Huh? Was ist denn das für ‘ne Frage?“

„Na ja … ich denke da in letzter Zeit irgendwie viel drüber nach und …“ Wieder wusste ich nicht weiter, blickte auf meine Hände.

„Hast du ‘ne Identitätskrise oder so?“

‚Nein, weißt du, ich frag so was aus Spaß …‘, dachte ich ironisch, sagte aber: „So was in der Art.“
 

Mikan lachte verlegen, sah mich einen Moment an und erwiderte dann: „Ich … weiß nicht. Du bist halt einfach Koichi und … ich mache mir ehrlich gesagt gar nicht so viele Gedanken um dein Geschlecht.“

Ich hatte zwar vorhergesehen, dass solche Worte mir einen Stich versetzen würden, auch wenn sie nicht annähernd verletzend gemeint waren, doch es überraschte mich selbst, wie weh es tat. Anscheinend hatte ich da neuerdings einen wunden Punkt. Seltsam, denn früher hatte mir das noch nicht so viel ausgemacht.

Und offenbar war mir anzusehen, dass ich verletzt war, denn Mikan sah mich wieder mit großen Augen an und fragte mit Vorsicht in der Stimme: „Ist das … irgendwie ein Problem für dich?“

Und als ich nicht antwortete, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, fragte sie weiter: „Möchtest du, dass ich dich … mehr als Mann ansehe?“

Ich nickte und spürte dabei die in mir aufsteigenden Tränen. Schnell blinzelte ich, um meine blauen Kontaktlinsen an ihrem Platz zu halten, dass sie mir nicht wegschwammen. Und natürlich blieb das nicht unbemerkt.

„Oh mann, das macht dich traurig, oder?“ Mikan streckte die Hand aus und ergriff über den Tisch hinweg meine. „Okay, ich werde versuchen, dich nicht mehr so … wie ein Mädchen zu behandeln. Du bist einer meiner allerbesten Freunde, und ich will ja, dass du dich bei mir wohl fühlst.“

„Danke.“ Ich versuchte ein leichtes Lächeln, das mir jedoch kaum gelang. Und dachte daran, dass ich sie wirklich richtig lieb hatte.
 

Wir machten uns dann bald wieder auf den Heimweg, hatten beide kein Geld mehr und auch keine Lust, noch länger hier herumzulaufen. Meine Füße taten auch ein bisschen weh und ich war ziemlich müde, weshalb ich, als wir dann im Shinkansen nach Hause saßen, fast einschlief. Mein Kopf sank an Mikans Schulter und ich schreckte auf, kniff mich leicht in den Arm, um wach zu bleiben.

Sie begleitete mich noch bis zu meiner Bahnstation, nahm dann selbst den Zug zu sich nach Hause, während ich ebenfalls in Richtung meiner Wohnung fuhr.

Dort angekommen, schminkte ich mich ab, zog bequeme Sachen an und setzte mich aufs Sofa, um ein bisschen fernzusehen. Aber im Fernsehen lief nichts Gescheites, weshalb ich den wieder ausschaltete, mir mein Handy nahm und überlegte, jemanden anzuschreiben.
 

Es war noch recht früh, erst vier Uhr nachmittags, und schließlich schrieb ich eine SMS an Tsuzuku: „Hey, wie geht’s dir? Ich war heute in Tokyo, hab mir Mikan groß eingekauft. Wie war dein Tag?“

Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten und ich schaltete inzwischen mein Laptop ein, um meine sozialen Netzwerke zu checken. Es gab einige Neuigkeiten, aber nichts allzu Wichtiges, und dann klingelte auch schon mein Handy. Ich hob ab und hörte gleich Tsu’s Stimme: „Hey, Koichi. Du, ich weiß gar nicht so wirklich, ob es mir gut geht. Ich fühl mich seltsam, hab heute versucht, was zu zeichnen, aber ich habe es nicht hinbekommen. Und du warst in Tokyo? Hast du schöne Sachen bekommen?“

„Ja, ich hab ‘nen richtig großen Shoppingtrip gemacht, mit vielen süßen Sachen. Und …“ Ich stockte, wusste einen Moment nicht, ob ich Tsuzuku von dem Gespräch mit Mikan erzählen sollte oder nicht. Zwar hatte er mir ja letztens angeboten, dass ich mit ihm drüber reden konnte, wenn was war, aber wenn er wieder mehr mit sich selbst zu kämpfen hatte, wollte ich ihn auch nicht mit meinem Problem belasten.
 

„Und was?“, fragte er in dem Moment. „Ist alles gut bei dir, Koichi?“ Er bemerkte anscheinend auch ohne dass ich etwas sagte, dass bei mir gerade nicht alles so gut war.

„Na ja …“, begann ich schließlich, „Ich hab mit Mikan über was gesprochen … Weil … sie sieht mich als so eine Art ‚beste Freundin‘ und das … fühlt sich für mich nicht mehr gut an. Lach nicht, Tsu, aber … ich hab’s satt, bei Frauen immer nur in der Friendzone zu sein, und dass sie mich … halt so als halbe Frau ansehen.“

Ich hatte so halb erwartet, dass Tsuzuku darüber lachen würde oder so, aber er blieb ganz ruhig und ernst. „Das ist verständlich, Ko“, sagte er. „Du bist hetero, also willst du Frauen nicht nur als beste Freundinnen haben.“ Er schwieg einen Moment, dann fragte er: „Willst du mehr von Mikan?“

Ich nickte, erst dann fiel mir ein, dass er es ja nicht sehen konnte. „Ja“, sagte ich leise. „Irgendwie schon. Ein bisschen zumindest.“

„Wie viel? Ich meine, willst du nur mit ihr schlafen, oder richtig mit ihr zusammen sein?“

„Ich weiß nicht. Ich will sie als Freundin nicht verlieren.“
 

Langsam kam Klarheit in meine Gedanken und Gefühle zurück. Es tat gut, darüber zu reden, und ich war sehr froh, einen besten Freund wie Tsuzuku zu haben, mit dem ich solche Gespräche führen konnte. Und ich spürte, dass mich in meiner momentanen Lage das Reden mit einem anderen Mann irgendwie mehr entspannte, als wenn ich mit einer Frau über mein Innenleben gesprochen hätte.
 

„Sag mal, Tsu … Wie war das eigentlich bei dir früher?“, wollte ich dann wissen.

Es dauerte einen Moment, bis er antwortete: „Du weißt ja, dass ich damals … ziemlich unbedacht war. Ich hab mir nicht wirklich viele Gedanken gemacht, und bin auch mit den Mädchen, mit denen ich zu tun hatte, nicht so gut umgegangen.“ Er lachte selbstironisch. „Es gibt da vieles, von dem ich heute denke, dass ich es gern anders gemacht hätte. Und ich hoffe, dass ich bei meinen damaligen Freundinnen keinen allzu großen Schaden hinterlassen habe.“

„Belastet dich das heute?“, fragte ich.

„Ein bisschen. Es tut mir halt leid. Und … ich will niemanden mehr so behandeln wie die Mädchen damals. Deshalb gebe ich mir bei Meto alle Mühe, die ich aufbringen kann, lieb zu ihm zu sein. Weil … ich ihn mehr liebe als irgendjemanden zuvor.“

„Das merkt man, dass du ihn so liebst.“

Tsuzuku lachte leise. „Ich liebe ihn mehr als mich selbst.“ Und dann: „Na ja, wobei das auch nicht schwer ist … so wenig, wie ich mich selbst leiden kann.“

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Was sagte man dem besten Freund, wenn er sagte, dass er sich selbst nicht mochte?
 

„… Magst du … dich selbst wirklich gar nicht?“, fragte ich leise.

„Na ja, manchmal mag ich mich schon. Aber … das ist immer nur kurz und oberflächlich. Wenn ich mich schön mache oder so, fühlt sich das gut an, aber im Grunde … hab ich einen Hass auf mich.“

„Wegen …?“, fragte ich, nur andeutend, nach seiner Mama.

„Ja … Ich … ich kann mir das nicht verzeihen. Es … geht einfach nicht.“

Schon wieder ging ein Gespräch zwischen uns in eine gefährliche Richtung. Wir redeten erst ganz normal und dann waren da doch wieder diese Themen, die hochkamen, und bei denen ich mir Sorgen um Tsuzuku machte. Seine Stimme klang schon wieder so unglücklich und traurig, und ich fragte mich, ob Meto bei ihm war oder zumindest in der Nähe.
 

„Tsu, ist Meto da irgendwo bei dir?“

„Er ist unter der Dusche. Wir waren heute im Schwimmbad.“

„Ihr geht da gerne hin, oder?“, fragte ich, einfach um das Thema zu wechseln.

„Ja. Es gibt da so eine versteckte Ecke, wo es ganz schön ist, und wo ihn und mich nicht gleich jeder sehen kann. Und … wir machen das halt schon lange, dass wir zusammen baden gehen. Meto hat, seit ich ihn kenne, für solche Sachen gesorgt, als ich … noch auf der Straße war.“
 

Ich lachte leise. Die beiden waren wirklich süß zusammen. Diese süße Fürsorglichkeit und Zuneigung von Metos Seite und Tsuzukus besitzergreifende, intensive Liebe zu ihm, das war wirklich was Besonderes.

Ich dachte an MiA, der versucht hatte, nah bei den beiden, deren Beziehung er wie alle anderen für enge Freundschaft gehalten hatte, einen Platz zu finden, weil er sich in Meto verliebt hatte. So, wie ich das verstanden hatte, hatte Meto zuerst nicht mal selbst gewusst, dass das zwischen Tsu und ihm mehr Liebe als Freundschaft war. Und sicher hatte er sich von MiA eine Art Entlastung gewünscht, weil ihm die Sorge um Tsuzuku, dem es damals ja noch schlechter gegangen war, über den Kopf gewachsen war.

Ich hatte mich ja auch einmal mit MiA unterhalten und er war ja sehr nett gewesen, sodass ich gedacht hatte, wir könnten uns vielleicht ein bisschen anfreunden. Und auch jetzt dachte ich wieder daran, dass wir uns bestimmt gut verstanden hätten, aber meine Loyalität zu Tsuzuku hielt mich davon ab, Kontakt zu MiA aufzunehmen.
 

„Koichi?“, riss mich Tsus Stimme aus meinen Gedanken. „Bist du noch da?“

„Ja, ja, bin ich. Ich … hab nur eben über was nachgedacht.“

„Über was denn?“

„Ach, nichts weiter, nur dass Meto und du echt süß zusammen seid …“

„Du und Mikan gebt sicher auch ein tolles Paar ab“, erwiderte er.

„Aber nicht so süß und besonders wie ihr beide. Ich mag Mikan sehr gern, aber diese starke Liebe zwischen Meto und dir, das ist einfach so was Besonderes.“

„Hm, da könntest du Recht haben. Ich … frage mich manchmal selbst, ob ich nicht wahnsinnig geworden bin … und wie ich so jemand Süßes wie Meto eigentlich verdient habe.“

„Geliebte Menschen verdient man sich nicht. Liebe ist ein Geschenk“, antwortete ich. „Du musst sie nur annehmen.“

„Das ist gut, Ko, da werde ich drüber nachdenken“, sagte Tsuzuku, „Du, Meto kommt gerade wieder. Ich werde ihn jetzt in den Arm nehmen und küssen und ihm sagen, dass ich ihn liebe, und du machst demnächst dasselbe mit Mikan, okay?“

„Mal sehen, wann ‚demnächst‘ ist …“, antwortete ich. „Aber ja, werde ich machen.“
 

Es knackte in der Leitung, Tsu hatte aufgelegt. Aber dieses Mal hatte ich keine Sorge um ihn. Zwar war das Gespräch an für ihn schmerzhafte Themen gekommen, doch zum Schluss hatte er sich so entspannt angehört, dass ich mir keine Sorgen machte.
 

Den Rest des Tages verbrachte ich auf der Couch vor dem Fernseher und sah mir Filme aus meiner Sammlung an. Unter anderem Bambi. Zwar musste ich an den traurigen Stellen ein bisschen schniefen, doch diese große, schwere Traurigkeit von gestern Abend stellte sich nicht wieder ein.

Und als ich dann so richtig müde war, machte ich mich bettfertig und ging schlafen. Die Tüten mit meinen neuen Errungenschaften stellte ich vor meinen Kleiderschrank, die Sachen würde ich morgen Nachmittag nach der Arbeit einsortieren.

[Tsuzuku] Act 10

[ein paar Tage später, Mittwoch]
 

Eigentlich lief bei der Arbeit im Studio alles so weit gut. Ich hatte mich wieder in die Beschäftigung eingefunden und spürte, wie es mir guttat, zu arbeiten, etwas zu tun zu haben. Mit dem Zeichnen wurde es auch besser und ich ging immer geschickter mit der Nadel um, erinnerte mich wieder gut daran, wie ich es früher gekonnt hatte.
 

„Aoba-san“, sprach mich Kurata an diesem Morgen an, als ich gerade dabei war, ein relativ aufwändiges Motiv in Tierhaut zu stechen. „Kann ich mal mit Ihnen sprechen?“ Der Ton, in dem er mich ansprach, beunruhigte mich, ich blickte auf und stellte die Nadel aus.

„Worum geht’s?“, fragte ich.

„In meinem Büro, bitte.“

Ich stand auf und ging hinter Kurata her, meine Anspannung stieg mit jedem Schritt. Worüber wollte er mit mir sprechen? War mit meinen Zeugnissen etwas nicht in Ordnung, hatte ich irgendwas falsch gemacht, oder war sonst etwas?
 

Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und bat mich, die Tür zu schließen. Ich tat es und setzte mich, meine Hände zitterten.

„Hab ich … irgendwas falsch gemacht?“, fragte ich verunsichert.

Kurata schüttelte den Kopf. „Nein. Aoba, Sie machen Ihre Arbeit gut. Das, was Sie abliefern, ist ordentlich und gefällt den Leuten. Aber … ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, zu Ihrem Leben, die Sie am besten ehrlich beantworten.“

„Was für Fragen?“, fragte ich, noch ein wenig mehr verunsichert. „Warum?“

„Ich habe Sie eingestellt, weil Sie beim Vorstellungsgespräch einen guten Eindruck gemacht haben, und weil Ihre Zeugnisse gut sind. Sie haben Talent und ich bin neugierig, wie Sie sich hier machen. Nur wüsste ich gern etwas mehr über Sie. Ich weiß ja nur, dass Sie auf der Straße gelebt haben und vorher die Ausbildung fast fertig hatten.“
 

Mein Herz raste vor Aufregung und meine Finger gruben sich krampfhaft in den schwarzen Stoff meiner Jeans. Ich sollte Fragen beantworten, zu meinem Leben, wahrscheinlich auch zu meiner Vergangenheit und Dingen, über die ich nicht sprechen wollte.

Was, wenn ich die falschen Antworten gab, und Kurata mich dann hier nicht mehr haben wollte? Wenn er mich doch zu seltsam und gestört fand und nach meinen Antworten nicht mehr daran glaubte, dass ich hier arbeiten konnte? Oder ich ihm einfach zu unnormal war? Ich kannte ihn ja kaum und konnte ihn daher nicht gut einschätzen.
 

„Was wollen Sie denn wissen?“, brachte ich leise heraus, hörte selbst, wie meine Stimme zitterte.

„Zum Beispiel, wie Sie auf der Straße gelandet sind.“

Natürlich. So was war immer die erste Frage. Und sofort waren die Bilder in meinen Gedanken da, die Bilder von Mamas und meiner kleinen Wohnung, die so leer war ohne sie, und in der ich es einfach nicht mehr ausgehalten hatte.

„Darüber … möchte ich nicht sprechen“, antwortete ich und versuchte, die in meinem Innern hochkommenden Erinnerungen an jene Zeit beiseite zu schieben. Und als Kurata mich fragend ansah, fügte ich leise hinzu: „Das war … eine extrem harte Zeit. Wenn ich mich daran erinnere und darüber spreche, dann …“ Ich brach ab, war wieder viel zu nah an der Störung. Und ich spürte, wie der Druck in mir aufstieg, immer mehr wurde.
 

„In Ordnung“, sagte Kurata und lächelte verständnisvoll. „Wenn Sie es wirklich gar nicht erzählen können …“ Er sah mich einen Moment lang an, dann fragte er: „Wo leben Sie denn jetzt?“

Ich nannte den Namen meines Stadtviertels.

„Und leben Sie allein oder mit jemandem zusammen?“

Noch eine Frage, die den Druck steigen ließ. Bei der ich zwischen Ehrlichkeit und Angst schwankte, Angst davor, dass jemand schlecht von mir dachte und ich in diesem Fall vielleicht sogar meine Arbeit verlor.

„Ich habe … einen sehr guten Freund, mit dem lebe ich zusammen“, antwortete ich schließlich und schämte mich dafür, dass ich in diesem Moment nicht zu meiner Liebe stand. Vielleicht wäre es dumm gewesen, meinen Job zu riskieren, doch so zu lügen, kam mir einfach furchtbar vor.

„Wirklich? Ich hatte den Eindruck, Sie hätten eine Freundin“, sagte Kurata.
 

Jetzt wusste ich endgültig nicht mehr, was ich antworten sollte. Und der Druck stieg weiter. Genau dieser Druck, der in mir den Drang nach Schneiden und Brechen auslöste, und vor dem ich solche Angst hatte. Der Gedanke, mich zu verletzen, kam mir Stück für Stück immer mehr ins Bewusstsein, wurde immer klarer und mischte sich mit den durch Kuratas Frage wieder in mir aufgeweckten Erinnerungen an die Zeit nach Mamas Tod, meine Schuldgefühle kehrten zurück, brannten wie glühende Kohlen auf meinem Herzen, das sofort zu schmerzen begann.
 

„Aoba-san?“, hörte ich Kuratas Stimme wie durch dichten Nebel. „Alles in Ordnung?“

„Entschuldigen Sie …“, brachte ich mit zitternder Stimme heraus. „… Mir ist nicht gut …“

Jetzt bekam er auch noch mit, dass ich krank war … Das hatte ich beim Vorstellungsgespräch ziemlich gekonnt verheimlicht. Hätte er davon gewusst, dann hätte er mir vielleicht nicht die Frage nach dem Grund für meine Zeit auf der Straße gestellt.

„Wenn Sie sich krank fühlen, warum bleiben Sie dann nicht zu Hause?“, fragte er.
 

Mein Herz tat so weh, dass ich meine Hand darauf drückte, und ich spürte den Druck jetzt schon im Magen. So weit war es lange nicht mehr gekommen. Ohne ein Wort stand ich auf, verließ Kuratas Büro und ging den kurzen Gang hinunter, auf die Toiletten zu. Mein Kopf war wie ausgeschaltet, alles in mir wollte nur noch diesen entsetzlichen Druck abbauen, sonst nichts.

Ich öffnete mit der einen Hand die Tür und tastete mit der anderen in meiner Hosentasche nach meinem Klappmesser. Seit ein paar Tagen trug ich es wieder bei mir, aus einem starken Gefühl heraus. Immerhin bedeutete es mir ähnlich viel wie der silberne Ring, den ich von Mama hatte.
 

Ich schloss mich in die erste Kabine ein, sank mit dem Rücken gegen die Tür zu Boden und zog das Messer aus meiner Tasche.

‚Borderline‘, blitzte es durch meinen Kopf. ‚Krank, gestört, kaputt‘

Schlagartig stieg der Druck bis zum Anschlag, ich beugte mich vor, über die in den Boden eingelassene Toilettenschale, meine Hand umklammerte das noch geschlossene Messer, und ich erbrach das Wenige, was ich heute Morgen gegessen hatte.

Sobald der Druck ein wenig nachließ, schaltete sich mein Kopf wieder ein und mir wurde klar, was ich gerade getan hatte: Ich war rückfällig geworden, hatte gebrochen und das Messer in der Hand. Hatte mein Versprechen an Mama nicht halten können. Mein Herz raste, tat immer noch furchtbar weh, und schon spürte ich heiße Tränen in meinen Augen, ließ sie dann einfach fließen, weinte, bis meine Augen sich ganz trocken und leer anfühlten.
 

Irgendwann hörte ich, wie jemand an die Tür klopfte. Und dann Takashimas Stimme:

„Genki? Kurata sagt, du fühlst dich nicht gut? Kann ich dir irgendwas helfen?“

„Lasst mich doch alle in Ruhe!“, fauchte ich mit tränenerstickter Stimme.

„Was ist denn los?“, fragte er weiter, scheinbar unbeeindruckt von meiner wütenden Reaktion.

Ich war so aufgelöst, fühlte mich so kaputt und zerbrochen, dass ich nicht anders konnte, als ihn durch die Tür anzuschreien: „Ich bin krank, okay?! Total gestört! Ich hab ‘ne verdammte Borderline-Störung und ich komm damit nicht klar!“ Sofort bereute ich es, doch da waren die Worte schon draußen, gesagt, nicht mehr rückgängig zu machen.

„Borderline?“, fragte Takashima, klang ziemlich schockiert. „Also … hast du dich selbst verletzt?“

Ich hörte, wie er irgendwas rauskramte, dann ein Kratzen am Drehschloss der Kabinentür, und schließlich öffnete er sie. Ich drehte mich halb zu ihm um, er hatte eine kleine Münze in der Hand, mit der hatte er die Tür geöffnet.
 

„Lass mich in Ruhe“, sagte ich noch einmal, doch meine Stimme klang so völlig kraftlos, dass ich mir nicht mal selbst geglaubt hätte.

Takashima sah sich kurz in der winzigen Kabine um, und nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ich nicht blutete, hockte er sich neben mich und sah mich erst einfach nur an.

„Was ist denn passiert?“, fragte er schließlich.

„Ich weiß nicht … Kurata hat mich ein paar Sachen gefragt und … das hat … irgendwas in mir hochgeholt.“

„Er ist manchmal … ein wenig unsensibel“, sagte Takashima. „Aber warum hast du ihm denn nicht am Anfang schon gesagt, dass du nicht gesund bist?“

Meine Knie taten weh und ich setzte mich ein wenig anders hin, lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. „Dann hätte ich den Job hier doch gar nicht bekommen. Und außerdem … ich kann nicht so einfach drüber reden.“

„Okay, verstehe ich. Willst du dann jetzt … lieber nach Hause fahren?“
 

Sofort, als Takashima das sagte, fiel mir Meto wieder ein, der zu Hause auf mich wartete. Und dass ich ihm ebenfalls versprochen hatte, nicht wieder rückfällig zu werden. Er glaubte an mich, vertraute in meine Kraft und meinen Willen, gesund zu werden, und jetzt musste ich ihn enttäuschen, hatte es nicht geschafft.

War es denn überhaupt noch möglich, dass ich gesund wurde? Ich konnte mich ja kaum mehr daran erinnern, wie ich mich zuletzt wirklich gesund gefühlt hatte. Und war ich denn überhaupt jemals gesund gewesen?
 

Bei diesem Gedanken, und der Vorstellung, Meto zu beichten, dass ich gebrochen hatte, kamen wieder die Tränen, und obwohl ich mich vor Takashima schämte, zu weinen, konnte ich sie nicht zurückhalten.

Er streckte die Hand aus und legte sie locker auf meine Schulter. „Ich glaube, das geht in Ordnung, wenn du gleich nach Hause fährst. Ich sage Kurata, dass es dir wirklich schlecht geht, dann ist das schon okay“, sagte er. „Und wenn du nicht willst, dass ich das mit … Borderline irgendwem sage, dann behalte ich das auch für mich.“
 

Takashima half mir, aufzustehen, und wir verließen die Kabine. Auf dem Flur kam uns Ami entgegen.

„Genki? Was hast du denn?“, fragte sie besorgt, als sie meine rotgeweinten Augen sah.

Ich antwortete nicht. Ami wusste ja, was für Probleme ich hatte. Sie konnte sich wohl selbst zusammenreimen, dass ich an derselben Störung wie Hitomi litt, schließlich kannte sie sie gut.

„Ami, hast du eventuell die Zeit, Genki nach Hause zu begleiten? Ich will ihn jetzt ungern alleine losschicken“, sagte Takashima. „Ich sag Kurata Bescheid.“

„Ja, klar.“ Ami nickte und sah mich an. „Ist das für dich auch okay?“

Ich nickte, obwohl ich eigentlich gar nicht wusste, ob ich das wollte. Kam mir vor wie ein unfähiges Kind und fühlte mich schwach und unsicher.
 

Ich nahm meine Jacke und meine Tasche und machte mich in Begleitung von Ami auf den Weg zur Bahnstation. Sie fragte nicht viel, nur einmal, als wir schon in der Bahn saßen, ob ich mich jetzt ein wenig besser fühlte.

Ich schüttelte den Kopf, dachte an Meto und daran, wie enttäuscht er gleich sicher von mir war, wenn ich ihm sagte, was passiert war. Es tat mir so weh, seinen Glauben in mich enttäuschen zu müssen. Ich wollte ihm doch nicht wehtun!

Zwar spürte ich keinen Druck mehr, aber dieses Gefühl von Leere und Wut auf mich selbst war mindestens genauso schlimm. Ich wollte nur noch ins Bett und mich ausweinen.
 

„Genki, du wohnst doch nicht alleine, oder?“, fragte Ami, als wir an meiner Bahnstation angekommen waren.

„Nein“, antwortete ich, und weil ich nicht imstande war, zu lügen, sagte ich gleich die Wahrheit: „Ich lebe mit meinem Freund zusammen.“

„Deinem Freund? Also, festen Freund?“, hakte sie nach.

Ich nickte.

„Das ist gut, dann bist du nicht ganz alleine.“ Sie lächelte.

Kein ‚Oh, dann stehst du auf Männer?‘ und kein Blick, der mir sagte, dass ich negativ auffiel und anders war. Einfach nur ein Lächeln und die Erleichterung von Amis Seite, dass ich nicht alleine war.
 

Ami ging noch bis vor meine Haustür mit, dann kehrte sie in Richtung Studio zurück, und ich ging die Treppen rauf. Mit jedem Schritt nach oben wurde ich langsamer, während ich überlegte, wie ich meinem Liebsten meinen Rückfall erklären sollte. War er überhaupt schon da oder noch bei seiner Arbeit? Zum ersten Mal hatte ich Angst davor, ihn zu sehen.
 

Ich schloss die Tür auf und lauschte. Stille. Anscheinend war er noch nicht da. Ich zog meine Schuhe und die Jacke aus, hängte meine Tasche an die Garderobe und warf einen Blick ins Schlafzimmer, falls Meto sich, weil seine Arbeit ja schon anstrengend war, vielleicht hingelegt hatte. Doch unser Bett war leer. Meine Schritte trugen mich in die Küche, ich öffnete das Fenster und nahm meine Zigarettenpackung und mein Feuerzeug vom Fensterbrett, zündete mir die letzte in der Schachtel verbliebene Zigarette an und rauchte erst einmal, um den widerlich sauren Geschmack im Mund loszuwerden.

Auf dem Küchentisch lag ein Einkaufszettel und ich schrieb, nachdem ich mit dem Rauchen fertig war, unter die Auflistung von Essen in Metos ordentlicher Handschrift, mit meiner eigenen, flüchtigeren Schrift: Zigaretten, zwei Packungen.

Ich schloss das Fenster wieder und ging ins Schlafzimmer, legte mich angezogen aufs Bett und starrte an die Decke, wusste nichts mit mir anzufangen, fühlte mich für alles zu kraftlos. Und irgendwann schlief ich tatsächlich ein.
 

Ein metallisches Klappern weckte mich. Noch bevor ich die Augen öffnete, wusste ich, dass es sich um Metos Schlüsselbund handelte, das am Schloss unserer Wohnungstür herumgedreht wurde. Ich öffnete die Augen und hörte, wie die Tür klappte.

„Tsu? Bist du schon da?“, fragte die leise, in diesem Moment, vielleicht vom langen Schweigen bei der Arbeit, leicht raue Stimme meines Liebsten. Wahrscheinlich sah er meine Schuhe im Flur stehen.

Ich gab nichts weiter als ein leises Brummen von mir, und da stand Meto auch schon in der Tür zum Schlafzimmer. Ich wusste nicht, woran genau er es merkte, aber ihm fiel offenbar sofort auf, dass es mir nicht gut ging, denn er fragte: „Alles okay bei dir?“
 

Ich setzte mich auf und sah ihn an. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Sollte ich ihm gleich sagen, dass ich das Versprechen gebrochen hatte? Oder damit noch warten?

„Ich … bin früher von der Arbeit weg“, antwortete ich schließlich.

„Wieso? Geht’s dir nicht gut?“ Meto kam näher und setzte sich auf die Bettkante, ergriff meine Hände und hielt sie fest. „Du siehst ganz blass aus, Tsuzuku.“

„Ich fühl mich auch nicht gut. Ich …“, begann ich, und dann kam es einfach so raus: „Meto, ich muss dir was beichten. Ich … hatte da heute auf der Arbeit einen totalen Zusammenbruch. Und ich hab … ich hab mich wieder übergeben.“

Er sah mich tief erschrocken an. „Du hast was?!“

Ich nickte nur.

„Aber du … du hattest doch Samstag erst noch mal versprochen, dass du’s nicht mehr tust!“

Ich konnte ihn nicht ansehen, blickte auf die Bettdecke. „Es ist einfach so passiert.“
 

Mein Herz klopfte wieder schneller und ich spürte meine Wut auf mich selbst, war von mir selber genauso enttäuscht, wie Meto jetzt sicher von mir war. Und da ging es los in meinem Kopf, die Abwärtsspirale voller Wut, Abwertung und Selbsthass.

‚Du bist so schwach, Tsuzuku, so völlig unfähig! Du schaffst es einfach nicht! Nicht mal deine eigenen Versprechen kannst du halten, und du enttäuschst alle Menschen um dich herum‘, schrie es in meinem Kopf, und ich verspürte den starken Drang, meine Haut aufzukratzen. Doch es war nicht der altvertraute Druck, der mich drängte, und auch nicht der mir ebenso bekannte Wunsch, mich selbst für irgendeine Schuld zu bestrafen. Ich wollte einfach bluten.

„Tsu?“, sprach Meto mich an, konnte mir wahrscheinlich anmerken, dass ich binnen Sekunden innerlich vollkommen abgestürzt war.

„Ich bin so unfähig …“, kam es über meine Lippen. „So wahnsinnig unfähig …“

„Bist du nicht! Tsuzuku, solche Rückfälle passieren nun mal. Es kommt jetzt nur darauf an, dass du nicht aufgibst!“
 

‚Du bist krank, unheilbar gestört‘, flüsterte es in meinem Kopf, ein kaltes, gehässiges Flüstern. Es war keine richtige Stimme in dem Sinne, doch das musste es auch gar nicht sein. Meine Gedanken und Gefühle reichten aus, um mich zu quälen, da brauchte es keine psychotische Stimme oder dergleichen.

‚Borderline ist nicht heilbar. Du wirst jetzt damit leben müssen, Menschen zu enttäuschen, und zu leiden. Und du wirst nie wieder gesund‘, flüsterte es weiter. Und dann, als Meto aufstand und meine Hände losließ: ‚Er liebt dich nicht. Nicht wirklich. So was wie dich kann man nämlich gar nicht lieben‘
 

Ich kam nicht dagegen an. Die in meinem Kopf geflüsterten Worte tropften in mein Herz, breiteten sich aus wie flüssiges, glühend heißes Wachs, verursachten mir solche Schmerzen, dass ich nicht mehr klar denken konnte.

„Meto?“

Er blieb stehen, drehte sich um.

„Wo willst du hin?“

„Dir was zu Trinken holen. Du bist immer noch so blass.“

„Meto, liebst du mich eigentlich wirklich?“ In mir spannte sich etwas, ein Bogen, bereit, einen spitzen Pfeil in irgendeine Richtung abzuschießen. Auf mich selbst. Oder auf jemand anderen.

„Tsuzuku, warum fragst du so was?“

Eine seltsame Empfindung ergriff mich, ich fühlte mich wie zweigeteilt. Ein Teil zerriss sich vor lauter Energie und Gefühl, der andere wurde kalt. Ganz kalt.

Ich stand auf, die Anspannung stieg, der Bogen spannte sich weiter.

„Weil ich krank bin! Komplett krank und gestört!“, antwortete ich laut. „So was wie mich kann man doch gar nicht lieben! Also tust du es nicht wirklich!“ Der Pfeil tat mir weh, als er abgeschossen wurde. Doch das war nur der Rückstoß. Denn getroffen hatte er nicht mich, sondern Meto.
 

Und als wäre der Pfeil echt gewesen und nicht nur ein Bild meiner Gedanken, taumelte mein Freund wie getroffen zurück, sah mich erschrocken und fassungslos an.

„D-du … du glaubst … dass ich … dass ich dich nicht wirklich liebe?!“, brachte er heraus.

Der kalte Teil in mir vermischte sich auf verdrehte, gestörte Weise mit dem emotionalen Teil, und ich bekam nur noch irgendwo am Rande mit, dass ich gerade vielleicht gar nicht wusste, was ich tat. Alles drehte sich in einem Strudel aus tiefschwarzer Dunkelheit, immer weiter und weiter, bis ich vollkommen die Kontrolle verlor.

„Ich hab Borderline! Du weißt nicht, was das heißt, sonst würdest du nicht denken, dass du mich liebst!!“, schrie ich. „Also seien wir ehrlich!“

Zuerst sah er mich eingeschüchtert an, schien beinahe Angst vor mir zu haben. Doch dann wurde er wütend. So wütend, wie ich ihn noch nicht gesehen hatte.

„Tsuzuku, du weißt doch gar nicht, was du da redest!! Und falls du es doch weißt, falls du das gerade ernst meinst, dann tut’s mir Leid, dass ich dich trotzdem liebe! Aber, weißt du, ich glaub dir diesen ganzen Scheiß gerade nicht mal! Und jetzt geh, verschwinde, irgendwohin, ist mir egal, und komm erst wieder, wenn du wieder weißt, wer du bist!! Vorher brauchst du nicht wieder bei mir anzukommen!“, schrie er zurück und deutete dann auf die Tür.

Ich sah Tränen in seinen Augen, wusste, ich hatte ihn wirklich verletzt, doch ich war nicht imstande, irgendwas in der Art einer Entschuldigung zu sagen oder zu tun. Und dafür war es offenbar auch zu spät. Er wollte mich jetzt nicht mehr sehen.
 

Ich ging an ihm vorbei auf den Flur, zog meine Schuhe an und nahm meine Jacke. Und kurz bevor ich die Tür hinter mir mit einem Knall zuschlug, hörte ich Meto im Schlafzimmer laut aufschluchzen.

Ich rannte die Treppen runter, knallte die Haustür ebenfalls hinter mir zu und lief einfach los, irgendwohin, Richtung egal. Rannte und rannte, bis ich keine Luft mehr bekam und mit brennenden Lungen keuchend stehen blieb. Es war dunkel und ich wusste nicht, wo ich war. Hohe Wohnblöcke, ein kleiner Park, ein Zigarettenautomat, auf der anderen Straßenseite ging eine Frau mit Kinderwagen entlang, in dem Park hingen ein paar Jugendliche herum.
 

Zigaretten. Mir fiel wieder ein, dass ich keine mehr hatte. In meiner Jackentasche mussten noch ein paar Münzen sein. Ich ging auf den Automaten zu, kramte in meiner Tasche, fand dreihundert Yen, genug für eine kleine Packung, welche ich nach Einwurf der Münzen aus dem Automaten zog. Erst dann fiel mir ein, dass mein eines Feuerzeug auf dem Fensterbrett in der Küche lag und das andere in einem Seitenfach meiner Umhängetasche steckte. Die ich nicht dabei hatte. Na toll!
 

Ich lief einfach weiter, kam bald in eine edlere Gegend mit schicken, großen Häusern und ordentlichen Gärten hinter hohen Zäunen. In der Ferne hörte ich jetzt das Meer rauschen und da wusste ich wieder ungefähr, wo ich war. Ich ging dem Meeresrauschen entgegen, wollte zum Strand, hoffte, dass ich dort ein bisschen Ruhe finden würde. Irgendwo, in der Nähe einer gewaltigen Mauer aus dreikantigen Wellenbrechern, kam ich aus der Stadt raus, roch das Meersalz und spürte den Wind in meinen Haaren. Es erinnerte mich an den Abend neulich, als ich mit Meto im Schwimmbad gewesen war.
 

Meto. Sofort sah ich wieder sein Gesicht vor mir, die Tränen in seinen Augen, und hörte seine Worte wieder, seine Wut. Jetzt hatte ich ihm wirklich wehgetan, das wusste ich. Doch ich war innerlich noch zu aufgeladen, um daran zu denken, jetzt zurück zu laufen und mich zu entschuldigen.

Stattdessen lief ich runter zum Strand, fand dort bald eine hinter hohem Gras versteckte Bank und setzte mich, starrte aufs Meer raus. Irgendwann zog ich das Messer aus meiner Hosentasche, hielt es einfach geschlossen in der Hand, um mich an irgendetwas festzuhalten. Es gab mir Sicherheit, dass ich es dabei hatte. Sollte der Druck in mir wieder steigen, würde ich etwas dagegen zu tun wissen. Auch, wenn das ganz und gar nicht gut war.
 

Und als hätte ich die schlechten Gefühle und Gedanken damit heraufbeschworen, waren sie kurz darauf da, der schwarze Strudel in meinem Kopf begann wieder, sich zu drehen, meine Hände zitterten und der Gedanke, dass ich bluten wollte, war schneller da, als dass ich irgendwas dagegen hätte tun können. Ich zog meine Jacke aus, den Ärmel meines von mir aus linken Armes hoch, wo zwischen den Tätowierungen noch ein wenig Platz war.

Kurz dachte ich daran, dass ich mich zuletzt geschnitten hatte, kurz bevor Meto und ich ein Paar geworden waren, damals im Akutagawa-Park. Ich erinnerte mich an das Pflaster, das Haruna auf den Schnitt geklebt hatte. So lange war ich schon weg von der Klinge, dachte ich, und jetzt stand ich wieder an diesem Punkt und wollte mich verletzen. Einen Moment lang hätte ich das Messer beinahe wieder weggesteckt, doch dann kam mir der Gedanke, dass ich heute, wo ich sowieso rückfällig geworden war, mich auch ebenso gut schneiden konnte.
 

Ich klappte die Klinge aus, versuchte, in der Dunkelheit möglichst eine Stelle zu finden, wo ich keines meiner Tattoos beschädigte, und drückte die Klinge in meine Haut, erst die Spitze, dann langsam die ganze Schneide. Schon der erste Schmerz, bevor es blutete, entspannte mich wieder, und als der erste kleine Blutstropfen austrat und sanft kitzelnd über meine Haut rann, fühlte es sich einen Moment lang richtig gut an, beinahe … süß.

Ich spürte, dass das bereits genügte. Mehr brauchte ich in diesem Moment nicht. Nur diesen einen, süßen kleinen Blutstropfen. Ich hob den Arm und leckte den Tropfen von meiner Hand. Zog den Ärmel wieder runter und die Jacke wieder an. Weinte nicht. Saß einfach nur da und schaute wieder aufs Meer.
 

Auf einmal hörte ich leise Schritte auf dem Sand. Und als sich jemand neben mich setzte, sah ich zuerst nur halb auf. Und spürte ein kleines Gefühl, das ich vor Monaten schon einmal empfunden hatte. Eine Erinnerung.

„Tsuzuku? Bist du das?“

Ich schreckte zusammen, sah jetzt richtig hin. Knapp schulterlange schwarze Haare, eine auffallend schmale Gestalt, ein scheues, kleines Lächeln. Hitomi.

Ich starrte sie zuerst einfach nur an, sie blickte aufs dunkle Meer hinaus, hatte mich längst erkannt.

„Hitomi“, sagte ich schließlich leise. „Ich dachte, du bist … im Krankenhaus?“

Sie sah mich an, wieder dieses scheue Lächeln. „Ich bin nicht auf der Geschlossenen, falls du das meinst. Ich komme oft abends hierher. Es ist so schön still hier.“

„Ich hab …“, begann ich, brach dann aber ab.

Hitomi sah mich aufmerksam an und sagte dann: „Meine beste Freundin Ami war vorhin bei mir. Du kennst sie, oder?“

Ich nickte.

„Sie nennt dich Genki.“

„Sie ist ja auch meine Kollegin bei der Arbeit“, sagte ich.

„Soll ich lieber Genki oder Tsuzuku zu dir sagen?“

„Wie du möchtest …“

„Dann bleib ich dabei, dass ich dich Tsuzuku nenne. Der Name gefällt mir.“ Sie lächelte wieder, anscheinend ging es ihr gut.
 

„Wie geht es dir?“, fragte sie nach einer Weile.

Zuerst wollte ich lügen, verheimlichen, was heute passiert war, doch dann dachte ich: ‚Das ist Hitomi. Wenn ich zu irgendwem, was das angeht, ehrlich sein kann, dann zu ihr‘

„Mir geht’s nicht gut. Ich hatte heute ‘nen sehr harten Tag … und vorhin … hab ich … mich auch noch ganz furchtbar mit meinem Freund gestritten …“ Wieder spürte ich heiße Tränen in meinen Augen. Es kam mir vor, als hätte ich den halben Tag geweint, und so gab ich mir keine Mühe, es jetzt zurückzuhalten. Ich fühlte Hitomis Arm um meine Schultern, ihren schmalen Körper nah bei meinem, hörte ihre ruhige Stimme, die leise sagte: „Es kommen auch wieder gute Phasen, Tsu. Es gibt die schlechten Phasen, aber eben auch die guten. So ist das … bei uns.“

„Woher …“, fragte ich mit tränenerstickter Stimme, „Woher hast du das damals gewusst, dass ich …“

„Ich hab so was im Gefühl, ich merke das sofort. Weil ich viel darüber weiß, wie es ist … so zu sein.“
 

Sie stand auf und zog ihre Jacke aus. Schob die Ärmel ihres Oberteils zurück und hielt mir ihren Arm hin. Ich erkannte zahlreiche Narben, manche blass, manche noch leicht rot. „Siehst du? Es kommt einem so vor, als würden die schlechten Phasen unser Leben bestimmen, weil sie eben diese Spuren hinterlassen. Aber, und das kennst du ganz bestimmt auch, es gibt auch genug dieser Momente, wo es uns auf einmal richtig gut geht, oder?“

Ich nickte, dachte daran, wie oft ich Meto aus einem Überschwang an gutem Gefühl plötzlich küsste, und dass ich manchmal einfach so aus dem Nichts glücklich war.

„Mir geht es heute zum Beispiel wirklich gut. Und deshalb helfe ich dir gerne. Wir müssen doch zusammenhalten, oder?“

„Club der Gestörten …“ Ich lächelte ironisch.

Hitomi lachte. „Nenn es, wie du willst.“ Und dann: „Hast du jetzt eigentlich ein Handy? Ich könnte dir meine Nummer geben, dann kannst du mich anrufen, wenn’s dir schlecht geht.“

„Hab’s nicht dabei.“

Hitomi öffnete ihre Handtasche, kramte darin herum und zog Zettel und Stift heraus, schrieb eine Nummer auf und gab sie mir.
 

Wir blieben noch eine Weile so sitzen und blickten aufs Meer raus. Irgendwann stand Hitomi auf und sagte: „Ich muss zurück zur Klinik. Und du solltest dich auch auf den Heimweg machen und dich bei deinem Freund entschuldigen. Weiß er, dass du Borderline hast?“

Ich nickte. „Aber er weiß nicht wirklich, was das ist.“

„Erklär es ihm. Es gibt auch Bücher für so was. Keine Diagnosenbücher, die sind nicht gut, sondern welche speziell dafür, anderen zu erklären, warum wir so sind, wie wir sind. Ich hab so eines, das kann ich dir leihen.“

„Danke“, sagte ich. „Sag mal … wie machst du das, dass du so dazu stehst?“

„Es ist ein Teil von mir. Also warum sollte ich nicht offen damit umgehen? Ich kann das zwar auch nicht immer, aber im Grunde … Ich hab mir das mehr oder weniger selbst beibringen müssen.“

„Ich glaube, du hast mich gerade ein bisschen gerettet“, gab ich zu.

Hitomi lächelte wieder und zog ihre Jacke an. Dann drehte sie sich um, hob noch einmal die Hand, rief: „Bis dann!“, und ging davon.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder den Weg nach Hause gefunden hatte. Auf dem langen Weg zurück dachte ich über alles nach, was Hitomi gesagt hatte. Sie war schon viel weiter als ich, zumindest kam es mir so vor. Im Gegensatz zu mir haderte sie nicht mehr damit, was in ihr war. Oder, vielleicht tat sie es doch, war nur gerade heute eben gut drauf.

Aber ich spürte, dass sie Recht hatte, wenn sie sagte, dass es neben den schlechten Zeiten auch die guten gab, und dass die genauso wichtig waren. Auch, wenn wir beide Narben trugen, manchmal ging es uns ja wirklich gut.
 

Als ich schließlich wieder vor der Haustür stand, musste ich mich durchklingeln, bis irgendjemand im Haus öffnete und ich nach oben konnte. Ich hatte meinen Schlüssel nicht dabei und wollte gerade klingeln, da sah ich, dass die Tür nur angelehnt war, gerade so, dass man es nicht sah, ich aber trotzdem rein konnte.

Mit klopfendem Herzen zog ich meine Schuhe aus, hängte meine Jacke auf und betrat vorsichtig meine Wohnung, in der ich mich doch seltsam fremd fühlte. Die Schlafzimmertür war offen und ich sah Meto mit dem Rücken zu mir im Bett liegen, das Licht war schon aus.
 

Am besten holte ich einfach meine Decke und Kissen und machte mir ein Lager auf der Couch. So leise ich konnte, schlich ich zum Bett, wollte gerade nach meiner Decke greifen, da hörte ich Metos Stimme: „Da … bist du ja wieder.“ Er klang anders als sonst, ein bisschen heiser, so, als hätte er viel geweint.

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Nahm mir schließlich meine Decke und wollte ins Wohnzimmer verschwinden. Doch mit einem Mal richtete Meto sich auf und hielt die Decke fest.

„Ich dachte, … ich schlaf jetzt wohl besser auf der Couch“, sagte ich leise.

Er sah mich einfach nur an, ich wich seinem Blick aus, eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus.
 

„Bist du wieder du selbst?“, fragte er schließlich.

Ich nickte. „Ja. Und ich wollte mich auch bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, wirklich.“

Ein winziges Lächeln huschte über Metos vollen Lippen, er ließ sich wieder ins Kissen sinken, und ich fragte: „Bist du … noch wütend?“

„Ich weiß nicht …“, antwortete er. „Aber, wenn du das meinst: Ich liebe dich noch. Und ich werde dich immer lieben. Ich ertrage es nur nicht, dass du das infrage stellst.“

„Das tu ich nicht mehr, das infrage stellen. Ich ver…“

„Versprich nichts, was du nicht halten kannst.“ Er sah mich ernst an, dann lächelte er. „Und jetzt komm her. Du wirst heute Nacht sicher nicht auf dem Sofa schlafen.“
 

Ich zog mich bis auf die Shorts aus, dann legte ich mich, noch zögerlich, ins Bett, mit ein wenig Abstand zu meinem Freund. Doch er kam selbst näher, legte sich ganz nah neben mich und seine Hand auf meine Brust, seine Lippen waren nah an meinem Ohr und ich hörte ihn atmen.

„Das Bett war so leer ohne dich, Tsuzuku“, flüsterte er und küsste meine Wange.

Ich fühlte mich ein bisschen so wie nach einem heftigen Sommergewitter. So, als räumten wir jetzt zusammen langsam alles wieder auf, was der Sturm durcheinander gewirbelt hatte. Es hatte zum ersten Mal richtig zwischen uns gekracht, deshalb wussten wir beide nicht recht, was zu tun war, doch zumindest Meto tat das richtige, war einfach nah bei mir.
 

„Ich hatte … richtig Angst, dass du … mich nicht mehr liebst“, sagte er leise. „Wie kannst du glauben, dass ich dich nicht liebe?“

Ich wollte antworten, erklären, doch er legte mir den Finger auf die Lippen. „Shhh, nichts sagen. Wir küssen das jetzt weg und morgen können wir in Ruhe darüber reden.“ Meto beugte sich über mich und dann lagen auch schon seine Lippen auf meinen, ein süßer Versöhnungskuss, der mein verletztes Herz zumindest für den Moment wieder heilte.
 

„Morgen müssen wir wirklich reden. Ich … hab dir ein bisschen was zu sagen“, sagte ich danach und dachte an das, was Hitomi von wegen bestimmter Bücher gesagt hatte.

„Was denn?“

„Wegen … Borderline. Ich muss dir … das noch mal richtig erklären.“

„Ich dachte, du wolltest nicht, dass ich was darüber weiß“, sagte Meto.

„Wollte ich auch nicht. Aber … du musst was wissen. Du lebst hier mit mir zusammen, ich will mein Leben mit dir verbringen, da kann ich dich nicht unwissend lassen.“

Er nickte. „Das stimmt wohl.“

„Aber da reden wir morgen drüber“, sagte ich dann.
 

Meto lächelte, setzte sich auf und zog sein Schlafshirt und seine Shorts aus. Legte sich dann wieder zu mir, ganz nah, Haut an Haut. Ich streckte die Hand aus und berührte seine Brust, streichelte das bunte Baby auf seiner Haut, er lachte leise und küsste mich wieder, was mich ermutigte, sodass ich vorsichtig seine weichen Brustwarzen berührte. Er seufzte angetan, schmiegte sich an mich, küsste meinen Hals und fuhr mit der Hand durch meine Haare. Mit einem Mal war die Welt wieder in Ordnung, ich fühlte mich wieder gut und spürte, wie mich jede kleine Berührung und Zärtlichkeit langsam erregte, und wie gut mir das tat.
 

Meto umarmte mich, zog mich mit einem Ruck an sich, sodass ich auf einmal auf ihm lag, zwischen seinen Beinen, die er anzog und mir so zu verstehen gab, was er wollte: Süßen, heißen, liebevollen Versöhnungssex.

Ich richtete mich auf und streifte meine Shorts ab, löste mich kurz von ihm, und kam gleich darauf mit Gleitmittel und Kondom zu ihm zurück. Er brauchte nur ein wenig Vorbereitung, weniger als sonst, es ging ganz leicht. Ich liebte ihn vorsichtig, zärtlich, und doch mit der Energie und Leidenschaft, die er sich wünschte. Und als ich in ihm kam, im selben Moment wie er, da wünschte ich mir, dass etwas von mir in ihm zurückblieb, als Beweis und Sicherheit, an die er denken konnte, sollten wir noch mal so streiten und ich solche furchtbaren Dinge zu ihm sagen.
 

Danach lag ich in seinen Armen, dachte an nichts weiter, als dass ich bei ihm war und ihn unendlich liebte. Morgen war morgen, später, jetzt nicht wichtig. Irgendwo in meinem Hinterkopf plante es zwar ein wenig, morgen zu Hitomi zu gehen und das Buch von ihr auszuleihen, um dann mit Meto darüber zu sprechen, doch das war Hintergrunddenken, das ich leicht beiseiteschieben und jetzt ruhig einschlafen konnte.
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich leichte Kopfschmerzen. Wahrscheinlich, weil ich gestern so viel geweint hatte. Emotional fühlte ich mich jedoch einigermaßen gut, hatte aber absolut keine Lust, heute zur Arbeit zu gehen. Auch, weil ich Kurata nicht sehen wollte.

Meto schlief noch, hatte Ruana im Arm, was sehr, sehr süß aussah, und ich stand leise auf, um ihn nicht zu wecken, ging ins Bad und versuchte, meine Kopfschmerzen mit einer heißen Dusche zu bekämpfen. Die Uhr im Bad zeigte sechs Uhr zwanzig an, früh genug, und ich beschloss, mich mal so richtig ordentlich zu waschen, danach einzucremen und mich allgemein heute wirklich gut um mich selbst zu kümmern.
 

Als das heiße Wasser über den Schnitt an meinem Arm lief, spürte ich ein leichtes Brennen und sah hin. Die Haut dort war ziemlich gerötet und es war nur allzu deutlich zu sehen, dass dieser Schnitt nicht einfach irgendein Kratzer war. Aber ich ließ mich von dem Anblick meiner Selbstverletzung nicht runterziehen. Es war eben passiert und im Moment fühlte ich mich stark genug, nach dem kompletten Rückfall gestern aus dem Tag heute eine Art Neuanfang zu machen.

Was hatte Hitomi doch gestern zu mir gesagt? Es kamen auch immer wieder gute Phasen. Und ich kam selbst auf den Gedanken, dass es diese guten Zeiten waren, auf die es ankam. Das Gespräch mit ihr gestern fühlte sich auch im Nachhinein noch gut an, und ich spürte, wie für mich das Wort ‚Borderline‘ ein bisschen was von seinem Schrecken verloren hatte.
 

Ich war froh, Hitomis Nummer zu haben, und fragte mich, warum ich eigentlich solche Angst gehabt hatte, sie wiederzusehen. Sie war mir nicht nur sympathisch, sondern verstand mich auch gut und vielleicht war sie diejenige, die mir wirklich helfen konnte, mit meinem Problem umzugehen, weil sie einfach dasselbe durchmachte und sich dabei eine gewisse Selbsterkenntnis angeeignet hatte.
 

Als ich mit Duschen fertig war, nahm ich mir von Metos Bodylotion und cremte mich damit einmal so richtig ein. Die Lotion roch gut und es fühlte sich schön an, mich einmal komplett damit zu verwöhnen. Ich entdeckte ein paar trockene Hautstellen an meinen Beinen, die mir sonst bestimmt nicht aufgefallen wären, und cremte diese besonders gut ein, dann zog ich meinen Yukata über und ging ins Schlafzimmer zurück. Meto war inzwischen aufgewacht und aufgestanden, hatte sich angezogen und machte gerade das Bett.
 

„Gehst du heute arbeiten oder meldest du dich krank?“, fragte er.

„Ich rufe gleich im Studio an und nehme mir einen Tag frei“, antwortete ich.

„Und was machen wir heute?“

„Ich habe gestern zufällig Hitomi getroffen, als ich weg war. Sie will mir ein Buch ausleihen, das würde ich dir dann gern zeigen.“

„Die Hitomi?“, fragte Meto. „Sagtest du nicht mal, sie sei im Krankenhaus?“

„Ist sie auch, aber nicht auf der Geschlossenen. Ich wollte sie heute Vormittag kurz besuchen.“

„Du magst sie, ne?“ Meto sah mich einen Moment nachdenklich an, dann fragte er: „Sie versteht dich besser als ich, oder?“ Er setzte sich aufs Bett und blickte zu Boden.

„Hey, du musst nicht eifersüchtig sein, okay? Hitomi ist einfach … na ja, sie kennt das eben, wie ich mich fühle, weil es ihr ähnlich geht. Das ist ziemlich was anderes, als meine Liebe zu dir oder wie ich mit Koichi befreundet bin.“

Meto sah auf, lächelte mich an. „Das ist schön, dass sie dich gut versteht.“
 

Ich suchte mir Klamotten aus dem Schrank, den dunkelroten Pullover und die enge schwarze Jeans, dazu eine Kette mit Kreuz, meine Uhr und das schwarze Lederarmband. Viel Lust, mich noch zu schminken, hatte ich heute nicht, und die Kontaktlinsen ließ ich auch weg.

Fertig angezogen, holte ich mein Handy aus meiner Tasche im Flur und machte ein Foto von meinem Look heute. Es war das erste Bild, das ich von mir mit diesem Handy machte, und ich hatte vor, mir demnächst mal wieder einen Account irgendwo zu machen und das Bild hochzuladen.
 

Ich behielt das Handy in der Hand und rief im Studio an, um mich für heute abzumelden. Kurata ging ran und fragte, ob es mir besser ging. Ich antwortete, dass es schon okay war, und sagte dann, dass ich mir einen Tag Urlaub nahm. Er schrieb das auf und riet mir, zum Arzt zu gehen, was ich jedoch verneinte und sagte, dass ich schon allein zurechtkam.

Ich wollte nicht zu einem Arzt gehen. So jemandem zu erklären, warum ich Narben von Schnitten hatte und zu wenig wog, erschien mir viel zu schwer. Es war eine Sache, mit Meto, Koichi, oder mit Hitomi über meine Probleme zu sprechen, doch mit einem Arzt, Psychiater oder Psychologen zu sprechen, das war noch mal was ganz anderes und es machte mir Angst.
 

Meto und ich frühstückten ein wenig, dann gab er mir einen Kuss und ging los zur Arbeit ins Café. Ich blieb noch ein wenig in der Küche, rauchte meine allmorgendliche Zigarette und schaute aus dem Fenster. Dann zog ich meine Jacke an, nahm meine Tasche und machte mich auf dem Weg zur Klinik, um Hitomi zu besuchen.

Auf dem Weg dachte ich an Koichi, daran, ob ich ihm von meinem Rückfall erzählen sollte oder nicht. Ich wollte nicht, dass er sich wieder Sorgen um mich machte, aber andererseits wollte ich, dass er über meine Situation so genau wie möglich im Bilde war. Wahrscheinlich würde Meto ihm heute so oder so seinen Teil des gestrigen Tages erzählen …

Schließlich schrieb ich ihm eine Nachricht:

„Hey, Ko. Ich würde heute Nachmittag gerne mit dir sprechen. Ruf mich bitte an, wenn du mit der Arbeit fertig bist. Tzk“
 

Die Klinik war nicht allzu weit von unserem Haus weg, nur ein paar Straßen. Ich ging am Sportstudio vorbei, in dem ich bisher nur einmal gewesen war, um mich anzumelden, und dachte an den Trainingsraum im Tempel, den ich genutzt hatte, um mich auszupowern, damit ich mich nicht schnitt. So hart zu trainieren, dass mein ganzer Körper schmerzte, war zwar auch am Rande der Selbstverletzung, aber ich trug keine Narben davon, stattdessen hatte es den Mehrwert, dass ich mich selbst schöner fand, wenn ich ein bisschen Muskeln aufbaute.

Als ich dann vor der Klinik stand und das Schild sah mit der Aufschrift ‚Psychiatrische Klinik‘, bekam ich auf einmal Angst. Angst, hier irgendwann als Patient her zu müssen, über Nacht, mit fremden Menschen und ohne Meto. Hoffentlich merkte mir heute niemand an, dass ich krank war, und ich galt einfach nur als Besucher.
 

Ich betrat das Vorgebäude und ging gleich zum Informationsschalter.

„Guten Tag, mein Name ist Aoba. Ich möchte jemanden auf Station besuchen.“

Die Dame hinter der Glasscheibe sah mich an und ich bildete mir ein, dass sie mir ansah, dass ich zu dünn war. Wer hier tagtäglich mit psychisch Kranken zu tun hatte, entwickelte bestimmt einen Blick dafür, ob jemand einfach nur so untergewichtig war oder wegen psychischer Probleme.

„Wen und auf welcher Station?“, fragte sie.

Das hatte Hitomi vergessen, mir zu sagen, auf welcher Station sie war.

„Kameyama Hitomi, eine Freundin von mir. Die Station weiß ich nicht“, antwortete ich.

Die Dame gab etwas in ihren Computer ein, suchte darin irgendetwas heraus und sagte dann: „Das ist die offene Station 3, die ist hier im Gebäude, im vierten Stock.“ Sie deutete auf eine breite Treppe, auf der gerade eine Krankenschwester in weißer Arbeitskleidung herunter kam.
 

Ich bedankte mich und ging die Treppe rauf, mein Herz klopfte und ich spürte diese Klinikatmosphäre, die ich zuletzt gespürt hatte, als ich mit achtzehn mal körperlich krank und sicherheitshalber eine Nacht im Krankenhaus gewesen war. Doch das hier war noch wieder irgendwie anders, schlimmer. Ich war jemand, der hier eigentlich behandelt werden sollte, aber nicht wollte, dass man ihm das anmerkte.
 

Als ich im vierten Stock ankam und die Glastür öffnete, auf der in weißen Zeichen ‚Station 3‘ stand, verspürte ich leichtes Herzrasen und meine Hände zitterten.

‚Ganz ruhig, Tsuzuku, du willst doch nur Hitomi besuchen‘, sagte ich mir und ging den Gang hinunter. An der einen Seite standen eine Reihe Stühle und da saßen Leute, Patienten vermutlich, die von Büchern und Handarbeiten aufblickten, als ich vorbeiging.

Eine Krankenschwester kam mir entgegen und fragte: „Guten Tag, sind Sie ein Besucher?“

Ich nickte. „Ich möchte Kameyama Hitomi besuchen.“

„Kameyama-san ist gerade in der Gruppentherapie. Die ist in fünfzehn Minuten vorbei, dann können Sie mit ihr sprechen.“ Sie deutete auf die Stühle an der Wand. „Setzen Sie sich doch.“
 

Es wurden recht lange fünfzehn Minuten. Ich saß da und blickte an die weiße Wand mir gegenüber, traute mich nicht so recht, die anderen Leute anzusehen. Doch lange konnte ich nicht die Wand anstarren, es zog meinen Blick sehr bald zu den Menschen um mich herum. Sie waren ganz unterschiedlich alt, zwei, ein Mann und eine Frau, waren ungefähr vierzig, eine Frau war in meinem Alter, daneben saßen eine ältere Dame und ein noch ziemlich jung aussehendes Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt.

Das Mädchen schaute mich an und ich fühlte mich wiederum so ertappt, wich ihrem Blick aus. Sie ähnelte Hitomi irgendwie, war auch so dünn wie sie und ich, und hatte diese blassen Narben auf den Unterarmen. Eine merkwürdige Empfindung ergriff mich, eine Mischung aus Angst und Neugier, gemischt mit der Erkenntnis, dass ich nicht der einzige war, der unter solchen Problemen litt.
 

„Du willst Hitomi besuchen?“, fragte das Mädchen auf einmal, stand auf und setzte sich einen Platz weiter, direkt neben mich. Sie sagte einfach ‚du‘ und wirkte auf einmal so offenherzig, dass es mich an meine eigenen plötzlichen Schwankungen erinnerte.

Ich nickte.

„Wie heißt du?“

„Tsuzuku.“

„Das ist aber ein schöner Name.“ Sie lächelte, stand auf und stellte sich vor mich hin. „Ich bin Maya. Weißt du, es ist ein bisschen langweilig hier, deshalb bin ich immer froh, wenn jemand von draußen kommt und was zu erzählen mitbringt. Hast du was zu erzählen?“

Ich zuckte mit den Schultern. Die Art, wie Maya redete und mich ansah, wie sie da vor mir stand und in einer Tour redete, passte sehr gut in diese Umgebung. Und ich dachte an mein Leben früher, als ich noch nicht diese große Angst vor Menschen gehabt hatte und ähnlich auf Leute zugegangen war.

„Komm, erzähl mal was! Woher kommst du, was machst du, magst du Hitomi? Sie ist nett, oder?“

„Ja, ich mag sie auch. Sie ist … eine gute Freundin von mir“, antwortete ich.
 

„Oh!“, rief Maya auf einmal aus, strahlte mich an und deutete auf meine Hand, auf die beiden kleinen Tattoos auf meinen Fingern. „Die sind ja toll! Hast du noch mehr?“

Ich zog die Ärmel meines Pullovers bis zum Ellbogen hoch. Und zu spät fiel mir ein, dass ich links ja noch den Schnitt von gestern hatte.

„Woah, sind die toll! Ich will auch welche haben, aber ich darf nicht.“ Sie schien den Schnitt gar nicht zu bemerken. Vielleicht war so was hier einfach … fast schon normal …?

„Warum nicht?“, fragte ich. „Bist du noch nicht alt genug?“

„Ach, nee, alt genug bin ich. Aber die Ärzte hier wollen das nicht. Leute mit Borderline dürfen sich während der Behandlung nichts stechen lassen.“ Auf einen Schlag war ihre überschwängliche Begeisterung verflogen und sie klang fast schon ein wenig wütend. „Aber wenn ich in hier wieder raus bin, dann können die mich alle mal!“

Ich sagte nichts dazu, wusste auch nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich auch so war? Dass mir dieses Wort ‚Borderline‘ immer noch kalte Schauer über den Rücken jagte?
 

In dem Moment klappte weiter hinten im Gang eine Tür, ich sah hin und erblickte Hitomi, die mich sofort erkannte und lächelte.

„Tsu!“, rief sie und rannte auf mich zu, ich stand auf und sie fiel mir um den Hals. „Du kommst mich besuchen!“

Ich freute mich ja auch, sie zu sehen, aber ihre Überschwänglichkeit irritierte mich doch ein wenig. Obwohl ich wusste, dass ich Meto gegenüber oft genauso war.

„Sorry“, sagte Hitomi und löste sich wieder von mir. „Ich hab heute nur so gute Laune, irgendwie.“

Sie wandte sich an Maya. „Deine Gruppe geht gleich los, oder?“

Maya nickte, lächelte mich dann an. „Komm mal öfter her, Tsuzuku. Dann können wir richtig über Tattoos reden.“ Dann lief sie den Gang hinunter und verschwand in dem Raum, aus dem Hitomi eben gekommen war.

„Komm, Tsu, wir gehen auf mein Zimmer. Da hab ich auch das Buch, was ich dir leihen will“, sagte Hitomi. Sie führte mich einen anderen Gang hinunter und blieb dann vor einer angelehnten Tür stehen, öffnete diese ganz, sodass ich hinter ihr das Zimmer betrat.
 

„Möchtest du Tee oder so?“, fragte sie und deutete auf eine Teekanne mit Tassen auf dem Tisch.

Ich schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich möchte nichts.“

„Ist okay. Meine Zimmernachbarin ist gestern entlassen worden, wir haben also erst mal Ruhe hier.“ Hitomi deutete auf einen der Stühle am Tisch, ich setzte mich, und sie ging zu einem Regal, nahm zwei Bücher heraus. „Hier, das ist ein Buch für Betroffene und Angehörige, das ist sehr viel besser als diese klinischen Bücher. Und das hier …“, sie hielt ein schwarzes, auffallend hübsch eingebundenes Buch hoch, „ … das möchte ich dich auch gern lesen lassen.“ Sie setzte sich zu mir und legte die beiden Bücher vor mir auf den Tisch. Ich schlug das schwarze auf, es handelte sich um eine Art Sammlung von Geschichten und Gedichten, die den Titeln im Inhaltsverzeichnis nach überwiegend recht dunkel und traurig waren.
 

„Das ist eins meiner Lieblingsbücher“, sagte Hitomi, hatte wieder dieses ein wenig scheue Lächeln auf den Lippen. „Der Autor hat auch Borderline und schreibt einfach wahnsinnig gut über Gefühle und das alles. Ich verstehe mich selbst besser, wenn ich darin lese.“ Sie lachte, sagte dann: „Oh man, das muss dir ja so vorkommen, als ob ich die ganze Zeit nur damit beschäftigt bin!“

Ich lachte einfach mit, um die Stimmung ein wenig zu lockern. Wirklich angespannt fühlte ich mich auch gar nicht. Hitomi hatte diese Art an sich, mit der sie dafür sorgte, dass ich mich entspannte.

„Sag Bescheid, wenn ich zu viel rede, Tsu“, sagte sie.

„Kein Problem, ich … weiß sowieso gerade gar nicht, was ich sagen soll.“

„Fühlst du dich denn gut bei mir?“

Ich nickte. „Ehrlich gesagt hatte ich, nachdem du … aus dem Tempel weg warst, … ziemliche Angst davor, dich wieder zu sehen“, sagte ich dann.

„Warum das denn?“ Auf einmal wirkte sie ein wenig angespannt. „War ich dir zu unheimlich?“

„Nein, das nicht. Aber … ich bin durch dich erst … auf diesen Gedanken gekommen. Vorher wusste ich gar nicht, was mit mir los ist. Und dann, als ich drauf gekommen bin, hatte ich wahnsinnige Angst, konnte gar nicht darüber sprechen, mit niemandem.“

„Und jetzt?“

„Jetzt wissen mein Freund, mein bester Freund und einer meiner Kollegen davon. Und … na ja, dass ich allgemein psychische Probleme habe, wissen noch mehr Leute.“
 

Ich dachte an Haruna, Hanako und Yami, an die Zeit, als ich noch im Park unter der Brücke gelebt hatte. Daran, wie ich mir Essen von den anderen zusammengebettelt hatte, viel zu viel, um das dann wieder zu erbrechen. Wie ich mich geschnitten hatte, und irgendwann immer irgendjemand ein Pflaster oder einen Verband für mich dabei gehabt hatte.

Erst rückblickend wurde mir wirklich klar, wie extrem hart diese Zeit gewesen war. Und Meto hatte so viel davon mit mir zusammen durchgestanden. Ich hatte ihm sehr, sehr viel zugemutet, und alles, was ich ihm zurückgeben konnte, waren erst meine Freundschaft gewesen, und jetzt meine Liebe. So gesehen erschien es mir zugleich natürlich und andererseits als größtes Glück, dass aus uns ein Liebespaar geworden war.
 

Meine Gedanken an Meto waren mir anscheinend anzusehen, denn Hitomi lächelte mich an und fragte: „Woran denkst du gerade? Moment, lass mich raten: Du denkst an deinen Freund?“

„Ja“, sagte ich.

„Du liebst ihn sehr, oder?“

Ich nickte, lächelte beim Gedanken an gestern Abend, an den süßen Versöhnungskuss und das Schöne danach. „Ich liebe ihn wahnsinnig. Manchmal so sehr, dass ich fast glaube, verrückt zu werden.“

„Weißt du eigentlich, dass das das Beste ist, was dir passieren kann?“, fragte Hitomi. „Jemanden zu haben, den man liebt und der das erwidert, die ganzen schönen Gefühle, Lust und Sex …“

„Ich weiß“, sagte ich. „Ich hab das auch schon gespürt, dass ich mich, nachdem ich mit ihm geschlafen habe, nicht mehr so sehr verletzen will.“

Hitomi lächelte. „Ich freu mich sehr für dich, Tsu.“ Dann sah sie auf einmal nachdenklich aus und fügte leise hinzu: „… Ich hatte nicht so viel Glück wie du …“

„Willst du darüber reden?“, fragte ich vorsichtig.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich will dich damit nicht belasten.“
 

Ich beließ es dabei, wechselte das Thema: „Hast du … eine Idee, wie ich Meto das alles am besten erklären soll? Ich will nicht, dass er zu viel erfährt und sich dann noch mehr Sorgen um mich macht.“

Hitomi nahm das andere Buch, schlug es auf und blätterte ein wenig darin herum, bis sie eine bestimmte Seite gefunden hatte. Dort war eine Passage rot unterstrichen und die las sie mir vor: „Die Störung ist so breit gefächert, dass es wenig Sinn macht oder sogar schädlich ist, alles zu lesen und mitzuteilen. Sprechen Sie nur über das davon, was Sie wirklich persönlich betrifft, und schildern Sie Ihre eigenen Gefühle dazu.“ Sie schob das Buch beiseite und sagte: „Am besten sagst du ihm einfach, wie du dich fühlst, was du denkst, was in dir los ist, wie du bestimmte Situationen empfindest.“

„Manchmal … hab ich keine Worte dafür.“

„Dann sag auch das. Versuche, ihm so genau wie du kannst, zu erklären, wie du funktionierst.“ Sie deutete auf das schwarze Buch. „Und vielleicht findest du da drin irgendein Bild, das dir hilft, es auszudrücken. Ich hab dieses Buch zweimal, du kannst es also gern länger behalten.“
 

Hitomi lächelte, doch dann verschwand das Lächeln, sie blickte einen Moment lang förmlich durch mich hindurch und sah auf einmal furchtbar traurig aus. Sie stand auf, ging zu ihrem Bett, setzte sich darauf und zog die Knie an.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Genau so hatte ich gestern Kurata gegenüber gesessen, und wahrscheinlich hatte er nicht annähernd kapiert, warum ich plötzlich innerlich abgestürzt war.

„Hitomi?“, fragte ich vorsichtig.

Sie blickte auf, Tränen liefen über ihre Wangen. Lag es daran, dass unser Gespräch eben an ihrer eigenen Traurigkeit gerührt hatte, als sie gesagt hatte, dass sie nicht so viel Glück gehabt hatte wie ich? Hatte das in ihr eine Erinnerung hochgeholt, die sie jetzt so traurig machte?

„Kannst du … bitte gehen?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
 

Ich stand auf, nahm die beiden Bücher und wandte mich zur Tür. Doch statt sie zu öffnen, drehte ich mich wieder um, legte die Bücher wieder auf den Tisch und ging zum Bett, setzte mich neben Hitomi und legte vorsichtig meinen Arm um ihre zitternden Schultern. Dabei spürte ich geradezu ihren inneren Zwiespalt zwischen dem Wunsch, gehalten zu werden, und dem Alleinsein-wollen. Es war einfach dasselbe wie bei mir.

Sie sah mich fragend an und ich lächelte. „Weil du mich gestern auch getröstet hast“, sagte ich.
 

Ich blieb bei ihr, bis ich das Gefühl hatte, dass ich sie allein lassen konnte, dann nahm ich die Bücher und ging. Verließ die Klinik so schnell wie möglich und ging nach Hause, wo ich beide Bücher im Wohnzimmer auf den Couchtisch legte.

Als ich ins Schlafzimmer ging, um mich ein bisschen hinzulegen, bis Meto nach Hause kam, fiel mein Blick auf meine Sportsachen im geöffneten Kleiderschrank. Eigentlich konnte ich doch, wenn Meto sowieso erst gegen ein oder zwei Uhr mittags zurück war, auch noch eben ins Sportstudio gehen.

Ich nahm die Sachen aus dem Schrank und packte sie zusammen mit zwei Handtüchern in meine Umhängetasche. Meine alte, abgewetzte Reisetasche stand in der Ecke, doch die war erstens zu groß und zweitens sah man ihr an, dass sie mich in meiner Zeit unter der Brücke begleitet hatte.
 

Und so ging ich wieder aus dem Haus, wieder in dieselbe Richtung, doch dieses Mal war mein Ziel besagtes Sportstudio, in dem ich mich ja schon angemeldet hatte.

Es waren nicht viele Leute da, normal für Mittwoch um halb elf, und ich war froh darüber. In der Umkleide war ich allein und konnte mich in Ruhe umziehen, schloss meine Tasche in einen Spind ein und begann dann mit dem Training, das ich nach dem Programm absolvierte, welches ich noch aus dem Tempel kannte.
 

Zuerst gingen mir währenddessen noch ein paar Dinge durch den Kopf, doch je mehr ich mich reinhängte, umso stiller wurden meine Gedanken. Ich übertrieb es heute nicht, hatte ja auch gerade keinen Grund dazu, so hart zu trainieren, dass es wehtat, sondern tat einfach, wie ich mir heute Morgen beim Duschen vorgenommen hatte, etwas für meinen Körper, damit ich mich gut fühlte.

Und als ich am Ende im Duschraum stand, den ich zum Glück auch für mich allein hatte, ging es mir auch richtig gut. So gut, dass ich leise vor mich hin sang, während ich mich wusch.
 

Als ich mich abtrocknete und wieder anzog, schaute ich auf die Uhr. Halb eins, Meto war jetzt bestimmt wieder da. Fertig angezogen, machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, und dachte darüber nach, wie genau ich Meto das, was Hitomi mir geraten hatte, mitteilen sollte. Vielleicht sollte ich die beiden Bücher zuerst lesen und dann mit Meto darüber reden? Aber was, wenn ich in der Zwischenzeit wieder zusammenbrach?
 

Als ich unsere Wohnung wieder betrat, kam mir der wundervolle Duft von Nudeln und gebratenem Gemüse entgegen.

„Tsu?“, hörte ich meinen Liebsten aus der Küche fragen.

„Ja?“

„Wo kommst du jetzt her?“

„Vom Sportstudio. Ich war ein bisschen trainieren.“ Ich betrat die Küche, wo Meto am Herd stand und unser Mittagessen kochte, umarmte ihn von hinten und küsste ihn.

„Wie geht’s dir, mein Schatz?“, fragte er.

„Alles gut“, antwortete ich. „Wie war die Arbeit?“

„Soweit in Ordnung. Na ja, Koichi wollte wissen, wie es dir geht, und ich hab ihm von gestern erzählt. Er hat auch deine Nachricht bekommen, dass du mit ihm reden willst.“ Er legte den Kochlöffel beiseite und streichelte mit beiden Händen meine Unterarme an seinem Bauch. „Und du? Warst du bei Hitomi?“

„Ja. Sie hat mir zwei gute Bücher geliehen. Ich … würde da gerne nachher mit dir zusammen drüber reden …“

„Wegen … Borderline?“

Ich nickte.
 

„Tsuzuku, ich weiß gar nicht, ob ich das alles wissen will. Ich will dich nicht als ‚gestört‘ oder so ansehen, verstehst du?“, sprach er und stellte den Herd aus.

Ich umarmte ihn ein wenig fester und senkte meinen Kopf auf seine Schulter. Wollte ihm aus einem starken Gefühl heraus ganz nah sein.

„Weißt du …“, begann ich. „… Ich denke einfach, du solltest wissen, wie ich funktioniere. Wie es in mir aussieht. Und das hat jetzt nun mal diesen Namen. Und … na ja, ich will jetzt ehrlich zu dir sein. Du sollst wissen, wie ich mich fühle und wie ich denke.“ Ich fühlte in diesem Moment ein starkes, sehr starkes Vertrauen zu Meto, ein Gefühl, das sich mit meiner großen Liebe zu ihm mischte und mein Herz ganz warm werden ließ.

„Okay“, sagte er. „Aber erst wird gegessen.“
 

Das Essen schmeckte genauso gut, wie es roch, und ich hatte dank des Besuchs im Sportstudio auch wirklich Hunger, sodass ich sogar etwas mehr aß als sonst. Meto beobachtete mich aufmerksam, ich spürte, wie er genau darauf achtete, dass ich nicht zu schnell oder zu viel aß. Und als ich mir zum dritten Mal Nudeln nehmen wollte, hielt er auch tatsächlich meine Hand fest.

„Nimm mal nicht zu viel … Nicht, dass dir wieder schlecht wird.“

Ich zog meine Hand zurück. „Hast Recht.“ Stand auf und stellte meinen Teller in die Spüle.

Meto aß noch auf, dann spülten wir gemeinsam das wenige Geschirr, der Topf mit dem übrigen Essen kam in den Kühlschrank.
 

Ich ging ins Wohnzimmer, Meto folgte mir, und ich setzte mich auf die Couch, bedeutete ihm, sich ebenfalls zu setzen. Die beiden Bücher lagen noch auf dem Tisch und ich nahm das farbig eingebundene in die Hand, schlug es auf und sagte erst einmal nichts, sondern versuchte, mich an das Gefühl, wieder so ein Buch in der Hand zu halten, zu gewöhnen.

Ich spürte meinen eigenen Herzschlag, wie er sich leicht beschleunigte, als ich anfing zu lesen. Dachte an Hitomis Worte und begann dann, zuerst noch zögernd und vorsichtig, Meto zu erzählen und zu erklären, wie ich mich gestern gefühlt hatte und wie es überhaupt in mir aussah. Zumindest das davon, was ich in diesem Moment selbst verstand. Zwischendurch blätterte ich immer wieder in dem Buch und fand darin ab und zu Sätze und einzelne Worte, die mir halfen, mich richtig auszudrücken, und mir irgendwie auch mich selbst erklärten.

Manchmal fragte Meto etwas, dann antwortete ich, wenn ich eine Antwort wusste. Und wenn mir die Tränen kamen, nahm er mich in den Arm. Einerseits war es schwer, darüber zu sprechen, doch auf der anderen Seite fühlte es sich gut an, hatte etwas Befreiendes an sich.
 

„Und, sag mal, wenn dir das Herz manchmal so wehtut, hat das auch damit zu tun?“, fragte er irgendwann, sein Arm lag um meine Taille.

„Das weiß ich nicht“, antwortete ich. „Vielleicht kommt das, weil ich so viel zu viel fühle, dass es das kaum aushält und ich dann diese Schmerzen habe.“

„Wir sollten beide mal zum Arzt gehen. Ich wegen meiner … Verspannungen, und du wegen deinem Herzen. Nur zur Sicherheit, und falls man da was gegen tun kann. Und … na ja, vielleicht solltest du dich auch mal auch auf gewisse Krankheiten testen lassen, wegen der Mädchen früher und so.“

„Und du meinst nicht, dass ich dann erst mal wegen Untergewicht in die Klinik komme?“, fragte ich und sprach damit auch gleich meine Angst vor Krankenhäusern an.

„Die können dich nicht zwingen. So viel zu dünn wie früher bist du ja auch nicht mehr.“

Er schien sich da ganz sicher zu sein und zerstreute meine Angst zumindest für den Moment. Und Recht hatte er ja auch, ich hatte ja ein bisschen zugenommen.
 

Wir verbrachten den Rest des Tages wieder einmal mit der Spielekonsole. Ich war mit den Gedanken jedoch ziemlich woanders, weshalb ich andauernd verlor, während Meto sich besser konzentrierte und mich, da wir als Team spielten, ständig retten musste. Es war wie im echten Leben bei uns: Ich setzte alles in den Sand, und er half mir, zu überleben.

Später rief dann Koichi an und fragte, wie es mir ging. Da ich mich relativ gut fühlte und das halten wollte, erzählte ich ihm nicht zu viel über den Tag gestern, sondern nur grob, was gewesen war und dass ich mit Hitomi in Kontakt stand. Er sagte, dass er sich jetzt zwar wieder mehr Sorgen um mich machte, aber froh war, dass ich Hitomi hatte und es mir jetzt wieder gut ging.
 

Noch später, als Meto und ich am Abend zusammen im Bett lagen, spürte ich noch immer diese Innigkeit zwischen uns, die durch das Gespräch über mein Innenleben entstanden war. Ich fühlte mich wirklich gut und ihm so nah, kuschelte mich an seinen warmen Körper und spürte seine Hände auf meiner Haut. Wir trugen beide nur Shorts, aber ich fühlte mich nicht so, als ob ich in dieser Nacht mit ihm schlafen würde. Viel lieber wollte ich heute romantische, süße Nähe, zärtliche Küsse und liebevolle Worte. Und einfach bei ihm sein und fühlen, dass er da war.
 

„Meto“, sprach ich ihn flüsternd an, „… mein Süßes …“

Er sah mich an und lächelte. „Du bist auch mein Süßer, Tsu.“

Ich rutschte ein wenig runter und legte meinen Kopf auf seine Brust, kuschelte mich noch ein wenig enger an ihn. Ein unglaublich gutes Gefühl kam in mir hoch, wärmte mein Herz und brachte mich in eine ziemlich kitschige Stimmung.

„Du bist aber mein ganz besonderes Süßes, Meto. Weil du das Liebste bist, was ich in meinem Leben habe“, sprach ich und hörte selbst, wie weich meine Stimme dabei klang.

Er lachte leise. „Was bist du denn so kitschig?“

Ich hob den Kopf und sah ihn an, fand ihn so wunderschön.

„Manchmal bin ich eben so. Und es ist nichts als die reine Wahrheit, wenn ich dir sage, dass du mein Liebster bist“, sagte ich, meine Gedanken und Gefühle schwirrten vor Verliebtheit.
 

Ich rutschte wieder hoch, bis wir auf Augenhöhe waren, er erriet, was ich wollte, legte seine Hand in meinen Nacken, und ich küsste ihn, so liebevoll und zärtlich wie ich nur vermochte. Seine Finger strichen über eine kribbelige Zone an meinem Hals, was mich leise in den Kuss seufzen ließ, woraufhin er an meinen Lippen lächelte.

„Ich will in deinen Armen schlafen“, flüsterte ich und legte mich wieder ordentlich neben ihn. Meto schob seinen unten liegenden Arm unter meinen Hals und legte den anderen an meine Taille, ich schmiegte mich an ihn und es dauerte nicht lange, da war ich eingeschlafen.

[meto] Act 11

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 12

Ich verbrachte die erste Hälfte meines Nachmittags vor dem Fernseher und wartete. Wartete darauf, dass sich jemand bei mir meldete, und darauf, dass sich mein Leben, nachdem es in letzter Zeit anscheinend aus dem Fugen geraten war, von selbst wieder ordnete. Was es aber natürlich nicht tat. Ich tat mich schwer damit, einzusehen, dass es mir zurzeit einfach nicht so gut ging, und dass ich jetzt sogar schon bei der Arbeit geweint hatte, störte mich mehr, als dass es mir irgendeine weiterbringende Erkenntnis brachte.
 

Jeder Gedanke an Mikan machte mich traurig, ich hatte ihr noch eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, doch sie antwortete einfach nicht. Ich hatte Angst, dass ich sie mit meiner Forderung, mich mehr als Mann wahrzunehmen, vor den Kopf gestoßen und überfordert hatte.

Als dann irgendwann mein Handy klingelte, schreckte ich zusammen und sprang auf. Fischte es aus meiner Handtasche und hoffte halb, dass es Mikan war, die mich anrief. Aber es war Tsuzuku, der etwas von mir wollte, vielleicht ja, weil ich Meto heute Mittag vorgeschlagen hatte, dass wir irgendwas zu dritt machten.
 

„Hey, Tsu“, meldete ich mich und hörte dabei selbst, dass ich alles andere als fröhlich klang.

„Koichi“, sagte er, „Wie geht’s dir?“

Wenn Tsuzuku, der auf diese Frage ja so oft keine rechte Antwort wusste, sie stellte, ging ich immer davon aus, dass er es ernst meinte und wirklich daran interessiert war, wie es mir ging.

„Nicht so wirklich gut“, antwortete ich, und allein, es auszusprechen, reichte aus, damit mir wieder Tränen in die Augen sprangen.

„Warum?“, fragte er. „Willst du darüber reden?“

„Ich … weiß nicht …“

„Meto sagte mir eben, du wolltest mal wieder was zu dritt unternehmen …“, begann er, schwieg einen Moment und sagte dann: „Aber wenn es dir jetzt nicht gut geht … lassen wir das besser, oder?“

Ich nickte, was er aber ja nicht sehen konnte. „Ja … Ich bleibe wohl besser zu Hause.“ Meiner Stimme waren die Tränen schon anzuhören, und dann fing ich schon wieder an zu weinen, fühlte mich auf einmal entsetzlich einsam.

„Weißt du was, Koichi, ich komme jetzt einfach mal zu dir“, sagte Tsuzuku.

„Musst … du nicht …“

„Will ich aber. Du bist immer so lieb für mich da, dann will ich auch mal was für dich tun. Ich will auch mal für jemanden da sein.“ Es knackte in der Leitung, er hatte aufgelegt. War auf dem Weg zu mir.
 

Ich legte das Handy beiseite, zog die Knie an, wickelte mich enger in meine Decke und weinte noch ein wenig, auch wenn ich nicht recht wusste, warum. Nur wegen Mikan? Oder war da noch etwas anderes in mir los, das ich nicht so richtig erkennen konnte? Auch davor hatte ich Angst. Dass ich depressiv wurde oder so was, und es schlimmer werden würde.
 

Als es dann an meiner Tür klingelte, huschte ich noch schnell ins Bad und wollte meine rotgeweinten Augen noch ein bisschen schminken. Doch ein einziger Blick in den Spiegel reichte aus, damit klar war, dass das keinen Sinn hatte. Meine Traurigkeit war in diesem Moment nicht weg zu schminken.

Ich ließ es also, ging zur Tür, öffnete sie und sah Tsuzuku vor mir im Treppenhaus stehen. Er sah sofort, wie verheult ich war, und umarmte mich einfach. Seine direkte und dabei zugleich liebe Art tat mir sofort gut und vertrieb meine Einsamkeit, zumindest ein wenig.

Ich ließ ihn in meine Wohnung, die er erst zum zweiten Mal betrat, er war erst einmal hier gewesen, im Winter.
 

„Soll ich Tee kochen?“, fragte ich.

„Wenn du möchtest …“, war Tsuzukus Antwort. „Ich brauche nicht unbedingt was, aber wenn du was willst, trink ich ‘ne Tasse mit.“

Ich ging in die Küche und setzte eine kleine Kanne Tee auf, Tsu folgte mir und setzte sich auf einen meiner Küchenstühle, sah mich aufmerksam an. Während der Tee zog, fragte er: „Willst du drüber reden?“

Ich hob die Schultern, blickte an ihm vorbei, wusste nicht recht, ob ich das jetzt konnte, darüber sprechen. Ich wollte vor Tsuzuku nicht weinen, dachte daran, dass er in mir sonst immer den fröhlichen, stabilen, starken besten Freund sah, und befürchtete, ihn mit meiner Traurigkeit zu verunsichern.

„Komm, sag“, sagte er, als ich nichts antwortete. „Wozu bin ich denn dein bester Freund, wenn nicht dazu, dass du mit mir reden kannst.“
 

Ich setzte mich ebenfalls und sagte dann: „Ich will nicht, dass du mich so siehst, wenn ich mich so traurig fühle. Weil ich nicht will, dass dich das irgendwie verunsichert.“

Tsu sah mich an, legte seine Hand auf meine und antwortete: „Das lass mal meine Sorge sein, Koichi. Ich kann, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht, selbst auf mich achten. Wenn dir nach Weinen ist, dann tu das, du musst keine Rücksicht auf mich nehmen.“

Und als hätten meine Tränen genau auf diese Worte gewartet, sprangen sie mir sofort wieder in die Augen. Tsuzuku stand auf, trat neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern, zog mich leicht zu sich, sodass ich sein schwarzes Shirt nassheulte.
 

„Bist du sehr einsam?“, fragte er leise, seine Hand streichelte über meinen Rücken.

Ich nickte, schniefte, lehnte mich an ihn. Und da ging es ganz leicht, das Reden darüber, was mit Mikan und mir war und mit meinem Gefühl, nicht als Mann erkannt zu werden. Ich wusste, so zu weinen war auch nicht gerade männlich oder so, aber ich konnte einfach nicht mehr. Und weil ich gerade sowieso am Reden war, sagte ich auch das.

„Das ist kompletter Quatsch, Ko“, erwiderte Tsu darauf. „Sieh mal, ich fange doch viel eher an zu weinen als du, und tut es meiner Männlichkeit einen Abbruch? Nein. Ich fühle mich nicht femininer oder so, nur weil ich eben emotional bin. Also rede dir so was gar nicht erst ein.“

„Aber du bist doch eh schon männlicher als ich …“, weinte ich und kam mir jetzt wirklich komplett bescheuert vor. „Und außerdem hast du ‘nen Freund. Ich bin ‘n halbes Mädchen und kriege keine Frau ab …“
 

„Du weißt doch immer noch gar nicht, warum Mikan dich versetzt hat, oder? Vielleicht ist ihr nur irgendwas Wichtiges dazwischen gekommen oder ihr Handy ist kaputt oder was weiß ich …“ Tsuzuku drückte mich noch einmal leicht an sich, dann löste er sich von mir und hockte sich vor mir auf den Boden, sah zu mir hoch. „Aber jetzt lenken wir dich erst mal ein bisschen ab. Hast du irgendeinen Actionfilm oder so was da?“

Ich nickte. Ja, so was hatte ich auch im Regal.

Tsu stand wieder auf, öffnete den Kühlschrank und blickte hinein, fand meine letzten beiden Bierflaschen. „Yeah, du hast sogar Bier da!“ Er nahm die beiden Flaschen aus dem Schrank und sagte lächelnd: „So, Koichi, wir machen uns jetzt ‘nen gemütlichen Männerabend.“

Und ich musste fast ein bisschen lachen, weil ‚Männerabend‘ angesichts meiner Gedanken und Gefühle so komisch klang …

Wir setzten uns im Wohnzimmer auf meine Couch, ich trank noch eben meinen Tee aus und legte dann den Film ein. Dann machte Tsuzuku das Bier auf und ich bekam auf einmal richtig Lust auf ein bisschen Alkohol und einen entspannten Filmabend mit meinem besten Freund.
 

Der Film war genau das, was ich gerade brauchte, mit viel Action, tollen Kampfszenen und einer nicht allzu aufdringlichen, eher hintergründigen Lovestory. Einen meiner sonstigen Kitschfilme hätte ich jetzt nicht gut vertragen. Aber so eine Heldengeschichte war vollkommen okay, und ich freute mich auch, dass Tsuzuku sichtlich seinen Spaß daran hatte. Er lachte viel und ich lachte irgendwann mit, das Bier und die dazu geholten Chips hatten ihre Wirkung und ich fühlte mich immer besser.
 

In der Pause zwischen dem ersten und einem zweiten Film fing Tsuzuku an, in meinen Schränken herum zu suchen.

„Was suchst du denn?“, fragte ich.

„Hast du auch irgendwas Härteres an Alkohol da?“, fragte er zurück.

„So’n Kokoszeug, ist so ähnlich wie Rum, da unten im Schrank.“ Ich deutete auf die entsprechende Schranktür. „Gläser sind da auch.“

„Geil!“ Tsu griff in den Schrank und kam dann grinsend mit der Flasche und zwei Gläsern zurück. Er wirkte so richtig gut gelaunt und ich hoffte sehr, dass seine Stimmung sich hielt und er nicht noch zusammenbrach.
 

Den zweiten Film kannten wir beide schon und so wurde dieser irgendwann zu einer Art von Hintergrundgeräusch, weil wir mehr miteinander redeten und lachten, als zu schauen. Tsuzuku erzählte mir alles Mögliche und mit jedem Glas Kokosrum sprach er intimere Dinge aus, bis ich, davon angesteckt, ihm meine ganze Sehnsucht nach einem ähnlich erfüllten Liebesleben ebenfalls erzählte.

Es wurde ein ziemlich eigenartiges und betrunkenes Männergespräch über Lust, Sex und Sehnsucht, und über Dinge, die wir noch nicht so recht voneinander gewusst hatten. Und obwohl Tsu ziemlich angetrunken und enthemmt war, redete er von Meto immer noch so liebevoll und wertschätzend, die Liebe leuchtete in seinen Augen. Ich kannte sonst niemanden, der selbst bei Worten wie „Und wenn ich in sein süßes Loch stoße und ihn so richtig nehme, das ist das geilste Gefühl auf der Welt!“ noch so liebevoll klang wie er.
 

Irgendwann stellte ich den Film aus, der eh schon fast vorbei war, stand auf und merkte deutlich, dass ich doch recht viel getrunken hatte. Ich nahm die jetzt dreiviertel leere Flasche und stellte sie wieder in den Schrank, dann hielt ich Tsu meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen, wobei ich aber selber fast umkippte und er mich geradeso auffing.

„Kommsu sso nach Hausse?“, fragte ich.

„Geht schon“, antwortete er, klang auch weniger betrunken als ich, anscheinend vertrug er den Alkohol besser als ich. „Ko, wie geht’s dir jetzt?“

„Prima“, grinste ich, weil ich mich gerade wirklich gut fühlte.

„Ruf mich morgen mal an“, sagte Tsuzuku. „Oder ich melde mich bei dir.“

Ich begleitete ihn noch bis zur Tür, er umarmte mich zum Abschied und ging dann, sodass ich wieder alleine war. Und sofort, als mir das klar wurde, brach meine Hochstimmung in sich zusammen und ich fühlte mich, was der Alkohol sicher noch verstärkte, wieder ganz furchtbar einsam.

Kurz dachte ich daran, dass ich vorhin ja befürchtet hatte, Tsuzuku könnte zusammenbrechen, doch jetzt war ich es, dem wieder sehr nach Weinen zumute war. Und so zog ich mich aus und vergrub mich in meinem Bett, dachte an Mikan und heulte mich in den Schlaf.
 

Furchtbare Kopfschmerzen waren das erste, was ich am nächsten Tag spürte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich an den Grund dafür erinnern konnte. An den ‚Männerabend‘ mit Tsuzuku, den Alkohol, das intime Gespräch, und dass ich dann, als er wieder weg war, schon wieder geweint hatte.

Ich beschloss zuerst einmal, dass ich heute zu Hause blieb und nicht arbeiten ging. Mit solchen Kopfschmerzen und diesem fetten Liebeskummer hatte es keinen Sinn, ins Café zu gehen und auf fröhlich zu machen. Ich wollte auch gar keine Mädels sehen.
 

Und so blieb ich noch eine ganze Weile im Bett liegen, bis ich schließlich Licht anmachte und mich langsam erhob, wobei mein Kopf dröhnte und summte wie ein durchgeknallter Bienenstock. Meine Schritte trugen mich in die Küche, wo ich als erstes gleich mal nach Kopfschmerztabletten suchte. Ich fand noch genau eine, die ich in einem Glas Wasser auflöste und mich dann daran erinnerte, was man bei einem Kater frühstücken sollte.

Aber da ich sowieso noch keinen Hunger hatte, schlich ich erst mal ins Bad, wo mich wieder einmal ein rosahaariges Gespenst aus dem Spiegel anschaute. Ich sah dezent furchtbar aus und entschloss mich, erst einmal zu duschen und so zu versuchen, mich wieder in Normalzustand zu bringen.
 

Nach dem Duschen fühlte ich mich schon ein wenig besser und machte mir ein bisschen Frühstück, bestehend aus Joghurt, verdünntem Zitronensaft und dem Kopfschmerztablettenwasser. Dann schnappte ich mir mein Handy und schrieb Satchan eine Nachricht, in der ich mich wegen Kopfschmerzen, deren Grund ich diplomatisch verschwieg, krankmeldete. Sie schrieb schnell zurück und wünschte mir ‚Gute Besserung‘.
 

Ich beschloss, heute mal in Sachen Aussehen ganz schlicht zu bleiben, band meine Haare einfach nur zusammen und ließ jegliches Schminken ausfallen. Klamottentechnisch entschied ich mich für ganz bequeme Sachen und setzte mich dann erst einmal an meinen PC, um mich mal wieder ein wenig mit meinem Internet-Leben zu befassen.

Ich hatte sowohl mein Blog als auch sämtliche sozialen Netzwerke in den letzten Tagen sehr vernachlässigt, und so war ich erst einmal damit beschäftigt, alles zu lesen, Bilder anzuschauen und selber die neuesten Fotos meiner Wenigkeit hochzuladen.

Dabei fand ich, natürlich, wie sollte es auch anders sein, auch Bilder von mir und Mikan. Sofort klickte ich diese weg, bevor ich wieder traurig wurde, und dachte dann betont an Tsuzuku, an gestern Abend, daran, wie er mich wieder aufgebaut und mein Selbstbewusstsein als Mann zumindest teilweise wiederhergestellt hatte.
 

Ich ließ das Bilder-Hochladen erst mal wieder sein und schrieb stattdessen die versprochene Nachricht an Tsu, jammerte ein wenig über meine Kopfschmerzen und fragte ihn dann, wie es ihm ging. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete, er lachte mich erst ein wenig aus und gab dann selber zu, einen ziemlichen Kater zu haben, schrieb, dass Meto arbeitete und er alleine zu Hause war. Ich fragte, was er denn gerade machte, und er erzählte mir, dass er sich übers Handy ein Fotoblog eingerichtet hatte und jetzt daran arbeitete, diesen mit den wenigen Bildern zu füllen, die er bisher hatte, und das Layout schön zu machen. Er schrieb mir den Namen des Accounts und ich suchte diesen gleich mal, wollte sehen, was für Bilder er da drin hatte.

Und bekam sofort Herzchenaugen. Denn das erste, was mir auf dem Blog mit dem für ihn so bezeichnenden Nutzernamen ‚Tzk-sadislove‘ entgegenstrahlte, war eine Mini-Fotostrecke, auf der Tsu Meto umarmte und küsste und darunter eine absolut süße Liebeserklärung stehen hatte. Himmel, war das niedlich!
 

Ich sah mir die anderen Bilder auch noch an, Selfies, geschminkt und ungeschminkt, denen man ansah, dass Tsuzuku von früher her Übung darin hatte, zu posen und sich selbst darzustellen. Und ich las mir auch seine stichpunktartige Selbstbeschreibung durch, in der er seinen Geburtstag, seinen Beruf und als Hobby ‚Lesen und Sport‘ angab. Dabei fielen mir zwei Worte auf, die zwar irgendwie ganz selbstverständlich dort standen, aber trotzdem einen unangenehmen Schauer über meinen Rücken schickten: ‚Borderline‘ und ‚Bulimie‘. Einerseits fand ich es irgendwie gut, dass er so offen damit umging, aber irgendwie machte mir das auch ein bisschen Sorgen.

Ich trug den Blog in meine Favoritenliste ein, empfahl ihn auch an meine eigenen Abonnenten weiter und benannte Tsuzuku in meiner Freundesliste.
 

Als ich gerade den Laptop wieder zuklappen wollte, blinkte bei meinen Nachrichten etwas auf: „Koichi, du hast 1 Nachricht von Mikan.“

Sofort fing mein Herz an zu rasen. Mit zitternden Händen klickte ich die Meldung an und schloss die Augen, atmete einmal tief ein und aus.

„Koichi, was ist los? Wieso meldest du dich nicht mehr?“, stand da.

Ich hatte mich nicht gemeldet?! Was sollte das denn jetzt?! Sie hatte mich doch versetzt und war nicht zu erreichen!

Meine Finger zitterten, als ich die Antwort tippte: „Wieso ich? Du warst nicht da, du hast dich nicht gemeldet, du bist nicht zu erreichen! Nicht ich.“

Die Antwort kam mehr oder weniger sofort: „Ko, bei mir geht alles drunter und drüber. Meine Großmutter ist krank geworden, sehr krank, ich musste zu ihr, und dann ist mir auch noch mein Handy kaputtgefallen, das Display ist gesplittert. Und außerdem …“

„Was außerdem?!“, schrieb ich zurück und wusste, dass es sich ziemlich gereizt las.
 

Jetzt ließ die Antwort recht lange auf sich warten. Ich saß vor dem Laptop und starrte auf die Anzeige, wartete, dass eine neue Nachricht kam. Irgendwie war ich zugleich ängstlich und ungehalten, aber auch ein bisschen froh, dass zumindest teilweise nicht ich die Schuld hatte, dass meine beste Freundin mich versetzt hatte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie durcheinander war und keine Zeit hatte, wenn ihre Oma, die sie sehr gern hatte, krank war, und ihr dann noch tatsächlich das Handy kaputt gegangen war.
 

„Ko, du hast mich verwirrt. Mit dem, was du gesagt hast von wegen, dass du von mir mehr als Mann gesehen werden willst. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie du das meinst.“

Ich starrte auf den Bildschirm, wusste erst nicht, was ich darauf antworten sollte. Sollte ich einfach fragen, was sie dachte, oder cool tun und ihr ganz ehrlich schreiben, dass ich es satt hatte, immer nur die, nur nebensächlich männliche, ‚beste Freundin‘ zu sein? Dabei würde dann ganz unweigerlich herauskommen, dass ich mehr von ihr wollte als Freundschaft und das wiederum wollte ich ihr, wenn überhaupt, persönlich und nicht schriftlich sagen.

Meine Hände zitterten immer noch, als ich mich entschloss, die ganz direkte Antwort zu tippen: „Das meine ich, wie ich es sage. Ich will nicht mehr so das halbe Mädchen sein. Ich bin ein Mann, auch wenn ich eben nicht wie einer aussehe, und ich will, dass du das auch siehst.“

Wieder dauerte es etwas, bis die Antwort kam: „Koichi, wie genau meinst du das? Fühlst du dich von mir … verkannt oder so? Oder was willst du?“

Dieser Chat lief definitiv in eine Richtung, die nicht in einen Chat, sondern in ein echtes Gespräch unter vier Augen gehörte.

„Komm her und wir reden drüber. Ich will das nicht online bereden“, schrieb ich und kam mir endlich wieder einigermaßen mutig vor.

„Okay … Bin auf dem Weg.“
 

In der Zeit, während ich auf Mikan wartete, räumte ich ein bisschen meine Wohnung auf, öffnete die Jalousien und spülte das wenige Geschirr auf der Ablage. Und als sie dann vor meiner Tür stand und ich ihr öffnete, entstand zwischen uns eine eigenartig angespannte Stimmung.

„Ko, tut mir echt leid, dass ich dich versetzt habe“, sagte sie und zog ihre Schuhe aus. „Bei mir ist alles so durcheinander gerade …“

„Schon okay“, sagte ich, einfach um die Situation nicht noch weiter anzuspannen.

Wir gingen durch in mein Wohnzimmer und ich bot Mikan einen Platz auf meiner Couch an. Sie setzte sich und ich mich daneben, wobei ich, mehr versehentlich, ihr Parfum roch und den Duft ihrer Haare. Sie verwendete ein recht geschlechtsneutrales, aber sehr gut riechendes Parfum, das ich auch gerne trug, und ich atmete unwillkürlich tief ein.
 

„Sag mal, seit wann stört dich das denn eigentlich, dass du halt irgendwie so meine ‚beste Freundin‘ bist?“, fragte Mikan.

„Noch nicht lange. Eigentlich ist mir das erst vor ein paar Tagen so ansatzweise klargeworden.“

„Und warum? Also, wie bist du darauf gekommen?“

„Weiß ich gar nicht so genau. Jedenfalls … ich fühle mich zurzeit ziemlich einsam und auch irgendwie verkannt …“ Es war viel schwieriger, mit Mikan darüber zu sprechen, als mit Tsuzuku. Weil Mikan eine Frau und zudem diejenige war, auf die sich ein großer Teil meines Problems bezog. Doch ich wollte es sie wissen lassen, dass ich einsam war und auch, dass ich mich sehr nach einem erfüllteren Liebesleben sehnte.

Mikan wandte sich mir ganz zu und legte ihre Hände auf meine Schultern. Ihre Berührung löste in mir Herzklopfen aus und ich spürte, dass ich rot wurde.

„Koichi“, sagte sie und sah mir in die Augen. „Was willst du?“

Ich wich ihrem Blick aus, sah zur Seite und antwortete leise: „Na ja … wenn ich Tsuzuku und Meto so sehe, und das höre, was Tsu mir von der Beziehung erzählt, dann … will ich auch so was haben. Ich meine … ich hatte seit über zwei Jahren keinen richtigen Sex mehr …“
 

„Sex also …“ Mikan nahm ihre Hände von meinen Schultern und sah mich nachdenklich an. Ich wusste, es war nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Punkt, ihr zu sagen, dass ich nicht einfach Sex mit irgendwem wollte, sondern mit ihr. Und so fiel mein Blick wieder auf ihren Körper, ihre Brüste, die durch den BH unter dem T-Shirt so hübsch geformt aussahen und sich bestimmt wunderbar weich anfühlten.

„Das meine ich, wenn ich sage, ich bin auch nur ein Mann. Ich brauche auch Sex, ich hab auch Sehnsucht. Ich bin keine Puppe und auch kein halbes Mädchen.“

„Und … na ja, was soll ich da machen? Ich meine, was soll ich denn tun, damit du merkst, dass ich dich als Mann ansehe?“, fragte Mikan und wurde mit jedem Wort röter.

Ich konnte es ihr nicht sagen. Noch nicht. War noch nicht so weit, ihr meine Gefühle gestehen zu können. Also zuckte ich nur mit den Schultern.

„Darf ich fragen … ob es da jemanden gibt, den du … so magst?“, fragte sie dann und ließ mein Herz noch mal wesentlich schneller klopfen. Sie lagen mir schon auf der Zunge, die Worte, dass sie, Mikan, es war, die ich mochte. Ich sah meine beste Freundin an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Jetzt, wo sie schon mal hier war, konnte ich sie schlecht einfach wieder wegschicken, also musste ich mir was anderes einfallen lassen. Nur was?
 

„Koichi?“, fragte Mikan, als ich nicht antwortete. „Okay, du musst es mir nicht sagen, aber … es würde mich halt interessieren, wen du da magst.“

„Und warum interessiert dich das?“ Ich wusste nicht, warum ich wieder so gereizt klang. Vielleicht, weil ich einfach sehr nervös und aufgeregt war.

„Na hör mal, ich bin deine beste Freundin! Da darf ich doch fragen, ob du in jemanden verliebt bist, oder?!“

„Tut mir leid … Ich will nicht mit dir streiten. Ich bin nur aufgeregt und hab ein bisschen Kopfschmerzen, weil ich gestern Abend mit Tsuzuku zusammen was getrunken habe und so …“
 

Zuerst entstand eine seltsame, unangenehme Stille zwischen uns, ich sah, wie Mikan errötete, und spürte selbst in mir den Zwiespalt dazwischen, ihr meine Gefühle gestehen zu wollen einerseits und es andererseits nicht zu können, weil ich Angst hatte, damit unsere Freundschaft kaputt zu machen.

Schließlich blickte Mikan mit hochrotem Gesicht an mir vorbei und ich sah geradezu zu, wie sie mit einem Mal verstand.

„Koichi …?“, fragte sie, ganz leise, und sah mich unsicher an. „Du … na ja, kann es sein, dass du … dass du mich meinst?“
 

Wie hätte ich sie da noch anlügen oder es verschweigen können? Sie kannte mich gut, hätte sicher sofort bemerkt, wenn ich ausgewichen wäre. Und nachdem ich mich wegen ihr und meinen Männlichkeitskomplexen die letzten Tage so schlecht gefühlt hatte, hatte ich das starke Gefühl, dass es jetzt Zeit wurde, das ganze Durcheinander aufzuräumen. Noch einmal wollte ich so bald nicht wieder vor Tsuzuku von meinem Liebeskummer rumheulen und mich dann deswegen betrinken, der Abend gestern sollte in der Hinsicht definitiv eine Ausnahme bleiben.
 

„Was …“, begann ich unsicher, „… wäre denn, wenn dem so wäre?“

„Ich … weiß nicht … Ich hab nie drüber nachgedacht, ob du und ich …“, antwortete Mikan leise.

„Und … würdest du das ändern wollen?“ Ich verspürte einen Hauch von … etwas, von dem ich glaubte, dass Mann es fühlte, wenn man gerade dabei war, die Frau seiner Träume für sich zu erobern. Endlich fühlte ich mich wieder einigermaßen als männliches Wesen und konnte mich selbst auch wieder als solches anerkennen.

„Darüber nachdenken?“, fragte Mikan.

Ich konnte ihr endlich wieder in die Augen sehen und sagte mit halbwegs fester Stimme: „Es tun.“

„Es? … Das?“

„Alles Mögliche. Was wir möchten. Nur … ich will, dass wir mehr als nur beste Freunde sind. Ich hab dich sehr lieb und ich bin nun mal keine Frau, verstehst du?“

Sie nickte. „Koichi … Lässt du mich darüber nachdenken?“

„Natürlich“, antwortete ich. „Wirst du lange brauchen?“

„Nicht zu lange. Ich muss jetzt nur ein bisschen alleine sein und überlegen und fühlen, ob ich dich auch so mag.“ Sie stand auf, streichelte mir kurz mit der Hand über die Schulter und dann ging sie.
 

Und so war ich wieder alleine. Ich musste dieses Gespräch auch erst mal sacken lassen. Zwar hatte ich nicht ‚Ich liebe dich‘ zu Mikan gesagt, aber doch ziemlich klar gemacht, wie es mit meinen Gefühlen für sie aussah und was ich wollte.

Ich hatte das Gefühl, dass sich gerade einiges geordnet hatte, und fühlte mich auch wesentlich besser als gestern. Langsam stand ich auf und ging in die Küche, wobei sich augenblicklich meine Kopfschmerzen wieder meldeten, goss mir ein Glas Saft ein und trank es in einem Zug leer. Dann überlegte ich, was ich mit dem Tag heute anfangen sollte. Mikan würde sich, so wie ich sie kannte, bestimmt frühestens heute Abend wieder bei mir melden, und bis dahin musste ich eine Menge Zeit rumkriegen, damit ich nicht zu sehr darüber nachgrübelte, was meine beste Freundin, beziehungsweise mein Love Interest, jetzt wohl von mir dachte.
 

Zuerst einmal rief ich Tsuzuku an, um ihm zu erzählen, was passiert war, und um zu hören, ob es ihm immer noch gut ging. Er hob sehr schnell ab (woraus ich schloss, dass er sowieso gerade mit dem Handy zugange war) und als ich fragte, wie es ihm gerade ging, spürte ich sofort, dass da irgendwas nicht stimmte. Und es dauerte auch nicht lange, da sagte er mir auch schon, was los war:

„Irgendein homophober Vollidiot hat mir gerade ‘nen ziemlich fiesen Kommentar auf mein Blog geschrieben.“

„Was?! Wegen dem Bild von Meto und dir?“

„Keine Ahnung, aber … Woah, ich hasse das so! Wieso können solche Leute mich nicht einfach in Ruhe lassen?!“

„Du darfst da nicht drauf hören und schon gar nicht reagieren. Die kennen dich nicht, haben keine Ahnung und wissen wahrscheinlich auch nichts von Liebe“, antwortete ich und spürte, wie ich sofort wütend wurde auf diese fremde Person, die es wagte, Tsuzuku einen Hasskommentar zu schreiben.

Homophobie war etwas, das mich jedes Mal sehr aufregte und das ich irgendwie persönlich nahm, obwohl es mich ja nicht ganz direkt betraf. Aber in meinem Freundeskreis hatte es schon immer mal wieder homosexuelle Menschen gegeben und die verteidigte ich. Es ging einfach nicht in meinen Kopf rein, wie man etwas gegen die Liebe zwischen zwei Menschen haben konnte, nur weil diese dasselbe Geschlecht hatten.
 

„Kannst du mich mal eben ablenken, Ko?“, fragte Tsu und klang schon leicht verzweifelt.

Und so erzählte ich ihm von dem Gespräch mit Mikan eben und davon, wie ich mich jetzt fühlte. Ich spürte dabei relativ deutlich, dass ich Angst hatte, sie könnte sich doch gegen mich entscheiden. Vielleicht hatte ich es ihr zu früh gesagt, das alles, vielleicht hätte ich damit noch warten sollen.

„Das kann ich dir nicht beantworten, Koichi“, antwortete Tsuzuku, als ich es ihm gegenüber aussprach. „Da musst du warten, bis Mikan fertig ist mit darüber-nachdenken.“ Er schwieg einen Moment und kam dann auf sein eigenes Thema zurück: „Was meinst du, soll ich den Kommentar löschen?“

„Kannst du machen. Dann kann da wenigstens kein anderer dazukommen und den liken und so.“

„Oder soll ich gleich den ganzen Account löschen? Weißt du, ich kann mit so was gerade nicht wirklich umgehen, dann sollte ich vielleicht gar nicht dort sein.“
 

„Nein!“, antwortete ich sofort. „Wenn du gleich alles löschst, tust du doch nur das, was solche Leute wollen. Den Triumph willst du diesen Idioten doch nicht gönnen, oder? Lösch den Kommentar, aber nicht den Account. Ich kann gerne ab und zu bei dir reinschauen, und wenn da noch mal jemand ist, der dir Probleme macht, dann überlass den mal mir.“

„Danke. Ich bin … so was einfach nicht mehr gewöhnt, dieses ganze Online-Zeug. Ich muss da erst wieder reinfinden …“

„Es zwingt dich aber ja keiner.“

„Ich will aber. Ich brauche das, so einen Ort, wo ich mich der Welt mitteilen kann.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann leiser fort: „Auch, wenn ich andererseits nicht mit solchen Kommentaren zurechtkomme …“
 

Einen Moment herrschte wieder Stille, dann fragte er: „Kann ich zu dir kommen?“

„Na klar. Wir können auch irgendwo hingehen“, antwortete ich.

„Zum Meer?“

„Wie du möchtest.“

„Dann treffen wir uns da? Vor dem Schwimmbad?“

„Okay. Machen wir halt einen Strandspaziergang“, sagte ich.

„Bin auf dem Weg.“
 

Ich machte den PC aus, zog Jacke und Schuhe an, nahm meine Handtasche und machte mich auf den Weg, fuhr mit der Bahn bis zur Strandpromenade und stieg beim Schwimmbad aus, wo ich mich auf eine Bank an der hübschen Promenade setzte und wartete.

Es war ziemlich kalt und windig und ich kuschelte mich eng in meine Jacke, zog meinen Schal ein bisschen hoch und steckte meine Hände in die Jackentaschen. Mein Blick war auf die Straßenbahnstation gerichtet, wo die Bahn aus dem Viertel, wo Tsu und Meto wohnten, gleich ankommen musste. Als diese dann da war und ich Tsuzuku aussteigen sah, stand ich auf und ging auf ihn zu. Er sah recht müde aus, verkaterter als ich, aber als er mich sah, lächelte er.
 

„Du hast es ihr also gesagt?“, fragte er, immer noch lächelnd.

Ich nickte. „Aber jetzt muss ich halt warten, bis sie weiß, was sie will“, sagte ich und fügte leiser hinzu: „Ich darf da gar nicht so sehr drüber nachdenken, sonst kriege ich Angst, dass sie mich vielleicht doch nicht will.“

„Soll ich dich ablenken?“, fragte Tsuzuku.

„Ja, das wäre schön.“
 

Wir schlugen den Weg runter zum Strand ein und gingen dort, nah am Wasser, über den grauen Sand. Tsuzuku fing an, mir Sachen zu erzählen, alles Mögliche, ab und zu fragte ich etwas und so wurde ein richtig schönes Gespräch daraus. Er sprach von seinen Plänen für ein neues eigenes Tattoo und davon, dass er Metos Tattoo gern fertig erweitern und färben wollte, erzählte mir allgemein viel von seiner Arbeit. Und dann, als das Thema ‚Arbeit‘ erschöpft war, fing er an, über Meto zu sprechen, und wie gestern Abend wurde es dann schnell recht intim und gefühlsbetont, weil er frei heraus von sexuellen Dingen und von Gefühlen sprach, die es zwischen ihnen beiden gab.
 

„Wenn dich das Thema gerade nervt, musst du das sagen“, sagte er mittendrin auf einmal. „Ich will dich ja nicht damit an irgendwas erinnern und traurig machen.“

„Nein, nein, ist schon okay. Ich finde euch zwei ja süß, das geht schon.“

„Weißt du, ich habe so ein Bedürfnis, darüber zu reden … Ich will es … irgendwie teilen, dass ich Meto so sehr liebe und das alles. Es füllt mein Herz aus, macht mich glücklich und … dann muss ich einfach so offen darüber sprechen.“

„Ist ja kein Problem, ich hör dir gerne zu. Und das mit euch beiden ist so anders als das mit Mikan und mir, da fühle ich mich nicht dran erinnert.“
 

„Ich wünsche dir, dass sie ‚Ja‘ zu dir und deinen Gefühlen sagt, Ko.“ Tsuzuku lächelte. „Du bist so ein lieber Mensch, du hast das mehr als verdient.“

„Danke“, lächelte ich. „Du bist aber auch sehr lieb, dass du das sagst.“

Tsuzuku lachte laut auf. „Ja, hahaha, anscheinend bin ich das.“

„Du kannst dich selbst ruhig mal etwas positiver sehen“, sagte ich und knuffte ihn im Gehen spielerisch gegen die Schulter.

„Mein Selbstbild ist halt auch komplett im Eimer …“, erwiderte er nur.

„Wenn’s nicht in dein Gefühl reingeht, dann lernst du es halt auswendig: Du bist ein herzensguter, lieber Mensch, Tsuzuku. Und das wird dir jeder bestätigen, der dich richtig kennt.“ Ich lächelte ihn an und hoffte, dass er es irgendwie verinnerlichen konnte, und anscheinend gelang es ihm zumindest ein wenig, denn er blieb stehen und umarmte mich plötzlich. Ganz kurz musste ich an das Wort ‚impulsiv‘ denken, aber gleich darauf war es mir wieder egal und ich freute mich einfach, dass mein bester Freund so glücklich war.
 

Wir gingen noch ein ganzes Stück den Strand entlang, bis zu den riesigen Wellenbrecher-Mauern, dann drehten wir um und gingen die ganze Strecke wieder zurück, redeten noch ein bisschen über dies und das, und ein kurzes Stück rannten wir sogar, weil Tsuzuku auf einmal auf die Idee kam, mich wie ein verrückter Junge mit den auf dem Sand herumliegenden Resten einer gestrandeten, weißen Qualle zu jagen. Ich gab ein ziemlich unmännliches Quietschen von mir, als er meine Hand festhielt und mir das glibberige Stück Meerestier auf die Handfläche drückte, er lachte mich aus und war glücklich.
 

Als wir wieder am Schwimmbad ankamen, fragte Tsu, ob wir nicht noch ein bisschen in die Innenstadt fahren wollten. Da sich Mikan noch nicht bei mir gemeldet hatte und Meto um diese Zeit sicher noch arbeitete, hatten wir ja auch nicht viel Besseres zu tun. Und so fuhren wir zusammen noch ein bisschen in die Stadt, gingen in den einen oder anderen Laden und probierten auch ein paar Teile an.
 

Ich war bisher noch nicht mit Tsuzuku in Klamottenläden gewesen und ein wenig überrascht, mit welcher Zielstrebigkeit er sich Sachen aussuchte, die ihm dann auch wirklich gut standen. Bei schwarzen Lacksachen war die Sache natürlich klar, aber mit derselben Stilsicherheit suchte er auch ganz normale Kleidung aus. Er schien sehr genau zu wissen, was er tragen konnte und was nicht.

Ich dagegen experimentierte gerne herum und konnte mich dann oft nicht zwischen zwei Sachen entscheiden.
 

Während Tsu schon mit einem grauen Pullover, einer schwarzen Jeans und einer ebenfalls schwarzen Lackstoffhose zur Kasse lief, stand ich noch mit einer sehr niedlichen Rüschenbluse und einem anderen, eher bunten Oberteil mit englischer Flagge drauf in den Händen vor dem Spiegel und wusste nicht, ob ich das eine oder das andere kaufen sollte. Tsuzuku bezahlte seine Sachen, kam dann zu mir zurück und tippte sofort auf das zweite, bunte Teil.

„Nimm das da, das ist cool. Das andere ist zu mädchenhaft“, sagte er ganz direkt.

„Okaay …“, sagte ich nur.

Tsu grinste. „Du kannst doch nicht immer nur so eindeutige Frauenkleider kaufen. Die sehen zwar auch toll an dir aus, aber wenn du ‘ne Freundin willst, muss auch mal was Cooleres her.“
 

Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Und ich durfte wieder mal feststellen, dass er wirklich der passendste beste Freund war, den es für mich geben konnte. Also hängte ich die Rüschenbluse wieder weg und kaufte das andere Teil, erwischte mich dabei, wie ich hoffte, dass es dann auch eine Wirkung auf Mikan haben würde, wenn ich mich etwas weniger feminin kleidete.
 

Auf dem Weg zurück dachte ich dann wieder mehr an Mikan, so lange, bis ich fast gegen eine Straßenlaterne gelaufen wäre und mein bester Freund mich darauf aufmerksam machte, dass ich reichlich abwesend wirkte. Er griff einfach meine Hand, hielt mich fest und fragte: „An was denkst du denn gerade?“

„Mikan, was sonst“, antwortete ich. „Ich hoffe einfach so sehr, dass sie … mich will.“

„Natürlich will sie dich.“

„Und wenn sie nur will, dass wir weiter Freunde sind?“, fragte ich und klang schon wieder leicht verzweifelt.

„Dann warte auf sie. Irgendwann wird ihr klar werden, dass du ein Mann bist und der perfekte feste Freund für sie.“

„Meinst du wirklich?“

„Koichi, ich hab in meinem Leben genug Mädels gehabt, ich weiß, wie man die rumkriegt.“

„Ich will Mikan aber nicht rumkriegen! Ich will sie liebhaben!“, widersprach ich und blieb stehen, sah Tsuzuku an.
 

Und dann wurde ich auf einmal Zeuge, wie er, wieder scheinbar aus dem Nichts, innerlich abstürzte: Sein Lächeln, eben noch breit und selbstsicher, verschwand, er sah einen Moment lang sehr, sehr nachdenklich aus, starrte ins Leere, und dann malten sich tiefe Traurigkeit, Schmerz und Schuldgefühle auf sein Gesicht.

Ich musste nicht lange überlegen, was der Grund für seinen plötzlichen Stimmungsumschwung sein konnte, ich ahnte, dass es direkt mit seinen Beziehungen früher und seinem damaligen Lebenswandel zu tun hatte. Ich wusste, dass er vieles von damals jetzt bereute, das hatte er mir ja schon einmal erzählt.

Ich sah, dass er weglaufen wollte, und griff einfach seine Hand, führte ihn ein Stück weiter zu einer Bank am Straßenrand und drückte ihn sanft darauf nieder. Er ließ mich machen, sah mich aber nicht an, sondern blickte starr zu Boden.
 

„Vergiss, was ich gerade gesagt habe“, sagte er leise. „Ich hab absolut keine Ahnung von Frauen.“

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten, oder was ich tun sollte, außer neben ihm zu sitzen und abzuwarten, was er tun würde.

„Ko, du hast ja keine Ahnung, wie ich damals war … Ich hab den Mädchen, die ich hatte, so weh getan. Die einen … hab ich einfach verlassen, weil ich keine Lust mehr hatte, und die anderen haben mich verlassen, weil sie mich nicht mehr ertragen haben. Und … Mama hat auch darunter gelitten. Sie dachte, dass ich, wenn ich so mit Mädchen umgehe, vielleicht vor ihr als Frau … auch keine Achtung hätte … Ich hatte sie so lieb, aber … ich glaube, ich hab ihr das damals nicht gezeigt. Als Kind schon, aber später … nicht mehr so. Ich …“ Er brach ab, konnte vor lauter Tränen nicht mehr sprechen, und begann wieder einmal, sich über die Unterarme zu kratzen.

Ich griff rüber und hielt seine Hände fest, konnte es einfach nicht mitansehen, wie er sich selbst wehtat.
 

„Tsu, das ist vorbei. Vergangenheit, verstehst du? Du kannst nichts mehr daran ändern. Du hast jetzt Meto und bist so lieb zu ihm, du hast dich geändert und würdest so was wie damals heute nicht mehr tun“, sprach ich und hielt dabei weiter seine Hände fest.

„Aber … ich hab mich … doch erst geändert … als Mama schon tot war …“, widersprach er zitternd und versuchte, seine Hände aus meinem Griff zu befreien.

„Sie sieht dich auch jetzt, Tsuzuku. Da bin ich mir ganz sicher.“ Ich lächelte ihn an, streichelte seine Hände und überlegte mit rasenden Gedanken, wie ich ihm helfen konnte. „Deine Mama sieht genau, dass du jetzt anders bist, und sie ist sicher nicht wütend auf dich oder so. Ihr geht’s bestimmt gut, da wo sie jetzt ist, und …“ Jetzt konnte ich nicht mehr weitersprechen, weil mir selbst die Tränen kamen. Die Vorstellung, dass Tsuzukus Mama aus dem Himmel (oder woher auch immer) hinunterschaute und dem Leben ihres einzigen Sohnes zusah, da konnte man doch nur weinen!
 

„Ko, hör auf zu weinen, sofort!“ Tsu sah mich halb an, in seinen dunklen Augen blitzte eine Mischung aus Wut auf sich selbst und Hilflosigkeit.

Ich blinzelte, schluckte, fuhr mir vorsichtig mit den Fingern über die Augen, bis mir einfiel, dass ich heute ja gar nicht geschminkt war und die Tränen ruhig richtig wegwischen konnte.

„Wenn’s mir gut geht, kannst du gerne vor mir weinen, das ist okay, aber wenn ich mich … so fühle wie jetzt … dann ertrage ich das nicht … wenn jemand vor mir weint“, erklärte Tsu und kämpfte selbst wieder mit den Tränen.

Ich blinzelte meine weg und lächelte leicht, zum Zeichen, dass ich mich wieder gut fühlte.

„Ist gut“, sagte ich. „Nur vor dir weinen, wenn’s dir gut geht, merk ich mir.“
 

In dem Moment kam eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand an uns vorbei, das Kind sah uns fragend und leicht irritiert an.

„Mama, ist das da ein Mann oder eine Frau?“, fragte die Kleine mit der ehrlichen Unschuld, wie sie nur eine etwa Fünfjährige zustande brachte, und deutete auf mich.

Die Mutter sah mich unauffällig einmal kurz von oben bis unten an und flüsterte ihrer Tochter halblaut zu: „Manche Männer möchten heutzutage gerne wie Frauen aussehen, weißt du?“

Dann gingen die beiden weiter und ich sah zu Tsuzuku, der auf einmal wieder breit grinste und mir dann auf die Schulter klopfte.

„Koichi, du Mädchen!“, lachte er, „Jetzt verwirrst du schon kleine Kinder!“

„Ey!“, protestierte ich. „Wie war das gestern von wegen Männerabend?!“

„Alles gut, Ko“, lächelte er. „Du weißt, ich finde so was lustig.“

Das war die andere, hellere Seite seiner Stimmungsschwankungen. So schnell es ihm abgrundtief schlecht gehen konnte, so schnell war seine Laune auch wieder gut und er lachte wieder.
 

Wir blieben noch ein bisschen sitzen, bis Tsu sagte, dass er sich wieder einigermaßen stabil fühlte, dann machten wir uns auf den Weg zur Bahnstation, von wo aus Tsuzuku die Stadtbahn nach Hause nahm. Zum Abschied umarmte er mich und flüsterte: „Das kriegst du schon hin, das mit Mikan.“
 

Ich blieb noch ein wenig in der Innenstadt, aß dort in einem Restaurant zu Mittag und hoffte dabei, dass sich Tsu sich bei sich zu Hause ein bisschen was zu essen machte.

Danach fuhr ich zurück in mein Viertel und lief zu meiner Wohnung, wo ich oben auf der Treppe überrascht stehen blieb, als ich Mikan dort vor meiner Tür sitzen sah. Sie schrieb irgendwas in ihr Handy und sah davon auf, als sie meine Schritte hörte.

„Hey“, sagte sie leise. „Können wir reden?“

„Ja … ja klar“, antwortete ich, zugegebenermaßen ziemlich unsicher, zog meinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür, Mikan folgte mir in die Wohnung, wo wir uns wieder ins Wohnzimmer hinsetzten.
 

„Koichi, ich hab nachgedacht“, sagte sie, als wir einander gegenüber auf dem Sofa saßen. „Über uns und alles, und über das, was du gesagt hast. Du willst, dass ich dich als vollwertigen Mann ansehe und du … bist in mich … verliebt, hab ich das richtig verstanden?“

Ich nickte, mit klopfendem Herzen.

„Und du bist traurig, weil du einsam bist und dich verkannt fühlst?“

Wieder nickte ich, konnte gar nicht sprechen, mein Herz raste.

Mikan lächelte unsicher, und ich wünschte mir, zu wissen, was sie gerade dachte. Sie war manchmal so undurchschaubar, was mich einerseits faszinierte, auf der anderen Seite aber Situationen wie diese schwieriger machte.
 

„Ich habe darüber nachgedacht. Du bist mir wirklich wichtig, Koichi, und ich hab dich sehr gern. Ich will nicht, dass du dich einsam fühlst. Und wenn du nicht mehr meine ‚beste Freundin‘ sein willst, dann höre ich auch damit auf, dich wie ‘ne Frau zu behandeln. Du hast ja wirklich Recht, du bist unter der Schminke und den Frauenkleidern ein Mann und ich hab das einfach irgendwann nicht mehr gesehen. Na ja, ich muss sogar zugeben, vor Jahren hab ich mal vermutet, dass du vielleicht doch schwul bist …“ Sie schwieg einen Moment, ihre Wangen leuchteten in einem unübersehbaren Rot und als sie weitersprach, war ihre Stimme ein ganzes Stück leiser. „Es ist einfach so … es gibt so wenige Männer, die so sind wie du. Man ist als Frau nicht dran gewöhnt, dass einer, der aussieht wie du, hetero ist, verstehst du?“
 

Die letzten Worte taten seltsam weh. Mikan sprach da nicht mehr und nicht weniger als den Grund an dafür, dass ich mich so einsam fühlte. Und auf einmal war da dieser Gedanke in meinem Kopf, dass ich sie davon überzeugen wollte, dass ich eben weder eine halbe Frau, noch schwul war, sondern ein heterosexueller Mann, und dass ich sie, genau sie, wollte. Eine oder zwei Sekunden lang war ich kurz davor, Mikan einfach in meine Arme zu nehmen und zu küssen, ihr zu zeigen, wer ich war und was ich mir wünschte.

Es erschreckte mich ziemlich, wie stark dieser Wunsch war, und wie kurz davor ich war, ihn umzusetzen. Unbewusst starrte ich wieder auf Mikans Brust und erwischte mich erst dabei, als sie es ebenfalls bemerkte.
 

„Und was … ist bei deinem Nachdenken noch rausgekommen?“, fragte ich mit zitternder Stimme.

Mikan blickte zu Boden, ihre Finger spielten mit den Fransen der auf dem Sofa liegenden Decke, und sie schien nach den richtigen Worten zu suchen.

„Koichi … ich hab dich lieb und das weißt du. Aber … ich weiß nicht, ob’s für ‘ne richtige … Beziehung ausreicht. Ich meine … wir können es versuchen … aber es kann sein, dass … es eben nicht reicht, dass meine Gefühle nicht genug sind.“

Wiederum fing mein Herz an zu rasen. Hatte Mikan gerade gesagt, dass sie es versuchen wollte mit mir?! Dass sie auch an eine Beziehung dachte, wenn auch nicht sicher?! Ja, hatte sie, ich hatte mich nicht verhört.

„Wir versuchen es“, sagte ich, ohne wirklich zu spüren, dass ich das gerade wirklich sagte. Es kam einfach aus meinem Mund, fühlte sich fast schon nicht mehr real an. „Wir versuchen es und wenn es nicht reicht, sind wir eben wieder Freunde.“ Mein Hirn machte sich selbstständig, drehte völlig über, und in meinem Bauch flatterten die Schmetterlinge wild durcheinander.

Mikan lächelte, strahlte mich an. „Du bist der beste, Koichi. Der allerbeste!“
 

Und dann beugte sie sich vor, legte ihre Hände auf meine Schultern, ihr Gesicht kam meinem immer näher, ich sah, was für schöne, dichte Wimpern sie hatte, und was für reine, glatte Haut. Als ihre Lippen meine berührten, fühlte es sich an, als setzte mein Herz für einen Schlag aus. Mein ganzes Empfinden konzentrierte sich auf meine Lippen und ich verlor für einen Moment die Beherrschung, erwiderte diesen ersten Kuss ein wenig zu sehnsüchtig und stürmisch, umarmte Mikan und zog sie nah an mich, sodass ich ihren aufgeregten Herzschlag spürte.

„Ko!“, quietschte sie überrascht.

Sofort ließ ich sie los, ging auf Abstand, atmete einmal tief ein und aus. „Sorry.“

Aber sie lächelte. „Hast ziemliche Sehnsucht gehabt, hm?“

Ich nickte und konnte nach diesem Kuss nicht anders, als ganz ehrlich zu sein: „Und habe ich noch. Ich will mehr von dir.“

„Wir machen schön langsam, okay?“

„M-hm.“
 

Sie blieb noch eine Weile bei mir, wir schauten einen Film und tranken Tee zusammen. Mikan saß neben mir auf dem Sofa und lehnte sich an mich, was sich für mich unheimlich gut anfühlte.

Waren wir jetzt also zusammen? Eine Sowas-wie-Liebeserklärung und ein eindeutiger Kuss, bedeutete das, dass wir jetzt auf der Beziehungsebene waren? Ich wusste nicht recht, wie ich das einordnen sollte. Vielleicht war es nach der ganzen Sehnsucht auch einfach noch zu neu. Ich musste mich erst an den Gedanken gewöhnen.
 

Als Mikan dann wieder ging, küsste sie mich zum Abschied etwas unbeholfen auf den Mund, und wieder reagierte ich ein wenig über, umarmte sie und drückte sie eng an mich. Sie ließ mich machen, aber dann ging sie, rief aber noch ein „Hab dich lieb, Ko!“ durchs Treppenhaus.

Ich sah auf die Uhr. Neunzehn Uhr war eigentlich noch zu früh zum Schlafengehen, aber ich war so müde, dass mir mein Bett ziemlich verlockend erschien. Und so ging ich, nach einem kurzen Abstecher im Bad, jetzt schon schlafen.
 

Ich zog mich bis auf die Shorts aus, kuschelte mich unter die Bettdecke und horchte kurz in mein Herz, ob das dunkle, kalte Loch noch da war. Doch es war nicht zu spüren, schien wieder verschwunden zu sein. Zu viel wollte ich nicht daran denken, aus Angst, dass es vielleicht zurückkam, und so konzentrierte ich mich auf meine anderen Empfindungen.

Und da war die körperliche Sehnsucht ziemlich vornean. Ohne nachzudenken, begann ich, mich selbst zu streicheln, fuhr mit den Händen über meinen Körper und stellte mir dabei vor, dass es Mikans Hände waren, die mich streichelten und dabei von meiner Brust aus langsam tiefer wanderten. Mich anzufassen und dabei meine Gedanken nicht zügeln zu müssen, tat so unendlich gut und mir huschte ein Lächeln über die Lippen, als sich in meinem Bauch dieses eindeutige Kribbeln ausbreitete und mein verliebtes Herz begann, mein Blut in meine Körpermitte zu pumpen.
 

Ich zerrte mir im Liegen die Shorts runter und umfasste mein heißes Glied mit der einen Hand, während ich mit der anderen weiter meinen Oberkörper streichelte, mir immer noch ein wenig vorstellend, dass es Mikans Hände wären.

Ihr Name kam mir über die Lippen und ich fragte mich, wie sie wohl nackt aussah, ob ihre Brustwarzen eher hell oder dunkel waren, und ob sie viel Schamhaar hatte. Diese Gedanken fühlten sich umso besser an, wenn ich daran dachte, dass ich das alles irgendwann demnächst sogar erfahren würde. Sie hatte mich geküsst und gesagt, dass sie es mit mir versuchen wollte, bald würde ich sie in meinen Armen halten dürfen.
 

Mein letztes Mal Sex war so lange her, dass ich mich an das Gefühl davon nicht mehr richtig erinnern konnte, und so war mein Kopfkino lückenhaft und strahlte nicht die Erregung aus, die ich erwartet hatte. Ich merkte recht genau, dass ich allein war, mir nur etwas vorstellte und mir dabei selbst einen runterholte. Und als ich mich dann mit einem kaum verhaltenen Stöhnen in meine Hand ergoss, fühlte sich das gleichzeitig gut und aber auch irgendwie traurig an, einen Moment lang spürte ich meine Sehnsucht überdeutlich, dann fiel sie in sich zusammen und mir sprangen Tränen in die Augen.

Gerade noch so riss ich mich zusammen, stand auf und säuberte meine Hand mit einem Papiertaschentuch, legte mich dann wieder hin, rollte mich zusammen und schlief gottseidank bald ein.

[Tsuzuku] Act 13

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[meto] Act 14

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 15

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Tsuzuku] Act 16

Als ich aufwachte, wusste ich erst gar nicht, wo ich war. Ich lag nackt in einem weißen Futon, in einem Raum, der mir auf den ersten Blick fremd erschien, und hörte aus einem anderen Raum nebenan Tellerklappern und leise Stimmen. Erst ein Blick auf die umfangreiche Bambi-Sammlung auf dem Regal neben dem Fernseher brachte Klarheit und ließ mich wissen, dass ich in Koichis Wohnzimmer lag.
 

Langsam und mit zunehmend dröhnendem Kopf richtete ich mich auf, und ebenso langsam kehrte meine Erinnerung an gestern Abend zurück. An das, was in der Kneipe passiert war, und daran, dass Meto und ich danach zu Koichi nach Hause mitgekommen waren. Wir hatten anscheinend noch einen Film geschaut und ich musste irgendwann eingeschlafen sein. Und später in der Nacht dann war noch irgendwas gewesen, ich erinnerte mich an Wärme und an Zärtlichkeiten, welche die entsetzliche Leere für ein paar Augenblicke aus meinem Herzen vertrieben hatten.

Ich suchte unter der Bettdecke nach meinen Shorts, fand sie und zog sie schnell an, schälte mich aus dem Futon und hob meine Jeans auf, um sie ebenfalls anzuziehen.
 

„Meto?“, rief ich nach meinem Freund.

Er kam aus der ans Wohnzimmer grenzenden Küche, wo ich Koichi mit Mikan reden hörte, und lächelte mich an. „Hast du ausgeschlafen?“

„Hab Kopfschmerzen“, antwortete ich und drückte meinen Handballen gegen meine Stirn, die sich anfühlte, als würde von innen etwas gegen den Knochen hämmern. Seltsam, denn ich konnte mich nur an zwei Bier gestern erinnern, und das reichte normalerweise nicht, damit ich solche Kopfschmerzen bekam …

„Frag mal Koichi, vielleicht hat er Kopfschmerztabletten da“, sagte Meto. „Ansonsten gehen wir nachher an einer Apotheke vorbei und holen dir welche.“ Er sah mich einen Moment lang einfach nur an, dann fragte er: „Und wie geht’s dir sonst? Ist die Leere grade … weg?“

Ich fühlte kurz in mich hinein und antwortete dann: „Ich merk sie zumindest gerade nicht.“

„Und möchtest du was essen?“, fragte er dann.

Ich schüttelte den Kopf, hatte wieder einmal überhaupt keinen Hunger.

„Nicht mal ein kleines bisschen was?“, fragte Meto.

„Nein … Ich hab das Gefühl, dass mir schlecht wird, wenn ich was esse.“
 

Ich zog mich fertig an, ging dann mit in die Küche und setzte mich zu Koichi und Mikan an den Tisch, auch wenn ich nicht vorhatte, etwas zu essen. Wieder kam mir das Essen, was auf dem Tisch stand, nicht wirklich wie etwas Essbares vor, ich fühlte eine Art Distanz dazu und, dass ich jetzt nichts davon würde zu mir nehmen können. Es war frustrierend, dass mein Essverhalten wieder so stagnierte, aber ich fühlte mich absolut nicht so, als könnte ich jetzt etwas daran ändern.

Koichi hatte tatsächlich eine Kopfschmerztablette da, die ich mit einem Glas Wasser herunterspülte, mehr nahm ich nicht zu mir.

„Willst du … echt nichts essen?“, fragte Mikan mich vorsichtig, als ich keine Anstalten machte, mir etwas zu nehmen.

Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht später …“, sagte ich, mehr um meine Freunde zu beruhigen.
 

Meto sah mich besorgt an und ich lehnte mich an seine Schulter, fühlte mich furchtbar müde und antriebslos. Er legte seinen Arm um mich, streichelte meine Seite und hauchte einen Kuss auf meinen Kopf. Mir war nach Weinen zumute, doch ich wollte nicht, dass Koichi und Mikan mich schon wieder so aufgelöst sahen, und so riss ich mich innerlich mit aller Kraft zusammen. Doch das brachte nur kurz etwas, und Minuten später spürte ich die erste Träne meine Wange hinablaufen.

„Tsuzuku? Hey, was ist denn los?“, fragte Koichi sofort besorgt.

Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht …“

Ich wusste es wirklich nicht. Es gab keinen bestimmten Auslöser, ich fühlte mich einfach nur furchtbar und wollte am liebsten in ein Loch im Boden verschwinden.

Meto hielt mich, zog mich näher an sich und nahm dann mein Gesicht in seine Hände, um meine Tränen weg zu küssen und dann seine Lippen ganz sanft auf meine zu drücken.
 

Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich wieder an dieses Wort denken musste, den Grund, warum ich mich leer und einsam fühlte, nicht aß, und ständig emotional zusammenbrach. Ich hatte das Gefühl, als ob es mit mir immer schlimmer wurde, und in diesem Moment tat mir dieses Wort Borderline wieder furchtbar weh.

Vielleicht sollte ich, falls ich heute überhaupt arbeiten ging, danach zu Hitomi gehen und mit ihr darüber sprechen. Denn zu einem Psychiater oder Psychologen traute ich mich immer noch nicht. Mit einer guten Freundin, die solche Dinge von sich selbst nur allzu gut kannte, über so etwas zu reden, war einfach etwas ganz anderes, als zu jemandem ‚vom Fach‘ zu gehen und vor dem mein kaputtes Seelenleben auszubreiten.
 

Metos Nähe sorgte dafür, dass ich mich bald wieder ein klein wenig besser fühlte, zumindest so weit, dass ich mich doch dazu entschließen konnte, heute arbeiten zu gehen. Ich wollte nicht so oft dort fehlen und außerdem würde mir zu Hause eh nur die Decke auf den Kopf fallen. Zwar konnte ich immer noch nichts frühstücken, aber eine Zigarette und ein Glas Cola reichten aus, damit ich wach genug war, mich für die Arbeit fertig machen zu können.
 

Obwohl ich mich immer noch nicht wirklich gut fühlte, beschloss ich, es mit der Arbeit heute wenigstens zu versuchen. Auch, weil ich wusste, dass Herumsitzen und Nichtstun meinen Zustand sicher nicht verbesserte.

Koichi und Meto fuhren zum Café, Mikan zu ihrer Arbeitsstelle, und ich also ins Studio, hoffend, dass ich die Arbeit heute halbwegs hinbekam. Ich würde heute nur einfache Aufgaben übernehmen, nichts Kompliziertes oder Verantwortungsvolles.
 

Als ich beim Studio ankam und mich auf meinen Platz setzte, kam Takashima auf mich zu und fragte, wie es mir ging. Er hatte gestern bemerkt, wie meine Euphorie plötzlich abgekühlt war und ich mich wieder nicht gut gefühlt hatte, und wir hatten ein wenig über das gesprochen, was bei mir gerade los war.

„Geht so …“, antwortetet ich und klappte meinen Skizzenblock auf, nahm einen Bleistift und begann, irgendwas flüchtig hinzuzeichnen.

„Und … es ist echt nur dein Gefühl, was nicht mitspielt?“

Ich nickte, sah ihn aber nicht an. „Nachher gehe ich vielleicht noch zu Hitomi, sie besuchen und ein bisschen reden.“

Takashima lächelte. „Das ist gut, das hilft dir bestimmt.“
 

Im Verlauf des Arbeitstages bemerkte ich, dass mir die Arbeit guttat. Es war einfach gut, etwas zu tun zu haben und nicht über mein Leben nachdenken zu müssen, sondern nur über das, was ich gerade tat. Ich zeichnete unheimlich viel, hatte auch einige Aufträge für Entwürfe, und die waren überwiegend eher dunkel und unheimlich, gefielen mir und es machte Spaß, die Motive auszuarbeiten und schon mal probeweise auf Tierhaut zu stechen.

Das Summen der Nadel hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, weil ich mir dabei vorstellte, wie ich selbst ein neues Tattoo bekam und mir diesen Schmerz ins Gedächtnis rief, der jeden Druck von mir nahm und mir so guttat. Mir war klar, dass das krank war, aber in diesem Moment war mir das ziemlich egal.
 

Mittags war ich ziemlich erschöpft, weil ich mich doch sehr in die Arbeit vertieft und nur meine üblichen, kurzen Zigarettenpausen gemacht hatte. Ich fühlte mich jedoch insgesamt besser, und erwischte Kurata in einem günstigen Moment, um ihn zu fragen, ob ich den Nachmittag frei machen konnte. Er ließ mich gehen, und ich setzte meinen Plan, Hitomi zu besuchen, in die Tat um.
 

Ich traf sie vor der Klinik, sie saß auf einer Bank und rauchte. Als sie mich bemerkte, blickte sie kurz auf. Sie wirkte müde und nachdenklich, nicht so lebhaft wie beim letzten Mal.

„Hey, Tsu …“, sagte sie leise, nahm einen Zug von ihrer Zigarette und blickte dann wieder an mir vorbei. Es war heute schon ein bisschen wärmer und sie trug eine graue Strickjacke mit dreiviertel langen Ärmeln, so dass ich die Narben auf ihren Unterarmen sehen konnte.

Ich setzte mich neben sie und sah sie eine Weile lang einfach nur an. Anscheinend ging es uns beiden heute nicht so wirklich gut.
 

„Wie geht’s dir, Tsu?“, fragte Hitomi irgendwann.

Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte, diese Frage war nicht einfach zu beantworten.

„Eigentlich müsste ich richtig glücklich sein“, sagte ich. „Ich hab Meto einen Heiratsantrag gemacht, er hat ‚Ja‘ gesagt und bis gestern Morgen war ich auch richtig glücklich, aber dann … Kennst du das, wenn sich alles auf einmal in Nichts auflöst und nur noch Leere übrig bleibt?“

Hitomi nickte. „Ja … Das kenn ich nur zu gut …“

„Kann man denn …“, fragte ich, „… irgendwas dagegen tun?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich. Es gibt zwar Medikamente, die das abmildern sollen, aber nicht mal da hast du ‘ne Garantie, dass sie wirken. Oder Alkohol … manchmal bringt das was, aber oft genug auch nicht und außerdem … sich zu betrinken ist auch nicht gerade klug.“

„Das hab ich gestern auch versucht …“, sagte ich. „Aber vom Alkohol ist es nur schlimmer geworden.“

„Eben. Man weiß nie, wie so was wirkt.“ Hitomi nahm einen Zug von ihrer Zigarette und fügte dann hinzu: „Ich schlucke drei Tabletten jeden Tag und trotzdem geht’s mir heute einfach nicht gut.“
 

„Kannst du denn … beschreiben, was in dir los ist?“, fragte ich vorsichtig.

Sie schüttelte den Kopf. „Zumindest nicht so richtig.“ Sie nahm wieder einen Zug Rauch und fuhr dann mit einer seltsam ironisch klingenden Stimme fort: „Chronische Einsamkeit, innere Leere, Ritzdrang, Hass, Wut, Angst. Ach ja, und ich fühl mich ausgeliefert. Meine Gefühle jagen mich durch meine Innenwelt und ich kann nicht weg.“ Ihre Hand krampfte, ließ die Zigarette fallen, und sie trat sie mit plötzlicher Wut aus.

Es war wie ein Spiegel. Ich erinnerte mich an die zerbrochene Fensterscheibe in der Schule früher und an die zersplitterten Glasflaschen im Park. An meine eigenen plötzlichen Wutanfälle, mein unbeherrschtes Temperament.

„Ich kenn das“, sagte ich.

„Weiß ich.“

„Hilft dir das, dass ich weiß, wie du dich fühlst?“

„Irgendwie schon …“
 

Hitomi schwieg eine Weile und sagte dann: „Tsuzuku, du weißt, was du für ein wahnsinniges Glück mit deinem Freund hast, oder?“

Ich sah sie an und nickte. „Ja, das weiß ich.“

„Ich würde das wahrscheinlich gar nicht hinbekommen, so fest und lange mit jemandem zusammen zu sein“, sagte sie. Ihr Blick ging in die Ferne und ihre Stimme klang jetzt traurig und nachdenklich. Ich fragte mich, wie ihr bisheriges Leben wohl ausgesehen hatte, ihre Vergangenheit: Wie war sie auf der Straße gelandet, was für Freunde hatte sie gehabt, was für eine Familie?

„Warum denn nicht?“, fragte ich auf ihre Worte hin.

„Ich bin nicht beziehungsfähig. Mich hat noch kein Mann länger als ein halbes Jahr lang ausgehalten.“ Hitomi klang traurig, beinahe wieder wütend und so resigniert, dass ich sie am liebsten umarmt hätte. „Ich fühle mich durchgehend einsam, aber ich kann nichts daran ändern. Es geht nun mal nicht mit mir und dem, was man so Liebe nennt.“

„Versuchst du’s denn noch?“, fragte ich leise, rückte näher zu ihr und sah sie an.

Hitomi schüttelte den Kopf. „Ich hab mir das selbst verboten. Jede gescheiterte Beziehung reißt das Loch in mir größer und wenn ich noch ein bisschen leben will, sollte ich das besser lassen.“ Auf einmal klang sie ganz kühl und sachlich, so, als ob sie sich selbst von außen beobachtete. Das Wort ‚Borderline‘ hing geradezu greifbar in der Luft, und ich fühlte mich eigenartig, mein Herz kribbelte.
 

Einen Moment später fühlte ich Hitomis schmalen Körper in meinen Armen, ihr Haar kitzelte meine Nase. Sie keuchte überrascht und erst dann wurde mir klar, dass ich es schon wieder getan hatte. Sofort löste ich mich von ihr, ging auf Abstand und entschuldigte mich.

„Ist schon okay“, sagte sie. „Ich weiß ja …“

Eine unangenehme Stille entstand zwischen uns. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wusste aber, dass diese Umarmung, wären wir in Europa gewesen und beide keine Japaner, etwas völlig normales gewesen wäre. Einfach eine Umarmung unter Freunden. Doch hier, in Japan, in unserer Gesellschaft, war es nicht üblich, sich als Freunde einfach so zu umarmen. Und so machte es unser Anders-sein deutlich und weckte in meinem Kopf das Wort ‚impulsiv‘.

Irgendwie bemerkte Hitomi meine Unsicherheit. Sie kam näher und legte ihre Hand auf meine. Sagte nichts, doch in ihrer Berührung lag etwas, das mir ein gutes Gefühl gab.
 

Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich sie ja etwas hatte fragen wollen. Sie kannte hier in der Klinik sicher mehrere Psychologen und Psychiater.

„Sag mal …“, wechselte ich also das Thema, „Du kennst hier ja sicher einige Psychologen und so weiter … Ich wüsste gerne, wie man mit solchen Leuten vom Fach am besten redet. Weil … irgendwann muss ich da ja mal hin und … ich hab ziemliche Angst davor.“

„Tsu, das ist ‘ne gute Frage …“, antwortete Hitomi. „Ich hab das auch noch nicht ganz raus. Meine eine Therapeutin, bei der ich die Gruppe habe, ist ziemlich furchtbar, ich hab keine Ahnung, wie ich mit der klarkommen soll. Und die anderen beiden … na ja, die sind ganz nett, aber ich hab nicht das Gefühl, dass die mir wirklich helfen können.“ Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Wenn du meinst, dass du anders nicht klarkommst und eine Therapie brauchst, ist das eine Sache, dann helfe ich dir, jemanden zu finden. Aber wenn du gerade noch alleine zurechtkommst, wenn’s noch geht, dann schieb das mit der offiziellen Diagnose und der Therapie noch auf. Gerade, wenn du sowieso Angst davor hast.“
 

„Ich weiß es nicht …“, sagte ich. „Ich hab das Gefühl, dass es im Moment schlimmer wird, aber ich hab einfach Angst.“

„Es ist halt auch leider so, dass man an die falschen Leute geraten kann, wenn man eine Therapie sucht. Zum Beispiel eben meine Therapeutin in der Gruppe, die ist furchtbar streng und eingebildet und hat null Einfühlungsvermögen für mich. Vor solchen Leuten muss man aufpassen.“

„Genau davor hab ich Angst …“, gestand ich. „Ich kenne eine Ärztin in der ‚normalen‘ Klinik und die würde mich an einen Psychiater weiterleiten, aber was, wenn ich mit dem nicht klarkomme?“

„Im schlimmsten Fall kriegst du ein richtig fettes Tief …“, sagte Hitomi. „Und das musst du verhindern. Lieber hilfst du dir selbst, als dass du einen Therapeuten vor dir hast, der dir nur Vorwürfe macht.“

„Aber … muss man nicht irgendwie eine Therapie machen?“, fragte ich unsicher.

„Man muss selbst wissen, ob man für eine Therapie bereit ist. Wenn du Angst davor hast, bringt es nichts.“ Hitomi sah mich ernst an und ihre Hand streichelte über meine.

Ich fühlte mich bei ihr ganz sicher und gut aufgehoben, und ich wusste, wenn ich etwas sagte, verstand sie es. Und dieses Verstanden-werden tat mir gut.
 

„Tsuzuku?“, fragte sie nach einer Weile. „Magst du mich eigentlich?“

Ich nickte. „Klar mag ich dich.“

„So klar ist das nicht“, sagte sie. „Zumindest mag ich mich selber nicht so wirklich.“

„Ich mich selbst doch auch nicht. Aber … auch, wenn man sich selbst nicht mag, gibt es irgendwie immer jemanden, der einen trotzdem gern hat …“ Ich dachte an Meto und fühlte, wie mein Herz davon warm wurde. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen, und Hitomi lächelte mit ihrem scheuen Lächeln zurück.

„Du denkst wieder an Meto, oder?“, fragte sie. „Ich freu mich echt für dich, dass du ihn hast.“

Meine Gedanken blieben bei Meto hängen und ich fühlte mich, als ob die Sonne endlich wieder zwischen den grauen Wolken durchkam und mich wärmte. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und genoss diese Wärme, die mich durchströmte und die Leere ein wenig vertrieb. Und dann war es wieder da, dieses rauschhafte Glücksgefühl von gestern Morgen, als ich auf mein Blog geschrieben hatte, wie glücklich ich mit Meto war und dass wir irgendwann heiraten würden.
 

„Ich liebe ihn wahnsinnig“, sagte ich lächelnd. „Er ist mein Leben.“

Hitomi lächelte wieder. „Ich hab dir damals schon gesagt, ein Freund hält einen von der Grenze weg.“

Ich erinnerte mich sogar noch daran, wie sie das damals im Tempel zu mir gesagt hatte. Damals hatte ich ihre Worte erst noch nicht verstanden, doch kurz darauf war ich ja dahintergekommen, was sie mit ‚Grenze‘ meinte.

„Wir waren zuerst beste Freunde, Meto und ich“, sagte ich. „Vorher, bevor ich ihn kannte, wollte ich eigentlich nur noch sterben. Aber seit er bei mir ist, nicht mehr. Ich hab ihn zu meinem Sinn im Leben gemacht.“

„Das ist schön, Tsu. Halt das fest, halt ihn fest, tu alles, damit ihr zusammen bleibt.“

„Das werde ich“, sagte ich und war mir in diesem Moment sicher, dass ich es konnte. „Und er wird bei mir bleiben, das hat er mir versprochen.“
 

Wieder schwiegen wir eine Weile. Ich beobachtete Hitomis Gesicht von der Seite, den wechselnden Ausdruck, dem ich entnehmen konnte, dass sie über viele verschiedene Dinge nachdachte.

„Sag mal …“, brach sie schließlich die Stille, „…kennst du das auch, dass du manchmal einfach so, ohne Grund, wütend auf jemanden bist?“

Ich dachte an früher, als so etwas öfter vorgekommen war, und dann an die letzten Monate, wo ich das zum Glück nicht mehr so oft gehabt hatte.

„Manchmal …“, antwortete ich. „Aber bei Meto zum Glück nur sehr selten.“

„Ich hab das oft.“ Hitomi blickte an mir vorbei und fügte dann hinzu: „Tsuzuku, falls ich das bei dir mal habe, dass ich ohne Grund wütend auf dich bin, dann denk bitte daran, dass ich das nicht mit Absicht mache. Nachher tut’s mir immer leid, aber ich bin eben so … so ‘ne Borderlinerin.“

„Ist okay, ich merk’s mir.“ Ich lächelte sie an, sie lächelte zurück und sagte: „Danke, Tsu, du bist echt ein Schatz.“
 

Irgendwann danach ging ich wieder nach Hause. Auf dem Heimweg fiel mir wieder ein, dass Haruna, Hanako und Yami ja inzwischen mit unserem Schlafzimmer fertig sein mussten.

Meto war schon da, er stand wieder in der Küche und kochte, ich roch schon im Flur den Duft von Reis und Currysoße. Ich hatte heute noch nichts gegessen, mein knurrender Magen verlangte nach Nahrung, und so ging ich in die Küche und setzte mich auf meinen Platz. Meto drehte sich zu mir um, legte den Kochlöffel weg und umarmte mich.

„Geht’s dir besser?“, fragte er.

Ich nickte, lehnte mich an ihn und hörte sein Herz. „Ich war eben bei Hitomi.“

„Sie hilft dir gut, oder?“

„Ja.“
 

Das Fleisch in der Pfanne zischte und Meto wandte sich wieder dem Kochen zu. Ich sah ihm zu und versuchte, das lautstarke Verlangen meines Magens zu unterdrücken.

„Vorhin hat hier jemand vom Krankenhaus angerufen. Du hast deinen Termin bei Dr. Matsuyama vergessen“, sagte Meto nach einer Weile.

Den Termin hatte ich tatsächlich komplett vergessen. Aber da ich mich sowieso im Moment nicht imstande fühlte, das Krankenhaus auch nur zu betreten, fiel mein schlechtes Gewissen, weil ich es vergessen hatte, ziemlich gering aus.

„Ich wäre sowieso nicht hingegangen“, sagte ich.

„Hast du immer noch diese Krankenhaus-Angst?“

„M-hm …“
 

In dem Moment gab mein Magen ein eindeutiges Knurren von sich.

„Tsu, wie lange hast du jetzt eigentlich nichts gegessen?“, fragte Meto und sah mich besorgt an.

Ich zuckte mit den Schultern. „Heute noch nichts. Und gestern auch fast nichts.“

„Aber jetzt hast du Hunger, oder?“

Ich musste nichts sagen, mein Magen sprach für sich. Ich atmete tief ein, roch den Reis und das Curry, und auf einmal hatte ich riesigen Hunger. „Gib her!“

„Das Essen ist gleich fertig, mein Schatz.“
 

Als das Curry fertig war, stellte Meto es vor mich auf den Tisch und ich sog den berauschenden Duft ein, bevor ich mich auf das Essen stürzte und meinen Teller bis zum Rand mit Curryreis und dem in der Soße gegarten Geflügelfleisch füllte.

„Nimm nicht zu viel“, warnte Meto mich. „Sonst wird dir am Ende wieder schlecht.“

Am liebsten hätte ich das Essen geradezu heruntergeschlungen, doch ich wusste, dass ich nach fast zwei Tagen ohne eine richtige Mahlzeit erst mal langsamer essen musste.

„Hast du extra für mich gekocht?“, fragte ich zwischen zwei Bissen.

„Ich dachte, wenn ich dir so ein richtig schönes Essen mache, dann kannst du gar nicht anders, als zu essen und dich zu freuen.“ Meto lächelte, dieses wahnsinnig süße Strahlelächeln, und füllte sich dann selbst etwas auf den Teller.

„Ich liebe dich, weißt du das?“, antwortete ich mit noch vollem Mund, schluckte und schob mir den nächsten Löffel voll Reis mit Soße rein. Ich konnte gar nicht anders, als so zu schlingen, es schmeckte einfach zu gut und ich hatte solchen Hunger!
 

Meto griff über den Tisch nach meiner Hand und hielt sie fest. „Tsu, iss mal langsamer. Du hast genug Zeit und keiner nimmt dir was weg.“ Und dann: „Wäre doch furchtbar schade, wenn du mein mit Liebe gekochtes Essen nachher wieder ausspucken müsstest.“

Das reichte, um mich zu bremsen. Ich legte den Löffel für einen Moment ab und atmete einmal tief ein und wieder aus. Meto hatte sich solche Mühe mit dem Essen gegeben, es mit ganz viel Liebe zubereitet, es war viel zu wertvoll, um es am Ende wieder auszukotzen. Viel mehr wollte ich es genießen, und glücklich sein, dass mein Liebster mich so schön bekochte. Und so aß ich dann langsamer weiter, ließ mir die scharf-süße Soße auf der Zunge zergehen und genoss sie.
 

Nach dem Essen setzte ich mich mit dem Buch, das ich letztens in dem Gayshop gekauft hatte, ins Wohnzimmer und begann, es von vorne an zu lesen. Meto kam dazu, setzte sich neben mich und fragte, was ich da las, also las ich ihm eine Passage daraus vor, woraufhin er mich fragte, wo ich das Buch her hatte.

„Ich war letztens in so einem Laden, in der Nähe von dem Sexshop“, antwortete ich. „Weißt du, ich musste mir mal klar darüber werden, wie ich denn jetzt eigentlich orientiert bin …“

„Und was ist dabei rausgekommen?“, fragte er und sah mich dabei an.

„Ich finde Frauen nicht mehr anziehend. Aber … andere Männer als dich auch nicht“, sagte ich, wobei mir noch mal deutlich wurde, dass ich wirklich so empfand. Ich streckte die Hand aus und berührte Metos Wange, flüsterte: „Nur du kannst mich noch erregen. Ich will nur noch dich.“

„Nur mich …?“, fragte er leise.

Ich nickte, streichelte seine Wange. „Du bist die Liebe meines Lebens, Meto. Vergiss das bitte nie.“ Auf einmal musste ich an Hitomis Worte über plötzliche, grundlose Wut denken. Ich hoffte inständig, dass so etwas zwischen Meto und mir nicht so bald passieren würde …
 

Später abends dann lagen wir zusammen im Bett und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach. Ich blickte an die schwarze Wand und fand, dass zwei schwarze und zwei rote Wände ziemlich gut aussahen. Die Mädels hatten das letzte Stück Streichen gut hinbekommen und ich fühlte mich wohl in diesem Raum, der jetzt ein bisschen mehr nach mir aussah.
 

Auf einmal fragte Meto: „Sag mal, Tsu … Als du dich in mich verliebt hast, hast du dir da nicht schon mal die Frage gestellt, ob du jetzt auf Männer oder Frauen oder beides stehst?“

Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Diese Frage hab ich mir erst viel später gestellt. In dem Moment, als ich erkannt habe, dass ich dich liebe, waren die Gefühle so stark, und ich so kaputt, dass ich gar nicht darüber nachgedacht habe.“

Meto lächelte. „Das ist schon ziemlicher Wahnsinn, diese Liebe …“

„Ja, das ist es. Ich hab so was in meinem Leben früher nie empfunden.“ Ich blickte wieder hoch an die Decke und einen Moment herrschte wieder Stille, dann fragte ich: „Und du? Ich meine, wusstest du schon immer, dass du nur Männer magst?“

„M-hm.“ Meto nickte. „Irgendwo war mir das schon als Kind klar. Ich hab mich immer gut mit den Mädchen verstanden, aber für mich war immer klar, dass ich mal mit einem Jungen zusammen sein wollte. Nur … na ja, irgendwann hab ich dann eben bemerkt, dass die Gesellschaft, die Leute um mich herum, dass die damit anscheinend ein Problem hatten. Ich wusste irgendwann, dass ich es vor meinen Eltern geheim halten musste.“
 

„Hm …“, machte ich leise, denn mir kam gerade ein bestimmter Gedanke, den ich vorher irgendwie noch nie so gedacht hatte, und ich sprach ihn einfach aus: „Meto, sag mal, kann es sein, dass dein Sprachfehler damit zu tun hat? Dass du einfach nicht mehr richtig sprechen konntest, weil du in dir diesen Zwiespalt hattest? Und deine Verspannungen, deine Unsicherheit, für mich sieht das so aus, als ob du … na ja, du hast ja vieles versteckt und geheim gehalten, da kann es doch sein, dass dein Körper auf diese Weise darauf reagiert hat?“

Er sah mich an und ich sah etwas in seinen Augen, die Erkenntnis, dass es so war. Dass er deshalb die Probleme mit dem Sprechen und die Verspannungen hatte, weil er so lange seine Orientierung versteckt und nicht richtig ausgelebt hatte. Es passte einfach, so sehr, dass ich mich fragte, wieso ich nicht schon viel früher darauf gekommen war. Vielleicht, weil ich so sehr mit mir selbst beschäftigt war und so viel zu kämpfen hatte, dass ich Metos Ängste und seine Probleme nicht richtig wahrnehmen konnte.
 

Und auf einmal war sie da, die Gelegenheit, das zu ändern und mal für ihn da zu sein. Ihm zu zeigen, dass ich mich auch um ihn kümmern konnte, nicht immer nur er um mich.

Denn je länger ich ihn ansah, umso trauriger sah er aus, und dann waren da Tränen in seinen Augen und er biss sich auf die Lippen. Ich rückte näher zu ihm und legte meinen Arm um ihn, es fühlte sich irgendwie neu und ein wenig seltsam an, weil es sehr lange her war, dass er vor mir wegen seiner eigenen Probleme geweint hatte. Und ich spürte deutlich seinen Wunsch, unbedingt für uns beide stark zu sein und uns beide zu halten.

„Du musst nicht immer nur der Starke sein …“, sagte ich leise und strich ihm durch seine hellblau gefärbten Haare. „Ich liebe dich auch, wenn du mal Schwäche zeigst.“

Meto versuchte, die Tränen wegzublinzeln. „Tsu, ich … Weißt du, dir geht’s oft so schlecht und ich weiß, dass ich die Verantwortung für dich habe, dass du mich brauchst … Ich kann doch nicht …“

„… Vor mir auch mal in Tränen ausbrechen? Doch, das kannst du.“
 

Er schüttelte den Kopf, doch da liefen die Tränen schon über seine Wangen und es brauchte nur ein leises „Lass es raus“ von mir, damit er richtig zu weinen anfing. Ich umarmte ihn, zog ihn nah an mich und spürte seine Tränen auf meiner Haut, sein Zittern, seine Traurigkeit und dabei immer noch seinen unbedingten Wunsch, stark zu sein.

„Ach Meto …“, sagte ich und streichelte über seinen Rücken, „Du darfst doch auch mal vor mir weinen. Das ist vollkommen okay.“ Und irgendwie hatte ich auf einmal auch Tränen in den Augen.

„Ich will einfach nicht, … dass es dich verunsichert, Tsu …“, brachte Meto leise und mit zitternder Stimme heraus. Er sah mich an, sah die Tränen in meinen Augen. „Siehst du, jetzt weinst du auch schon …“

„Dann weinen wir eben zusammen.“ Als ich es aussprach, klang meine Stimme schon tränenerstickt, und ich fühlte, dass es meine Liebe war, die mich weinen ließ. Ich litt mit meinem Liebsten mit und irgendwie fühlte sich das ein bisschen gut an, weil ich ausnahmsweise mal nicht um mich selbst weinte.
 

Und so lagen wir eine Weile einfach da und weinten zusammen, ich spürte die Nähe zwischen uns. Irgendwann löste Meto sich wieder von mir und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Beugte sich über mich, küsste mich auf den Mund und sagte: „Dankeschön, Tsu …“

„Dafür nicht.“ Ich lächelte und küsste ihn zurück. „Weißt du, nur weil ich so viel weine, heißt das noch lange nicht, dass du nicht das Recht hast, auch mal zu weinen.“

„Ich … wollte nur nicht, dass du siehst, dass ich … nicht immer so stark bin … Du sollst dich auf mich verlassen können, verstehst du?“

„Aber wäre es nicht furchtbar einseitig, wenn du nur immer für mich da wärst und nicht auch andersherum? Meto, ich liebe dich, und das bedeutet auch, dass ich auch mal für dich da sein will. So funktioniert Liebe. Ich bin zwar krank, okay, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch mal deine Schulter zum Anlehnen sein kann.“
 

Meto stand auf, zog sich um, und ich tat es ihm gleich, dann legten wir uns wieder hin und er deckte uns beide zu. Ich fühlte mich gut, mein Herz war voller Liebe, und als mein Liebster begann, mich zu streicheln, seufzte ich leise, schloss die Augen und kuschelte mich eng an ihn. Da war keine innere Leere und keine Einsamkeit, keine Angst, nur Metos Hände auf meinem Körper, sein Herzschlag und seine Atemzüge, ich fühlte mich geliebt und sicher.

Ich nahm seine Hand und sah den Verlobungsring an seinem Finger, das Zeichen, dass er sein Leben mit mir verbringen wollte. Dass er bei mir blieb, mich nicht verließ, egal, was passieren würde. Ich hob seine Hand an meine Lippen und hauchte einen Kuss auf den Ring, spürte mein Herz schlagen und war einfach glücklich.
 

Meto griff mit der anderen Hand nach Ruana und schob sie zwischen uns, lächelte mich an, küsste mich und sagte: „Ruana ist irgendwie unser Baby. Sie und du und ich, das ist doch schon fast wie eine kleine Familie …“

Ich lachte, weil es irgendwie stimmte und weil er so süß war, wie er das sagte. „Irgendwie schon.“

Er ließ Ruana mit dem Köpfchen wackeln und sie mir ein Küsschen geben, sprach dann mit süß verstellter Stimme: „Ruana Tsu ganz doll lieb.“

„Ich hab dich auch lieb, Ruanalein“, antwortete ich und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. Fühlte mich irgendwie wirklich so, als sei sie unser Baby und wir zu dritt eine kleine Familie. Ich hatte mich nie großartig für Kinder und Familiengründung interessiert, doch auf einmal war da dieses Familiengefühl in mir, nur dass es sich nicht auf ein Kind, sondern auf Ruana bezog. Ich wusste, wie wichtig sie für Meto war, und die Idee von uns dreien als kleine Familie gefiel mir.
 

Auf einmal stand Meto wieder auf und lief aus dem Zimmer, kam wenig später mit seinem Handy in der Hand zurück. Er legte sich wieder zu mir und tippte irgendwas in das Gerät ein, dann hielt er es mir hin. Auf dem Bildschirm war ein buddhistischer Tempel zu sehen, welcher sich der Überschrift der Webseite nach in Kyoto befand. Und unter dem Bild stand, am Ende einer Reihe von Stichworten: „Angebot von gleichgeschlechtlichen Hochzeitszeremonien“

„Hast du das gewusst?“, fragte Meto, seine Augen leuchteten. „In Kyoto gibt es einige Tempel, wo wir heiraten könnten.“
 

Diese Information war mir neu. Ich wusste zwar, dass gleichgeschlechtliche Paare im Buddhismus anerkannter waren, doch dass es in Kyoto Tempel gab, die tatsächlich Hochzeiten für Paare wie uns anboten, hatte ich nicht gewusst. Ich war davon ausgegangen, dass wir zum Heiraten nach Thailand oder sogar bis nach Europa reisen müssten.

Die Aussicht auf eine solche lange Reise hatte mir schon ein wenig Angst gemacht und so war ich doch sehr froh, dass wir, wenn auch eben nur in einem Tempel, auch in Japan würden heiraten können.
 

„Dann fahren wir im Sommer nach Kyoto und heiraten“, sagte ich, fühlte mein Herz klopfen und legte meinen Arm um Meto, zog ihn nah an mich. „Du wirst ein wundervolles, weißes Kleid tragen, ich einen schönen Anzug, und Ruana kriegt ein Kleidchen passend zu deinem. Oder möchtest du auch einen Anzug anziehen?“ Es fühlte sich gut an, solche Hochzeitspläne zu machen und mir vorzustellen, wie es sein würde, unsere Liebe fest und ganz öffentlich zu machen.

Meto schüttelte den Kopf und lächelte mich dann an. „Nein, ich würde gern ein Kleid anziehen. Ich mag mich in Kleidern.“
 

Er sah so glücklich aus, und der Gedanke, dass ich der Grund dafür war, schickte mir eine warme Welle aus gutem Gefühl durch den Körper. Und so beugte ich mich über ihn und küsste ihn, so liebevoll und zärtlich, wie ich es nur vermochte.

„Ich liebe dich“, flüsterte ich in sein Ohr.

„Ich dich auch.“ Meto lächelte wieder, so wahnsinnig süß, dass mir ganz warm davon wurde.

Wir kuschelten uns eng zusammen, Ruana zwischen uns, ich legte meinen Arm um meine beiden Liebsten und irgendwann war ich eingeschlafen.
 

Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, war es schon hell. Meto lag neben mir, er schlief noch, hatte Ruana im Arm und sah so wahnsinnig süß aus, dass ich nicht anders konnte, als erst ihm und dann unserem ‚Baby‘ einen Kuss zu geben. Da ich aber nicht vorhatte, ihn zu wecken, stand ich auf und ging zum Schrank, um mir Unterwäsche für heute rauszusuchen.
 

Dabei fiel mein Blick aus dem Fenster und ich sah etwas, das ich entweder gestern nicht wirklich bemerkt hatte, oder das erst heute Nacht gekommen war: Gegenüber gab es einen kleinen, traditionellen Lebensmittelladen, neben dem stand ein Kirschbaum, und eben jener Baum hatte über Nacht in zartem Rosa zu blühen angefangen. Es sah wunderschön aus und ich blieb einen Moment am Fenster stehen, schaute hinüber und freute mich. Der Anblick der Kirschblüte fühlte sich für mich immer ein bisschen so an, wie wenn man als Kind im Winter morgens aus dem Fenster schaute und den ersten Schnee erblickte. Schnee hatte für mich seit meiner Zeit auf der Straße seinen Reiz verloren, doch die Kirschblüte als Zeichen des Frühlingsanfangs fand ich immer noch schön.
 

Ich ging zum Bett zurück und schaute auf die Datumsanzeige des Weckers. Dieses Jahr waren die Kirschblüten recht früh dran, und noch dazu war heute Sonntag, was bedeutete, dass die ganze Stadt mehr oder weniger frei hatte und den Frühlingsanfang feiern würde. Vielleicht würden Meto und ich uns dem anschließen und auch in einen der vielen Parks gehen, um die rosa Blüten anzuschauen.
 

Zuerst einmal ging ich jedoch duschen und mich schön machen. Ich hatte Lust auf schicke, auffällige Klamotten, auf Schmuck und auf Make-up, und so pflegte ich mich erst ausgiebig und zog dann Netzhemd und Lacksachen an. Die Sonne schien schon durchs Fenster herein und ich hatte das Gefühl, dass heute der erste schön warme Tag des Jahres sein würde. Mein Make-up fiel dagegen so dunkel aus wie immer und würde einen schönen Kontrast zu den rosa Kirschblüten bilden.
 

Als ich fertig angezogen, geschminkt und mit schön gemachten Haaren vor dem Spiegel stand und mich betrachtete, hörte ich auf einmal eine Stimme, die mich mit meinem Taufnamen ansprach. Es fühlte sich an, als würde jemand neben mir stehen, doch da war niemand. Und es war Mamas Stimme. Einen Moment lang konnte ich nicht sicher sagen, ob ich sie nur in meinem Kopf hörte oder sie nicht doch irgendwie da war, ich hörte sie ganz deutlich und fühlte eine hauchzarte Berührung ihrer Hand auf meiner Schulter.

„Du siehst schön aus, Genki.“

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Findest du?“, fragte ich und sah mich dabei mit leicht hochgezogener Augenbraue im Spiegel an.

„Ja“, sagte Mamas Stimme. „Heute geht’s dir gut, oder?“

Ich nickte, das Lächeln auf meinen Lippen wurde etwas deutlicher.

„Mach dir heute einen schönen Tag, mein Junge. Und vergiss nicht, dass ich immer bei dir bin. Ich sehe dich, jeden Augenblick deines Lebens.“

Ihre Stimme klang so liebevoll und warm, fühlte sich so echt an, als sei sie wirklich da. Ich blickte neben mich, wo sie meinem Gefühl nach hätte stehen müssen, und fragte: „Hast du auch gesehen, dass Meto und ich jetzt verlobt sind?“

„Ja, das habe ich gesehen“, antwortete sie. „Ich sehe alles, was du tust.“

„… Was bist du denn jetzt?“, fragte ich.

„Das kannst du dir aussuchen“, sagte sie. Ich blickte in den Spiegel und sah ihr Gesicht wie einen ganz leichten, blassen Schatten neben meinem. Sie lächelte.

Ich wusste keine Antwort auf die Frage, was Mama denn jetzt war, aber es war okay. Hauptsache, sie war irgendwie bei mir.
 

In dem Moment wurde die Badezimmertür geöffnet, Meto stand im Schlafanzug vor mir und sah mich fragend an. „Tsuzuku, mit wem redest du?“

„Mit Mama“, antwortete ich. „Ich hab ihre Stimme gehört, sie hat mit mir gesprochen.“

Meto lächelte. „Und was hat sie gesagt?“

„Dass ich heute gut aussehe. Und … dass sie immer bei mir ist.“ Ich lächelte meinen Freund an, spürte, dass meine Augen strahlten.

Meto sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann fragte er vorsichtig: „Hast du das öfter, dass du sie so … hörst?“

„Manchmal.“

„Und siehst du sie auch?“

„Ein bisschen. Nicht so richtig, aber so, dass es sich gut anfühlt.“

„Tsu … Ich glaube, das bleibt besser ein Geheimnis zwischen uns. Ich weiß nicht … was zum Beispiel ein Psychologe dazu sagen würde, wenn du dem erzählst, dass du deine verstorbene Mama sprechen hörst …“ Er sah mich ernst an. „Ich glaube dir, dass das nicht krank ist, aber solche Leute vom Fach glauben so was gerne mal nicht so.“

„Ich will sowieso erst mal keinen Psychologen. Ich brauch so was nicht. Ich hab ja dich und Ko und Hitomi. Und diese Gespräche mit Mama, die tun mir gut.“

„Das kann ich mir vorstellen, dass dir das guttut.“ Meto lächelte wieder.
 

„Hast du schon die Kirschblüten gesehen?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

„Nein. Sind sie schon draußen?“

„Guck mal im Schlafzimmer aus dem Fenster.“

Meto lief aus dem Bad zurück ins Schlafzimmer, um sich die Blüten anzusehen, und sobald er weg war, stand Mama wieder schattenhaft neben mir. Ich fühlte ihre Arme um mich und hörte ganz leise ihre Stimme: „Ich hab dich lieb, Genki.“

Dann verschwand das Gefühl der Berührung, ich hörte sie nicht mehr, sie war wieder weg. Doch sie ließ mich in dem Wissen zurück, dass sie immer irgendwie bei mir war und ich jederzeit mit ihr sprechen konnte.
 

„Woah, Tsu, das sieht ja toll aus, die Kirschblüten!“, hörte ich Meto im Schlafzimmer rufen.

„Ja, ne?“, antwortete ich. „Hast du heute eigentlich auch frei?“

„Glaub schon. Ich schau mal in meinen Planer.“

Ich verließ das Bad und ging in die Küche, zündete mir meine allmorgendliche Zigarette an und machte wie immer das Fenster auf. Hier auf der anderen Seite stand ebenfalls ein Kirschbaum in voller Blüte, und als ich mit Rauchen fertig war und sich der Nikotingeruch aus meiner Nase verzogen hatte, nahm ich auch den süßen Duft der Kirschblüten wahr.

Meto kam dazu, hatte seinen Kalender in der Hand und sagte: „Ich hab heute frei. Wollen wir uns zusammen die Kirschblüten anschauen?“
 

Ich atmete noch einmal den Blütenduft ein, schloss dann das Fenster und ging auf Meto zu, umarmte ihn und fragte: „So ein richtig romantisches Kirschblütendate?“

Meto nickte, lächelte mich an. „Wir gehen in den Park und picknicken, und dann kommt ein Windstoß und du hast die Haare voller Blütenblätter.“

„Die du mir dann alle wieder raussuchst“, erwiderte ich lachend.

„Mach ich doch gerne, mein Herz.“ Er küsste mich. „Und was soll ich anziehen?“

„Was du möchtest“, antwortete ich. „Wobei … ich seh dich ja gern im Kleid.“

Meto lachte, dieses süße, liebe Meto-Lachen, und fragte dann: „Und warum?“

„Du siehst schön aus in ‘nem Kleid. Ich finde, es steht dir sehr gut.“

„Und wenn ich heute mal etwas männlicher aussehen möchte?“, fragte er.

„Dann kannst du das machen. Ich finde dich auch dann schön.“ Ich küsste ihn, senkte den Kopf auf seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich find dich immer schön, egal was du anhast.“
 

„Na ja …“, erwiderte er leise, „… wenn ich mich heute mal männlicher kleide, sieht jeder, dass wir zwei Männer sind …“

„Das ist mir heute mal egal. Sollen die Leute sich doch sonstwas denken!“ Ich fühlte mich in diesem Moment ganz stark und sicher, wollte, dass es mir egal war, was fremde Menschen von mir dachten. Es ging niemanden was an, ob die Liebe meines Lebens nun männlich oder weiblich war, und irgendwie wollte ich es auch zeigen, dass ich jemanden hatte und liebte, und nicht allein war.

Ich folgte Meto ins Schlafzimmer, wo er sich eine schwarze, weiß bedruckte Hose und ein kunstvoll zerrissenes, buntes T-Shirt aus dem Schrank nahm und mir beides vorzeigte.

„Wenn ich dazu ein auffälliges Make-up mache und viel Schmuck nehme, passt es auch zu deinem Outfit heute“, sagte er und deutete auf meine ja heute ziemlich lackstofflastigen, schwarzen Sachen.
 

Ich setzte mich aufs Bett und wartete, bis er sich angezogen hatte und zum Schminken und Zurechtmachen im Bad verschwand. Während Meto sich dann schön machte, saß ich im Wohnzimmer und las noch ein wenig in dem Roman, den ich letztens gekauft hatte.

Es war wirklich eine schöne Geschichte und es gab immer wieder diese schön geschriebenen Aktszenen darin, die in einer Weise ausgeschrieben waren, die man durchaus als ästhetisch bezeichnen konnte. Es war nicht zu erkennen, ob die Person, die dieses Buch geschrieben hatte, männlich oder weiblich war, der Autorenname war ziemlich geschlechtsneutral und es gab immer wieder Stellen in der Geschichte, wo ich nicht sicher war, ob die Ausdrucksweise die einer Frau oder eines Mannes war.

Ich fand das ziemlich faszinierend, zumal ich ja selbst in Meto und Koichi zwei Männer kannte, die sich gern weiblicher Ausdrucksweisen bedienten. Und wenn ich daran dachte, wie oft ich selbst Worte wie ‚süß‘ oder dergleichen verwendete, und dass ich mich auch gern mal schminkte …
 

Wieder kam ich beim Lesen an eine Aktszene und wieder war der Ich-Erzähler, mit dem ich mich doch ziemlich identifizierte, der ‚Bottom‘. In dieser Geschichte gab es wie ganz selbstverständlich Positionswechsel, beide Partner waren komplett gleichauf, doch da das bei Meto und mir noch nicht ganz so war, fühlte ich wieder diese Neugierde darauf, wie es wohl sein würde, wenn wir irgendwann demnächst mal tauschten. Ob es mir wohl gefallen würde, wenn er in mich eindrang? Es würde definitiv eine ganz neue Erfahrung sein, doch ich spürte keine Angst.

Das Gefühl hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit dem Gefühl, was ich damals gehabt hatte, bevor ich mein erstes Tattoo bekommen hatte. Neugierde auf eine neue Erfahrung, ein bisschen Nervenkitzel und eine etwas eigenartige Empfindung, die ich schon mein Leben lang kannte, jedoch nicht wirklich beschreiben konnte.
 

Ich hörte Metos Schritte auf dem Flur und klappte das Buch zu. Er kam zu mir, stellte sich vor mich hin und fragte: „Na, wie seh ich aus?“

„Schön siehst du aus“, antwortete ich und lächelte.

Er sah wirklich toll aus, hatte sich in seiner Kunst, sich selbst in eine Art Puppe zu verwandeln, wieder einmal selbst übertroffen. Zwar sah er von der jungenhafteren Kleidung und seinen kurzen Haaren her weniger puppenhaft als im Kleid aus, doch die riesigen Kontaktlinsen, die falschen Wimpern und der strahlend rote Lippenstift machten das wieder wett.

Ich liebte es, wenn er diesen bestimmten Lippenstift trug, der betonte die auffällige, volle Form seiner Lippen so schön und war außerdem kussecht. Und so legte ich das Buch weg, stand auf und küsste diese vollen, weichen, roten Lippen, und flüsterte: „Du bist wunderschön, mein Liebster.“
 

Als wir dann die Treppen hinunter gingen, kam uns, weil es ja auch nicht mal ein, zwei Stunden lang nur schön sein konnte, natürlich Frau Yamaguchi entgegen. Sie hob missbilligend eine Augenbraue, als sie uns sah, und als sie eigentlich schon an uns vorbei war, blieb sie noch mal stehen.

„Ich soll Ihnen von Frau Hirasawa ausrichten, sie möchten bitte in Zukunft von lärmenden Aktivitäten in den Abendstunden absehen“, sagte sie mit hörbar spitzer Stimme.

„Hirasawa?“, fragte ich, der Name sagte mir nichts.

„Die Dame in der Wohnung unter Ihrer“, erklärte Frau Yamaguchi mit noch etwas spitzerer Stimme und blitzte mich bissig an. „Sie beklagt sich wiederholt darüber, dass Sie beide abends oft laut seien und fragt auch, was Sie zu dieser Zeit bitte tun.“
 

Das Gefühl von Stärke, was ich vorhin gespürt hatte, dieser Gedanke, dass es mir egal sein konnte, was Leute von mir dachten, war immer noch da, und mit diesem Gefühl antwortete ich: „Das geht Sie und jeden anderen hier überhaupt nichts an, was mein Freund und ich in unserer Wohnung machen.“ Ein kurzes, überlegenes Lächeln huschte über meine Lippen und ich fügte noch hinzu: „Sagen Sie Frau Hirasawa das. Und wenn sie sich dran stört, dass wir ab und zu die Musik aufdrehen, soll sie selber kommen und sich beschweren.“

„Oh, es geht nicht um die Musik, Aoba“, zischte Frau Yamaguchi. „Es geht darum, dass Sie beide mit ihrer Liebelei hier das Hausklima verschmutzen.“

„Ich glaube nicht, dass man das hören kann“, erwiderte ich.

„Frau Hirasawa will Schreie gehört haben.“

„Wie gesagt, wenn sie ein Problem hat, soll sie selber vorbeikommen.“ Ich fühlte mich stark, überlegen und zudem im Recht. Und ich war mir ziemlich sicher, dass unsere Wohnung so gut gedämmt war, dass man Meto und mich nachts nicht hören konnte.
 

„Sagen Sie, Aoba, eins noch: Was war das eigentlich neulich mit dem Notarztwagen hier nachts um eins?“, fragte Frau Yamaguchi noch ein wenig bissiger. „Die waren doch in Ihrer Wohnung, oder?“

Mit einem Schlag war meine Selbstsicherheit weg, zerbrochen und verflogen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nicht, dass diese Frau von meinem Schmerzanfall erfuhr.

Und Meto, der den ganzen Streit ohne ein Wort mit angehört hatte, bemerkte das und sagte, wesentlich leiser als ich eben: „Tsu hatte … hohes Fieber, deshalb hab ich … sicherheitshalber den Notarzt gerufen.“

„Soso …“, sagte Frau Yamaguchi nur, sah uns noch einmal abschätzig an und verschwand dann die Treppen rauf.
 

Na toll. Jetzt war meine gute Laune wieder mal so ziemlich weg. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ich mal länger als zwei Stunden gut drauf war … Wieso mussten wir auch gerade heute dieser alten Schachtel wieder begegnen?!

Ich spürte, wie mich diese Begegnung frustrierte, wie meine Gedanken zu kreisen begannen und sich meine Gefühle schon in Richtung Abgrund bewegten. „Fuck!“

Meto sah mich an, bemerkte, dass meine Stimmung am Absacken war und griff einfach meine Hand, als wir aus dem Haus gingen. Er sagte nichts, zog mich einfach mit sich in Richtung des nächsten größeren Parks, wo die Kirschbäume blühten.
 

Es waren mehr Leute unterwegs als sonst um diese Zeit, und der größte Park unseres Stadtviertels war voller Menschen, die Picknickdecken ausgebreitet hatten und offenbar heute draußen frühstückten. Ich ließ meinen Blick über die Leute schweifen und entdeckte tatsächlich eine Gruppe junger Leute, die ähnlich gekleidet waren wie Meto und ich. Dann waren wir wenigstens nicht die einzigen, die durch unsere Kleidung auffielen.

„Komm, wir gehen da rüber“, sagte Meto und deutete auf ebenjene Gruppe.

Ich fühlte mich immer noch unsicher, ging aber trotzdem mit ihm mit, ohne etwas zu sagen. Er versuchte schließlich, mich abzulenken und dafür zu sorgen, dass es mir gut ging, was sollte ich da anderes tun, als mitzumachen?
 

Mein Freund hatte heute anscheinend seinen sozialen Tag und setzte sich einfach auf eine Bank in direkter Nähe der Gruppe von Visuals, von denen einige zu uns hersahen. Es waren hauptsächlich junge Mädchen, aber auch zwei junge Männer dabei. Ich setzte mich ebenfalls hin und versuchte, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

Irgendwann stand eins der Mädchen auf und kam auf uns zu. Sie trug als einzige ein aufgebauschtes Lolitakleid ähnlich dem, was Meto auch besaß, aber heute ja nicht trug.

„Hey, seid ihr neu in der Gegend?“, fragte sie und lächelte. „Ich hab euch noch nie hier gesehen.“

Ich sah zu Meto, der anscheinend doch wieder kein Wort herausbekam, und antwortete an seiner Stelle: „Wir sind Anfang März hergezogen.“

„Und woher kommt ihr?“

Ich nannte den Namen unserer Heimatstadt.

„Setzt euch doch mit zu uns“, bot das Mädchen an. „Wir haben auch was zu knabbern da.“
 

Das musste man mir nicht zweimal sagen. Ich hatte schließlich heute noch nichts gefrühstückt. Froh darüber, dass ich überhaupt richtigen Hunger hatte, stand ich auf und setzte mich auf eine der Picknickdecken auf dem Boden unter den Kirschbäumen. Meto setzte sich neben mich.

“Greift zu“, sagte das Mädchen und hielt uns eine Schale mit Crackern hin, aus der ich mir gleich eine Handvoll nahm.

„Und habt ihr euch hier schon gut eingelebt?“, fragte eine der anderen.

„Ja, ein bisschen schon.“ Ich nickte, lächelte, überspielte meine Unsicherheit, so gut ich eben konnte.

Meto nahm sich ebenfalls welche von den Süßigkeiten und sah so aus, als wollte er etwas sagen und konnte aber irgendwie nicht.

„Ihr wohnt also zusammen?“, fragte das Mädchen im Lolitakleid.
 

Es war wirklich alles andere als einfach, normal und locker Leute kennen zu lernen und mit ihnen zu sprechen, wenn ich nicht wusste, wie sie darauf reagieren würden, dass Meto und ich ein Paar waren. Es gab sowohl in seinem, als auch in meinem und unserem gemeinsamen Leben so viele Dinge, die nicht gerade gesellschaftstauglich waren. Meine frühere Obdachlosigkeit und meine mentalen Probleme, Metos Homosexualität und sein Sprachfehler, und nicht zuletzt unsere Beziehung als solche. Über diese Dinge konnte man nicht einfach so sprechen. Und so wusste ich nicht, was ich auf die Frage danach, ob wir zusammen wohnten, antworten sollte. Ich wollte nicht lügen.
 

„Ja. Wir … leben zusammen“, hörte ich da die leise Stimme meines Freundes neben mir. Seine Wangen und Ohren schimmerten verräterisch rot. Und obwohl ihn diese Röte unsicher wirken ließ, erkannte ich seine Stärke in diesem Moment.

Einer der beiden jungen Männer, die ein Stückchen hinter den Mädchen saßen, aber doch eindeutig zur Gruppe dazugehörten, sah erst Meto, dann mich verwundert an.

„Wie, ihr lebt zusammen?“, fragte er. „Wie ein Paar, oder was?!“
 

Meto sah mich an, in seinen Augen stand die Frage, ob wir nun ganz mit der Wahrheit rausrücken sollten, oder besser nicht. Ich wusste es auch nicht. So, wie der Typ da gefragt hatte, klang es nicht gerade so, als sei es kein Problem. Ich dachte an meinen Kollegen Takashima, der mein Outing einfach so hingenommen hatte, und dann an Frau Yamaguchi, die ihre Abneigung offen zur Schau trug. Ich verlangte ja nicht mal, dass alle so begeistert reagierten wie zum Beispiel die Mädchen in dem Café, wo Meto arbeitete, doch insgeheim wünschte ich mir doch, dass es den Leuten wenigstens egal war, ob ich mit einer Frau oder eben mit einem Mann zusammen war.

Die Ablehnung tat mir weh und ich beschloss den Versuch einer Lüge.
 

„Es ist … ein bisschen kompliziert“, sagte ich. „Ich mag nicht gern allein leben, deshalb sind wir zusammen gezogen.“

„Na, solange ihr nicht schwul seid oder so …“, sagte der Typ und klang genauso abfällig, wie ich befürchtet hatte.

Ich sah Meto an, der den anderen jungen Mann wie versteinert anstarrte. Er sah verletzt und wütend aus, und ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich hätte einfach die Wahrheit sagen sollen und dann hätten wir gehen sollen, woanders hin oder nach Hause. Gerade heute, nachdem ich gestern Abend doch erst wirklich verstanden hatte, wo Metos Schwäche lag und warum er mit fremden Menschen nicht richtig sprechen konnte.
 

Und als ich schon beschlossen hatte, zu gehen, und aufstehen wollte, da platzte Meto neben mir geradezu, er sprang auf und sein Blick traf kurz meinen, er sah furchtbar enttäuscht aus.

„Bin ich aber!“, sagte er laut und blitzte den anderen Typen wütend an. „Ich bin schwul, und Tsu und ich sind zusammen! Er traut sich nur nicht, das öffentlich zuzugeben!“ Er sah mich an, schrecklich enttäuscht, wütend und mit Tränen in den Augen, und fragte leise: „Warum stehst du nicht zu mir?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber ich wusste, dass ich in meiner Angst davor, dass mich die Leute hassten, dem liebsten Menschen in meinem Leben gerade furchtbar wehgetan hatte. Und weil ich ihm andererseits versprochen hatte, ihn zu heiraten und unsere Liebe öffentlich zu machen, war er jetzt so enttäuscht von mir.
 

„Meto …“, begann ich, ebenso leise wie er, „Es tut mir leid, ich …“

„Überleg mal, was du eigentlich willst“, sagte er, klang jetzt eindeutig wütend. „Willst du den Leuten gefallen oder mich glücklich machen?“ Er drehte sich um und lief einfach weg, in irgendeine Richtung.

„Meto, warte!“, rief ich, wollte ihm nach, doch meine Beine bewegten sich nicht, fühlten sich wie festgewachsen an. In meinem Kopf drehte sich alles, Sätze, einzelne Worte, Bilder, alles wirbelte durcheinander.

…. ‚Du willst allen gefallen‘

… ‚Borderline‘

… ‚beziehungsunfähig‘

… ‚Zerreißprobe‘

… ‚Jetzt verlässt er dich, weil er dich nicht erträgt‘

… ‚Geh dich ritzen‘

… ‚Er verlässt dich … verlässt dich … verlässt dich‘
 

Ich stand einfach nur da, blickte, ohne wirklich zu sehen, in die Richtung, wo Meto zwischen den Menschen und Kirschbäumen verschwunden war, und fühlte mich unendlich einsam und leer. Dass die Tränen über mein Gesicht strömten, bemerkte ich erst, als das Mädchen im Lolitakleid mich darauf ansprach und fragte, was das denn eben gewesen war.

Ich blickte an ihr vorbei zu dem Typen, der das alles ausgelöst hatte. Der schien nicht recht zu wissen, was er davon halten sollte, sah aber doch betroffen aus, als er meinen Blick bemerkte und sah, dass ich weinte.

Und erst, als ich mich fragte, wo Meto denn jetzt hingelaufen war, fühlte ich mich selbst wieder, spürte, dass mein Herz furchtbar wehtat, fühlte, dass ich am ganzen Körper zitterte.

‚Er verlässt dich‘, flüsterte der schwarze Strudel in meinem Kopf. ‚Genau wie alle anderen auch …‘

Mein schmerzendes Herz fühlte sich an, als würde es ein paar Schläge aussetzen, und es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich sah die Kirschblüten, dachte auf einmal an Vergänglichkeit und Tod, in dem Moment gaben meine Beine unter mir nach, mir wurde schwarz vor Augen und ich sackte weg.
 

Ein leises, gleichförmiges Piepen ließ mich irgendwann wieder die Augen öffnen. Ich war in einem weißen Raum, der anscheinend große Fenster hatte, denn es war hell. Zuerst sah ich alles nur verschwommen, dann etwas klarer, ich blickte zur Seite und sah, woher das Piepen kam: Ich lag in einem Bett und daneben stand so eine Maschine, die verschiedene Linien anzeigte, und immer, wenn die oberste Linie ausschlug, war dieses Piepen zu hören. Mein Verstand arbeitete noch langsam und ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, dass es sich um ein Gerät zur Überwachung von Herztätigkeit handelte. Meiner eigenen Herztätigkeit.

Ich spürte, dass ich andere Sachen anhatte, sah meine Lackjacke, die Weste und meine Hose auf einem Stuhl neben dem Bett liegen und meine Schuhe darunter stehen. Stattdessen fühlte ich ein weißes, weites Nachthemd an meinem Körper.

War ich etwa im Krankenhaus?!

Panik ergriff mich, ich wollte mich aufsetzen, doch mir war so schwindlig, dass ich sofort wieder ins Kissen zurücksank. Und so musste ich liegen bleiben, und spüren, wie die Angst sich in mir ausbreitete, während mein Verstand versuchte, sich daran zu erinnern, was passiert war, wie ich hier her gekommen war. Ich wusste es nicht mehr.
 

Ich hob den Kopf und sah, dass ich nicht allein im Zimmer war. An der gegenüberliegenden Wand standen noch zwei Betten, in dem einen lag eine Frau von etwa Vierzig, in dem anderen eine alte Dame. Die jüngere Frau hatte eine Zeitschrift vor sich liegen und die ältere ein Buch in der Hand.

Die Angst stieg in mir hoch, erreichte mein Herz und ließ es schmerzen, woraufhin das Piepen der Maschine neben mir schneller und lauter wurde. Ich hob den Arm und sah, dass ich eine Infusionsnadel mit einem dünnen Schlauch an der Hand hatte, was sich für mich so anfühlte, als sei ich festgebunden. Der Schlauch führte zu einem hängenden Beutel mit einer durchsichtigen Flüssigkeit darin und ich erinnerte mich kurz daran, dass ich in den letzten Tagen nur einmal wirklich gegessen hatte.
 

Ich dachte an das Curry gestern und dabei fiel mir Meto wieder ein. Wo war er? Warum lag ich allein in einem Krankenhausbett und er war nicht da, um meine Hand zu halten? Was war überhaupt passiert? Ich wusste, irgendetwas war gewesen, doch ich hatte keine Ahnung, was genau.

Die Ungewissheit verstärkte meine Angst. Angst vor dem Krankenhaus, davor, hier bleiben zu müssen, und Angst, dass Meto vielleicht etwas passiert war und er deshalb nicht bei mir sein konnte.
 

Die Tür des Zimmers wurde geöffnet und jemand kam herein, ich erkannte Frau Dr. Matsuyama. Froh darüber, wenigstens ein vertrautes Gesicht vor mir zu haben, sah ich sie an, und sie kam auf mich zu.

„Aoba-san, Sie sind wieder wach? Wie geht es Ihnen?“, fragte sie.

„Was … ist passiert?“, fragte ich, meine Stimme klang kraftlos.

„Erinnern Sie sich nicht?“

Ich schüttelte den Kopf. Das letzte, was ich noch wusste, war, dass ich mit Meto zusammen aus unserer Wohnung gegangen war und dass er die Tür abgeschlossen hatte. Danach war nichts mehr.

„Sie sind beim Kirschblütenfest im Park zusammengebrochen. Die Leute, die dort waren, haben den Krankenwagen gerufen“, sagte Dr. Matsuyama.
 

„Wo ist mein Freund?“ Allein beim Gedanken an ihn tat mein Herz weh und das piepende Gerät neben mir schlug etwas schneller aus.

„Wir haben ihn nicht gefunden.“

„Er war nicht bei mir?“

„Nein. Die Leute, die da waren, haben ausgesagt, dass es Streit gab und er deshalb davongelaufen ist.“ Dr. Matsuyama ging auf die Maschine neben mir zu und stellte irgendetwas neu ein, dann fragte sie: „Können Sie sich wirklich nicht erinnern?“

„Nein … Ich weiß nur noch, dass wir rausgegangen sind und auf dem Weg in den Park waren …“

„Haben Sie öfter solche Erinnerungslücken?“

Ich fühlte in meine Erinnerungen, fragte mich, wie viele Lücken es da wohl gab. So jetzt fiel mir nur die eine Lücke nach Mamas Tod ein, die vier oder fünf Monate, an die mir jede Erinnerung fehlte. Das einzige, was ich davon noch hatte, waren blasse Narben von Schnitten auf meinen Beinen und meinem Bauch. Ich ahnte, woher die kamen.
 

„Eigentlich nur eine. Als meine Mutter gestorben ist, die Zeit kurz danach, davon weiß ich gar nichts mehr“, antwortete ich.

„Aoba, sie haben keinerlei Verletzungen, die einen Gedächtnisverlust erklären würden. Ich habe mit einem Psychiater der hiesigen psychiatrischen Klinik gesprochen und der würde sich gern später mit Ihnen unterhalten. Ist Ihnen das recht?“

Ich schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht einfach nach Hause?“

„Leider noch nicht. Wir müssen Sie noch ein wenig hier behalten. Mit Ihrem Herzen scheint doch irgendetwas nicht in Ordnung zu sein und wir müssen herausfinden, was da los ist.“

„Holen Sie meinen Freund her, dann geht’s mir schon wieder gut“, entgegnete ich.

„Haben Sie seine Handynummer bereit?“

„Ist in meinem Handy eingespeichert.“

Dr. Matsuyama gab mir meine Tasche und ich zog mein Handy heraus, suchte Metos Nummer raus und sie schrieb sie sich auf.

„Aber Sie bleiben trotzdem besser ein, zwei Tage hier. Nur für den Fall, dass ihre Herzprobleme doch eine organische Ursache haben.“
 

Sie ging hinaus und ich nahm an, dass sie zu einem Telefon lief, um Meto anzurufen. Währenddessen versuchte ich weiter, mich zu erinnern, doch je mehr ich mich dabei anstrengte, umso mehr sperrte sich mein Kopf, die Erinnerung freizugeben.

Meto und ich hatten gestritten? Warum? In dem Teil des Tages, an den ich mich erinnern konnte, waren wir beide doch gut drauf gewesen. Hatte ich irgendetwas getan, etwas Schlimmes oder Falsches, irgendwas gesagt, was ihn wütend gemacht hatte? Ich hatte absolut keine Ahnung.

Als Dr. Matsuyama zurückkam, sagte sie: „Ihr Freund ist bei seinen Eltern. Ich habe ihm gesagt, dass Sie hier sind. Er kommt, so schnell es geht.“

„Danke.“
 

Die Ärztin ging wieder und ich blieb, immer noch ratlos, zurück. Es war lange her, dass ich eine solche Erinnerungslücke zu verarbeiten gehabt hatte, und ich verspürte das Bedürfnis, mit Hitomi darüber zu sprechen und sie zu fragen, ob sie das auch kannte. Ich hatte das Gefühl, dass diese Amnesie ziemlich direkt mit meinen anderen Problemen zusammenhing.

Meine beiden Zimmergenossinnen beachteten mich nicht weiter, und so war ich mit meinen Gedanken allein, drehte mich zum Fenster und schaute hinaus in den Garten des Krankenhauses. Ich war wohl so ungefähr im dritten oder vierten Stockwerk und so konnte ich in die Bäume sehen, von denen einige blühende Kirschbäume waren.

Ich dachte daran, was ich letztes Jahr um diese Zeit getan hatte: Ich hatte auf der Straße gelebt, mit den anderen im Park die Kirschblüte gefeiert und damit das Ende des für einen Obdachlosen einfach nur furchtbar strapaziösen Winters. Meto war damals noch nur mein bester Freund gewesen.

Es war kaum zu glauben, dass wir noch nicht mal ein Jahr als Paar zusammen waren, nur erst ein paar Monate. Mir kam es schon so lange vor. Dabei waren wir erst seit letztem Herbst ein Paar, und jetzt war Frühlingsanfang.
 

Ich schaute aus dem Fenster, zu den Kirschblüten, dachte daran, dass es jetzt Frühling wurde, dass ich fünfundzwanzig war und wie schön der Tag heute begonnen hatte. Sofort fühlte ich eine heiße, wilde Sehnsucht nach Meto, seiner Stimme und seinem Körper. Ich wollte in seinen Armen liegen, ihn lieben und von ihm geliebt werden. Und sogleich sprangen mir Tränen in die Augen, weil ich nicht wusste, wann und wie er wieder bei mir sein würde. Hoffentlich war er nicht allzu wütend auf mich. Ich wusste ja immer noch nicht, was genau eigentlich passiert war.
 

Wieder betrat jemand das Zimmer, doch es war nicht Dr. Matsuyama, sondern ein etwa fünfzig Jahre alter Mann in Zivilkleidung, der ein kleines Namensschildchen am Pullover trug. Er trug eine Brille und sah mich über deren Rand aufmerksam an.

„Aoba Genki-san?“, sprach er mich an.

Ich nickte nur. War das der Psychiater, von dem Dr. Matsuyama gesprochen hatte? Ich hatte doch deutlich gemacht, dass ich nicht mit einem Psychiater reden wollte.

„Ich weiß, Sie möchten nicht mit mir sprechen, Aoba-san, aber ich wollte mich zumindest einmal bei Ihnen vorstellen. Mein Name ist Niimura, ich bin Psychiater an der Psychiatrischen Klinik in dieser Stadt“, stellte er sich vor.

Er hatte Recht, ich wollte nicht mit ihm sprechen. Ich drehte mich weg, zog die Bettdecke hoch bis über meinen Kopf und sagte nur: „Gehen Sie weg …“

Die neue Lücke in meiner Erinnerung, das Krankenhaus, die Tatsache, dass Meto nicht bei mir war, und jetzt auch noch der Psychiater, all das sorgte dafür, dass mein Herz wieder zu schmerzen begann und die Maschine neben mir schneller und lauter piepte.

„Verschwinden Sie!“, fuhr ich den Arzt an, „Lassen Sie mich in Ruhe!“

„In Ordnung, ich bin schon weg. Aber, wenn sie es sich anders überlegen, Frau Dr. Matsuyama hat meine Nummer.“ Dr. Niimura drehte sich um und ging wieder hinaus.
 

Meine eben noch aufgekeimte gute Stimmung war weg und ich kroch ganz unter die Decke, wollte nur noch weinen. Ich sehnte mich nach Meto, nach seiner Hand auf meinem schmerzenden Herzen, seiner lieben, leisen Stimme und seinem süßen Lachen. Allein beim Gedanken an ihn weinte ich stärker und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen.

Was die beiden Frauen in den anderen Krankenbetten jetzt von mir dachten, war mir gerade ziemlich egal. Sollten sie mich doch für weinerlich und übertrieben emotional halten, sogar für unmännlich, oder sonst was von mir denken. Ich wollte sowieso nur weg.

[meto] Act 17

Als mich der Anruf von der Klinik erreichte, saß ich gerade mit meiner Mama am Küchentisch. Sie hatte mir Tee gekocht und versucht, mich wieder zu beruhigen, nachdem ich völlig verheult, wütend und verzweifelt bei ihr angekommen war und ihr erzählt hatte, was passiert war.

Wir hatten dann lange geredet, über Tsuzukus und meine Beziehung, und auch über seine Probleme. Und ich hatte diese zum ersten Mal meiner Mama gegenüber beim Namen genannt, sie wusste jetzt, dass mein Freund an einer Borderline-Störung litt. Mama wusste etwas mehr darüber als ich und erzählte mir, dass sie einen Mandanten hatte, der anscheinend ebenfalls so eine Krankheit hatte.
 

Als mein Handy klingelte, ging ich mit großer Sorge ran und erfuhr von Dr. Matsuyama, dass Tsuzuku im Krankenhaus war. Im Krankenhaus!?

Mein erster Gedanke war: „Er hat doch nicht etwa versucht …“, und mir schoss sofort die Angst in die Knochen. Gerade, wo ich mit Mama über das alles gesprochen hatte, war ich mit den Gedanken nah dran, und die Angst, Tsuzuku könnte sich etwas angetan haben, lähmte mich fast.

„Was… denn… mit ihm …ist?“, fragte ich mit zitternder Stimme und verfiel in meinen Sprachfehler.

„Er ist zusammengebrochen, im Park“, antwortete Dr. Matsuyama am anderen Ende der Leitung. „Er war eine Weile ohnmächtig, aber jetzt ist er wieder wach.“ Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie hinzu: „Aber er kann sich nicht erinnern, wie das passiert ist.“
 

„… Wir… hatten Streit, ich bin… einfach weggelaufen…“, sagte ich leise, bekam nur mit Mühe die Worte halbwegs richtig heraus. „Ich… dran schuld, hab ihm … Vorwürfe gemacht… und bin… dann einfach weg …“

„Asakawa-san, Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Wenn Ihr Freund wirklich Borderline hat, dann ist diese Krankheit schuld, sonst niemand.“ Dr. Matsuyama klang ganz ernst und ich hatte das Gefühl, dass unser Fall ihr persönlich nahe ging. Sie war ja eigentlich Notärztin und musste sich gar nicht weiter um ihre Fälle kümmern, nachdem sie sie ins Krankenhaus eingeliefert hatte, doch sie tat es und ich fand das sehr nett von ihr.
 

„Ich… mach mich… gleich auf den Weg, bin… bald da“, sagte ich schnell und stand schon auf. Die Ärztin legte auf und ich steckte mein Handy weg, nahm meine Tasche.

„Was ist denn?“, fragte Mama besorgt.

„Tsuzuku ist im Krankenhaus“, antwortete ich und zog meine Jacke an. „Er ist wieder zusammengebrochen.“
 

Ich zog hastig meine Schuhe an und lief, so schnell ich konnte, zum Bahnhof. Gerade, als ich dort ankam, fuhr der Zug in die Großstadt weg, also musste ich warten. Ich setzte mich auf eine der Bänke und hatte alle Mühe, vor Sorge um meinen Freund nicht verrückt zu werden. Meine Wut auf ihn war erst mal weg, wurde von der Angst beiseitegeschoben. Wie konnte ich auch wütend auf ihn sein, wenn es ihm schlecht ging?
 

Und doch, während ich dort saß und auf den Zug wartete, dachte es in meinem Kopf darüber nach, warum er mich vorhin so verraten und nicht zu mir gestanden hatte. Anscheinend hatte er so große Angst davor, dass ihn Leute hassten, dass er sich zu der Lüge, wir seien gar kein Paar, entschlossen hatte. Und das ausgerechnet in dem Moment, als ich mich selbst dazu durchgerungen hatte, zu meiner Homosexualität zu stehen.

Es hatte furchtbar weh getan, denn mir war durch unser tränenreiches Gespräch von gestern Abend selbst erst so richtig deutlich geworden, dass mein Sprachfehler, die Verspannungen und meine Unsicherheit direkt damit zusammenhingen, dass ich eben auf Männer stand und das vom Großteil der Welt um uns herum nicht akzeptiert wurde. Da hatte ich mich endlich mal dazu durchgekämpft, dazu zu stehen, und dann war es ausgerechnet Tsuzuku gewesen, der es so geleugnet hatte. Ich war einfach so enttäuscht von ihm!
 

Wenn wir allein miteinander waren oder in vertrauter Umgebung, war er immer so überschwänglich zärtlich, sprudelte über vor Liebe und machte mich unendlich glücklich, doch sobald wir in die Öffentlichkeit gingen und die Blicke der fremden Leute spürten, hatte er offenbar oft mehr Angst, als dass er zu uns stehen wollte oder konnte.

Bisher hatte mir das wenig ausgemacht, doch dieses Gespräch gestern Abend hatte etwas in mir verändert. Ich wollte wirklich zu ihm stehen und dass er auch zu mir stand. Immerhin wollten wir heiraten. Und ich hatte gedacht, er wollte unsere Liebe öffentlich machen, zeigen, dass wir zusammen gehörten.

Wo war das hin, wenn er dann doch wieder leugnete, dass wir ein Liebespaar waren? Und warum tat er das? Wo kam seine Angst vor der Ablehnung vonseiten fremder Menschen her?
 

Der nächste Zug in die Großstadt fuhr ein, ich stieg ein und suchte mir einen ruhigen Platz, schaute während der Fahrt aus dem Fenster und dachte über meinen Freund nach, über seine Probleme und meine, und als der Zug schließlich hielt, hatte ich einen Entschluss gefasst: Tsuzuku brauchte professionelle Hilfe.
 

Es waren nicht mal seine Stimmungsschwankungen, seine Selbstverletzung oder seine Essstörung, an die ich da dachte, sondern seine Angst vor Ablehnung fremder Menschen und sein Hinterfragen meiner Liebe. Die beiden Dinge an ihm, mit denen ich am wenigsten zurechtkam.

Ich konnte mit jemandem leben, der sich selbst wehtat. Ich kam halbwegs damit klar, dass er zu wenig aß. Ich konnte mich auf seine Stimmungsschwankungen einstellen und auf sein impulsives Verhalten, und ich wusste ungefähr, was zu tun war, wenn er sich abgrundtief traurig und leer fühlte.

Ich liebte ihn über alles, und ich war bereit, mein Leben mit jemandem zu verbringen, dessen Persönlichkeit nicht gesund war, und das nun mal diesen Namen Borderline-Persönlichkeitsstörung trug. Eben weil ich Tsuzuku so sehr liebte.

Aber ich kam nicht damit klar, wenn er das anzweifelte, dass ich ihn liebte. Und noch weniger kam ich damit zurecht, dass er wegen Angst vor dem Urteil und der Ablehnung fremder Leute nicht zu unserer Beziehung stand. Darüber würden wir sprechen müssen. Und ich würde versuchen, ihn doch zu überreden, sich hilfesuchend an einen Psychologen zu wenden.
 

Kurz erinnerte ich mich daran, dass meine Eltern mich im vergangenen Jahr auch zu einer Psychologin geschickt hatten, wegen meiner Sprachprobleme, und dass ich mich ebenfalls sehr dagegen gesperrt hatte. Doch letztendlich hatte mir diese Frau doch einmal helfen können, und deshalb glaubte ich, dass so jemand Tsu vielleicht auch helfen konnte.
 

Von Bahnhof aus lief ich zum städtischen Krankenhaus, fragte am Schalter nach Frau Dr. Matsuyama und wurde angewiesen, auf sie zu warten. Lange warten musste ich nicht, die Ärztin kam bald auf mich zu und bat mich in einen kleinen Besprechungsraum, wo sie sich setzte und mir den Platz gegenüber anbot.

„Ich möchte mich kurz mit Ihnen unterhalten, Asakawa-san“, sagte sie.

Ich sah sie nur an, antwortete nicht, mein Sprachzentrum war wieder einmal lahmgelegt.
 

„Sie leisten in der Beziehung zu Aoba-san offensichtlich sehr viel. Als ich bei Ihnen war, ist mir ganz deutlich geworden, wie eng Sie beide verbunden sind und das, obwohl ihr Freund an einer solchen Krankheit leidet. Aber … Sie können nicht alles für ihn tun. Asakawa-san, Ihr Freund braucht Hilfe. Professionelle Hilfe, von Leuten, die Sie beide im Leben unterstützen.“

„Ich… weiß“, sagte ich leise. „Soweit… bin ich… auch schon…“

„Ich habe einen sehr guten Psychiater zu ihm geschickt, aber Ihr Freund hat das Gespräch verweigert. Wissen Sie, warum?“

„Er… ja Angst hat… vor Krankenhaus… und so. Und besonders… vor Psychiatern… und Psychologen… und solchen…“, antwortete ich leise. „Genau… weiß ich auch… nicht, warum…“

„Reden Sie bitte mit ihm darüber. Ich denke, Ihnen hört er da noch am ehesten zu.“

Ich nickte. Auch, wenn ich noch nicht wusste, wie ich Tsuzuku meinen Entschluss, dass wir richtige Hilfe annehmen mussten, beibringen sollte.
 

Dr. Matsuyama stand auf, und ich folgte ihr aus dem Raum, den Gang hinunter und einige Treppen hinauf, bis sie vor einer Krankenzimmertür stehen blieb. Sie öffnete die Tür und ich betrat das Zimmer, in dem drei Betten standen, zwei an der Wand und eins am Fenster.

Die beiden an der Wand waren im Augenblick leer, doch es war zu erkennen, dass sie sonst belegt waren. Und in dem Bett am Fenster war die Bettdecke bis übers Kopfkissen hochgezogen, darunter erkannte ich versteckt den Körper meines Freundes. Zuerst schien es, bis auf das leise Piepen des neben dem Bett stehenden EKG-Geräts, still im Zimmer zu sein und ich dachte schon, dass Tsuzuku vielleicht schlief, doch dann hörte ich ihn leise schluchzen.
 

Langsam ging ich zu dem Bett hinüber und als ich davor stand, sagte ich leise: „Hey, Tsu …“

Ich setzte mich auf die Bettkante und streckte die Hand nach der unter der Decke verborgenen, zitternden Schulter aus, streichelte sanft und liebevoll. Und obwohl ich immer noch mit ihm über vorhin reden und wissen wollte, warum er unsere Beziehung so verleugnet hatte, spürte ich doch, ich hatte ihm das im Grunde längst verziehen.

Langsam und vorsichtig zog ich die Bettdecke weg, und sah, dass Tsuzuku sich darunter ganz klein und eng zusammen gekauert hatte. Wie ein Kind, das sich bei Gewitter unter der Decke versteckte, hatte er sich aus Angst vor der Welt verkrochen und machte sich ganz klein.

„Meto …“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme meinen Namen und sah mich an, seine Augen waren gerötet vom Weinen und seine Hände wieder ganz zerkratzt. „Was immer ich getan hab … verzeih mir, bitte …“
 

Tsuzuku sah so unglaublich traurig und kaputt aus, wie er da lag und mich fast schon flehend ansah, dass mir selbst ebenfalls Tränen in die Augen stiegen. Ich stellte meine Tasche ab, zog meine Schuhe aus und legte mich einfach zu ihm, meinen Arm um ihn, und fühlte mich wieder als der, der ihn beschützen musste.

„Alles gut, Tsuzuku, ich bin bei dir“, flüsterte ich. Er zitterte, ich zog die Bettdecke wieder hoch, deckte uns beide zu und fügte hinzu: „Ich wärm dich.“

Ein lautes, schnelles Piepen ließ mich zu der Maschine neben dem Bett schauen. Die Linien, die Tsu’s Herzschlag aufzeichneten, schlugen etwas stärker aus. Er hatte einen damit verbundenen, kleinen Sensor auf der Brust kleben, und noch dazu eine Infusion an der Hand.

„Beruhige dich, mein Schatz, es ist alles gut, ich bin da“, sagte ich noch einmal und streichelte über seine Seite. „Ich pass auf dich auf, dann kann dir nichts passieren.“
 

„Lass mich bitte … nie wieder allein …“, flüsterte Tsuzuku, er drehte sich zu mir um und klammerte sich an mich. „Du darfst mich nicht verlassen …!“

Ich umarmte ihn fester, zog ihn nah an mich und küsste ihn, dachte daran, dass es an mir lag, dafür zu sorgen, dass er sich wieder ein wenig stabilisierte. Er küsste mich sehnsüchtig zurück, seine Lippen schmeckten nach dem Salz seiner Tränen, und seine Hand krallte in meine Seite, so als wollte er mich mit aller Kraft festhalten, damit ich nie wieder weg ging.

„Ich verlass dich nicht“, antwortete ich. „Ganz bestimmt nicht.“

„Das darfst du nicht … Ich überleb das nicht …“ Seine Stimme klang so verzweifelt, genauso, wie er mich ansah. Der Schmerz in seinem Gesicht, die Angst, es war fast wieder wie damals, als ich ihn gerade neu gekannt und er oft vom Sterben gesprochen hatte.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Hatte keine Worte, um dem Schmerz in seiner verletzten Seele etwas entgegenzusetzen. Alles, was ich tun konnte, war, ihn weiter ganz fest zu halten, damit er fühlte, dass ich bei ihm war, und er nicht zerbrach.
 

„Und du kannst dich wirklich nicht an vorhin erinnern, hat die Ärztin gesagt?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf, sagte mit ganz leiser und kraftloser Stimme: „Ich weiß nur noch, dass wir aus der Wohnung gegangen sind.“ Und dann: „Was ist dann passiert?“

„Tsu, ist es okay, wenn wir später darüber reden? Dann, wenn es dir ein wenig besser geht?“, fragte ich leise. Es war mir zu gefährlich, diese schlimme Situation da im Park jetzt wieder hochzuholen, weil ich ja auch nicht wusste, ob und wie Tsuzuku sich daran wieder erinnern würde.

Er nickte auf meine Worte hin und drückte sich an mich, ich spürte immer noch seine Angst. Und ich beschloss, dass wir erst richtig über alles reden würden, wenn Tsu wieder aus dem Krankenhaus raus war. Das war besser für ihn, und auch für mich. Er musste sich erst einmal erholen, und ich musste überlegen, wie ich ihm beibringen sollte, dass wir professionelle Hilfe brauchten.
 

Wir blieben eine Weile so liegen, ich hielt ihn im Arm, bis er sich wieder beruhigt hatte.

Irgendwann kamen zwei Frauen herein, denen wohl die beiden anderen Betten gehörten, und die ältere von ihnen sah uns etwas irritiert an, sagte aber nichts. Ich war froh darüber, und Tsuzuku wirkte viel zu kaputt und erschöpft, reagierte gar nicht auf die beiden.

Als die jüngere, eine Frau von etwa vierzig, uns dann doch ansprach und fragte, ob alles in Ordnung sei, und Tsuzuku immer noch einfach nicht auf sie reagierte, antwortete ich, zu meinem eigenen Stolz fast ohne Stocken: „Ja … alles gut, ich … kümmere mich schon um ihn …“

„Sind Sie beide verwandt?“, fragte die Frau.

Ich sah Tsu an, ob er wollte, dass ich antwortete, und er lächelte matt, schmiegte sich enger an mich.

„Nein… wir… sind zusammen“, sagte ich.

Selbst wenn Tsuzuku sich nicht an vorhin erinnern konnte, so war ihm doch anzumerken, dass er irgendwo doch wusste, was der Grund für seinen Zusammenbruch gewesen war. Er kuschelte sich an mich, so als wollte sein Unterbewusstsein mir zeigen, dass er seinen Fehler wieder gut machen wollte.

Die Frau sagte nichts weiter dazu, sondern legte sich wieder hin und wandte sich einer Zeitschrift auf ihrem Nachttisch zu.

„Meto …“, sprach Tsu mich leise an, „Ich liebe dich.“

Ich lächelte, drückte ihn fest an mich und flüsterte zurück: „Ich dich auch.“
 

Ich blieb bei ihm, und später, als ich Hunger bekam, stand ich auf, um mir etwas zu essen aus der Cafeteria zu holen.

„Ich hab Hunger. Soll ich dir was mitbringen?“, fragte ich meinen Freund.

Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Ich will nichts.“

„Du musst was essen. Wir machen es so, dass ich mir einfach ein bisschen mehr hole und dann kriegst du von meinem was ab, okay?“

Er streckte seine Hand nach mir aus. „Sei bitte schnell wieder da.“

„Klar, ich beeil mich.“ Ich lächelte.
 

Ich lief den Gang und die Treppen runter in die Cafeteria, überlegte mir auf dem Weg schon mal, was ich essen wollte, und entschied mich, als ich mich in die Schlange vor der Theke einreihte, für ganz einfachen Reis mit Sauce, dazu ein Päckchen Eistee.

Die Schlange war doch recht lang und je länger ich da stand und wartete, umso mehr kam ich wieder ins Nachdenken. Irgendwie … war von einem Moment auf den anderen alles wieder schlimmer geworden mit Tsuzukus Krankheit, er wirkte wieder so kraftlos und kaputt wie früher und jetzt mussten wir außerdem befürchten, dass mit seinem Herzen wirklich etwas nicht stimmte.

Als ich endlich drankam und bestellte, war ich innen drin voller Angst, dass mein Freund diese Krise nicht so einfach überstehen würde.
 

Mit dem Essen in den Händen lief ich zurück, und als ich wieder ins Zimmer kam, lag Tsuzuku mit leerem Blick im Bett und ich sah wieder Tränen auf seinen Wangen. Ich stellte das Essen auf den Nachttisch und legte mich erst mal wieder zu ihm, streichelte ihn und flüsterte ihm zu, dass doch alles gut und ich wieder da war.

„Komm, wir essen ein bisschen, ja?“, sagte ich, setzte mich auf und nahm den Teller und die Stäbchen in die Hand.

„Ich will nichts.“

„Bitte. Für mich.“ Ich sah ihn lieb an, küsste seine Wange.

Tsu sah mich abwägend an, dann fragte er leise, fast schüchtern: „Fütterst du mich?“

Ich grinste. „Immer doch.“ Nahm ein bisschen Reis zwischen die Stäbchen, Tsuzuku öffnete den Mund und ich schob es ihm rein, einen Happen nach dem anderen. Zwischendurch ließ ich ihm genug Zeit, dass er in Ruhe kauen und schlucken konnte, und ich aß selbst auch etwas, achtete aber darauf, dass er ungefähr die Hälfte der Portion abbekam.
 

Die beiden Damen in den anderen Betten sahen uns zu, aber zumindest mir war das egal, und Tsu anscheinend auch, denn mit jedem Happen Reis, den ich ihm ‚verfütterte‘, wirkte er entspannter. Ich hatte zwei Päckchen Eistee mitgebracht, und als der Reis aufgegessen war, reichte ich meinem Freund eines davon, welches er auch gleich gierig austrank.

„Gut gemacht“, lobte ich ihn und gab ihm noch einen Kuss.

Er kuschelte sich an mich, wirkte wie ein glückliches Kind, das sehr krank gewesen war und sich jetzt aber auf dem langsamen Weg der Besserung befand. Und ich freute mich, dass es ihm etwas besser ging, auch wenn ich die Verantwortung für ihn deutlich spürte, wenn ich so für ihn sorgte. Aber ich tat es gern, sehr gern, weil ich ihn liebte und ich wollte, dass er sich so gut wie möglich fühlte.
 

Ich verbrachte den ganzen Nachmittag im Krankenhaus, an Tsuzukus Seite. Irgendwann holte ich ein Buch und zwei Zeitschriften vom Kiosk und begann, ihm daraus vorzulesen, dann las er mir vor, immer abwechselnd. Auch, als Visite war, blieb ich bei ihm sitzen, passte auf ihn auf und tat das, was ich ihm mit meinem ‚Ja‘ zu seinem Heiratsantrag versprochen hatte: Bei ihm zu sein, in guten und schlechten Zeiten, einfach immer, damit er sich nicht allein fühlte.
 

Ich wusste, wir hatten vorhin im Park beide Fehler gemacht: Er, indem er sich nicht zu mir bekannt hatte, und ich, indem ich einfach weggelaufen war. Ich konnte mir vorstellen, dass das in ihm diese furchtbare Angst vor dem Verlassenwerden wieder wachgerufen und dass eben das zu seinem Zusammenbruch geführt hatte.

Aber jetzt machten wir es beide wieder gut. Tsuzuku stand zu mir, verleugnete den Ärzten und anderen Patienten gegenüber nicht unsere Beziehung, und ich blieb bei ihm und machte ihm keine Vorhaltungen. Uns war jetzt beiden klar, dass unser Zusammenhalt und unsere Beziehung für ihn absolut lebenswichtig war, und auch, wenn er sich nicht an den Grund für den Zusammenbruch erinnern konnte, war ich mir sicher, dass er dem Fehler, unser Zusammensein zu verleugnen, so schnell nicht wieder machen würde. Aber wir würden, sobald er aus dem Krankenhaus raus und wieder halbwegs gut drauf war, noch einmal in Ruhe darüber reden.
 

Abends, als ich nach Hause musste, fiel es mir sehr schwer, zu gehen und Tsuzuku hier allein zu lassen. Ich wusste, die Nacht ohne mich im Krankenhaus zu verbringen, machte ihm sehr große Angst, doch ich hatte es nicht geschafft, die Ärzte davon zu überzeugen, dass ich über Nacht bei ihm bleiben durfte. Sie hatten gesagt, eine oder zwei Nächte würde er hier bleiben müssen. Und ich musste morgen wieder arbeiten, er würde also die Nacht und den ganzen Vormittag ohne mich sein. Am liebsten wollte ich entweder gar nicht gehen, bei ihm bleiben, oder ihn wieder mit nach Hause nehmen, weil ich genau wusste, dass er mich in diesem Zustand sehr vermissen würde.

Zum Abschied küsste ich ihn lange und mit all meiner Liebe, er hatte schon Tränen in den Augen und bat dann die Krankenschwester, die uns das Ende der heutigen Besuchszeit angekündigt hatte, um eine Schlaftablette, damit er gleich schlafen konnte und nicht so lange ohne mich wachliegen musste.

„Ich komme morgen Mittag wieder“, sagte ich und streichelte Tsu’s Wange. „Schlaf gut, mein Herz, und hab keine Angst, es wird alles wieder gut.“
 

Als ich die Tür des Krankenzimmers hinter mir wieder schloss, hatte ich auch Tränen in den Augen. Ich würde Tsuzuku heute Nacht ebenfalls sehr vermissen, unser Bett würde so leer sein ohne ihn. Mit schwerem Herzen und mit den Tränen kämpfend verließ ich das Krankenhaus, lief zur Bahnstation und setzte mich in die Bahn nach Hause. In der Bahn schrieb ich eine längere SMS an Koichi, der ja auch wissen musste, dass Tsuzuku im Krankenhaus war, und bekam eine heftig besorgte Antwort, was denn passiert sei.

Ich rief ihn an, als ich aus der Bahn raus war, erzählte ihm in kurzen Worten, was passiert war, und musste Koichi erst mal beruhigen, weil er sich jetzt natürlich wahnsinnige Sorgen um Tsuzuku machte. Daraus folgte, dass wir wieder einmal länger über meinen Freund sprachen, darüber, was wir beide tun konnten und sollten, damit es ihm besser ging, und wir waren uns wieder einmal einig, dass dieses Ungeheuer Borderline absolut furchtbar war und wir nicht aufhören durften, an Tsuzukus Seite dagegen anzukämpfen.

Ich erzählte Koichi auch, dass anscheinend doch auch mit Tsuzukus Herzen irgendetwas nicht stimmte, dass die Ärzte jedoch noch nicht wussten, was da genau los war. Dr. Matsuyama hatte gesagt, morgen würden sie noch ein paar Untersuchungen machen, dann wüsste man vielleicht mehr.
 

Zu Hause angekommen, suchte ich nach irgendwas, womit ich mich von meiner Sorge um meinen Freund ablenken konnte, und landete schließlich vor der Spielekonsole, spielte ungefähr eine Stunde, bis ich endlich zu müde dafür wurde, mich abschminkte und auszog und dann ins Bett legte.

Es war ungewohnt, allein hier zu liegen, und nachdem ich einige Minuten vergeblich versucht hatte, ruhig einzuschlafen, und mich immer wieder von einer Seite auf die andere drehte, stiegen mir wieder Tränen in die Augen.
 

Und als ich dann daran dachte, dass Tsuzuku jetzt, auch ganz traurig und allein, im Krankenhaus lag, musste ich richtig weinen. Ich vermisste ihn, das Bett war so leer und ich hatte Angst um ihn, dass er furchtbar litt und sich wieder kratzte und selbst wehtat, weil er mich ebenso vermisste.

Und, auch wenn das jetzt vielleicht ein wenig unpassend war: Ich sehnte mich nach seinem warmen Körper, nach seinen Armen um mich und den allabendlichen Zärtlichkeiten zwischen uns. Ich war mir ganz sicher, dass er sich ebenso nach mir sehnte. Zärtlichkeiten, Lust, eng umarmt Haut an Haut einzuschlafen, das war uns beiden so wichtig, er vermisste das ganz sicher genauso sehr wie ich.
 

Irgendwann schlief ich dann doch ein, doch es war kein ruhiger Schlaf, sondern einer voller Albträume, Ängste und Sehnsucht. Ich träumte, dass Tsuzuku sich selbst verletzte, schrie und weinte, dass es ihm so schlecht ging, dass ich ihn kaum beruhigen konnte. Ich hatte furchtbare Angst um ihn und meine Träume spiegelten das.

Und andererseits träumte ich von seiner Lust, seiner unbeherrschten Leidenschaft und seinem heißen Körper, davon, dass er mich fesselte und nahm, und ich wieder seine Selbstsicherheit in solchen Momenten spürte. Doch diese schönere Seite meiner Träume löste sich immer wieder plötzlich auf und ich sah ihn weinen.
 

Mitten in der Nacht wachte ich davon auf, dass mein Handy auf dem Nachttisch klingelte. Ich bekam einen wahnsinnigen Schrecken und sprang sofort aus dem Bett, bevor ich ranging und sah, dass Tsuzukus Name und Nummer auf dem Screen standen.

„Meto …?“, hörte ich seine Stimme, ganz leise, „Tut mir leid … dass ich dich wecke …“ Seine Stimme zitterte und klang ganz verweint und schwach.

„Tsu, was ist los?“, fragte ich besorgt, „Hast du auch schlecht geträumt?“

„M-hm …“, machte er leise, „Und ich wollte … deine Stimme hören. Mein Herz tut weh und ich sehne mich so nach dir, nach deiner Hand auf meinem Herzen …“

Fast war es schon wieder süß, wie er das sagte. Aber ich wusste, er meinte das ganz ernst.
 

„Tsuzuku, du musst schlafen“, sagte ich. „Sonst bist du morgen so müde …“

„Ich kann nicht schlafen. Die Tablette wirkt nicht mehr“, flüsterte er und klang mit jedem Wort zerbrechlicher. „Meto … ich hab solche Angst …! Ich halte das hier nicht aus, ich brauche dich bei mir. Bitte sei da …!“

„Wovor … hast du denn Angst?“, fragte ich vorsichtig, um herauszufinden, was genau gerade in ihm vorging. Ich wollte ihn verstehen, wollte wissen, was ich tun konnte.

„Ich will nicht wieder sterben wollen“, antwortete er. „Aber meine Gefühle, die Angst, der Hass auf mich, das wird immer mehr, immer schlimmer … Irgendwann halte ich das nicht mehr aus …“

Er klang wirklich gar nicht gut, nicht nur seine Worte machten mir große Sorgen, sondern auch der verweinte, verzweifelte Klang seiner Stimme. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und zog die Knie hoch, während ich am Handy versuchte, Tsuzuku zu beruhigen und ihm über die Entfernung hinweg Halt zu geben: „Hilft es dir, wenn du dir sagst, dass eigentlich alles soweit gut ist? Ich meine, ich bin für dich da, und morgen Mittag kann ich wieder bei dir sein. Die Ärzte werden schon rausfinden, was mit deinem Herzen los ist und wie sie dich wieder gesund kriegen.“
 

„Ich … vermiss dich so …!“ Jetzt weinte er richtig, ich hörte ihn schluchzen und er konnte kaum noch sprechen. „Bitte, kannst du … morgen früh schon … bei mir sein?“

„Tsu, ich muss arbeiten. Und vorher muss ich auch noch bei deiner Arbeit vorbei und sagen, dass du krank bist“, erwiderte ich und hätte am liebsten gesagt, dass ich jetzt einfach zu ihm kam und die Nacht und den ganzen Tag bei ihm blieb. Aber wenn wir beide bei unseren Arbeitsstellen so oft fehlten, das ging einfach nicht.
 

„Ich vermiss dich doch auch, mein Schatz“, sagte ich, als er nicht antwortete und ich ihn weiter weinen hörte. „Ich kann dich morgen auch in meiner Pause mal anrufen, und mittags bin ich ganz bestimmt wieder bei dir.“

„Ich … will hier weg …“

„Tsuzuku, das ist ein Krankenhaus. Die wollen dir helfen, etwas tun, damit es dir bald wieder besser geht. Du musst keine Angst haben, morgen oder übermorgen kannst du bestimmt wieder nach Hause zu mir.“

„Ich hab aber Angst …!“ Jetzt klang er nicht nur völlig verweint, sondern richtig panisch. Ich überlegte fieberhaft, was ich sagen konnte, damit er sich wieder beruhigte.

„Okay, dann stehst du jetzt auf, rufst die Nachtschwester und sagst ihr, dass du Panik hast. Entweder redet sie mit dir, oder sie gibt dir noch eine Tablette, dann kannst du schlafen.“
 

Ich hörte ihn keuchen, dann ein lautes, schnelles Piepen im Hintergrund, das bestimmt von dem Gerät neben seinem Bett kam. Am liebsten hätte ich mich jetzt ganz angezogen und wäre zum Krankenhaus gefahren, um bei Tsuzuku zu sein und ihn in meine Arme zu nehmen. Aber ich wusste, dass sie mich jetzt, mitten in der Nacht, nicht zu ihm lassen würden.

„Tsu?“, fragte ich besorgt, als er nichts sagte. „Was hast du?“

„… Mein Herz …“, keuchte er, „… es tut so weh …“

„Hör zu, du drückst jetzt den Schalter, mit dem man die Nachtschwester ruft, verstanden? Und dann lässt du dir bitte helfen. Ich bin morgen wieder bei dir, bis dahin musst du noch ein wenig durchhalten.“ Innerlich betete ich zu allen mir bekannten Göttern, dass mein Freund diese Krise einigermaßen heil überstand und dass er danach wieder glücklich werden würde. Auch, wenn ich wusste, dass das Glück bei ihm nur bis zur nächsten Tiefphase hielt. Und so versicherte ich ihm noch einmal: „Tsu, ich liebe dich, mein Schatz.“

„Ich lieb dich auch …“, flüsterte er, ich hörte ein anderes Piepen, das wahrscheinlich von dem Notrufknopf herrührte. Dann wurde die Leitung unterbrochen, er hatte aufgelegt.
 

Danach war an Schlafen natürlich nicht mehr zu denken. Ich versuchte es noch, aber ich war so hellwach und voller Angst um meinen Freund, dass ich kein Auge mehr zu bekam. Und so musste die Spielekonsole wieder als Ablenkung herhalten, erfüllte diesen Zweck jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Ich spielte den Rest der Nacht durch, doch zwischendurch musste ich immer wieder unterbrechen, weil ich so weinen musste.

Als es zum Morgen dämmerte, war ich völlig müde und fertig, schaltete die Konsole aus und begann schon, mich für die Arbeit fertig zu machen. Ich stand über eine halbe Stunde unter der Dusche, ließ das heiße Wasser auf mich niederregnen und schwankte dazwischen hin und her, einerseits nur an Tsuzuku zu denken, und mich andererseits ablenken zu wollen. Ich vermisste ihn, machte mir wahnsinnige Sorgen um ihn, aber ich musste nachher arbeiten gehen und mich ja irgendwie auch darauf konzentrieren.
 

Und so machte ich mich dafür zurecht, machte mich so hübsch, wie ich konnte, damit wenigstens die Gäste im Café glücklich und zufrieden waren, wenn ich selbst es heute nicht sein konnte. Ich wollte Ruana heute mal wieder mitnehmen, sie bekam ein Puppenkleid an und eine Schleife auf den Kopf.

Beim Frühstück saß sie mir gegenüber auf Tsuzukus Platz (auch damit der nicht ganz so leer aussah) und ich redete ein bisschen mit ihr, erzählte ihr alles, was sie nicht mitbekommen hatte. Ich wollte sie auch deshalb mit zur Arbeit nehmen, weil ich danach gleich vom Café aus ins Krankenhaus wollte und da sollte sie mitkommen, schließlich war sie sozusagen Tsu’s und mein Baby.

Kurz vorm Losgehen packte ich schnell noch eine kleine Tasche für Tsuzuku, mit normalen Klamotten und seiner Kulturtasche, damit er sich anziehen und waschen konnte.
 

Mit Ruana in der Handtasche machte ich mich schließlich auf den Weg zur Bahn, setzte mich in die, welche in die Innenstadt fuhr, und stieg erst noch beim Tattoo-Studio aus, um Bescheid zu sagen, dass Tsuzuku jetzt ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen würde.

Dort wurden gerade eben erst die Rollläden hochgezogen und Tsuzukus Kollege Takashima schien auch als einziger schon da zu sein. Ich klopfte ans Fenster und er öffnete die Tür.

„Ah, du bist doch Genkis Freund, oder?“, fragte er. „Ist was?“

Ich sammelte mein mageres Sprechvermögen zusammen und sagte leise: „Tsu … also Genki, ist krank. Er liegt … in Krankenhaus … deshalb … er jetzt ein paar Tage … fehlen wird.“

„Oh, im Krankenhaus?“, fragte Takashima erschrocken. „Was hat er denn?“

„Er … zusammengebrochen ist … gestern. Vielleicht … irgendwas mit … seinem Herzen … nicht okay ist …“, antwortete ich leise.

„Also, ist er im städtischen Klinikum? Nicht in der Psychiatrischen?“, fragte Takashima weiter. „Kann man ihn besuchen?“

„Ich bin heute Mittag bis abends dann bei ihm“, sagte ich.

„Vielleicht schau ich nachher mal bei ihm vorbei. Wir verstehen uns ja ganz gut.“
 

Nachdem ich also Bescheid gesagt hatte, dass Tsuzuku erst mal nicht zur Arbeit erscheinen würde, fuhr ich mit der Bahn weiter zu meiner eigenen Arbeitsstelle, wo ich auf Koichi traf, der schon da war und gerade die Frühstückstheke vorbereitete. Als er mich sah, stürzte er geradezu auf mich zu.

„Meto, hey, bist du in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Du siehst total fertig aus.“

„Ich hab auch … die halbe Nacht nicht geschlafen“, antwortete ich. „Tsu hat mich … mitten in der Nacht … angerufen, und ich musste ihn … wieder beruhigen, und danach … konnte ich dann nicht mehr schlafen.“

„Und da kommst du trotzdem zur Arbeit?“, fragte Koichi.

„Zu Hause würde mir … jetzt doch nur … die Decke auf den Kopf fallen …“, sagte ich. „Heute Mittag geh ich ins Krankenhaus, ihn besuchen.“

„Da komm ich mit. Ich muss ihn doch schließlich auch besuchen.“ Koichi ging zur Theke zurück und fuhr fort, sie einzuräumen, und sagte dann: „Ich hoffe, er macht keinen Blödsinn, wenn wir nicht bei ihm sind. Aber im Krankenhaus passen sie gut auf ihn auf, oder?“

„Ich glaube, er hat heute den Vormittag über Untersuchungen, und die eine Ärztin weiß auch, was er für Probleme hat …“, sagte ich. „Von daher passen sie wahrscheinlich schon besonders auf ihn auf.“
 

Ich machte mich an die Arbeit, half zuerst Koichi bei den Vorbereitungen für das Frühstücksangebot und tat dann noch dieses und jenes, was in einem Café vor den Öffnungszeiten erledigt werden musste. Die Arbeit lenkte mich ein bisschen ab und ich sammelte nach dieser furchtbaren Nacht neue Kraft, damit ich nachher zu Tsuzuku gehen und ihm wieder etwas von meiner Kraft abgeben konnte.

Als das Café öffnete, war ich bereit, die Gäste zu bedienen, und zuerst lief alles prima, ich funktionierte einfach und dachte, während ich arbeitete, an nichts anderes.
 

Doch dann, als ich gerade drei Teller mit Brötchen, Marmelade und Butter zu einem Tisch bringen wollte, betraten drei Personen das Café, von denen ich bei zweien geglaubt hatte, ich würde sie niemals wieder sehen. Mein Herz machte einen erschreckten Satz und mir wären fast die Teller heruntergefallen, ich bekam sie nur gerade eben so heil auf den Tisch und starrte die drei an, die sich an einen Tisch setzten und mich zuerst gar nicht besonders bemerkten.
 

MiA sah gut aus, hatte immer noch die Haare lila und trug sehr schicke Sachen, die stark an einen Märchenprinzen erinnerten. Mit ihm zusammen waren die Prinzessin, mit der ich ihn zuletzt gesehen hatte, und ein jugendlich wirkender Typ mit silbrig gefärbten, langen Haaren hergekommen, und dieser winkte meinen Kollegen Haruma heran, um etwas zu bestellen.

Ich stand einen Moment wie erstarrt da, konnte MiA einfach nur anstarren und mein Herz raste. Und im nächsten Augenblick handelte mein Körper gottseidank von selbst, ich drehte mich schnell um und lief nach hinten in die Umkleide, schlug die Tür hinter mir zu und ließ mich auf die Bank vor meinem Spind sinken.
 

Hoffentlich, oh bitte, bitte hatte er mich nicht erkannt!

Ich hatte heute eine langärmlige Strickjacke über dem Kleid an, sodass mein Tattoo kaum zu sehen war, und mit der Perücke hatte MiA mich, soweit ich das noch wusste, nie gesehen. Die Chancen standen gut, dass er mich nicht erkannt hatte.

Jemand klopfte an die Tür und ich erschrak wiederum, bis ich Koichis Stimme leise wispern hörte: „Meto? Hast du gesehen, wer da ist?“

Ich stand auf, öffnete die Tür und flüsterte: „Ja, hab ich. Deshalb bin ich ja hier hinten. Ich komm nicht eher raus, bis er wieder weg ist.“

„Okay, bleib da drin, oder geh rüber ins Büro, da kannst du auch Sachen bearbeiten und so“, sagte Koichi leise und fragte dann: „Soll ich zu ihm gehen, oder nicht?“

Am liebsten wollte ich, dass MiA auch Koichi nicht sah, aber das konnte ich Ko doch irgendwie schlecht vorschreiben.

„Mach, wie du willst“, sagte ich also.

„Ich sag ihm nicht, dass du hier arbeitest“, erwiderte Koichi. „Und ich rede mit ihm auch nicht über dich und Tsu, versprochen.“
 

Ich huschte also über den Gang ins Büro, wo ebenfalls niemand war, weil Satchan heute nicht da war, und begann, mich mal näher mit den Rechnungen und allgemeinen Geschäftsunterlagen des Cafés zu befassen. Zwischendurch rief ich noch Tsuzuku über Handy an, was ich ihm ja heute Nacht versprochen hatte.

„Wie geht’s dir, mein Herz?“, fragte ich.

„Geht so …“, antwortete er. „Die schleppen mich hier von einer Untersuchung zur nächsten.“

Ich atmete erleichtert auf, weil er eher gleichgültig oder ein bisschen genervt klang, jedenfalls nicht traurig oder verängstigt. „Bald ist Mittag, dann bin ich bei dir.“

„Ich vermiss dich …“, flüsterte er.

„Ich dich auch. Bis nachher, mein Schatz.“
 

Als ich nach etwa einer halben Stunde soweit mit der Büroarbeit durch war, dass ich absolut keine Lust mehr auf Papierkram hatte, riskierte ich einen vorsichtigen Blick in den Caféraum und sah, dass MiA immer noch mit seinen zwei Leuten da saß, während Koichi gerade für ein Foto mit zwei Mädchen bereitstand.

Schnell verschwand ich wieder in die Umkleide und schaute dort auf die Uhr. Es war halb zwölf Uhr mittags, bald musste ich los zu Tsuzuku in die Klinik. Aber dafür musste erst MiA verschwinden, denn das Café hatte nur diesen einen Ausgang zur Straße hin.
 

Und als wenn das nicht schon nervig genug gewesen wäre, dass ich mich hier vor meinem Exfreund versteckte, begannen auch noch meine Augen aus einem unerfindlichen Grund zu tränen und ich musste die Kontaktlinsen rausnehmen, wobei auch noch mein ganzes schönes Augen-Makeup verwischt wurde.

Leise vor mich hin schimpfend, machte ich es schnell neu, ließ die Linsen aber weg, weil ich den Verdacht hatte, dass sie entweder nicht mehr gut waren oder ich irgendwas ins Auge bekommen hatte, was beides ein Grund war, den Rest des Tages auf die Dinger zu verzichten.
 

Einen Moment später klopfte Koichi an die Tür der Umkleide: „Er ist weg, du kannst wieder rauskommen.“

Ich atmete erleichtert auf, packte schnell meine Taschen zusammen und öffnete die Tür.

„Ziehst du dich um, Ko? Es ist gleich Mittag.“

Koichi betrat die Umkleide und beeilte sich mit dem Umziehen. Ich behielt mein Kleid an, hatte ja heute Morgen nur Wechselsachen für Tsu eingepackt und entschieden, dass ich heute auch den Rest des Tages in Kleid und Perücke herumlief.

Dann machten wir uns auf den Weg zum städtischen Krankenhaus.
 

Auf dem Weg fragte ich Koichi, ob und was er mit MiA gesprochen hatte, und er antwortete, dass er nur kurz ‚Hallo‘ gesagt und ihm dann Kaffee und Frühstück gebracht hatte. MiA hatte nicht nach mir gefragt, also ging ich davon aus, dass er mich wirklich nicht erkannt hatte, worüber ich sehr froh war.

Ich konzentrierte meine Gedanken wieder ganz auf Tsuzuku und hoffte, dass es ihm nach dieser grauenvollen Nacht wieder einigermaßen gut ging. Aber vorhin hatte er ja ganz gut geklungen.
 

Als wir das Krankenzimmer betraten, lag er im Bett, wandte uns den Rücken zu und blickte aus dem Fenster. Die Maschine zur Überwachung seines Herzschlags stand noch am Bett, war aber ausgeschaltet, und die Infusion war weg. Ich ging zu ihm, er hörte meine Schritte und drehte sich zu mir um. Einen Moment sah er noch traurig aus, hatte Tränen auf den Wangen, doch als er mich sah, leuchtete sein Gesicht geradezu auf.

„Meto!“ Aus seiner Stimme klang die pure Wiedersehensfreude.

Ich setzte mich auf die Bettkante, er setzte sich auf und ich umarmte ihn, was dazu führte, dass er sich an mich klammerte und mich voller Freude küsste.

„Hast mich sehr vermisst, hm?“, fragte ich und streichelte durch seine Haare.

Er nickte an meiner Schulter, drückte sich enger an mich, sah mich an, hatte Freudentränen in den Augen und küsste mich wieder. „Mein Liebster“, flüsterte er, „Bist du wieder bei mir?“

„Ja, ich bin wieder bei dir“, antwortete ich, lächelte und küsste ihn ebenfalls, mit all meiner Liebe.

Hinter mir hörte ich, wie Koichi ein leises „Hach, wie süß“ von sich gab.
 

Tsuzuku legte seine Hände auf meine Schultern, sah mich an und sagte: „Ich komm heute mit nach Hause. Noch eine Nacht hier drin überstehe ich nicht, und das wissen die hier auch.“

Dann blickte er an mir vorbei zu Koichi, der kam zu uns ans Bett, und Tsu umarmte ihn ebenfalls.

„Tsu, deine Hände …“ Koichi sah ihn erschrocken an. „Die sind ja ganz zerkratzt!“

Tatsächlich, es fiel mir erst jetzt auf! Tsuzukus Handrücken sahen noch schlimmer aus als gestern, und sein rechtes Handgelenk, wo neben den Tattoos noch ein wenig Platz war, war jetzt auch total zerkratzt und gerötet. Ich musste nicht groß nachdenken oder fragen, es war offensichtlich, dass er sich da mangels einer brauchbaren Klinge mit den Fingernägeln die Haut kaputt gekratzt hatte.
 

Ich umarmte ihn wieder, drückte ihn fest an mich und streichelte über seinen Rücken.

„Was machst du denn nur für Sachen, mein Schatz?“, fragte ich leise.

Tsuzuku antwortete erst nicht, dann sagte er leise: „Kennst mich doch …“ Und dann: „Letzte Nacht … weißt du, ich hab das anders nicht ausgehalten …“

„So sehr hast du mich vermisst?“, fragte ich erschrocken.

Tsu nickte. „Und dann waren da die anderen Sachen, das mit Mama wieder und mein Herz und … erst diese Leere, dann so viele Gefühle, dass ich einfach nicht anders konnte …“
 

Als er es aussprach, waren da fast wieder Tränen in seinen Augen, ich sah den Schmerz in seinem Gesicht, und mir wurde noch mal so richtig klar, wie verletzt und kaputt er innerlich war. Es tat mir weh, das so zu sehen, und dann war da dieser Gedanke in meinem Kopf, der mir noch mehr wehtat: ‚Du bist mit ‘nem Borderliner zusammen.‘

Um diesen schmerzhaften, fiesen Gedanken zu vertreiben, umarmte ich meinen Freund wieder und dachte ganz fest daran, dass ich ihn liebte und wie sehr. Ich wollte nicht noch einmal, nie wieder, zulassen, dass sich dieses Ungeheuer in seiner verletzten Seele so zwischen uns drängte! Wenn es auf uns zukam, fies, gemein, wütend und gefährlich, würde ich mich schützend vor Tsuzuku stellen und ihn beschützen. Ihn nie wieder so allein lassen, weil ich doch ganz genau wusste, dass er ohne mich diesem Biest schutzlos ausgeliefert war!
 

„Ich lass dich nie wieder so allein“, flüsterte ich. „Von jetzt an passe ich noch besser auf dich auf!“

Tsuzuku schmiegte sich in meine Umarmung, ich sah ihn an und er lächelte ein wenig. „Nimmst du mich nachher mit nach Hause?“, fragte er.

„Ja. Noch eine Nacht allein halten wir wohl beide nicht aus“, sagte ich. „Und ich kann doch nur auf dich aufpassen, wenn du bei mir bist.“

„Auf mich aufpassen?“ fragte er. „Wovor willst du mich denn beschützen?“

„Vor dem Ungeheuer. Dieses Borderline-Biest, ich lass nicht zu, dass es dir so wehtut!“

Tsuzuku lächelte wieder, küsste mich. „Meto, ganz ehrlich, du bist so was von wundervoll …“
 

Koichi saß neben uns und obwohl er sich zurückhielt und nicht viel sagte, war zu erkennen, dass er die Innigkeit und Nähe zwischen Tsuzuku und mir sehr bewunderte.

Einen Moment lang sah ich meinen Freund und mich wie von außen und spürte selbst, dass ich wirklich stark war, stark genug, um Tsuzuku zumindest ein wenig zu halten und zu beschützen. Mir war ja nun schon oft gesagt worden, dass ich psychisch sehr viel stärker war als Tsu, und gewusst hatte ich es selbst auch immer, aber jetzt fühlte ich es richtig.

Und es fühlte sich irgendwie ziemlich gut an. Dieses Gefühl, stark genug zu sein, um jemanden, den man über alles liebt, zu beschützen und festzuhalten. Es füllte mein Herz aus, ließ mich lächeln, und ich sah Tsuzuku an, erkannte in seinen Zügen, dass meine Worte ihm Kraft gaben und ihn glücklich machten.
 

Ich nahm meine Tasche und holte Ruana heraus, Tsu nahm sie in beide Hände und drückte sie an sich.

„Hast du unser Baby mitgebracht?“, fragte er und lächelte.

„Ja, sie wollte dich auch besuchen“, antwortete ich.

Er sah Ruana an und sagte, direkt zu ihr: „Das ist aber lieb von dir, Ruanalein.“

Ich ließ sie antworten: „Ruana Tsu lieb, deshalb besuchen, dass Tsu sie nicht auch vermisst.“

Tsuzuku drückte ihr einen Kuss auf das Köpfchen, dann zog er mich zu sich und küsste mich auf den Mund. Und als Koichi gespielt protestierte, dass er sich ausgeschlossen fühlte, da bekam er auch einen Kuss auf die Wange ab. Tsu lachte, wirkte richtig locker und gut drauf, schien sich wieder vollkommen gut und sicher zu fühlen.
 

Als wenig später Dr. Matsuyama das Zimmer betrat, blieben Koichi und ich da, während die Ärztin die Ergebnisse der Untersuchungen mit Tsuzuku besprach.

Sie sagte, dass sie inzwischen recht fest davon ausging, dass es sich bei seinen Herzproblemen noch um keine Herzkrankheit, sondern um psychosomatische Beschwerden handelte, aber auch, dass er aufpassen sollte, dass sich das nicht doch irgendwann änderte und sein Herz die Belastung auch physiologisch nicht mehr aushielt und doch noch richtig krank wurde.

„Es wäre gut, wenn Sie weniger rauchen würden. Und wegen Ihrer psychischen Probleme … da kann ich Ihnen nur noch einmal wärmstens eine Therapie empfehlen. Dr. Niimura hat derzeit ein bisschen Terminspielraum, machen Sie da zumindest einen Anfangstermin.“

„Ich hab doch gesagt, dass ich das nicht will“, widersprach Tsuzuku.

„Ich weiß. Aber sehen Sie es mal so: Wenn sich Ihre Borderline-Symptome verschlimmern und Sie sich öfter und mehr aufregen und diese starke Angst haben, wird Ihr Herz davon immer stärker belastet. Dann können wir nicht mehr ausschließen, dass es richtig krank wird, denn erblich vorbelastet sind Sie und das wissen Sie auch.“ Dr. Matsuyama klang streng, wie sie das sagte, aber ihr war sehr deutlich anzumerken, dass sie es gut meinte.
 

Tsuzuku senkte den Kopf, blickte nachdenklich auf die Bettdecke, wo seine zerkratzten Hände mit dem weißen Stoff spielten.

„Machen Sie einen Termin bei Dr. Niimura, Aoba-san. Er ist ein wirklich guter Arzt und ich bin sicher, dass er Ihnen hervorragend helfen kann, wenn Sie es nur zulassen“, sagte Dr. Matsuyama.

„… Ist gut …“, antwortete mein Freund leise.

„Sie müssen wirklich keine Angst haben. Wir wollen Ihnen nur helfen“, verdeutlichte die Ärztin noch einmal und sah mich dann an. „Asakawa-san, sprechen Sie beide darüber.“

Dann ging sie aus dem Zimmer.
 

Sofort, als die Ärztin weg war, stand Tsuzuku auf, griff nach der Tasche, in der ich die Klamotten für ihn mitgebracht hatte, und begann einfach, sich anzuziehen. Dann packte er die Lacksachen ein, machte das Bett ordentlich und sagte: „Die können sagen, was sie wollen, ich bleib auf keinen Fall noch eine Nacht hier.“

Er war ziemlich deutlich nicht davon abzubringen und so sagte weder Koichi noch ich etwas dagegen. Nur eine Sache wagte ich doch anzusprechen: „Tsu, dann machen wir aber gleich einen Termin bei dem Psychiater.“

„Und was soll mir das bringen?!“

„Dass du mal richtig professionelle Hilfe bekommst“, mischte sich Koichi zu meiner Verstärkung mit ein. „Du hast doch gehört, was die Ärztin eben gesagt hat, Tsuzuku. Wenn du dir nicht helfen lässt, kann das auch sehr gefährlich für dein Herz sein.“
 

Tsuzuku setzte sich auf die Bettkante, blickte einen Augenblick ohne ein Wort aus dem Fenster und schien über Koichis und meine Worte nachzudenken. „Meinetwegen, geh ich halt mal zu dem Psychiater. Aber ich lass mich von dem nicht umkrempeln.“

„Das will doch auch niemand. Du musst nur lernen, wie du mit deinen Problemen umgehen kannst, ohne dass immer gleich so eine Katastrophe dabei rauskommt“, sagte Koichi.

„Wir sind ja auch für dich da …“, sagte ich. „Und ich werde immer für dich da sein. Aber, Tsu, du merkst doch selbst, das wir das nicht ganz alleine schaffen.“

Er sah mich nicht an, blickte weiter aus dem Fenster und fragte schließlich mit einem seltsamen Klang in der Stimme: „Überfordere ich euch?“
 

Was sollte ich antworten? Ich wollte auf keinen Fall, dass er glaubte, er würde mir zu viel werden. Und ich wollte ihn ja festhalten und für ihn da sein, mit all meiner Kraft!

Doch irgendwo … da spürte ich auch, dass ich nicht alles für ihn tun konnte. Dass ich auch meine Grenzen hatte und dass es nicht ewig so gehen konnte. Tsuzuku brauchte mehr Hilfe, als ich, der ich immer noch nur sehr wenig über seine Krankheit wusste, ihm geben konnte.
 

Ich ging zu ihm, setzte mich neben ihn und legte meinen Arm um ihn.

„Tsuzuku, ich liebe dich. Und ich will alles für dich tun, was ich nur kann. Aber … was, wenn das, was ich kann, irgendwann nicht mehr reicht? Wenn ich dich nicht mehr so einfach beruhigen kann, wenn wir mehr streiten und deine Krankheit schlimmer wird? Und wenn dein Herz wirklich in Gefahr gerät, dass du es überlastest? Dann brauchen wir jemanden, der dir noch mal anders helfen kann. Jemanden, an den du dich wenden kannst, wenn ich mal nichts tun kann.“

„Ich geh nicht in die Psychiatrie.“

„Musst du ja auch nicht. Du musst nur hin und wieder einen Termin bei diesem Arzt machen, den ein bisschen auf dem Laufenden halten und dir von ihm helfen lassen.“ Ich streichelte über seinen Rücken und hoffte, dass meine Worte ihn erreichten.
 

„Tsu, es gibt Therapien für Menschen wie dich“, sagte Koichi. „Ich hab mich da gestern Abend mal informiert, du musst dafür nicht unbedingt in die Klinik. Du kannst zu Hause bleiben und musst nur einmal in der Woche oder so zum Therapeuten. Der bringt dir dann bei, wie du besser auf deine Gefühle und das alles reagierst und damit umgehst.“

Tsuzuku erwiderte nichts darauf, er nahm seine Tasche und die mit den Lacksachen und sagte nur: „Lass mal gehen, hier drinnen kann ich nicht klar denken.“

Wir verließen zu dritt das Zimmer und am Ausgang des Krankenhauses musste Tsu noch was unterschreiben, dass er sich selbst entließ, dann gingen wir raus.
 

Auf dem Weg durch die Stadt zurück nach Hause wirkte er sehr nachdenklich, sagte kaum etwas und schien sich Gedanken um das zu machen, was die Ärztin und Ko und ich ihm gesagt hatten.

Aber dann, als Koichi sich verabschiedet hatte und wir vor unserem Haus standen, griff Tsu auf einmal meine Hand und sah mich an.

„Ist gut“, sagte er, „Ich versuch das mit der Therapie.“ Er zog mich zu sich, beugte sich ein wenig vor und flüsterte in mein Ohr: „Aber du, Meto, bist und bleibst das Beste, was mir hilft.“

Ich lächelte, und spürte im nächsten Moment seine Lippen hauchzart an meinem Hals, bevor er sie sanft und ein bisschen sehnsüchtig auf meine drückte. Er umarmte und küsste mich, mitten auf dem Gehweg vor unserem Haus, ihm war wieder egal, ob uns jemand sah.

„Lass uns raufgehen und dann machen wir es uns schön“, flüsterte er. „Ich will in deinen Armen liegen, und vorher dich in meinen halten.“ Er küsste mich wieder und sagte dann, ganz leise und liebevoll: „Ich hab dich so vermisst letzte Nacht, mein Körper hat sich so nach deinem gesehnt.“

„Gleich kannst du mich ja haben“, lächelte ich.
 

Wir liefen die Treppen rauf, es war sonst niemand im Treppenhaus, und kaum, dass ich die Tür unserer Wohnung aufgeschlossen und den Schlüssel wieder eingesteckt hatte, drängte Tsuzuku mich hinein und schlug die Tür hinter uns zu, bevor er sich geradezu auf mich stürzte. Er strich die langen, gelockten Haare meiner Perücke beiseite und begann, meinen Hals zu küssen und zu beknabbern, während seine andere Hand unter den Rock meines Kleides fuhr und den Petticoat runterzerrte.

„Heute muss ich dich ja richtig auspacken“, sagte er und lachte. „Wie ein Geschenk.“

„Hätte ich mich doch lieber umziehen sollen nach der Arbeit?“, fragte ich.

„Nein. Ich packe gern Geschenke aus.“
 

Ich lachte ebenfalls, der Petticoat fiel raschelnd zu Boden und schon waren Tsuzukus Hände an meinem Rücken zugange, öffneten die Schleife und den Reißverschluss und zogen mich nah an seinen Körper, sodass ich aufseufzte.

Es fühlte sich ein wenig seltsam an, dass ich so weibliche Kleidung trug, während mein männlicher Körper darin auf die erregenden Zärtlichkeiten meines Freundes reagierte. Und es war das erste Mal, dass es dazu kam, weshalb ich jene mich ebenfalls erregende Aufregung verspürte, die man fühlt, wenn man in Bezug auf Sex etwas Neues ausprobiert. Ich spürte, wie mir trotzdem das Blut in die Wangen stieg, und Tsuzuku bemerkte das.
 

„Gefällt dir das?“, fragte er leise, während seine Hand an meinem Rücken wieder unter mein Kleid schlüpfte und dort ihren Weg hinten in meine Shorts suchte. „Magst du das, wenn ich dich geil mache, während du so ein Kleid anhast?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, doch das Rot auf meinen Wangen und die Reaktion meines Körpers waren meinem Freund anscheinend schon Antwort genug, denn er lachte kurz auf und machte weiter, berührte mich mit dieser absoluten Zärtlichkeit, während er mich langsam ins Schlafzimmer dirigierte und mich dabei immer wieder küsste.
 

Als ich unser Bett hinter mir spürte und mich darauf fallen ließ, war er gleich über mir und kniete sich über meine Beine, zog dann seine Jacke und sein Oberteil aus und beugte sich runter, um mich erst wieder zu küssen und dann in mein Ohr zu flüstern: „Ich hab dich so vermisst, Meto. Nachts brauche ich dich immer ganz besonders …“

Ich lachte. „Du hast zu viel Sex im Kopf, mein Schatz.“

Tsuzuku sah mich an, ganz ernst, und erwiderte: „Mir geht’s nicht nur um Sex. Auch, ja, aber nicht nur. Ich brauche dich bei mir, wenn mich nachts die Verzweiflung packt, wenn ich vor Angst fast verrückt werde. Wenn du dann neben mir liegst und ich dich anschauen und berühren kann, sodass ich spüre, dass du bei mir bist, dann hilft mir das.“

„Wachst du oft nachts auf?“, fragte ich.

„Manchmal. Und als ich jetzt so allein da in der Klinik lag … da hat es mich wieder gepackt, die Verzweiflung und das alles.“

„Und dann hast du mich angerufen …“

Tsuzuku nickte. „Eigentlich viel zu spät.“ Er schaute runter auf seine Hände, seine Handgelenke, die so furchtbar zerkratzt waren. Er hatte das getan, bevor er mich angerufen hatte.
 

Einen Moment lang schien es so, als seien seine Lust und Erregung von eben wieder verschwunden, doch dann sah er mich an, so liebend und lustvoll, beugte sich wieder runter, küsste mich und drückte sich fest an mich, sodass ich seine Härte an meiner Hüfte spürte.

„Tsu, warte mal, ich will mich eben ganz ausziehen“, sagte ich, und er ließ mich aufstehen, damit ich das Kleid, die Perücke und alles andere ausziehen konnte, während er selbst sich seiner Schuhe und Hose entledigte. Währenddessen sah er mich die ganze Zeit an und ich sah das lustvolle, verliebte Leuchten in seinen Augen, das Zeichen, dass er sich gut und sicher fühlte.
 

Ich umarmte ihn, fühlte seinen Körper Haut an Haut an meinem und zusammen sanken wir aufs Bett, in die Kissen, fühlten nur Nähe und Liebe und Lust. Tsuzuku liebte mich sehnsüchtig, flüsterte mir immer wieder zu, dass er mich sehr vermisst hatte, und obwohl es nur eine Nacht und ein Vormittag gewesen waren, kam es ihm offenbar wie eine halbe Ewigkeit vor. Sein Seufzen und Stöhnen klang irgendwie ein wenig anders als sonst, schien von ganz tief drinnen zu kommen, und ich fühlte mich so geliebt von ihm, er war einfach so wundervoll und süß!

„Meto“, sprach er mich an, sah mich an und ich versank in seinen schönen Augen. „Lass mich nie wieder los!“

Ich griff nach seiner Hand, hielt sie fest, und fühlte im selben Moment die flüssige Liebe in mir, sah den wunderschönen Ausdruck auf Tsuzukus Gesicht.
 

Danach lag er wieder in meinen Armen, sein Kopf auf meiner Brust, eine Weile lagen wir einfach ohne ein Wort da und fühlten uns gut. Als Tsu den Kopf hob und mich ansah, war da dieses liebe, süße Lächeln auf seinem Gesicht und er sagte leise: „Wenn ich so darüber nachdenke … eigentlich waren wir von Anfang an schon wie ein Paar, oder?“

Ich dachte an den Tag, als wir uns kennen gelernt hatten, daran, wie ich ihn dann immer im Park besucht hatte und was für eine harte Zeit er damals durchgemacht hatte. Ich war von Anfang an nah bei ihm gewesen, da war immer dieses Band zwischen uns, das mich ihm zuhören und helfen ließ. Wir waren uns seelisch fast von Anfang an nah gewesen und auch, wenn ich in ihm lange Zeit keinen möglichen Partner gesehen hatte, waren wir doch schon früh mehr als nur gute Freunde gewesen.

„Irgendwie schon …“, antwortete ich. „Auf die eine oder andere Weise hab ich dich schon sehr bald geliebt. Und ich bin sehr, sehr glücklich, dass du mich auch liebst.“

„Wie könnte ich auch so einen wundervollen, süßen Menschen wie dich nicht lieben?“ Tsuzuku lächelte immer noch. „Du bist wirklich unglaublich, Meto.“
 

„Sag mal …“, begann ich, denn mir war eine Frage gekommen, die ich so bisher noch nicht so wirklich gestellt hatte: „Wie … siehst du mich eigentlich … so als Mann? Begehrst du mich vor allem, weil du mich liebst, oder …?“ Ich dachte an das, was ich von Tsu’s altem Leben wusste, von den Mädchen, die er gehabt hatte, und dann daran, was er vorgestern gesagt hatte, von wegen seiner Orientierung.

Tsuzuku richtete sich auf, beugte sich über mich und küsste mich, ganz weich und süß.

„Hmm, wie sag ich das jetzt am besten …? Meto, du bist der einzige Mann, für den ich jemals solche Gefühle hatte und habe. Ich begehre dich, ich liebe deinen Körper, du bist ein wundervoller Mann. Ich kann dich nur nicht mit anderen vergleichen, weil es keinen anderen gibt, für den ich jemals etwas Ähnliches empfunden habe. Frauen erregen mich nicht mehr, andere Männer aber auch nicht, das hab ich dir ja schon gesagt. Und ich kann den Augenblick, wenn wir endlich verheiratet sind und du mein Mann bist, kaum erwarten.“
 

Mein Herz begann, wild zu klopfen, und ich spürte, wie mir wieder einmal die Röte in die Wangen stieg. Sein Mann. Allein, wie wunderschön er dieses ‚mein‘ betonte! Als sei ich der größte Schatz in seiner Welt, das Wertvollste, was er kannte! Und ich wusste, das war ich.

Ich hob die Hand, griff in Tsuzukus Nacken und zog ihn sanft zu mir herunter, um ihn mit meiner ganzen Liebe zu küssen. „Ich kann’s auch kaum erwarten, dich zu heiraten“, flüsterte ich gegen seine himmlisch weichen Lippen, meine Hand streichelte seinen Hals.

Er seufzte wohlig, ließ sich ganz auf mich sinken und schmiegte sich an mich. Seine weiche, glatte Haut an meiner und seine Liebesbedürftigkeit zusammen mit seiner Liebe seinerseits zu mir, das fühlte sich wundervoll an und ich wollte am liebsten jetzt eng umarmt mit ihm einschlafen, obwohl es dazu eigentlich noch zu früh am Tag war.
 

Doch auf einmal löste er sich von mir und stand auf, zog sich Shorts und T-Shirt wieder an und ging in die Küche, wo er, wie ich sah, irgendwas aus dem Kühlschrank nahm.

„Ich hab Hunger“, erklärte er. „Haben wir irgendwo noch Reste von dem Curryreis?“

„In dem Topf mit Deckel ist noch was“, antwortete ich. „Ansonsten müssten wir auch mal wieder einkaufen gehen.“

Ich zog mir ebenfalls Shirt und Hose an, räumte mein Kleid und den Petticoat in den Schrank und nahm Ruana aus meiner noch im Flur stehenden Tasche, um sie auf ihren Platz neben meinem Kopfkissen zu setzen.

Dann ging ich in die Küche, wo Tsuzuku gerade etwas von dem Reis mit Currysoße im Kochtopf auf den Herd gestellt hatte. Ich umarmte ihn von hinten und achtete mit darauf, dass nichts anbrannte, stellte jedoch zu meiner Freude fest, dass Tsuzukus Aussage „Ich lass doch sowieso immer alles anbrennen“ übertrieben war und er sehr wohl wusste, wie man sich Essen warm machte.
 

Er schien wirklich Hunger zu haben, zumindest aß er heute gut und auch nicht zu schnell oder zu viel, und nach dem Essen gingen wir noch raus und runter in den nächsten Conbini, um unseren Kühlschrank wieder aufzufüllen. Tsu holte sich außerdem noch Zigaretten, wobei ich ihn an die mahnenden Worte der Ärztin erinnerte, woraufhin er jedoch widersprach.

„Ich brauch das Zeug. Anders krieg ich mich nicht ruhig.“

„Weiß ich ja. Aber eine Packung am Tag ist doch ein bisschen viel, oder?“, versuchte ich, ihn wenigstens von einer Minderung seines Rauchverhaltens zu überzeugen, wenn er schon nicht ganz davon abzubringen war. „Versuch doch mal, dass eine Packung zwei oder drei Tage hält.“

Tsuzuku zuckte nur mit den Schultern. „Versuchen kann ich’s ja …“
 

Als wir wieder zu Hause waren und die Einkäufe in den Kühlschrank geräumt hatten, startete ich einen weiteren Versuch, den Fernseher anzuschließen. Ein Anschluss war vorhanden und eine Anleitung ebenfalls, und nachdem Tsu mir half, bekamen wir die Kiste zum Laufen und konnten uns zumindest mal einen Film anschauen. Mein Freund hatte sich Bier vom Conbini mitgebracht und eine Tüte scharfe Chips, und ich trank ab und zu einen Schluck mit und nahm mir von dem Knabberzeug.
 

Da es Tsuzuku gerade so gut ging, verschob ich das Gespräch über unseren Streit auf irgendwann später. Er konnte sich anscheinend immer noch nicht daran erinnern und ich wollte, dass er sich erst mal stabilisierte und eine Weile gut fühlte, bevor ich riskierte, dass er sich wieder erinnerte und es ihm infolgedessen wahrscheinlich wieder schlechter ging.

Gegen vier Uhr rafften wir uns noch mal auf und Tsuzuku suchte die Telefonnummer von Dr. Niimura raus, rief dort an und holte sich für morgen einen Termin. Wir hatten dann noch einen recht schönen Abend zu zweit und in dieser Nacht schlief ich gut, erholte mich und war mir sicher, dass Tsuzuku sich ebenfalls von den Strapazen der letzten beiden Tage erholte.

[Koichi] Act 18

Nachdem ich Tsuzuku und Meto noch vom Krankenhaus bis zu ihnen nach Hause begleitet hatte, ging ich gleich nach Hause. Setzte mich im Wohnzimmer mit einer Tasse Tee an den Kokatsu und machte den Fernseher an. Es lief nichts wirklich interessantes, aber ich ließ ihn trotzdem an, weil ich gern ein bisschen Hintergrundgeräusch haben wollte.

Ich hatte gestern Abend eine ziemliche Angst um Tsuzuku gehabt. Als Meto mich angerufen hatte, um mir zu sagen, dass Tsu im Krankenhaus war, hatte ich gleich ans Schlimmste denken müssen und infolgedessen nicht wirklich gut geschlafen, weil ich mir furchtbare Sorgen um meinen besten Freund gemacht hatte. Mir wurde immer deutlicher, was es wirklich bedeutete, dass er krank war.

Zwar schien es ihm jetzt wieder besser zu gehen, doch ich wusste, dass sich das jederzeit wieder ändern konnte. Ein falscher Gedanke, eine einzige irgendwie belastende Situation, und schon konnte er wieder abstürzen.
 

Ich stand auf und holte mir mein Laptop, stellte es auf den Kokatsu und öffnete Google, um … ja, um was zu tun? Ich hatte das Gefühl, noch mehr wissen zu müssen über dieses Ungeheuer, das meinem besten Freund das Leben so schwer machte. Zwar hatte ich ihm ja mal versprochen, dass ich nichts in der Richtung nachlesen würde, doch nachdem er mir letztens mal erzählt hatte, dass er mit Meto zusammen darüber gesprochen und dabei auch ein psychologisches Buch zur Hilfe genommen hatte, fand ich irgendwie, dass ich jetzt doch selbst recherchieren durfte. Also hatte ich gestern schon nach dem Namen der speziellen Therapie gesucht, und jetzt wollte ich mehr darüber wissen.
 

Trotzdem klopfte mein Herz aufgeregt und ich spürte eine gewisse Angst, als ich, zum zweiten Mal, ‚Borderline-Persönlichkeitsstörung‘ in die Suchleiste eingab. Ich wusste nicht mal genau, was ich mir davon versprach. Doch ich tat es trotzdem, klickte ‚Suchen‘ und saß dann vor einem riesigen Angebot an Seiten, alles von Wiki bis zu Foren, Online-Artikeln und Homepages von psychiatrischen Kliniken.

Das Wiki ließ ich gleich weg, doch da war ein Forum, das irgendwie interessant aussah, und dort klickte ich mich rein. Doch weit kam ich da nicht, man brauchte einen Account, um die meisten Dinge lesen zu können.

Schließlich landete ich über die allgemeine Suche auf einer englischsprachigen Seite, die Artikel, medizinische Abhandlungen und ähnliches zum Thema Borderline enthielt, von denen ich die meisten nicht verstand, doch auf dieser Seite war ein Artikel dabei, der einfacher geschrieben war und den ich ohne größere Probleme lesen konnte.
 

Es fühlte sich eigenartig und irgendwie nicht richtig an, so als ob ich hinter Tsuzukus Rücken schlecht über ihn redete oder so, aber irgendwie konnte ich nicht mehr aufhören zu lesen, bis ich den zum Glück nicht allzu langen Artikel durch hatte. Und als ich die Seite schloss, um nicht noch mehr zu lesen, fühlte sich auch das merkwürdig an. Ein Teil von mir weigerte sich, zwischen dem Inhalt dieses Artikels und Tsuzukus Verhalten einen Zusammenhang herzustellen, und ich hatte das Gefühl, jetzt zu viel zu wissen.
 

Ich schloss Google und klappte den Laptop zu, setzte mich aufs Sofa und musste das, was ich gerade gelesen hatte, erst mal sacken lassen. Worte wie ‚emotionale Instabilität‘ ‚Impulsivität‘ und ‚Suizidalität‘ kreisten durch meine Gedanken und ich spürte, wie die großen Sorgen um meinen besten Freund wieder hochkamen.

Von der harten Zeit in seinem Leben, als er in Gefahr gewesen war, sich ernsthaft was anzutun, wusste ich ja nur, weil er und Meto es mir erzählt hatten. Ich hatte ihn ja erst kennen gelernt, als diese Zeit schon vorbei gewesen war. Im Moment schien er zumindest in der Hinsicht weniger gefährdet, dafür machten ihn aber, so wie ich das mitbekam, seine Stimmungsschwankungen und seine Angst davor, verlassen zu werden, wahnsinnig.
 

Auf einmal hatte ich das Gefühl, mit Tsuzuku reden zu müssen. Weil ich wissen wollte, wie er sich im Moment fühlte. Als ich gegangen war, hatte er gut gelaunt und entspannt gewirkt, wahrscheinlich war bei ihm grad so ziemlich alles gut, aber dadurch, dass ich jetzt diesen Artikel gelesen hatte, waren meine Gedanken sehr darauf konzentriert, wie Tsu war, wenn es ihm schlecht ging.

Sollte ich ihm sagen, dass ich wieder recherchiert hatte? Oder würde ihn das verletzen? Ich wusste auf einmal nicht mehr recht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Jede Kleinigkeit konnte ihm furchtbar wehtun, und dadurch, dass ich das jetzt gelesen hatte, konnte ich an nichts anderes denken.

Ich entschloss mich, ihn doch nicht anzurufen. Bestimmt lag er gerade sowieso glücklich mit Meto im Bett und ich hätte nur gestört, wenn ich mich jetzt gemeldet hätte.
 

Stattdessen begann ich, meine Wohnung ein wenig aufzuräumen, und dachte dabei konzentriert an alles Mögliche, nur nicht an Tsu‘s Krankheit. Ich wollte ihn als den sehen, der er war, nicht als kranken, wenn nicht sogar schwer gestörten Menschen. Und als ich mit dem Aufräumen fertig war, tat es mir furchtbar leid, diesen Artikel gelesen zu haben.

Ich setzte mich wieder an den PC, jedoch öffnete ich nicht die Suchmaschine, sondern klickte mich in Tsuzukus Blog rein, schaute mir die Bilder wieder an, wo er zusammen mit Meto zu sehen war und so glücklich aussah. Dieses Bild, wo er Meto umarmte und beide in die Kamera lächelten, zeigte sein wahres Gesicht, wie er wirklich war, abseits von jeder Störung oder Krankheit. Diese wahnsinnige Liebe, die er für Meto empfand. Und auch, wie lieb er zu mir gewesen war, als es mir schlecht gegangen war. Er war so ein toller, lieber Mensch, und auch wenn er diese großen Probleme hatte, so beschrieben sie nur einen Teil von ihm.
 

Ich klickte nochmal die Suchmaschine an und löschte den Suchverlauf, dann klappte ich den PC wieder zu und ging ins Schlafzimmer, um auch da ein wenig aufzuräumen. Als ich damit fertig war, schaute ich in der Küche in den Kühlschrank und stellte fest, dass ich mal einkaufen gehen musste.

Ich machte mich also auf den Weg zum Supermarkt, kaufte vorher am Automaten an der Straßenecke zwei Packungen Zigaretten, und betrat dann den Laden, überlegend, ob ich mir heute Abend noch was kochen sollte oder irgendein Fertiggericht genug war.

Schließlich entschied ich mich fürs Selberkochen und kaufte Gemüse, Nudeln und ein bisschen mageres Fleisch für ein einfaches Pfannengericht. Dann noch ein bisschen Kleinkram, alles bezahlen, und schon war ich wieder raus aus dem Laden.
 

Wieder zu Hause begann ich gleich mit dem Kochen, was nur davon unterbrochen wurde, dass jemand mich anrief. Ich legte das Messer, mit dem ich den Pak Choi kleingehackt hatte, beiseite, und lief zum Telefon, erkannte Mikans Nummer auf der Anzeige.

„Hey, Kocha! Hast du heute noch was vor?“, fragte sie direkt.

„Ich koche gerade mein Abendessen.“

„Wollen wir heute Abend vielleicht ausgehen? Im Visual-Club ist Kawaii-Party.“

Ich überlegte schnell: Eigentlich hatte ich wirklich nichts vor, und Mikan sehen wollte ich auch gern. Unsere Beziehung war immer noch nicht richtig fest, auch wenn wir ja vor ein paar Tagen zum ersten Mal ein bisschen intim miteinander geworden waren. Es konnte nicht schaden, wenn wir öfter mal ein Date hatten.

„Okay“, sagte ich. „Ich muss nur schauen, was ich anziehe.“

„Mit ‘ner ordentlichen Portion Rosa kannst du bei dieser Party nichts falsch machen.“ Mikan lachte kurz. „Ich hol dich dann in ‘ner Stunde bei dir zu Hause ab, ja?“
 

Ich kochte also erst einmal mein Essen fertig, ging zwischendurch immer wieder in mein Schlafzimmer zum Kleiderschrank und suchte mir mein Outfit zusammen. Als das Essen fertig war, aß ich gemütlich und zog mich anschließend um.

Mikan klingelte genau währenddessen an meiner Tür, als ich halb angezogen und mit provisorisch hochgesteckten Haaren im Bad vor dem Spiegel stand und gerade anfangen wollte, mich zu schminken.

Sie lachte, als sie mich so unfertig sah, ließ es sich aber nicht nehmen, mich zu umarmen und zu küssen. „Na, Mr. Prinzessin?“, fragte sie neckend und beäugte mein halb fertiges Outfit.

Mikan sah mal wieder absolut umwerfend aus. Sie trug denselben niedlichen Stil wie sonst auch, aber im Detail deutlich aufgehübschter als sonst, mit zig bunten Ketten und Haarspängchen. Ihre Haare hatte sie zum Teil in Locken gedreht und auch neue Farbe drin, wieder Violett, nur jetzt deutlich kräftiger. Anscheinend hatte sie heute nachgefärbt.
 

„Ich hab vorhin noch gekocht, willst du was davon?“, fragte ich.

„Danke, ich hab schon gegessen.“

Ich stellte also den Rest von der Fleisch-Gemüse-Pfanne in den Kühlschrank und fuhr fort, mich für die Party anzuziehen und schön zu machen, während Mikan erst in meinem Wohnzimmer wartete, und dann zu mir ins Bad kam, um sich an meinem Styling zu beteiligen.

Als wir dann beide wie rosa Zuckerwattepuppen aussahen, machten wir uns auf den Weg zum Club, der nur zwei Stadtbahnstationen entfernt war.
 

Aus dem Club schallte, anders als sonst, kein Rock a la Dir en grey, sondern ein fröhliches Lied irgendeiner süßen Oshare-Band, die ich aber nicht näher kannte. Heute schienen die Gäste ein paar Jahre jünger zu sein als die, die sonst hier tanzen gingen, aber vielleicht sahen sie auch nur einfach jünger aus als sonst, weil heute der Dresscode einfach so pink und kindlich war. Ich sah mich selbst in einer spiegelnden Fensterscheibe und musste feststellen, dass ich in diesem Styling auch nicht gerade wie Mitte Zwanzig aussah, sondern eher wie siebzehn oder so.

Mikan nahm meine Hand und zog mich hinter sich her in den Club. Wir gaben unsere Taschen an der Garderobe ab und stürzten uns ins Partygetümmel, das durch eben jenen heutigen Dresscode einerseits sehr jung und niedlich wirkte, aber genau dadurch auch seltsam surreal, fast ein bisschen wie die Tee-Party aus ‚Alice im Wunderland‘.
 

Mikan bestellte uns zwei Getränke und wir standen erst mal ein bisschen an der Bar. Sie fragte, wie es Tsuzuku ging, und ich sagte nur: „Besser“. Ich hatte Mikan nicht erzählt, dass er im Krankenhaus gewesen war, es hatte sich einfach nicht ergeben, und wahrscheinlich dachte sie an unseren Abend zu viert, als es Tsu ja auch nicht gut gegangen war.

„Kommen Meto und er eigentlich auch manchmal in diesen Club?“, fragte Mikan.

Ich nickte. „Aber heute wahrscheinlich weniger. Dieses Pink mit Glitzer ist ja nichts für Tsu.“

Mikan lachte. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Er hat’s ja mehr mit Schwarz.“
 

Als wir beide ausgetrunken hatten, gingen wir dann endlich tanzen. Es wurden Lieder von SuG und An Café gespielt, wozu Mikan besser tanzte als ich, aber Spaß hatten wir trotzdem beide, auch wenn ich diese Musik zu Hause eher seltener hörte. Ab und zu mochte ich so was schon ganz gerne und außerdem war Tanzen mit meiner besten, jetzt festen Freundin immer toll, egal zu welcher Musik.

Als ein langsames, verträumtes Lied gespielt wurde, umarmte Mikan mich und wir verfielen in dieses paartypische Schmusetanzen. Ich fühlte ihre Hände auf meinen Schultern und meinem Rücken, ihren weiblichen, süßen Körper nah bei mir, und wollte am liebsten, dass sie nachher noch wieder mit zu mir kam und wir das von letztens fortsetzen konnten.
 

„Kommst du nachher wieder mit zu mir?“, fragte ich leise in ihr Ohr.

Sie lächelte. „Willst du kuscheln?“

Ich nickte. „Oder auch mehr …“

„Mehr?“, fragte sie lächelnd. „Wie viel mehr?“

Ich antwortete nicht mit Worten, sondern nahm ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie, ließ sie durch diesen Kuss spüren, wie viel mehr ich mir mit ihr wünschte. Sie seufzte leise und erwiderte den Kuss mit derselben Lust, dann sah sie mich an und fragte: „Willst du jetzt schon gehen?“

Ich musste nicht lange überlegen und nickte. Fühlte, dass ich mit Mikan allein sein wollte, bei mir zu Hause. Weil ich mich gerade nach Dingen sehnte, die in heimische vier Wände gehörten.

„Gut, dann gehen wir.“ Sie nahm meine Hand und zog mich weg von der Tanzfläche, wir holten unsere Taschen ab und verließen den Club.

Draußen war die Luft ganz klar, duftete jedoch schon deutlich nach Frühling. Die Kirschbäume überall in der Stadt standen in voller Blüte und auch wenn die einzelnen Blüten jetzt in der Nacht geschlossen waren, so hing doch ihr Duft vom ganzen Tag noch in der Luft, weckte in mir eine Menge Frühlingsgefühle und machte mich ganz kribbelig.
 

Wir nahmen die letzte Bahn in Richtung meiner Wohnung und während der kurzen Fahrt lehnte Mikan sich an mich, ihre Hand war mit meiner verschränkt und ganz warm.

Als wir ausstiegen, griff sie meinen Arm und hängte sich ein wenig an mich, und auf dem Weg zu meiner Wohnung flüsterte sie mir dann auf einmal ins Ohr: „Koichi … ich bin jetzt bereit für mehr …“

„Mehr was?“, fragte ich, obwohl ich wusste, wovon sie sprach.

„Mehr mit dir.“ Sie blieb stehen, sah mich an, lächelte und fügte hinzu: „Ich will dich.“
 

Wir hatten mein Haus fast erreicht, ich schloss auf und wir liefen schnell die Treppen rauf zu meiner Wohnung, gingen rein und ich zog meine Schuhe aus, fühlte, wie diese eine positive Anspannung in mir hochstieg, die mein Herz wild klopfen ließ. Mikan schlüpfte aus ihren weniger aufwändig auszuziehenden Schuhen und hängte ihre Tasche an die Garderobe, dann sah sie mich wieder an, ich fühlte ihren Blick auf meinem Körper. Ein zartes, süßes Rosa war in ihre Wangen gestiegen und sie atmete ein wenig schneller und tiefer, ihre Augen leuchteten.
 

„Erst abschminken?“, fragte ich. „Oder willst du mich gleich haben?“

„Abschminken ist vielleicht ganz gut vorher …“, antwortete sie und folgte mir ins Bad.

Wir beeilten uns beide damit, Makeup, Kontaktlinsen und Haarspray loszuwerden, und als das erledigt war, waren wir beide voller Vorfreude auf das, was wir gleich vorhatten. Darauf ein wenig warten zu müssen und sich dabei vorzustellen, wie es sein würde, das machte es noch schöner als wenn wir gleich im Bett gelandet wären.
 

Mikan sah mich im Spiegel an und ich drehte mich zu ihr um, nahm ihr Gesicht in meine Hände und küsste sie, schmeckte noch ein bisschen fruchtigen Lipgloss an ihren Lippen. Sie drückte sich sehnsüchtig an mich, ich spürte ihr klopfendes Herz und ihr rasches Atmen, das Zeichen, dass sie schon ziemlich erregt war.

„Koichi …“, flüsterte sie, als ich ihre Lippen wieder freigab. Sie sah mir tief in die Augen und dann schob sie mich vor sich her, rückwärts aus dem Bad, in Richtung Schlafzimmer. Ich fühlte mich ein wenig eigenartig, als ich dort meine Sammlung von Schmuck und Handtaschen an der Wand hängen sah und den Kontrast zwischen diesen femininen Sachen, und meinem Gefühl, das sich im Augenblick recht männlich anfühlte, bemerkte. Ich war erregt und spürte unter meiner niedlichen, rosa-lastigen Kleidung die Reaktion meines männlichen Körpers auf die Schönheit und Süße meiner Freundin.
 

Mikan umarmte mich, drückte sich an mich, und ich fühlte, wie ihr Unterleib an meine erregte Körpermitte unter meiner Kleidung drückte. Ich seufzte leise und Mikans Hände schlüpften unter mein Shirt, sie lächelte.

„Fass mich an, Koichi“, flüsterte sie und ich tat es, legte meine Hände an ihre Taille, unter ihrer pastellfarbenen Bluse. Sie ließ sich auf mein Bett sinken und zog mich mit, ich setzte mich rittlings über ihre Beine und als sie sich auf den Rücken fallen ließ, war ich über ihr, sie zog mich zu sich runter und ich küsste sie. Ihre weichen, zarten Lippen schmeckten so süß, waren genauso warm und weich wie ihre Hände, und verzauberten mich geradezu. Ich ließ meinen Händen freien Lauf, knöpfte ihre Bluse auf und öffnete ihren Rock, tastete fasziniert über ihre weiche, warme Haut und hörte sie seufzen. Ihr Atem ging immer schneller und tiefer, und ich hörte die Erregung in ihren Seufzern.
 

Ich löste mich kurz von ihr und stand auf, aber nur, um mich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, und Mikan tat es mir gleich, ließ nur BH und Slip noch an.

„Das darfst du mir ausziehen“, sagte sie und sah mich verheißungsvoll an, ehe ihr Blick, nur noch ein klein wenig zögerlich, über meinen nun fast unbekleideten Körper wanderte und dabei auch meine sich unter meiner Shorts deutlich abzeichnende Erregung streifte.

Ich machte einen Schritt auf sie zu und umarmte sie, meine Hand fand wie von selbst den Verschluss ihres BHs und versuchte, ihn zu öffnen. Als mir das jedoch zuerst nicht gelang, lachte Mikan leise.

„Kriegst du ihn nicht auf?“, fragte sie lächelnd.

„Doch.“

Ich nahm die andere Hand zur Hilfe und löste die beiden kleinen Häkchen, woraufhin Mikan sich die Träger von den Schultern streifte und den BH zu Boden fallen ließ.
 

Sie legte sich wieder auf mein Bett und ihre Hand streichelte einladend über ihre Körpermitte, ich legte mich zu ihr und fuhr dann ganz langsam mit meiner Hand über ihren flachen Bauch, ihre schöne helle Haut, fühlte die Bewegungen ihrer Atmung, bis ich am Bund ihres Slips angekommen war.

Einen Moment lang zögerte ich, war irgendwie nicht ganz sicher, ob das jetzt wirklich das Richtige zu tun war. Sollten wir jetzt schon so weit gehen? Ich fühlte, dass ich, wenn wir jetzt damit anfingen, nicht mehr würde aufhören können, und spürte auch, dass ich als Mann die Verantwortung trug.
 

Apropos Verantwortung: Ich hatte keine Ahnung, wo sich etwaige noch bei mir vorhandene Kondome gerade befanden. Irgendwo mussten noch welche sein, aber ich wusste absolut nicht, wo genau. Und ich war nun wirklich nicht in der Stimmung, jetzt die ganze Wohnung abzusuchen. Beim Aufräumen vorhin hatte ich jedenfalls keine gefunden.

„Mikan?“, sprach ich meine Freundin an, „Sag mal, nimmst du eigentlich … die Pille oder so?“

„Klar nehm ich die. Allein schon wegen meiner Regel. Aber die, die ich nehme, ist nicht ganz sicher, so vom Schutz her“, antwortete sie, grinste mich dann frech an und fragte: „Hast du etwa keine Kondome da?“

„Ich … hab irgendwo schon welche. Aber …“, gestand ich und spürte, wie ich rot wurde, „… ich weiß gerade wirklich nicht, wo die gelandet sind.“
 

„Im Nachtschrank?“, fragte Mikan.

Ich streckte mich, bis ich mit der Hand an die Schublade herankam, und öffnete diese. Doch bis auf meine Kopfschmerztabletten, ein paar Haarklammern, und ein altes Notizbuch war sie leer.

„Warte kurz, ich schau mal im Badezimmer.“ Ich stand auf und lief rüber ins Bad, öffnete dort sämtliche Schränke, doch außer viel zu vielen Produkten zur Schönheitspflege und meinen fluffigen Handtüchern fand ich nichts.

„Keine da!“, rief ich über den Flur.

Mikan seufzte kopfschüttelnd. „Also echt, Koichi! Hast du nicht mal Kondome da?“ Sie stand auf und kam zu mir ins Bad. „Dann wird das wohl nichts heute …“

„Hm“, machte ich, da ich gerade auch nicht wirklich wusste, was wir tun sollten. „Kann auch sein, dass ich die Dinger irgendwann mal weggetan habe …“
 

Mikan sah mich einen Moment lang an, dann sagte sie: „Sag mal … würde es dir reichen, wenn du mich nur … fingerst oder so?“

Das war durchaus eine gute Frage. Klar, ich konnte mich durchaus beherrschen und noch nicht aufs Ganze gehen. Und ging ja jetzt wohl auch nicht anders, so ohne Kondome. Aber … ich wollte auch nicht nachher unzufrieden sein. Es war ein eigenartiges Gefühl und ich wusste nicht so wirklich, was ich tun sollte. Ein Teil von mir wollte definitiv Sex, oder jetzt eben mindestens Petting, doch meine Vernunft zögerte aus irgendeinem Grund.
 

Wir gingen ins Schlafzimmer zurück und Mikan hob ihren BH auf, zog ihn sich wieder an. Das war relativ eindeutig und ich wusste, dass sie mein Zögern als ein „Ich will doch nicht“ von meiner Seite gedeutet hatte.

„Geh mal erst einmal Kondome kaufen, dann können wir an der Stelle weitermachen“, sagte sie, klang aber zum Glück nicht eingeschnappt oder so. Während wir uns wieder anzogen, sah ich sie an und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Aber sie war wieder mal so undurchschaubar.
 

Ich brachte sie noch zur Tür und war dann wieder allein in meiner Wohnung. Die abgekühlte Lust in mir fühlte sich schal und seltsam an, ich war richtig vorfreudig gewesen und hatte das, was ich mir so gewünscht hatte, jetzt wegen meiner eigenen Schussligkeit nicht bekommen.

Müde war ich überhaupt nicht und so setzte ich mich noch ein bisschen vor den Fernseher, schaute mir einen Film an und versuchte zu verhindern, dass mich dieses gescheiterte Erste Mal mit meiner Freundin mich in mein Gefühl von Einsamkeit zurückwarf.

Irgendwann danach ging ich dann doch ins Bett, doch es dauerte relativ lange, bis ich einschlief.
 

Am nächsten Morgen wurde ich von meinem Handy geweckt. Ich schaute drauf und sah, dass es Tsuzuku war, der mich anrief. Langsam richtete ich mich auf und meldete mich: „Morgen …“

„Morgen, Koichi.“ Zuerst war ihm nicht anzuhören, ob er müde war oder nicht, aber als er weiter sprach, klang seine Stimme doch so, als hätte er nachts nicht besonders viel geschlafen: „Können wir … uns heute sehen? Ich mag … heute noch nicht wieder … arbeiten gehen.“

Ich überlegte schnell, ob ich Zeit hatte, dann fiel mir ein, dass ich heute nur die Nachmittagsschicht hatte, und Meto die für heute Morgen.

„Klar können wir“, antwortete ich und fragte dann vorsichtig: „Wie … geht’s dir denn?“

„… Ich hab … nicht so wirklich gut geschlafen …“

„Schlecht geträumt?“

„Ja, zuerst das, und dann konnte ich nicht wieder richtig einschlafen … Hab mir Gedanken gemacht und so weiter … immer so weiter …“ Tsuzuku schwieg einen Moment und sagte dann: „Ich komm von dem Gedanken nicht mehr weg, dass ich euch zur Last falle.“

„Weißt du was?“, sagte ich kurzentschlossen und angelte mir meine Klamotten, „Ich hol dich in einer Stunde bei dir an der Wohnung ab, und dann gehen wir in der Stadt und irgendwo frühstücken. Wie wäre das?“

„Frühstücken …“, wiederholte Tsu mit diesem bestimmten, ironischen Tonfall. „Mit mir …“

„Du musst ja nicht viel essen. Nur, dass wir in Ruhe irgendwo sitzen können“, erklärte ich. „Machen wir das so?“

„Meinetwegen …“

„Ich mach mich nur eben soweit fertig, dann bin ich bei dir.“
 

Tsu legte auf und ich fing an, mich für den Tag zurechtzumachen. Ich wählte relativ schlichte, bequeme Sachen, nichts großartig Süßes oder Feminines, sondern so mehr oder weniger den Jeans-und-Shirt-Look. Meine Haare band ich einfach zu einem offenen Zopf zusammen und mein Makeup beschränkte sich auf das Basic-Programm.

Dann schnappte ich mir meine Bambitasche, die heute das auffälligste Accessoire neben meinen rosa Haaren darstellte, und lief los zur Bahn. Die Fahrt dauerte nicht lange, und den Fußweg bis über die Treppen rauf zu Tsuzukus und Metos Wohnung hatte ich auch schnell hinter mich gebracht. Doch als ich schließlich klingelte, öffnete mir ein sehr müde aussehender Tsuzuku, der noch kein bisschen zurechtgemacht war, die Tür.
 

„Hey …“, sagte er leise.

„Meto ist schon los, oder?“, fragte ich, einfach um überhaupt irgendwas zu fragen.

„Ja, schon ganz früh.“ Tsu ließ mich rein und ich sah mich kurz um, ob in der Wohnung alles okay war. Dabei fiel mir auf, dass das Schlafzimmer nicht mehr weiß war, sondern rote und schwarze Wände hatte, farblich passend zu dem schicken Bett.

„Ihr habt das Schlafzimmer gestrichen?“, fragte ich.

„Ja, vor ein paar Tagen. Haruna, Hanako und Yami haben uns geholfen.“ Tsuzukus Stimme klang wirklich müde, ganz leise und fast gleichgültig.
 

Ich konnte das nicht mitansehen, wie er da in Tanktop und Shorts vor mir stand, mit ungekämmten Haaren und diesem leeren, traurigen Ausdruck in den Augen. Also griff ich kurzentschlossen seine Hand und führte ihn ins Bad, sagte: „Jetzt mach dich erst mal schön, und dann gehen wir raus.“

Er stand erst unschlüssig da, dann griff er nach seiner Haarbürste und begann, seine schönen, schwarzen Haare zu ordnen. Ich lief schnell rüber ins Schlafzimmer und suchte ihm Klamotten raus, einfach eine Jeans und einen grauen Pullover, brachte ihm die Sachen ins Bad und ging dann in die Küche, wo ich kurz in den Kühlschrank schaute und wenigstens feststellen durfte, dass genug zu essen da war.

Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle und während ich auf Tsuzuku wartete, schaute ich aus dem Fenster nach draußen, wo die Kirschbäume noch in voller Blüte standen. Irgendwie fand ich es furchtbar schade, dass es Tsuzuku gerade jetzt, wo alles zu blühen und zu grünen anfing, eine so schlechte Phase hatte und die Schönheiten draußen gar nicht genießen konnte.
 

Als Tsu dann aus dem Bad kam, sah er ein wenig besser aus, seine Augen wirkten wieder lebendiger und interessierter, und er war sogar ein kleines bisschen geschminkt.

„So gefällst du mir schon viel besser“, sagte ich lächelnd und stand auf. „Komm, auf geht’s!“

Tsuzuku sah mich einen Moment lang einfach an, und ehe ich mich versah, hatte er mich auch schon fest umarmt. Ich wusste erst nicht so recht, wie ich auf diese plötzliche Nähe reagieren sollte, denn ich hatte jetzt einfach nicht damit gerechnet, aber Tsu war eben ab und zu für eine Überraschung gut und schien das jetzt offenbar zu brauchen, also streichelte ich einfach mit meinen Händen über seinen Rücken und fragte: „Na, bist du heute ein bisschen nähebedürftig?“
 

Doch auf einmal schien es ihm doch unangenehm zu sein und er wollte sich wieder von mir lösen, doch ich ließ ihn nicht so schnell los. „Ist doch okay. Wenn du grad mal ‘ne Umarmung brauchst, das ist doch komplett in Ordnung.“

„Ich hab … nicht drüber nachgedacht. Ko, weißt du, diese Dinge, die ich manchmal tue, einfach so, ohne einen einzigen Gedanken …“

„Schscht …“, machte ich, denn ich sah dieses Wort ‚impulsiv‘ schon kommen. „Wir gehen jetzt schön in die Stadt, essen was, und dann kaufen wir uns noch ein paar schöne Sachen, was meinst du?“

„Den Part mit dem Essen können wir gern weglassen …“, murmelte er.

„Nichts da!“, widersprach ich lächelnd. „Wir finden schon was, was dir schmeckt, und zu viel brauchst du ja nicht zu nehmen.“
 

Den Weg in die Innenstadt legten wir wieder in der Stadtbahn zurück, fuhren bis in die Nähe eines netten Restaurants, wo es das beste (oder zumindest zweitbeste) Frühstück der ganzen Stadt gab. Als selbst in der Gastronomie Beschäftigter musste ich natürlich das Essen an meiner eigenen Arbeitsstelle besser finden, doch dieses andere Restaurant hier war eine ganze Spur ruhiger und somit eine passendere Umgebung für jemanden wie Tsuzuku, der dem quietschig-niedlichen Ambiente meines Arbeitsplatzes nur sehr wenig abgewinnen konnte.
 

In diesem Restaurant suchten wir uns eine abgelegene, ruhige Ecke, die sowohl von der nach Essen duftenden Küche, als auch dem quirligen Eingangsbereich recht weit entfernt war. Ich nahm mir die Frühstückskarte und begann, mir etwas auszusuchen, und Tsuzuku griff ebenfalls nach einer Karte, jedoch war ihm kurz darauf schon recht deutlich anzusehen, dass er sich absolut nicht entscheiden konnte. Er hatte eine nachdenkliche Falte auf der Stirn und diesen einfach nicht gesund aussehenden Blick in den Augen.

„Wenn du nicht selber was bestellen willst, kannst du auch was von mir haben“, sagte ich, und das schien ihn sehr zu erleichtern.

Als der Kellner an unseren Tisch kam und fragte, ob es schon ein Getränk sein durfte, bestellte ich mir einen Kaffee, und Tsuzuku nahm nach einem wahllosen Blick auf die Karte dasselbe.

Ich bestellte auch gleich mein Frühstück, da ich mich schon für eines entschieden hatte. Als der Kellner sich dann fragend an Tsu wandte, wurde ich Zeuge, wie mein bester Freund eine Art lächelnder Maske aufsetzte und den Kellner mit einem höflichen „Für mich nichts weiter, danke“ abspeiste. Dieser sagte noch irgendwas von einem zweiten Teller und Besteck, was er bringen wollte, und verschwand dann wieder.
 

Zwischen Tsuzuku und mir breitete sich zunächst eine unschlüssige, etwas nachdenkliche Stille aus. Ich wusste nicht, ob ich ihn nach seiner schlechten Nacht fragen sollte oder besser nicht, und er schien gerade generell nicht zu wissen, was er sagen sollte. Eine Weile saßen wir uns einfach gegenüber und ich sah mir ein wenig die Bilder an, die an den Wänden hingen, während Tsuzuku auf seine auf dem Tisch liegenden Hände blickte.
 

Doch als dann auf einmal eine Träne seine Wange hinunter lief und eine zweite rasch folgte, da musste ich ihn einfach fragen, was denn jetzt los war: „Hey, Tsu, was ist denn? Warum weinst du?“

Er antwortete erst nicht, wich meinem Blick aus, während die Tränen einfach über sein Gesicht liefen. Ich streckte meine Hand aus und berührte seine, einfach um ihm so was wie Halt zu geben, er ließ es zu und sah mich an, in seinen dunklen Augen stand die reine Verzweiflung.

„Ko, ich … ich hab geträumt, dass ich … Meto und dir und allen … zu viel werde … Dass ich einfach zu kompliziert bin … Und wer will schon immer … auf so ‘nen … verheulten Borderliner wie mich … aufpassen?“, brachte Tsuzuku unter Schluchzern und immer weiter fließenden Tränen heraus.
 

Ich musste nicht großartig überlegen, was ich tun sollte, sondern ich tat es einfach, wissend, dass es das einzig richtige war: Ich stand auf, ging um den Tisch herum und legte meine Arme um Tsuzukus Kopf und Schultern, so dass er, immer noch sitzend, sich an mich anschmiegen konnte. Mir war egal, ob uns jemand sah und es vielleicht eigenartig fand, ich dachte nur daran, dass ich meinem besten Freund jetzt den größtmöglichen Halt geben wollte.

„Schscht, Tsu … Du brauchst nicht zu weinen, ich bin bei dir, du hast nur schlecht geträumt heute Nacht“, sagte ich leise und streichelte durch sein Haar.

Tsuzuku blickte zu mir hoch, mit Angst in den Augen, und fragte mit einem Ton, der fast wie der eines weinenden, ängstlichen Kindes klang: „Und du verlässt mich ganz bestimmt nicht?“

„Nein, ich bleib bei dir. Meto und ich, wir lassen dich niemals allein.“ Ich drückte ihn noch einmal lieb an mich, dann ging ich zu meiner Tasche und nahm ein Päckchen Taschentücher heraus. „Und jetzt wisch dir die Tränen weg und putz dir die Nase, und dann essen wir. Essen ist gut.“
 

Kurz darauf wurde dann das Essen gebracht. Ich teilte mein Frühstück so auf, dass Tsuzuku genug bekam, aber nicht zu viel, und er sagte auch, dass ihm ein einziges Brötchen mit ein bisschen Butter und Marmelade genügte. Es war okay, denn schließlich wollte ich auch nicht, dass ihm wieder schlecht wurde. Während ich aß, sah ich ihn immer wieder an und beobachtete, wie sich seine Stimmung wieder ein wenig hob, und auf einmal lächelte er mich an.

„Wie geht’s mit Mikan?“, fragte er.

Ich wunderte mich ein wenig, fragte mich, wie er jetzt darauf kam, aber gleichzeitig war ich einfach froh, dass er sich offenbar wieder gut fühlte, und antwortete: „Ganz gut.“

„Hast du sie schon rumgekriegt?“ Diese direkte, unverblümte Art, so was zu fragen, war so typisch Tsuzuku, und ich musste lachen.

„Noch nicht ganz“, antwortete ich lachend und fügte dann etwas leiser hinzu: „Ich hatte keine Kondome da.“

Ich hatte ja erwarten können, dass Tsuzuku mich dafür auslachen würde, doch dass er es wirklich tat, überraschte mich doch, da er ja eben noch geweint hatte. Aber so war er eben. Saß mir gegenüber im Restaurant und lachte mich ziemlich lauthals aus, weil ich mein erstes Mal Sex mit meiner Freundin nicht auf die Reihe bekommen hatte.

„Wie geil! Ko, du bist echt … geil!“
 

Ich spürte, wie ich rot wurde. Es war mir doch ein bisschen peinlich, die Sache gestern Abend mit Mikan, und dass Tsuzuku mich jetzt so schamlos auslachte.

„Tsu! Jetzt lach nicht!“ Doch dass ich selber ein bisschen grinsen musste, weil die Situation doch was echt Komisches an sich hatte, nahm meiner Entrüstung die Kraft.

„Sorry“, entschuldigte er sich, grinste dabei aber immer noch. „Ich hab mir das nur gerade vorgestellt, wie Mikan und du endlich aufs Ganze gehen wollt und dann hast du kein Gummi da …“

Ich schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei. „Du bist echt unmöglich.“
 

Tsu erwiderte nichts darauf, biss von seinem Brötchen ab, und eine ganze Weile saßen wir einfach einander gegenüber und aßen. Schließlich sagte er leise und wieder recht ernst: „Koichi … wenn dich das nervt, dass ich … so unverschämt bin und so … dann kannst du das sagen.“ Er blickte auf seine Hände und fügte noch etwas leiser hinzu: „Ich kann zumindest versuchen, mich zu bessern …“

Ich sah ihn an und sagte dann, ganz einfach und völlig von meinen Worten überzeugt: „Es ist okay. Du darfst gern lachen, wenn du so was lustig findest. Ich weiß ja, wie du das meinst.“

„Hinterher tut mir so was leid. Aber … weißt du, dann hab ich es eben schon getan.“

„Tsu, das weiß ich doch.“

„Denkst du das dann? Hast du eben gedacht: ‚Jetzt war Tsuzuku wieder impulsiv‘?“, fragte er und sah schon wieder fast traurig aus.

„Nur ganz kurz, wirklich. Ich denke viel mehr, dass du eben einfach so bist, wie du bist. Dieses Wort … ‚impulsiv‘ … das benutze ich in Gedanken kaum und auch nicht gern.“ Ich griff über den Tisch und berührte wieder seine ineinander verschränkten Hände, die eine seltsam haltlose Ruhelosigkeit ausstrahlten. „Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich dich irgendwie beurteile oder so. Hey, du bist mein bester Freund und ich hab dich gern. Ich will, dass es dir gut geht, und ich versuche immer nur, dich zu verstehen.“

Tsuzuku lächelte leicht. „Danke, Ko. Ich hab dich auch gern.“
 

Wir aßen noch beide auf, dann ging ich zum Bezahlen und wir verließen das Lokal.

„Wollen wir noch ein bisschen durch die Stadt?“, fragte ich.

Tsu zuckte nur mit den Schultern. „Meinetwegen …“ Und dann: „Na ja, ein neues Hemd könnte ich schon brauchen …“

Ich lächelte. „Na, siehst du. Shoppen hat bisher noch immer die Stimmung gehoben.“

„Ich hab nur kaum Geld …“ Zuerst sah er so aus, als ob er es sich doch noch anders überlegt hatte, doch dann sagte er: „Für ein Teil reicht‘s aber sicher noch.“
 

Und so gingen wir wieder zusammen einkaufen. Hier in der Gegend gab es einen größeren Supreme-Laden und da ich dieses Label sehr mochte, schleppte ich Tsuzuku dorthin mit. Schon als wir vor dem Schaufenster standen, sah ich, wie mein bester Freund in seinen Shoppingmodus wechselte und seine Augen geradezu aufleuchteten.

„Die haben hier echt schöne Sachen“, sagte ich, aber das war eigentlich komplett überflüssig, denn Tsu hatte schon den Laden betreten und ein dunkelblau-weiß gemustertes Hemd in der Hand, das er mir strahlend hinhielt und fragte: „Meinst du, das steht mir?“

Ich sah erst das Hemd an, dann ihn, und stellte fest, dass es zwar ziemlich anders war als die schwarzen, finsteren Sachen, die er sonst viel trug, er aber trotzdem gut darin aussehen würde.

„Ja, ich würde sagen, das ist was für dich“, sagte ich und begann dann, mir selbst die Auslagen genauer anzuschauen.
 

Zwischendurch beobachtete ich Tsuzuku ein wenig und sah zu, wie er, obwohl er ja laut eigener Aussage nur Geld für ein einziges Teil hatte, immer mehr Sachen zusammensuchte, Oberteile und Hosen und den einen oder anderen Schal oder Hut.

„Tsu, hattest du nicht gesagt, du hast kaum Geld?“, fragte ich vorsichtig.

Er kam auf mich zu, beide Arme beladen mit Klamotten, und erwiderte: „Ich kann mich nicht für ein Teil entscheiden …“

Ich musste lachen, einfach weil das irgendwie so süß aussah, wie er da vor mir stand.

„Probier die Sachen doch erst mal an“, sagte ich und wies rüber zu den Umkleiden. „Ich helfe dir auch beim Aussuchen.“
 

Die Situation war einerseits irgendwie seltsam, aber auf der anderen Seite auch so typisch für Tsuzuku und mich, dass ich mich eher freute, als dass mich irgendwas daran störte. Und so stand ich dann vor der Umkleide und wartete immer wieder, während Tsu ein Teil nach dem anderen anprobierte, um es mir dann zu präsentieren.

Es waren ganz unterschiedliche Sachen dabei, einiges in seiner Lieblingsfarbe Schwarz, aber auch viel Rot und Blau und das eine oder andere bunt gemusterte Shirt oder Hemd. Er hatte sich dazu passende Schals, Hüte und Caps ausgesucht, die ihm überraschend gut standen, und ich entdeckte, dass mein bester Freund bei all seiner Stilsicherheit doch auch für stilistische Überraschungen gut war. Er war, wenn auch eben in seinem Stil männlicher und dunkler, im Grunde genauso experimentierfreudig und shoppingwütig wie ich.
 

Letztendlich entschied er sich dann doch für das blau-weiß gemusterte Hemd, das er zuerst gesehen hatte, und für einen schwarzen Hut, der ihm wirklich sehr gut stand.

Ich selbst kaufte infolge dessen, dass ich Tsu beim Aussuchen geholfen hatte, dieses Mal nichts, aber ich hatte ja auch wirklich genug Sachen, während Tsuzukus Kleiderschrank sicher noch einigen Platz für neue Klamotten bot.
 

Eigentlich hätte es danach schön sein müssen, alles gut und wir beide happy, aber so war es mit Tsuzukus Problemen nun mal einfach nicht. Ich wusste erst nicht einmal, warum, als er auf einmal auf dem Weg durch die Stadt mitten auf dem Weg stehen blieb und wieder diese Angst und Traurigkeit in den Augen hatte. Ich sah ihn an, war erst ein wenig verwirrt, weil er eben noch gelacht und einen Witz über sein eigenes Einkaufsverhalten gemacht hatte, jetzt aber plötzlich wieder so niedergeschlagen wirkte.
 

„Hey, was los?“, fragte ich besorgt und machte einen Schritt auf ihn zu, nahm seine Hand und ging mit ihm zu einer Bank am Wegesrand, wo er sich setzen konnte.

„Ich … hab heute noch nachher den Termin … bei dem Psychiater …“, antwortete Tsuzuku leise.

„Und du hast Angst davor?“

Er nickte. „Ich hab so Angst … dass alles noch schlimmer wird, wenn ich da bei dem über das alles rede … Hitomi hat auch gesagt, dass das furchtbar schiefgehen kann …“

Ich legte ihm meine Hand auf den Rücken, damit er sicher fühlte, dass ich da war, und sagte: „Wieso sollte es denn schlimmer werden? Der Psychiater will dir doch sicher auch helfen, und vielleicht weiß er sogar etwas, womit du dir selbst helfen kannst und so. Und nur, weil das bei Hitomi nicht richtig klappt, heißt das nicht, dass es bei dir genauso schief läuft.“
 

Tsuzuku hatte wieder Tränen in den Augen und sagte dann, ganz leise: „Weißt du, Ko … Ich war schon mal suizidal. Ich will das nicht wieder. Ich will nicht wieder sterben wollen.“ Er schwieg einen Moment, den ich ihn hochgradig besorgt ansah und nicht wusste, was ich sagen sollte, dann fügte er ebenso leise hinzu: „Aber ich fühle, dass es wieder … näher kommt, dieses Gefühl von … von ‚Ich will nicht mehr‘…“

„Tsu …“, begann ich und hörte meiner eigenen Stimme die entsetzte Sorge an, „Du musst kämpfen! Und du brauchst Hilfe, viel Hilfe. Also geh bitte zumindest zu diesem ersten Termin hin, ja?! Wenn du mit diesem Arzt nicht klarkommst, suchen wir dir ‘nen anderen, aber du musst da heute hingehen!“

Er sah mich an, ein wenig verwundert vielleicht, weil ich ein bisschen laut geworden war, und fragte dann einfach: „Kommst du mit?“

„Sollte nicht besser Meto mit dir hingehen?“

„Der Termin ist in zwei Stunden, und ich weiß nicht, ob er dann schon wieder da ist …“

„Müsste er eigentlich schon“, sagte ich. „Komm, wir gehen zu dir nach Hause und dann gehst du nachher mit ihm los, okay?“
 

Wir machten uns dann auf den Weg, zurück zu Tsuzukus und Metos Wohnung, und warteten dort auf Meto. Währenddessen kümmerte ich mich ein bisschen um Tsu, kochte ihm Tee und redete weiter mit ihm, über alles Mögliche, um ihn ein bisschen abzulenken. Aber das Gespräch kam immer wieder auf das Thema ‚Psychiater‘ zurück, vielleicht weil Tsu einfach so wahnsinnige Angst davor hatte und an nichts anderes denken konnte in diesem Moment.

„Koichi, weißt du …“, sprach er mich an, als ich mir gerade eine zweite Tasse Tee einschenkte.

„Hm?“

„Weißt du, ob ich, wenn der mir mit Medikamenten kommt … ob ich da auch Nein sagen kann?“

„Sicher. Der kann dich zu nichts zwingen“, antwortete ich. „Aber … vielleicht gibt es ja ein Medikament, was dir hilft. Eins, mit dem du dieses Gefühl von Leere nicht mehr so hast und deine Angst nicht mehr so groß ist … Ich kenn mich da nicht aus, aber könnte doch sein, oder?“

„Ich will nichts nehmen, keine Tabletten oder so. Das kommt mir … irgendwie falsch vor.“

„Dann sag das dem Arzt. Es geht schließlich darum, dass der sieht, was in dir los ist, und dir dann hilft. Denke ich zumindest …“

„Und wenn er sowieso beleidigt ist, weil ich ihn vorgestern so angefahren habe?“

„Dann wäre das sehr unprofessionell von ihm. Ich denke mal, einer, der sich mit solchen Sachen auskennt, wird schon verstehen, warum du Angst hast. Er hat das schließlich studiert.“
 

Es war doch recht schwierig irgendwie, meinen besten Freund davon zu überzeugen, dass er zu diesem Termin hinging. Er hatte offenbar wirklich sehr große Angst davor und widersprach deshalb so ziemlich allem, was ihm hätte helfen können. Ich fühlte mich ein bisschen hilflos, weil ich mich ja selbst kaum auskannte und keine Erfahrung mit Psychiatern hatte.
 

Als Meto dann kurz darauf nach Hause kam, hatte der schon an den Termin gedacht und schlug von sich aus vor, dass er Tsuzuku dorthin begleitete. Tsu war sichtlich froh darüber und wirkte sowieso, sobald Meto nah bei ihm war, viel entspannter. Unnötig zu erwähnen, dass ich das wieder unheimlich süß fand, diese Vertrautheit und Nähe zwischen den beiden.
 

Ich machte mich dann wieder auf den Heimweg zu meiner Wohnung, wo ich, als ich dort an meiner Tür angekommen war, mich gleich wieder umdrehte, die Treppen wieder runterlief und mich auf den Weg zu einem kleinen, aber durchaus gut ausgestatteten Sexshop in der Nähe machte, um ein Päckchen Kondome zu kaufen. Ging ja wohl nicht an, dass ich so was nicht im Haus hatte. Der nächste Versuch von Sex zwischen Mikan und mir sollte sicher nicht wieder daran scheitern, dass ich unvorbereitet war.

Aber heute wurde nichts mehr daraus. Ich schrieb ihr zwar, dass ich die Kondome besorgt hatte, doch sie antwortete, dass sie sich für heute Abend mit einer Freundin zum Bowlen verabredet hatte und deshalb nicht zu mir kommen konnte.
 

Und so saß ich bis zum Abend mehr oder weniger herum, surfte ein bisschen im Internet und machte dann noch ein wenig Hausarbeit, steckte eine Ladung Wäsche in die Waschmaschine und räumte endlich die in Tokyo gekauften Klamotten ordentlich in den Schrank.

Ich hoffte, dass bei Tsuzuku alles gut war, dass sein Gespräch beim Psychiater gut verlaufen war, aber ich rief ihn jetzt nicht an, weil ich vermutete, dass er mit Meto vielleicht anderweitig beschäftigt war.
 

Stattdessen schaute ich kurz auf seinem Blog vorbei. Und da hatte sich schon wieder irgendein homophober Idiot einen fiesen Kommentar erlaubt. Es war kein langer Post, nur ein „Igitt, Schwule, wie eklig!“ unter einem Foto von Tsu und Meto, das eigentlich für Außenstehende gar nicht so sehr nach Beziehung aussah.

„Maul halten!“, schrieb ich als Antwort darunter.

Und natürlich ließ die Retourkutsche nicht lang auf sich warten: „Was willst du denn?!“

„Meinen besten Freund verteidigen. Schreib ihm weiter solchen Shit und ich hetz dir ein paar Leute auf den Hals!“

„Das wagst du nicht.“

„Tu ich doch.“
 

Ich hatte Tsuzuku versprochen, dass ich gegen solche Leute, die es wagten, ihm Hasskommentare zu schreiben, vorgehen würde, und dieses Versprechen hielt ich. Zumal ich eben einige Freunde auf der Website hatte, die durchaus imstande waren, jemanden ziemlich zur Schnecke zu machen.

Von eben jenen Leuten schrieb ich einige besonders schlagfertige Personen an und bat sie, den Kommentarschreiber, bitte abseits von Tsuzukus Blog, damit er das nicht mitbekam, per Privatnachricht mal ordentlich Bescheid zu sagen, dass das ja wohl mal gar nicht ging! Aus dem weiteren Stress hielt ich mich dann raus. Ich legte keinen Wert darauf, da mit zu streiten, das überließ ich anderen, die das besser konnten. Stattdessen schrieb ich per Handy eine Nachricht an Tsu, dass ich auf seinen Blog aufgepasst und einen Hater fürs erste vertrieben hatte.

Er antwortete mit einem kurzen Danke und einem kleinen Herzchen, das mir Lohn genug war.
 

Und wo ich schon mal im Kontakt zu ihm war, rief ich Tsuzuku auch gleich an und fragte, wie das Gespräch beim Psychiater gelaufen war.

„Ganz okay …“, antwortete er. „Der ist sogar … irgendwie nett …“

„Das ist doch schon mal gut.“

„Er hat aber schon von Medikamenten angefangen. Ich hab ihm gesagt, ich bin da unsicher, und er meinte, ich soll mal darüber nachdenken.“

„Und tust du das, darüber nachdenken?“

„Ja, schon … Ich weiß nicht …“, sagte Tsuzuku. „Ko, kannst du … mir da vielleicht ein bisschen helfen? Also, na ja … ich weiß, ich hab dir mal gesagt, du sollst nichts drüber nachlesen, aber … jetzt brauch ich deine Hilfe. Können wir da mal zusammen drüber recherchieren und so?“

„Klar, natürlich“, antwortete ich.

„Danke dir. Ich … will das Meto nicht aufbürden irgendwie … Er ist gerade sowieso irgendwie … unsicher, wegen der ganzen Sache …“

„Wieso denn?“, fragte ich.

„Er war bei dem Gespräch dabei, ich wollte ihn dabei haben, und jetzt sieht er die ganze Zeit so nachdenklich aus und ich hab das Gefühl, er weiß nicht recht, wie er damit umgehen soll, was der Psychiater alles gesagt hat …“ Tsuzukus Stimme zitterte ein wenig und er klang wieder so, als hätte er ziemliche Angst.

„Lass Meto ein bisschen Zeit. Er muss ja auch mit dem ganzen, was jetzt ist, klarkommen, genau wie du. Das ist für euch beide ja nicht einfach, für dich nicht und für ihn eben auch nicht.“

„Ja …“, sagte er, und fragte dann: „Ko … wie soll ich das machen, Meto Zeit lassen?“

„Indem du einfach so bist wie immer. Ich kann mir vorstellen, dass so ein Gespräch das Bild, was Meto von dir hat, durcheinander bringen kann. Zeig ihm jetzt einfach, dass du noch derselbe Mensch bist wie sonst auch.“

„Danke, Ko.“ Und schon hatte Tsuzuku wieder aufgelegt. So war er eben beim Telefonieren: Wenn es nichts mehr zu sagen gab, legte er einfach auf. Aber ich hatte jetzt keine Angst um ihn. Er hatte im Großen und Ganzen gut und sicher geklungen, und ich war mir relativ sicher, dass er jetzt nicht in irgendeiner Gefahr schwebte.
 

Ich wandte mich noch mal ein wenig meiner Wohnung zu, schaute danach noch ein bisschen fern, machte mir ein schönes Abendessen und ging dann recht früh ins Bett.

Mitten in der Nacht wachte ich dann noch mal auf, weil ich viel zu früh schlafen gegangen war, und sah mir spontan noch einen Film an, bis ich wieder müde wurde und bis zum Morgen durchschlief.

[Tsuzuku] Act 19

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[meto] Act 20

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 21

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Tzk] Special: Ai no Yoru - Liebesnacht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Tsuzuku] Act 22

[1 1/2 Wochen nach der besonderen Liebesnacht]
 

Manchmal kam es vor, dass ich morgens aufwachte und bestimmte Dinge, die ich mir schon lange vorgenommen hatte, auf einmal ganz nah waren, so dass ich wusste: ‚Heute mach ich das.‘

So war es an diesem Morgen mit meinem Plan für das neue Tattoo an meinem Hals.
 

Ich wachte auf, sah Meto neben mir liegen, er schlief noch und ich betrachtete einen Moment lang die noch ungefärbten, schwarzweißen Linien auf seinem Arm, verspürte eine leichte, angenehme Aufregung und hob dann meinen eigenen Arm, den linken, wo ja bis auf meine Hand keine freie Haut mehr zu sehen war.

Im Gegensatz zu Meto, der ja bunte Tattoos liebte, hatte ich schon von meinem ersten Tattoo an dieses dunkle Blau vorgezogen, weil mit bunte Farben einfach nicht so standen. Lediglich bei dem Schmetterling auf meinem Rücken hatte ich mir ein wenig Farbe erlaubt. Das neue Tattoo, die Schere, sollte nur dunkel werden, fast schwarz.
 

Und dann war der Gedanke einfach da: „Heute ist der Tag dafür.“ Ich sprach es aus, leise zwar, aber es war nicht nur ein Gedanke, es war ein Plan für den heutigen Tag. Das Geld war mir egal, wenn nötig, würde ich mir von Kurata den entsprechenden Betrag vorstrecken lassen und später abbezahlen. Ich wollte dieses Tattoo, und zwar heute! Ich wusste, nach den vielen Abstürzen in den letzten Wochen und auch insgesamt, wurde es wieder Zeit für so etwas, und augenblicklich freute ich mich darauf.
 

Langsam stand ich auf und ging erst mal ins Bad, um mich zu duschen und fertig zu machen. Das nahm etwa zwanzig Minuten in Anspruch, mehr nicht, da ich heute keine Lust hatte, mich großartig zu schminken oder sonst wie hübsch zu machen.

Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, war Meto auch schon wach und wünschte mir einen guten Morgen. Ich gab ihm einen schnellen, süßen Kuss, und wandte mich dann dem Kleiderschrank zu, zog eine meiner engen Jeans an und das blau-weiß gemusterte Hemd, das ich letztens mit Koichi zusammen gekauft hatte.
 

„Ich will mir heute das Tattoo stechen lassen“, sagte ich, einfach so, wie ich halt war.

„Das, was du schon selbst gezeichnet hast?“

Ich nickte. „Ich freu mich da schon drauf. Ich hab einfach das Gefühl, dass das heute sein muss.“

„Dann mach das“, sagte Meto und lächelte. „Ich kann mir vorstellen, dass dir das gut tut.“

Das dachte ich auch. Nur, dass mir schon der Gedanke an den Schmerz und die Veränderung ein vorfreudiges Kribbeln durch den Körper schickte, sagte ich nicht. Sonst hätte Meto sich doch wieder Sorgen um mich gemacht. Dass mir so ein Schmerz gut tat und auf mich entspannend wirkte, war für ihn und fast jeden anderen so schwer zu verstehen und das wusste ich. Die einzige Person, die ich da kannte und wo ich glaubte, dass sie das nachvollziehen konnte, war nun mal Hitomi.
 

Ich war so gut drauf, dass ich sogar frühstückte, bevor ich eine Zigarette rauchte und mich dann auf den Weg ins Studio machte. Fühlte mich gut und entspannt, die Aufregung war durchweg eine positive, die mich regelrecht euphorisch stimmte.

Ich überlegte schon, von welchem meiner Kollegen ich das Tattoo stechen lassen wollte, und kam recht schnell auf Takashima, da ich bei ihm auch das Gefühl hatte, dass wir uns ein wenig angefreundet hatten. Und als ich dann nach der Bahnfahrt und dem Fußweg schließlich das Studio betrat, war ich so entspannt und aufgeregt zugleich, dass ich es kaum erwarten konnte.
 

„Morgen, Genki“, begrüßte Takashima mich lächelnd. „Na, du strahlst ja! Geht’s dir gut heute?“

Ich stellte meine Tasche an meinen Platz am Tisch und suchte aus meiner Mappe mit den Entwürfen das Blatt mit meinem eigenen Entwurf heraus, legte es meinem Kollegen einfach vor die Nase auf seinen Tisch und sagte: „Das Ding ist heute fällig. Traust du dir das zu?“

„Ah“, sagte er und sah sich das Bild von der Schere an. „Das soll dein Neues werden? Und ich soll’s machen?“

„Genau“, erwiderte ich. „Und? Machst du’s?“

„Wo willst du das denn haben?“

Ich deutete auf die noch freie Seite an meinem Hals.

„Okay, ja, ich denke, das kriege ich hin“, sagte er. „Musst das halt noch mit Kurata absprechen, aber ich denke mal, der hat nichts dagegen.“
 

„Wo hab ich nichts dagegen?“, hörte ich Kurata hinter mir fragen. „Was habt ihr beiden vor?“

„Aoba will heute selber ein neues Tattoo“, informierte ihn Takashima, bevor ich überhaupt irgendwas sagen konnte.

Ich drehte mich zu Kurata um, der grinste mich an. „Na dann, macht ihr beiden mal. Und die Finanzierung ist kein Problem, Aoba. Schließlich arbeitest du hier, und machst das gut. Da ist auch mal ein Tattoo für dich selbst mit drin.“

So einfach war das? Kurata verwirrte mich mal wieder. Ich war fest davon ausgegangen, dass ich mindestens einen Anteil würde bezahlen müssen. Aber vielleicht war das ein Vorteil daran, dass er sich ab und zu in zwielichtigeren Kreisen aufhielt: Er nahm Dinge wie Geld oder Ordnung nicht so ernst, sah das viel lockerer als es für einen Japaner sonst üblich war.
 

Ich ging also mit Takashima zusammen in den Raum hinter dem Vorhang, setzte mich auf die Liege und zog mein Hemd aus. Er nahm ein paar Haarklammern aus einer Schachtel und steckte meine Haare so zurück, dass er an meinen Hals gut rankam, dann legte ich mich hin und wartete, bis er sich einen guten Überblick über das Motiv verschafft hatte.

„Erst mal nur die Outlines, okay? Und dann schauen wir danach, was ich heute noch weiter hinkriege?“, fragte er.

Ich nickte, mein Herz klopfte vorfreudig.

Zuerst reinigte und desinfizierte Takashima die Stelle, dann füllte er die Tinte in die Nadelmaschine und bereitete das Gerät so weit vor, dass er gleich mit dem Stechen würde beginnen können.

„Soll ich lieber vorne anfangen oder hinten?“, fragte er.

„Ist mir egal. Mach so, wie du am besten kannst.“
 

Takashima setzte sich auf einen Hocker mit Rollen und bewegte sich auf diesem um die Liege herum, zog die Nadelmaschine mit. Und als er dann so vor mir saß, fühlte ich mich einen Moment lang irgendwie ganz seltsam, wie zurückversetzt in die Zeit vor Mamas Tod, als ich zuletzt ein neues Tattoo bekommen hatte, und gleichzeitig so gut und vorfreudig, dass mein Herz mir vor Glück fast aus meiner Brust springen wollte.
 

„Betäubung willst du keine, oder?“, fragte Takashima, während er mit einem schwarzen Stift mein Motiv auf meiner Haut vorzeichnete.

„Nein“, sagte ich.

„Magst du den Schmerz?“

Ich nickte.

„Klingt vielleicht blöd, aber das hab ich mir schon gedacht.“

„Bleibt aber unter uns, okay?“

„Logisch.“ Er lächelte. „Übrigens, wo wir schon mal dabei sind: Nenn mich gerne Koji.“

Es passte irgendwie zu der Situation und auch zu dem, was mich inzwischen mit ihm verband, dass er mir jetzt noch mal in aller Form das Beim-Vornamen-nennen anbot, deshalb antwortete ich: „Dann nenn du mich Tsuzuku. Ist mir lieber als ‚Genki‘.“

„Okay. Hatte ich auch schon von deinem Freund gehört, der nennt dich ja auch so.“
 

Als er mit der Vorzeichnung fertig war, hielt er mir einen Spiegel hin. „Richtig so?“

Ich betrachtete die noch provisorischen Linien auf meiner Haut, Taka… ähm, Koji zeichnete wirklich gut, und ich wusste, dass er mit der Nadel ebenso geschickt umging.

„Ja, sieht gut aus.“

Koji stellte die Nadelmaschine an, fragte noch mal kurz „Bereit, Tsuzuku?“ und dann setzte er die surrende Nadel an meine Haut und begann mit seiner Arbeit.
 

Ich schloss die Augen, spürte den Schmerz, hörte das Surren der Nadel und fühlte, wie mein Körper ganz warm wurde. Mein Herz klopfte wie wild und ich fühlte mich so gut, vollkommen entspannt und gleichzeitig glücklich und aufgeregt.

Und je länger der Schmerz andauerte, umso tiefer versank ich in diesem Glücksgefühl, das mich nach fast drei Jahren Entzug augenblicklich wieder süchtig machte. Ich hatte mich, ohne es recht zu merken, sehr danach gesehnt, nach dem süßen Schmerz und diesem Gefühl, das ich noch nie wirklich hatte benennen können, sich aber so unglaublich gut anfühlte.
 

Doch in diesem Moment, als ich mich sehnsüchtig tiefer in diese Empfindungen versenkte, während Koji mein selbst entworfenes Bild für immer in meine Haut zeichnete, da wusste ich es auf einmal: Es war einzig dieser Schmerz, der mich spüren und wissen ließ, wer ich war. Nichts anderes, nur vielleicht noch der Sex mit Meto, ließ mich mein Ich spüren, meine Identität, mein Selbst.

Wenn ich mich jetzt vor meinem inneren Auge selbst ansah, dann war da jemand, ich konnte mich erkennen, während ich, wenn ich lange Zeit ohne diesen guten Schmerz (oder meinen Liebsten) war, das Gefühl für mich selbst weitgehend verlor.
 

Aber jetzt war es da, ich spürte mich so deutlich, fühlte mich so gut und sicher. So tief versank ich in meinem Innenleben, in schönem Schmerz und Glücksgefühl, dass ich richtig erschrak, als Koji mich irgendwann leise ansprach: „Du wirkst richtig glücklich. Fühlt sich das so gut an?“

Ich hatte keine Ahnung, wie ich gerade aussah, aber so gut, wie ich mich fühlte, war es wohl nicht verwunderlich, dass ich lächelte.

„Ich mag das“, sagte ich leise und öffnete die Augen. „Es entspannt mich, und ich spüre mich selbst.“

„Merkt man dir auch an.“ Koji hatte die Nadel kurz von mir weggenommen und füllte jetzt neue Tinte nach. „Du wirkst gerade richtig entspannt und … irgendwie selbstsicher ...“

Ich lächelte. „Mach weiter.“
 

Und sogleich begann es wieder, das süße, mich so entspannende Brennen auf meiner Haut, das Surren der Nadel, mein Selbstgefühl. Es tat so unglaublich gut, dass ich mich fragte, warum ich so etwas nicht schon viel früher wieder gemacht hatte, und viel zu früh war es vorbei.

Koji stellte die Nadel aus und sagte: „So, die Outlines sind drauf. Machen wir morgen weiter?“

Am liebsten wollte ich, dass er jetzt nicht schon aufhörte. Mein Sehnen nach diesem Tattoo-Gefühl aus Schmerz, Sicherheit und Selbstgefühl war gerade erst wieder erwacht und wollte nicht schon wieder schlafen geschickt werden. Der kurze Schmerz zuletzt, das Desinfizieren, war mir zu wenig.

Koji bemerkte mein Zögern und sagte: „Hey, dann hast du morgen noch mal was davon. Ist doch besser, als wenn’s heute schon fertig wird, oder?“

Da hatte er allerdings Recht. Ich würde mehr davon haben, wenn ich es in Etappen aufteilte.
 

Koji holte die Schutzfolie und klebte sie mit ein paar Pflastern auf meine Haut, ich zog mein Hemd wieder an und nahm die Haarklammern raus. Die Stelle, wo ich, als ich dann in den Spiegel schaute, die noch nicht schattierten Linien der Schere auf meiner jetzt geröteten Haut sah, tat noch weh, verlief sie doch auf einer empfindlichen Hautzone, und als ich vorsichtig mit der Hand über die Folie und die Haut darunter strich, kribbelte es. Es war ein schönes, sicheres Gefühl.
 

„Gefällt’s dir?“

Ich nickte. „Ist gut geworden.“

„Arbeitest du jetzt noch oder gehst du?“, fragte Koji.

„Ich zeichne noch bisschen was, heute Nachmittag bin ich dann eh weg, hab nen Termin.“

„Wo denn?“

„Psychiater“, antwortete ich knapp, stand auf und ging zu meinem Arbeitsplatz am Zeichentisch, holte die Mappe mit den Entwürfen raus und sah nach, wo ich weiter arbeiten musste.
 

Bis zum Mittag zeichnete ich an verschiedenen Entwürfen, und kurz vor der Pause drückte Kurata mir noch eine Kundin auf, die nach einem Motiv suchte und ein Beratungsgespräch wollte.

Es war eine blonde, junge Ausländerin, die jedoch ziemlich fließendes Japanisch sprach und sich für ein Geisha-Motiv interessierte, das sie auf dem Oberarm haben wollte. Sie hatte keine präzisere Vorstellung und so zeigte ich ihr einfach eine unserer Motivmappen, die mit den Geisha-Motiven.

„Das hier ist schön“, sagte sie schließlich und zeigte auf einen bunten Entwurf in einem recht aufwändigen Shojo-Manga-Stil, sehr süß, sehr farbig und mit sehr feiner Linienführung. „Würden Sie mir das machen?“
 

Ich sah mir das Bild einen Moment lang an, versuchte schon mal, mir vorzustellen, wie ich an ein so aufwändiges, feines Motiv rangehen würde, und entschied, dass es für mich als gerade erst wieder eingestiegenen Tätowierer zu schwierig war, ich war noch nicht wieder gut genug.

„Ehrlich gesagt … ist so was Feines, Süßes nicht wirklich meine Art. Ich bin gerade erst wieder in die Arbeit eingestiegen nach zwei Jahren Unterbrechung, wissen Sie, deshalb traue ich mir noch nicht alles wieder zu“, erwiderte ich, drehte mich dann mit dem Bild in der Hand zu Kojis Platz hinter mir um und sprach ihn an: „Sag mal, kannst du so ein Motiv wie das hier …“, ich legte ihm das Bild auf seinen Tisch hin, „… solche Teile, kannst du die gut stechen?“

Koji grinste. „Traust dir das nicht zu?“

„Nein, ich glaube, das würde nicht gut werden, da sind zu viele verschiedene Farben drin und der Stil ist so fein und filigran …“ Ich wandte mich wieder an Kundin und sagte: „Mein Kollege kriegt das sicher schöner hin, der macht so was seit Jahren.“
 

Sie sah ein bisschen enttäuscht aus, vielleicht gefiel ich ihr irgendwie und sie hätte sich gewünscht, dass ich sie tätowierte. Aber dann ging sie doch zu Koji hinüber und er übernahm sie, sodass ich mich wieder der finsteren, dämonisch wirkenden Zeichnung widmete, an der ich zuvor gearbeitet hatte. Ab und zu sah ich dabei in den Spiegel und betrachtete mein eigenes, nagelneues Tattoo, das sich schon jetzt, wo es noch nicht mal fertig war, als echter Teil meines Körpers in mein Bild im Spiegel integrierte. Ich fühlte mich komplett wohl damit und freute mich schon auf die nächste Session, wenn es dann ganz fertig wurde.
 

Nach der Mittagspause, die ich mit einer Zigarette (der vierten an diesem Tag) im Hinterhof des Studios verbrachte, machte ich für heute Feierabend, meldete mich ab und machte mich auf den Weg zur psychiatrischen Klinik.

Auf dem Weg rauchte ich noch eine Zigarette, weil ich ziemlich aufgeregt war, und als ich den Kippenrest vor der Klinik in der Raucherecke wegwerfen wollte, saß dort Hitomi. Sie sah müde aus, gefühlsmüde, und als ich sie fragte, ob ich mich kurz setzen durfte, sah sie nur auf und nickte.
 

„Hey“, sagte ich nur.

„Hey, Tsu …“ Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette.

„Geht’s dir okay?“, fragte ich vorsichtig.

„Passt“, antwortete sie. „Es killt mich, ich bin völlig fertig, aber ich mag mich nicht verletzen oder so, darf ich ja auch nicht … Warum bist du hier?“

„Ich hab gleich nen Termin. Bei Dr. Niimura, kennst du den?“

„Nur vom Sehen. Ist der gut?“, fragte Hitomi.

„Ich glaube schon. War aber erst einmal bei ihm.“

„Na dann, viel Glück, dass er echt gut ist“, sagte sie und lächelte sogar ein wenig.

Ich stand auf, verabschiedete mich wieder und ging zum Klinikeingang.

Hitomi hatte so müde und kaputt ausgesehen, dass ich mir doch ein wenig Sorgen um sie machte, und hoffte, dass sie sich bald wieder besser fühlte. Tun konnte ich jetzt wenig, ich hatte nur noch fünf Minuten, bis mein eigener Termin losgehen sollte.
 

Ich musste tatsächlich nur ein paar Minuten warten, dann kam Dr. Niimura aus seinem Büro und begrüßte mich.

„Aoba-san, guten Tag.“ Er lächelte, dann bemerkte er mein neues Tattoo mit der Folie darüber. „Ah, Sie haben ein neues Tattoo?“

Ich lächelte, irgendwie freute es mich sehr, dass er es überhaupt bemerkte und ansprach. „Ja, heute gestochen“, antwortete ich.

Wir gingen in sein Büro, er bot mir denselben Platz an wie beim ersten Gespräch, und als ich saß, sagte Dr. Niimura: „Ich muss Sie das fragen: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie sich ein Tattoo stechen lassen? Ich meine, tut es weh und wie ist das für Sie?“

Ich konnte mir ja gut denken, warum er das fragte, und dachte an Maya, das Mädchen, das mich für meine Tattoos beneidet hatte, weil sie selbst als Borderline-Kranke in Therapie keines haben durfte.
 

„Es fühlt sich gut an, richtig gut“, antwortete ich. „Mich selbst zu fühlen und den Schmerz zu spüren … Aber es ist ja was Gutes, ich mag mich so, mit dem ganzen Zeug, was ich schon hab machen lassen. Ich finde mich schön so.“

„Würden Sie sagen, es ist Selbstverletzung? Oder sind Tattoos für Sie eher ein Skill, also etwas, das Ihnen hilft, sich nicht zu verletzen, oder Ihnen sonst irgendwie gut tut?“

Ich musste tatsächlich nicht lange überlegen, um zu wissen, dass es ziemlich eindeutig das Zweite war, ein ‚Skill‘, wie der Arzt und die Bücher es nannten. Das Gefühl, wie gut mir das Stechen heute getan hatte, war mir noch so präsent, dass ich mir ganz sicher war.
 

„Es tut mir sehr gut. Ich weiß, es hört sich komisch an, dass etwas Schmerzhaftes wirklich gut sein kann, aber ich fühle mich richtig gut gerade, weil ich das heute habe machen lassen, verstehen Sie? Wissen Sie, wenn ich mich schneide oder erbreche, das ist Selbstverletzung, das sehe ich selbst. Aber Tattoos tun mir einfach gut.“

„Das glaube ich Ihnen, Aoba-san. Sie können sich sicher denken, dass ich bei jemandem wie Ihnen so fragen muss, ich bin als Psychiater dazu verpflichtet, nachzuhaken, ob solche Dinge für Sie Skill oder Selbstverletzung sind. Ich hatte auch schon Patienten, bei denen der Schmerz beim Tätowieren zu sehr der Selbstverletzung ähnelte und denen ich daher untersagt habe, sich weitere Tattoos stechen zu lassen. Aber bei Ihnen sehe ich da kaum Gefahr, Sie wirken tatsächlich so, als ob es Ihnen wirklich hilft. Sollte sich das ändern, sprechen Sie mit mir bitte darüber, ja?“

Ich nickte, hoffte ja selber, dass ich diesen Unterschied zwischen dem Schmerz beim Tätowieren oder beim Sex einerseits, und dem Schmerz von Selbstverletzung andererseits, weiterhin so hinbekam und das voneinander trennen konnte.
 

„Ist es in Ordnung, dass wir uns heute schon mal ein wenig Ihre Geschichte anschauen?“, fragte Dr. Niimura dann. „Einfach, damit ich Sie und ihr Leben anfange kennen zu lernen und zu verstehen?“

„Ich weiß nicht …“, antwortete ich, der Gedanke an meine Vergangenheit machte mir Angst, ich wusste nicht, was in mir passieren würde, wenn ich darüber sprach.

„Wie wäre es, wenn ich Ihnen einfach Fragen stelle und Sie antworten so weit, wie Sie können?“

Ich nickte, aber meine Hände zitterten leicht.

Die Fragen, die er mir dann stellte, waren zuerst noch harmlos: Dinge wie zum Beispiel meine Schulzeit als Kind und Jugendlicher, meine Noten, ob und wie viele Freunde ich gehabt hatte, welche Musik ich gehört und welche Filme ich gemocht hatte.

Aber dann fragte er auch andere Dinge, der Übergang von einfachen Themen zu den schweren, schmerzhaften Sachen war ganz fließend und doch landete das Gespräch dann sehr bald bei meinen Beziehungen zu Mädchen und meinem verantwortungslosen Verhalten in diesen Beziehungen.

Ich spürte, dass sich alles in mir dagegen wehrte, darüber jetzt schon zu sprechen, und Dr. Niimura merkte mir das an, fragte dann andere Dinge, wollte wissen, wann ich mit der Körperkunst angefangen hatte und wie das damals für mich gewesen war.
 

„Angefangen hab ich gleich mit achtzehn“, begann ich dieses für mich so viel einfacher zu erzählende Thema. „Ich fand so was schon immer cool und wollte auch in der Richtung arbeiten, also hab ich gleichzeitig die ersten Sachen machen lassen und die Ausbildung in ‘nem kleinen Studio angefangen. Ging alles ziemlich schnell, ich war so begeistert davon, dass ich gleich mehrere Sachen kurz nacheinander hab machen lassen. Ich hab mir sogar neben der Ausbildung kleine Jobs dazu ran geholt, hab in ‘ner Szenekneipe gejobbt und Zeitschriften verteilt und was es alles gab, damit ich das alles bezahlen konnte. Irgendwie war das fast wie ne kleine Sucht, ich wollte immer mehr, also bin ich noch weiter gegangen, war in Tokyo in so ‘ner komischen privaten Schönheitsklinik und hab meine Zunge machen lassen. Die Mädchen fanden das sogar auch toll, ich war meistens mit welchen zusammen, die auf so was standen.“
 

Während ich erzählte und mich erinnerte, wie gedankenlos ich damals gewesen war, kamen auch andere, verdrängte, dunklere Erinnerungen dazu: Ich hatte mich damals schon manchmal absichtlich selbst verletzt. Hatte mir heimlich, still und ohne darüber irgendwie nachzudenken immer wieder blutige Schnitte zugefügt, meistens an meinen Beinen, wo es eh niemand sah, weil ich die damals schon nicht gern gezeigt und meist lange Hosen getragen hatte.

Irgendwann, als ich etwa zwanzig war, kam dann das Erbrechen dazu, ebenso gedankenlos und ohne dass ich den Grund dafür selbst wirklich gesehen hatte. Ich hatte mich nicht mal zu dick gefunden oder so, nur einfach entdeckt, dass ich mir auf diese Weise wehtun konnte, ohne dass Schnitte und Narben zurückblieben.

Jetzt wunderte es mich doch, dass damals niemand diese Dinge bemerkt und mich darauf angesprochen hatte, nicht mal meine Freundinnen, und auch nicht Mama. Ich wusste nicht, ob gerade Mama es bemerkt und geschwiegen hatte, oder ob es ihr entgangen war, vielleicht hatte sie auch davon gewusst, aber da sie und ich wegen ihrer Herzkrankheit so vorsichtig gewesen waren und nur selten gestritten hatten, konnte ich mir gut vorstellen, dass sie nicht gewagt hatte, mich darauf anzusprechen.
 

Dr. Niimura hakte kaum nach, als ich das erzählte, er ließ mich erst mal einfach reden und hörte nur zu. Wenn ich zwischendrin weinen musste, hielt er mir die Box mit den Taschentüchern hin, die ganz selbstverständlich auf dem Tisch stand.

Langsam begann ich, diesem Arzt zu vertrauen, zu glauben, dass er mir helfen konnte und wollte, und dass ich für ihn nicht nur eine Akte, sondern ein Mensch war. Er hatte in gewisser Weise wirklich etwas Väterliches an sich, wobei ich ihn da mehr mit Vätern aus Filmen oder Büchern verglich, da mir der Begriff eines guten Vaters in meinem eigenen Leben so fremd war. Meiner war nur noch ein gesichtsloser Schatten in meiner Erinnerung, ich hätte ihn vermutlich nicht mal erkannt, wenn er vor mir gestanden hätte.
 

Und als hätte dieser Arzt meine Gedanken gelesen, fragte er bald darauf: „Sie sind allein von Ihrer Mutter erzogen worden, nicht wahr? Haben Sie ihren Vater kennen gelernt?“

„Wenig. Er hat ja immer gearbeitet, als ich klein war, er war fast nie da. Und als Mama sich von ihm getrennt hat, war ich acht und ja immer in der Schule. Mama und ich sind ausgezogen, er hat sich nie wieder bei uns gemeldet, war einfach weg und fertig, ich hab ihn nicht mal besonders vermisst.“

„Und Ihre Mutter hat Sie ganz allein großgezogen?“

Ich nickte. „Mama war nicht gut mit ihrer eigenen Familie. Ich hatte nie Großeltern oder so ...“ Ich wusste erst nicht, warum, aber auf einmal machte mich diese Erinnerung an Mama und daran, wie sie und ich zusammen gelebt hatten, ganz entsetzlich traurig.
 

Es war nicht nur, dass ich an sie dachte und um sie trauerte, sondern auch das plötzliche Bewusstsein, wie schrecklich einsam sie gewesen sein musste. Sie hatte mir manchmal Sachen erzählt von ihrer Familie, aber immer nur ganz vage, sodass ich keine wirkliche Ahnung hatte, woher sie eigentlich selbst gekommen war.

Mit einem Mal wurde mir klar, dass Mama nicht nur unter ihrem schwachen Herzen und mir als ihrem temperamentvollen Sohn gelitten hatte, sondern ganz sicher auch unter ihrem eigenen Seelenschmerz, ihrer Einsamkeit, die sie mir jedoch niemals wirklich mitgeteilt hatte. Ich wusste nicht, warum sie nie was gesagt hatte, und das machte mich noch viel trauriger, denn nun war sie fort, tot, und ich konnte sie nicht mehr fragen.
 

Dass ich mir wieder heftig mit den Fingernägeln über die Arme kratzte und vor Weinen kaum noch atmen konnte, bemerkte ich erst so richtig, als Dr. Niimura mich mit ruhiger, aber starker Stimme ansprach, über den Tisch griff und meinen Arm berührte.

„Aoba-san, atmen Sie, ein und aus, beruhigen Sie sich.“

„Meine Mama hat … mir nie … was gesagt … ich hab’s nicht gewusst … wie allein sie war … und ich hab … nicht … drüber nachgedacht …“, brachte ich schluchzend heraus und wurde der Gefühle in mir nicht Herr, sodass ich, als der Arzt seine Hand von meinem Arm nahm, wieder begann, mich wie verrückt zu kratzen. „Ich war so ein Idiot, so ein entsetzlicher, unsensibler, gemeiner Idiot!“
 

Dr. Niimura sah mich nachdenklich an, als ich kurz aufblickte, doch irgendwie … sah ich ihn nicht richtig. Nicht nur, dass ich durch meine Tränen alles nur verschwommen sah, sondern auch, dass ich seine Sorge um mich und sein Wohlwollen für mich als seinen Patienten kaum spürte.

„Hören Sie, Aoba-san“, begann er nach einer Weile, „Sie können Ihre Vergangenheit nicht mehr ändern. Ich sehe, wie furchtbar schmerzlich das alles für Sie ist, Sie sind in Ihrem Schmerz sehr ausdrucksstark und das ist auch in Ordnung. Aber sehen Sie auch das an, was jetzt da ist in Ihrem Leben: Sie haben einen wunderbaren, liebevollen Partner an Ihrer Seite, der Sie ganz bestimmt um nichts in der Welt wieder hergeben würde. Und Sie sind gut zu ihm, so gut wie Sie können, Sie machen nicht mehr dieselben Fehler wie früher.“

Ich versuchte alles in mir, damit diese Worte mich erreichten, doch es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder halbwegs gefangen hatte und auch wieder klarer sah.
 

„Ich möchte Sie in diesem Zustand ungern gleich so nach Hause schicken“, sagte er. „Ist Ihr Partner jetzt da, oder werden Sie zu Hause allein sein?“

Ich sah kurz auf die Uhr, die an der Wand hing. Es war noch früh, erst halb vier, und Metos Schicht ging bis sechs.

„Er arbeitet noch“, antwortete ich.

Dr. Niimura schien einen Moment lang nachzudenken, dann fragte er: „Gibt es hier in der Stadt jemanden, zu dem Sie gehen können, bis Ihr Freund seinen Feierabend hat? Ich möchte, dass Sie etwas Schönes tun, lenken Sie sich ab. Auch wenn Ihr Kopf jetzt in Schwärze und Traurigkeit versinken will, lassen Sie das nicht zu!“

Mir fiel so direkt niemand ein, zu dem ich jetzt gehen konnte. Koichi arbeitete ja ebenfalls, und Hitomi ging es ja nicht gut. Aber dann fiel mir Haruna ein, und die anderen Leute im Park. Noch vor ein paar Wochen hatte ich nicht mehr vorgehabt, den Akutagawa-Park wieder zu betreten, doch jetzt fühlte ich mich danach.

„Ich kann in meine Heimatstadt rüber fahren, da hab ich noch Freunde“, sagte ich.

„Tun Sie das. Gehen Sie unter Menschen, die Sie mögen.“ Dr. Niimura lächelte.
 

Der Rest des Gespräches war wieder harmloser, der Arzt fragte mich nur noch ein wenig danach, wer Haruna und Hanako waren und wie ich mich mit ihnen verstand und so weiter.

Als ich ging und die Klinik mit einem neuen Termin in der Tasche wieder verließ, fühlte ich mich eigenartig, meine Augen waren trocken nach den vielen Tränen und mein Herz stach ein wenig. Ich setzte mich kurz in die Raucherecke und rauchte eine Zigarette, was mich schon ein bisschen wieder auf die Beine brachte.

Danach lief ich in Richtung Bahnhof, um den Zug rüber in die andere Stadt zu nehmen. Während ich auf den Zug wartete, sah ich mich in der spiegelnden Glasscheibe des Wartebereichs und war doch ein wenig erschrocken, wie müde ich aussah.

Der Tag heute hatte so wunderbar begonnen, doch es kam mir so vor, als sei das Stechen meines neuen Tattoos schon Tage her, einzig mein Verstand und die Folie auf meiner Haut sagten mir, dass es noch keine zwölf Stunden alt war.

Ich holte mein Handy aus der Tasche, steckte mir die Ohrhörer in die Ohren und machte mir Musik an, irgendwas mit viel Schreien und harten Riffs, um die Leere, die sich nach dem Weinen jetzt in mir ausbreitete, zu ersticken.
 

Im Zug, der wenig später eintraf, suchte ich mir darin einen einsamen Sitzplatz, ich wollte keine fremden Menschen sehen, brauchte Ruhe. Es machte mich traurig, dass das Hochgefühl, welches ich heute beim Stechen empfunden hatte, jetzt wieder so verschwunden war, und in meinem Herzen brannte noch die schmerzliche Erinnerung an Mama.

Die Dunkelheit lockte mich, flüsterte nach mir, verführte mich dazu, dass ich mir schmerzhaft in den Arm kniff, und meine Tränen liefen einfach, stumm und unaufhaltsam, während die harte, melancholische Musik, die ich immer noch laufen hatte, anstelle meiner selbst meine Gefühle herausschrie.

Als ich dann den Bahnhof meiner Heimatstadt betrat, musste ich an den Friedhof denken, an Mamas Grab, doch im letzten Moment kamen mir Dr. Niimuras Worte in den Sinn, dass ich mich ablenken und auf keinen Fall in die Schwärze versenken sollte.

Und so schlug ich nicht den Weg in die Altstadt ein, sondern ging in Richtung Fluss, immer weiter, bis zu der Fußgängerbrücke am Park, die eineinhalb Jahre lang mein Zuhause gewesen war.
 

Es war alles wie immer, nichts hatte sich verändert. Haruna saß mit Hanako an der Feuerstelle, die zu dieser Tageszeit noch kalt war, überall erkannte ich vertraute Gesichter, der Kern der kleinen Punkgemeinde war vollständig anwesend. Ich ging zur Feuerstelle, fühlte mich auf einmal wieder heimisch, nahm mir ein Bier und setzte mich zu den Mädchen.

„Hey, Tsuzuku“, begrüßte Haruna mich und schien sich sehr zu freuen, mich zu sehen. „Bist du doch mal wieder hier?“ Sie reichte mir einen Flaschenöffner und ich machte mein Bier auf.

„Ja … Meto ist noch auf Arbeit, ich war beim Psychiater, war ziemlich hart und da meinte der, ich soll jetzt nicht alleine sein. Also dachte ich, ich komm mal zu euch.“

Hanako, die mir meinen Wutausbruch im Baumarkt vor Wochen hoffentlich verziehen hatte, lächelte und sagte: „Find ich aber gut, dass du zum Arzt gegangen bist.“

Ich verschwieg, dass sich Dr. Niimura mir im Krankenhaus förmlich angeboten hatte und dass das auf dem Mist einer überengagierten Notärztin gewachsen war, weil ich selber nicht den Mut gehabt hatte, mir selbstständig Hilfe zu suchen.
 

Stattdessen ließ ich den Ex-Obdachlosen raushängen, genoss mein Bier und zog Haruna und Hanako mit ihrem Turteltäubchen-Verhalten auf.

„Als ob du in dem Punkt mit Meto auch nur ein klein wenig anders wärst …“, konterte Haruna. „Du knutschst ihn doch auch jedes Mal fast zu Boden.“

„Ihr wisst doch, wie ich das meine …“, sagte ich.

„Ja, wissen wir. Du bist ein immer noch rettungslos in einen anderen Mann verschossener Gockel, der gerne andere Leute mit deren Sexleben aufzieht.“ Haruna lachte. Ich mochte die Art, wie sie meinem Humor gewachsen war, mir lachend Konter gab und mit meinen Merkwürdigkeiten so locker umging. Sie wusste, wann ich Spaß machte und wo es ernst wurde, und daran hielt sie sich.
 

Ich blieb bis halb sechs im Park, war noch dabei, wie das Feuer angemacht wurde und einige Leute anfingen, rohe Teigstücke darin zu Stockbrot zu backen. Doch ich hatte wieder mal überhaupt keinen Hunger und so ging ich, erwischte auch noch den Zug nach Hause.

Die Rückfahrt in meine neue Heimat fühlte sich besser an, mir ging es wieder gut und ich war gespannt darauf, wie Meto mein neues Tattoo finden würde, auch wenn es ja noch nicht fertig war. Auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause rauchte ich trotzdem ganze zwei Zigaretten, aber mehr aus Langeweile und Sucht, als weil ich angespannt gewesen wäre.
 

Als ich die Treppen rauf lief, spürte ich richtig, wie meine Stimmung plötzlich fast schon euphorisch wurde, nur weil ich nach diesem mir unglaublich lang erscheinenden Tag gleich meinen Liebsten wieder sehen würde, und als ich die Wohnungstür aufschloss, kam mir der verführerische Geruch von Nudeln und Currysauce entgegen.

„Ich bin wieder da“, sagte ich und zog Schuhe und Jacke aus.

Meto kam aus der Küche, er trug seine blaue Küchenschürze und hatte den Kochlöffel in der Hand, was irgendwie unheimlich süß aussah.

„Willkommen zurück, Baby.“ Er umarmte und küsste mich, dann fragte er: „Hast du Hunger?“

Ich lächelte. „Wenn du kochst, immer.“

Und ich hatte jetzt wirklich Hunger, hatte ich doch wieder einmal seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Das machte sich auch Sekunden später bemerkbar, als mein Magen, vom Geruch des Essens aufgeweckt, zu knurren begann.
 

„Ist fast fertig, setz dich schon mal hin“, sagte Meto und wandte sich wieder dem Herd zu.

Er hatte den Tisch gedeckt, sogar eine Kerze angemacht, und ich setzte mich auf meinen Platz, wartete mit weiter zunehmendem Hunger auf das Essen.

Kurz darauf nahm Meto den Topf vom Herd, stellte ihn auf den Tisch und das Sieb mit den Nudeln dazu, und ich stürzte mich geradezu darauf, nahm mir ausgiebig von beidem und begann zu essen wie einer, der gerade irgendwoher kam, wo es lange nichts zu essen gegeben hatte.

Und wie immer, wenn ich so zu schlingen anfing, unterbrach Meto mich, hielt meine Hand fest, sah mich ernst an und sagte: „Iss nicht zu schnell, sonst wird dir wieder schlecht. Du hast wieder den ganzen Tag über nichts gehabt, oder?“

Ich schüttelte den Kopf, versuchte aber, jetzt etwas langsamer zu essen.
 

„Wie war das Stechen?“, fragte mein Liebster und ich spürte seinen Blick auf dem neuen Tattoo.

„Richtig gut. Ich hab‘s von Koji machen lassen, also Takashima, und morgen oder die Tage macht er den Rest fertig, das wird dann noch mal gut, glaube ich.“

„Und wie geht’s mit der Bezahlung?“

„Kurata hat ernsthaft gesagt, das geht so. Keine Ahnung, der ist eh ein bisschen seltsam.“

„Ansonsten zahl ich das, das weißt du, oder?“

„Will ich aber nicht. Das ist mein Tattoo, das zahl ich, wenn schon, selber.“
 

Nach dem Essen setzten wir uns zusammen ganz altes-Ehepaar-like vor den Fernseher, ich zog die Knie hoch und kuschelte mich an Metos Seite, er legte seinen Arm um meine Schultern und wir sahen irgendeinen Film an, der aber schon ungefähr mittendrin war.

„Tsu?“, fragte Meto irgendwann, als der Film fast durch war, „Du warst doch heute auch wieder bei Dr. Niimura, oder?“

Ich war schon halb eingeschlafen, so satt zu sein vom Essen machte mich müde, und ich musste mich erst wieder ein bisschen erinnern. „Ja, war ich.“

„Und, war ok?“

Ich nickte. „Na ja, ich hab mir ziemlich die Augen ausgeheult … Aber danach war ich bei Haruna und Hanako und so, da ging‘s mir dann wieder gut.“

„Du warst wieder im Park?“ Meto sah mich an und schien sich darüber zu freuen, dass ich dort gewesen war.

„Ja … Dr. Niimura hat drauf bestanden, dass ich zu Leuten hingehe, wenn du noch auf Arbeit bist. Er wollte es nicht verantworten, mich so, wie ich da drauf war, alleine zu Hause zu wissen.“

„Guter Arzt“, sagte Meto und lächelte.
 

Der Film lief weiter, war aber dann bald zu Ende und als der Abspann über den Bildschirm lief, fragte ich meinen Liebsten: „Und dein Tag, wie war der?“

„Ganz in Ordnung. Es gab viel zu tun, aber ist ja immer so. Der Laden ist ziemlich beliebt.“

„Dafür, dass ihr nur Omelett und Kuchen verkauft, ja“, sagte ich und grinste. „Diese Mädchen sind schon komisch, oder? Da trägst du als Mann ein niedliches Kleid, gibst zu, dass du auf Männer stehst, und schon lieben sie dich irgendwie …“

„Mhm … bisschen seltsam ist das schon“, sagte Meto nachdenklich. „Letztens, als du mich auf Arbeit besucht hast, da war es fast ein bisschen unheimlich, wie diese Mädchen dann ankamen und Fragen gestellt haben …“ Er schwieg einen Moment und fügte dann lächelnd hinzu: „Aber es ist immerhin besser, als wenn sie einen ablehnen, nur weil man halt einen anderen Mann liebt.“

„Ich fänd‘s schön, wenn es einfach mal normal wäre, so fast egal, weißt du?“, sagte ich. „Wenn es niemanden interessieren würde, ob jemand nun Männer oder Frauen mag, sondern die sich einfach nur freuen, dass man überhaupt eine schöne Beziehung hat und glücklich ist.“

Meto umarmte mich ein wenig fester, küsste mich und lehnte seinen Kopf an meine Schulter.

„Ja, das wäre sowieso das Schönste“, sprach er.
 

Meto stellte den Fernseher aus, stand auf und hielt mir seine Hand hin, die ich ergriff, mich von ihm hochziehen ließ und ihm dann ins Schlafzimmer folgte.

Er sah mich liebevoll an, dann schien ihm etwas einzufallen: „Setz dich hin und zieh dein Hemd und die Jeans aus. Die Shorts lässt du aber an.“

„Warum?“, fragte ich, tat aber, was er sagte, legte Hemd und Hose ab, behielt die Unterhose an und setzte mich auf die Bettkante.

„Ich hab was Schönes für dich.“ Er lächelte, ließ meine Hand los und ging zurück auf den Flur, wo ich ihn in seiner Umhängetasche herumkramen hörte. Kurz darauf kam er mit einer hübschen Flasche aus mattem Glas zurück, wie man sie bei den kosmetischen Ölen in der Drogerie kaufen kann. Wieder lächelte er mich an, drückte mir die rund geformte, mit blauen Satinbändern geschmückte Flasche, deren Inhalt blassgelb durchschimmerte, in die Hand und verschwand im Bad, kam mit meinem Duschhandtuch zurück und breitete es auf unserem Bett aus.
 

„Leg dich darauf, auf den Bauch.“

„Sagst du mir mal, was du vorhast?“

Meto kam auf mich zu, streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen ganz sanft über meine Brust, dann sagte er: „Verwöhnen ohne Sex, mein Schatz. Du kriegst jetzt ‘ne schöne Massage.“

Ich lächelte, griff seine Hand, zog ihn zu mir und küsste ihn. Dann legte ich mich bäuchlings auf das Handtuch auf dem Bett, bettete meinen Kopf auf meine Arme und spürte gleich darauf, wie Meto zu mir kam und sich einfach rittlings auf meinen Hintern setzte, fühlte seine Hände sogleich auf meinem Rücken, wie sie sanft und fest zugleich über meine Haut strichen.
 

Ein kühler Tropfen von dem Massageöl, noch einer und noch einer, und Metos lieben, sanften Hände, die das süß nach Honig duftende Öl auf meiner Haut verrieben und wärmten. Ich seufzte wohlig, schloss die Augen und genoss, während mein Liebster sich langsam von unten nach weiter oben vorarbeitete, mich abwechselnd zärtlich streichelte und fest massierte.

Und nach und nach fiel die Anspannung des Tages ein wenig von mir ab, ich wurde innerlich ruhig und äußerlich sorgten Metos Hände überraschend gekonnt dafür, dass meine Muskeln etwas lockerer wurden und sich mein Körper und meine Seele langsam entspannten. Er hatte keine besondere Technik oder dergleichen, sondern berührte mich einfach nur, variierte nur den Druck seiner Hände und massierte das duftende Öl zärtlich in meine Haut.
 

„Du bist schon ziemlich verspannt“, sagte er leise, als seine Hände in meinem Nacken ankamen und dabei vorsichtig um die Schutzfolie des Tattoos herumstrichen. „Hier oben ist alles richtig hart.“

„Heute Morgen beim Stechen war ich da ganz locker.“

„So was geht auch schnell. Kann sein, dass das heute Morgen ganz entspannt war und jetzt wieder fest ist.“ Meto drückte vorsichtig, aber mit sanftem Druck mit dem Handballen auf eine Stelle hinter meiner Schulter und ich keuchte überrascht, es tat weh, ich spürte richtig, wie angespannt und verkrampft ich an dieser Stelle war.

„An der Stelle spannst du immer sehr an, wenn du weinst“, sagte er leise. „Ich spür das schon immer, wenn ich dich dann umarme.“

Er streichelte mit den Fingern darüber, ich seufzte leise, und er hörte ganz einfach nicht auf, mich zu berühren. Mit derselben unnachgiebig liebenden Art, mit der er auch meiner Traurigkeit und Wut und meinem Selbsthass begegnete, massierte er die verspannte Stelle, so lange, bis ich dort endlich wieder locker wurde.
 

Eigenartigerweise wurde ich, trotz der zärtlichen Berührungen, in diesem Moment kaum geil, mein Glied regte sich nicht, ich fühlte nur ein leichtes Herzklopfen und eine süße Wärme in mir. Ich genoss die Massage sehr, fühlte mich geliebt und sicher, aber mir war nicht nach Sex zumute, ich hatte schlicht keine Lust, wollte mich auch mal ohne so etwas entspannt und glücklich fühlen.

Und so blieb ich ruhig liegen, während Meto sich die Taschentücher nahm und meinen Rücken wieder von dem Öl reinigte. Danach legte er sich neben mich, halb über mich gebeugt, und bedachte meinen Nacken mit vielen kleinen Küsschen, während seine Hand entlang meiner Wirbelsäule auf und ab strich, sodass ich leicht erschauerte und leise seufzte.
 

Schließlich stand Meto auf, zog sich bis auf die Unterwäsche aus, nahm Ruana in die Hand und ich wandte mich ihm ganz zu. Er legte sich zu mir und ich nahm ihn und Ruana in meine Arme, drückte meine beiden Liebsten an mich und küsste erst meinen Bald-Ehemann, dann unser Teddy-Baby, hatte wieder dieses schöne Familiengefühl in mir.

„Ich liebe dich, Tsuzuku“, flüsterte Meto in mein Ohr und ließ Ruana mir ein Küsschen geben. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist.“ Er schmiegte sich in meine Umarmung, lächelte, und in diesem Moment wusste ich ganz klar, er war wegen mir so glücklich, weil er mich liebte.

„Ich lieb dich auch.“

Ich lag immer noch auf dem Handtuch, das Meto für die Massage auf dem Bett ausgebreitet hatte, aber das störte weder mich, noch ihn, wir ließen es einfach so, und bald schon war ich fest eingeschlafen.
 

Als ich aufwachte, lag ich allein. Es war schon hell, und ich hörte Meto in der Küche reden, er telefonierte mit jemandem, sprach gerade von „… ich muss schauen, wie früh ich heute Nachmittag von der Arbeit weg kann, dann kann ich da sein …“ und ich brauchte einen Moment, bis ich soweit wach und klar war, dass ich erkannte, dass er mit seiner Mutter telefonierte.

„Was ist los?“, rief ich, ohne aufzustehen, quer durch die Wohnung.

Meto kam ins Schlafzimmer, hatte das Handy noch am Ohr. „Mama, sag mal, Tsuzuku kann auch mitkommen, oder?“

Minami antwortete irgendwas, was ich nicht hören konnte, und Meto lächelte. „Okay, Mam, dann sind wir heute Abend da. Ich freu mich.“

„Wo?“, fragte ich dazwischen, weil ich immer noch keine Ahnung hatte, worum es genau ging.

Meto verabschiedete sich noch von seiner Mama, dann legte er auf und kam zu mir ans Bett.

„Was ist heute Abend?“, fragte ich.

„Meine Großeltern aus Kyushu sind gerade zu Besuch bei meinen Eltern im Haus. Und heute Abend ist ‘ne kleine Feier mit noch ein paar anderen Verwandten, die würden mich auch gerne mal wieder sehen“, antwortete Meto. „Ich hab Mama gefragt, du kannst auch dabei sein.“
 

Zuerst freute ich mich. Dass Minami mich sozusagen auch mit eingeladen hatte, so als festen Freund ihres Sohnes und Fast-Familienmitglied, zuerst fühlte sich das gut an.

Doch als ich dann unter der Dusche stand und ins Denken kam, während Meto in der Küche unser Frühstück aufdeckte, kamen mir andere Gedanken:

Passte ich denn auf so eine Feier? Metos Eltern waren so reich, gehörten als Anwälte zu den einflussreicheren Personen ihrer Stadt, und ich kannte ja das Haus, in dem Meto aufgewachsen war, diese riesige, feine Villa. Ich wusste auch, dass seine Großeltern ebenso wohlhabend waren, genau wie der Rest der Familie, und konnte mir vorstellen, wie so eine Feier aussehen würde. In Gedanken sah ich Tische mit edlen Speisen im Garten der Villa stehen, teuren Sekt und Champagner, Menschen in eleganten, unglaublich teuren Kleidern, die Gespräche über Geld und Luxus führten.

Eine Welt, in der ich mich als Sohn einer armen, herzkranken Frau, die Zeit ihres Lebens als einfache Angestellte gearbeitet und mich größtenteils allein großgezogen hatte, ganz sicher fehl am Platze und verloren fühlen würde.

Ich sah mich in Gedanken dort zwischen den reichen, eleganten Menschen stehen, sah, wie ich mit den Tränen kämpfte, mich einsam und ausgeschlossen fühlte, und wusste, ich würde mich komplett blamieren und Meto gleich mit, wenn herauskam, dass er sich mit mir einen armen, psychisch instabilen, sogar ehemals obdachlosen Versager geangelt hatte, der so gar nicht zu seiner edlen Familie passte.
 

Als Meto ins Bad kam, fand er mich in der Dusche auf dem Boden sitzend, ich weinte, zitterte am ganzen Körper. Er riss die Kabinentür auf, packte meine Hand und zog mich hoch, scannte mich von oben bis unten ab, und erst dann wurde mir klar, dass er dachte, ich hätte mich verletzt. Doch der rote Fleck auf dem Boden der Duschkabine war nicht mein Blut, es war nur das mit rotem Farbstoff eingefärbte, neue Duschgel, das mir zuvor versehentlich daneben getropft war.

Meto riss ein Handtuch aus dem Regal, legte es um meinen Körper, umarmte und hielt mich, während ich weiter weinte, jetzt allerdings weniger wegen meinen Minderwertigkeitskomplexen, als vielmehr wegen dem Schreck, den ich meinem Liebsten unabsichtlich eingejagt hatte.

„Tsuzuku … Mensch, mach mir nicht solche Angst …“, sagte Meto leise.

„War doch nur das Duschgel …“

„Ich dachte, das wär dein Blut! Ich dachte, du hast dir was getan …“ Er ging mit mir die zwei Schritte zur Toilette, wo ich mich auf den Deckel setzte, dann ließ er mich los, nahm die Flasche mit dem roten Duschgel aus der Kabine, legte sie ins Waschbecken. „Das kommt weg, noch so nen Schreck vertrage ich nicht.“
 

Meto gab mir ein Handtuch für meine nassen Haare, dann fragte er: „Was ist denn gerade passiert? Hat dir irgendwas wehgetan in dir drin?“

„Ich …“, begann ich, zitterte noch, „Ich weiß nicht … ob ich da heute Abend mitkommen will …“

„Wieso denn? Hast du Angst?“ Er hockte sich vor mich hin, sah mich an.

Ich nickte.

„Wovor denn? Du kennst meine Eltern, du kennst das Haus … Es wird keine große Party oder so, nur eine kleine Familienfeier mit meinen Großeltern und den Geschwistern von meiner Mam. Vielleicht sind noch meine Cousinen dabei, vielleicht aber auch nicht.“

Ich traute mich nicht, ihm zu sagen, dass ich mich seiner Familie und ihrem Reichtum gegenüber minderwertig und unwohl fühlte, denn ich befürchtete, ihn damit zu verletzen. Und so zuckte ich nur mit den Schultern und sagte: „… Ich mag einfach nicht …“

Meto sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann sagte er: „Ist ja erst heute Abend. Wir schauen einfach, wie es dir den Tag über geht und dann entscheiden wir das heute Nachmittag so, wie es dann ist, okay?“

Ich nickte nur.
 

Beim Frühstück verloren wir beide kaum ein Wort mehr zu dem Thema, ich aß auch wieder nicht wirklich etwas, stand nur fertig angezogen am offenen Küchenfenster und rauchte, während Meto normal aß und wir nur ein wenig über seine und meine Arbeit sprachen.

Wir gingen wie immer zusammen los, trennten uns erst an der Bahnstation, wo er zum Café fuhr und ich zum Studio. Und die ganze Zeit über fühlte ich mich seltsam stumpf und leer, so als wollte etwas in mir nichts fühlen, weil ihm alles zu viel wurde.
 

Mein Vormittag verlief unbedeutend und gleichgültig. Koji fragte mich zwar, ob ich mit ihm an meinem Tattoo weiter machen wollte, doch das verneinte ich, mir war nicht danach. Ich wollte heute nur funktionieren, arbeiten, nur Dinge tun, die so wenig Folgen wie möglich hatten. Und so verbrachte ich den Tag mit Zeichnen und Probestechen, später, nach der Mittagspause, setzte mir Kurata noch einen großen Sortierkasten voller verschiedener Piercing-Teile vor die Nase und ich tat bis zum Feierabend nichts anderes, als die kleinen Teile zu zählen und einzutragen. Und obwohl diese einfache, monotone Arbeit genau das zu sein schien, was ich gerade brauchte, stieg in mir die Anspannung, sodass ich, als ich den Kasten zurück stellte und dabei mein Blick auf die Kiste mit den Cutting-Klingen fiel, diese unheilvolle Anziehung zu diesen Klingen verspürte.
 

‚Nein!‘, sagte ich mir in Gedanken, „Nein, nein, nein!‘

‚Komm, Tsuzuku, ein kleiner Schnitt, ein paar Blutstropfen, mehr brauchst du doch gar nicht … Du willst den Schmerz, du magst ihn, es wird sich gut anfühlen …‘, flüsterte es in mir.

Meine Hände zitterten und fast wäre mir der schwere Kasten mit den tausenden kleinen Teilen runter gefallen, ich hielt ihn nur geradeso fest.

„Nein!“, flüsterte ich, „Nein, ich will das nicht. Meto wird wieder Angst um mich haben und das will ich nicht, er hat sich schon heute Morgen so erschrocken …“
 

„Gen… Tsuzuku?“, hörte ich in dem Moment Kojis Stimme hinter mir. „Alles okay?“

Ich schaffte es nicht rechtzeitig, meine Fassade aufzusetzen, sah ihn so an, wie ich gerade war, und anscheinend war ihm mein Gesichtsausdruck Antwort genug.

Koji nahm mir den schweren Kasten aus der Hand, stellte ihn ins Regal, sah dabei, wie mein Blick an dem anderen Kasten mit den Klingen klebte.

„Die sollten hier wirklich nicht so herumstehen“, sagte er und nahm die Kiste weg, ging damit in Richtung von Kuratas Büro, wo sich auch unser Safe befand. Ich folgte ihm und er fragte mich, ob ich den Zahlencode des Safes kannte.

„Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß.

„Gut. Wir tun die jetzt da rein, dann bist du sicherer.“
 

Kurata war im Büro und als er sah, was Koji in der Hand hatte, fragte er: „Was sollen die im Safe?“

Koji sah mich kurz an, ich schüttelte den Kopf. Kurata sollte einfach wirklich nicht wissen, dass die Klingen wegen mir und meiner Krankheit in den Safe sollten.

„Kurata-san, ganz ehrlich: Wir können einen Kasten mit solchen Klingen nicht einfach offen im Regal stehen haben. Die gehören in den Safe, und fertig“, sagte Koji und klang dabei so ernst, dass Kurata den wenig ehrerbietigen Tonfall ignorierte und einfach nur nickte.

„Okay, dann macht halt“, sagte er.
 

Koji schloss den Kasten im Safe ein, dann gingen wir in den vorderen Raum zurück.

„Kurata ist so fahrlässig manchmal“, murmelte er, als er sich wieder an seinen Tisch setzte. „Vielleicht sollte er wissen, dass du krank bist?“

„Nein!“, widersprach ich sofort. „Ich will das nicht, okay?!“

„Warum nicht?“

„Weil er mich dann doch ganz sicher rausschmeißen muss!“ Ich flüsterte zwar, klang aber dennoch recht heftig. „Weißt du, was die meisten Leute denken, wenn man ihnen sagt ‚Hey, ich hab Borderline‘?!“ Die Anspannung, die immer noch in mir war, weil ich sie nicht hatte abbauen können, brach durch und ließ mich laut werden: „Guck dir Krimis und so was an, dann siehst du, was die Welt von so einem wie mir denkt!“

Koji merkte, dass ich kurz vor einer emotionalen Explosion stand, er erhob sich, kam zu mir rüber und sagte leise: „Ist gut, du musst es ihm nicht sagen, und ich tu’s auch nicht, okay?“
 

Ich stand auf, spürte, dass ich zitterte, lief aus dem Raum und verschwand türenknallend in den Toilettenräumen, schloss mich in die erste Kabine ein und sank vor der Schale zu Boden. Doch im letzten Moment, bevor ich mir den Finger in den Hals stecken konnte, musste ich an Meto denken, an den Schreck heute Morgen, als er mich weinend in der Dusche gefunden und gedacht hatte, dass ich mich verletzt hatte.

Und da konnte ich es nicht mehr, ließ meine Hand sinken und weinte einfach, eine ganze Weile, bis ich Kojis Stimme von draußen hörte: „Hey, was immer du gerade vorhast, lass es bitte.“

Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Jetzt zog ich Koji da auch schon mit rein, er machte sich Sorgen um mich, statt sich seiner Arbeit widmen zu können. Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen, stand auf, schloss die Kabinentür wieder auf und sagte nur: „Hab nichts gemacht.“

Koji lächelte. „Das ist gut.“
 

Ich hatte tatsächlich noch die Kraft, mich noch mal an meinen Tisch zu setzen und mit einer Zeichnung weiter zu machen, und bis zum Feierabend um sechs war dann auch alles soweit okay. In der Bahn hörte ich Musik, versuchte, an nichts zu denken, doch als ich von der Bahn nach Hause lief, kam ich wieder ins Denken, denn ich wusste immer noch nicht, ob ich jetzt mitkommen wollte zu der Feier bei Metos Eltern, oder ob ich lieber zu Hause blieb.
 

Meto war schon da, als ich unsere Wohnung betrat, er stand im Schlafzimmer vor dem Schrank und zog sich gerade eine schlicht schwarze Hose und ein weißes Hemd mit leichten Rüschen an, das nur dezent darauf hinwies, in welchem Stil er sich sonst gern kleidete. Er war nur ganz leicht geschminkt, hatte die Haare glatt gekämmt und sah zwar sehr hübsch, aber seltsam fremd aus, angepasst an die Welt seiner Familie, in die er in meinen Augen gar nicht so recht hineinpasste.

„Hey, mein Schatz“, sagte er, als er mich sah, ich ging zu ihm und er küsste mich kurz. „Wir sind ein bisschen spät dran, ziehst du dich eben um?“

Ich sah ihn an, das weiße Hemd, die schwarze Anzughose, die eleganten Schuhe, und eine halbe Sekunde lang dachte ich, ich könnte meinen dunklen Samtanzug anziehen und die roten Schuhe.

Aber die Vorstellung von mir auf dieser Feier, umgeben von reichen, erfolgreichen Menschen, die mich wahrscheinlich für mein Äußeres verurteilen würden und erst recht dafür, dass ich krank war und aus armen Verhältnissen kam, machte diesen Gedanken augenblicklich zunichte.
 

„Ich komme nicht mit“, sagte ich.

„Fühlst du dich nicht gut?“, fragte Meto, sah mich besorgt an.

Ich nickte nur.

Er hob die Hand und streichelte meine Wange. „Ach Tsu … Meine Mama wollte dich gerne mal wieder sehen, weißt du?“

„Ich mag heute aber nicht.“

„Hm … und was machen wir jetzt? Ich will meine Großeltern gerne mal wieder treffen, ich hab die seit Jahren nicht gesehen. Es werden auch nicht viele andere da sein, nur eine Tante noch, die Schwester von meiner Mama.“

„Geh halt“, sagte ich nur. „Ich komm nur nicht mit.“

Meto sah mich einen Moment lang an, dann fragte er: „Kann es sein, dass du Angst hast?“

Wieder nickte ich nur. Ich wollte keinen Streit anfangen, wo Meto doch seine Familie gern sehen wollte, er musste da hin, aber ich fühlte mich so sehr nicht danach, mitzugehen. Und so sagte ich nicht, was ich in diesem Moment dachte, sagte nichts von meinem Gefühl von Minderwertigkeit.

„Okay, wenn du echt nicht willst, dann geh ich allein. Ich weiß leider nicht, wie lange das Ganze dauern wird, aber ich bleib nicht länger, als sein muss.“
 

Und so blieb ich zu Hause, während Meto sich auf den Weg in unsere Heimatstadt machte, um seine Familie wieder zu sehen. Zum Abschied küsste er mich liebevoll, doch als er die Tür hinter sich schloss, überfiel mich sofort diese furchtbare Einsamkeit.

Um mich weniger allein zu fühlen, machte ich im Wohnzimmer Musik an, hörte ein Album nach dem anderen durch, während ich mit angezogenen Knien auf dem Sofa saß und mich mit meinem Handy beschäftigte.

Doch schnell wurde mir das irgendwie langweilig, ein Gefühl von Leere breitete sich in mir aus, ich legte mich lang aufs Sofa und das Handy auf den Tisch davor, starrte hoch an die Decke, bis ich mich komplett leer und geradezu leblos fühlte.
 

Warum war ich nicht mitgegangen auf diese verfluchte Feier? Warum, verdammt nochmal, hatte ich mich nicht getraut, endlich Metos weitere Familie kennen zu lernen?! Wieso lag ich jetzt alleine hier herum und fühlte mich so wahnsinnig leer und tot?

Ich hasste mich für meine Angst vor fremden Menschen, für meine Panik vor ihrem abfälligen Urteil über mich, denn diese Angst brachte mich immer wieder dazu, Dinge zu tun, die dem Wertvollsten in meinem Leben, meiner Beziehung zu Meto, schadeten.
 

Ich hatte die Musik, die ich zuvor noch gehört hatte, längst ausgemacht, weil ich mich nach Ruhe gesehnt hatte, doch die Stille, die unweigerlich auf das Ausschalten der Musik folgte, ertrug ich ebenso wenig. Stille war Leere, und Leere bedeutete Schmerz.

Langsam erhob ich mich vom Sofa, wo ich gelegen hatte, wollte erst die Anlage wieder einschalten, mir ging ‚Glass Skin‘ von Dir en grey durch den Kopf, kurz verspürte ich Lust, dieses Lied jetzt zu hören. Doch als ich nach der CD ‚Uroboros‘ greifen wollte, die besagtes Lied enthielt, entschied ich mich um, ging rüber ins Schlafzimmer und ließ mich dort aufs Bett fallen. Wieder blieb ich eine ganze Weile liegen, bewegungslos in der Stille, verlor für eine Weile das Zeitgefühl.
 

Bis mich, ganz plötzlich, eine wilde, unbeherrschte Sehnsucht packte. Sehnsucht nach Meto, meinem Ein und Alles, meinem Lebenssinn. Ich sehnte mich so wahnsinnig danach, in seinen Armen zu liegen, dass ich meine eigenen Arme um meinen Körper schlang und mir vorstellte, es wären die seinen.

Würde er morgen wieder bei mir sein? Mich umarmen und küssen und die entsetzliche Leere und Sinnlosigkeit, die ich verspürte, wenn er nicht bei mir war, wieder vertreiben?
 

Oder … würde irgendwas passiert sein, vielleicht ein Streit oder ähnliches, das ihn dazu brachte, mich als den kranken Borderliner zu sehen, der ich war, und mich infolge dessen … verlassen?

Augenblicklich sprangen mir heiße, verzweifelte Tränen in die Augen und mein Herz begann, entsetzlich zu schmerzen.

„Verlassen …“, flüsterte die Stimme in meinem Kopf. „Er wird dich verlassen. Irgendwann hält er dich nicht mehr aus …“

Ich dachte an die Situation beim Kirschblütenfest, die jetzt, nachdem ich mich ja erst nicht hatte erinnern können, umso stärker in mein Bewusstsein gebrannt war: Meto war wütend auf mich gewesen und davongelaufen, weil ich ihn und unsere Beziehung in meiner feigen Angst vor Ablehnung verleugnet hatte.

Es tat so weh, dass ich aufkeuchte, mein Herz krampfte und in meinem Kopf zog sich alles auf einen Punkt zusammen: ‚Wenn er mich verlässt, dann sterbe ich‘
 

Ich drehte mich auf die andere Seite, mehr um den Schmerz irgendwie ein wenig zu lindern, und da sah ich Metos mit kleinen Kätzchen bedrucktes Schlafanzugoberteil im Schrank liegen. Es hing unordentlich aus einer offenen Schublade heraus und ich wusste, er hatte es letzte Nacht noch getragen, es war nicht gewaschen. Mir blitzte ein Gedanke durchs Hirn: ‚Das Teil riecht also noch nach ihm‘

In einem verzweifelten Aufwallen von Selbsterhaltungstrieb erhob ich mich, ging zum Schrank und zerrte mir auf dem Weg dorthin Shirt und Jeans vom Leib. Ich nahm Metos Schlafhemd aus der Schublade, hob es an mein Gesicht und schnupperte daran. Tatsächlich, diese Mischung aus seinem Lieblingsparfüm und dem ihm ganz eigenen Körpergeruch war noch deutlich wahrnehmbar.
 

Mit Tränen in den Augen vergrub ich mein Gesicht in dem seidigen, bunten Stoff und sog Metos Geruch ein, atmete ihn wie lebensnotwendigen Sauerstoff gierig in meine Nase und spürte meine wahnsinnige Sehnsucht nach ihm, merkte erst einen Moment später, dass ich binnen Sekunden heftig zu weinen angefangen hatte.

Die zu dem Oberteil gehörende Hose lag auch hier herum, und ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich sie schon angezogen und hüllte nun meinen vom Weinen zitternden Oberkörper in das Hemd. Ging zum Bett hinüber, kroch unter die Decke und hielt mir liegend den Ärmel des Hemdes an die Nase, atmete weiter Metos Geruch, bis es sich beinahe so anfühlte, als sei er bei mir.
 

Mein Körper schwankte zwischen Weinen und Erregung, zwischen Angst und Lust, ich fühlte Schmerz im Herzen und aufkeimende Hitze in meinen Lenden.

Und als ich das Gefühl hatte, der wunderbare Geruch meines Liebsten wurde schwächer in seinem Schlafhemd an meinem Körper, da kroch ich auf seine Betthälfte hinüber und vergrub meine Nase in seinem ebenfalls nach ihm riechenden Kopfkissen, während meine Hand über die Matratze tastete, dort, wo sein Körper Nacht für Nacht eine kleine Kuhle hinterließ.
 

Längst war ich hart, doch ich kümmerte mich nicht darum. Ich wollte mir jetzt keinen runterholen, hatte Angst, dass ich mich danach noch einsamer fühlen würde. Doch das rächte sich, denn als ich wenig später in erschöpften Schlaf sank, waren meine Träume nichts als Meto, Meto, Meto.

Sein liebes Lächeln, sein warmer Körper, einmal willig und gefesselt unter mir liegend, und einmal mich von hinten umarmend und mit seinem harten Glied in meinem Innern. Und noch im Aufwachen spürte ich jene süßen Stöße, bis ich langsam wacher wurde und realisierte, dass ich allein war.
 

Es war mitten in der Nacht und wieder krampfte mein Herz sich schmerzhaft zusammen vor Einsamkeit. Ich war im Schlaf gekommen und fühlte meinen eigenen Samen klebrig an meinem Unterleib, doch ich wollte nicht aufstehen, fürchtete, dass ich, wenn ich jetzt ins Bad ging, dort auf Dinge treffen würde, die mich zu Dummheiten verleiten konnten. Rasierklingen, zum Beispiel.

Und kaum war ich mit den Gedanken daran gestoßen, war er wieder da, der Drang, mir selbst weh zu tun. Ohne recht zu merken, was ich tat, überlegte ich schon, ob wir irgendwo noch Kerzen hatten, denn dass heißes Wachs weniger Spuren hinterließ als Klingen, wusste ich längst.
 

Doch je länger ich einfach da lag, umso größer wurde die Leere in mir, bis ich es kaum noch aushielt und einfach aufstehen musste, um nicht verrückt zu werden. Falls ich nicht schon längst vollkommen wahnsinnig geworden war …

Ich erhob mich langsam, ging ins Bad und griff mir dort einen Waschlappen, den ich unter den Wasserhahn hielt, bis er nass war, und mir dann damit den Samen abwusch. Dabei versuchte ich, möglichst nicht in den Spiegel zu schauen, doch als ich kurz den Blick hob und mich doch im Spiegel sah, schaute mich ein derartig traurig und kaputt aussehender Tsuzuku daraus an, dass ich richtig erschrak. Seine – meine – dunklen Augen sahen so leer aus, als sei jede Freude, jedes gute Gefühl aus ihnen verschwunden.
 

Ich hob langsam die Hand, berührte mein Spiegelbild, spürte das kalte Glas unter meinen Fingern und irgendwas daran machte mich furchtbar traurig. Schnell ließ ich die Hand sinken, wandte den Blick ab, ging vom Bad ins Wohnzimmer und suchte, ohne recht zu wissen, was ich tat, nach einer Kerze.

Ich fand ein rotes Teelicht, ging in die Küche, wo mein Feuerzeug bei meinen Zigaretten auf dem Fensterbrett lag, und ging mit Kerze und Feuerzeug zurück ins Bad, wo ich mich auf den Boden sinken ließ, die Kerze anzündete und vor mir hinstellte.

In mir wechselten sich Leere und Schmerz ab, binnen Sekunden, entweder fühlte ich gar nichts, oder mein Herz war so voller Schmerz, dass ich am liebsten schreien wollte. Ich hatte das Gefühl, als ob Minuten und Stunden vergingen, während ich auf die kleine Flamme starrte, die das rote Wachs langsam zu einem kleinen See zerschmolz.
 

Als ich die Flamme ausblies, fühlte ich Leere, und als ich sie vorsichtig anhob, mit der anderen Hand mein Hosenbein hochschob und meinen Unterschenkel, auf dem noch die blassen Spuren meiner letzten Selbstverletzung mit einer Cutting-Klinge zu sehen waren, frei machte, war der Schmerz in meinem Herzen wieder vornean, so sehr, dass meine Hand zitterte und das ganze schöne rote Wachs beinahe auf dem gefliesten Boden gelandet wäre.

Langsam goss ich das flüssige Wachs auf meine Haut, fühlte augenblicklich Erlösung, Lebendigkeit, diesen entspannenden Schmerz. Ich legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und fühlte nur, wie ich durch den Schmerz ruhig wurde und mich wieder als Herr über meine Gefühle wahrnahm.

Ich war ihnen nicht mehr ausgeliefert, konnte etwas tun, um mich wieder gut zu fühlen. Blutrotes, heißes Wachs auf meiner Haut … Es tat einfach so gut, warum also sollte ich es nicht tun?
 

Eine ganze Weile saß ich da auf dem Badezimmerboden, fühlte süßen Schmerz und eine solche Ruhe, wie sie mir sonst nur Metos warmer Körper nah an meinem geben konnte. Ich fühlte mich richtig gut und sicher, es war … schön.

Doch wie aus dem Nichts musste ich wieder weinen, einfach so, ohne recht zu wissen, warum. Es floss einfach so aus mir heraus, meine Tränen dienten dem, was raus wollte, als eine Art Fluss.

Irgendwann stand ich auf und ging ins Schlafzimmer zurück, saß dann dort auf dem Bett und löste das inzwischen kalt und fest gewordene Wachs wieder von meiner Haut ab, die darunter stark gerötet war.

Als das dunkelrote Wachsstück auf meiner Hand lag und ich es einen Moment lang einfach ansah, um mir die Süße des Schmerzes wieder in Erinnerung zu rufen, begann das Flüstern wieder, dieses Ding in meinem Kopf, das, wenn es einmal wach war, unentwegt „Borderline“ flüsterte.
 

Wiederum erhob ich mich, mir war etwas eingefallen, was vielleicht noch besser war als heißes Wachs: Eine Flasche starker Sake, die ich letztens beim Einkaufen mitgenommen hatte.

Ich ging in die Küche, machte den Schrank auf, und da stand die Flasche, noch ungeöffnet. Mit zitternden Händen nahm ich sie aus dem Schrank, riss die Versiegelung ab, suchte nach Gläsern, fand aber keine für Alkohol, und so musste ein Saftglas genügen, welches ich auch gleich halbvoll füllte.

Ich kippte das scharfe, starke Zeug einfach runter, in großen Schlucken, die mir im Hals brannten und sofort zu Kopf stiegen. Fühlte, wie die Leere wich, und verspürte stattdessen Aufregung und ein Gefühl von Lebendigkeit.
 

‚Dann schieß ich mich halt so richtig ab‘, dachte ich und musste lachen. Mir war so gut wie alles egal, ich wollte nur weg von dieser entsetzlichen Leere. Ob ich mich schnitt oder mir mit Wachs wehtat, oder mich eben betrank, alles egal.

Ich nahm die Flasche und das Glas mit ins Schlafzimmer, setzte mich auf die Bettkante und trank dort weiter, bis die Flasche halb leer war und ich ziemlich voll. Dann ließ ich mich ganz aufs Bett sinken und wieder packte mich die heftige Sehnsucht nach Meto. Wenn er hier gewesen wäre, dann wäre jetzt alles gut gewesen, wir hätten vielleicht sogar Sex gehabt, süßen, schönen Sex …

Stattdessen lag ich betrunken und von mir selbst verletzt allein auf unserem Bett und verzweifelte. Durch den Alkohol war ich ziemlich enthemmt und verlor komplett die Fassung, weinte, schrie, schleuderte die Kissen gegen die Wand und zerwühlte unser Bett, bis ich erschöpft zusammenbrach und nur noch still weinend da lag.
 

Irgendwann danach musste ich wieder eingeschlafen sein, denn ich wachte davon auf, dass mich eine liebe, warme Hand vorsichtig an der Schulter berührte.

„Tsuzuku, mein Herz … Hey, bist du okay?“ Metos Stimme, leise, rau und besorgt.

Ich blinzelte, meine Augen fühlten sich müde und verweint an. Es war noch nicht hell, musste irgendwann am frühen Morgen sein, und Meto trug noch dieselben Familienfeier-tauglichen Klamotten, in denen er gegangen war.

„Tut mir leid, ich konnte erst jetzt weg“, sagte er und es klang wirklich so, als ob es ihm ehrlich leid tat, nicht eher bei mir gewesen zu sein. „Hast du … getrunken?“

„Siehst du doch …“, antwortete ich und deutete auf die halb leere Flasche und das Glas neben dem Bett. Langsam richtete ich mich auf und augenblicklich tat mir der Kopf weh.
 

Meto sah mich besorgt an, streichelte meine Schulter und fragte leise: „Baby, was machst du nur für Sachen?“

Wollte er eine Antwort darauf?! Wollte er wirklich wissen, warum ich mich wieder verletzt und betrunken hatte?! Die Wut in mir kam so schnell hoch, dass ich mit dem Denken nicht hinterher kam und da waren die Worte auch schon draußen.

„Nur, weil du nicht bei mir warst!“, platzte ich laut heraus. „Wenn du hier gewesen wärst, wäre das nicht passiert! Dann hätten wir zusammen hier gelegen, vielleicht Sex gehabt, und ich hätte mich nicht so verdammt leer und verlassen gefühlt!“
 

Er sah erschrocken aus, verwirrt, weil ich so laut wurde. Und dann sah es einen Moment so aus, als ob er sich gleich umdrehen und gehen würde, und da wurde mir mit einem Schlag klar, dass ich gerade, in diesem Augenblick, unsere Beziehung gefährdete, indem ich so wütend wurde. Sofort bekam ich Angst. Angst, dass er ging und mich allein ließ.

„Tsu …“, sprach Meto mich leise an. „Wärst du doch lieber mitgekommen?“

„Ich hatte Angst und das weißt du!“ Ich stand auf, mein Kopf brummte schmerzhaft und ich verlor wiederum für einen Moment die Kontrolle: „Deine tolle, reiche Familie will doch so was wie mich gar nicht haben!“

„Und was, denkst du, hätte ich tun sollen?“

„Bei mir bleiben!“

„Meine Großeltern sind so selten da, ich wollte sie eben mal wieder sehen. Und ich hätte dich ihnen gern vorgestellt.“

„Als was?!“, schrie ich. „Was bin ich denn?!“

„Als meinen Mann“, erwiderte Meto, mühsam beherrscht. „Als den Mann, an dessen Seite ich lebe und den ich heiraten will.“
 

„Willst du das denn?!“

Ich sah in seinem Ausdruck, dass ich in diesem Moment den Bogen wieder überspannt und den Pfeil abgeschossen hatte. Jetzt hatte ich ihn verletzt und wütend gemacht.

„Ja, Tsuzuku, stell dir vor, das will ich! Ich will dich, verdammt noch mal! Und das einzige, was mich an dir wirklich stört, ist, dass du mir das immer wieder nicht glaubst!“, schrie er mich nun seinerseits an. „Ich weiß, das ist auch ein Teil von dem, was du immer mit diesem verdammten Wort bezeichnest, das ich gerade gar nicht aussprechen will! Aber was soll ich denn noch machen, damit du mir endlich mal wirklich glaubst, dass ich dich liebe?!“

Damit hatte er mich. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. In mir war ein unguter Gedanke, doch ich war gerade noch so weit Herr meiner Selbst, um diesen Gedanken nicht auszusprechen: ‚Dann lass deine Familie doch schießen. Sei nur noch bei mir, damit ich spüre, dass du mich liebst‘
 

„Sag mir, was soll ich jetzt tun, Tsuzuku?!“ Er war sichtlich hilflos und verzweifelt, doch dass er so fragte, zeigte, dass er die Situation noch eher überblickte als ich. „Wie soll ich mit dir umgehen, wenn du so bist?“ Während er das sagte, wurde seine Stimme wieder leiser und ruhiger, was mich irgendwie auch mit ein wenig beruhigte.

Doch sowie meine Wut abkühlte, war die Angst wieder da, davor, dass er ging. Ich ließ mich auf die Bettkante sinken, mir stiegen Tränen in die Augen.

„Ich weiß es nicht …“, antwortete ich leise und stützte den Kopf in die Hände. „Ich weiß es wirklich nicht. Weder, was ich will, noch, wer oder wie ich eigentlich bin …“
 

Meto kam auf mich zu, hob die Hand und berührte meine Schulter, ganz vorsichtig und sanft, fast ein bisschen unbeholfen. „Du hast ja wieder meinen Schlafanzug an …“, sagte er leise.

„Ich … hab dich so vermisst … und der roch so schön nach dir …“, kam es mir unüberlegt über die Lippen, und ich fing zu weinen an.

Meto hockte sich vor mich hin, sah zu mir hoch und lächelte. „Ist doch okay, Tsu. Aber das nächste Mal machen wir’s anders, okay? Entweder kommst du mit, oder ich bleib hier bei dir, oder ich ruf dich zwischendurch ein paar Mal an, was auch immer.“ Er stand auf und umarmte mich, drückte einen lieben Kuss auf mein Haar und streichelte über meinen Rücken. „Es tut mir leid“, fügte er noch hinzu, „Ich hätte das machen sollen, dich zwischendurch mal anrufen …“

Sofort fühlte ich mich wieder sicherer, wusste wieder, wer ich war und was ich tun sollte. Es war anscheinend wirklich so, dass ich nur dann klar, glücklich und ich selbst sein konnte, wenn ich jemanden bei mir hatte, und am besten Meto. Wenn ich allein war, verlor ich sofort das Gefühl für mich selbst und jeden Halt.
 

Mein Liebster setzte sich zu mir aufs Bett, sah mich einen Moment lang an und fragte dann: „Und was machen wir jetzt?“

Sofort hatte ich den Wunsch, in seinen Armen zu liegen, einfach nur so, und vom Geräusch seines Herzschlages einzuschlafen. Ich sehnte mich einfach durchgehend so wahnsinnig nach Liebe, Halt und Ruhe, doch ich traute mich jetzt nicht, nach dem Streit gerade eben, nun wieder zum Kuscheln anzukommen. Ich hatte so das Gefühl, dass ich Meto damit verwirrte und irritierte.

„Soll ich … auf dem Sofa schlafen?“, fragte ich leise.

Er sah mich an, nahm dann meine Hände in die seinen und sagte: „Nein, sollst du nicht. Tsu, was auch immer passiert, du schläfst bei mir, in diesem Bett, verstanden? Ich lass nicht zu, dass du auf dem Sofa schläfst und nachts vor Angst fast verrückt wirst.“ Seine Daumen streichelten über meine Hände und er fügte hinzu: „Du willst jetzt schmusen, oder? Obwohl das eben … so war?“

Ich nickte. „Vielleicht auch gerade deshalb … Ich will nicht, dass so was … so zwischen uns stehen bleibt … darum …“
 

Meto lächelte wieder, dann stand er auf und fing an, sich auszuziehen. Die Unterwäsche behielt er an, dann legte er sich unter die Decke, ich ebenfalls, und er schloss mich in seine Arme.

„Fühlst du’s jetzt wieder, dass ich dich liebe?“, fragte er leise.

Ich nickte nur.

„Und das fühlt sich doch schön an, oder?“

„Ja …“

„Genieß es, freu dich, dass du mich hast. Du wirst mich jetzt nämlich nicht mehr los, Tsuzuku, dein ganzes Leben lang nicht.“

Ich antwortete nichts darauf, wollte seine Worte nicht zerstören, ließ sie einfach so stehen und versuchte, das zu tun, was er mir sagte: Zu genießen, dass er bei mir war.
 

Wir hatten keinen Sex in dieser Nacht, die ja schon halb vorüber war. Lagen einfach nur nah zusammen auf dem Bett und warteten, dass es wieder Tag wurde. Irgendwann schlief Meto neben mir ein, da dämmerte es schon fast, und ich ließ ihn schlafen, während sich in meinem Kopf die Gedanken im Kreis drehten.

Alles, was ich in den letzten Stunden getan hatte, erschien mir so typisch, wie aus dem Buch, das immer noch bei uns im Regal stand, weil ich es Hitomi noch nicht zurückgegeben hatte. Es fühlte sich eigenartig an, einerseits tat es weh, dieses Wort ‚Borderline‘, aber irgendwo … fühlte es sich auch gut an, erklärend und wissend.
 

In Gedanken zählte ich mir alles auf, was ich gefühlt und getan hatte: Die Einsamkeit und Leere, der Selbsthass, der gescheiterte Versuch, mich abzulenken, die vielen Tränen, Metos Schlafanzug an meinem Körper, die sehnsüchtigen Träume, der Gedanke an Klingen und das heiße Wachs, das ich als Ersatz benutzt hatte, meine ständig wechselnden, sprunghaften Gefühle, und der unselige Alkohol, der alles noch schlimmer gemacht hatte, dann später der Streit mit Meto, der ebenso typisch abgelaufen war.

Wenn ich nicht gewusst hätte, was das alles war und bedeutete, wäre es mir dann vielleicht noch viel bedrohlicher erschienen, weil ich es nicht hätte einordnen können? War das Wissen, dass das alles einen Namen hatte, gut? Oder waren mein Selbsthass und diese furchtbare Angst, verlassen zu werden, nur deshalb so stark, weil ich mich selbst nur noch als den kranken Borderliner sah und darüber abwertete?

Ich fand keine Antwort auf diese Frage. Wusste nur, dass ich mich auch ohne dieses Wort ‚Borderline‘ hasste, weil ich mich in meiner Vergangenheit so furchtbar aufgeführt und damit letztendlich meine eigene Mama in den Tod getrieben hatte.
 

Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich selbst, dass ich es schon wieder tat, mich in meinen Seelenschmerz versenkte und selbst Gefühle weckte, die mich garantiert wieder auf den Abgrund zu trieben.

In einem Versuch, mich zu retten, schmiegte ich mich eng an Metos Körper, vergrub mein Gesicht an seinem Hals und atmete seinen Geruch ein, er roch süß und warm und so gut, und ich spürte den Puls seiner Halsschlagader unter meinen Lippen.

Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, küsste ich seine Haut, dachte dabei mit aller Kraft an das wunderschöne Gefühl, welches ich hatte, wenn ich mit ihm schlief, und versenkte mich da hinein. Sofort wurde ich sehr schnell hart, doch wecken wollte ich Meto ja nicht, und so blieb mir nur die Möglichkeit, es mir selbst zu machen.
 

Es war recht lange her, dass ich zuletzt wirklich masturbiert hatte, bestimmt ein, zwei Monate. Beim letzten Mal hatte ich mich danach ziemlich einsam gefühlt, ich mochte es nicht, so etwas allein zu tun. Und seit Meto und ich hier zusammen lebten, hatten wir auch so viel Sex, dass ich kein besonderes Bedürfnis nach Selbstbefriedigung gehabt hatte.

Ich blieb neben ihm liegen, schob mir Schlafanzughose und Shorts runter und begann, mich selbst zu berühren, zuerst blickte ich dabei hoch an die Decke, dann sah ich Meto an, der tief schlafend neben mir lag und so lieb und süß aussah … Ich fühlte mich irgendwie schmutzig, weil ich mir auf ihn einen runterholte, während er neben mir schlief, aber ich konnte nicht anders, wollte bei ihm sein, nicht alleine, denn nach dem vergangenen Abend ertrug ich jegliche Einsamkeit nicht mehr.
 

Es fühlte sich eigenartig an, mich so selbst zu berühren, aber nicht etwa, weil ich mich schämte oder so etwas, sondern weil ich es selbst tat, weil es meine eigene Hand an meinem Glied war und nicht die meines Liebsten. Mir wurde klar, dass ich mir selbst absolut nicht genug war, ich brauchte jemanden bei mir, brauchte starke, liebevolle Arme um mich und das Gefühl, geliebt zu werden.

Und so genügte es mir nicht, mich einfach nur selbst anzufassen, ich rückte wieder ein Stück näher zu Meto, schmiegte mich an ihn, brauchte seine Nähe, um überhaupt richtig fühlen zu können, und als ich mit einem halb unterdrückten Stöhnen kam, landete ein bisschen was von meinem Samen auf seinem Oberschenkel.
 

Schnell tastete ich auf dem Nachttisch nach der Taschentücher-Box, riss eines heraus und reinigte meine Hand von meinem Samen, wischte ihn von Metos Bein weg, hoffte, dass ich ihn nicht weckte. Im Dunkeln tastete ich mich zum Papierkorb vor, warf das Taschentuch hinein, dann legte ich mich wieder hin, nah neben meinen Liebsten, der immer noch tief und fest schlief.

Und irgendwann, als es schon hell wurde, schlief ich auch endlich ein.

[meto] Act 23

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 24

[zwei Tage später]
 

Ich hatte mich mit Meto getroffen, recht früh am Morgen, und wir waren zusammen frühstücken gewesen in der Innenstadt. Tsuzuku war da noch nicht dabei, er hatte einen Termin in der psychiatrischen Klinik, es ging wohl um die Möglichkeiten von Notfallmedikamenten, und danach holten Meto und ich ihn von dort ab.
 

Gestern hatte ich bis tief in die Nacht hinein erst Webseiten gewälzt und dann hatten wir zu dritt lange gechattet, es ging um die bevorstehende Hochzeit der beiden, das ganze Drum und Dran, von der Kontaktaufnahme mit dem besonderen Tempel in Kyoto bis zu der Suche nach einem schönen Hotel und nicht zuletzt auch der Frage der Ringe und der hübschesten Kleidung für diesen möglichst schönsten Tag im Leben.

Meto tendierte in dem Punkt zwar zum Kleid, war sich aber auch noch nicht komplett sicher, und obwohl Tsuzuku sich für sich selbst ganz klar für einen dunklen Anzug ausgesprochen hatte, lohnte es sich doch, dass wir Kyotos teuren Shoppingmeilen einen Besuch abstatten würden. Schließlich waren ja beide (so wie ich eben auch) Anhänger des Visual Kei und da ließen sich sowohl ‚Kleid‘, als auch ‚dunkler Anzug‘ als Begriffe sehr weit fassen, es gab unzählige Möglichkeiten und die galt es zu konkretisieren.
 

Und so waren wir zu dem Schluss gekommen, heute einfach mal nach Kyoto hinzufahren, uns alles Notwendige genau anzuschauen, schon mal in dem Tempel vorzusprechen und einfach mal anzufangen, das Ereignis in die Wege zu leiten, auch wenn das genaue Datum noch nicht hundertprozentig feststand.
 

Meto hatte Ruana dabei und auf dem Weg zur Klinik unterhielt ich mich irgendwie ein wenig mit ihr, erfuhr, dass sie für Meto sowohl sein ‚Baby‘ als auch eine Art ‚Kindheitsfreundin‘ war, und dass wohl auch Tsuzuku für Ruana ein familiäres Gefühl entwickelt hatte.

„Irgendwie hast du ja zwei Babys, oder?“, fragte ich, sah Meto an und wies unauffällig auf die von mir aus rechte Seite seiner Brust, wo unter dem Ausschnitt seines Shirts ein Teil seines bunten Embryo-Tattoos herausschaute.

Meto lächelte, schüttelte aber den Kopf. „Nein, das bin ja ich, das Baby von dem Tattoo. Da ist Tsuzuku viel eher mein zweites Baby, zumindest dann, wenn er sich von mir füttern lässt …“

Ich lachte, aber es war nett gemeint. Denn so wirklich wunderten mich diese vielen kleinen, verrückten Details dieser Beziehung schon lange nicht mehr. Klar, ich sah, dass das alles nicht alltäglich war, dass sowohl Tsuzuku als auch Meto ausgeprägte Eigenheiten hatten, die ihnen bestimmt so schnell keiner nachmachte, aber in meinen Augen machte gerade das, die Kombination dieser beiden so ganz besonders besonderen Menschen mit ihren ganz eigenen Wesenszügen und Ideen, das Wunderschöne an ihrer Beziehung aus.

Dass Tsuzuku Meto so wahnsinnig liebte und Meto ihn seinerseits ganz so annahm, wie er war, wie sie einander so weit ähnelten, dass sie die Verrücktheiten des jeweils anderen weitgehend verstanden, und zugleich so verschieden waren, dass Meto Tsuzuku auch beschützen konnte … Ich konnte einfach nicht anders, als das unglaublich toll zu finden!
 

Wir erreichten die Klinik und ich sah schon von weitem, wie Tsuzuku in der Raucherecke vor dem Eingang saß, rauchte und auf uns wartete. Als wir näher kamen, stand er auf, und ich versuchte wie immer, in seinem Gesicht zu lesen, wie es ihm gerade ging.

Manchmal waren seine Augen fast wie ein offenes Buch für mich, dann war es ganz leicht, ihm Gefühle oder teilweise sogar Gedankengänge anzusehen und herauszufinden, wie er sich fühlte und was er brauchte. Manchmal aber auch nicht, dann verschloss er sich, vielleicht bewusst oder oft sicher auch ohne es selbst zu merken, und es fiel mir dann deutlich schwerer, ihn zu lesen.

Aber heute war sein Blick zuerst ganz offen und entspannt. Nachdem wir uns begrüßt hatten, wobei er mir einfach kumpelhaft auf die Schulter klopfte und Meto deutlich inniger berührte, wenn auch nur kurz, da wir uns in der Öffentlichkeit befanden und es eben leider immer noch auffiel, wenn man sich auf offenen Plätzen umarmte und küsste, machten wir uns auf den Weg zum Hauptbahnhof.
 

Am Bahnhof mussten wir ein wenig warten, bis der Shinkansen nach Kyoto einfuhr, wir holten die Tickets und setzten uns dann auf eine Bank am Bahnsteig. In der Wartezeit fragte ich Tsuzuku, wie sein Termin gelaufen war und ob er sich für irgendwas entschieden hatte, was Medikamente betraf.

„Ging ja jetzt nur um welche, die ich im Notfall nehmen soll …“, antwortete er. „Ich weiß es auch noch gar nicht … also, ob ich das will.“

„Kann doch eigentlich nur helfen, oder?“, hakte ich nach.

„Ja, weiß ich, soll es ja auch. Aber … weißt du, Koichi, ich hab meine Erfahrungen mit Glückspillen gemacht, früher, und ja, die waren meistens nicht gerade legal … Und seitdem ist mir die Vorstellung irgendwie nicht geheuer … Tabletten zu nehmen, damit ich mich anders fühle … Okay, ich rauche, ich trinke, ich bin nicht wirklich clean … Aber Tabletten … es fällt mir einfach schwer, mich da wieder drauf einzulassen …“

„Okay, das verstehe ich irgendwie …“, sagte ich. „Hast du denen in der Klinik das gesagt, also dass du Drogenerfahrungen hast?“

Tsuzuku nickte. „Gesagt hab ich das. Ich meine, viel war es nie, nur ab und zu, ich war achtzehn und ein Idiot. Ich bin da irgendwie wieder ganz gut von weg gekommen und darüber bin ich auch froh. Vielleicht will ich die Medikamente deshalb nicht, weil … dieser krasse Sprung, wenn man sich was einwirft und dann auf einmal ganz andere Gefühle hat, das kriegt mein Kopf auch von selbst hin, ohne solche Pillen, und das ist so schon schlimm genug, verstehst du? Ich will nichts nehmen, was dasselbe mit mir macht, auch wenn das dann der Sprung von Schmerz zu Glück ist. Weil ich will, dass es langsamer läuft, damit ich es selbst sehen kann, was in mir abgeht, diese Verwirrung tut mir immer so weh …“
 

„Aber, Tsu, ich glaube, das machen solche Medikamente gar nicht, diese schnellen Sprünge. Sind die nicht gerade dafür entwickelt worden, dass es ein bisschen langsamer läuft, damit du nicht mehr diese plötzlichen, starken Schwankungen hast?“, fragte ich weiter, merkte aber, dass wir gerade beide vorsichtig sein mussten.

„Selbst wenn …“, antwortete er, „Ich fühl mich bei der Vorstellung trotzdem nicht wohl.“

Wir ließen das Thema dann sein, ich sagte nichts mehr dazu und Tsuzuku wandte sich Meto zu, der zugehört und sich aber lieber mit Ruana beschäftigt hatte. Tsu kraulte das kleine Teddymädchen ein wenig hinter ihren Plüschöhrchen und bekam dafür von ihr ein Küsschen, das ließ ihn lächeln und ich sah, wie sich Metos tätowierte Hand auf Tsuzukus Oberschenkel stahl und dort, versteckt von Ruana, liebevoll streichelte.
 

Als dann der Zug für die Richtung Kyoto einfuhr, stiegen wir ein, suchten uns ein halbwegs ruhiges Abteil und saßen dann mit einem jungen Pärchen zusammen, ein Mann und eine Frau von etwa zwanzig Jahren, die uns aber kaum beachteten.

Die Fahrt dauerte ihre Zeit, irgendwann nahm ich mein Handy raus und schrieb kurz an Mikan, fragte sie einfach, wie es ihr ging und was sie machte. Und während ich dann eine Weile mit ihr schrieb, sah ich ab und zu auf und beobachtete, wie Tsuzuku und Meto sich aneinander lehnten und Meto einen Soundsplit-Adapter am Handy hatte, in dem zwei Paar Ohrhörer steckten, sodass die beiden gemeinsam dieselbe Musik hören konnten. Ich linste unauffällig auf das Display und da stand irgendwas von einem uralten Dir en grey-Album, wovon ich ja wusste, dass sie das beide gern hörten. Meins war Dir en grey nun nicht unbedingt, auch wenn ich die Band natürlich kannte und es auch Songs von ihnen gab, die ich ganz gern hörte. Zwar hörte ich selbst doch eher leichtere Musik, aber zu Tsuzuku und auch zu Meto passte dieser typische Visual Hard Rock hervorragend.
 

Der Zug erreichte den Hauptbahnhof von Kyoto und wir stiegen aus, wobei mir sofort auffiel, dass sich Kyoto irgendwie immer schon vom ersten Moment an anders anfühlte als unsere Stadt oder Tokyo. Zwar war der Bahnhof riesig und durchweg super modern, aber man spürte dennoch, dass hier eine andere Mentalität herrschte, diesen ganz leichten, aber eindeutig vorhandenen Hauch von Geschichte und Tradition, der einfach in der Luft hing und das Besondere an Kyoto ausmachte.
 

„Ich war lange nicht hier …“, hörte ich Tsuzuku hinter mir sagen. „Ist bestimmt schon über zehn Jahre her, war ne Klassenfahrt oder so was …“

Ich setzte einen Schritt zurück, sodass ich neben Tsu gehen konnte, und sagte: „Na, dann wird’s ja mal wieder Zeit für ein bisschen Kyoto-Feeling, oder?“

„Mit Fotos vor dem Kinkakuji und ner Flasche mit heiligem Schrein-Wasser, oder was?“ Tsuzuku lachte und fügte dann aber hinzu: „Nee, ohne mich.“

„Tsu, das war ein Scherz“, erwiderte ich, ebenfalls lachend, und fragte mich im Stillen, wie mein bester Freund wohl generell zu den Traditionen unseres Heimatlandes stand.

Ich wusste, dass er es ab und zu mit dem Buddhismus versuchte, und dass ihm die Symbolik der Kirschblüte gefiel, aber ansonsten waren diese traditionellen japanischen Dinge bisher irgendwie noch kein Thema gewesen, über das wir ausführlicher gesprochen hätten. Wir lebten beide eine Lebensweise, die sich doch eher an modernen, westlichen Maßstäben orientierte, gehörten wir eben dieser japanischen Jugend an, für die Kimonos und Samuraiwerte nur noch am Rande eine kleine Rolle spielten.
 

Wir brauchten tatsächlich eine Weile, bis wir die richtige Straßenbahnlinie gefunden hatten, die uns in das Altstadtviertel bringen sollte, in dem sich der Adresse und Wegbeschreibung nach, die wir uns gestern Abend ausgedruckt hatten, der Tempel befand, den wir suchten.

Zuerst nahmen wir eine ganz moderne, gewöhnliche Bahn, doch auf dem Weg in besagten Teil der Altstadt mussten wir auch einmal umsteigen, und die Straßenbahn, die wir dann nahmen, war eine ganz andere, sie machte, noch bevor die ersten alten Holzhäuser zu sehen waren, schon mal deutlich, dass wir uns in der Hauptstadt der japanischen Tradition und Kultur befanden.

Denn der Straßenbahnwagen, in dem wir dann saßen, schien einem Freilichtmuseum zu entstammen, einem an der Wand angebrachten Schild zufolge stammte er aus den 50er Jahren und gehörte tatsächlich zum Eisenbahnmuseum von Kyoto, und dennoch fuhr er seine Linie ganz genauso korrekt und pflichtbewusst ab wie eine moderne Straßenbahn.
 

Während der Fahrt sah ich Tsuzuku immer mal wieder an, er saß zwischen mir und Meto und blickte aus dem gegenüberliegenden Fenster, wo die Stadtlandschaft vorbeizog und sich langsam wandelte, von hohen, modernen Häusern zu kleineren Blöcken und vereinzelt dazwischen stehenden alten Holzhäusern mit nur einem oder zwei Stockwerken.

Hinter den Häusern sah man ab und zu die dicht bewaldeten Berge um die Stadt herum durchblitzen, und die Pagoden und Tempel, die am Stadtrand die Berghänge zierten, es war dieses typische Bild einer Mischung aus moderner Großstadt und dem alten Japan, und mir gefiel es.

Tsuzuku sah nachdenklich aus, und ich fragte mich, worüber er nachdachte, während er aus dem Fenster sah und dasselbe erblickte wie ich, die Symbole unserer Heimat Japan und damit unserer nationalen Identität …
 

„Es ist eigenartig …“, hörte ich ihn leise sagen und ich wusste erst nicht, ob er mich ansprach oder nur laut nachdachte, „… manchmal fühlt es sich so an, als ob ich gar kein richtiger Japaner bin …“

„Warum denn?“, fragte ich leise, um niemand anderen zu stören.

Tsuzuku zuckte nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht … Na ja, ich denke eben, wenn man sich das alles so anschaut, was der Rest der Welt in unserem Land sieht und was den meisten Menschen hier wichtig ist und so … Ich weiß nicht, ob ich dem entspreche …“

„Was denn, zum Beispiel?“, hakte ich vorsichtig nach.

„Wie ich aussehe … und mich verhalte … Ich bin auffällig, unbeherrscht, chaotisch … In Tokyo kann man so sein, aber hier in Kyoto …? Ich fühle mich irgendwie … deplatziert?“

„Tsu, ich bin mir sicher, dass es hier in Kyoto genauso Menschen wie dich gibt wie in Tokyo oder in unserer Stadt“, widersprach ich ihm leise. „Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, und auch wenn Japan in manchen Punkten, die dich eben mit betreffen, da ein bisschen hinterherhängt, kann dir auch hier niemand vorschreiben, wie du zu sein hast.“

„Aber … bin ich nicht dann … na ja, eben nicht das, was die Welt von einem Japaner erwartet?“

„Ist denn das so wichtig, Tsuzuku? Du bist genauso Japaner wie ich oder der Typ im langweiligen Anzug da drüben oder dieser uralte Opa da in der Reihe hinter uns. Du bist hier geboren und deine Eltern ebenso, du hast braune Mandelaugen, eine schöne kleine Nase und schwarzes Haar, also bist du Japaner, mehr ist das doch gar nicht. Und was irgendwo Leute von dir erwarten, hängt doch auch immer damit zusammen, mit welchen Leuten du dich überhaupt umgibst und wessen Meinung dir wirklich wichtig ist.“
 

Und gerade, als ich selbst zu spät bemerkte, wie plötzlich Tsuzuku wieder einmal viel zu nahe an seine Selbstentwertung geraten war, ich sah den Ausdruck in seinen Augen, diesen eigenartigen, dunklen Schleier in seinem Blick, und dass er irgendwas auf meine Worte antworten wollte, was ihn seinem Selbsthass noch näher bringen würde, da saß auf einmal Ruana auf seinem Schoß, Meto hatte sie schnell dorthin gesetzt, und unter Ruanas Teddykörper halb versteckt erkannte ich wieder Metos Hand auf Tsuzukus Oberschenkel, beruhigend streichelnd.

„Tsu, komm, atmen … alles gut …“, hörte ich Meto flüstern, und tatsächlich schien Tsuzuku für einen Moment die Luft angehalten zu haben, unabsichtlich, vermutlich vor lauter Anspannung. Er atmete halblaut aus, unterdrückt, und doch hörte ich deutlich diese Spannung heraus, die sich so ungeheuer schnell in ihm aufbauen konnte.
 

Kurz darauf erreichte die Straßenbahn die Station, an der wir laut der Wegbeschreibung zum Tempel aussteigen mussten. Als wir wieder draußen auf der Straße waren und uns mithilfe des kleinen Straßenkartenausschnittes den Weg suchten, sah ich Tsuzuku immer mal wieder kurz und vorsichtig von der Seite an. Einfach, um sicher zu gehen, dass er sich von dem kleinen Gefahrenmoment zuvor jetzt wieder soweit erholt hatte, dass es überhaupt möglich sein würde, gleich in diesem Tempel über seine und Metos geplante Hochzeit zu sprechen und das Ereignis auf diese Weise Stück für Stück in die Tat umzusetzen.
 

Der Tempel, vor dem wir schließlich stehen blieben und an dessen hölzernem Tor auch der Name stand, den wir von der Webseite her kannten, war einer der eher unauffälligen, kleinen Sorte, einfach einer von den vielen, vielen kleinen buddhistischen Tempelchen, für die Kyoto so berühmt war.

Mir kam der Gedanke, dass es sich vermutlich auch nur so ein eher unbekannter, kleiner Tempel in unserem Land überhaupt leisten konnte, so etwas wie Hochzeiten für homosexuelle Paare anzubieten. Ein berühmterer Tempel hätte das möglicherweise aufgrund seiner Bekanntheit gar nicht durchsetzen können, da galt es auf einen ‚guten Ruf‘ zu achten und ich war mir leider doch ziemlich sicher, dass sich da der Staat doch irgendwo einmischte und in solche Ideen relativ vernichtend reinreden konnte.

Ich fand das doch ziemlich traurig und auch irgendwie arm, denn immerhin lebten wir doch im einundzwanzigsten Jahrhundert und in einer der führenden Industrienationen der Welt. Warum sperrte sich unser Staat ausgerechnet so sehr gegen die Ehe für alle Paare?! Was sollte an einer Liebe angeblich so falsch sein, nur weil die Liebenden zwei Männer oder zwei Frauen waren? Ich verstand es nicht, und ich wollte es auch gar nicht verstehen.
 

Für einen Moment, den wir wartend vor dem Tor gestanden hatten, nachdem ich den Türklopfer betätigt hatte, war ich sehr in meinen Gedanken versunken gewesen. Und so erschrak ich ganz schön, als ich auf einmal Metos dezent besorgte Stimme neben mir hörte, wie er an seinen Verlobten gewandt fragte: „Tsu? Hey, bist du okay? Was hast du?“

Ich sah mich um, schon ahnend, dass da wieder etwas nicht in Ordnung war, und tatsächlich stand Tsuzuku mitten auf der altmodisch gepflasterten Fußgängerstraße, hatte den Kopf gesenkt und den Oberkörper leicht gebeugt, sodass ihm die schwarzen, schulterlangen Haare ins Gesicht fielen, und er presste wieder einmal seine Hand auf sein Herz, machte so sichtbar, dass es ihm wieder wehtat. Sofort waren wir bei ihm, Meto auf der einen Seite und ich auf der anderen, wir führten ihn an den Straßenrand zu einer Bank, wo er sich setzen konnte.

„Was ist denn los?“, fragte ich ihn besorgt. War das jetzt noch ein Nachbeben von dem Moment zuvor in der Straßenbahn oder hatte sich in seinem Kopf und Herzen längst ein neuer, anderer Schmerz zusammengebraut? Das ging bei ihm immer so furchtbar schnell …
 

Tsuzuku antwortete nicht, reagierte zuerst nicht mal, dann schüttelte er nur den Kopf. Es war ganz offensichtlich, dass sein schmerzendes Herz nichts weiter war als ein körperlicher Ausdruck seines seelischen Leids und seiner Angst.

„… Geht gleich wieder …“, brachte er schließlich heraus, klang aber so gepresst und schmerzvoll, dass ich ihm das nicht mal ansatzweise glaubte.

„Tsuzuku, was ist los, jetzt sag schon!“, sprach ich und sah ihn direkt an.

Er schüttelte wieder den Kopf, und als ich meine Frage dennoch wiederholte, setzte er noch eins drauf: „Wirklich, ich bin okay! Ich brauch nen Moment, dann geht’s wieder, und dann gehen wir da rein und planen das alles mit der Hochzeit … Bitte, fragt jetzt nicht weiter, ich weiß es selbst nicht …!“

„Ist gut …“, sagte ich leise, mir blieb wohl nichts anderes übrig.
 

Wir blieben noch einen Moment sitzen, dann stand Tsuzuku von sich aus wieder auf und ging in Richtung der hölzernen Pforte vom Tempel, wo in diesem Augenblick eine Dame im Kimono auf die Straße hinaus trat und sich suchend umsah.

Ich sah, wie Tsuzuku seine Haltung straffte, durchatmete, und ihm war anzumerken, dass er eine Fassade hochzog, dann standen Meto und ich ebenfalls auf und gingen auf die Dame zu.

„Guten Tag. Haben Sie eben bei uns geklopft?“, fragte sie und verbeugte sich leicht.

Ich erwiderte die Verbeugung und antwortete: „Ja. Mein Name ist Niigata, ich hatte gestern eine Mail an Sie geschickt, wegen einer besonderen Hochzeit.“

„Ah, Sie waren das, gestern ganz spät am Abend?“, fragte die Dame höflich lächelnd und ich bejahte, woraufhin sie sich vorstellte: „Mein Name ist Iwajima, ich bin für die Koordination und Planung der Hochzeiten in unserem Tempel zuständig.“
 

Sie wandte sich an Tsuzuku und Meto und fragte mit demselben höflichen Lächeln: „Und Sie beide sind das Hochzeitspaar, nehme ich an?“

Da Meto sichtlich die Sprache wieder einmal versagte, übernahm wie so oft Tsuzuku die Kommunikation und antwortete mit einem „Ja, das sind wir“, wobei er, für mich als seinen besten Freund deutlich spürbar, eine Art emotionaler Maske trug, er verbarg seine Ängste und Unsicherheiten und spielte den sozial kompetenten Mann von fünfundzwanzig Jahren, mit dem äußerlich gesehen alles okay war.

Dass er das konnte, so schauspielern, obwohl es in ihm drinnen gar nicht gut aussah, war in meinen Augen irgendwie ganz schön beeindruckend. Zwar konnte ich so etwas auch, aber bei mir war doch der Schmerz hinter der Fassade niemals so groß gewesen, wie das, was Tsuzuku tagtäglich durchmachte, er hatte so viel mehr zu ertragen und dennoch konnte er so spielen.
 

„Folgen Sie mir bitte“, forderte uns Iwajima-san höflich auf und verbeugte sich erneut.

Wir folgten ihr zur Pforte und in den Garten des Tempels, der so aussah wie alle Tempelgärten in dieser Stadt: Kleine Felder mit Steinen, graue und sehr ordentlich zurechtgehakte Sandflächen, kleine Bonsai-Gewächsen und hübsche Steinlaternen. Blumen gab es kaum, nur die Blüten an den Bäumen und Sträuchern, aber das war ja auch so üblich, ein Tempelgarten war kein Blumenbeet.

Ich hatte jedoch kaum einen Blick für diesen Garten, machte mir wieder viel zu große Sorgen um Tsuzuku und musste ihn immer wieder ansehen und versuchen, aus seinem Blick zu lesen. Doch es war schwierig dieses Mal, er hatte sein Innenleben gerade gut verschlossen.

Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie viel Kraft es ihn kostete, sich so zu verstecken, er war doch so ein extrovertierter, lebhafter Mensch, der sich der Welt so gern mitteilte, es musste ihm also ungeheuer schwer fallen, diese Fassade zu halten, und der Schmerz in ihm musste furchtbar sein, wenn er sich so zumachte.

Was tat ihm gerade nur so weh? Wir waren doch hier, um einen wichtigen und schönen Tag in seinem und Metos Leben zu planen … Oder war es am Ende genau das, was ihm das Herz schwer machte? Fürchtete er seine eigene Hochzeit, die er doch selbst initiiert und herbeigesehnt hatte, weil sie nun irgendwo auch wieder seine Angst vor dem Verlassenwerden weckte?
 

Ich hatte jedoch jetzt keine Gelegenheit, darüber weiter nachzudenken, und Tsuzuku wollte ganz offenbar gerade auch wirklich nicht, dass ich ihn danach fragte, also ließ ich das Thema sein und konzentrierte mich, als Iwajima-san uns durch den Garten und einen schmalen, hölzernen Gang zu einem kleinen Büroraum führte, auf die konkreten Fragen, die sie dort dann an uns richtete.
 

„Haben Sie schon Ideen, wie Ihre Zeremonie aussehen soll?“, fragte sie, an Tsuzuku gewandt.

„Nein, wir haben gerade erst mit der Planung angefangen“, antwortete er.

„Sie wissen aber, dass wir im Zen da sehr flexibel sind?“

„Ja.“

„Wir können das natürlich auch gemeinsam planen“, bot Iwajima-san an und ließ uns in den kleinen Raum, schloss dann hinter uns die hölzerne Schiebetür.

„Das wäre tatsächlich eine gute Idee“, antwortete Tsu darauf und wandte sich mit fragendem Blick an Meto. „Oder siehst du das anders, Baby?“

Meto schüttelte den Kopf und brachte leise und ein klein wenig heiser heraus: „Können wir … so machen … hier …“

Iwajima-san schien ein wenig verwundert, weil Meto so leise und unsicher sprach, und Tsuzuku bemerkte das. „Mein Verlobter ist … ein wenig schüchtern, er spricht nicht so gern. Es ist aber okay für ihn, dass ich so ein bisschen für ihn mit rede, das ist bei uns schon immer so. Mit mir allein spricht er sicherer.“

Ich stand daneben und hatte, so wie Tsuzuku Meto jetzt ansah, endlich wieder das Gefühl, dass Tsu sich halbwegs sicher fühlte. Irgendwas daran, so für Meto zu sorgen, schien ihm Sicherheit und Kraft zu geben, sein Blick war jetzt wieder offen und unverstellt.
 

Iwajima-san fragte mich noch, was denn meine Aufgabe in der ganzen Sache war, und ich antwortete, dass ich als der beste Freund des Hochzeitspaares gern mithelfen wollte, dass dieses Fest ein wirklich schöner Tag für die beiden wurde.

Wir setzten uns dann zusammen und redeten, über alles, was es bei einer buddhistischen Hochzeit zu bedenken gab. Tsuzuku und Meto waren sich beide einig, dass es nur eine kleine, weniger aufwändige Zeremonie werden sollte, und im Laufe des Gesprächs ergab sich, dass es wohl auch einen leichten westlichen Anstrich bekommen sollte, mit einer kleinen Rede zum Leben der beiden, und mit Eheringen und Hochzeitskuss.
 

„Was möchten Sie denn bei Ihrer Hochzeit tragen?“, fragte Iwajima-san danach.

„Wir sind noch am Suchen“, antwortete Tsuzuku. „Mein Freund mag gern süße Kleider, vielleicht ein weißes, da schauen wir noch. Und ich möchte einen Anzug tragen, aber keinen gewöhnlichen, da muss ich auch noch das Passende finden.“

„Wir gehen hier in Kyoto nachher noch zusammen in die Einkaufsstraßen“, sagte ich dazu.
 

„In Ordnung, sie melden sich dann, wenn es in dem Punkt noch Fragen gibt? Haben Sie denn auch schon ein Hotel gefunden?“, fragte Iwajima-san.

Tsuzuku schüttelte den Kopf.

„Falls Sie hier in der Stadt für diesen besonderen Anlass nichts finden, und falls Ihnen ein traditionelles Hotel mit Tatami und Futon zusagt, haben wir direkt vom Tempel auch ein Angebot für Sie: Wir haben, da mit der Zeit immer mehr homosexuelle Paare zu uns gekommen sind und diese Paare dann in Kyoto kein Hotel für die Hochzeitsnacht gefunden haben, selbst ein schönes Machiya-Haus angemietet, in dem wir unsere Hochzeitspaare unterbringen können. Es liegt ein bisschen außerhalb, sodass Sie beide dort dann ganz in Ruhe Ihre Zweisamkeit genießen können, ohne dass sich jemand daran stören wird.“

Tsuzuku schien die Idee zu gefallen, er lächelte und sah Meto an, der lächelte zurück und Tsuzuku fiel kurz aus seiner selbstauferlegten Ordnung und flüsterte Meto etwas zu, das ich ebenfalls hören konnte, weil ich nah daneben saß: „Nostalgisches Liebemachen, wie die alten Samurai, was sagst du dazu, Baby?“

Und anscheinend gefiel Meto diese Idee ebenso gut, denn da schlich sich mit einem Mal ein breites, süßes Lächeln auf seine Lippen und er nickte.
 

Iwajima wandte sich nun direkt an mich: „Niigata-san, wir wäre es, wenn Sie die Rede für die Zeremonie schreiben? Sie kennen das Paar gut, sind ein enger Freund der beiden, da wäre das doch eine gute Idee, oder?“

Ich nickte und bejahte, mir war diese Idee auch schon gekommen. Ich war zwar mit dem Schreiben lange nicht so begabt wie Tsuzuku, aber für eine kleine Rede reichte es sicher, mir würde schon etwas Schönes einfallen.
 

Wir sprachen dann noch über den genauen Termin, bei dem sich aber insbesondere Tsuzuku noch nicht ganz sicher war. Er sprach es nicht direkt aus in Iwajima-sans Gegenwart, aber ich merkte, er dachte dabei an seine unvorhersehbaren Stimmungen und wollte vermeiden, dass die Hochzeit ausgerechnet in eine seiner Tiefphasen fiel.

Und so machten wir erst einmal nur einen vorläufigen Vorschlag fest, der sich dann auf Ende Mai bezog, wenn es warm und schön war und eben noch vor der Regenzeit im Juni. Iwajima-san sagte, das sei kein Problem, es sei jetzt ja jetzt erst Anfang April und wir müssten uns einfach rechtzeitig noch mal melden, sie würde unseren vorläufigen Termin auch im Blick behalten.
 

„Wollen Sie sich das Hotel einmal ansehen?“, fragte sie dann und suchte dann in der wohlsortierten Visitenkartenbox auf dem Tisch nach dem entsprechenden Kärtchen mit der Adresse und Wegbeschreibung zu besagtem Hotel, welches sie mir als dem freiwilligen „Hochzeitsplaner“ mit beiden Händen überreichte.

„Ja, gerne“, antwortete Tsuzuku, schneller als ich, während ich das Kärtchen in meinem eigenen Etui verstaute.

Er hatte ganz offenbar Gefallen an der Idee gefunden, seine Hochzeitsnacht mit Meto in einem traditionell-japanischen Hotel zu verbringen, statt dass er, wie er einmal zuvor zu mir gesagt hatte, sich ein heißes Love Hotel mit allen Raffinessen für diese besondere Nacht wünschte. Vielleicht fand er die Abwechslung toll, aber ich traute ihm auch zu, dass er die Hochzeitsnacht mit dem Mann seines Lebens doch lieber romantisch als allzu sexspielzeug-lastig zelebrieren wollte.

So viel Sex, wie die beiden sowieso schon miteinander hatten, und der war ja, soweit ich wusste, auch gerne mal etwas experimentierfreudiger, da war es sicher auch mal schön, richtig romantischen Blümchensex zu haben …
 

„Melden Sie sich dort einfach an der Rezeption mit der Anmerkung, dass sie hier beim Tempel waren und ein Zimmer für eine Hochzeitsnacht ansehen wollen. Unser Portier kennt sich da aus“, sagte Frau Iwajima.

Ich fragte mich einen Moment lang, was diese Frau persönlich wohl davon hielt, in ihrem Beruf gegen den Konservatismus unserer Regierung anzugehen und verliebten Männerpaaren zumindest eine Hochzeit auf religiöser Ebene zu ermöglichen. Sie ließ sich wenig anmerken, und in diesem Fall war ihre Professionalität durchaus angenehm, ich hatte das Gefühl, dass sowohl Tsuzuku, als auch Meto, sich in diesem Gespräch als ‚normal‘ angenommen fühlten.
 

Wir verabschiedeten uns dann und machten uns auf den Weg zu dem Hotel. Ich bemühte, da ich mich in Kyoto nicht wirklich auskannte, mal Google Maps Satellite, um die Gegend zu finden, wo wir hin mussten, laut Iwajima-san lag das Hotel weiter draußen, in einem nördlichen Randbezirk von Kyoto, wo wir eine Weile würden fahren müssen.

Wir nahmen dann wieder die Straßenbahn zum Bahnhof und wollten von da mit einer anderen Stadtbahn in den Norden der Stadt fahren. Auf diese Anschlussbahn mussten wir eine Weile warten und dieses Mal war ich mehr der Zuschauer, während Meto sich an Tsuzuku wandte und ihn fragte, ob jetzt wieder alles okay sei.

„Ja … geht wieder.“ Tsuzuku lächelte leicht. Es waren immer seine Augen, an denen ich annähernd lesen konnte, wie es ihm ging, und in diesem Moment war sein Blick relativ offen.

„Hast du schon mal in so einem alten Haus geschlafen?“, fragte Meto. „Ich noch nicht, aber ich stelle mir das schön vor, irgendwie romantisch …“

„Ich hab das auch noch nie gemacht“, sagte Tsuzuku. „Aber ich würde schon gerne mal …“
 

Wir saßen zu dritt auf einer Bank am Bahnhof und Ruana durfte wieder auf Tsuzukus Schoß sitzen, um Metos darunter streichelnde Hand zu verstecken. Diese Lösung des Problems, dass Tsu oft viel Berührung brauchte und das aber in der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft sonst schwierig war, fand ich wie so vieles zwischen den beiden richtig schön und süß, es schien Ruanas Aufgabe in der Beziehung zu sein, sie war ein Schutz, ein Trost-Teddy und zugleich auch ein bisschen wie das Kind der beiden.

Die Fahrt in Kyotos Norden verlief dann ruhig, wir redeten nicht viel, aber zumindest ich hatte das Gefühl, dass es auch wirklich ruhig war, dass Tsuzuku, wie er da zwischen Meto und mir saß, wieder soweit entspannt war, dass nicht viel passieren konnte.
 

Wir hatten Glück, fanden das Hotel recht bald, es war von außen gesehen ein ganz normales Machiya-Haus, wie es sie in Kyoto in großer Zahl gab, da früher fast die ganze Stadt aus diesen mit viel Holz gebauten Reihenhäusern bestanden hatte.

Als wir es betraten, sah ich, wie Tsuzuku sich interessiert umschaute, vielleicht dachte er an die Geschichte, die in diesem Haus stecken konnte. Ich schlug einmal kurz auf die kleine Tischklingel an der Rezeption und aus einem dahinter gelegenen Raum kam ein etwas älterer Herr im schlichten Anzug, der sich höflich lächelnd verbeugte und fragte: „Sie wünschen bitte?“

„Wir waren eben beim Tempel, es geht um eine Hochzeit“, sagte ich, machte wieder den Sprecher und Hochzeitsplaner.

„Ah, ja … Moment, Sie waren bei Iwajima-san, ist das richtig?“

Ich bejahte und stellte Tsu und Meto kurz vor. Der Portier kam hinter seinem Tresen heraus und begrüßte die beiden in aller Form. Meto ging, seiner wohlhabenden Herkunft entsprechend, ganz gekonnt darauf ein, wenn auch recht leise, während Tsuzuku, bis eben noch in irgendwelchen Gedanken zugange gewesen, mit der Etikette und Höflichkeit, die der Portier aussandte, ein wenig überfordert zu sein schien und, als er sich vorstellte und verbeugte, ein wenig unbeholfen wirkte.
 

„Wir haben fünf Zimmer, die sich alle sehr ähnlich sind. Sie befinden sich oben“, sagte der Portier und deutete auf eine hölzerne Treppe ins Obergeschoss. „Bitte, immer nach Ihnen, meine Herrschaften.“

Neben der Treppe befand sich der Abstellbereich für die Schuhe und nachdem wir unsere ausgezogen hatten, gingen wir die Treppe hinauf.

Oben führte ein langer Gang zwischen fünf Türen entlang, an denen Nummern angebracht waren, wie es sich für ein Hotel gehörte. Es gab die Zimmer Nummer Eins bis Drei und zwei Zimmer mit den Nummern fünf und sechs. Die Zahl Vier fehlte, wie es traditionell üblich war, da sich ja „vier“ als „shi“ in der Sprache eben wie „Tod“ anhören konnte und die Nummer deshalb aus Aberglauben in Hotels und anderen Einrichtungen oft fehlte. Das Zimmer trug also einfach die Nummer Fünf und die eigentliche Fünf war dann entsprechend eine Sechs.
 

Der Portier öffnete die Schiebetür des Zimmers Nummer Eins und führte uns hinein.

Die Tatamimatten machten dieses altmodische, leicht raschelnde Geräusch, als wir sie betraten und uns in dem Zimmer umsahen. Es war wie eine kleine Suite, hatte einen Wohnraum, einen Schlafraum und ein Bad mit einer Ofuro-Badewanne für zwei Personen, alles zwar nicht sehr groß oder luxuriös, aber schön und sehr sauber.

Ich sah, wie sich ein kleines Lächeln auf Tsuzukus Lippen schlich, als er die altmodische Badewanne sah, und so, wie ich ihn kannte, stellte er sich jetzt schon vor, mit Meto zusammen darin zu baden.

„Hast Recht, Baby, das hier ist wirklich romantisch“, sagte er und legte seinen Arm um Meto.

„Hab ich doch gesagt.“ Meto lächelte.

Tsuzuku beugte sich ein wenig vor und flüsterte etwas in Metos Ohr, was ich nicht verstand, diesen aber eindeutig erröten ließ. Ich konnte mir denken, was wieder in Tsu‘s Kopf abging, und ich warf einen Seitenblick auf den Portier, den ich so einschätzte, dass ihm das verliebte Geturtel zweier Männer doch sicher irgendwie unangenehm war. Aber der lächelte nur leicht, denn wahrscheinlich hatte er, wo dieses Hotel doch bevorzugt von heiratswilligen homosexuellen Paaren genutzt wurde, in seiner Arbeit hier genug mit solchen Pärchen zu tun.
 

„Wir nehmen genau dieses Zimmer“, verkündete Tsuzuku dann, nachdem wir uns auch das Schlafzimmer angeschaut hatten, und Meto nickte bestätigend.

„Für welchen Zeitraum soll ich es Ihnen denn reservieren?“, fragte der Portier.

„Irgendwann Ende Mai. Wir haben das genaue Datum noch nicht“, sagte ich.

„Kein Problem, wir haben nicht so sehr viele Gäste, ich kann Ihnen das Zimmer für die Zeit von einer ganzen Woche reservieren, den Tag bestimmen dann Sie. Falls Sie etwas daran ändern oder es ganz absagen wollen, melden Sie sich einfach rechtzeitig.“

Nachdem das nun auch geklärt war, geleitete uns der Portier noch zur Rezeption zurück, wo ich ihm meine Visitenkarte da ließ, dann zogen wir unsere Schuhe wieder an und verließen das Hotel, um uns um die nächste wichtige Sache zu kümmern: Das, was Tsu und Meto am hoffentlich schönsten Tag ihrer Beziehung an Outfits tragen würden.
 

Kyoto war zwar nicht wie Tokyo, aber bestimmt gab es auch hier Filialen von h.Naoto und Angelic Pretty, wo ich einfach mal davon ausging, dass ersteres Label Tsuzuku eher gefiel, und bei zweiterem wusste ich, dass Meto dort gut ein Kleid für sich finden konnte.

Und so fuhren wir wieder in Richtung Shoppingmeile und Innenstadt. Die Kyoto-Tickets, die wir am Bahnhof gekauft hatten, wurden heute gut genutzt, so konnten wir uns in der ganzen Stadt bewegen.

Während der Fahrt war ich mit meinem Handy zugange und suchte darin nach den Adressen der örtlichen Visual Kei Stores und Lolita-Boutiquen, wurde auch fündig und wusste bald, wo wir hin mussten.
 

Wir waren noch nicht an der von meinem Handy bestimmten Haltestelle angekommen, da sprach Tsuzuku mich leise an: „Koichi?“

„Hm? Was ist?“

„Es ist schon seltsam, oder? Je mehr wir vorbereiten und planen und es fest machen, dass Meto und ich heiraten werden … umso unwirklicher fühlt es sich an, und umso mehr bekomme ich irgendwie Angst …“ Tsu’s Blick fiel gedankenverloren ins Leere, als er das sagte, er war deutlich sichtbar in seine Innenwelt abgetaucht.

„Angst, dass du an dem Tag dann nicht gut drauf bist?“, fragte ich nach.

Tsuzuku zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht … Das sicher auch …“

Ich sah zu Meto, der auf der anderen Seite neben Tsu saß und zuhörte, während seine Finger an Ruanas Teddyohren herumspielten.

Und irgendwie hatte ich auf einmal das ganz ungute Gefühl, dass Tsuzukus Angst, wie auch der kleine Schmerzanfall vorhin vor dem Tempel, diese berüchtigte Hochzeitspanik war, die sich bei ihm gefährlicherweise mit seiner großen Angst vor dem Verlassenwerden zu mischen drohte.
 

Ich wusste nicht so recht, was ich sagen oder tun sollte. Wollte Tsu jetzt darüber sprechen, oder war es besser, das Thema zu lassen? Würde es seine Angst verschlimmern, wenn wir jetzt darüber redeten, und wusste er das? Manchmal war es echt nicht so einfach, zu unterscheiden, ob er in sich sicher war und wirklich reden konnte, oder ob sein Ansprechen eines für ihn gefährlichen Themas vielleicht nur der Anfang seines immer wieder hochkochenden Selbsthasses war.

Ich entschied mich dazu, ihn genau das zu fragen, ehrlich mit ihm zu sein und so vielleicht besser herauszufinden, wie er funktionierte.

„Tsu? Sag mal … denkst du, es ist gut, wenn wir jetzt darüber sprechen? Wäre es nicht besser, wenn wir nachher reden, mit mehr Ruhe? Weil … na ja, ich hab ein bisschen das Gefühl, dass du dir mit diesen Fragen und der Angst wieder selber wehtust, verstehst du?“

Er sah mich kurz an, blickte dann zu Boden. „Ja … Kann sein … Ich weiß es nicht, ich hab Angst, ich will uns ja nicht den Tag verderben … Aber … na ja … Ko, verstehst du, es fühlt sich gerade alles so unwirklich an, richtig unecht, als ob es gar nicht passiert … Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Gefühl irgendwas entscheiden kann.“
 

In dem Moment erklang die Ansage, dass die Straßenbahn die Haltestelle erreichte, an der wir aussteigen wollten.

„Kannst du noch durchhalten und dann Bescheid sagen, wenn es zu schlimm wird?“, flüsterte ich Tsuzuku zu, als wir ausstiegen, und er nickte.

Auf dem Weg in Richtung des großen Ladens für vornehmlich schwarzen Visual Kei, den ich per Handy gefunden hatte, ging Tsu zwischen Meto und mir, und in dieser Gegend des sonst so traditionellen und eher strengen Kyoto liefen dann doch so viele junge Leute mit bunt gefärbten Haaren und szenebezogenen Outfits herum, dass Tsuzuku sich traute, mit Meto Hand in Hand zu gehen.
 

Wir kamen dann doch zuerst an einer Boutique von Angelic Pretty vorbei, und so wurde es als erstes für Meto ernst, was sein Hochzeitskleid betraf. Der Laden strahlte schon von weitem das Flair von rosa Zuckerwatte aus, wie ein lebensgroßes Puppenhaus voller furchtbar niedlicher Kleider für menschliche Puppen.

„So, rein da, ihr beiden!“, forderte ich das zukünftige Hochzeitspaar auf, da stand Meto auch schon vor dem Schaufenster neben der Tür und bewunderte einen wahren Traum in Rosa, ein Kleid, das mit unzähligen Erdbeeren und Kirschen auf rosa Grund bedruckt war. Es sah ein wenig seltsam aus, wie dieser junge Mann von zwanzig Jahren in seinem heute eindeutig männlichen Aufzug und der kurzen, leuchtend blauen Punkfrisur mit strahlenden Augen dieses kitschrosasüße Kleid anschaute, aber so war Meto eben, er hatte viele Gesichter.
 

Tsuzuku schien weniger begeistert von der Aussicht, mindestens eine Stunde in diesem so extrem rosa-lastigen Laden zu verbringen, er zog skeptisch die Augenbrauen hoch und sah doch recht deplatziert aus.

„Oder willst du dir schon mal selber was suchen? Der andere Laden ist hier gleich in der Nähe, müsste irgendwo da hinten sein“, fragte ich ihn, auch weil mir eingefallen war, dass es ja angeblich Unglück brachte, wenn der Bräutigam das Kleid seiner ‚Braut‘ vor der Hochzeit sah.

Tsu sah mich einen Moment lang abwägend an, dann nickte er. „Ihr kommt aber nach, oder?“

„Ja, sicher. Ich traue Meto zu, dass er schnell ein schönes Kleid findet.“

Und so ging Tsuzuku schon mal zu dem VKei-Laden vor, während ich mit Meto zusammen die Lolita-Boutique betrat.
 

Ich war doch recht selten in diesen reinen Lolita-Läden, selbst wenn ich mit Mikan Shoppen war, ging sie lieber in Boutiquen mit gemischterem Sortiment, weil es dort etwas günstiger war. Lolita war eine teure Angelegenheit und der Stil hatte zudem so viele Regeln und teils auch ziemlich elitäre Vorstellungen von Stil und Schönheit.

Meto wusste das sicher auch, aber er schien sich darum nicht zu kümmern. Die neugierig-irritierten Blicke der perfekt im Sortiment ihres Ladens eingekleideten Verkäuferin ignorierte er gekonnt und ging zwischen den goldfarbenen Kleiderständern entlang, zielsicher nach einem rein weißen Kleid Ausschau haltend. Er wusste genau, was er wollte, und hielt sich gar nicht erst damit auf, Sachen anzuschauen, die nicht seinen heutigen Kriterien entsprachen. Weiß sollte das Kleid sein, und nicht zu kurz, bunte Prints auf weißem Grund schienen ebenfalls nicht seiner Vorstellung vom perfekten Hochzeitskleid zu entsprechen, und richtige Ärmel sollte das Kleid auch haben. Ich stand mehr oder weniger nur herum und sah ihm genau zu, wie er systematisch suchte und schließlich fündig wurde.
 

Mit diesem himmlisch süßen, breiten Meto-Lächeln kam er auf mich zu, mit einem Kleid in den Händen, das schon auf den ersten Blick einfach perfekt zu ihm passte. Es hatte breiten Gummizug am Rücken, war ganz rein weiß und mit Schleifen, Spitze und Rüschen zwar detailverliebt, aber nicht zu überladen geschmückt, hatte süße Puffärmel, und es ging ihm, als er es sich vor einem Spiegel an den Körper hielt, bis über die Knie.

Mir hätte es wahrscheinlich nicht gepasst, ich war mit meinen 1,78 Metern viel zu groß gewachsen für solche Kleider, aber Meto war ja ein ganzes Stück kleiner als ich, und an ihm sah es einfach toll aus. Mit einer passenden Perücke und dem richtigen Make-up würde er darin die perfekteste, süßeste ‚Braut‘ abgeben, die Kyoto je gesehen hatte.
 

„Komm, zieh es an“, forderte ich ihn lächelnd auf.

Sogleich war die Verkäuferin mit der obligatorischen Schutztüte in der Hand zur Stelle und zeigte Meto die Umkleidekabinen. Sie schien zwar immer noch ein wenig irritiert, verbarg das jedoch unter so viel Höflichkeit, dass es weder Meto noch mich störte.

Während er sich umzog, suchte ich nach einer schönen Perücke, damit er das Kleid auch im richtigen Modus präsentieren konnte, und ich fand eine, die seiner blauen, gelockten sehr ähnlich war, diese reichte ich ihm durch den Seitenspalt des Vorhangs hinein.

Als er dann nach einer ganzen Weile aus der Kabine kam, war ich, obwohl ich ihn ja von unserer Arbeit her schon in solchen Kleidern kannte, dennoch überrascht, wie wunderschön Meto in so einem Kleid aussehen konnte. Von dem verrückten Punk, der er zuvor noch gewesen war, zeugten nur noch sein großes Tattoo und die Piercings, ansonsten hatte er sich in eine strahlend schöne, süße Prinzessin verwandelt, die niedlich vor dem großen Spiegel posierte und dabei so richtig, richtig glücklich aussah.
 

„Wow!“, entfuhr es mir. „Junge, du bist wunderschön!“

„Dankeschön, Koichi.“ Metos Stimme klang ein wenig heiser und rau, das brach das Bild ein wenig auf, machte ihn aber in meinen Augen nur noch süßer.

„Tsuzuku wird das so was von lieben!“

„Meinst du?“

„Ja. Er ist zwar selber absolut kein so mädchenhafter Typ, aber er liebt es total, wenn du solche Kleider trägst.“

Meto lächelte, dann schlich sich ein zartes Rosa auf seine Wangen und er sagte leise: „Ja, das weiß ich schon … Und vor allem liebt er es, mich später aus so einem Kleid wieder auszupacken …“

„Ja, so ist er, der Gute …“, sagte ich.

Tsuzuku nahm in Sachen seiner amourösen Vorlieben ja selten ein Blatt vor den Mund, und seine Formulierung „Meto ist wie mein persönliches Geschenk, und ich packe gern Geschenke aus“ war mir von unserem letzten diesbezüglichen Männergespräch noch sehr präsent.
 

Meto schien heute einen mutigen Tag zu haben, denn er sprach die Verkäuferin von sich aus an, sagte, dass er das Kleid mitsamt einer passenden Haarschleife und der Perücke auf jeden Fall kaufen wollte, und nachdem er sich wieder umgezogen hatte, suchten wir noch nach einem schönen Paar Schuhe. Schließlich ging es ja nicht, dass Meto dieselben niedlichen Schuhe, die er bei der Arbeit trug, auch an seiner Hochzeit an hatte.

Er entschied sich für ein Paar weiße, flache Teaparty-Schuhe, High-Heels waren seine Sache nicht, und nach der Auswahl von passenden Spitzenkniestrümpfen und ein bisschen Perlenschmuck waren wir dann auch fertig und bezahlten alles.
 

Als wir die Boutique wieder verließen, sagte Meto, dass er in diesem Fall sehr froh war, reiche Eltern zu haben, die ihm solche teuren Sachen ermöglichten. Ich wusste, dass das Leben, das er so mit Tsuzuku zusammen führte, die Wohnung und das alles, zur Zeit noch zum größten Teil auf dem Vermögen von Metos Eltern aufgebaut war, und ich freute mich für die beiden, dass Herr und Frau Asakawa dieser Beziehung und dem Wunsch der beiden, zusammen zu leben, so offen und fördernd gegenüber standen. War ja auch nicht selbstverständlich.

„Wissen deine Eltern eigentlich schon, dass du Tsuzuku heiraten wirst?“, fragte ich.

„Nein, noch nicht. Ich hab noch nicht den passenden Moment gefunden“, sagte Meto, schien sich aber darüber keine größeren Sorgen zu machen.

Na ja, man brauchte eben wirklich einen guten Zeitpunkt, um seinen Eltern zu sagen, dass man heiraten wollte, und wenn der Auserwählte dann eben auch noch ein anderer Mann war, dann war es eben so, dass der richtige Zeitpunkt vielleicht noch wichtig war, auch wenn die Eltern die Beziehung unterstützten.
 

Wir waren gerade auf dem Weg in Richtung des Visual-Stores, zu dem ich Tsuzuku schon mal vorgehen lassen hatte, da klingelte mein Handy und ich sah, als ich ranging, seinen Namen auf dem Screen.

„Tsu, wir sind doch schon auf dem Weg zu dir“, sagte ich.

Er antwortete erst nicht, ich hörte ihn nur atmen und irgendwie klang das nicht gut, viel zu schnell und aufgeregt.

„Bist du noch in dem Laden?“, fragte ich.

„… Ja …!“ Schon dieses kleine Wort klang so, als sei er wegen irgendwas ziemlich aufgebracht.

„Wir sind gleich bei dir, okay?“

Er antwortete nicht, legte einfach auf.

„Was ist los?“, fragte Meto neben mir besorgt.

„Keine Ahnung … Tsu klang grad ziemlich genervt oder so …“
 

Wir beeilten uns, zu dem Laden hin zu kommen, der hatte zwei Stockwerke und während das Erdgeschoss augenscheinlich den eher femininen Klamotten vorbehalten war, wies ein pfeilförmiges Schild an der Treppe auf die männlicheren Styles im ersten Stock hin.

Wir gingen also die Treppe rauf und da sah ich Tsuzuku auch schon, er saß auf einem Sitzplatz bei den Umkleiden und neben ihm türmte sich ein riesiger Stapel mit Klamotten auf. Er sah müde und genervt aus, lehnte mit dem Oberkörper rückwärts an der Wand hinter sich und hatte seine Hand wieder auf seinem Herzen liegen.
 

Meto war sofort bei ihm. „Tsu, mein Herz, bist du okay?“

Tsuzuku schüttelte den Kopf. „Manchmal hasse ich Shoppen …“

„Wieso, was ist denn los?“, fragte ich.

„Ich weiß nicht … Ich finde nichts, kann mich nicht entscheiden …“ Er wies mit einer müden Handbewegung auf den Klamottenstapel neben sich. „Ich wollte nur einfach ein interessantes Outfit finden, das halt zu mir passt und so, aber irgendwie … ich glaube, ich bin mir gerade selbst abhandengekommen …“ Mit einem Mal sprang er auf, dann setzte er sich wieder, wirkte ziemlich unruhig. „Mist, verdammter!“

„Tsuzuku, wir kriegen das hin, okay?“, sagte ich. „Wir suchen jetzt zu dritt diesen Stapel durch und da ist ganz bestimmt was dabei.“

Aber er schien das gar nicht wirklich zu hören. Denn statt darauf einzugehen, wurde er wieder laut und sprang erneut auf. „Wisst ihr, vielleicht soll das auch alles gar nicht sein …! Vielleicht soll ich nicht heiraten, nicht glücklich sein, passt doch auch gar nicht zu mir … Ich bin doch kaputt, total gestört und krank, wozu sollte man mich heiraten?!“

Meto sah ihn reichlich entsetzt an. „Tsu …“
 

Ich sah, wie sich etwas weiter weg ein paar Leute zu uns umdrehten, aber ich sagte nichts. So ein ‚Sei still, die Leute gucken schon‘ würde Tsuzuku nur unnütz wehtun, und das wollte ich wirklich nicht.

„Tsuzuku, du weißt, dass ich dich will“, versuchte Meto, die Situation auf seine Weise in den Griff zu bekommen. „Das hatten wir doch letztens erst, und ich kann dir nur immer wieder sagen, dass ich dich mit allem will und liebe, was du bist. Ich hab zu deinem Antrag ‚Ja‘ gesagt, und dabei bleibe ich, weil du alles bist, was ich will.“

„Und was bin ich?! Was an mir ist bitteschön so toll?!“

Meto sagte nichts weiter dazu. Die Leute weiter hinten schauten immer noch zu uns rüber, und Meto sah es auch, und vielleicht tat er das, was er dann tat, genau deshalb: Er griff wortlos Tsuzukus Hand und zog ihn nah zu sich, der ließ sich überrascht mitziehen, und dann küsste Meto ihn, vor allen Leuten, mitten auf den Mund und absolut eindeutig.
 

„… Und das wird immer meine Antwort sein, Tsuzuku, das und nichts anderes, für den Rest meines Lebens, mein Herz“, hörte ich ihn sagen und sah, wie er liebevoll Tsu’s Gesicht in seinen Händen hielt und ihm in die Augen sah. „Auch, wenn es dir gerade Angst macht, dass wir heiraten werden, andererseits willst du es so sehr. Und diese andere, glückliche Seite von dir, die mich heiraten und für den Rest unseres Lebens das Bett mit mir teilen will, auf diese Seite hören wir jetzt, ja?“

Tsuzuku nickte nur, hatte Tränen in den Augen.
 

Meto ging zu dem Stapel Klamotten hinüber und begann, da ein wenig Ordnung hinein zu bringen, und Tsu stand einfach daneben und sah zu. Er schien zwar immer noch in sich unsicher zu sein, aber dafür vertraute er Meto offenbar so weit, dass er diesen seinen Anzug aussuchen ließ.

„Was für Schuhe willst du anziehen?“, fragte Meto und hatte dabei eine dunkle, lange Hose in der Hand, die halb nach VKei und halb nach einem eleganten, hübschen Anzug aussah. Sie war teils aus glänzend schwarzem Jersey-Samt und teils aus ebenso schwarzem Nadelstreifenstoff gefertigt und hatte ein paar Bänder und Schnallen dran.

„Weiß nicht, vielleicht die roten?“

Meto warf einen abschätzenden Blick auf die Hose und dann auf Tsu, dann nickte er. „Okay, dann die roten Schuhe mit dieser Hose?“

Tsuzukus Blick war zwar ein wenig skeptisch, es war sicher nicht einfach für ihn, gerade in diesem Moment der ‚Selbstbild-Blindheit‘ herauszufinden, ob ihm diese Hose für sein Hochzeitsoutfit wirklich gefiel, aber schließlich nickte er. „Ja, das kann ich mir vorstellen.“
 

So ging es dann noch ein wenig weiter, zu der Hose gab es dann eine passende Jacke und ein dunkles, leicht rüschenbesetztes Hemd, dazu noch ein bisschen silbernen Schmuck. Die Schuhe hatte Tsuzuku ja schon zu Hause, und auf diese dunkelroten Anzugschuhe hatten die beiden den Rest des Outfits jetzt fest abgestimmt.

„Du wirst so wunderschön aussehen, mein Herz“, sagte Meto, als wir den Laden mit vollen Einkaufstüten verließen.

Tsuzuku lächelte. „Du bestimmt auch, Baby.“

„Aber du darfst mich erst dann in dem Kleid sehen“, bemerkte Meto und wandte sich an mich: „Ko, du musst gut auf das Kleid aufpassen.“

„Na klar“, sagte ich und war einfach froh, dass die kleine Krise vorhin nicht schlimmer geworden war.
 

Eigentlich hatte ich im Stillen noch gehofft, wir würden nach dem Shoppen noch ein wenig Sightseeing machen, so ein kurzer Blick auf den Kinkakuji und ein kleiner Spaziergang im Geisha-Viertel Gion hätte mir schon gefallen, aber ich sah ein, dass Tsuzuku darauf jetzt keine Lust hatte und Meto auch ziemlich erschöpft war.

Aber wahrscheinlich würde sich das sowieso noch ergeben, wenn die beiden hier in Kyoto heirateten, dass ich dann meine Sightseeing-Tour mit Mikan machen konnte.

Wir machten uns dann auf den Rückweg, nahmen die Straßenbahn zum Hauptbahnhof, und von dort wenig später den Zug nach Hause. Am Bahnhof hatten Meto und ich uns je ein Bento gekauft und während der Fahrt wurde ich dann Zeuge, wie Tsu seinen Anteil davon abbekam, Meto ließ es sich trotz der Öffentlichkeit um uns herum nicht nehmen, seinen Schatz zu füttern. Es schien schon ein kleines Ritual zwischen den beiden zu sein, und vielleicht zeigte es ja bald Wirkung und Tsuzuku würde ein wenig zunehmen.
 

In unserer Stadt angekommen, begleitete ich die beiden noch nach Hause. Metos Kleid war gut in einer blickdichten Hülle verpackt. Und nachdem wir noch ein bisschen gesessen und geredet hatten und ich sicher war, dass es beiden nach diesem Tag gut ging, machte ich mich mit dem Kleid im Gepäck auf den Weg zurück in mein eigenes Zuhause. Ich würde gut darauf achtgeben, war ich doch sozusagen ‚Trauzeuge‘ dieser Beziehung und derjenige, der versuchte, von außen her auf ihrer beider Liebe aufzupassen.

Den Rest des Abends verbrachte ich vor dem Fernseher, das Kleid hing sicher in meinem Schrank und ich schaute wieder koreanische Liebesfilme an, weil ich einfach romantisch gestimmt war.

Irgendwann später schrieb ich noch mal mit Mikan, wir schickten Herzchen und Küsschen hin und her und sagten uns dann ‚Gute Nacht‘, ich ging dann auch gleich ins Bett.
 

Es dauerte eine Weile, bis ich einschlafen konnte, denn zuerst gingen mir von irgendwoher Tsuzukus Worte von seinem leichten Anfall im Klamottenladen noch mal durch den Kopf: ‚Und was bin ich?! Was an mir ist bitteschön so toll?!‘

Es machte mich traurig, dass er manchmal so blind für sich selbst zu sein schien. Er war so ein liebevoller, wunderbarer und nebenbei auch noch sehr attraktiver Mensch, aber es schien oft so, als könnte er das selbst gar nicht erkennen. Es war schon ein merkwürdiger Gedanke, dass gerade er, der sogar in meinen Hetero-Augen ein auffallend schöner Mann war, sich vielleicht manchmal kaum im Spiegel anschauen konnte, weil er sich so verzerrt wahrnahm, dass er entweder nichts sah oder sich vielleicht sogar hässlich fand.

„Ach Tsuzuku …“, sprach ich leise in die Dunkelheit und hoffte, dass er gerade glücklich in Metos Armen lag. „Was machen wir nur mit dir, hm?“
 

Ich drehte mich auf die andere Seite, zog meine Bettdecke hoch und war dann zum Glück bald eingeschlafen.

[Tsuzuku] Act 25

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[meto] Act 26

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 27

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Tsuzuku] Act 28

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[meto] Act 29

Ein paar Tage später nahm ich mir einen freien Tag, um meine Eltern mal wieder zu besuchen. Ich war ja eine Weile lang nicht dort gewesen und wollte Mama mal wieder sehen.

Tsuzuku musste an diesem Tag arbeiten, er sagte, dass er am Vormittag einen wichtigen Kunden hatte, den zu tätowieren wohl mit speziellen Komplikationen verbunden war. Ich hatte ihn gefragt, was genau an dem Kunden so kompliziert war, und Tsu hatte geantwortet, dass dieser Kunde möglicherweise an Borderline litt, sich ihm anvertraut hatte, und jetzt lag es meinem Freund verständlicherweise am Herzen, ihn zu beraten.
 

Also fuhr ich alleine in unsere Heimatstadt, und weil ich auf dem Weg zu meinem Elternhaus am Friedhof vorbei kam, machte ich dort einen Besuch am Grab von Tsuzukus Mama. Ich stellte die Blumenvase wieder auf, die der Wind umgeweht hatte, und leerte das Regenwasser aus der Opferschale, brachte alles in Ordnung.

„Hallo, Misayo“, sagte ich dann. „Ich bin heute mal allein hier, Tsuzuku arbeitet.“

Da ich sie ja nie gekannt hatte und auch immer noch nicht wusste, wie sie ausgesehen hatte, konnte ich sie mir auch nicht so vorstellen, wie Tsuzuku das durch seine Erinnerungen an sie konnte. Aber ich versuchte es, mir eine Frau von etwa Vierzig vorzustellen, die ihm ein wenig ähnlich sah.

„Misayo, ich weiß nicht, hat Tsuzuku dir schon erzählt, dass er und ich heiraten werden? Er hat mir einen Antrag gemacht und ich hab Ja gesagt. Ich hoffe, das ist okay für dich. Wäre ihm, und auch mir, sehr wichtig, wenn du uns irgendwie … deinen Segen dafür gibst …“

Da ich nicht wusste, was Misayo wirklich für ein Mensch gewesen war, und sie ja nun niemals mehr eine Antwort geben konnte, musste ich dann gehen, ohne zu wissen, ob wir ihn nun hatten, ihren Segen. Aber irgendwie glaubte ich, dass sie mit unseren Hochzeitsplänen einverstanden sein würde, wenn sie noch gelebt hätte.
 

Auf dem Weg zu meinem Elternhaus fühlte ich mich seltsam, irgendwie auf einmal ganz müde und erschöpft. Fast ein bisschen so, als hätte mich etwas über lange Zeit sehr viel Kraft gekostet, und ich bemerkte jetzt erst, dass es mich ausgelaugt hatte. Vielleicht brauchte ich mal einen längeren Urlaub?

Mich beschlich eine dunkle Ahnung, was der Grund für meine Erschöpfung sein könnte, doch der Gedanke daran machte mir solche Angst, dass ich ihn weit von mir schob. Nein, das durfte einfach nicht sein!
 

An der Tür meines Elternhauses musste ich klingeln, meinen Schlüssel hatte ich nicht mehr, und ich war überrascht, als mir Papa die Tür öffnete. Es war ungewöhnlich, dass er an einem Vormittag mitten in der Woche zu Hause war.

„Hallo … Papa“, sagte ich und zog meine Schuhe aus.

„Guten Morgen, Yuu.“ Papa war höflich und förmlich, wie immer. Nur, dass er statt meines vollen Vornamens Yuuhei jetzt die Kurzform benutzte, mit der mich auch Mama immer ansprach.

„Ist … Mum … auch … da?“, fragte ich, und fand es nach all der vielen Zeit mit Tsu und Koichi, wo ich ja völlig normal sprach, doch recht seltsam, dass ich jetzt wieder in dieses Stocken verfiel.

Papa brauchte nicht antworten, denn da kam Mama schon aus der Küche.

„Yuu! Schön, dich zu sehen!“ Sie umarmte mich. „Wie geht’s dir?“

„Ganz okay … bin nur … etwas müde …“

„Ich hab gerade frischen Kaffee gemacht, möchtest du einen?“

„Ja“, sagte ich, und atmete tief durch, als ich meinen Eltern in die Küche folgte.
 

Auf dem Küchentisch lagen eine Menge Papiere, und ich vermutete, dass sie Papa gehörten. Manchmal bat er Mama, wenn ein Fall auch ihr Fachgebiet mit betraf, einen Blick darauf zu werfen, dann brachte er die Unterlagen mit nach Hause. Vermutlich war er deshalb gerade da.

Gut für mich, so hatte ich meine Eltern beide beisammen, um ihnen von Tsuzukus und meinen Hochzeitsplänen zu erzählen. Ein bisschen hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass wir schon alles vorbereitet hatten und aber meine Eltern noch nichts davon wussten. Insbesondere bei Papa war ich mir nicht ganz sicher, was er dazu sagen würde.
 

„Mama? Papa?“, begann ich, als ich meinen Kaffee auf hatte und die beiden auf der anderen Seite des Tisches gemeinsam wieder in die Unterlagen schauten. „Ich muss mit euch … über was reden …“

„Was denn, Yuu? Was liegt dir auf der Seele?“, fragte Mama und klappte die Mappe, die sie gerade gelesen hatte, zu. Sie setzte sich neben mich und sah mich aufmerksam an.

„Also … na ja, dass das mit Tsuzuku und mir etwas sehr Ernstes, Festes ist, wisst ihr ja. Er braucht mich sehr und ist immer noch total verliebt in mich, und ich in ihn.“ Ich war ein bisschen stolz auf mich, als ich selbst bemerkte, dass ich kaum noch stockte und alles richtig herauskam. „Und er hat mir einen Heiratsantrag gemacht, schon vor einer Weile …“ Ich drehte etwas aufgeregt an dem silbernen Verlobungsring an meinem Finger herum und sah, dass Mama ihn bemerkt hatte. „Ich hab Ja gesagt. Ich will ihn nämlich auch heiraten.“
 

Mamas Reaktion war einfach toll. Genauso, wie man es sich wünschte.

„Yuu, Spatz, das ist ja wundervoll! Ich hab das gleich gesehen, Genki ist dein Mann fürs Leben, stimmt’s?“ Sie stand auf und umarmte mich.

Papas Reaktion war verhaltener. „Ihr wisst aber, dass ihr das nicht offiziell machen könnt? Laut Gesetz ist die Ehe nun mal nur für Mann und Frau bestimmt …“

„Das wissen wir“, antwortete ich. „Wir heiraten nur buddhistisch, in Kyoto gibt es einen Tempel, wo sie das machen.“

„Und? Habt ihr schon alles vorbereitet?“, fragte Mama.

„Ich hab schon ein Kleid, und Tsu einen Anzug. Und ein Hotel in Kyoto haben wir auch schon gefunden.“

„Und wie sieht das Kleid aus?“ Mama war ganz begeistert.

„Weiß“, sagte ich. „Ich hab es in Kyoto bei Angelic Pretty gekauft.“

Mama strahlte mich an, hatte sogar Tränen in den Augen. „Mein kleiner Junge … Erst findet er ganz heimlich seinen Mann fürs Leben, dann heiratet er ihn, und auch noch ganz in Weiß … Du bist so schnell erwachsen geworden …“

Ich sah sie nur an, wusste nicht recht, was ich dazu sagen sollte, dass sie so gerührt war.
 

„Wir sind aber auf jeden Fall zu deiner Hochzeit eingeladen, oder?“, fragte Mama dann.

„Das lassen wir uns nämlich nicht entgehen.“ Jetzt lächelte Papa auch. „Auch, wenn du niemals den geraden Weg gehst, Yuu, wir sind trotzdem sehr stolz auf dich. Als Eltern wünscht man sich natürlich, dass das eigene Kind erfolgreich ist, aber wir haben dich ja außerdem dazu erzogen, dass du selbst deinen Weg gehst und dir da auch von uns nicht reinreden lässt. Und das machst du sehr, sehr gut.“

„Klar seid ihr eingeladen!“ Jetzt hatte ich, von Papas Worten, auch Tränen in den Augen.
 

Ich hatte schon echt tolle Eltern. Allein, wenn ich mir ansah, dass Mama immer noch als Anwältin arbeitete und damit erfolgreich war … Sie hatte wieder zu arbeiten angefangen, als ich in der Mittelschule war, und das war schon ungewöhnlich in unserem Land, dass sie als Mutter einfach in ihren studierten, anspruchsvollen Beruf wieder eingestiegen war. Ich fand nicht, dass sie mich vernachlässigt hatte, sondern war stolz auf sie. Und jetzt sagte Papa, dass er und Mama ebenso stolz auf mich waren, weil ich mich in dem, was ich wollte und tat, auch nicht beirren ließ.
 

„Und wann ist der Termin?“, fragte Mama.

„Wir haben mehrere zur Auswahl und uns noch nicht entschieden. Aber es wird bald sein“, sagte ich und merkte, dass ich jetzt wirklich nicht mehr stotterte.

Und Mama bemerkte es auch. „Yuu! Merkst du, dass du ganz normal redest?“

„Ja … fällt mir selbst gerade auf …“

„Wie kommt das denn?“

„Ich weiß nicht … Seit ich mit Tsu zusammen wohne, fällt mir das Sprechen viel leichter. Vielleicht, weil ich mit ihm ja schon immer gut reden kann.“

„Du hast dich so sehr entwickelt, seit du mit ihm zusammen bist, das ist so schön.“

Ich dachte daran, dass Tsuzuku mich eben auch ganz schön forderte. Dass ich durch ihn, seine Art und auch zum Teil eben seine Krankheit, vieles lernen musste, um ihn gut zu unterstützen. Aber das sagte ich nicht. Ich wollte jetzt nicht von seiner Krankheit reden.
 

„Sollen wir den anderen Bescheid geben, dass du heiratest? Also, Oma und Opa, und so weiter? Oder willst du das selbst machen?“, fragte Mama.

„Wir wollen nur im ganz kleinen Kreis feiern. Nur ihr beide und Koichi und noch ein paar andere Freunde. Keine große Party …“, antwortete ich. „Wisst ihr … na ja, Tsuzuku würde sich unwohl fühlen, wenn meine ganze Familie angereist kommt, er hat da ein bisschen … Berührungsängste … versteht ihr? Er kennt so vornehme Gesellschaft nicht … Und ich will, dass unsere Hochzeit auch für ihn ein ganz und gar wunderbarer Tag wird, an dem er sich nicht minderwertig oder traurig fühlt.“

„Ja, das verstehen wir natürlich …“, sagte Mama.

„Du kannst Oma und Opa sagen, dass ich heirate und wen, und dass ich sie auch dabei haben würde, wenn wir nicht beschlossen hätten, nur im kleinen Kreis zu feiern“, erklärte ich. „Sie kennen Tsu ja nicht, sie wissen nicht, wie empfindlich er manchmal ist …“
 

Ich blieb bis zum Mittag bei meinen Eltern. Sie waren ziemlich beschäftigt, es schien sich tatsächlich um einen schwierigen Mandanten-Fall zu handeln, bei dem Papa Mamas Hilfe brauchte. Sie war auf einem anderen Gebiet spezialisiert als er und hatte auch eine andere Sicht auf die Dinge als er, das wusste er genau und bat sie deshalb, sich den Fall mit anzuschauen.

Während meine Eltern zwischen Küche und Büro hin und her liefen, oder in der Küche saßen und diesen Fall besprachen, saß ich dann im Wohnzimmer vor dem Fernseher und sah mir das an, was dort gerade lief.
 

Ein amerikanischer Naturfilm, der gerade fast vorbei war, eine Sportsendung mit Rückblicken auf ein Fußballspiel Japan gegen Senegal, und schließlich erwischte ich den Anfang eines romantischen Films aus Europa, der Koichi sicher sehr gefallen hätte.

Die Geschichte schien aber einigermaßen dramatisch zu sein, und irgendwie sah ich auch bald Parallelen zu Tsuzuku und mir, wenn die Frau im Film ihren Mann verzweifelt bat, sie niemals zu verlassen …

Ich drückte die „Beschreibungstext“-Taste auf der Fernbedienung, das war eine moderne Funktion unseres Fernsehers, die einem so etwas wie einen Klappentext zu jedem Film bereitstellte. Ich wollte den Titel des Films wissen, und tatsächlich hieß der Film in seiner französischen Originalfassung „Frontier du Sentiments“, was der japanische Titel mit „An der Grenze der Gefühle“ übersetzte. Und die Beschreibung klang auch danach: Eine Frau, die viele Beziehungen hatte, ehe sie den Mann kennen lernte, mit dem es einerseits so schön und einfacher war, aber zugleich spielten ihre Gefühle manchmal völlig verrückt und sie bekam wahnsinnige Angst …
 

„Es ist schon seltsam …“, dachte ich, „… wie oft es das doch gibt. Ich hab Tsuzuku, Tsuzuku kennt Hitomi, und heute hat er einen Kunden im Studio, der auch so leidet. Es sind doch ganz schön viele, die so was haben … so was wie Borderline …“

Es erschien mir ein bisschen wie eine Welt unter der Oberfläche, in der ich selbst mit meinem Anderssein auch lebte, während unser Heimatland Japan sich dem Rest der Welt ja gerne ebenmäßig, geordnet und stets lächelnd präsentierte.
 

Ich stellte den Film irgendwann aus, die Geschichte wurde mir zu traurig. Und wieder hatte ich dieses seltsame Gefühl von Kraftlosigkeit, als ob ich die letzte Nacht sehr schlecht geschlafen und außerdem in letzter Zeit zu viel gearbeitet hätte. Das hatte ich beides nicht, und wenn ich an die Arbeit selbst dachte, fühlte ich auch keine Ermüdung oder Unlust.

Doch … und das machte mir wirklich Angst, es fühlte sich so an, als ob ich mal alleine verreisen wollte. Ohne Tsuzuku. Ich musste an seine Angst denken, davor, dass er mir zu viel wurde, und fühlte mich augenblicklich furchtbar, weil ich so dachte, als ob ich eine Ruhepause ohne ihn brauchte.
 

Ich aß noch bei meinen Eltern zu Mittag und machte mich dann wieder auf den Heimweg. Durch die Stadt, am Park vorbei, wo gerade aber fast niemand war, zum Bahnhof, wo ich auf den Zug nach Hause wartete. Nach Hause … ja, so fühlte es sich jetzt auch an. Die große Stadt war jetzt meine Heimat, ich kam nur noch hier her, um meine Eltern oder Freunde zu besuchen.

Ich wusste nicht, ob MiA überhaupt noch hier wohnte oder vielleicht weggezogen war, aber das ging mich ja auch nichts mehr an.

MiA? Warum dachte ich jetzt wieder an ihn? Erst dieses Gefühl, als ob ich eine Pause von Tsuzuku brauchte, und dann ein Gedanke an MiA … Es hatte etwas Bedrohliches an sich.
 

Doch im Zug nach Hause, als ich mit Cage von Dir en grey auf den Ohren da saß und aus dem Fenster schaute, wie die Landschaft vorbeizog und in der Ferne sogar das Meer glänzte, da verschwand dieses seltsame Gefühl wieder, tauchte irgendwohin ab und ich freute mich wieder darauf, nach Hause zu kommen, Tsuzuku zu sehen, ihn in meine Arme zu nehmen …
 

Als ich nach Hause in unsere Wohnung kam, war Tsuzuku auch wieder da. Er lag angezogen auf dem Bett und zuerst dachte ich, ihm ging es vielleicht nicht gut, aber als er mich hereinkommen hörte, setzte er sich auf und lächelte, und ich sah, ihm schien es gut zu gehen.

Ich setzte mich zu ihm, ließ mich dann auf den Rücken sinken, und er griff meine Hand, hielt sie fest. So lagen wir eine Weile einfach Hand in Hand da, blickten beide hoch an die Decke, und dann sagte ich: „Ich hab Mama und Papa gesagt, dass wir heiraten werden.“

„Und?“ Tsuzuku sah mich an. „Wie haben sie reagiert?“

„Mama war total begeistert. Und Papa hat gesagt, er ist stolz auf mich.“

„Stolz?“

„Ja. Er meinte, er findet es gut, dass wir beide unseren eigenen Weg gehen, so wegen der Gesellschaft und so …“

„Hätte ich gar nicht gedacht, dass er so was sagt“, sagte Tsu.

„Ich hatte auch ein bisschen Angst. Papa war früher manchmal ziemlich streng … Aber seit er und Mama so wissen, dass ich nun mal so bin, ist er voll okay damit.“
 

„Hast du die beiden jetzt eingeladen?“

„Klar. Aber auch nur sie, nicht den Rest meiner Familie. Ich hab gesagt, wir heiraten im kleinen Kreis, ohne zu viel Drumherum …“

Tsuzuku atmete erleichtert aus. „Das find ich gut. Ich hatte … ehrlich gesagt ein bisschen Angst … dass deine Großeltern und Verwandten und so weiter alle kommen und so …“

„Nein, ich hab jetzt wirklich ausdrücklich nur meine Eltern eingeladen. Und ich hab ihnen auch gesagt, dass du da Ängste hast und es keine große Party werden soll.“

Er lächelte mich an. „Meto, du bist ein Schatz.“
 

Wieder lagen wir eine Weile stumm da, ich spürte Tsuzukus große, warme Hand, die meine etwas kleinere hielt, und rückte ein wenig näher zu ihm.

„Weißt du, Meto, woran ich heute irgendwie gedacht habe?“, fragte er.

„Was denn?“

„Daran, wie wir zuerst uns nur gegenseitig einen runter geholt haben, nachdem ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe. Du warst so verspannt und eng, dass ich nicht in dich eindringen konnte, und dennoch … hatte ich damals das Gefühl, den besten Sex meines Lebens zu haben.“

Ich musste ein wenig lachen, weil es so wirkte, als ob Tsu den halben Tag über Sex nachdachte.

„Meto, ich hab dieses Gefühl immer noch. Jedes Mal, wenn wir miteinander schlafen, ist das immer aufs Neue der beste Sex meines Lebens. Du weißt ja, ich hab früher, vor dir, schon viel Sex gehabt, und damals fand ich den auch schön, sonst hätte ich es wohl nicht so wild getrieben … Aber wenn ich so zurück schaue, dann war dieser viele Sex damals, mit den vielen wechselnden Mädchen und so, wirklich längst nicht so toll wie das jetzt mit dir.“
 

„Weil ich ein Mann bin?“, fragte ich leise.

„Vielleicht, manchmal denke ich das auch. Aber egal, warum es so ist, es ist definitiv so, dass dieser Sex mit dir so unglaublich viel erfüllender ist als alles davor. Erfüllender in … na ja, körperlicher, wörtlicher Hinsicht …“ er lachte kurz ob des kleinen Wortwitzes, „wenn du mich nimmst und mit deinem Samen füllst. Du kannst mit mir einfach Dinge tun, mir etwas geben, was Frauen nicht können, einfach weil du ein Mann bist. Aber ich glaube, das Wichtigste ist das Seelische. Diese verrückte, tiefe Verbundenheit zwischen uns, die von Anfang an einfach da ist, die ist so extrem, und es fühlt sich so an, als hätte die Tatsache, dass wir jetzt ein Paar sind und miteinander schlafen, das einfach nur noch mehr gesteigert. Manchmal denke ich wirklich, ich hab dich schon an unserem ersten Tag damals im Badehaus geliebt, als wir uns praktisch noch gar nicht kannten. Ich konnte das damals vielleicht nur nicht erkennen, ich war viel zu kaputt.“

Ich wandte mich Tsuzuku ganz zu, berührte seine Wange und küsste ihn. Diese tiefe, liebevolle, süße Art, wie er mir immer wieder sagte, dass er mich liebte und das mit uns das Wertvollste in seinem Leben war, rührte mich jedes Mal aufs Neue.
 

„Wie geht’s deinem Herzen?“, fragte ich dann.

„Ganz okay, tut nicht weh“, antwortete er.

„Was hat denn Dr. Ishida gestern gesagt?“

„Nicht viel, aber er hat mir Blut abgenommen und wollte dann anrufen, wenn das getestet ist.“

„Und schlecht war dir auch nicht, oder?“

Tsu schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht’s gut. Ich hab sogar ein bisschen Hunger.“

„Soll ich uns was kochen?“, fragte ich.

Tsuzuku lächelte, als hätte er eine schöne Idee, dann küsste er mich und sagte: „Wie wär’s, wenn wir zusammen kochen?“
 

Das hatten wir schon länger nicht mehr gemacht, aber wir hatten dennoch genug Zutaten da, sodass wir nicht noch einkaufen gehen mussten. Tsu stellte das Radio in der Küche an, da lief gerade uralter, amerikanischer Rock aus den 70er Jahren, und zu dieser Musik fingen wir an, uns ein einfaches, aber schönes Essen zu kochen. Ich hatte zwar bei meinen Eltern zu Mittag gegessen, aber Tsuzuku hatte wohl seit dem Frühstück nichts mehr gehabt, er schien ziemlich hungrig zu sein.
 

Wir hatten so viel Spaß beim Kochen, dass wir zuerst Tsu’s Handy nicht hörten, es klingelte ganz schön lange, ehe er ranging und kurz ins Wohnzimmer verschwand, während ich weiter Gemüse für unser Curry klein schnitt.

„Das war Dr. Ishida. Der Test hat nichts weiter ergeben, ich bin körperlich gesund“, sagte Tsu, als er wieder kam. „Die gehen da jetzt erst mal davon aus, dass meine Schmerzen und das Erbrechen psychische Ursachen haben.“

„Also musst du noch mal mit Dr. Niimura darüber reden, oder?“

„Werde ich auch tun.“

„Wann siehst du den wieder?“

„Morgen Nachmittag.“
 

Das Gemüse mit Currypulver anzubraten und dann in Sahne zu kochen, übernahm ich dann größtenteils alleine, während Tsuzuku sich darum kümmerte, die benutzten Kochutensilien abzuwaschen.

Und später beim Essen aß er dann mehr als ich, weil ich ja schon Mittag gehabt hatte und er wirklich hungrig war. Ich passte schon ein wenig auf, dass er sich nicht zu viel nahm, aber er wirkte so glücklich und gut drauf, dass ich mir keine allzu großen Sorgen machte.
 

Nach dem Essen fragte Tsuzuku einfach so: „Wollen wir mal wieder zusammen ausgehen? In ‘nen Club, ein bisschen tanzen?“

Ich wusste nicht, wie er da jetzt drauf kam, aber die Idee hörte sich gut an. Wir waren jetzt länger nicht mehr zum Tanzen ausgegangen, und ich bekam gleich Lust darauf.

„Mit vorher Schminken und alles?“, fragte ich.

„Wie du möchtest.“ Tsu legte seinen Arm um mich und gab mir einen Kuss. „Wir können ja mal nen Gayclub ausprobieren, wo du auch ohne ein süßes Kleidchen mit mir hingehen und tanzen kannst.“

„Kennst du denn einen?“

„Ich hab mal im Internet gesucht, und da hab ich einen kleinen Club entdeckt, der scheint ziemlich schön zu sein …“ Tsuzuku holte sein Handy aus der Hosentasche und suchte darin eine Internetseite heraus, die er mir dann zeigte. „Schau mal, das sieht doch echt gemütlich aus. Und irgendwo auf der Homepage steht auch, dass queere Paare dort sehr willkommen sind.“
 

Er hatte Recht, der Club schien den Fotos nach wirklich sehr schön zu sein. Zwar eher klein und wahrscheinlich ganz versteckt gelegen, aber die Einrichtung wirkte gemütlich, die Bar war nicht zu groß, und die Tanzfläche sah einladend aus.
 

Wir beschlossen dann tatsächlich, uns dieses Mal nicht besonders schick zu machen oder so, sondern so hinzugehen, wie wir waren, in normal schönen Klamotten und ohne viel Make-up. Wenn das echt so ein richtiger Gayclub war, wo wir uns nicht verstecken mussten, dann wollten wir das auch nicht tun.

Und ich hatte in letzter Zeit, weil ich ja zur Arbeit immer Kleid und Perücke trug, auch keine große Lust, in meiner Freizeit noch mal als ‚Mädchen‘ herumzulaufen. Meine männliche, schwule Seite wollte auch gelebt und gezeigt werden.
 

Also gingen wir an diesem Abend noch mal raus, um jetzt endlich in die queere Szene der Stadt tiefer einzutauchen. In unserer Heimatstadt hatte ich keine explizit ausgewiesenen, queeren Clubs gekannt, nur diesen bunt gemischten Club, in dem ich MiA damals kennen gelernt hatte …

„Ich war noch nie in ‘nem richtigen Schwulenclub“, sagte Tsu, als wir in der Bahn saßen. „Hoffentlich ist das nicht so einer, wo dich jemand Fremdes einfach angräbt …“

„Ich glaube nicht“, entgegnete ich. „Und selbst wenn, ich lass mich nicht einfach angraben.“ Ich sah Tsu an, er schien wieder seine Angst zu haben, und ich legte meine Hand auf sein Bein. „Du brauchst keine Angst haben, ich hab nur Augen für dich, mein Schatz.“
 

Der Club befand sich in der Gegend, die hinter dem Love Paradise die Straße runter lag, und wo es auch einen Laden mit Büchern zu queeren Themen im Schaufenster gab. Wir mussten eine ganze Weile suchen, bis wir die schmale, abseitig gelegene Tür fanden, die in den Club hinein führte, der in echt genauso gemütlich aussah wie auf den Fotos.

Tatsächlich entdeckten wir, dass sich der Laden mit den Büchern (wo Tsuzuku, wie er sagte, vor einiger Zeit schon einmal ein Buch gekauft hatte) direkt neben dem Clubraum befand, die beiden Räume schienen auch irgendwie zusammen zu gehören, zumindest gab es eine durchsichtige Verbindungstür.
 

Wir bestellten uns beide etwas zu trinken, ich hatte keine große Lust auf Alkohol und blieb bei einem Saftcocktail, während Tsuzuku sich einen Longdrink bestellte. Während wir darauf warteten, sahen wir uns ein wenig um, der Club war wirklich recht klein, bestand nur aus drei Sitzecken, der Bar und der Tanzfläche. Das Ambiente wirkte gemütlich und alles sah ein wenig nach ‚Geheimtipp‘ aus, die roten Plüschsessel waren bequem und die Musik eher ruhig.

Wir setzten uns in eine schöne Ecke, der Barkeeper brachte die Drinks und langsam kamen mehr Leute in den Club, ich erkannte zwei ganz verschiedene Männerpärchen, dann eine einzelne Frau, und noch zwei ganz junge Frauen, die offensichtlich ein Paar waren.
 

Die Musik wechselte, es wurde ein Lied mit etwas mehr Rhythmus gespielt, und ich vermutete, dass irgendwo im Dunklen ein DJ saß, der jetzt, wo mehr Leute hier waren, Musik auflegte, die zum Tanzen einlud.

Tsuzuku trank den Rest seines Drinks in einem letzten Zug leer, stellte sein Glas ab, stand auf und hielt mir ganz galant seine Hand hin. „Darf ich um diesen Tanz bitten, mein Liebster?“

„Sehr gerne“, lächelte ich und stand auf, ließ mich von ihm zur Tanzfläche führen.
 

Als wir die Tanzfläche betraten, kamen ziemlich bald andere Paare dazu, und ich bemerkte zwei junge Männer, die von ihrem Styling her uns beiden ähnelten, als zählten sie sich auch zum Visual Kei. Die beiden wirkten wie frisch verliebt, küssten sich immer wieder, schienen die freie, offen homosexuelle Atmosphäre in diesem Club vollauf zu genießen.

Mich animierte das dazu, dass ich, als das gerade laufende Lied eine etwas ruhigere Melodiestelle hatte, meine Arme um Tsuzukus Nacken legte und ihn liebevoll und innig küsste, dabei spürend, wie frei wir hier waren, niemand störte sich daran, dass ich als Mann meinen geliebten Mann küsste.

Tsuzuku erwiderte den Kuss nicht weniger zärtlich, drückte mich einmal fest an sich, ehe die Musik wieder schneller wurde und er meine Hand ergriff und mich ziemlich gekonnt herumwirbelte. Ich sah und hörte ihn lachen, spürte seine Kraft und Energie, und wie glücklich er gerade war, und das machte mein Herz wieder einmal ganz warm.
 

Nach dem ersten Lied waren wir beide erst mal ein bisschen geschafft, setzten uns wieder in die Sitzecke und ich trank meinen Saft aus.

Tsuzuku bestellte sich einen zweiten Drink, nahm dieses Mal jedoch einen ohne Alkohol, und dass er dazu zu mir sagte „Ich will ja den Abend mit dir genießen und mich nicht betrinken“, das freute mich doch sehr. Ich war tatsächlich immer froh, wenn er weniger Alkohol trank, da ich ihn früher so oft betrunken und dabei so todtraurig erlebt hatte …
 

Wir machten ein Lied lang Pause, dann gingen wir noch mal auf die Tanzfläche, dieses Mal lief so ein langsames Stück aus viel Klaviermusik, zu dem man schön Schmusetanzen konnte, und das nutzten wir. Nur dass Tsuzuku sich dieses Mal von mir umarmen ließ, sich an mich schmiegte und in mein Ohr flüsterte: „Führ du mich mal, mein Liebster.“

Ich hielt ihn also in meinen Armen, wir wiegten uns mehr zur Musik, als wirklich zu tanzen, und er legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab, ich hörte ihn nah an meinem Ohr leise das Lied mitsummen. Das klang beinahe ein wenig wie das tiefe, wohlige Schnurren einer Katze, und ich ließ meine Hände seinen Rücken hinauf wandern, um sanft seinen Nacken zu kraulen. Tsuzuku erwiderte das, indem er kleine Küsschen auf meinen Hals hauchte und mir ein leises „Ich liebe dich, Meto“ zuflüsterte, das so weich und lieb und hingegeben klang, dass mein Herz wilder klopfte.
 

Ich genoss es so sehr, hier zu sein, in diesem besonderen Club, wo ich überhaupt keine Angst haben musste. Und tatsächlich, auch wenn ich meine mädchenhafte Seite sonst sehr gern mochte, genoss ich es ebenso, einfach mal als offen erkennbar männliches Wesen mit meinem geliebten Mann zu tanzen, an einem Ort, an dem wir beide uns auf gewisse Weise zu Hause fühlen konnten.

Ich sah über Tsuzukus Schulter hin zu dem jungen Frauenpärchen, die mir vorhin schon aufgefallen waren, die beiden hatten sich ebenso wie wir eng umarmt und sahen so vertraut und glücklich aus, dass ich mich richtig für sie freute.
 

Ich dachte ein wenig nach, darüber, wie bewusst ich mir gerade meiner eigenen Homosexualität war, und wie sehr ich das auch mochte, so zu sein. Lange Zeit hatte es mir Angst gemacht, hatte dafür gesorgt, dass ich mich als Außenseiter empfand, nicht richtig sprechen und kaum Beziehungen eingehen konnte. Doch in diesem Moment war ich stolz und selbstbewusst darauf, schwul zu sein, eben auch weil ich den wunderbarsten Bald-Ehemann bei mir hatte, den ich mir nur vorstellen konnte.
 

Und auch, wenn ich ja längst um Tsuzukus Vorleben und Vergangenheit wusste, das schien rein gar nichts mehr mit dem Mann zu tun zu haben, der er jetzt war. Der Tsuzuku, der sich hier verliebt in meinen Armen zur Musik wiegte und mir immer wieder so zärtliche Küsschen gab, der mich so vollkommen und so abhängig liebte, für den ich Sonne und Mittelpunkt seiner Welt war … da war nichts mehr zu erkennen von einem, der sich in Beziehungen zu mehreren Frauen, wie er sagte, wie ein Vollidiot aufgeführt hatte. Ich glaubte daran, dass Menschen sich ändern konnten, denn das beste Beispiel dafür hielt ich hier in meinen Armen.
 

Dass er selbst nicht sicher war, ob er nun bisexuell, schwul oder irgendwas dazwischen war, störte mich nicht. Ich wusste, dass er mich liebte und begehrte, und dass er keine Augen mehr für andere mögliche Partner hatte. Er wollte mir absolut treu sein, und dafür war ich ihm dankbar.

„Ich liebe dich, Tsuzuku“, flüsterte ich ihm zu, „So sehr, zehnmal bis zum Mond und wieder zurück.“

„Nicht elfmal?“, fragte er.

„Wenn du willst, auch elfmal oder hundertmal“, antwortete ich und küsste ihn.

Er lächelte mich strahlend an. „Ich lieb dich tausendmal!“
 

Als die Musik wieder wechselte und noch mal etwas Schnelleres gespielt wurde, gingen wir dann wieder, machten uns auf den Heimweg.

Und auf dem Weg hielt Tsuzuku die ganze Zeit meine Hand. Ich war glücklich, schmuste mich sogar im Gehen ein wenig an seinen Arm, und er sah mich an und küsste mich.
 

Zu Hause angekommen, gingen wir dann aber bald schlafen. Tsuzuku sagte, dass er jetzt doch ziemlich müde wäre, und so hatten wir an diesem Abend auch keinen Sex. Wir legten uns nur einfach zusammen hin, er hinter mir, sein Arm auf meiner Seite.
 

Doch während Tsu dann wirklich bald eingeschlafen war, lag ich noch eine ganze Weile wach.

Ich spürte wieder diese merkwürdige Erschöpfung, dieses Gefühl, als ob mir alles irgendwie auf einmal zu viel wurde. Und wieder machte es mir Angst, weil etwas in mir ahnte, dass es die Beziehung mit Tsuzuku war, die für mich immer anstrengender und erschöpfender wurde. Das machte mich ziemlich fertig, denn ich wollte ihm niemals, auf gar keinen Fall, das Gefühl geben, dass er mir zur Last fiel.

Ich musste auf einmal an solche Leute denken, die anderen in komplizierten Beziehungen gern rieten, sich doch einfach von dem schwierigen Partner zu trennen. Dieses Wort ‚trennen‘ tat mir furchtbar weh, weil ich genau wusste, dass Tsuzuku eine Trennung von mir nicht überstehen würde.
 

Und außerdem: Ich spürte, dass ich ihn ebenso brauchte, wie er mich. Ich dachte an die Zeit am Anfang unserer Freundschaft früher, an das, was mich dazu bewogen hatte, mich so um Tsuzuku zu sorgen und für ihn da zu sein. Wenn er nicht gewesen wäre, vielleicht hätte mich dann meine damals latent vorhandene Depression und Einsamkeit ganz gekriegt, ich hätte mich für lange Zeit in meinem Zimmer eingeschlossen …
 

Ich brauchte Tsuzuku. Ich war ebenso abhängig von ihm, wie er von mir. Auch wenn ich, im Unterschied zu ihm, nicht diese große Verlassenheitsangst fühlte, so brauchte ich ihn dennoch sehr und die Vorstellung, ich könnte mit ihm überfordert sein, löste in mir eine ähnlich starke Angst aus.
 

Als ich die Tränen in meinen Augen spürte, und wie das Weinen in mir hochstieg, löste ich mich vorsichtig von seinem schlafenden Körper, schob seinen Arm weg von mir und brachte Abstand zwischen uns, einfach weil ich nicht wollte, dass er aufwachte und mich weinen sah.

Ich rückte von Tsuzuku weg, griff mir meine kleine Ruana und drückte sie fest an mich, vergrub mein Gesicht im Kopfkissen und weinte mich in den Schlaf.

[Tsuzuku] Act 30

Etwas stimmte nicht, als ich an diesem Tag aufwachte und die Augen öffnete. Mir war ein wenig kalt, und ich wunderte mich, wo Meto war, erinnerte ich mich doch, dass er, als ich am Abend eingeschlafen war, in meinen Armen gelegen hatte.
 

Langsam drehte ich mich auf den Rücken und hörte dann auch das Wasser in der Dusche rauschen. Anscheinend war Meto vor mir wach geworden, schon aufgestanden, und duschte jetzt.

Ich sah zu seiner Hälfte unseres Bettes und dort lag Ruana mitten auf dem Laken, so als hatte Meto sie nachts im Arm gehabt. Die Vorstellung dessen ließ mich lächeln, denn ich fand es immer noch himmlisch süß, dass mein Liebster trotz seiner erwachsenen zwanzig Jahre noch so eine Bindung zu seinem geliebten Teddymädchen hatte. Ich streckte die Hand aus und berührte die Kleine, streichelte ihr braunes, weiches Fell und dachte glücklich: „Wir brauchen auch gar keine Familie zu gründen, wir sind schon eine. Meto und ich, und Ruana ist wie unser Kind.“
 

Ich stand langsam auf und ging über den Flur ins Bad hinüber, wo immer noch das Wasser rauschte.

„Guten Morgen, mein Liebster“, begrüßte ich Meto und streckte mich dabei ausgiebig.

„Morgen, Tsu“, antwortete er und ich hörte gleich, er klang müde.

„Hast du nicht gut geschlafen?“, fragte ich daher.

Meto stellte das Wasser aus, nahm sich ein Handtuch und kam aus der Dusche, und ich sah, dass er dunkle Schatten unter den Augen hatte, die beinahe so aussahen, als hätte er die halbe Nacht geweint.

War irgendwas passiert? Etwas, das ich nicht mitbekommen hatte? Gestern Abend war doch alles gut gewesen, wir waren ausgegangen zum Tanzen, hatten einen wunderbaren Abend gehabt!
 

Ich sah ihn an, wusste nicht, ob ich nachfragen sollte oder nicht, und tat es dann doch: „Du siehst müde aus, Meto … Ist alles okay?“

„Ja, geht schon“, antwortete er, sah mich dabei aber nicht an, sondern begann einfach, sich abzutrocknen. „Ich hab nur schlecht geschlafen.“

Ich machte einen Schritt auf ihn zu und umarmte ihn, doch irgendwie schien ihn das kaum zu erreichen. Er ließ es zu, wirkte aber so seltsam teilnahmslos … Offenbar ging es ihm nicht gut, aber dass ich nicht wusste, was der Grund war, machte mich innerlich fast wahnsinnig. So sehr, dass ich mich dann nicht mehr traute, weiter nachzufragen … Denn was, wenn ihn irgendwas so verletzt hatte, dass es unsere Beziehung gefährden könnte?
 

Also ging es an diesem Morgen irgendwie mit der täglichen Routine weiter. Wir sprachen kaum miteinander, und ich versuchte mein Möglichstes, ruhig zu bleiben, nicht zu weinen oder auszurasten, auch wenn ich innerlich verrückt wurde vor Angst.

Während ich schnell duschte, machte Meto in der Küche unser Frühstück, doch das fiel heute recht klein aus, er schien auch, genau wie ich sonst, keinen Appetit zu haben. Er aß dennoch ein bisschen was, ich jedoch gar nichts.
 

Ich rauchte stattdessen zwei Zigaretten hintereinander weg und hoffte, dass er nichts dazu sagte. Als ich die dritte auspackte und anzünden wollte, zerschlug sich diese Hoffnung.

„Tsu, komm, lass das, zwei sind doch genug.“

„Kann dir doch egal sein“, entkam es mir, und ich bereute meinen Tonfall sofort. Meto ging es nicht gut und ich wurde patzig, wie gemein von mir!

„Ist mir aber nicht egal. Deine Ärzte sagen alle, du musst weniger rauchen, dein Herz macht das nicht mehr lange so mit!“

„Ich bin fünfundzwanzig, was soll denn da passieren?“

„Dass du so krank wirst wie deine Mutter?“

„Dann wäre das längst ausgebrochen“, sagte ich. „Und Ishida hat mich doch gerade untersucht, da ist nichts!“

Meto stand auf, kam zu mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Ich mach mir doch nur Sorgen um dich, mein Herz“, sprach er. „Bitte, versuch doch, ein bisschen weniger zu rauchen …“

Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, antwortete aber: „Anders kriege ich mich nicht ruhig, das weißt du …“

Metos Hände strichen meine Arme hinab, bis zu meinen Händen, wo ich immer noch die Zigarette und das Feuerzeug hielt. Sanft nahm er mir beides ab, steckte die noch neue Zigarette wieder in die Packung und legte das Feuerzeug daneben.
 

„Tsuzuku, es tut mir leid, dass wir heute wohl beide nicht gut drauf sind …“, sagte er dann und blieb dabei bei mir. „Ich hab einfach mies geschlafen, hatte Albträume und musste davon weinen …“

„Und warum hast du mich nicht geweckt?“

„Damit du auch noch ‘ne furchtbare Nacht hast? Nein, ich krieg das schon alleine hin.“

Ich musste gestehen, da hatte er irgendwo Recht. Ich machte es ja genauso, wenn ich nachts traurig war, ich weckte ihn dann auch nicht. Wollte ihn nicht immerzu mit meinem Schmerz belasten, an dem er ja auch kaum etwas ändern konnte. Und meine Angst, dass er irgendwann ging, weil ich ihm zu viel wurde, hing da auch noch mit dran.
 

Wir gingen dann zusammen aus dem Haus, liefen wie immer zu Fuß bis zur Bahnstation, und dort angekommen verabschiedeten wir uns, Meto umarmte mich und flüsterte mir ein „Ich lieb dich, Tsu, pass heute bitte gut auf dich auf“ zu.

„Du auch …“, antwortete ich, und irgendwie stiegen mir dabei Tränen in die Augen. Ein bedrohliches Gefühl kam in mir hoch, als ob irgendwas gerade ganz und gar nicht gut war, aber ich konnte es nicht greifen, wusste nicht, was es war.
 

Den Vormittag verbrachte ich also im Studio bei der Arbeit, doch allzu viel zu tun hatte ich nicht. Koyama war ja gestern da gewesen, wir hatten noch mal über sein Tattoo gesprochen und waren zu dem Schluss gekommen, dass er es statt am Arm jetzt besser auf dem Rücken haben wollte. Das Motiv blieb dasselbe, nur hatte ich ihn eben davon überzeugt, dass er sich professionelle Hilfe suchte. Er hatte mir erzählt, dass er meinem Tipp gefolgt und Dr. Niimura angerufen hatte, und tatsächlich hatte er dort einen Termin bekommen, worüber er sehr froh schien. Ich hatte ihm dann gesagt, dass ich Dr. Niimura als sehr hilfreichen Arzt empfand, und das schien Koyama auch ein wenig die Angst vor einer Behandlung zu nehmen.
 

Am frühen Nachmittag hatte ich dann selbst meinen Termin bei Dr. Niimura. Saß ihm gegenüber in seinem Büro und antwortete auf die Fragen, die er mir stellte, um mich noch besser kennen zu lernen und herauszufinden, wo genau ich Hilfe brauchte.

Irgendwie waren wir natürlich schnell beim Thema ‚Meto und ich‘ gelandet und da auch sehr bald bei meinem Sexleben, was mir dann aber doch ein wenig schwer fiel, mit einem Psychiater zu besprechen. Doch es war bedeutend einfacher, dieses komplizierte Thema mit ihm als Mann durchzusprechen, als es mit einer weiblichen Ärztin gewesen wäre, und Dr. Niimura wirkte auch bei diesem Thema vollkommen ruhig, sachlich und mitfühlend zugleich, behandelte es wie jedes andere Thema auch, was mir ein Gefühl von Sicherheit gab. Er sagte kein Wort dazu, dass es unnormal sein könnte, dass ich als Mann mit einem Mann schlief, sondern tat so, als sei dieses Detail vollkommen normal und nicht weiter der Rede wert.
 

Er fragte auch nicht danach, was genau Meto und ich zusammen taten, sondern mehr danach, wie ich mich dabei fühlte, und welche emotionalen Wünsche und Sehnsüchte ich hatte.

Seltsamerweise fiel es mir ihm gegenüber nicht so leicht wie bei Koichi, diese Wünsche in Worte zu fassen, aber schließlich hatte der Arzt mir so viel entlockt, dass er mir zurückmelden konnte, wie meine geschilderten Gefühle auf ihn wirkten.

„Aoba-san, ist Ihnen klar, dass dieser sehr starke Wunsch nach Verschmelzung, den Sie da beschreiben, mit einer instabilen Identität zu tun haben kann?“, fragte er.

Ich zuckte nur mit den Schultern. Irgendwo war mir das schon klar, ich hatte ja dieses Gefühl, nicht recht zu wissen, wer und wie ich war und was ich wollte, schon selbst bemerkt. Aber wie das in meine Beziehung zu Meto mit reinspielte und in meinen Wunsch, die Grenzen zwischen ihm und mir immer wieder weiter aufzulösen, hatte ich bisher noch nicht so recht gesehen.
 

„Wissen Sie, wer Sie sind?“, fragte Dr. Niimura weiter.

Die Frage gab mir zu denken. Wusste ich, wer ich war? Aoba Genki, Tsuzuku, ja, meinen Namen wusste ich. Und ich erkannte mich selbst ja auch im Spiegel wieder.

Aber … was war das eigentlich, Identität? Ich konnte mir unter diesem Wort kaum etwas vorstellen.

„Gut, andere Frage: Wissen Sie denn, wie Sie sind?“

Ich wusste zuerst keine Antwort. Nach ein paar Sekunden erst fiel mir meine Arbeit ein, das gute Gefühl, das ich mit dem Tätowieren verband. Meine Lust am Sex kam dazu, meine Vorlieben. Und der Grund, warum ich hier war, dass ich krank war und dass das Ding Borderline hieß. Sonst nichts.

„Ich bin krank, ich mag Schmerzen, ich kann keine drei Tage ohne Sex mit Meto, ich steh auf Tattoos und solches Zeug …“, zählte ich monoton auf und kam mir irgendwie ziemlich dumm vor.
 

„Mit welchem Geschlecht haben Sie denn eigentlich lieber Sex?“ fragte Dr. Niimura ganz direkt.

Ich zuckte wieder mit den Schultern. „Keine Ahnung … Früher war ich ja so ein bescheuerter Player … mit den vielen Mädels und so … hab aber auch mal nen Kerl geküsst … aber jetzt … ich weiß es nicht. Ich gucke eh nur noch Meto so an, ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, mit jemand anderem zu schlafen.“

„Lieben Sie Ihren Partner denn auch als den Mann, der er ist?“

„Ja, schon“, antwortete ich. „Ich liebe alles an ihm, er war ja vorher mein bester Freund, und … ja, ich steh schon auch wirklich auf seinen Körper, mag ihn richtig als Mann. Vielleicht bin ich irgendwie schwul geworden oder so, keine Ahnung … Aber ich will keinen anderen, mich reizt kein anderer Körper mehr als seiner, und außerdem will ich ihm treu sein.“
 

„Treue ist sehr gut, Aoba-san“, sagte der Arzt, lächelte ein wenig und sah mich dann ernst an: „Aber was mir ehrlich gesagt mehr Sorgen macht, ist dieser starke Verschmelzungsgedanke in Ihrer Beziehung. Ich weiß, Sie und Ihr Partner lieben einander sehr, Sie beide sind auch ein wirklich schönes Paar, aber worauf Sie unbedingt achten müssen, ist, dass Sie eben nicht miteinander verschmelzen, so groß der Wunsch danach auch sein mag.“

Diese Worte waren wie ein fieser Stich, versetzten mich in Angst. Augenblicklich begann mein Herz zu schmerzen, mir stiegen Tränen in die Augen und meine Hände begannen zu zittern.

„Aber … wie soll das gehen?“, brachte ich mit leiser, tränenerstickter Stimme heraus. „Wenn er nicht ganz nah bei mir ist … ich hab so Angst … dass er mich … dann allein lässt …“

„Sie sehen nur die Extreme, Aoba-san, das ist normal in Ihrer Lage, aber meine Aufgabe ist es, Ihnen zu zeigen, dass es auch ein Leben zwischen Schwarz und Weiß gibt. Ihr Partner wird Sie ganz bestimmt nicht verlassen, nur weil Sie beide nicht zu einem einzigen Herz in zwei Körpern verschmelzen können und das auch nicht tun sollten. Er liebt Sie sehr, das habe ich ganz deutlich gesehen, und Sie sehen das auch, wenn Sie mal weniger Angst haben.“
 

Ich wusste nicht, ob ich das sah. Vielleicht war ich schon wieder fast blind vor Angst und Selbsthass, denn ich konnte mich nur noch vage erinnern, dass ich mich ja auch oft genug sehr von Meto geliebt fühlte und dann keine Angst hatte.

So sehr ich auch versuchte, das Ganze von oben zu betrachten und alles so zu sehen, wie es wirklich war, es gelang mir in diesem Moment einfach nicht. Ich sah nur das „Ich will eins mit ihm sein, mehr Nähe als möglich ist, ganz verschmelzen“ einerseits und das „Er verlässt mich irgendwann, so was wie mich kann man nicht lieben“ auf der anderen Seite. Dazwischen sah ich nichts, da war nur eine völlig undefinierbare, diffuse Leere. Ich kippte innerlich hin und her zwischen den beiden Seiten, zwischen Sehnsucht und Angst, während ich fühlte, dass ich heftig weinte.
 

Dass ich schon wieder weit in meine Innenwelt abgedriftet war, bemerkte ich erst, als ich ziemlich erschrak, weil Dr. Niimura mich sanft, aber sehr bestimmt ansprach: „Aoba-san, hören Sie mir zu: Einatmen, ausatmen, beruhigen Sie sich, es ist nichts Schlimmes passiert.“ Er reichte mir die Box mit den Taschentüchern und lächelte freundlich. „Glauben Sie mir, es gibt ein Leben dazwischen, abseits der Extreme, die Sie gerade sehen. Und ich möchte Ihnen gern zeigen, wie so ein Leben aussehen kann. Sie sind ein intelligenter junger Mann, und Sie und ich, wir schaffen das schon zusammen, was meinen Sie?“

Ich nickte zitternd, schluchzte noch, versuchte aber, so ruhig zu atmen wie er sagte. Irgendwo wusste ich, dass er Recht hatte, aber es war einfach so furchtbar schwer, das wirklich zu erkennen.
 

„Es ist einfach so … ich brauche ihn, ich brauche Meto ganz nah bei mir … so sehr …! Wenn er nicht bei mir ist, wenn ich allein bin, dann … Ich verliere mich, verstehen Sie?! Diese Leere dann, und die Angst … dass er nicht … zu mir zurück kommt … und …“, schluchzte ich und konnte wieder kaum noch atmen, „… Dieses Loch in mir … da ist so ein tiefes, dunkles Loch … und ich hab keine Wahl, als immer wieder … diesen Wunsch zu haben, mit Meto komplett eins zu werden … weil dieser Wunsch, und dann in seinen Armen zu liegen, mit ihm zu schlafen und zu verschmelzen … das ist das einzige, was dieses Loch in mir geschlossen halten kann …“

„Ich verstehe …“, sagte Dr. Niimura und sah mich an, sehr besorgt, als sei das, was ich da erzählte, der heftigste Wahnsinn, und es tat ihm sichtlich leid, dass ich so litt. „Wissen Sie, Aoba-san, dieses große Leid, dieser Schmerz, den Ihnen dieses Loch bereitet, Sie sind damit nicht allein. Vielleicht hilft es Ihnen ein wenig, wenn Sie das zuordnen können? Wenn Sie wissen, dass genau das, dieses Loch und diese Angst, dass das Borderline ist, dass Sie nicht der Einzige sind, der so fühlt, und dass ich Ihnen dabei helfen kann, damit umzugehen, weil ich mich mit diesem Krankheitsbild gut auskenne?“
 

Ich zuckte nur mit den Schultern, wusste nicht, wie das gehen sollte. Womit sollte es möglich sein, dieses bodenlose Loch in mir zu füllen? Was sollte dafür besser passen als die Verschmelzung mit meinem Liebsten? Der Gedanke, irgendwelchen Abstand zwischen Meto und mir herzustellen, machte mir wahnsinnige Angst.

„Haben Sie ein bisschen Vertrauen, Aoba-san, es gibt immer einen Weg. Und Sie müssen keine Angst haben, ich werde Sie zu nichts zwingen, was Sie nicht wollen.“
 

Der Rest des Gespräches zog irgendwie an mir vorbei, blieb nicht hängen. Als ich wieder draußen vor der Klinik stand, konnte ich mich nur noch an mein Weinen erinnern, an das Sprechen darüber, dass ich mich ohne Meto jedes Mal so unsäglich leer und sinnlos fühlte …
 

„Tsuzuku!“, hörte ich hinter mir meinen Namen, drehte mich um und sah Hitomi auf mich zu kommen. „Hey, sieht man dich hier auch mal wieder?“

Sie blieb stehen, und erst dann schien sie zu sehen, dass es mir nicht gut ging, denn sie fragte: „Alles okay bei dir?“

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Magst du mit mir eine rauchen?“

Ich nickte, vielleicht war Rauchen jetzt eine gute Idee. Und so saßen wir dann zusammen in der Raucherecke und Hitomi erzählte ein bisschen, wie es ihr ging und dass sie ja bald entlassen werden würde.

„… bisschen Panik hab ich schon davor, wieder raus zu kommen und so. Ich bin’s nicht mehr gewöhnt, alleine klar zu kommen. Aber ich hab endlich ‘ne Wohnung, und ich kriege eine nette Frau an die Seite, die mich unterstützt. Die Wohnung ist sogar hier in der Gegend. Du wohnst ja auch hier irgendwo in dem Viertel, ne? Dann können wir uns vielleicht mal sehen?“

Ich nickte. „Ja, vielleicht …“
 

„Und dir geht’s heute nicht so gut?“, fragte Hitomi dann und sah mich aufmerksam an.

„Nicht wirklich, nein“, sagte ich. „Ich war eben bei Niimura, das war aber nicht so gut …“

„Hat er dir Druck gemacht oder so?“

„Nein, er ist voll okay, es lag nicht an ihm. Nur … bei Meto und mir gibt’s … na ja, eine Gefahr, sozusagen, und die macht mir ziemliche Angst …“

„Eine Gefahr?“ Hitomi klang besorgt, und ich dachte, sicher wusste sie, wovon ich sprach. „Aber eure Beziehung läuft doch gut, oder?“

„Ich will … immerzu bei ihm sein, ich halt‘s nicht aus, wenn er mal nen Abend nicht da ist. Und als ich mal über Nacht im Krankenhaus war, wegen meinem Herzen, da hatte ich in der Nacht so wahnsinnige Angst, ich dachte, ich sterbe vor Einsamkeit …“

„Oh …“, sagte Hitomi, „… das hört sich echt nicht gut an.“

„Dr. Niimura sagt, das ist genau das … also, Borderline …“ Dieses Mal tat das Wort wieder weh. Vielleicht aber auch nur, weil mir gerade einfach alles wehtat, meine Seele fühlte sich ganz wund an.

Hitomi nickte. „Kann gut sein. Ich kenn das ein bisschen auch, nur ist das bei mir noch wieder anders. Ich hatte das auch mal, aber ich hab den Mann dann verlassen, bin selbst gegangen, weil ich dieses ständige Hin und Her von Abhängigkeit und Wut nicht mehr ausgehalten habe. Aber das war auch nicht so eine Beziehung wie das mit deinem Freund und dir, so etwas extrem Enges, Schönes hatte ich ja nie.“
 

Ich fühlte mich eigenartig, so extrem dünnhäutig, als sei mir diese Schicht knapp über der Haut, der unsichtbare Schutzfilm der Gefühle, abhandengekommen. Hitomis Worte von ihrer eigenen Beziehungserfahrung machten mir Angst, obwohl ich wusste, dass es ihre Erfahrung und nicht meine war, ich fürchtete, komplett wahnsinnig zu werden, Meto weh zu tun, ihn selbst zu verlassen, irgendwann, wenn ich es nicht mehr ertrug, dass er mich allein lassen könnte …

Mein Herz stach, das Atmen fiel mir schwer, und ich drückte meine Zigarette aus, obwohl sie noch nicht aufgeraucht war. In mir war der Impuls, zu gehen, weg von Hitomi, auf einmal machte sie mir Angst. Ich sah mich in ihr, und zugleich war sie anders als ich, und das bekam ich nicht sortiert, sodass ich Angst hatte, so zu werden wie sie.
 

„Tsu, ich will dir keine Angst machen“, sagte sie auf einmal, vermutlich war mein Innenleben wieder viel zu offensichtlich.

In mir spannte sich alles an, mein Herz tat weh und kribbelte eigenartig, meine Hände zitterten, und irgendwo wusste ich, das hier war gar nicht gut …

„Ich geh mal wieder …“, sagte ich und musste auf einmal an Mama denken, an ihr Grab. Hatte plötzlich das starke Gefühl, dorthin zu müssen.

„Bis dann, Tsuzuku … und pass bitte auf dich auf, ja?“, sagte Hitomi, doch ich erwiderte nichts darauf, stand wortlos auf, drehte mich um und ging.
 

Auf dem Weg zum Bahnhof musste ich an Zuhause vorbei, überlegte einen Moment, einfach nach Hause zu gehen, aber der Gedanke, jetzt allein in unserer Wohnung zu sein, machte mir solche Angst, dass ich weiter ging.

In meinem Kopf schwirrte alles, ich bekam teilweise kaum mit, wo ich gerade war, lief einfach per ‚Autopilot‘ in Richtung Bahnhof, ohne recht zu merken, was ich tat.
 

Am Bahnhof angekommen, fuhr der Zug in die andere Stadt, meine Heimatstadt, gerade weg, also musste ich warten, und die Wartezeit machte mir solche Angst, dass ich in den erstbesten Laden am Bahnhof ging, einen Drogerieladen. Ich lief ziellos durch die Gänge, hörte seltsam schwirrende Geräusche, von denen ich mir nicht sicher war, ob sie wirklich da waren, und auf einmal stand ich, ohne recht zu wissen, wie ich da gelandet war, vor dem Regal mit den Rasierutensilien. Die in Folie verpackten Klingen zum Auswechseln schimmerten unwirklich im künstlichen Licht der Ladenbeleuchtung. Ein Blitz in meinem Kopf, dann ein heißkaltes Zittern, mein Herz raste.

Ich sah meiner Hand zu, wie sie in das Regal griff und ein Päckchen Klingen herausnahm. Sie hatten diese typische Form mit der Ausstanzung in der Mitte, und ich wusste, manche Leute trugen Imitationen dieser Klingen als Schmuck. Ich hatte solche Klingen bisher tatsächlich nur zum Rasieren gebraucht, für anderes hatte ich immer mein Messer gehabt. Aber das lag gerade zu Hause, irgendwo, wo Meto es vor mir versteckt hatte. Vielleicht trug er es auch bei sich, ich wusste es nicht.
 

Um meinen Klingenkauf ein klein wenig zu tarnen, nahm ich noch zwei Päckchen Zigaretten und ein Fläschchen dunklen Nagellack mit, die ich auf dem Kassenband dann so hinlegte, dass es ganz belanglos aussah. Und trotzdem fühlte ich mich eigenartig fremd und unsicher, als die Kassiererin die Sachen abrechnete und ich bezahlte.

Ich verließ den Laden, sah auf die Uhr, der Zug würde gleich kommen. Die Klingen und den anderen Kram verstaute ich in meiner Tasche. Als der Zug kam, stieg ich ein, suchte mir eine stille Ecke, machte mir die heftigste, schnellste, geschreilastigste Musik an, die ich auf dem Handy hatte, und dachte an Mamas Grab.
 

Das Wissen, dass ich Klingen bei mir trug, fühlte sich eigenartig an, irgendwie … gut? Es war nicht gut, sagte mein Verstand. Aber es fühlte sich gut an, sagte mein Gefühl.

Ich griff in meine Umhängetasche, tastete ohne hinzusehen darin herum, fühlte das Päckchen mit den Klingen darin unter meinen Fingern und spürte die kleinen Schauer durch meinen Körper rasen.

Ich schloss für einen Moment die Augen, doch dann riss ich sie wieder auf, weil das rasende, pechschwarze Chaos in mir sonst drohte, mich zu verschlingen …
 

Als ich im Bahnhof meiner Heimatstadt aus dem Zug stieg, musste ich die Musik ausmachen, denn ich hatte ein unheimliches, lautes Rauschen im Kopf, das jeden Klang von außen verzerrte und unerträglich machte. Ich schleppte mich wie fremdgesteuert zum Ausgang, von da aus durch die Straßen, in Richtung Altstadt.
 

Und dann stand ich da, an der Pforte zum Friedhof, mit schmerzendem Herzen und einer wie ein Buschfeuer um sich greifenden Dissoziation im Kopf. Ich sah dorthin, wo ich hergekommen sein musste, und konnte mich nicht erinnern, wie ich so schnell hier gelandet war, eben war ich doch noch im Zug gewesen ...! Mein Verstand wusste, vom Bahnhof bis hier her waren es etwa fünfzehn Minuten. Aber ich konnte mich an nichts von diesem Weg erinnern.
 

Ich öffnete die Pforte, sie quietschte leise und ließ mich erschaudern, und ich sah meinen Füßen in den roten Turnschuhen zu, wie sie unter mir den Weg zu Mamas Grab fanden. Meine Hand tastete in meiner Tasche nach dem Päckchen mit den Klingen …

Manche der Gräber sahen unordentlich aus, die Opfergaben lagen auf dem Boden und die eine oder andere Laterne war umgekippt.

Und als ich bei Mamas Grab angekommen war, lag auch bei ihr die kleine steinerne Laterne am Boden. Sofort kniete ich mich hin und stellte sie wieder auf, stellte das weiße Grablicht wieder hinein und suchte in meiner Hosentasche nach meinem Feuerzeug, um es wieder anzuzünden. Meine Hand zitterte und ich brauchte mehrere Versuche, bis das kleine Licht wieder brannte. Dass ich deshalb so lange brauchte, weil ich kaum etwas sah vor lauter Tränen, merkte ich erst einen Moment später.
 

„Mama …“, flüsterte ich weinend und wünschte mir so verzweifelt, wieder diesen leisen Hauch ihrer Präsenz zu spüren. „Mama … bist du da?“

Es dauerte eine Weile, bis ich sie wieder spürte, quälende Sekunden, in denen ich mich entsetzlich allein fühlte. Aber dann war sie da, ihre Hand geisterhaft und warm zugleich auf meiner Schulter.

„Genki“, hörte ich sie meinen Namen sagen. „Ich bin da.“

„Mama, warum bin ich so? Was hat mich so verrückt gemacht, so wahnsinnig und kaputt?!“, brachte ich heraus, sank leicht nach vorn und sah meine Tränen auf den grauen Sand fallen.

„Nichts. Und zugleich sicher vieles“, sagte sie und ich spürte, wie sie sich vor mich hinkniete, mich ansah. „Manches hast du vielleicht auch von mir …“

„Von dir?!“, fragte ich erschrocken.

Sie nickte. „Ich hab dir das nie gezeigt, denn so etwas zeigt eine Mutter ihrem Sohn nicht. Ich hab mir auch wehgetan, früher, als ich so alt war wie du jetzt. Du hast einige der Narben mal gesehen, da warst du noch klein, und ich habe dir gesagt, sie kämen von einer Operation wegen meines Herzens. Ich wollte nie, dass du davon weißt.“
 

Woher wusste ich das jetzt? Ich verstand nicht, wie dieses Wissen auf einmal in meinen Kopf kam. Aber es stimmte, ich hatte als kleiner Junge mal gesehen, wie sie in Unterwäsche aus dem Bad gekommen war und Narben auf der Brust gehabt hatte.

Aber woher konnte ich jetzt wissen, dass es wirklich keine Operationsnarben gewesen waren? Mama war tot, auch wenn ich mir jetzt vorstellte, sie zu hören. Sie konnte mir nichts mehr von sich sagen, und dennoch wusste ich es auf einmal, diese Narben damals kamen von ihr selbst, davon, dass sie sich auch selbst wehgetan hatte.
 

„Aber warum? Warum hast du das gemacht? Und warum hast du mir auch dann nichts davon gesagt, als du ganz sicher gemerkt hast, dass ich mir dasselbe antue?!“, wurde ich laut vor Entsetzen.

„Das tut nichts mehr zur Sache, mein Sohn, warum ich das getan habe. Und ich habe nie mit dir darüber gesprochen, weil ich große Angst hatte.“
 

Mir wurde alles zu viel. Der Schmerz aus dem Gespräch mit Dr. Niimura, die Angst wegen Hitomi, und das Wissen, dass meine Mama ebenso krank gewesen war wie ich, alles kam über mir zusammen und drückte mich so sehr nieder, dass ich Mamas Geist verzweifelt bat: „Darf ich mir wehtun, Mama? Ich halte das sonst nicht aus, mir wird einfach alles so sehr zu viel …!“

„Ich kann dich nicht mehr daran hindern“, hörte ich sie sagen, ganz leise. Und auf einmal schwand ihre Präsenz, so als zöge sie sich in ihr Grab zurück, damit sie mir nicht zusehen musste.
 

Schneller, als mein Verstand hinterherkam, griff ich in meine Tasche, ertastete das kleine Päckchen mit den Klingen und nahm sie heraus. Meine zitternden Finger rissen das Plastik auf, holten vorsichtig die erste, hauchdünne, silbrig glänzende Klinge aus der Verpackung. Ich zog den Ärmel links hoch, ein merkwürdiger Schwindel machte sich in mir breit und die neue und daher blitzscharfe Klinge traf auf meine Haut, erwischte den Heiligenschein der Madonna auf meinem Unterarm, einmal und noch einmal, bis ihr mein Blut über das dämonisierte Gesicht lief.

Es war mehr als nur ein, zwei Blutstropfen wie sonst, und irgendwie stimmte mich das nach einer Weile … zufrieden? Ich sah zu, wie es herausquoll und in vielen kleinen Tropfen meinen Arm hinab lief, und der Schmerz entspannte und löste mich, zugleich fühlte sich der Anblick meines eigenen Blutes angenehm aufregend an.

Irgendwann, als das Blut gerann und antrocknete, stand ich auf und ging einfach, fühlte mich seltsam fremd in mir, und die Entspannung wandelte sich in eine Art von innerer Leere, wie ich sie sehr lange nicht mehr gefühlt hatte.
 

Ich zog den Ärmel meines Shirts runter, als ich den Friedhof verließ, und ging dann wieder in Richtung Bahnhof, um den Zug nach Hause zu nehmen. Ich war ruhig, ganz ruhig, so geradezu unheimlich ruhig … Die Realität schien ein Schleier über meiner Welt zu sein, zog an mir vorbei wie die Stadt vor dem Zugfenster, schnell und langsam und leer. Ich war ruhig, weil ich leer war. In mir war nichts mehr, nicht mal mehr Schmerz.
 

Als der Zug hielt, bemerkte ich erst daran, das ich erwachte, dass ich mich zuvor während der Fahrt in einen eigenartigen Dämmerzustand begeben hatte, einen Zustand, den ich kannte, von der Zeit auf der Straße und auch den Zeiten davor.

Wie automatisch fand ich den Weg durch den Bahnhof, und als ich an der Verbindungsstation ankam, fuhr die Bahn nach Hause gerade ab. Egal, dachte ich leer, ich konnte auch ebenso gut laufen.

Und so ging ich zu Fuß durch die Stadt, irgendwo lang, alles egal, irgendein Weg würde mich schon irgendwie … nach Hause bringen. Mehr als ‚nach Hause‘ dachte ich nicht, und ich wusste auch nicht, ob ich wirklich nach Hause ‚wollte‘.
 

Erst als ich sah, dass Blut über meine Hand lief und zu Boden tropfte, spürte ich meinen Arm wieder, und langsam sickerte durch die betäubende Leere so etwas wie eine Realität dessen, was ich gerade getan hatte und tat. Ich hatte mich verletzt, mein Arm blutete. Doch statt Schrecken oder Schmerz zu fühlen, war da immer noch diese Ruhe in mir, auch als ich den Arm hob, den Ärmel zurück zog und bemerkte, dass der Stoff durch mein gerinnendes Blut an meiner Haut klebte. Ich blieb einfach stehen, schaute kurz auf meinen blutenden Arm, schob den Ärmel wieder darüber und ging weiter. Niemand sah mich an, niemand bemerkte das Blut.
 

Irgendwie fand ich den Weg, irgendwann stand ich in der Straße, die ich kannte, vor dem Haus, in dem die Wohnung war. Und erst, als der Türöffner summte und ich die Tür aufdrückte, fiel mir Meto wieder ein.

Meto …

Ich schien ihn zwischenzeitlich komplett vergessen zu haben … Die Leere hatte alles geschluckt, auch die Gedanken an ihn …

Und sobald ich jetzt an ihn dachte, bekam ich Angst. Mir fiel der Termin bei Dr. Niimura wieder ein, meine ganze Angst, verlassen zu werden, und es nahm mich vollkommen ein, ich war viel zu schwach für jeglichen Widerstand …
 

Ich schleppte mich langsam die Treppen hoch, ließ Nachbars Akko, die mir entgegen kam, wortlos links liegen, konnte sie nicht einmal ansehen. Und auf einmal bekam ich Angst, oben bei der Wohnung anzukommen, hatte Angst, Meto zu sehen …

Wieder tropfte Blut von meiner Hand, als ich nach meinem Schlüssel suchte, schließlich fand ich ihn, schloss auf und dachte nur: „Ich hab wohl ziemlich tief geschnitten.“
 

Meto saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher, es lief wieder ein Baseballspiel, das hörte und erkannte ich schon, als ich im Flur meine Schuhe auszog. Und er hatte mich hereinkommen gehört, begrüßte mich, nicht ahnend, was mit mir los war: „Da bist du ja wieder, Tsu!“

Um an Pflaster und Verbände ran zu kommen, musste ich am Wohnzimmer vorbei ins Bad, ich huschte an der offenen Wohnzimmertür vorbei und dachte schon, dass ich es sicher ins Bad geschafft hätte, da sah ich, als ich zurück schaute, dass ich eine schmale Spur aus kleinen, eindeutigen Blutstropfen im Flur hinterlassen hatte.
 

„Tsu?“, fragte Meto laut, als ich nicht antwortete. „Alles okay?“

Ich zog die Badezimmertür hinter mir zu, schloss ab und hörte von drinnen, wie Meto aufstand, und dann seinen erschrockenen Laut, als er das Blut sah. Sekunden später rüttelte er an der verschlossenen Tür.

„Tsuzuku!! Was hast du gemacht?!“

Ich hatte die Box mit dem Verbandszeug schon in der Hand, hatte vorgehabt, die Wunde einfach zu versorgen und dann irgendwie, ich wusste auch nicht, wie genau, weiter zu machen … Aber in diesem Moment, als Meto gegen die Badezimmertür hämmerte, an der Klinke rüttelte und schrie, dass ich aufmachen sollte, zerplatze etwas in mir, zerriss in tausend Fetzen …

„Geritzt hab ich mich!!“, schrie ich gegen die Tür. „Lass mich in Ruhe!!“

„Der ganze Flur ist voll Blut!“, schrie er zurück. „Verdammt, Tsuzuku, jetzt mach diese Tür auf!“

Mach ich nicht!, dachte ich nur. Das Zerplatzte in mir hatte meinem Selbstzerstörungsdrang Tür und Tor geöffnet und ich bekam nur noch am Rande mit, dass ich absolut nichts mehr unter Kontrolle hatte. Alles drehte sich wieder wie wahnsinnig in diesem verfluchten, tiefschwarzen Strudel, der mich zu zerreißen drohte und das auch gleich tun würde, denn ich wusste kaum mehr, was ich sagte und schrie.
 

„Geh weg!! Lass mich in Ruhe!!“, schrie ich wieder.

Zuerst kam keine Antwort, dann Metos Stimme, mühsam beherrscht: „Lass mich … wenigstens sehen, wie tief du geschnitten hast …“

„Nein!!!“ Meine Stimme klang vollkommen haltlos, wie im freien Fall. „Und das kann dir doch sowieso egal sein!“

„Egal?!“, wurde er wieder laut.

„Ja, egal!! Weil du mich nicht liebst, das geht nämlich nicht! Mich kann man nicht lieben! Irgendwann hast du garantiert genug von mir, also kann es dir doch auch jetzt schon egal sein, wie tief ich mich aufschneide!!“ Meine Hand griff nach dem leeren Seifenspender auf dem Waschbeckentisch, und ehe ich überhaupt begriff, was ich da tat, knallte es laut und der Spender zersprang an der Tür in tausend Scherben.
 

Einen Moment lang herrschte eine Totenstille. Ich stellte mir vor, wie Meto auf der anderen Seite der Tür erschrocken zurückwich, vielleicht kaum begriff, was ich getan hatte …

Ich hob eine der Scherben auf, hielt sie einen Moment lang in der Hand, dann fühlte ich sie an meinem Handgelenk, innen, und sah mein Blut …

„Tsuzuku!!! Verdammt, was war das??!“

„Ich mach mich kaputt!“

„Weißt du was, ich breche gleich die Tür auf, wenn du sie nicht von selbst auf machst!“

„Mir egal, dann bring du mich halt um.“ Meine Stimme brach beim letzten Wort. „Bevor ich es selbst tue …“ Das war nur noch ein leeres Flüstern …
 

Aber Meto brach die Tür nicht auf. Er schrie auch nicht weiter auf mich ein. Ich hörte nur seine Schritte, die sich entfernten. Und dann, irgendwann, die Wohnungstür, wie sie ins Schloss fiel.
 

Und ich wusste, er war weg.

Weg.
 

Mit zitternden, krampfenden Händen wischte ich die Scherben auf den Fliesen zusammen, dann drehte ich den Schlüssel um, öffnete die Tür.

„Meto?“ Meine Stimme klang so leise und ich hörte meine eigene Angst. „… Meto?! Wo bist du?!“

Ich sah meine Hände an, das Zusammenschieben der Scherben hatte winzige Schnitte auf meinen Handflächen hinterlassen, aus denen ganz kleine Blutstropfen quollen. Der Schnitt an meinem Handgelenk blutete stärker, aber die auf meinen Armen waren inzwischen getrocknet.

„METO?!“

Ich stand jetzt vor der Schlafzimmertür und sah, der Platz neben Metos Kopfkissen war leer, Ruana war weg. Und an der Garderobe neben mir fehlte seine große Handtasche.
 

Langsam sickerte der Gedanke, dass Meto wirklich gegangen war, in mein Bewusstsein. Er war weg, und er hatte Ruana mitgenommen. Er war nicht nur mal eben rausgegangen, um eine Runde um den Block zu laufen, sondern er war gegangen, … um länger … wegzubleiben …

Ich blickte zu Boden und sah mit einem Gefühl von Fremdheit zu, wie das Blut rot und warm von meiner Hand tropfte.
 

„Hat er mich jetzt … verlassen?“, hörte ich mich selbst leise, tonlos fragen, und beim Wort ‚verlassen‘ fühlte es sich an, als ob jemand mir von hinten ein glühendes Messer ins Herz stieß. Ich keuchte vor Schmerz, sah den Boden näher kommen, sank auf die Knie. Dass ich deshalb so verschwommen sah, weil mir heiße Tränen aus den Augen flossen, und darum so schwer Luft bekam, weil ich schwer schluchzend weinte, erreichte mich kaum.

Ich stand wie automatisch auf, ging zum Badezimmer zurück, wo noch die Scherben lagen, und nahm mir eine, fügte den Schnitten an meinem Arm einfach einen, zwei, drei neue hinzu. Dass ich die Madonna zerstörte und auch den Drachen beschädigte, war mir in diesem Moment so egal. Ich wusste, anders würde ich den wahnsinnigen Schmerz in mir nicht ertragen, diese gewaltige, entsetzlich schmerzende Leere, das Gefühl und Wissen, dass Meto, meine Sonne, mich verlassen hatte.
 

Warum schlug mein Herz eigentlich noch? Musste es jetzt nicht stehen bleiben? Was hatte es noch für einen Sinn, dass es weiter schlug, wenn der Mensch, der der Sinn meines Lebens war, mich soeben verlassen hatte?

Warum dachte ich noch an Leben, wenn mir doch immer klar gewesen war, dass ich ohne ihn nicht weiterleben wollte? Was war da noch in mir, dass ich nicht einfach tief genug schnitt?
 

Ich wusste nicht mehr, wie viel Zeit verging. Irgendwann saß ich nur noch weinend mit dem Rücken an der Wand, mein helles T-Shirt war voller Blut, ebenso meine Jeans, überall mein Blut …

Und auf einmal war jemand bei mir, ich erkannte Koichi. Wie er hereingekommen war, wusste ich nicht, aber er war da.

„Tsuzuku, oh Gott … was ist denn hier passiert, was hast du gemacht?!“ Er kniete über meinen Beinen, rüttelte mich, zwang mich, ihn anzusehen. „Ist das alles dein Blut?! Sag doch was, Tsu!“

Ich hörte nicht, was ich sagte, spürte nur, dass mir irgendwelche Worte über die Lippen kamen.
 

„Wo ist der Verbandskasten, verdammt nochmal!“

„… Badezimmer …“, antwortete ich tonlos.

Koichi sprang auf, ich hörte, wie die Scherben unter seinen Schuhen knirschten, er suchte im Bad nach dem Verbandskasten, fand ihn und war sofort wieder bei mir, kniete sich neben mich.

„Oh Gott, Tsuzuku …“, sagte er wieder, „… so viel Blut …!“

Er griff meinen verletzten Arm und begann, Pflaster und Wundstrips auf die Schnitte zu kleben und meinen Arm dann mit Mullbinden fest einzuwickeln. Auch meine Handflächen wickelte er sorgfältig ein, obwohl die winzigen Kratzer dort kaum noch bluteten.

„Kannst du aufstehen?“, fragte er dann und erhob sich.

Ich wollte tun, was er sagte, doch als ich aufstand, wurde mir furchtbar schwindlig und ich sank wieder zu Boden. Sofort war Koichi neben mir, packte meine Oberarme, zog mich hoch, stützte und hielt mich dabei.
 

„Komm, ich nehm dich mit zu mir. Mikan wartet unten, wir sind mit dem Auto da“, sagte er. „Ich packe dir ein paar Sachen ein und dann kannst du über Nacht bei mir bleiben.“

Er half mir ins Schlafzimmer, wo ich mich auf die Bettkante setzte und zusah, wie er ein paar meiner Klamotten aus dem Schrank nahm, dann ins Bad lief und meine nötigsten Waschsachen einpackte. Alle Sachen kamen in einen Stoffbeutel und dann half er mir, aufzustehen, und wir verließen die Wohnung.

Als die Tür hinter uns zuklappte und Koichi abschloss, wobei ich immer noch keine Ahnung hatte, woher er den Schlüssel hatte, da überkam es mich wieder, ich sank auf der ersten Treppenstufe weinend zusammen …
 

Koichi saß sofort neben mir, umarmte und hielt mich, sagte nichts, streichelte nur einfach meinen Rücken und machte leise „Shhh“, um mich zu beruhigen.

„Woher … wie bist du … überhaupt … hergekommen?“, fragte ich schluchzend.

„Meto stand vorhin bei mir vor der Tür. Er war völlig fertig und sagte, ich solle bitte sofort zu dir fahren, du seist total drüber. Er ist dann mit dem Zug zu seinen Eltern gefahren … Und er hat mir seinen Schlüssel da gelassen, damit ich zu dir rein kann.“

„Zu seinen Eltern …?“, fragte ich.

„Ja, zumindest sagte er das. Er war total … überfordert. Was ist denn bloß passiert zwischen euch?“

„Ich … weiß es nicht mehr …“, antwortete ich leer. Tatsächlich war alles, was passiert war, in meiner Erinnerung jetzt so zersplittert, dass ich nicht mehr zusammen bekam, wie es dazu gekommen war.
 

Koichi stand langsam auf, zog mich mit hoch, und führte mich langsam und vorsichtig die Treppen runter. Draußen stand ein kleines Auto, das ich noch nie gesehen hatte, aber ich sah Mikan am Steuer sitzen und nahm an, dass es ihr Auto war.

Koichi öffnete eine Tür, half mir beim Einsteigen und stieg dann auf der anderen Seite neben mir ein, legte seinen Arm um mich, sodass ich mich einfach an ihn lehnte.
 

Ich fühlte mich vollkommen leer, so als sei alles, was ich wusste und war, mit meinen Tränen weggeflossen. Mein Herz tat weh und meine Haut an Gesicht und Hals spannte vom Salz meiner Tränen …

Und als ich kurz an Meto dachte, tat mir das so weh, so wahnsinnig furchtbar weh, dass ich vor Schmerz kaum atmen konnte und meine Hand auf mein brennendes Herz presste.

Wieder umarmte Koichi mich, während Mikan vorne das Auto durch die Straßen und den anstrengenden Feierabendverkehr lenkte.

„Shhh, Tsuzuku, beruhige dich“, sprach mein bester Freund leise zu mir. „Es wird alles wieder gut …“

„Er ist weg …“, kam es mir stockend vor Weinen über die Lippen. „Meto ist weg, ich hab ihn … verloren, er … hat mich … verlassen …!“

„Er kommt wieder“, sagte Koichi. „Da bin ich mir ganz, ganz sicher.“
 

Ich glaubte ihm nicht, konnte ihm nicht glauben. In mir waren nur noch Schwärze und dieses Gefühl, dass meine Sonne mich verlassen hatte. Mir wurde innerlich furchtbar kalt, so kalt, dass ich zu zittern begann, und als Mikan das Auto vor dem Haus mit Koichis Wohnung darin hielt, musste Koichi mir beim Aussteigen helfen, weil ich einfach keine Kraft mehr im Körper hatte.

Er musste mir auch dabei helfen, die Treppen bis zu seiner Wohnung hoch zu kommen, und dort drinnen angekommen, verfrachtete er mich aufs Sofa, deckte mich mit einer Wolldecke zu und setzte sich neben mich, hielt mich wieder, während ich weiter weinte.

Mikan war nicht mit hoch gekommen, sondern gleich wieder weggefahren, und ich war froh darüber, weil ich ihr gegenüber nicht dieses Vertrauen wie zu Koichi hatte.
 

„Zeig mal deinen Arm her“, sagte er leise. „Ich will nur sehen, ob der Verband hält.“

Ich hielt ihm meinen linken Arm hin, und er sah sich den Verband an. Die kleine Spange, mit der er das Ende befestigt hatte, war ein wenig locker und er machte sie neu fest, dann sah er sich meine Handflächen an, wo die vielen, winzig kleinen Schnitte immer noch gerötet waren.

Er stand auf und sagte, dass er Salbe aus dem Bad holen wollte, und als er dann von dort wieder kam und sich wieder neben mich setzte, meine Hand nahm und die Schnitte eincremte, fühlte ich eine Welle aus Dankbarkeit für ihn.
 

„Versuch mal, ein bisschen zu schlafen“, sagte er dann.

„Ich … ich hab Angst, ich will nicht schlafen …“, widersprach ich.

„Versuch es, okay? Dein Körper ist auch völlig fertig, du zitterst total. Du brauchst Ruhe.“

Koichi griff in meine auf dem Boden stehende Tasche, suchte mein Schlafanzug-Oberteil und eine etwas längere Shorts raus, und legte mir beides hin. „Komm, zieh dich um und dann schläfst du hier, ich hole dir eben den Futon raus.“

Ich nickte und begann langsam, die Schlafsachen anzuziehen, während Koichi den großen Schrank aufmachte und den Futon herausholte. Er rollte ihn aus, ordnete das Bettzeug und machte mir mit einem Kissen vom Sofa und der Wolldecke noch dazu ein weiches Schlaflager.

„Schlaf ein bisschen, Tsuzuku“, sagte Koichi. „Ich bin drüben in meinem Zimmer. Und wenn was ist, kannst du mich gern wecken.“
 

Aber so sehr ich mich dann auch bemühte, einzuschlafen, es ging einfach nicht.

Allein zu liegen, einsam, ohne jemanden, meinen Liebsten, neben mir, ich hielt das kaum aus. Nachts brauchte ich das immer ganz besonders, ich konnte einfach nicht alleine schlafen. Ich brauchte Meto, der schlafend bei mir lag, und dass er jetzt nicht mehr da war … es zerriss mein Herz.

Er hatte mich verlassen …

Sowie ich daran dachte, schoss wiederum ein brennender Schmerz durch meinen Körper, und ich begann zu zittern und wieder zu weinen.

Es tat so unsäglich weh, dass ich einen Moment lang versucht war, alles Gefühl in mir komplett abzuschalten, um überhaupt irgendwie zu überleben. Doch es gelang mir nicht, stattdessen wurde mir kurz schwarz vor Augen und wachte kurz danach davon wieder auf, dass mein Herz sich anfühlte, als ob es immer wieder ein, zwei Schläge aussetzte.
 

Ich wusste nicht, ob es wirklich so war, oder sich nur so anfühlte, und tatsächlich war es mir dann auch egal. Wenn Meto nicht mehr bei mir war, wozu sollte ich dann, wenn mein Herz vor Schmerz und Trauer stehen blieb, noch etwas tun, um mich zu retten? Es fühlte sich doch alles so sinnlos an, warum also um mein Leben kämpfen?

Doch ich starb nicht. Ich blieb am Leben, so wenig Sinn es auch ergab. Lag hier und verzweifelte und schaffte es einfach nicht, zu sterben.
 

Etwas in mir suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Schmerz, und einen kurzen Moment lang fühlte ich so etwas wie Wut auf Meto, doch das machte mir sofort wahnsinnige Angst, sodass ich nur noch dachte und fühlte: Lieber bringe ich mich um, als dass ich Meto zu hassen anfange!

Aufstehen und Koichis Wohnung nach Schlafmittel oder einem Messer zu durchsuchen, wagte ich nicht, da ich wusste, wenn er mich dabei erwischte, würde er mich retten wollen.
 

Doch liegen bleiben konnte ich auch nicht. Und so beschloss mein letztes bisschen Lebenswillen, mich zu retten zu versuchen, ich erhob mich und ging zu Koichis Schlafzimmertür, öffnete sie leise und fragte: „Koichi? Schläfst du schon?“

Er antwortete nicht und ich hörte ihn leise und gleichmäßig atmen.

Und trotzdem ging ich hinein. Ich setzte mich einfach auf den Teppichboden vor seinem Bett, schlang meine Arme um meine Knie und blieb dort sitzen.

[Koichi] Act 31

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Was genau mich geweckt hatte, wusste ich erst nicht, aber als ich Licht machte, sah ich Tsuzuku auf dem Boden vor meinem Bett sitzen, er hatte die Knie angezogen, die Arme darum gelegt, und verbarg sein Gesicht zwischen seinen Armen. Er zitterte und schluchzte erstickt, vielleicht hatte mich das geweckt, und als ich Licht machte, sah er mich erschrocken an.

„Tsu, hey, was los?“, fragte ich und setzte mich auf.

Er antwortete erst nicht, dann, ganz leise: „Ich kann nicht schlafen …“ Seine Augen waren stark gerötet und erst jetzt sah ich, dass er den Verband abgerissen und die Krusten der Schnitte auf seinem Arm abgekratzt hatte, sodass sie wieder bluteten.
 

Ich sprang aus dem Bett, lief schnell rüber ins Bad und kramte in meinen Schränken nach Pflastern, fand sogar welche und kam damit zu ihm zurück.

„Setz dich auf mein Bett, und zeig deinen Arm her“, forderte ich ihn auf, er tat es ohne Widerworte, und ich setzte mich neben ihn, begann, die Schnitte erneut mit den Pflastern abzudecken.

Er sah mir mit leerem Blick dabei zu, teilnahmslos, als gehörte sein eigener Arm nicht wirklich zu ihm. Ich mochte ihn jetzt nicht ins Wohnzimmer zurück schicken, weil ich genau wusste, dass er, sobald er allein war, die Pflaster abreißen und die Wunden wiederum aufkratzen würde.
 

Und so bot ich ihm, nachdem ich seinen Arm versorgt hatte, an, bei mir zu bleiben: „Tsu, komm, du kannst bei mir im Bett schlafen.“ Einfach nur, um ihn in Sicherheit zu wissen, damit er sich nicht noch mehr antat.

„Wirklich?“, fragte er ungläubig.

„Ja, komm, leg dich hin.“

Er legte sich neben mich, ich tat es ihm gleich und legte meinen Arm um ihn, damit er sich ganz sicher fühlte. Nur schien ihn das so sehr zu berühren, dass er wieder ganz furchtbar zu weinen anfing. Es schüttelte ihn regelrecht, er bebte und zitterte vor Weinen, und alles, was er an Worten herausbrachte, war: „Er ist weg … Meto ist weg … ich halte das nicht aus …! Ich will nicht mehr … Darf ich sterben …? Bitte, ich … ich kann nicht mehr …!“
 

Es tat mir sehr weh, ihn so zu sehen, aber ich weinte nicht mit. Es war zu wichtig, dass ich jetzt ruhig und stark wirkte, ihn halten konnte. „Meto ist nicht weg. Er ist nur bei seinen Eltern, und danach wird er ganz bestimmt zu dir zurückkommen. Verstehst du, Tsuzuku, es war alles so viel in letzter Zeit, für euch beide, und da braucht er einfach mal eine Auszeit. Er liebt dich, er wird dich nicht verlassen, hörst du?“

„Ich … ich bin ihm zu viel …! Er hält mich nicht mehr aus! Aber … ohne ihn … bin ich nichts, ohne ihn gibt’s mich gar nicht! Ich ergebe so einfach überhaupt keinen Sinn …“

„Tsuzuku, hör mir zu: Meto wird zu dir zurückkommen. Er hat dich nicht verlassen! Ich weiß, das ist jetzt sehr schwer für dich zu erkennen, aber es ist so. Er liebt dich, er ist bald wieder bei dir, und dann werdet ihr heiraten. Da bin ich mir ganz, ganz sicher!“
 

Aber meine Worte schienen ihn kaum zu erreichen. Er kam von dem Gefühl, endgültig verlassen worden zu sein, einfach nicht weg, das war mir ganz deutlich. Und dieses Gefühl zog ihm mehr als offensichtlich den Boden unter den Füßen komplett weg, er war im freien Fall. Ich wusste kaum mehr, wie ich ihn halten sollte, und fing innerlich schon an, mich zu fragen, ob ich ihn nicht doch einfach in die Klinik bringen sollte.

„Koichi … ich … ich mag nicht mehr … Ich kann nicht mehr …“, brachte er leise heraus. „Ich mag sterben, einfach einschlafen …“

Ich hatte Tsuzuku bisher nie so akut suizidal erlebt, wusste nicht, wie ich damit richtig umgehen sollte. Ich konnte ihn nur umarmen, und versuchen, ihm ein bisschen Halt zu geben.

„Tsu, ich bin doch auch noch da. Und ich wäre ganz, ganz furchtbar traurig, wenn du stirbst! Ich brauch dich noch, und Meto auch!“
 

Und auf einmal sah er mich an, ein winziges Lächeln huschte über seine Lippen, er kam näher, drückte seinen Körper nah an meinen. Mir entfuhr ein überraschter Laut, ich verstand seine Reaktion nicht, und mit einem Mal war er so nah, ich sah die Tränen an seinen Wimpern, fühlte seinen Atem, und dann, ganz unwirklich und eigenartig, seine Lippen auf meinen. Mein Körper wurde heiß und starr, eine Sekunde, zwei Sekunden, dann bekam ich die Situation wieder zu fassen und mir entkam ein halb gekeuchtes: „Tsu …?! Was machst du denn?!“
 

Er wich zurück, schien von sich selbst erschrocken zu sein, von seinem eigenen Fühlen und Verhalten. Zuerst sah er mich nur an, schien selbst kaum zu begreifen, was er da gerade getan hatte.

„Ich … brauche das … ich kann nicht ohne. Ich hab dieses Loch in mir, dieses unendlich tiefe, schwarze Loch, das mich jedes Mal zerreißt, wenn ich allein bin … Diese Leere, verstehst du?“ Zuerst sprach er beinahe ruhig, wirkte wie losgelöst von sich selbst, fast so als ob er über jemand anderes sprach.

Doch dann schien ihm mit einem Schlag klar zu werden, was er soeben getan hatte und im Begriff war zu tun, und das zusammen mit dem Gefühl, verlassen worden zu sein, ließ ihn vollkommen eskalieren: Er fing wieder an, sich wie verrückt zu kratzen, zitterte dabei und drehte sich mit einem Ruck weg von mir, dabei stieß er mit dem Kopf versehentlich gegen das Kopfende meines Bettes. Doch statt dass er davon zurückwich, knallte er mit dem Kopf ein zweites Mal dagegen, diesmal erkennbar absichtlich. Ich bekam gerade noch so mein Kopfkissen dazwischen, doch das zerrte er weg, sodass ich zu meinem letzten Mittel griff und ihn mit all meiner Kraft festhielt.
 

„Tsuzuku!! Hör auf, du machst dich noch ganz kaputt!!“, wurde ich laut vor Hilflosigkeit.

Er sah mich an, in seinen Augen glühte ein fürchterlicher Schmerz, und er schrie mich an: „Macht doch nichts! Macht nichts, wenn ich mich selbst erschlage!!“

„Tsu, noch mal: Meto kommt wieder, hörst du? Und er wird traurig sein, wenn du dir wehgetan hast. Und dir selbst wird es auch leidtun, ganz bestimmt!“

„Er kommt nicht wieder!!“, schrie er mich an. „Er hat mich verlassen, und ich hab‘s verdient!! Lass mich sterben, Koichi, da haben wir alle was von!“
 

Ich musste mir eingestehen, dass ich mit dieser Situation so ziemlich überfordert war, und das Einzige, was mir als Ausweg oder Lösung sinnvoll erschien, war die Klinik. Alleine konnte ich das hier nicht halten oder lösen.

Ich stand auf, ging ins Wohnzimmer, wo der Beutel mit Tsuzukus Sachen stand, und begann, alles, was er am Abend heraus genommen hatte, wieder einzupacken. Dabei fand ich seinen Geldbeutel mit seiner Krankenkassenkarte und dabei einen kleinen Zettel, auf dem drei Punkte notiert waren: Borderline, Bulimie, und der klinische Name seiner möglicherweise beginnenden Herzkrankheit.

„Koichi …“, hörte ich Tsuzukus kraftlose, verzweifelte Stimme aus meinem Schlafzimmer. „Wo bist du?“

„Ich bin im Wohnzimmer“, sagte ich. „Ich packe deine Sachen, und dann fahren wir in die Klinik.“
 

Ich hörte, wie er aufsprang und über den Flur lief, und dann stand er vor mir, völlig verheult und haltlos. „Nicht in die Klinik … bitte …!“

„Tsuzuku, du brauchst wirklich Hilfe. Du bist im freien Fall, und ich weiß nicht, was ich jetzt für dich tun kann. Und wenn du so sehr drüber nachdenkst, dass du nicht mehr leben willst, dann ist es meine Pflicht als dein Freund, dich in die Klinik zu bringen, verstehst du das?“

„Du weißt ganz genau, dass ich nicht in die Klinik will!“

„Ich gehe auch mit rein und bin bei allem dabei, wenn du das willst. Ich lass dich nicht allein, und ich schiebe dich auch nicht ab. Nur … ich bin wirklich kein Experte, wenn es um deine Krankheit geht. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn du dir wehtust. Und deshalb fahren wir jetzt zur Klinik und du bleibst wenigstens eine Nacht lang dort.“

Er sagte nichts darauf, vielleicht sah er jetzt ein, dass es in diesem Moment keinen anderen Weg gab. Und so zog er sich einfach an, ich mich ebenso, und wir gingen wenig später zusammen los, nahmen die nächtliche Bahn in Richtung der psychiatrischen Klinik.
 

Auf dem Weg schien Tsuzuku sich ganz und gar in sich selbst zurück zu ziehen, er versank geradezu, sein Blick war leer und teilnahmslos. Ich griff seine Hand, wollte ihn einfach spüren lassen, dass ich da war, doch er zog sie weg, sah mich stumm und todtraurig an. Und ich fragte mich, wie es wohl für Meto damals gewesen sein musste, als er Tsu gerade erst neu gekannt hatte und dieser obdachlos und wohl ebenso suizidal wie jetzt gewesen war.

Als wir bei der Klinik ausstiegen, griff ich wiederum nach seiner Hand, und dieses Mal ließ er es zu.

Wir klingelten an der mit „Notfall und Nachtdienst“ beschrifteten Klingel bei der Eingangstür und mussten eine ganze Weile warten, ehe jemand öffnete.
 

Die Krankenschwester, die uns schließlich die Tür öffnete, war noch recht jung, und sie scannte erst mich, dann Tsuzuku mit einem kurzen Blick, sah merkbar auch die Pflaster auf seinem Unterarm, und die leicht gerötete Stelle an seiner Stirn, die von dem Zusammenstoß mit meinem Bettrahmen herrührte.

„In die Notaufnahme?“, fragte sie.

Ich nickte, und fragte dann: „Ist Dr. Niimura da?“

„Ja, der Doktor hat heute Nacht tatsächlich Dienst“, sagte die Schwester und sah dann wieder zu Tsuzuku. „Sind Sie ein Patient von ihm?“

Tsu nickte nur, sagte nichts.
 

„Kommen Sie erst mal herein, ich werde Dr. Niimura Bescheid geben“, sagte die Schwester und geleitete uns in einen beleuchteten Raum. Sie trug ein Telefon bei sich, das benutzte sie, und ich ging davon aus, dass sie den Arzt anrief.

Als dieser dann wenig später in den Raum kam, fand ich, dass er wirklich so freundlich und väterlich wirkte, wie Tsu ihn mir mal beschrieben hatte.

„Guten Abend, Aoba-san“, sagte Dr. Niimura zu Tsuzuku. „Na, was ist denn los? Wir haben uns doch heute schon gesehen …“
 

Tsu sah ihn kaum an, antwortete erst nicht einmal, dann, ganz leise und mit Tränen in den Augen: „Meto ist weg …“

„Ihr Freund?“, fragte Dr. Niimura. „Haben Sie sich gestritten?“

Tsuzuku fing wieder an zu zittern, seine Hände krallten sich verkrampft ineinander und die Tränen flossen wieder ungehindert. Er nickte und brachte leise und unzusammenhängend heraus: „Ich … ich war bei Mamas Grab … hab mich … wieder geschnitten … sehr geschnitten … und ich war im Bad, wollte mich wieder … schneiden … und … Meto hat … mich angeschrien, … ich hatte abgeschlossen … Und ich … ich hab … den Seifenspender kaputt geknallt, an der Tür … und zu ihm gesagt, er soll mich umbringen … oder so … und jetzt ist er weg …“
 

„Wo ist er denn hingegangen?“, fragte Dr. Niimura. Er wirkte zwar betroffen, aber zugleich ganz ruhig, und ich konnte mir vorstellen, dass er für viele seiner Patienten wie ein rettender Fels in diesem Meer aus emotionalem Chaos war.

„Meto ist bei seinen Eltern in seiner Heimatstadt“, sagte ich. „Er war bei mir, es war ihm alles einfach … sehr viel, er ist vielleicht etwas überfordert, in letzter Zeit ist so viel passiert.“

Das, was ich sagte, schien Tsuzuku weh zu tun, doch ich fand, dass der Arzt es so wissen musste, wie es passiert war. Ich konnte mir vorstellen, dass Tsu in seinem Schmerz vielleicht die Dinge nicht richtig aussprechen konnte, also konnte ich jetzt nur wenig Rücksicht auf ihn nehmen. Es ging darum, dass er hier in Sicherheit war, vor sich, den selbstzerstörerischen Kräften in seinem Inneren.
 

„Und da haben Sie entschieden, dass Aoba-san am besten hier in der Klinik aufgehoben ist?“, fragte Dr. Niimura.

Ich nickte. „Ich glaube, wir sind alle drei im Moment überfordert. Er mit sich selbst, sein Freund mit der ständigen Sorge um ihn und den vielen Dingen, die passiert sind, seit sie zusammen leben, und ich, das muss ich gestehen, weiß gerade auch nicht mehr wirklich weiter.“

„Dann ist es sehr gut, dass Sie hergekommen sind.“ Der Arzt lächelte und berührte Tsuzuku dann ganz vorsichtig an der Schulter. „Kommen Sie, Aoba-san, wir finden ein Zimmer für Sie, wo Sie ein bisschen Ruhe haben. Später kann ich auch noch ein wenig zu Ihnen kommen, wenn Sie reden möchten, ich bin die ganze Nacht hier.“
 

Tsuzuku nahm seine Tasche und stand auf, doch ehe er mit dem Arzt auf die Station ging, nahm ich ihn noch mal fest in meine Arme.

„Tsuzuku, es wird alles wieder gut, hörst du?“, flüsterte ich in sein Ohr. „Ich komme morgen wieder her und besuche dich. Und lass dir bitte helfen, ja?“

Er nickte nur, dann drehte er sich um und folgte Dr. Niimura in Richtung einer weißen Tür, auf der ‚Aufnahme‘ stand.

Und ich blieb noch einen Moment stehen, sah ihm nach und hoffte, dass wirklich alles wieder gut werden würde.

Dann schrieb ich Meto eine Nachricht: „Ich hab Tsuzuku gerade in die psychiatrische Klinik gebracht. Die kümmern sich jetzt um ihn. Mach dir keine Sorgen, das wird alles wieder gut. ko_1“
 

Die Antwort bekam ich, als ich wieder draußen war, an der Bahnstation.

„Koichi, es tut mir alles gerade so leid! Ich hätte einfach nicht gehen dürfen! Tsuzuku denkt jetzt bestimmt, ich komme nie wieder zurück, oder?“

„Wenn du wieder da bist, wird er wissen, dass du ihn nicht verlassen hast“, schrieb ich zurück. „Meto, du musst jetzt erst mal ganz auf dich allein schauen. Ruh dich ein paar Tage aus, bleib bei deinen Eltern, und ich kümmere mich um alles andere.“

„Ist Tsu denn jetzt … sehr wütend auf mich?“, schrieb Meto ein paar Minuten später, als ich schon in der Bahn saß.

„Wütend? Nee, würde ich nicht sagen. Er wirkte nicht wütend, nur unendlich traurig“, antwortete ich.

„Er denkt, ich hab ihn verlassen …“

„Ja, das denkt er. Aber, Meto, wir wissen beide, dass genau das Borderline ist. Und deshalb hab ich ihn ja in die Klinik gebracht, weil die sich dort damit auskennen. Die wissen, was sie tun müssen, damit es ihm bald wieder besser geht, du wieder zu ihm kannst und er wissen wird, dass du ihn nicht verlassen hast.“
 

„Koichi?“

„Ja?“

„Kannst du Tsu, wenn du ihn besuchst, von mir sagen, dass ich ihn immer noch liebe? Ich hab so Angst, dass er das vergisst.“

„Keine Sorge, ich krieg‘s schon hin, dass er das nicht vergisst.“

„Danke. Vielen, vielen Dank.“

„Meto, das ist doch selbstverständlich. Tsu und du, ihr seid meine besten Freunde. Natürlich helfe ich euch!“
 

Ich stieg aus der Bahn, lief nach Hause, spürte schon auf den Treppen, dass ich weinen musste, rannte rauf zu meiner Wohnung, öffnete die Tür, schlug sie hinter mir wieder zu und sank an der Wand zu Boden.

Es war einfach so viel gewesen, erst Meto zu beruhigen, mich dann um Tsuzuku zu kümmern, und dann diese furchtbare Situation in meinem Schlafzimmer, als er mir in seiner Verzweiflung viel zu nahe gekommen war und sich dann wieder wehgetan hatte … Dann die Klinik und danach der ebenso anstrengende Chat mit Meto …

Und so saß ich in meinem Flur auf dem Boden und weinte, doch es war ein Rauslassen-Weinen, nach dem ich mich ein Stück erleichtert fühlte.
 

Meto und ich, wir liebten Tsuzuku beide, wenn auch auf ganz unterschiedliche Art. Aber wir liebten ihn und sorgten uns um ihn, Meto als sein Mann und ich als sein bester Freund. Und manchmal war das einfach so entsetzlich schwer. Er war so wahnsinnig verletzlich, dass man sich immer Mühe gab, ihm nicht weh zu tun, und doch ließ es sich nicht vermeiden.

Sicher lag er jetzt in der Klinik in einem Bett und weinte sich die Augen aus, weil er glaubte, vor Einsamkeit innerlich zu sterben. Ich hoffte, dass er sich, wenn es in ihm noch dunkler wurde, an jemanden dort wenden und Hilfe annehmen würde. Und dass ich wusste, dass Dr. Niimura die ganze Nacht Dienst hatte, beruhigte mich ein wenig.
 

Natürlich war dann in dieser Nacht nicht mehr wirklich an Schlaf zu denken. Und als ich merkte, dass ich wirklich nicht mehr einschlafen konnte, setzte ich mich vor den Fernseher, suchte einen Film aus meiner DVD-Sammlung aus und verbrachte dann die ganze restliche Nacht damit, Filme zu schauen, um mich abzulenken.
 

Am Morgen, so gegen sieben, war das Erste, was ich tat, Tsuzuku eine Nachricht zu schreiben: „Hey, wie geht’s dir heute Morgen? Konntest du noch schlafen? Und hast du mit dem Arzt gesprochen?“

Es dauerte eine Weile, bis ich eine Antwort bekam: „Nicht gut … Ich hab nur ne halbe Stunde oder so geschlafen … Aber mit Dr. Niimura hab ich geredet …“

„Kann ich dich heute kurz besuchen?“, schrieb ich.

„M-hm … ich hab jedenfalls kein Programm oder so. Die nennen das jetzt Krisenintervention und sagen, ich kann so bald, wie es eben geht, wieder nach Hause.“

„Okay, dann komme ich heute Nachtmittag vorbei. Ich fahre vorher noch zu eurer Wohnung und bringe da alles wieder in Ordnung, okay?“

Tsuzuku antwortete darauf nicht. Ich zog mich erst mal an, räumte auch den Futon und alles wieder zusammen und weg, und schrieb mir auf meine Einkaufsliste, dass ich neues Verbandszeug kaufen musste. Ab und zu schaute ich auf mein Handy, aber da kam nichts mehr.
 

Da ich den Vormittag über arbeiten musste, packte ich meine Arbeitskleidung zusammen und machte mich auf den Weg.

In der Bahn sitzend, dachte ich mir dann eine Erklärung aus, wie ich Satchan sagen sollte, dass Meto heute nicht zur Arbeit kam. Und weil mir dann einfiel, dass Tsuzuku sich bei seiner Arbeitsstelle wahrscheinlich auch nicht abmelden konnte, stieg ich dann zwei Haltestellen früher aus, ging zum Bodyart-Studio und klingelte dort.
 

Eine junge Frau mit zahlreichen Piercings öffnete die Tür. „Tut mir leid, wir haben noch geschlossen“, sagte sie.

„Ich will auch gar nicht viel“, entgegnete ich. „Ich bin ein guter Freund von Genki Aoba und möchte nur Bescheid sagen, dass er wohl wieder ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen kann. Er ist im Krankenhaus.“

„Oh …“, sagte die Frau. „Hat er wieder eine Krise gehabt?“ Anscheinend wusste sie über seine Krankheit Bescheid.

„Ja“, sagte ich. „Es gab ‘ne ziemlich schlimme Krise. Wird vielleicht eine Woche dauern, bis er wieder nach Hause kommt, und ob er dann wieder arbeiten kann, das kann ich noch nicht sagen.“

„Ich sag nachher dem Chef Bescheid, also nur darüber, dass er im Krankenhaus ist. Würde sich Genki denn über Besuch freuen?“

„Ich weiß es nicht. Er ist wirklich ziemlich fertig und braucht wahrscheinlich erst mal Ruhe.“

„Okay …“
 

Auf dem Weg zum Café musste ich dann irgendwie über alles noch einmal nachdenken. Dass Tsuzuku mich geküsst hatte, konnte ich recht schnell abhaken, da ziemlich deutlich gewesen war, dass er das nur aus der puren Verzweiflung heraus getan hatte.

Aber seine Worte, wie er gesagt hatte, dass er alleine einfach keinen Sinn ergab und ohne Meto nur noch sterben wollte … er hatte das ernst gemeint, und ich konnte mir vorstellen, dass er, wenn ich nicht bei ihm gewesen wäre, vielleicht sogar einen Versuch unternommen hätte, sich das Leben zu nehmen.

Mir war schon so lange bewusst, dass er krank war, aber so direkt zu erleben, wie es wirklich manchmal in ihm aussah, war schon … schockierend. Ebenso schockierend wie das Bild, als ich zu ihm in die Wohnung gekommen war und ihn blutüberströmt inmitten eines Meers aus Scherben vorgefunden hatte. So viel Blut …
 

Ich kam beim Café an, zog mich um, und als Satchan fragte, wo Meto heute blieb, sagte ich: „Es ist was passiert mit ihm und seinem Freund. Meto ist im Moment bei seinen Eltern und Tsu ist im Krankenhaus.“

„Oh … ein Unfall?“

„So was ähnliches …“, sagte ich nur, denn Satchan musste ja wirklich nicht wissen, dass Tsuzuku psychisch krank war.

„Wann kommt Meto-chan denn wieder?“, fragte sie.

„Zwei, drei Tage lang wird das schon dauern“, antwortete ich. „Das, was da passiert ist, hat ihn einfach sehr mitgenommen.“

„Und was trage ich in meine Listen ein? Zählt Meto jetzt als ‚krank‘?“

„Würde ich sagen. Es wäre jedenfalls supernett von dir, wenn du ihm das nicht grad von seinen Urlaubstagen abziehst“, sagte ich und lächelte bestechend. Ich wollte Meto nicht zumuten, dass er sich jetzt auch noch mit solchen Formalitäten herumschlagen musste, und das soweit wie möglich für ihn klären.
 

Der Vormittag ging dann irgendwie herum. Ich arbeitete ihn einfach ab, und dachte mir, als einige der Gäste nach Meto fragten, eine ziemlich frei erfundene, möglichst unverfängliche Geschichte aus, die ich erzählte.

Nach der Mittagspause ging ich dann, machte mich auf den Weg zu Metos und Tsuzukus Wohnung, um das Chaos dort wieder in Ordnung zu bringen, und ein paar Sachen für Tsuzuku zu holen, die wir gestern in der Aufregung nicht mitgenommen hatten.
 

Als ich die Wohnung betrat und das Blut überall sah, auf dem Läufer im Flur und auf dem Bodenbelag, und die vielen Scherben bei der Badezimmertür, erinnerte ich mich an gestern Abend, als ich voller unguter Ahnungen und Ängste hergefahren war und der Anblick, der sich mir geboten hatten, meinen Schreckensvorstellungen voll entsprochen hatte.

Ich ging in die Küche, suchte und fand diverse Reinigungsmittel, und begann, indem ich den Teppich zusammenrollte und beiseite stellte. Wahrscheinlich konnte ich den auch gleich entsorgen. Dann machte ich einen Eimer mit Wasser und Spülmittel fertig und fing an, die vielen dunkelroten Tropfen und Flecken vom blanken Boden wegzuwischen. Der halbe Flur und auch das Bad waren übersät mit Blutflecken, gottseidank hatten die weißen Wände so gut wie nichts abbekommen. Ein bisschen weiße Farbe würde da ausreichen, das konnte ich auch morgen noch machen.
 

Nachdem ich also so gut wie alle Blutflecken beseitigt hatte, kehrte ich die Scherben zusammen und kippte diese in den Hausmüll. Unten vor der Kellertür hatte ich vorhin schon eine Ansammlung an Müll gesehen, und so brachte ich den ruinierten Teppich und den Hausmüll mit den Scherben gleich runter, damit der Müllwagen alles mitnahm.
 

Wieder oben in der Wohnung, packte ich noch mal ein paar Sachen für Tsuzuku zusammen, Waschzeug und Kleider, und dabei fand ich in einer Falte versteckt zwischen seinen Pullovern ein kleines Album, das ich erst auf den zweiten Blick als Fotoalbum erkannte.
 

Ohne recht zu wissen, was ich tat, klappte ich es auf. Es war ein dünnes Album aus grauer Pappe, und darin waren nur wenige Fotos. Eine Frau von vielleicht fünfunddreißig Jahren und ein jugendlicher Junge von etwa dreizehn, den ich sofort als Tsuzuku erkannte, blickten in die Kamera, hinter ihnen schimmerte ein geschmückter Weihnachtsbaum. An der Haltung der Frau sah man, dass sie das Bild mit Selbstauslöser aufnahm, vermutlich, weil sonst niemand da gewesen war.

Das nächste, deutlich ältere Foto zeigte dieselbe Frau mit einem kleinen Jungen auf einem Spielplatz, und auch dieses Foto hatte sie erkennbar selbst gemacht.

Dann folgte noch ein Foto, das nur diese Frau, Tsuzukus Mutter, zeigte, wie sie in einer kleinen, aber lichtdurchfluteten Küche am Tisch saß und Gemüse schälte. Tsu war auf diesem Bild nicht mit drauf, und ich ging davon aus, dass er die Kamera bedient hatte.

Das letzte Bild zeigte wieder beide zusammen, Tsu war auf diesem Foto vielleicht neunzehn oder zwanzig, er trug ein knappes, beinahe mädchenhaftes VKei-Oberteil, und seine Tattoos waren deutlich zu sehen. Seine Mutter hatte die Arme um ihn gelegt und lächelte strahlend in die Kamera, man sah, dass ihr Sohn dieses Lächeln geerbt hatte.
 

Ich klappte das Album zu, schob es wieder so zwischen die Pullover, wie ich es gefunden hatte, und blieb noch einen Moment vor dem Schrank stehen.

Tsuzuku sah seiner Mutter wirklich ähnlich, sie hatte dieselben hübsch geschwungenen Lippen, und die Art, wie Augen und Brauen zusammen aussahen, war auch ähnlich. Er sprach ja nur selten über sie, aber ich war mir sicher, dass er oft an sie dachte. Sicher war es viel zu schmerzhaft, über sie zu sprechen, er trauerte ja immer noch um sie.
 

Ich wandte mich wieder den Sachen zu, die ich einpacken wollte, und dabei musste ich an etwas denken, was ich vor kurzem gelesen hatte, in dem einen Artikel über Borderline: Erkrankte brauchten oft sogenannte Ersatzgegenstände, viele Frauen mit Borderline besaßen zum Beispiel Puppen oder Plüschtiere, die sie brauchten, um sich nicht so allein zu fühlen. Ich sah ein getragenes T-Shirt von Meto vor dem Kleiderschrank liegen und hob es auf. Vielleicht würde es Tsuzuku gut tun, wenn er etwas bei sich hatte, das nach Meto roch.
 

Mit den Sachen in einem Beutel, den ich an der Garderobe gefunden hatte, verließ ich die Wohnung wieder und machte mich auf den Weg zur psychiatrischen Klinik.

Ich musste am Empfang nachfragen, auf welcher Station Tsuzuku jetzt war, und erklären, dass ich ihn besuchen und ihm ein paar Sachen bringen wollte. Als ich die Treppen hoch zu der Station ging, kam mir eine junge Frau entgegen, die ein kurzärmliges, graues Shirt und Jogginghosen trug. Sie grüße leise, und ich grüßte zurück, und erst als sie an mir vorbei ging, sah ich die heftigen Narben an ihren Unterarmen.

Und während ich die restlichen Treppenstufen bis zur Station hoch ging, fragte ich mich, wie viele Menschen es wohl in unserem Land gab, die dem höflich lächelnden, sich so gern glatt und geordnet präsentierenden Image Japans innerlich überhaupt nicht entsprachen. Ich verstand jetzt, was Tsuzuku meinte, wenn er sagte, er fühle sich kaum noch als wirklicher Japaner.
 

Als ich an der Stationstür ankam, kam mir gerade eine Krankenschwester entgegen.

„Sie wünschen?“, fragte sie lächelnd.

„Ich bin ein guter Freund von Aoba Genki-san, ich möchte ihn besuchen und ihm ein paar Sachen bringen.“

„Ah“, sagte sie. „Folgen Sie mir.“

Sie führte mich zu einer offenen Tür, hinter der sich ein Aufenthaltsraum befand, in dem auch einige Leute saßen und sich mit verschiedenen Dingen beschäftigten. Doch Tsuzuku war hier nicht zu sehen.

„Er wird sich wieder hingelegt haben“, sagte die Schwester und führte mich zu einer anderen Tür weiter hinten. Sie klopfte an, und ich hörte Tsu’s Stimme: „… Ja?“

„Aoba-san, Sie haben Besuch.“ Sie öffnete die Tür und ich sah Tsuzuku mit dem Rücken zum Raum in einem der beiden hier stehenden Betten liegen. Das zweite Bett war leer und unbenutzt.
 

„Hey, Tsu, ich bin’s“, sagte ich und ging hinein.

Die Schwester ging wieder davon, und ich trat an Tsuzukus Bett, legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich zu mir um und ich erschrak ein wenig, weil er so entsetzlich müde und kaputt aussah. Unter seinen Augen waren ganz dunkle Schatten, und sein Blick war so leer und ohne jede Freude, er sah aus wie ein Gespenst.

„Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?“, fragte ich und stellte die Tasche mit seinen Sachen neben das Bett.

Er schüttelte den Kopf.

„Kein bisschen?“

„Nein …“

Er drehte sich ganz zu mir um, rückte ein bisschen näher zur Wand, und ich setzte mich auf die Bettkante.

„Ich kann nicht mehr alleine schlafen“, sagte er dann, seine Stimme hatte kaum noch Klang. Er sah mich einen Moment lang an und fragte dann: „Koichi? Kannst du … dich einen Moment lang zu mir legen? Bitte …“

„Ich weiß nicht, ob das so gut ist …“, erwiderte ich.

„Bitte …!“, bat er. „Ich bin so müde und kann alleine einfach nicht einschlafen …“
 

Er sah so kaputt aus, dass ich ihm diese Bitte dann doch nicht abschlagen konnte. Und so legte ich mich neben ihn hin, ich auf der Decke und er darunter, und meinen Arm um ihn. Er zitterte vor Müdigkeit, hatte wieder Tränen in den Augen, doch dann schloss er sie und war innerhalb weniger Minuten fest eingeschlafen.

Seltsam, dachte ich, dass er anscheinend wirklich nur schlafen konnte, wenn jemand bei ihm lag. Und so lag ich hier, hielt meinen besten Freund in meinen Armen, während er schlief. Er sah so weich und beinahe wie ein Kind aus, und sein Körper schmiegte sich im Schlaf an mich, so nah, dass ich froh war, dass die Decke zwischen uns war. Ich hob die Hand und strich ihm vorsichtig die schwarzen Ponysträhnen aus der Stirn, er schien das zu spüren und zog ein wenig die Nase kraus. Aber er wachte nicht auf.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder aufwachte, so in etwa zwei Stunden, die ich die ganze Zeit über bei ihm lag. In seine Augen war ein klein wenig Leben zurückgekehrt, er wirkte zumindest ein bisschen erholt und schien sich sogar zu freuen, dass ich bei ihm war.

Ich wusste nicht, worüber ich jetzt mit ihm am besten sprach, ob ich ihm sagen sollte, dass ich mit Meto geschrieben hatte und worüber. Ob ich Meto überhaupt erwähnen sollte, oder ihm das zu sehr wehtun würde.

„Wie geht’s dir jetzt?“, fragte ich leise.

Tsuzuku lächelte matt. „… Ich konnte schlafen“, sagte er. „Danke, Koichi.“

„Das ist aber noch nicht immer so, oder?“, fragte ich. „Also, dass du nur schlafen kannst, wenn jemand bei dir ist?“

Tsu schüttelte den Kopf. „Nein. Erst, seit Meto bei mir …“ Er brach ab, blickte einen Moment ins Leere und ich sah wieder Tränen in seinen Augen. Ist? War? Die Frage danach, ob die Beziehung mit Meto jetzt überhaupt noch existierte, stand nur allzu deutlich und schmerzend in seinen Augen.
 

Ich legte meine Arme um ihn, hielt ihn ganz fest, drückte seinen Kopf an meine Schulter. „Tsuzuku, es ist nicht vorbei, hörst du? Ich hab mit Meto geschrieben, er ist wirklich nur für ein paar Tage bei seinen Eltern. Er wird bald wieder bei dir sein.“

Ich hatte verhindern wollen, dass er wieder so sehr weinte, doch offenbar war der Schmerz in ihm viel zu groß, um nicht zu weinen.

„Aber … warum ist er … dann gegangen …?! Warum … hat er … mich … nicht … umarmt, so wie immer?!“, fragte er, konnte vor Weinen kaum richtig sprechen.
 

„Er war überfordert. Du hast mit Sachen geworfen, ihn angeschrien, und dich so sehr verletzt, das war einfach … zu viel für ihn.“

„Ich hab’s … gewusst … ich bin ihm zu viel … ‘ne Last … Er muss sich … vor mir schützen … mich verlassen und hassen und …“ Seine Stimme brach, bevor er weiter sprechen konnte.

Ich ließ ihn kurz los, um sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. „Tsuzuku, schau mich bitte an und hör mir gut zu: Auch, wenn Meto gerade mit deinem Verhalten überfordert ist, ändert das nichts daran, dass er dich liebt. Ich glaube, er wird dich immer lieben. Er hat sogar selber Angst, dass du ihn jetzt nicht mehr liebst. Nur … ihr müsst beide lernen, anders mit deinem Verhalten umzugehen, verstehst du? Du brauchst eine richtige Therapie, und Meto braucht vielleicht auch Hilfe, was den Umgang mit dir und deiner Krankheit betrifft.“

„Er hat Angst … dass ich ihn jetzt … hasse?“

„Das hat er mir geschrieben. Aber das tust du gar nicht, oder, ihn hassen?“

„Wie könnte ich?! Ich will ihn nicht hassen …! Ich will ihn lieben, immer nur lieben …!“

„Siehst du, dann wird auch alles wieder gut. Er ist bald wieder bei dir, und dann schauen wir alle zusammen, mit deinem Arzt und so, wie es weiter geht, okay?“ Ich ließ ihn wieder los, und er sank zurück ins Kissen.
 

„Dr. Niimura hat … mich gefragt, ob ich … idealisiere …“, sagte Tsuzuku leise. „Ich … ich weiß nicht, ob er da … Recht hat … ich will das nicht … idealisieren und dann hassen und so …“ Er wich meinem Blick aus, blickte an die Wand. „Ich will doch nur einfach mit Meto zusammen sein, ihn so sehr lieben, wie ich nur kann, und … ihn bei mir haben … damit ich …“, seine Stimme wurde wieder brüchiger, „… damit ich nur ein bisschen weiß, wer ich überhaupt bin.“

„Ich glaube auch nicht, dass du Meto hassen könntest. Dafür hast du ihn viel zu lieb“, sagte ich.

„… Ich will’s nicht!“ Wieder hatte er Tränen in den Augen. „Ich hab solche Angst davor, ihn irgendwann nicht mehr so sehr zu lieben … Heute Nacht, da war so ein Moment, wo ich es … echt kaum noch ausgehalten habe … dass er weg ist … und wo ich ihn dann … beinahe nicht mehr … geliebt hab …“

„Ach, Tsuzuku …“ Ich legte wieder meine Arme um ihn, hielt ihn fest, während er weinte.
 

Ich wusste nicht recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Und ich hatte das Gefühl, dass ich mich darum kümmern musste.

Tsuzuku würde es wohl kaum aushalten, noch eine Nacht oder länger hier im Krankenhaus zu bleiben. Wenn er absolut nicht alleine schlafen konnte, musste er entweder ein Schlafmittel bekommen, oder er brauchte Meto bei sich.

Aber Meto brauchte jetzt Zeit für sich, und Ruhe, um sich vom intensiven, aufregenden Leben der letzten Monate zu erholen. Es war wirklich viel gewesen, aber ich konnte auch verstehen, dass Meto lange selbst nichts davon bemerkt und auch nichts gesagt hatte, denn wir wussten ja beide, dass Tsuzuku unter furchtbaren Schuldgefühlen litt, sobald er merkte, dass uns seine Art oder seine Krankheit irgendwie belastete.
 

Letztendlich beschloss ich dann, heute noch zu Meto zu fahren, um mit ihm auch noch mal zu reden.

„Tsuzuku, weißt du, was wir jetzt machen?“, fragte ich meinen besten Freund.

„Mh, was denn?“

„Du gehst jetzt zu den anderen in den Aufenthaltsraum und lenkst dich da ein bisschen ab. Und wenn du nur ein wenig Fernsehen schaust, Hauptsache, du liegst hier nicht so ganz alleine. Und ich fahre jetzt zu Meto, um ihm zu sagen, dass du ihn auch noch liebst. Vielleicht weiß er ja auch schon, wann er wieder nach Hause kommt, das schreibe ich dir dann sofort am Handy, versprochen.“

„Ich … will nicht zu den anderen …“

„Warum denn nicht?“

„Ich will hier nicht festwachsen auf der Station ...“

„Das musst du auch nicht. Du bleibst ja nicht lange hier. Du sollst dich jetzt nur ein bisschen beschäftigen, das wird dir ganz sicher gut tun.“
 

Ich stand langsam auf, wollte mich einfach schnell und schmerzlos zum Gehen wenden, aber Tsuzuku packte meine Hand. „Geh nicht!“

„Tsu, ich komme morgen wieder. Und bis dahin hab ich mein Handy an, du kannst mir jederzeit schreiben, okay?“

„Ich sterbe alleine!“

Ich kniete mich vor dem Bett hin, und kurzentschlossen drückte ich Tsuzuku einen kleinen, zärtlichen Kuss auf die Stirn.

„Du stirbst nicht. Denk daran, ich gehe zu Meto und sorge dafür, dass er bald wieder bei dir ist. Es wird alles wieder gut.“

„Bist du dir da ganz sicher?“, fragte Tsuzuku und klang dabei wie ein kleines Kind.

„Ja.“ Ich lächelte, streichelte seine Hand. „Ganz, ganz sicher.“
 

Ich brachte ihn noch bis zu dem Aufenthaltsraum, dort waren noch einige Plätze frei und im Fernseher lief gerade irgendeine Serie.

Tsuzuku setzte sich in einen der davor stehenden Sessel, er zog die Knie hoch und sein Blick machte deutlich, dass er immer noch für sich allein sein wollte.

Ich wusste nicht, ob es Angst vor den anderen Patienten war, die ihn sich so abschotten ließ, denn andererseits schien er die Einsamkeit kaum auszuhalten, und ich musste jetzt darauf vertrauen, dass sich das professionelle Personal hier um ihn kümmern würde, wenn es ihm noch schlechter ging.
 

Dann verließ ich die Klinik, nahm die Stadtbahn bis zum Bahnhof und stieg dort dann in den Zug in Richtung der kleineren Stadt, Metos und Tsuzukus Heimatstadt.

Auf der Fahrt dorthin ging mir alles noch mal durch den Kopf, und ich schaute in meinem Handy in den Kalender, wo ich sah, dass das mögliche Hochzeitsdatum der beiden gefährlich näher kam.

Ich fühlte mich in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Hochzeit mit allem Drum und Dran planmäßig stattfinden würde, indem ich mich jetzt darum kümmerte, dass das Brautpaar wieder zueinander fand. Tsuzuku liebte Meto, und Meto liebte Tsuzuku, und dennoch war nun diese Katastrophe passiert …

Aber ich sah ja gar nicht ein, da irgendwie aufzugeben! Die beiden gehörten einfach zusammen und wussten das doch auch beide, also musste es doch unbedingt einen Weg geben, das Ganze wieder zu kitten!

[Meto] Act 32

Ich saß gerade am PC, im Hausbüro meiner Mama, als es an der Tür klingelte.

„Ich geh schon, Yuu!“, rief Mama aus der Küche und dann hörte ich ihre Schritte in Richtung Haustür. Über die Entfernung zwischen Eingangsbereich und Büro konnte ich erst nicht erkennen, wer da geklingelt hatte, doch dann rief Mama: „Yuu, Koichi ist hier!“

Ich schloss die drei oder vier Fenster im Internet, die ich offen gehabt hatte, sprang auf und lief zur Tür. Und da stand wirklich Koichi, lächelte mir zu und kam dann herein, zog seine Schuhe aus und umarmte mich.

„Hey, Meto, wie geht’s dir?“

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht …“

„Wahrscheinlich nicht so gut, oder?“ Er sah mich mitfühlend an und fragte dann: „Können wir hier irgendwo ein bisschen sitzen und reden?“
 

Ich führte ihn durch die Eingangshalle ins Wohnzimmer, bot ihm einen Platz auf dem Sofa an und setzte mich ihm gegenüber hin.

„Ich war eben bei Tsuzuku“, sagte Koichi. „Ihm geht’s gar nicht gut, er hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Wie hast du denn geschlafen?“

„Nicht gut“, antwortete ich und spürte sofort Tränen in meinen Augen. „Ich … muss die ganze Zeit … an ihn denken … es tut mir so leid … dass ich gegangen bin.“ Ich hatte die halbe Nacht geweint, Ruanas Fell nassgeheult und mir Vorwürfe gemacht, weil ich einfach abgehauen war. Warum hatte ich denn auch nicht so reagieren können wie sonst?! Ich war doch immer irgendwie mit Tsuzukus Ausbrüchen klar gekommen, warum jetzt auf einmal nicht mehr?!
 

Koichi stand auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben mich, nahm meine Hand in seine.

„Meto, bitte wirf dir das nicht so sehr vor! Du denkst ja kaum mehr an dich selbst!“

„Ich … konnte das doch sonst immer … ich bin immer irgendwie damit klar gekommen, wenn Tsu so war … Ich will ihn einfach nicht verletzen …“

„Aber, schau mal, du hast auch deine Grenzen. Du liebst Tsuzuku, das weiß ich und das ist auch gut so, aber du darfst dich dabei selbst nicht so sehr aus dem Blick verlieren. Wenn er sich falsch verhält und dich so in Gefahr bringt, dann musst du ihm auch klar machen, wo deine eigenen Grenzen sind. Sonst passiert so was doch immer wieder.“ Koichi sah mich direkt an, und ich glaubte ihm auch.

Aber irgendwie, vielleicht weil ich Tsuzuku so nah war, hatte sich seine extreme Art, die Dinge aufzunehmen und zu verstehen, ein Stück weit auf mich übertragen. Ich bemerkte jetzt, dass es auch mir schwer fiel, eine ausgeglichene Mitte zu finden.
 

Ich hatte seit heute Morgen vieles gelesen. Hatte mir Artikel, Foren, digitale Bücher, alles Mögliche zum Thema Borderline angeschaut. Begonnen hatte ich damit auf der Suche nach einem Ratgeber für Partner von Erkrankten, weil ich ja selbst ahnte, dass ich als Tsuzukus Partner auch irgendeine professionelle Unterstützung brauchte. Wie sollte ich mit ihm umgehen, wenn er immer wieder so tief fiel, weinte, schrie und sich wehtat?
 

Aber bei dieser Suche war ich dann aber auch auf ganz furchtbare Foren-Postings gestoßen. Leute, die mal mit Borderline-Kranken zusammen gewesen waren und nun voller Hass schrieben, dass diese Menschen ‚absolut giftig‘ und ‚gefährlich‘ seien.

Ich spürte, wenn ich so etwas las, eine Mischung aus Wut und Angst. Wut, weil ich solche Postings einfach gemein fand. Und Angst, weil ich fürchtete, dass solche Menschen so etwas auch zu mir sagen würden: ‚Trenn dich von ihm, er ist gefährlich‘

Ich stand, egal was er tat, immer noch total auf Tsuzukus Seite. Mir war zwar klar, dass er gerade dachte, ich hätte ihn verlassen, aber dass dem nicht so war, wusste ich für mich ganz genau. Ich wollte wieder zu ihm zurück, wollte ihn heiraten und den Rest unseres Lebens mit ihm verbringen. Und ich sah absolut keine Alternative, wollte auch keine, denn dass Tsuzuku in jeder Hinsicht der Mann meines Lebens war, war doch längst vollkommen klar.
 

„Meto, sag, was stellst du dir vor?“, fragte Koichi.

„Ich … ich will wieder zu ihm“, brachte ich leise heraus und spürte, wie mir die Tränen die Wangen hinab liefen. „Er fehlt mir so … und ich will ihm sagen, dass es mir leid tut!“

„Bist du denn soweit erholt?“

„Ich weiß nicht … Aber ich will ihn nicht so furchtbar warten lassen! Er geht doch ein, so ohne mich!“

„Aber schau, das muss er auch gerade lernen“, gab Koichi zu bedenken, und ich wusste, dass er irgendwo Recht hatte.

„Ich weiß …“, sagte ich. Und sprach dann aus, was mir seit heute Mittag immer wieder durch den Kopf ging: „Aber ich denke, das hat doch Zeit bis nach der Hochzeit, oder? Ich will auf keinen Fall, dass unsere Hochzeit deswegen platzt!“

Koichi sah mich eine Weile nachdenklich an, er schien sich zu fragen, was wir jetzt tun sollten. Dann holte er sein Handy raus.

„Also willst du morgen wieder nach Hause?“, fragte er.

Ich nickte. „Ja!“

„Dann schreibe ich das so an Tsuzuku. Ich hatte ihm vorhin versprochen, dass ich ihm schreibe, wann du wieder nach Hause kommst.“
 

Tatsächlich wollte mein Gefühl aber nicht nur das. Nicht nur einfach morgen wieder nach Hause fahren, sondern heute schon zumindest meinen Verlobten in der Klinik besuchen, ihn fragen, ob er wieder nach Hause wollte. Ich wollte, dass so schnell wie möglich alles wieder gut wurde.
 

„Koichi? Du warst heute schon bei ihm, oder?“

„Ja. Warum?“

„Weil ich ihn sehen will. Ich will ihm direkt sagen, dass ich ihn liebe.“

„Du willst jetzt noch zu ihm fahren?“

„Ja. Weil ich nicht will, dass er sich zu lange so verlassen fühlt.“

„Hm … vielleicht ist das so gesehen wirklich das Beste …“, sagte Koichi.
 

Und so packte ich meine Tasche, nahm Ruana mit und sagte Mama „Auf Wiedersehen“, dann ging ich mit Koichi aus dem Haus und in Richtung Bahnhof. Im Zug redeten wir nicht viel, aber wir dachten wohl beide dasselbe, machten uns Gedanken um Tsuzuku.

Vom Bahnhof aus nahmen wir direkt die Bahn zur Klinik, stiegen dort aus, denn von da war es ja bis zu mir nach Hause auch nicht weit.
 

In der Klinik mussten wir eine ganze Zeit lang warten. Die Schwester auf der Station sagte, gerade sei Gruppensitzung, dann dürfte niemand von außen auf die Station. Wir setzten uns also im Bereich davor hin und warteten.
 

„Meto …“, sprach Koichi mich leise an, „… weißt du, es kann sein, dass Tsuzuku gleich … nicht so reagiert wie sonst, wenn ihr euch wieder seht. Er hat die letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen, und er kommt nicht von dem Gefühl weg, dass du ihn verlassen hast. Nimm ihm das bitte nicht übel, wenn er gleich … ein bisschen distanziert oder so ist …“

Ich antwortete erst nicht. Und ehrlich gesagt hatte ich ein wenig Angst. Auch wenn Koichi gesagt hatte, dass Tsuzuku mich noch liebte, hatte ich Angst, dass sich da etwas verändert hatte. Das, was ich gelesen hatte, über Schwarz-Weiß-Denken und Wut … das machte mir wirklich Angst.

„Aber er hat gesagt, dass er mich noch liebt?“, fragte ich leise.

„Ja. Und dass er dich nicht hassen will. Er weiß, was Schwarz-Weiß-Denken ist, es ist ihm bewusst und er kämpft dagegen an.“

Und obwohl das ja eigentlich eine gute Nachricht war, stiegen mir Tränen in die Augen. Es tat mir so unsäglich Leid, dass ich weggegangen war, und zugleich wusste ich, ich hatte nicht anders gekonnt. Die Situation hatte mich, wo ich sowieso schon erschöpft gewesen war, einfach überfordert.
 

„Meto, eigentlich bist du doch noch nicht mal wirklich erholt, oder?“, fragte Koichi.

Ich schüttelte den Kopf. „Aber wie kann ich denn mich auch erholen, wenn ich weiß, dass Tsuzuku ohne mich so sehr leidet?!“

Koichi nickte. „Ja, das kann ich verstehen. Du hast auch kaum geschlafen, oder?“

„M-hm …“

„Und trotzdem willst du ihn jetzt schon wieder nach Hause holen?“

„Ja“, sagte ich. „Weil ich nicht will, dass wir so lange getrennt sind …“
 

In dem Moment kam die Krankenschwester wieder, öffnete die Tür und ließ uns herein. Aus einer anderen Tür kamen gerade die Patienten auf den Flur, und ich sah Tsuzuku, wie er sich von den anderen abwandte und wohl auf sein Zimmer wollte. Er schottete sich ab, das war ihm anzumerken, es war dieselbe unnahbare Fassade, die er auch in der Zeit auf der Straße aufgesetzt gehabt hatte.

„Tsu!“, rief Koichi. „Hey!“

Tsuzuku wandte sich um, sah erst Koichi, dann mich. Sein Blick war seltsam, er sah irgendwie … fremd oder so aus, und ich verstand, was Koichi eben mit ‚distanziert‘ gemeint hatte. Er kam auf uns zu, sah mich immer wieder kurz an und blickte dann wieder zu Koichi, so als hielte er es kaum aus, mich anzuschauen.
 

„Ich … bin wieder … da …“, sagte ich leise, und es war meinem Gefühl nach das erste Mal, dass ich Tsuzuku gegenüber so ins Stocken geriet.

Tsuzuku sagte nichts. Er stand nur da, sah Koichi an, dann wieder mich, dann blickte er zu Boden.

„Möchtest du nicht … mit mir … wieder … nach Hause kommen?“, fragte ich und spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Dass ich zum ersten Mal jetzt auch Tsuzuku gegenüber so stockte, machte mir Angst, es war, als sei diese besondere Nähe zwischen uns irgendwie … weg?

„… Willst du das denn?“, fragte Tsuzuku, seine Stimme klang belegt und rau.

„Ja“, sagte ich. „Ja, natürlich will ich das!“ Heilfroh, dass ich das wieder ohne Stocken herausbrachte, musste ich ein wenig lächeln.

Tsuzuku lächelte zurück, allerdings sehr scheu und verhalten.

„Tsu, es tut mir leid, dass ich weggelaufen bin! Es war einfach … alles so viel, ich konnte einfach nicht mehr … aber es tut mir so leid, ich …“

„Meto, mir tut’s leid“, unterbrach er mich. „Mir tut es leid, dass ich so bin.“

„Komm mit nach Hause, Tsuzuku, bitte! Du kannst auch im Wohnzimmer schlafen, oder ich schlafe da, wenn dir das im Bett noch zu viel ist, oder was auch immer …!“
 

Er sah mich an, und es dauerte ein wenig, bis er etwas sagte. Ich hatte Angst. Angst, dass er nicht wollte, dass er hier blieb und sich von mir trennte … In diesem Moment erschien mir seine Krankheit so unberechenbar, und ich wusste nicht, ob das, was er gerade dachte und fühlte und tat, von ihm selbst aus oder von seiner Krankheit aus kam.

„Meto, ich …“, begann er schließlich, „… ich hab dich sehr vermisst. So sehr, dass ich es kaum noch ausgehalten habe. Ich weiß nicht, ob wir … na ja, ob wir beide uns nicht vielleicht … einfach zu nah sind. Ich will auch nach Hause, aber … ich hab Angst, vor diesem Schmerz …“

„Ich kann auf dem Sofa schlafen“, sagte ich noch mal, wollte seine Hand nehmen, aber ich traute mich nicht.
 

Koichi, der ohne ein Wort daneben stand, wurde ein wenig unruhig, wir standen ja immer noch einfach mitten auf dem Stationsflur.

„Wollen wir vielleicht in dein Zimmer gehen, Tsu?“, fragte er schließlich in die Stille zwischen uns hinein.

Tsuzuku nickte, und wir folgten ihm zu einem der Patientenzimmer. Als wir dort drinnen waren, fing er gleich an, ohne ein Wort seine Sachen zu packen. Es war nicht viel, und als er fertig war, sagte er nur: „Ich komme mit.“

Es wurde nicht mehr viel geredet. Tsu nahm die beiden Taschen mit seinen Sachen, ging als Erster wieder aus dem Zimmer und zum Stationszimmer hin, wo er sich abmeldete und versicherte, dass er auf eigene Verantwortung nach Hause ging. Als wir dann die Station verließen, berührte seine Hand kurz die meine, aber ich war mir nicht sicher, ob zufällig oder mit Absicht.
 

Der Weg nach Hause fühlte sich leer an. Tsuzuku sagte nichts, und ich wusste auch nicht, was er dachte. Ob Koichi gerade besser in ihm lesen konnte, konnte ich nicht erkennen, und ich traute mich nicht, danach zu fragen.

Und so gingen wir schweigend, bis auf das eine Mal vor der Haustür, als ich Koichi nach dem Schlüssel fragen musste und er ihn mir zurückgab.
 

Auf der Treppe fiel Tsuzuku einige Schritte hinter uns zurück, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass er keuchte und sich die Hand ans Herz hielt. Doch ich war in diesem Moment zu unsicher, um ihm helfen zu können, und so war es Koichi, der sogleich bei ihm war und ihn stützte.

„Am besten legst du dich drinnen gleich hin“, sagte er und half Tsuzuku die letzten Treppenstufen hoch.

Ich schloss die Wohnungstür auf, ließ die beiden in die Wohnung und machte dann wieder zu. Und ich löste gleich mein Versprechen ein, holte Tsuzukus Bettzeug aus dem Schlafzimmer und machte ihm auf der ausklappbaren Couch im Wohnzimmer ein Schlaflager.

Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus, legte sich hin, mit dem Gesicht zur Rückenlehne, zog die Bettdecke hoch und blieb so liegen. Ich sah nicht nach, ob er eingeschlafen war, sondern ließ ihn einfach so.
 

Koichi hatte in unserer Küche Tee gekocht und wir saßen noch ein bisschen zusammen.

„Ich hab dich für die nächsten Tage im Café krank gemeldet“, sagte er. „Du musst erst wieder arbeiten kommen, wenn mit dir und Tsu wieder alles okay ist.“

„Danke.“

„Meto, das wird wieder. Da bin ich mir ganz sicher.“

„… Er sagt ja gar nichts mehr …“, erwiderte ich leise und spürte schon wieder Tränen in meinen Augen.

„Weil er Angst hat. Ihr habt gerade beide sehr viel Angst“, sagte Koichi. „Er hat Angst, dass du ihn nicht mehr willst, und du hast Angst, dass er dich nicht mehr will.“

„Aber ich will ihn doch!“

„Dann mach ihm das klar. Du bist noch eher handlungsfähig als er. Tsuzuku hat solche wahnsinnige Angst, dass er wie gelähmt ist, er weiß wahrscheinlich gerade gar nicht mehr, wie es weiter gehen soll.“
 

Ich sah aus dem Fenster nach draußen, wo es schon langsam dunkler wurde. Der Tag ging schon langsam seinem Ende entgegen und ich hatte das Gefühl, als müsste ich noch heute unbedingt alles wieder in Ordnung bringen. Nur wie sollte ich das machen, wenn Tsuzuku vor lauter Angst und Schmerz nicht mehr zu wissen schien, was er eigentlich wollte?

[Tsuzuku] Act 33

An diesem Abend, als ich im Wohnzimmer auf dem ausgeklappten Sofa lag und verzweifelt versuchte, einzuschlafen, während mein Herz schmerzte und meine Tränen aufs Neue flossen, fraß sich diese Frage, ob jemals irgendwas wieder gut sein würde, wieder durch mein Inneres, wobei die Antwort immer wieder war, dass ich, wenn es nun wirklich zu Ende war, ebenso nicht mehr weiter wollte. Nicht mehr leben, weil mir alles so entsetzlich sinnlos erschien.
 

Ich lauschte, hörte nichts außer meinem eigenen, zitternden Atmen, und dachte, Meto sei schon eingeschlafen, drüben im Schlafzimmer, und in meinem Kopf wuchs der Plan, mich ins Bad zu schleichen, wo noch mein Rasierer liegen musste, mit den passenden Klingen …

Doch gerade, als ich mich umdrehen und aufstehen wollte, hörte ich leise Schritte nackter Füße auf dem glatten Boden, und Metos Stimme, ganz leise: „… Tsuzuku? Weinst du?“

Ich zog die Nase hoch, fuhr mir mit der Hand über die Augen. „Nein …“

Einen Moment lang herrschte wieder Stille, ich hörte ihn und mich atmen, wagte aber nicht, mich zu ihm umzudrehen.
 

„Möchtest du … vielleicht … na ja, rüber kommen … zu mir?“, brach Meto mit unsicherer Stimme die Stille. „Es ist … so leer … ohne dich …“

Er klang so unsicher und leise, beinahe schwach. Fast so, als hätte er Angst. Angst vor mir.

Ich wagte immer noch nicht, ihn anzusehen, und er kam auch nicht näher, stand dort in der Tür und wirkte so furchtbar unsicher. Wo war seine Kraft und Stärke hin, mit der er meiner Verzweiflung immer begegnet war? Warum kam er nicht einfach zu mir und umarmte mich, so wie immer?

Hatte ich es zerstört? Ihn zerstört? Ihn so sehr verletzt, dass er an der Grenze seiner Belastbarkeit war und sich nun nicht mehr getraute, auf mich zuzugehen?
 

Es kostete mich eine gewaltige Menge Kraft und meinen ganzen Mut, jetzt überhaupt etwas zu sagen, und das einzige, was mir über die Lippen kam, war: „Hast du … Angst vor mir?“

Ich hörte seine Schritte, er kam näher, blieb am Fußende meines Schlaflagers stehen, sodass ich nicht mehr umhin konnte, ihn anzusehen. Er sah nicht gut aus, traurig und verunsichert, seine Augen waren gerötet, er hatte geweint.

„Ein bisschen …“, sagte er leise.

„Und da willst du mich dennoch in deinem Bett?“

Meto biss sich auf die Lippen, seine Hände verhakten sich unruhig ineinander. Wieder entstand Stille zwischen uns, sie machte mir Angst. War das jetzt das Ende? Allein beim Gedanken daran schoss purer Schmerz durch meinen Körper, und Meto sah mir das natürlich an.
 

„Tsu?! Tut dir was weh?“, fragte er und saß Sekunden später neben mir, sah mich besorgt an, während ich meine Hand zitternd auf mein schmerzendes Herz presste.

„Geh nicht … bitte …!“, kam es mir über die Lippen, der Schmerz machte mich so wahnsinnig, dass meine Angst einfach aus mir heraus sprudelte, ich nichts mehr zurück halten konnte. „Wenn du gehst, bring ich mich um! Ich ergebe einfach keinen Sinn ohne dich, verstehst du?!“

Er sah mich erschrocken an, immer noch, obwohl er es doch längst wusste. Geflüstert kam ihm mein Name über die Lippen, und dann griff er mit beiden Händen meine freie Hand, drückte sie ganz fest.

„Tsu … Ich bin doch bei dir. Ich will nicht, dass du stirbst! Und wenn ich dabei kaputt gehe, verrückt werde, oder sonst wer schlecht über mich denkt, weil ich immer noch mit dir zusammen bin, ich gehe nicht!!“

„Warum … nicht?“, presste ich hervor, mein Herz schmerzte immer stärker.
 

„Weil ich dich liebe, du Idiot! Und daran wird sich nie, niemals mehr etwas ändern, nie, hörst du?! Tsuzuku, ich glaube nicht, dass mein Leben ohne dich irgendwie Sinn ergibt, da bin ich genau wie du. Ich brauche dich, und es tut mir so leid, dass ich weggelaufen bin! Ich will nur mit dir zusammen sein!“ War er eben noch so leise gewesen, so wurde er jetzt richtig laut, und ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten und herunter liefen. „Und falls du jetzt denkst, dass ich dich nicht mehr heiraten will, dann hast du dich getäuscht, mein Lieber! Du wirst mich nicht mehr los, nie mehr!!“

Und mit einem Mal, so schnell, dass ich mit Denken und Fühlen kaum nach kam, fand ich mich in seinen Armen wieder, fest an seinen Körper gedrückt, er zitterte, weinte, und dann waren da seine Lippen an meinem Hals, ganz unglaublich warm und zärtlich, ich drehte den Kopf, sah ihn an, und er blickte mir kurz in die Augen, ehe er seine Lippen auf die meinen presste.
 

Und irgendwie, so als ob ich es zuvor nie wirklich verstanden hatte, obwohl wir uns so nah waren, uns so oft geliebt hatten, miteinander verschmolzen waren und jeden Morgen mit einem „Ich liebe dich“ begonnen hatten … irgendwie verstand ich es erst jetzt, so fühlte es sich an. Ich verstand es, sah es endlich, begriff, dass er mich liebte. Wirklich mit ganzer Kraft liebte, und mehr als sich selbst oder irgendwas anderes auf der Welt. Seine Worte eben, sein Ernst dabei war unüberhörbar gewesen, und auch, wie er mich dabei angesehen hatte.

„Komm mit rüber“, sagte er, stand dann auf, nahm meine Hand, und ich ließ mich von ihm hochziehen. „Ich will dich in meinem Bett, und morgen früh neben dir aufwachen, immer wieder, und zwar für den Rest meines Lebens.“

Ich ließ mich von ihm in unser Schlafzimmer führen. Mein Bettzeug blieb auf dem Sofa liegen, aber ich brauchte es auch nicht, denn Meto nahm mich einfach mit unter seine Decke, zog mich nah an sich und küsste meine Stirn. Ich sah Ruana neben seinem Kopfkissen sitzen, sie beobachtete uns und ich bildete mir ein, dass sie lächelte.
 

Wir schliefen nicht miteinander in dieser Nacht, uns beiden war nicht danach, und mein Körper hätte das wohl auch kaum mitgemacht, mein Herz schmerzte immer noch und fühlte sich so müde an. Stattdessen lagen wir nur zusammen da, Meto umarmte mich, und irgendwann wagte ich dann, ihn auch meinerseits wieder zu umarmen.

Er schob seine Hand zwischen uns, streichelte über meinem Herzen, ganz liebevoll und ein bisschen vorsichtig, und ab und zu küsste er mich. Ich konnte kaum darauf eingehen, fühlte mich furchtbar müde und erschöpft, aber der Wunsch, zu sterben, war wieder weg, abgetaucht, Metos deutliche Worte hatten ihn fürs erste vertrieben. Ich glaubte ihm endlich, denn dass er nach allem, was jetzt gewesen war, immer noch so felsenfest zu mir hielt, war nun Beweis genug.
 

„Morgen rufe ich bei dem Tempel in Kyoto an“, sagte Meto leise und streichelte dabei über meine Seite. „Wir nehmen den nächsten möglichen Termin, ich will dich jetzt so schnell wie möglich heiraten. Und danach machen wir eine richtig schöne Reise, ganz weit weg …“

„Wohin denn?“, fragte ich.

„Ich dachte da an … Hawaii.“

Ich sah ihn überrascht an. „Hawaii?!“

Meto lächelte. „Ja, Hawaii. Ich war da als Kind mal mit meinen Eltern, es ist so wunderschön da, und ich würde gerne …“, er näherte seine Lippen meinem Ohr und flüsterte hinein: „… mit dir in einem Himmelbett an einem einsamen Strand liegen, und dich lieben, während wir das Meer rauschen hören und du so glücklich bist wie noch nie zuvor in deinem Leben.“

Ich musste einfach grinsen, kichern, und diese Bemerkung machen: „Also Sex on the Beach?“

„Genau. Nur halt in einem richtigen Bett, ohne störenden Sand …“

„Hört sich ziemlich geil an“, sagte ich, wollte lachen, doch dafür schmerzte meine Brust noch zu sehr, weshalb mir nur ein etwas heiserer Laut entkam.

„Aber jetzt schlafen wir erst mal ein bisschen, okay, Tsuzuku?“ Meto fuhr mir mit dem Finger über die Nase und küsste mich leicht und zärtlich. „Wir müssen uns beide ausruhen.“
 

Ich schlief tief, traumlos und sehr lange, es war, als konnte mein Körper jetzt, wo ich wieder in Metos Armen lag, endlich den fehlenden Schlaf nachholen. Ein einziges Mal wachte ich auf, erinnerte mich an die furchtbare Angst, allein zu sein, doch ich spürte Metos Arm um mich und hörte ihn atmen, und so war ich bald wieder fest eingeschlafen.
 

Als ich wieder aufwachte, war es hell, und ein Blick auf den Wecker sagte mir, es war etwa halb elf Uhr mittags. Meto lag nicht bei mir, aber ich hörte ihn in der Küche irgendwas tun, und mir stieg der Duft nach Essen in die Nase.

„Meto?“, fragte ich laut.

Er kam sofort zu mir, setzte sich auf die Bettkante.

„Du hast lange geschlafen …“, sagte er. „Wie geht’s dir?“

„Ganz okay“, antwortete ich.

Meto lächelte, beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf den Mund. „Ich hab vorhin beim Tempel in Kyoto angerufen. Aber da hat niemand abgenommen, also hab ich aufs Band gesprochen.“

„Und was hast du gesagt?“

„Dass wir den nächsten Termin nehmen, den sie frei haben. Und dass wir auch das Hotelzimmer brauchen.“
 

Ich setzte mich auf, und Meto umarmte mich auf einmal, drückte mich ganz fest an sich. „Tsuzuku, ich lieb dich so!“, flüsterte er in mein Ohr. „Ich will dich jetzt so schnell wie möglich heiraten!“

Ich legte meinerseits meine Arme um ihn, meine Lippen berührten seinen Hals. „Ich dich auch, Liebster …! Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist …“

„Ich liebe das, wenn du ‚Liebster‘ zu mir sagst!“ Meto lächelte wieder, dann presste er seine Lippen auf die meinen, küsste mich lange und mit einer neuen, irgendwie noch viel süßeren Zärtlichkeit. Ich schmiegte mich an ihn, und wir sanken zusammen in die Kissen, er über mir, ich spürte, wie sein Herz klopfte und …
 

In dem Augenblick hörte ich ein metallisches Klappern aus der Küche, das gefährliche Klappern eines Topfdeckels kurz vor dem Überkochen.

„Meto? Hast du noch was auf dem Herd?“

Er fuhr hoch, sprang auf und rannte rüber in die Küche, wo er eben und geradeso noch den Deckel vom Topf riss und die darin befindlichen Nudeln vorm Überkochen bewahrte.
 

Ich kam ihm nach und setzte mich auf meinen Platz am Küchentisch. Irgendwie dachte ich zwar, dass wir über das, was gewesen war, noch mal reden mussten, aber zugleich hatte ich Angst davor, große Angst, dass ich wieder eskalierte. Ich sah meinen linken Arm an, der immer noch weiß verbunden war, und tatsächlich bereute ich es jetzt, dass ich die Madonna zerstört hatte. Aber vielleicht konnte Koji da ja noch irgendwas dran machen?
 

Meto nahm den Topf von der Platte und begann, den Tisch zu decken.

„Gehst du dich richtig anziehen? Dann können wir essen“, sagte er.

Ich ging also ins Schlafzimmer und suchte mir Klamotten aus dem Schrank, einen grauen Pullover und eine schwarze Jeans, zog beides an und lief dann noch kurz rüber ins Bad, um meine Haare zu kämmen und mich ein klein wenig hübsch zu machen.
 

Als ich damit fertig war und in die Küche zurückkam, saß Meto schon am Tisch und wartete auf mich. Ich hatte tatsächlich sogar ziemlichen Hunger und nahm mir eine ordentliche Portion, die ich dann auch, wenn auch langsam, wirklich aufzuessen schaffte. Meto beobachtete mich aufmerksam beim Essen, achtete genau darauf, dass ich nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel aß.

Es war irgendwie alles wie immer, und fühlte sich dennoch seltsam und anders an. Vielleicht brauchte ich nach dem ganzen Schmerz einfach noch ein wenig, bis ich mich wieder in meinem Normalzustand fühlte.

Dass ich noch nicht wieder ganz okay war, merkte ich auch nach dem Essen, als ich plötzlich ein relativ starkes Druckgefühl im Bauch hatte. Ich legte mich im Wohnzimmer aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein, um mich abzulenken, denn erbrechen wollte ich nicht.
 

„Alles okay?“, fragte Meto und setzte sich zu mir.

„Ich hab ein bisschen Bauchweh“, antwortete ich. „Aber geht schon.“

Meto nahm meine Hand, streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken und berührte dabei auch den Verband. Es fühlte sich eigenartig an, irgendwie unangenehm und schön zugleich, wie auch als er meine Narben berührt und sogar geküsst hatte. Mein Herz zitterte, und auf einmal hatte ich Tränen in den Augen. Sofort zog Meto seine Hand zurück, er hatte wohl Angst, dass es mir wehtat …

„Nicht …“, entkam es mir. „Nicht weggehen …!“

„Ich bleib hier, keine Angst.“ Er nahm meine Hand wieder in seine, drückte sie. „Alles gut, Tsuzuku, ich bin bei dir.“
 

„Willst du jetzt … einfach weitermachen?“, fragte ich nach einer Weile, und diese Frage kostete mich einigen Mut.

Meto sah mich an und nickte dann. „Ja. Also, natürlich weiß ich, dass sich irgendwas ändern muss, aber erst mal denke ich, wir sollten einfach so zusammen leben wie bisher, denselben Alltag haben wie vorher. Ich glaube, das gibt uns beiden Sicherheit, und verändern wird sich sowieso nur ganz langsam etwas …“

„Gestern Abend hattest du Angst vor mir …“

Meto drückte meine Hand, dann sagte er: „Aber jetzt nicht mehr. Mir geht’s gut, ich hab keine Angst vor dir. Und dir geht’s doch jetzt auch wieder gut, oder?“

„Hast du … Angst vor mir, wenn es mir nicht gut geht?“

„Nur, wenn du so völlig außer dir bist … Ich weiß dann einfach nicht, was ich tun soll. Aber ich will das lernen, ich lass mir auch helfen, genau wie du. Wir werden beide lernen, wie wir mit deiner Krankheit besser umgehen.“

Ich spürte sie wieder, seine unnachgiebige Stärke, mit der er mich immer noch liebte. Und vielleicht hatte ich es gestern Abend wirklich verstanden, zumindest so weit, wie es mir möglich war, zu verstehen, dass ich von Meto mit all seiner Kraft geliebt wurde.

„Dann … machen wir einfach weiter …?“

Meto lächelte, beugte sich vor und küsste mich. „Genau.“
 

Eine Weile saßen wir einfach still da, dann machte Meto den Fernseher an und sagte, dass er gern mit mir zusammen das laufende Baseball-Spiel ansehen wollte. Alltäglicher ging es kaum, und ich fand die Idee auch irgendwie schön, gemütlich ein Spiel anzuschauen.

Meto holte sich eine Tüte Knabberzeug, doch da ließ ich die Finger davon, mir war Essen gerade einfach nicht so geheuer.
 

Irgendwann, das Spiel war dann schon fast vorbei, da kam Meto näher zu mir und kuschelte sich an mich. Ich sah ihn an und bemerkte, dass seine Wangen sich zartrosa gefärbt hatten und er etwas tiefer atmete. Seine Hand auf meinem Bein streichelte zärtlich und mir lief ein heißer Schauer den Rücken hinab.

Auf dem Bildschirm war die Baseball-Schulmannschaft einer tokyoter Eliteschule gerade dabei, das Spiel zu gewinnen, aber das wurde sehr schnell zur Nebensache, als Metos Hand sich meinen Oberschenkel hinauf in Richtung meines Schritts bewegte. Es fühlte sich an wie ein kleiner elektrischer Schock, ähnlich dem, den man bekommt, wenn man das Geländer einer Rolltreppe berührt.

Ich atmete zischend ein, mein Herz begann zu rasen, und ich fragte mich sofort, was mit mir los war, weil es sich so viel intensiver anfühlte als sonst. Es war, als hätte sich die Sensibilität meines Körpers irgendwie vervielfacht, und nun empfand ich Metos Nähe und seine zärtlichen Absichten als beinahe schon überwältigend.
 

„Alles okay, Tsuzuku?“, fragte er leise. „Du siehst aus, als ob dir was wehtut …“

„Ja … alles gut … es ist nur so … intensiv irgendwie …“, brachte ich ebenso leise heraus.

„Intensiver als sonst?“

Ich nickte. „Fast schon überwältigend …“ Und fragte dann: „Willst du jetzt … irgendwie so was? Also, mit mir schlafen?“

Das Rosa auf Metos Wangen wurde deutlich dunkler, als er nickte. „Ich hab … irgendwie gerade solche Lust auf dich …“

„Ich weiß nicht …“, sagte ich. „Irgendwie will ich auch … Aber ich hab Angst, dass es mich … dass es mir zu viel wird …“

„Ich mach ganz langsam, okay?“ Ihm war anzumerken, er war wirklich erregt und wollte mit mir schlafen, aber zugleich wollte er mich natürlich nicht überreden …

„M-hm“, machte ich und schmiegte mich ein wenig an ihn, doch auch das fühlte sich so ungewohnt intensiv an. Warum das jetzt so war, wusste ich nicht, ich konnte nur vermuten, dass es irgendwie mit dem, was passiert war, zusammenhing.
 

Meto stand auf, nahm meine Hand und zog mich hoch, schaltete den Fernseher aus und führte mich rüber in unser Schlafzimmer.

„Wir können auch nur ein bisschen Petting machen, wenn du heute nicht noch mehr kannst …“, sagte er und drückte mich dabei sanft aufs Bett nieder, setzte sich dann neben mich und umarmte mich.

Ihn zu spüren, war so schön und schmerzhaft zugleich, so intensiv …! Mir entkam ein leiser Laut, der sich vielleicht etwas gequält anhörte, denn Meto ließ mich los und sah mich an.

„Alles okay, mein Herz?“, fragte er wieder.

„Ich …. ich weiß nicht …“, antwortete ich.

„Tut dir die Berührung weh?“

Ich nickte, und verneinte gleich darauf. „Nein …! Hör nicht auf …!“

„Ich will dir nicht wehtun.“

„Es macht nichts“, erwiderte ich schnell. „Es macht nichts, wenn es wehtut!“

Meto sah mich nachdenklich an, nur einen Moment lang, dann fragte er: „Möchtest du vielleicht … heute den aktiven Part? Dann tut es vielleicht nicht ganz so weh?“

„M-hm“, machte ich nur.
 

Meto zog sich sein Shirt über den Kopf aus, und ich sah ihn an, seinen wunderschönen, süßen Körper, das bunte Tattoo und seine sich langsam erregt rötenden Brustwarzen. Ich wollte sie küssen, diese süßen Knospen, und da merkte ich, dass ich mich nicht traute.

Ich hatte irgendwie immer noch Angst … Trotz dass ich verstanden hatte, dass er mich liebte und wollte, war da diese irrationale Angst. Aber irgendwie merkte Meto mir meine Ängste an.

„Tsuzuku“, sprach er mich an, „Du musst wirklich keine Angst haben. Ich will, dass du mich berührst und umarmst. Weil ich dich liebe und weil ich will, dass zwischen uns alles wieder okay ist.“
 

„Ich weiß …“, antwortete ich. „Aber … ich weiß nicht, ob ich … ob ich gerade in der Lage bin, mit dir zu schlafen … oder auch Petting zu haben …“

„Hast du … das Gefühl, als ob es dafür noch … zu früh ist? Nach dem, was die letzten Tage war?“

Damit beschrieb er ziemlich genau, wie es sich für mich gerade anfühlte, und ich nickte.

„Dann warten wir eben damit noch“, sagte er einfach. „Wir haben jede Menge Zeit.“

Ich nickte nur, verstand ich doch selbst nicht, warum mein Körper gerade so überempfindlich reagiert hatte.
 

Und so beließen wie es dabei. Hatten an diesem Tag keinen Sex, sondern suchten uns etwas anderes zu tun.

Meto zog sein Shirt wieder an, verschwand für eine Weile im Bad, und sagte danach einfach, dass wir noch ein bisschen einkaufen gehen konnten. In den Conbini oder in den Supermarkt, oder vielleicht sogar in einen Laden für Kleidung, weil Einkaufen etwas war, was man einfach so zusammen unternehmen konnte.

Zigaretten hatte ich noch genug, ich hatte ja letztens zwei Päckchen gekauft, und eigentlich war auch noch genug Essen im Kühlschrank.
 

Und so fuhren wir dann wirklich mit der Bahn in die Innenstadt, um ein bisschen durch die Läden zu streifen und vielleicht das eine oder andere T-Shirt oder ähnliches zu kaufen.

Als wir dabei auch in den Laden einer Kette kamen, die es in unserer Heimatstadt auch gab, musste ich daran denken, wie Meto und ich früher, in meiner Zeit auf der Straße, ja auch einige Male zusammen los gewesen waren. Jedes Mal, wenn mir ein Kleidungsstück kaputt gegangen war, hatte er mir ein neues gekauft, weil er nicht wollte, dass ich allzu abgerissen aussah. Schon damals hatte ich das bei aller Scham dennoch genossen, wie er sich mit dieser liebevollen Fürsorglichkeit um mich gekümmert und mich versorgt hatte.
 

Jetzt hatte ich selbst wieder das Geld, mir schöne Sachen zu kaufen, und fand auch einiges, was mir gut gefiel. Und während ich mir in der Männerabteilung Jeans und Shirts aussuchte, und dazu auch das eine oder andere Accessoire, verschwand mein Liebster in Richtung der Frauenabteilung, und kam nach einer Weile mit einem breiten Grinsen zu mir zurück, hielt eine Packung in der Hand, in der sich laut dem Bild darauf ein Paar halterlose Netzstrümpfe befanden.
 

„Guck mal“, grinste er. „Sind die nicht toll?“

„Für’s Bett, oder was?“

„Mir egal, ich zieh die auch zu ‘nem Minirock oder so an.“ Er lachte, dann fragte er: „Würdest du denn drauf stehen, wenn ich so was im Bett trage?“

Ich musste ebenso lachen, und gleichzeitig fand ich die Vorstellung wirklich ein bisschen geil.

„Kannst es ja mal auf einen Versuch ankommen lassen“, sagte ich.

„Okay!“ Er grinste wieder, und lief dann wieder los zu den Frauensachen, offenbar hatte er richtig Lust auf Shoppen und war voll in seinem Element.
 

Als ich dann mit zwei Jeans, drei Shirts und ein bisschen Kleinkram an der Kasse stand und zahlte, sah ich zwei Kassen weiter, wie mein Bald-Ehemann dort doch tatsächlich einen ganzen Stapel verschiedener, sehr femininer Sachen bezahlte. Ich konnte unter anderem einen schwarzen, lackglänzenden Minirock erkennen, und ein babyrosa T-Shirt mit Rüschen dran und einem süßen Häschen drauf. Ich musste lächeln, er war einfach zu süß, und nachdem ich meine Sachen bezahlt hatte, lief ich zu ihm rüber.
 

„Die Kassiererin hat vielleicht geguckt“, bemerkte er grinsend.

„Wenn du auch lauter Mädchensachen kaufst …“

„Aber ist mir jetzt egal. Ich mag das so, ich zieh das gerne an, und gut ist.“ Meto nahm meine Hand, wir verließen den Laden, und draußen sagte er: „Weißt du, dass du mir total viel Selbstbewusstsein gibst, Tsuzuku? Wenn du da bist, kann ich so viel, es wird immer besser!“

„Echt jetzt?“, fragte ich, obwohl mir das ja auch schon mal aufgefallen war.

„Ich bin so stolz, dass du mein Mann bist, dass wir zusammen sind und heiraten werden, und deshalb macht es mir jetzt kaum noch was aus, dass Leute gucken und so.“

„Das ist gut.“

„Ist es wirklich. Ich kann sogar fast wieder richtig sprechen!“
 

Ich lächelte, blieb stehen, zog ihn zu mir und küsste ihn, einfach so, mitten auf der Straße. Weil er mich einfach so, so, so glücklich machte, denn diesen Stolz, dass er mein Mann war, den fühlte ich auch.

Und hätte er vor einer Weile vielleicht noch protestiert, dass uns hier jeder sehen konnte, oder wäre zumindest rot geworden, so legte er jetzt einfach seine Arme um meinen Hals und küsste mich leidenschaftlich zurück, fast so, als wären wir zu Hause und allein miteinander.
 

In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass wir unsere Nische gefunden hatten. Unser Platz in dieser sich nach außen hin so glatt und akkurat gebenden Gesellschaft Japans war zwar eher am Rand, eine Nische eben, aber wir fühlten uns dort wohl und richtig. Wir wollten gar nicht in die Mitte, denn dort war es so eng und maskenhaft, und am Rand hatten wir so viel mehr Bewegungsfreiheit!
 

Ich fühlte mich in diesem Augenblick zum ersten Mal seit langer Zeit wieder als Japaner, es war doch noch ein Stück meiner Identität, die ich gerade tatsächlich erkennen und fühlen konnte. Es war mein Land, meine Heimat, auch wenn mir längst nicht alles hier gefiel. Für wenige Sekunden sah ich wieder bunt und nicht mehr schwarz-weiß, konnte erkennen, dass ich mich als Japaner empfinden durfte und zugleich nicht allen Regeln folgen musste.
 

Meto und ich nahmen die nächste Bahn nach Hause, und während er dann dort vor dem Spiegel im Flur seine neuen Sachen anprobierte und kombinierte, beschloss ich, mal wieder ein bisschen zum Sport zu gehen.

„Geht das denn mit deinem Arm?“, fragte Meto, als ich ihm sagte, dass ich noch ins Sportstudio wollte. „Nicht, dass die Schnitte wieder aufreißen oder so …“

„Ich schone ihn, versprochen“, sagte ich und packte meine Sportklamotten in einen Beutel. „Ich mach nur leichtes Training.“

„Pass gut auf dich auf“, entgegnete er, wandte sich mir zu und küsste mich.
 

Das Sportstudio war nicht allzu weit weg, nur ein Stück die Straße runter und dann rechts, und ich konnte, als ich davor stand, bis zur Klinik schauen, die ja auch hier in der Nähe war.

Dort drin war ich bis gestern gewesen, hatte da drinnen gelegen und mich entsetzlich sinnlos und verlassen gefühlt. Und jetzt im Moment ging es mir so gut, dass es Wochen her zu sein schien, dieser Zusammenbruch, der große Krach mit Meto, und wie ich bei Koichi gewesen war und dort weiter eskaliert war … Ich konnte kaum glauben, dass ich meinen besten Freund in meiner Verzweiflung sogar geküsst hatte!

Ich sah meinen linken Unterarm an, der immer noch weiß verbunden war, blickte dann noch mal in Richtung Klinik, aber dann schüttelte ich den Kopf und wandte mich dem Sportstudio zu, betrat es und ließ die Last der Erinnerung fürs Erste von mir abfallen.
 

Drinnen war es laut und lebhaft, es lief Musik und die meisten Geräte waren belegt. Ich sah, dass Laufbänder und Crosstrainer wohl am meisten von Frauen genutzt wurden, während die Männer sich eher dem Kraftsport zugewandt hatten.

Eigentlich hatte ich auch Lust auf Krafttraining gehabt, aber als ich einen anderen Mann dabei beobachtete, wie er schwere Hanteln stemmte, sah das sehr danach aus, als würde das, wenn ich es versuchte, meinem linken Arm nicht gerade gut tun. Und so ging ich mich erst mal umziehen, um mich danach auf eine der Bänke zu setzen, die für Pausen dort standen.
 

„Hey, hast du gerade kein Programm?“

Ich sah hoch und vor mir stand ein Typ in Tanktop und Sportshorts, der mit seinem kleinen Kinnbart und den bunt zutätowierten Armen eine gewisse Ähnlichkeit mit Dir en grey‘s Kaoru hatte.

„Nein, ich warte drauf, dass was frei wird“, sagte ich.

Der Typ setzte sich neben mich und pfiff anerkennend durch die Zähne. „Geiles Bodyart hast du da.“

„Danke.“ Ich wusste nicht recht, was ich tun und sagen sollte. Aber ein bisschen zu quatschen, um hier im Studio ein wenig Anschluss zu finden, konnte ja nicht schaden. „Du aber auch.“
 

„Ich hab dich hier noch nicht gesehen. Wie heißt du?“

„Nenn mich Tsuzuku.“

„Pseudonym?“

„Japp.“

„Auch gut. Ich bin Kao.“

Ich sah ihn überrascht an. „Kao, wie von Kaoru?“

Er grinste mich an. „Ja. Und du wärst auch nicht der erste, der mir sagt, dass ich ihm ähnlich sehe.“
 

Dann sah er mich kurz an, ich spürte eindeutig seinen Blick auf meinem Arm, und tatsächlich fragte er: „Sportverletzung?“

Ich schüttelte den Kopf und dachte mir in Sekunden eine Geschichte aus. „Hab mich beim Kochen verbrannt.“

„Und Tattoo im Eimer?“

„Wahrscheinlich. Muss aber mal sehen, vielleicht kann mein Kollege da noch was retten.“

„Dein Kollege?“

„Ja“, sagte ich. „Ich arbeite in ‘nem Tattoo-Studio.“

„Ah, geil. Bist richtig Tätowierer?“

Ich nickte.

„Ja wer weiß, vielleicht sieht man sich dort mal?“ Kao lächelte.
 

Ein Stück weiter wurde gerade eines der eher leichteren Konditionsgeräte frei, und ich stand auf, ging hin und fing mit dem Training an. Kaoru war mir gefolgt und wandte sich dem Krafttrainer daneben zu, einem Gerät, bei dem man verschiedene Gewichte über Flaschenzug hochziehen musste.

„Machst du viel Sport?“, fragte er in einer Pause.

„Ab und zu …“, sagte ich.

„Du bist ja sehr schlank …“

Wieder so eine Stelle, an der ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Bei meinem verbundenen Arm war mir das Lügen noch relativ leicht gefallen, aber was sagte ich jetzt, wo es um mein Untergewicht ging? Da gab es nicht so viele Ausweichmöglichkeiten.

„Ich weiß“, sagte ich leise und wich Kaos Blick aus. „Bin schon immer so.“

„Hast du was an der Schilddrüse oder so?“, fragte er.

„Weiß nicht …“

„Solltest du vielleicht mal untersuchen lassen“, sagte Kaoru. „Weil … ehrlich gesagt sieht das nicht gerade gesund aus.“
 

Ich ging nicht weiter darauf ein, zu groß war meine Scham. Ich fürchtete, dass Kao mich, wenn ich ihm sagte, warum ich wirklich so dünn war, nicht mehr ernst nehmen würde. Essstörungen, die schrieb man doch eher jungen Mädchen zu, statt einem erwachsenen Mann?

Mir ging dann auch bald die Kraft aus, sodass ich mich wieder auf die Bank setzte. Der Schlafmangel der letzten Tage und das zu wenige Essen hatten mich doch ganz schön geschwächt, auch wenn ich ja heute Morgen bis elf Uhr geschlafen hatte.
 

Kaoru machte noch etwas weiter, dann setzte er sich wieder neben mich.

„Alles klar?“, fragte er. „Du siehst echt müde aus.“

„Bin ich auch …“, antwortete ich. „Ich hab die letzten Tage kaum geschlafen.“

„Warum nicht?“

Ich blickte zu Boden. „Will nicht drüber reden.“

„Probleme?“

Ich nickte nur.

„Hast du jemanden, mit dem du reden kannst?“

Wieder nickte ich, dachte an Koichi und an Koji.

„Dann ist gut.“ Kao lächelte.
 

Ich blieb dann nicht mehr lange. Ging bald duschen, zog mich wieder an, und verließ das Sportstudio, um auf direktem Weg nach Hause zu gehen.

Zu Hause angekommen, fand ich Meto an seinem Schreibtisch sitzend, er hatte den PC an und las darin irgendwas. Als er mich ins Wohnzimmer kommen hörte, schloss er die Anzeige und drehte sich zu mir um.

„Na, war schön, der Sport?“, fragte er.

„Hab nicht sehr viel gemacht“, antwortete ich. „Da war ein Typ, Kaoru hieß der, mit dem hab ich ein bisschen geredet. Es war auch ziemlich voll, ich musste lange warten …“
 

Meto stand auf, ging zum Sofa rüber und legte sich lang darauf hin, in einer Weise, die mich dazu einlud, mich zu ihm zu legen. Er nahm sich meine immer noch hier herumliegende Bettdecke, um uns beide ein wenig zuzudecken, und umarmte mich dann.

„Geht’s dir gut?“, fragte er nach einer Weile, die wir einfach nur still zusammen da gelegen hatten.

Ich nickte. „M-hm …“

„Keine Angst?“

„Nur ein bisschen …“

„Wovor denn?“

„Das Übliche …“

Meto sah mich an, dann nahm er mein Gesicht in seine Hände. „Weißt du denn, dass du eigentlich gerade keine Angst haben musst?“, fragte er mit sanfter Stimme.

„Irgendwo schon“, sagte ich. „Aber die Angst ist trotzdem da …“

„Ganz schon irrational, hm?“
 

Ich nickte, und schmiegte mich an ihn, in einem Versuch, meine Angst dadurch selbst zu vertreiben. Metos Nähe zu spüren, um mir klar zu machen, dass er wieder bei mir war und mich nicht verlassen hatte. Er erwiderte mein Anschmiegen, umarmte mich wieder und hauchte ein Küsschen auf meinen Hals. Und ich fragte mich wiederum, wie ich seine Liebe eigentlich verdient hatte.

„Ich hab dich auch sehr vermisst, Tsuzuku“, sprach er leise und kuschelte sich an mich. „Ich hatte auch Angst, dass du mich nicht mehr liebst …“

Ich sah ihn an, etwas erschrocken, obwohl ich das ja von Koichi gewusst hatte, Metos Angst, dass ich ihn nicht mehr lieben könnte.

„Wie könnte ich?“, erwiderte ich. „Wie könnte ich dich jemals nicht mehr lieben?! Meto, ich will dich nicht hassen, ich will das nicht, hörst du?! Also, wenn es jemals so aussehen sollte, als ob ich dich nicht mehr liebe … bitte denk dann, dass ich in dem Moment nicht ich selbst bin! Manchmal … bin ich so zerstört und weg, aber das bin dann nicht ich, verstehst du?!“
 

Er sah mich einen Moment lang an, schien zu versuchen, meine Worte zu verstehen, und ich fragte mich irgendwie, ob er nicht vielleicht ähnlich kaputt war wie ich, damit er mich überhaupt verstehen konnte.

„Verstehe ich“, sagte er dann. „Ich werd‘ dran denken. Manchmal, wenn du … so bist, dann kommt es mir auch so vor, als ob du dann gar nicht weißt, was du da eigentlich sagst und tust. Aber … ich weiß dann oft nicht, was ich tun soll.“

‚Umarm mich dann‘, wollte ich sagen, ‚Halt mich fest, auch wenn ich um mich schlage‘ Doch die Angst davor, dass er dann sagte, dass er das nicht konnte, ließ mich schweigen.
 

„Tsuzuku, ich weiß nicht, wie wir jetzt weiter machen sollen. Also, zusammen sein, das ist klar, aber wie? Verstehst du, was ich meine? Es war alles so … viel in letzter Zeit …“, sagte er nach einer Weile.

Ja, das verstand ich. Doch zugleich machte es mir Angst. Ich sah wieder nur das Verschmelzen einerseits und die mich ängstigende Distanz auf der anderen Seite, nicht den Weg dazwischen, obwohl da, wenn ich Dr. Niimura glaubte, ein Weg existierte.
 

„Ich will nicht weggehen, nicht mal für ein paar Tage, wenn ich weiß, dass du mich so furchtbar vermissen wirst“, fuhr Meto fort. „Ich weiß, du kannst nicht alleine sein. Und ich will nicht, dass du leidest und dir dann wehtust.“

„Bin ich dir ‘ne Last?“ Die Worte waren schneller raus, als ich denken konnte.

„Nein. Ich liebe dich, und ich weiß, dass es an mir hängt, ob es dir gut geht. Aber weißt du, es haben nun einige Leute zu mir gesagt, dass ich auch mal Zeit für mich selbst brauche.“
 

Ich versuchte wirklich, es zu verstehen. Zu verstehen, dass Meto auch mal Zeit für sich brauchte, weil ich mit meiner Krankheit eben nicht einfach war und es ihn Kraft kostete, immer für mich da sein zu müssen. Doch meine Angst, meine verrückte, schwarz-weiße Angst, verhinderte in diesem Moment, dass ich klar denken konnte.

In mir braute sich wieder etwas zusammen, eine Mischung aus Angst, schwarz-weißem Fühlen und einer wilden Unruhe, die, das wusste ich ganz genau, gleich explodieren würde, wenn ich das jetzt nicht irgendwie stoppte.

„Hör auf …!“, brachte ich heraus. „Es tut mir leid … aber … ich kann da jetzt nicht … drüber reden …!“

„Macht es dir solche Angst?“

„Ja …!“

„Okay, dann lassen wir das jetzt. Wir können später weiter darüber reden.“ Meto sah mich an, doch ich konnte in diesem Moment seinen Blick nicht lesen.
 

„Möchtest du jetzt … schon schlafen gehen?“, fragte er dann.

Ich nickte, denn ich war wirklich ziemlich erschöpft und müde. Und ich sehnte mich danach, die ganze Nacht in Metos Armen zu liegen, doch ich traute mich nicht, ihn darum zu bitten.

„Erst ein bisschen Abendessen, und dann schlafen, okay?“

„M-hm …“

„Komm, du musst ein klein wenig essen. Ich füttere dich auch wieder.“

Ich musste lächeln. Die Vorstellung, dass er mich wieder fütterte, war einfach zu schön.
 

Und so gingen wir rüber in die Küche, wo Meto anfing, Gemüse zu schneiden und ein bisschen Reis zu kochen. Ich half ihm dabei, und als alles fertig war, saß ich ihm gegenüber, er nahm ein Stück eingelegtes Gemüse und sagte nur: „Mund auf, mein Herz.“

Ich machte brav den Mund auf und er schob mir den ersten Happen rein, ließ mir viel Zeit zum Kauen und bot mir, nachdem er selbst auch davon genommen hatte, die nächste Stäbchenladung Reis mit Gemüse an.
 

„Wie fühlt sich das an?“, fragte er. „Wie ist das, wenn ich dich füttere?“

„Irgendwie … total schön“, antwortete ich. „Mein Herz fühlt sich dann ganz warm an.“

„Es macht dich glücklich, nicht wahr?“

Ich nickte. Obwohl ich wusste, dass es sicher Leute gab, die das peinlich finden würden, genoss ich dieses Gefüttert-werden so sehr, es war so ziemlich das glücklichste Gefühl, das ich mit dem Thema Essen verbinden konnte.

„Ich hör nicht damit auf, Tsuzuku, versprochen.“ Meto lächelte, berührte mit seinen Lippen ganz leicht die Stäbchen und hielt sie dann samt Gemüse mir hin, wie einen indirekten Kuss. Ich nahm an, beugte mich dann über den Tisch und forderte einen richtigen Kuss ein, den ich auch bekam.
 

Später dann, als wir mein Bettzeug wieder in unser Bett gebracht hatten, legten wir uns zusammen hin, in Unterwäsche und mit Ruana zwischen uns. Meto umarmte mich wieder, und ich kuschelte mich an ihn, spürte seine Arme um mich und seinen Herzschlag so nah. Am liebsten wäre ich jetzt nackt gewesen, um so viel wie möglich von seiner Haut an meiner zu spüren. Nicht mal unbedingt, um mit ihm Sex zu haben, sondern einfach um nackt und eng umschlungen mit ihm zu liegen, seine Nähe zu spüren, dass er wieder bei mir war …

„Ich … wär jetzt gerne nackt“, flüsterte ich.

„Wollten wir damit jetzt nicht bis zur Hochzeit warten?“

„Nur nackt sein, ohne Sex“, präzisierte ich. „Ich möchte einfach … nackt in deinen Armen liegen.“

Meto lachte leise. „Dann zieh dich aus, Tsu.“
 

Er ließ mich los, und ich streifte mir die Wäsche vom Leib, er tat es mir gleich und wir kuschelten uns sogleich wieder zusammen. Ich spürte seine Wärme und Weichheit, seinen Herzschlag und sein schlaffes Glied, und es erregte mich nur ganz leicht, nicht so sehr, dass ich jetzt mehr gewollt hätte. Und ihm schien es genauso zu gehen, er blieb so, wurde nicht geil, obwohl sein Glied das meine berührte, als wir uns nackt und eng umschlangen und aneinander kuschelten. Seine Hände kraulten zärtlich meinen Nacken und strichen durch mein Haar, und ab und zu küssten wir uns, ganz süß und weich und geradezu unschuldig.

„Das ist schön so“, sagte ich leise.

„Find ich auch.“ Meto lächelte, und ich küsste seine vollen, weichen Lippen.
 

So als hätte ich immer noch Schlaf nachzuholen, weil mich die letzten Tage so unglaublich viel Kraft gekostet hatten, schlief ich dann sehr bald ein. Und noch im Einschlafen fühlte ich mich so sicher und geborgen, spürte Metos Haut auf meiner, hörte seinen Herzschlag und sein Atmen und sank umgeben von ihm und seiner Wärme in einen traumlosen Schlaf.

[Meto] Act 34

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Koichi] Act 35

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Meto] Act 36

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Tsuzuku] Act 37

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war es, das erste Kapitel. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Lasst doch ein Kommi da ^^
Das nächste wird dann aus Metos Sicht geschrieben sein.

bis dann ^^
eure
Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Vorschau: Das nächste Kapitel wird wieder Tsuzukus Sicht und vermutlich so 50/50, was Glück und Traurigkeit im Inhalt angeht. Es ist schon in Arbeit und ich werde mich, wenn nichts dazwischen kommt, ranhalten mit dem Schreiben.

Wäre lieb, wenn ihr mir ein kleines Kommi dalasst.
lg
Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo ~
Als nächstes geht es dann für Meto mit dem Arbeiten los, aus Koichis Sicht.

Ich hoffe, dass euch auch dieses Kapitel gefallen hat und freue mich wie immer über hilfreiche/nette/süße Revis und Kommis.

ganz liebe Grüße
eure
Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war das Koichi-Kapitel mit viel Meto und 'nem Cliffhanger am Ende.

Fürs nächste Kapitel empfehle ich dieses Mal wirklich Taschentücher. Es ist schon in Arbeit und ich hab beim Schreiben schon selber welche gebraucht.

Bis dann, meine Lieben ^^
glG
Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe sehr, das Kapitel hat euch gefallen. *verbeug* Bei Tsu hab ich immer noch mal extra viel Herzblut drin.
Kleine Vorschau fürs nächste Kapitel: Es wird weiter gekuschelt! ^^
Ich freu mich wie immer riesig über Revis/Kommis und Favos. ^^

ganz liebe Grüße,
das Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war Act 9.

Act 10 ... hm, ja, den habe ich heute erst angefangen. Kann sein, dass das wieder dramatisch wird ...
Ich will mal nicht spoilern.

ganz liebe Grüße
eure Haru <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Whow, geschafft! Ich hab das Kapitel so mehr oder weniger in eins geschrieben, manchmal geht das schnell, besonders bei Drama.
... Und jap, kitschiges Kapitelende und das Lime mittendrin mussten auch sein. ^^
Ich hoffe, ihr seid jetzt nicht zu verstört ...

glG
das Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Ich hab zwar 'ne ungefähre Planung für die weitere Geschichte, aber keine Ahnung, was davon im nächsten Kapitel drankommen wird. Es wird ein Tsu-Kapitel, ihr wisst ja, was das heißen kann ...
2. Ich füge jetzt "Hetero" bei der Genrezuordnung hinzu. Will ich zwar eigentlich nicht, weil das in Bezug auf dieses Kapitel hier ja ein bisschen spoilert, aber muss ja, ne ...

Baiii ^^/
das Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorryyyy, sorry, sorry, sorry für diesen gemeinen Cliffhanger! Beschwerden gehen bitte an die Sado-Seite meines Autorinnen-Ichs, die ist an allem Schuld! XD
Mein armes Tsu-Baby ... TuT
Ich werde das nächste Kapitel (Meto) schnellstmöglich nachliefern, damit ihr weiterlesen könnt und erfahrt, wie Tsuzuku aus diesem Loch wieder rausfindet.

glG
das Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hm ... Na, was meint ihr, wie geht's jetzt weiter? Mit Koichi natürlich! XD

Ich hab im Moment relativ viel Zeit und schreibe dementsprechend viel, sofern ich genug Ideen habe.
Und wenn euch irgendwas einfällt, ein Vorschlag, was ich hier noch einbringen könnte, dann raus damit! ^^

glG
das Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So. Das nächste Kapitel ist dann wieder Tsuzuku und beschreibt auch den Termin beim Psychiater nochmal genauer.
Und es wird vielleicht auch wieder ... heißer und so ... XD

lg
Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo, ich hoffe, es hat euch gefallen ^^
Für die Szene "Einsamer Tsuzuku schnuppert an Metos Schlafanzug" geht ein Danke an die liebe daietto_usagi raus, die Idee ist in einem Chat mit ihr schon vor einiger Zeit entstanden.
Das nächste Kapitel wird dann wieder ein Meto. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Als nächstes gehts dann wie immer nach Koichis Sichtweise mit Tsuzukus weiter, es wird stechend, emo as always und wahrscheinlich auch wieder ganz schön heiß ... XD

bis dann ^^//
eure Haru Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Achtung, Änderung der Reihenfolge! Das nächste Kapitel wird wieder ein Tsuzuku.
Und es wird fies, im Sinne von sehr dramatisch und traurig.


Aber keine Angst, am Ende dieser Geschichte gehts gut aus. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel ist auch schon lange fertig und kommt dann die Tage on. Ich dachte erst, ich lade alles zusammen hoch, aber mache es jetzt doch anders. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel ist dann ein Meto-Act. Komplett anzeigen

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Von: daietto_usagi
2020-11-09T21:16:52+00:00 09.11.2020 22:16
Juhuuuu auf zur Hochzeit. \^u^/
Ich bin sehr gespannt wie das alles von Statten geht.
Also nicht lang labern, sondern ich fang direkt an~ ^3^
(hat ja lang genug gedauert bei mir, sorry Haru. XD)

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Es muss ein sehr seltsames und zugleich sehr beflügelndes Gefühl sein, in einem Hotelraum aufzuwachen. Typisch traditionell japanisch. Alles ruhig. Den Liebsten direkt neben sich. Haut an Haut und ihn ansehend. Das letzte Mal mit ihm zusammen aufzuwachen im Wissen das in wenigen Stunden genau dieser Mensch vor einem... der eng verbundene Ehemann sein wird. Wobei sich eigentlich nicht viel ändern wird. Es ist die selbe Person, die man die ganze Zeit schon liebt. Nur das dann ein treuer Begleiter namens Ring den Bund der Liebenden auf ewig symbolisieren wird.\ ^q^/ Aber alles der Reihe nach... erstmal Frühstücken <3.

Nom nom nom... Tsu fühle meinen Neid. XD
Mit verbundenen Augen dort zu sitzen und mit leckeren Lippen und hin und wieder schmackhaften Essen gefüttert zu werden. <3 Uhuuhuhuhuuhu~ ja das macht einen doch neidisch. Andersrum darf auch Meto meinen Neid spüren. XD Ich stell mir das immer sooo sooo heiß vor ... einen wilden, männlichen Tsuzuku vor sich zu sehen. Dann aber hilfloser, mit verbundenen Augen. Man kann ihn sich in Ruhe ansehen, ohne das er weiß welches Körperteil man sich grad in Ruhe von ihm ansieht. *q* Hach ja, mit wird jetzt schon sehr warm. XD Huiuiui~

Uuuuuund jetzt ist mir heiß. XD
Könnt an der Badewannenszene liegen. >u>
2 männliche, nasse Körper.... die sich aneinanderreiben... @//u//@
Ich kann das bewegende Wasser förmlich in meinen Ohren hören.
Das Plätschern... das Seufzen...das Knutschen...das Stöhnen... *blush*

Haha ich mag die kleinen Gespräche zwischen der lesbischen Haruna und dem schwulen Tsuzuku. XDD
Da kann man auch mit freien Oberkörper vor einer Frau sitzen, die einen schminkt und einen optisch attraktiv findet aber nicht sexuell und man locker und leicht über sowas reden kann. Find ich sehr gut. Hach Gesellschaft... das Leben könnte soviel schöner und leichter sein, wenn ihr genau sowas mehr zulassen würdet... viel mehr Menschen würden ihr Glück finden und weniger Menschen würden psychische Probleme haben, weil die Welt einfach freier und offener wäre.... hach Welt... =.= Wie viele Jahre müssen noch vergehen bis du das alles mal kapierst?!

Aber weg davon. Tsuzuku stell ich mir sehr sehr schick vor mit dem beschriebenen Styling und MakeUp. Dann noch die roten Schuhe bei ihm...*schnurr*. Keiner würde jetzt noch vermuten, das dieser wunderbare Mensch auf der Straße gelebt hat.... fast gestorben wäre...seelisch... und körperlich. Umso großartiger jetzt dieser Schritt, den Tsu geht und auf den Weg zum Tempel ist. Haha und ja, die rosa-blaue Girlande kann nur einer gewesen sein. XD Hihi. Die Beschreibungen wie Meto so aussieht sind wirklich vortrefflich gewählt. Ich kann mir alles sehr sehr gut vorstellen. Wie generell alle gekleidet sind. Und alles so festlich und wunderschön wirkt. =u= *träum* Schöööön~

Ja, sie wollen!!!! \^u^/
Und wie sie wollen. Nawww ich fieberte eben jeden Satz und jede Emotion der beiden mit.
Vor allen wie Tsu über alles dachte. Alles um sich rum an Atmosphäre aufsaugte. Und immer wieder nur Augen für seinen Meto hat. <3 So muss das sein. Das der Hochzeitskuss auch die perfekte Romantik und Länge hat, kann ich mir gut vorstellen. Manche Leute geben sich da echt nur einen kurzen Kuss, aber ein Tsuzuku konnte es sichtlich nicht erwarten Meto's volle Lippen beflügelt und voller Liebe zu küssen und somit den Bund zu beschließen. <3

Juhuuu Koichi sitzt neben Tsuzuku. \^u^/ Perfekt. Da gehört der Gute auch hin. So ist er auch nah bei Meto unser 3er Gespann~ ^3^v Yeah~

ó.o Naww ich fühle ein wenig mit Hitomi.
Das sie traurig ist, das sie wohl nie heiraten wird...
Ich wüsste ehrlich gesagt auch nicht, ob ich auf eine Hochzeit von Freunden gehen könnte.
Klar würde ich mich für meine Freunde freuen... aber... ich glaube ich hätte Probleme (boahr ich krieg jetzt schon nen schweren Kloß im Hals, wenn ich nur daran denk....auauau) ... Probleme nicht zu sehr beim Anblick der 2 Liebenden am Altar mich in mich reinzudenken. In mein Leben... ohne diese "Liebe". Ich hatte schon öfters Momente, aus der ich mich reißen musste, wenn Freunde mit ihrem Freund sich küssen oder zu verliebt miteinander agieren. Wenn ich in dem Moment nichts zum Ablenken habe und meine Freunde mit ihrem Freund dabei zu lange zusehe, dann kommen mir irgendwann die Tränen, weil ich...naja...weißt ja...Sehnsucht und so. Und die Angst dieses Glück was Freunde vor mir so sehr ausleben können, so selbstverständlich erleben miteinander... niemals selbst zu erleben... Wenn ich schon so mit den Tränen zu kämpfen habe, wenn ich Verliebte zu lang vor mir sehe, wie solle das erst bei einer Hochzeit sein? Darum glaube ich das ich nicht gut auf einer Hochzeit aufgehoben wäre... und ich hab Angst das mich mal eine Freundin, die verlobt ist, mich mal dazu einlädt... Ich würde das seelisch nicht schaffen, das weiß ich. Darum versteh ich Hitomi grad sehr gut mit ihren Gedanken.

Die Rede von Koichi war auch sehr schön. Er hat alles mit guten Worten umschrieben. Keine Störungen oder Ängste genau ausgesprochen. Gerade richtig. Gut gemacht Ko~ ^u^b Und jetzt wird getanzt. ^3^/~ Oh wie gern ich der Fotograf dort gewesen wäre. XDD Ich hätte abnormal viele Fotos vom Paar, Koichi und den anderen gemacht. Das hätte im 4-stelligen Bereich geendet. XD Ich weiß es. Hätt auch gern versteckter Fotograf bei der Hochzeitsnacht gespielt >u> höhö~

Huiuiuiui meine Wangen sind ganz heiß grad ey. XD
Ich sollte atmen, während ich mir so ne heiße Nacht von den beiden durchlese. XDD
Ja also... joa...*das eben gelesene noch in mir wirken lass* ~@//u//@~
Am meisten in Erinnerung geblieben ist... Meto's Po und Tsu's Lippen darauf. XD
Darauf steht Meto ja so richtig, ne?! <3 Das ist halt so verdorben, das es in Ekstase einen mehr als nur erregt.
Und warum auch nicht. Wenn es beiden gefällt, sollen sie machen. Im Bett ist alles erlaubt, solang es beiden Spaß macht. ^u^/ Jawoll~

Nun sind die beiden also verheiratet. <3 Es war ein langer und grad für Tsu ein emotional sehr schwerer Weg.
Aber ich finde die Hochzeit war fantastisch. Es gab keine großen, emotionalen Zwischenfälle. Vor allen Tsuzuku hat sich gut gefühlt und war er kurz in Gedanken, wischte Meto ihn sofort mit seiner liebevollen Art jegliche Zweifel wieder aus der Seele. >u< So muss das.

Nun liebe Haru, danke für deine Geduld. ^^°
Ich weiß es hat lange gedauert. Aber du weißt ja, das ich mir das immer sehr zu Herzen nehm und die Kapitel auch konzentriert und in aller Ruhe durchlesen möchte, ohne das ich von irgendwas abgelenkt werde. Es hat nun endlich geklappt. XD Und ich bedanke mich abermals für dieses, große Endkapitel und bin aber froh, das es in einer neuen FF weiter geht. <3 Wir sehen uns auf jeden Fall dort. Bis dahin. Fühl dich wie verrückt geknuddelt, ein Kuss auf deine Stirn gehaucht und ein Blümchen ins Haar gesteckt. ^-^/~ Ich hab dich ganz doll lieb. Ganz flauschige Grüße von deinem usagilein~
Antwort von: Harulein
10.11.2020 14:04
Juhuuuu, eeendlich ist das finale YaMi-usagi-Kommi da <3 <3
Habs heut Morgen schon gesehen und mich mega gefreut, und weil die Püppikatze grad da war, wurde die erst mal durchgeknuddelt <3

Dieses Zusammen-Aufwachen ist immer wieder eine meiner Lieblingsszenen, so lass ich ja die meisten Kapitel auch beginnen, weil das einfach so schön ist <3 Und Tsu hier liebt das auch, so wachgeschmust werden <3

Wie auch das gefüttert-werden mit verbundenen Augen, das mag er auch so sehr ... ^o^ Zeigt, wie ich finde, auch ein bisschen, dass sein Umgang mit Essen etwas entspannter geworden ist.

Hihi, jaa, die Badeszene, die ist so heiß wie nass geworden XD

Oh ja, da könnte die Welt noch einiges dazulernen ... Ich krieg da auch öfter mal die Wut, wenn's auf Homophobie und so was kommt. Gibt ja immer noch so schräge Leute, die das ernsthaft für "krank" und "therapierbar" halten ... Hab da so ne Großtante, die war echt entsetzt, als sie rausgekriegt hat, dass ich queere Liebe schreibe, uff ...

Aber zurück zur Hochzeit, zu Tsuzukus Anzug und Metos Kleid und der festlichen Stimmung ... ^.^ Da hab ich eben noch mal reingelesen und war so like "Wow, das hat wirklich ne schöne Atmosphäre, hab ich das echt geschrieben?" XD

Da musste auch auf jeden Fall ein inniger, langer Hochzeitskuss hin, sind schließlich Tsu und Meto, der eine mit den heißesten Lippen und der besondersten Zunge, und der andere mit dem süßesten Schmollmund ever!

Naw, Haseli q.q *dich einfach mal lieb drück*

Ja, du als Fotografin dort, das wärs noch gewesen XDD Schöne Tanzfotos vom Hochzeitspaar machen und dann noch ganz viele Koichi-Fotos, ne? XD

Und schon sind wir bei der Hochzeitsnacht, höhöhö ^q^ Dass wir da gern Mäuschen gespielt hätten, jaa ... <3
Tjaja, wenn man so nen süßen Popo hat wie Meto und dann noch nen Mann mit heißen Lippen und gespaltener Zunge, der gerne mal die Grenzen des "Anstands" ausreizt, dann gibts Popoküsschen XDDD *blush*

Ja, nach dem ganzen Stress vorher haben die beiden sich die perfekte Hochzeit echt verdient!

Und schon sind wir fertig mit dem Kapitel und auf gehts zum nächsten Teil! Da wirds dann exotisch, weil Honeymoon ...

Ich hab dich auch lieb, ganz, ganz, ganz dolle <3 <3 <3
*sich geknuddelt und geknutscht fühlt*
dein Haruleinchen <3
Von: daietto_usagi
2020-06-10T21:03:02+00:00 10.06.2020 23:03
Ich sollte mal langsam wieder oder?! XD
Okay, vorletztes Kapitel, ich bin bereit. >u<v

----------------------------------------------------------------------------------------------------​----------------

Tja, sag mal jemanden, das er sich nicht komplett mit seinem Liebsten verschmelzen soll. Stell ich mir sehr schwer vor, wenn du wirklich DIE Person im Leben gefunden hast, mit der du dich zusammen wie eine gemeinsame Seele fühlst. Grad wenn man ein Tsuzuku ist, der sich das, was ihm gut tut natürlich immer wieder und immer mehr in sich holen will. óuo Der alles aufsaugt, sei es noch so klein, was ihm irgendwie gut tut und ja... da das Meto ist, will er natürlich immer mehr mit Meto verschmelzen, ihn nicht mehr missen, am liebsten kein Moment mehr ohne Meto's Nähe und Anwesenheit leben. Das KANN durchaus gefährlich werden. Da man ja trotzdem nicht verlernen darf auch mal eigenständig und allein was zu tun. Hach... kniffelig...sehr kniffelig...

Ohh da braucht jemand grad ganz viel und schnell eine große Portion Hautkontakt. Tsu will Meto jetzt einfach nur spüren. Nach all den Worten vom Arzt, verständlich. Sowas kann auch nach hinten gehen, wenn Meto selbst grad so gar keinen Bock darauf hätte. Ich glaub das hätte Tsuzuku nicht verkraftet. Darum gab sich Meto natürlich hin. Um Tsu Liebe zu geben, das was er brauchte und ich denke.... lange kann man einem flehenden, tätowierten, hübschen Mann auch nicht widerstehen.... oder?! Ouo

Argh, eine Person wecken zu wollen bzw. manchmal zu müssen, fühlt sich immer seltsam an. Du weißt nie richtig wann die Person wach ist. Lass es mal in der Nacht sein und man sieht nichts. Ich musste auch 2-3 Mal Freunde damals wecken, wenn sie bei mir oder ich bei ihnen übernachtet habe. (boahr... bei jemand übernachten... das ist auch so lang her, das das mal war ._. *drop*) Man weiß irgendwie nie wie man sie wecken soll. Man will sie nicht groß berühren, will sie vorsichtig wecken, aber meist muss man doch die Person ein wenig rütteln und zureden, bis sie mal aufwacht. Immer seltsam. Ja ja.

..... „Nein, alles gut, ich war schon wach … Ich war nur ein bisschen … beschäftigt …“
>u> .......Mhhh~ ... beschäftigt....be....schäftigt....<u< Ich kann nicht leugnen das ich Tsu's Bemerkung hier mehr als gern mitbekommen hätte. XD Aber ich mach mir meine eigene, innerliche Bemerkung... >u< Hö Hö~

Joa... Männer mit nasser Haut, wegen Wasser und so... das kann nur heiß aussehen....btw. hab ich im Kopf grad das eine Bild vor Augen wo man Tsuzuku von hinten sieht. Wo er auch nass ist und man auf seinen Rücken schauen kann mit Poansatz... weißte welches ich mein? Ich frag mich bis heute wer das Foto gemacht hat... und warum? Ouo Aaaaber.... es schwirrt auf jeden Fall grad in meinem Kopf wieder rum, bei der Badeszene.

Man ich werd immer unruhig, wenn fremde Leute ins Spiel kommen und dann, so wie das kleine Mädchen mit Mutter so Fragen stellen, warum sie so aussehen und alles. Allerdings erinnert mich das an ein Kind in der Straßenbahn. Ich bin ja ein wenig wie Tsuzuku. Ich weiß auch nie wie ich mit Kindern umgehen soll. ^^° Meistens nerven sie mich. XD Vor allen auf Arbeit. ^^° Oft sind diese leider recht frech und hören nicht auf ihre Eltern. Aber damals in der Straßenbahn... ich hatte die eine Tasche mit, wo ich Mejibray draufgedruckt hatte. Das eine Messiahfoto, wo alle zusammen sitzen und Meto vor Tsuzuku saß mit Blick nach unten zu Ruana. Und da setzte sich auch ein Kind mit Mutter mir gegenüber und schaute auf meine Tasche und fragte dann: "Wer sind die denn da?" Ich sagte nur leicht lächeln: "Das ist eine Band. Die machen Musik" Die Antwort war einfach nur ein erstauntes: "Ohhh!" Schaute dann wieder auf die Tasche und kicherte kurz: "Cool." Dann sind sie auch schon wieder ausgestiegen. Das Kind hat mir auch zugewunken beim Gehen. Darum musste ich grad so dran denken. ^-^ Etwas ähnliches war mal mit einer anderen Tasche. XD Da hatte ich eine Despatasche und da sagte ein Kind: "Die kucken aber böse" Darauf ich: "Das ist nur Tarnung. Die sind eigentlich ganz lieb. Keine Angst." XD Das war so weird, weil sich das Kind dann vor mich gestellt hat und die ganze Zeit das Bild ansah, bis ich aufstand und gehen musste. XD Gott war das seltsam. Bei sowas hab ich innerlich immer Angst das ein dummer Kommentar kommt oder eine Frage, worauf ich keine ruhige, sachliche Antwort parat habe. ^^° Aber Gott sei Dank ging bisher immer alles gut.

Ich will auch so gern mal wieder schwimmen gehen. q.q Ich tauch dann immer gern unter und schwimm unter Wasser weiter. Ich vermiss das so sehr. T_T Doch seit damals die einzige Freundin weggezogen ist, wo ich mich noch halbwegs getraut habe mich ihr im Badeanzug zu zeigen und nur mit ihr schwimmen zu gehen.... seitdem war ich nicht mehr schwimmen. Ist jetzt sicher schon 10-12 Jahre her. Ja kommt hin... Ich kann es mir einfach nicht mehr vorstellen das mich irgendwer anderes "nackt" sieht. Meine Beine... Oberarme.... Allgemein meine Statur im hautengen und ja immer figurbetonten Badeanzug.... Ich will einfach selbst nicht jemanden mehr diesen Anblick antun....nichtmal Hirolein, die mich ja noch am persönlichsten zusammen mit dir kennt. Ich will nicht, das mich jemand wieder so sieht... aber ich bin immer sehr gern rumgeschwommen und unter Wasser gegangen.... hätte ich ein eigenes Schwimmbecken, wo keine fremden Menschen wären.... ich würde jeden Tag schwimmen gehen... tja, man kann sagen Sprüche und Blicke von Menschen damals... haben dafür gesorgt, das ich mich öffentlich nicht mehr sportlich betätige, obwohl ich es so gern würde....so gerne würde ich gern tanzen... schwimmen... aber alles hält mich davon ab... komische Welt.

Gehen wir lieber zu Tsuzuku, der sich in den Schlaf .... nehmen lässt. Ich glaub für ihn ist das voll schön. Nichts tun zu müssen. Einfach da liegen... erschöpft vom Schwimmen und von hinten berührt zu werden. Die Augen zu schließen und einfach diesen Hautkontakt zu spüren... dabei einzuschlafen. =u= Hach...da will man sich gleich ins Bett mummeln und sich das vorstellen...

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Whoop whoop und da ist das Kapitel auch schon vorbei. ^-^
Du hast mich an viele kleine Momente von damals erinnert. Wie so oft.
Ich nehm die beiden gleich mit ins Bettchen, ja? Und pass auf sie auf.
Oder ich sollte Koichi mal..... beschäftigen.... >u> .... XD Die Stelle im Kapitel, ey. XD Immernoch herrlich.
Auf jeden Fall wie immer toll und nun näher ich mich dem letzten Kapitel. OuO uiuiuiuui~ Ich hoffe ich brauch nicht wieder so lange. @u@ Sorry ich bin ein Drop ich weiß, aber ich will einfach immer in der richtigen Stimmung sein und vor allen kein Zeitdruck haben müssen. Ich will es einfach genießen. =u= Jaaaa~

Okay, bevor ich hier wegschwelge.... lass dich drücken Harulein. ^3^
Isch habb disch gantz doll lüb~ >//u//< Lass dich von nichts unterkriegen.
Wir sehen uns im letzten Kapitel~
Ganz flauschige Grüße, vom usagi~ ^u^/
Antwort von: Harulein
11.06.2020 06:20
Huiii, das Warten hat sich gelohnt, ein usagi-Kommi ist daaa \^u^/
Haru freut sich und schmeißt Konfetti ^o^

Jaja, das Ding mit dem Verschmelzen ... Auf der einen Seite fühlt es sich so schön an, und Tsu fühlt sich selbst halt auch irgendwie nur noch über Metos Nähe ... Aber ich kann halt den Dr. Niimura auch verstehen, was der meint, weil, wenn Tsu nur noch im Verschmelzen sich gut fühlt, dann passieren solche Dinge wie diese Nacht damals, wo Meto alleine bei den Eltern war und Tsu in der Einsamkeit fast verrückt geworden ist ...
Ja, schwierig, schwierig ...

Der Sex dann, ja ... Tsu brauchte das, und Meto hätte es vielleicht auch, selbst wenn er irgendwo nicht gewollt hätte, auch dann getan, weil er sich halt auch verantwortlich fühlt, für Tsuzuku zu sorgen. Aber er wollte, und so war es einfach gut.

Jaa, haha, Koichi war ... beschäftigt. Mit sich und ein bisschen Fantasie bezüglich Mikan ... XD Schließlich ist Ko auch n Mann und ab und zu macht man so was mal XD
Tsu hätte ihn wahrscheinlich ja direkt drauf angesprochen, so like: "Naa, gibs zu, du hast dir auf deine Mikan einen runtergeholt, Ko!"
XDD

So was mit Kindern kenn ich. Ich hab ja ne kleine Cousine, die ist jetzt fünf. Und wenn ich da mit so was wie zB Netzstrumpfhosen oder halt ner Visutasche ankomme, dann fragt sie auch hin und wieder "Wer sind die?" und "Wie sehen die denn aus?" und so.

Hasileinchen ... Ich würde dir ja, wenn ich könnte, ein Schwimmbad mieten, ganz für dich allein. Dass du es einen ganzen Tag für dich alleine hast und schwimmen kannst, wie du willst.
Blöde Sprüche und Blicke sind was ganz furchtbares. Ich kenn das, auch wenns nicht um meine Figur ging.
Ich hab ja auch das Hula-Tanzen wieder aufgeben müssen, weil mich der Spiegel in dem Raum da ganz verrückt gemacht hat.
Ich würd gerne mal mit dir tanzen gehen, ehrlich gesagt ... .///.

Ja, die Szene mit Tsu und "in den Schlaf geliebt werden" war schön zu schreiben.
Ich hatte darüber mal gelesen, also dass das geht und wie, auf der Onlineseite von so ner feministischen Frauenzeitschrift XD Da gibts ne Menge solcher Informationen, also zu allem, was man im Bett so machen kann und so XDD
Und ich fand das so passend für Tsuzuku, weil das ja genau das ist, was er braucht, solche totale Nähe.

Ja, brauch mal nicht wieder so lange ... XD Schließlich schreib ich schon an der Fortsetzung, da ist schon Kapitel zwei in Arbeit.

*fühlt sich gedrückt, lübbgehabt und geflauschelt*
Ich hab dich auch lieb, mein Häschen <3 <3

mata ne
dein Haruleinchen
Von:  Dead_Freedom_
2019-10-03T07:26:17+00:00 03.10.2019 09:26
Mal wieder ein wunderschönes Kapitel.
Ach ja, ich verfolge diese Geschichte schon von Anfang an, damals noch auf FanFiktion, heute eher hier~
Ich habe mich immer wieder über neue Kapitel gefreut :)

Wollte ich einfach mal gesagt haben

Antwort von: Harulein
03.10.2019 13:21
Danke sehr ^u^
Von: daietto_usagi
2019-09-06T20:35:40+00:00 06.09.2019 22:35
Muahahhahahhahha oh ja ich bin es wieder und ich will Koichi in der Planung sehen und auf Schritt und Tritt folgen. >u<
Und ganz nebenbei will ich der 50. Kommentar hier bei dir sein. Kriegen wir das hin?! Ich denke schon. Let's go \^u^/
Ich bin so motiviert wie man nur sein kann. >o</ Yeah~

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Ach der arme Koichi. Der hat jede Menge zu tun. Ich hoffe er behält einen klaren Kopf. Ich kann mir sehr gut vorstellen wie einen das alles mächtigen Druck im Kopf machen kann, wenn man an so viele Dinge gleichzeitig denken muss. Man muss ja auch immer wieder auf Antwort warten, sich mit anderen wieder unterhalten, das Liebespärchen nach Wünschen und Vorstellungen fragen und alles muss halt klappen und zusammen passen. Aber eines wird auf jeden Fall passieren, egal wie doll man alles plant. Auf jeder... wirklich JEDER Hochzeit geht irgendwas immer schief. XD Sei es die Torte, die umfällt oder Tauben wollen nicht aus dem Käfig fliegen. Der Balloon bleibt in einem Baum stecken, die Technik hat Startschwierigkeiten und die Musik zum Tanzen lässt auf sich warten und jemand muss dann zur Überbrückung was machen oder oder oder. XDD Aber sowas muss man immer alles mit Humor sehen. Ohne das was schief geht, ist keine richtige Hochzeit. XD

Koichi sollte sich auch nicht zu sehr Druck machen wegen der Rede und allem. ^^
Wenn er bei allem, was er da sagen will die beiden mit seinem sweetestes und sanftesten Lächeln anschaut, schmelzen eh alle dahin. <3 Vielleicht zwischendurch bei einem Liebessatz auch mal zur Freundin schauen als kleine Geste ~.^ und alles wird super.

....naawww ein Koichi mit einem Pikachuoberteil. Please hold me, I'm falling in love. >//u//<

Wuhuuu silberne Ringe werden es also. Find ich gut. Ich kann mit goldenem Schmuck auch nichts anfangen. ^^° Silber sieht einfach schicker aus. Weiß nicht kommt sicher immer auf den Typ drauf an, aber ich mag kein Gold an mir. XD
(das find ich aber bei 8P-SB so cool, das Koichi Silber trägt und Tsu/Genki Gold und beide den selben Ohrring haben. <3)
Und wow, das ging schnell mit dem Ringkauf. Aber klar, wenn man halt unter vielen versch., grad wie hier wo der Ring der Frau meist geschmückt war und der des Herren schlichter war, dann ein auffälliges Paar Ringe sieht, die gerade zu nach Gleichberechtigung schreien, dann kann sowas sehr schnell gehen. ^^ Es klingt auf jeden Fall super perfekt für die beiden.

Wäsche kaufen. \^u^/
Aha aha Knöpfchen vorne und hinten. >u> Jaja, das wird sicher noch sehr praktisch sein. XD
Olala, das Bild muss göttlich aussehen, wie Koichi und Meto da in dem Laden sich Sachen ansehen.
Das Tsuzuku da total neugierig drauf wird, ist verständlich. Der will nicht länger warten, aber muss er. Tja. Seine Zeit wird kommen, wo er alles an Meto bestaunen kann, eh er ihm sowieso die Kleider vom Leib streift. <3

"Traum von Mann"... oh ja Mikan... das ist Koichi. TuT Mir so egal, ob "normale" Leute ihn für schwul, schwächlig und unmännlich halten. Die wissen nicht wie sein Wesen tief in ihm ist. Was für ein lieber, hilfsbereiter, intelligenter, zielstrebiger und ehrlicher Mensch er ist. Die sehen alle nur das Aussehen und das ist falsch...

Hihi, Koichi bei der Sexaussage nur : "Mitten am Tag?!"
Ach süß. Koichi, ja man kann es auch am Tag tun. XD Da sieht man meist mehr an Haut und leckeren Kurven, die man anfassen darf mein Guter. ~.^ Mikan scheint auch sehr angetan von ihm zu sein. Sie will den guten Koichi richtig. <3 Versteh ich seeeeeeeehr gut. Ich kann mir auch diesen kurzen gedanklichen Abstecher gut vorstellen, wo Koichi auf Mikan's Brust, zusammen mit seinen feminin beschmückten Fingernägeln schaut und überlegt, ob das alles so gut ist. Aber Mikan reagiert da super drauf. ^-^ Und so konnten die beiden ihren Quickie gut durchführen. ^3^ Mikan war auch gierig, kein Wunder das die Lust da schnell raus musste. Da darf es auch gern mal ein Quickie sein. ~.^

....wow... ich merk immer wieder das mich bestimmte Sachen doch... wie sagt man so schön Triggern. ^^°
Ich will nicht verschweigen, das mir ab einem Satz von Koichi den er dachte, in mir wie auf Knopfdruck...naja... ein paar Tränchen kamen. Und zwar war es bei dem Satz "... und einen Moment lang erinnerte ich mich an meine Einsamkeit und das Traurige in mir." Ich glaub da kam die Verbindung zu mir selbst. Das alles wurde dann verstärkt, als Mikan noch in Koichi's Po kniff und sagte, was er für einen schönen Knackarsch hatte. Da kam in mir der Gedanke, das sowas zu mir niemand jemals sagen wird. Verständlich. Das wäre auch die reinste Lüge. Doch halt daran wieder zu denken.... *durchatme*.... ja das brachte am Ende jetzt doch unerwartet einige Gedanken wieder hoch. Aber alles gut. Mach dir keine Sorgen oder Gedanken deswegen. Das war grad nur wieder bissl was... persönliches in mir. Ich weiß schon, warum ich soweit wie es geht gar nicht an sowas denken will. Lieber an andere Menschen denken, als an mich und mein Leben, wie ich nun mal bin. Da denk ich lieber an dich Haru und danke dir wieder für das Kapitel. ^-^ Es war wieder sehr schön. Viele wundervolle Momente. Meto und Tsu sind zur Zeit einfach in einer sehr guten Stimmung. Kein Wunder. Und Koichi ist auch ein super Wedding Planer. ^u^ Und zugleich bekommt auch er genug Liebe von Mikan. So muss es sein.

Dann fühl dich mal ganz lieb, wenn auch noch etwas schniefend, von mir gedrückt.
Ich muss mich jetzt erstmal ein wenig ablenken und mein Schreibtisch will auch wieder in Ordnung gebracht werden. XD
Ich hab dich lieb Haru. Danke für das schöne Kapitel.
*smile* *zwinker* *kuschel* Deine usagi~ ^3^/
Antwort von: Harulein
07.09.2019 16:00
Soo, jetzt bin ich auch wieder da und kann ordentlich antworten ... ^-^

Also, iiich hoffe ja, dass da so ungefähr gar nichts schief geht. Tsuzuku und Meto sollen eine feine, kleine, perfekte Hochzeit haben!

Jaa, Silber ist irgendwie ... dezenter oder so, ne? Gold passt nicht immer. Ich mag Silber auch meistens lieber.

Oh ja, die Unterwäsche ...
Ich hab ja "Mens Lingerie" gegooglet und da seeehr interessante Sachen gefunden XDD Okay, das mit den Knöpfchen am Slip geht aufs Konto meiner Fantasie, aber irgendwo gibts so was bestimmt ... XD Für die liebenden Männerpärchen Japans und der Welt ... <3

Aber so was von ist Koichi ein Traum von Mann. Männer wie er sind mir jedenfalls echt wesentlich lieber als 0815-Kerle mit vermeintlich männlicheren Attributen. Ich steh auf Jungens, die halt femininer sind, weißte ja, mit Gefühlen und rosa und Schminke und soo <3 Und du ja auch ^u^

Koichi muss da halt auch erst wieder rein finden, ins richtig heiße Liebesleben. Deshalb kommt er grad auch immer recht schnell, da muss viel raus XD

Och Hasilein ... nicht weinen, meine Maus ó.ò Denk daran, du bist lieb und flauschig und das ist toll! Ich hab dich lieb, so wie du bist <3

*dich auch ganz lieb drück*
*dir ein rosa Taschentuch geb*
*Küsschen dazu*
Hab dich auch lieb <3 <3
dein harulein
Von: daietto_usagi
2019-09-05T23:29:43+00:00 06.09.2019 01:29
Hmmm eigentlich sollte ich andere Sachen tun, die eine Frist haben... aber... ich hab grad keine Lust dazu. XD
Nagut dann les ich hier einfach ganz frech weiter. ^u^ Es ist jetzt 5 Minuten vor Mitternacht... mal sehen wie lange ich für die Seiten + Schreiben brauche. XDD

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Haha Meto möchte Tsu nicht bedrängen?
Kann man einen Tsuzuku mit Sex bedrängen?! XD Ich glaub es fast nicht.
Der Sexdämon freut sich doch über jegliche Art von sexuellen Tätigkeiten und Annäherungen. ~.^
*kurz weiter les*
Und schwups drängt sich Tsu's Zunge in Meto's Mund. ^3^ Sehr gut.

...nawwww. Tsu kann Meto sehr gut riechen. <3
Jaja die beiden lieben sich mit allen Sinnen.
Da wird man als Leser echt neidisch und... selbst wuschig. XD Voll gemein.
Die beiden können sich ausleben und die armen Leser müssen sich zusammenreißen und tapfer weiterlesen.
Wenigstens spielt Tsuzuku jetzt den Lehrer und nun weiß ich auch was ein Creampie ist. XD Danke Tsu~

Hihi Mädchenkaffee. ^-^
Toll jetzt hab ich ein Bild vor mir. Da ich glaube das Koichi sicher auch einer der Sorte "Mädchenkaffee"-Trinker ist, seh ich Meto und Koichi nebeneinander im Cafe vor mir. Beide süß angezogen, auch etwas mehr in die feminine Richtung und den beiden gegenüber sitzt Tsuzuku. Männlich wie er ist mit seinem schwarzen Kaffee. XD Am besten noch die beiden "Mädchen" mit je einem Cookie noch neben ihrer Tasse. XDDD Herrliches Bild.

O_O Ruana darf in der Hochzeitsnacht zusehen?! Boahr Ruana, spüre meinen Neid in deiner... Wolle... in deinen...Nähten?! XD Egal, spüre es! Òuo/ Naww aber wie süß Tsu hinter Meto steht und ihn die schönste Hochzeitsnacht verspricht. Das klingt so wundervoll. quq

Juhuuu auf in den Tierpark. \^u^/
Werden jetzt gleich mal Goats gecounted, ja?! XD
Boahr ich weiß noch wie ich als Kind auch mal umringt von Ziegen war.
Irgendwann wurde es mir zu viel. Klar, ich hatte Futter in der Hand und die wollten alle danach schnappen.
Als dann aber auch die großen Böcke kamen und ich quasi nur noch rumgeschubst wurde, hab ich das Futter in meinen Händen einfach abgeklatscht, das es zu Boden fiel und bin aus dem Gehege. XD Ohne Futter hab ich dann nur noch die kleinen Zieglein an der Seite gestreichelt. Das war mir lieber und sicherer.

Wuuuuiiii ja Miezekatze für die beiden. \*u*/ Da muss ich an die zwei kleinen Video denken, wo man Tsuzuku sieht wie er mit der Katze umgeht. <3 Nawwww die Katze weiß gar nicht was für ein Glück sie hatte, von ihm berührt zu werden. Und ihm tat das auch hörbar gut. Die kleinen Lacher immer von ihm. Da ging mir jedes Mal das Herz sowas von auf. TuT

Uhhh zu den Raben gehts auch? Nice.
Edle Geschöpfe. Ich find die Augen immer so faszinierend. Dieser gestochenscharfe Blick von denen. Als bergen sie ganz viele, für uns Menschen unbekannte, Geheimnisse in sich.

*usagi pappt sich bäuchlings neben Tsu*
*wünscht sich jetzt auch ne Meto'sche Massage* =u=/

Na wenn das mal nicht ein sehr angenehmes Kapitel war. ^-^
Gott die beiden waren ja dauernd purer Zucker. Mein innerliches usagi war dauernd nur träumend am hin und her wuseln. Kullernd vor Freude und Erregung am Boden und kuschelt eine Decke. XD
Boahr jetzt bin ich aber auch müde. =u= Aber ich habe ja nun auch super Gedanken im Kopf, die ich alle mit ins Bett nehmen werde. Und wie ich alles nochmal iiiiiintensiv revue passieren lasse. >u> Höhöhö, das kann mir keiner nehmen.

Ich bin sehr gespannt wie es weiter geht. Als nächstes kommt Koichi. Yeahh. \^u^/
Der hat bestimmt zu tun mit den ganzen Planungen. Ich hoffe das endet nicht alles im kompletten Rosalook. XD Dann dreht Tsu glaube ich durch. XDDD Aber hey, schwarz und Rosa ist auch ne geile Kombi finde ich. Das passt gut zu uns. Wir lieben Visual Kei-Sachen. Schwarz gekleidete, heiße J-Rocker und haben die verdorbensten Vorstellungen in uns. XDD Und dann haben wir die super knuffige und rosafarbene, kindliche Traumseifenblase in unseren Augen, die alles und jeden sooooo süß und niedlich findet. <3 Ich find die Kombi super.

So und damit verabschiede ich mich für heute.
Das Bett ruft. Das war ein echt schönes, freudiges und kuscheliges Kapitel. Die beiden wirken zur Zeit so unglaublich verliebt wieder. Das liest sich so gut. <3 Danke dafür und man liest sich natürlich wieder im nächsten Kapitel. Mach's gut mein sweetes Harulein. Hab ein schönes Wochenende~ Lass dich knuddeln und beschmusen, so wie unsere beiden hier. \^3^/
*chu chu chu* Dein usagilein~ ^-^v
Antwort von: Harulein
06.09.2019 05:21
Yaaay, ein usagi-Kommiiii! Haru freut sich. ^u^//

Ja, manchmal will auch ein Tsu mal keinen Sex ... Aber dieses Mal schon, wie man sieht ^.~

Na klar kann er Meto gut riechen. Weißt du noch, die kleine Szene, wo er da richtig offen drüber redet, wie gut Metolein nach dem Liebemachen riecht? XD

Ich bin ja auch die "Mädchenkaffee"-Fraktion. Ohne Milch und Zucker geht Kaffee bei mir echt gar nicht.
Aber Tsu als echter Mann trinkt seinen Kaffee natürlich schwarz.

Wie Meto schon sagte: Ruana will auch sicher gehen, dass Tsuzuku schön lieb zu Meto ist. Okay, meistens schaut sie sowieso zu, sie sitzt ja immer auf ihrem Platz im Bett mit dabei. Aber die Hochzeitsnacht lässt sie sich natürlich nicht entgehen XD
Ich hab mal überlegt, ob ich ein kleines One-Shot aus Ruanas Sicht mal schreibe ... Aber bisher hab ich da noch nichts umgesetzt ... Mal sehen.

Jaa, Ziegen können ganz schon frech werden, wenns um Futter geht. Ist bei uns im Tierpark auch immer so. Ich geh schon gar nicht mehr mit Futter da rein, sondern nur so zum Ziegenbabys streicheln. Wenn man kein Futter hat, ist es wesentlich entspannter.

Miezekatze muss sein. ^u^ Allein die Vorstellung, wie Tsu und Meto morgens im Bett kuscheln und dann kommt die Katze dazu und will mitschmusen <3 XDD Das wird ein Spaß, wenn man dann die Mieze erst wieder hinauskomplimentieren muss, weil die beiden Liebenden eigentlich ungestört sein wollen. ^u^

Raben sind auch toll. Sind ja sehr intelligent und so, ich glaube, die wissen ganz viel, wovon wir nicht annähernd ne Ahnung haben ...

*haru sich zu Meto gesellt*
*sich auf usagis Rücken setzt*
*haru usagi die Schultern massiert, während Meto das bei Tsu macht*

Oh ja, Rosa und Schwarz ist doch super! Aber ich glaub, Ko hält sich mit dem Pink ein bisschen zurück, das wird ja eher eine Feier im traditionell japanischen Look, zumindest was die Location angeht.
Aber ja, das beschreibst du gut: dunkel gekleidete sexy J-Rocker, die wir durch die rosarote Brille betrachten und alles ist kawaii <3 Und dann zieht Tsu mit seiner schwarzen Aura Metos rosa Pyjama an XD

*haru usagi auch beschmus*
*chu chu chu*
dein dich hdl harulein
Von: daietto_usagi
2019-06-12T20:22:46+00:00 12.06.2019 22:22
Guten Abend~ \^u^/
Ich dachte mir, ich les mal ein wenig weiter. <3
Nach dem me-Paket heute hab ich Lust auf die beiden Schnuckis hier bekommen.
Ich hatte im Kopf die Wahl zwischen einer Mejibray Live DVD ooooder die FF. XD
Tja, siehst ja wofür ich mich entschieden habe. ^3^/ Los geht's~

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Tjaja es braucht manchmal einfach erst einen richtigen harten Moment, wo es richtig knallt und alles am Ende tot scheint. Doch wenn alles Liebe so viel stärker ist und man durch Worte und Taten nochmal so stark vor Augen gehalten bekommt, das man nach allem dennoch das Liebste und Wichtigste auf der Welt ist... jaaa dann ist es wahre Liebe. Und das spürt auch Tsuzuku hier so stark wie wohl nie zuvor. Meto kann und will einfach nicht ohne Tsu und Tsu kann nicht ohne Meto, das haben sie sich deutlich gemacht. <3

.... XD "ganz weit weg" verreisen. Mein erster Gedanke: "....weit weg...Deutschland?!" XDDD Aber nein Hawaii ist für die beiden glaub ich wirklich um einiges besser. Sex on the Beach kann halt nicht von Lederhosen und Bier geschlagen werden. >u>

Mhhhh~ ich kann Meto gut verstehen.
Neben einen Tsuzuku auf dem Sofa irgendwas anschauen.... da wandert die Hand automatisch irgendwann über den Körper des anderen. >//u//< An Meto's Stelle hätt ich Tsu auch überall gestreichelt. Erst schüchtern und ruhig und dann etwas intensiver. >u< Aber ich versteh auch Tsu das sein Körper das alles übersensibel grad aufnimmt und das noch zu viel des Guten ist. Das muss hart (höhö hart >u>) für Meto gewesen sein sich selbst dann wieder zu beruhigen, weil es doch nicht zu mehr kam. Naja.... >u> .... zur Not hätte Tsu ja auch nichts machen müssen. An Meto's Stelle hätt ich mich einfach vor Tsu's Augen selbst berührt. XD Tsu's kleiner Sexdämon wäre dann sicher doch noch ans Tageslicht gekommen, wenn er das gesehen hätte. XDDD Hach ja, meine Fantasien. Sorry... >3> .... XD

Haha auch schön wie beide für sich an die Kassen gehen. Der eine kauft normal männliche Sachen und der andere deutlich feminine Sachen. XD Süß. Soll die Verkäuferin doch kucken. Kann ja.... für eine Freundin sein. XDD

Argh man, ich wünschte ich könnte das Zeichnen, was ich so klar vor meinem geistigen Auge habe. Allein der Satz "...dort war es so eng und maskenhaft, und am Rand hatten wir so viel mehr Bewegungsfreiheit!", wo es um einen Nischenplatz am Rand ging... da hat ich so ein geiles, gezeichnetes Bild im Kopf, aber sowas könnt ich nie zeichnen. T____T Aber ich stell es mir so gut vor. Eine Art riesen großer Kreis voller Menschen. Im Kern ist alles grau und sieht gleich aus. Es ist eng und voller maskierten Menschen, die den strickten Alltagregeln folgen. Und je mehr es nach außen zum Rand geht umso lockerer werden die Menschenmassen. Der Platz zwischen jeden wird größer. Gesichter lächeln ohne Masken. Jeder sieht anders aus und alle zusammen haben Spaß und jeder trägt eine andere Farbe. Ach man, so gut kann ich es gar nicht erklären wie es in meinem Kopf aussieht das Bild... aber es ist toll. ^-^

Hey Kao, sehr erfreut. XD
Gut da würde ich auch sofort an Kaoru denken, um ehrlich zu sein.
*schnurr* Ich stell mir das so heiß vor (auch wenn es das normalste der Welt vielleicht ist XD), wenn Tsu sich da einfach sportlich ein wenig betätigt und was macht. Aber hey... Tsuzuku!!! Bewegen, Schwitzen, tiefer Atmen... boahr die Bilder, die sich da in meinem Kopf bilden. @u@ Eieiei. Aber der Typ hat ganz schön viele Fragen gestellt. Bei einigen hatte ich auch so meine Sorge wie Tsu reagiert, aber er hat es ganz gut gemeistert. ^u^b

Na klaaar, einfach mal nackig machen und zusammen so die Nacht verbringen. XD
Nawww das muss sich aber auch schön anfühlen. So Haut an Haut, komplett ohne an irgendeiner Stelle Stoff zu spüren... muss schon ein sehr inniges Gefühl sein. Das ist so ein Punkt das ich sicher niemals könnte... da müsst ich mich 1000% wohl fühlen bei meinem Partner. Wo Tsu mit sich bei einigen Sachen zu kämpfen hat, wäre das so ein Punkt bei mir, wo ich große Probleme mit mir selber hätte. Ich könnte mich nicht einfach so ausziehen und so... geht nicht. Aber hier geht es ja zum Glück nicht um mich. XD Tsu kann sich das jederzeit erlauben. Die beiden mit ihren schlanken Körpern und ihrem Bodyart, die können das einfach mal so machen ohne das es zum Unwohlsein oder Sex führt. ^3^

Schönes Kapitelende. Jepp. Beiden geht es gut und sie sind nackt. XD Was will man mehr?
Dann lassen wir die beiden erstmal ein wenig für sich, ne?! ^3^ Tat gut wieder weiter zu lesen.
Ich glaub ich gönn mir jetzt gute Mejibraymusik schön laut auf Kopfhörern. >u< Ja das mach ich.
Hab dich lieb mein Harulein. Fühl dich geknuddelt und geschmust. Bis zum nächsten Kapitel. ^u^/ Deine usagi~
Antwort von: Harulein
13.06.2019 19:46
Huii, ein usagi-Kommi! Hab es heute früh schon gesehen, komme aber jetzt erst dazu, gebührend zu antworten.
Welche Meji-DVD hast du dir denn gekauft? Bzw: Welche von denen hattest du noch nicht? XD

Jaa <3 Wahre, vollkommene, eng zusammen geschweißte Liebe! Wobei das bei Tsuzuku schon an Abhängigkeit oder Besessenheit und bei Meto dezent an Altruismus grenzt, aber das wissen die beiden ja ... Ist ihnen aber, wie man hier sieht, relativ egal, sie lieben sich einfach.

XDDD Da muss ich jetzt aber lachen, von wegen Deutschland. So von wegen Lederhosen und Bier XDD Allein die Vorstellung von den beiden in Bayern, herrlich XDDD Nee, Spaß beiseite, ich hab zwar mal nen Moment lang an Deutschland als Reiseziel gedacht, fand aber Hawaii irgendwie romantischer. Jaha, genau, wegen der Möglichkeit von "Sex on the beach". XD

Die Szene, wo es dann mal nicht geklappt hat mit Liebemachen, die musste irgendwie für meine Statistik sein XD So like: Auch bei zwei so aktiven, verliebten jungen Männern muss das mal sein, dass der Sex nicht so "erfolgreich" ist XD
Ja, usagilein hätte Tsuzukus inneren Sexgott gerne wieder gesehen, das kann Harumiez gut verstehen. Kommt auch noch wieder, der Sexy-Tsu. Schon im nächsten Kapitel steht der wieder wie ne Eins. XDDD

Ich finde ja, ich hab Metos Charakterentwicklung in dem Punkt ganz gut hinbekommen. Er merkts ja auch selber, wie er immer selbstbewusster wird und immer offener zu seinem Schwulsein steht.

Das beschreibst du aber gut, das Bild. Genau so hab ich es gemeint. Ich hab auch den Eindruck, dass es in der "Mitte" der Gesellschaft oft am engsten ist und zum Rand hin wird man freier.

Ja, kleiner Gastauftritt für Kaoru. ^u^
Du bist aber auch eine, usagilein. Kann Tsuzuku eigentlich IRGENDWAS machen, ohne dass du ihn gleich geil findest? Nee, oder? Na ja, geht mir ja genau so >u>

Nackig kuscheeeln <3 <3 *auch will* Ich stell mir das so schön vor, auch gerade mal ohne Sex, einfach Haut an Haut schmusen und Herzschlag lauschen und soo <3 Und es ist für Miss Yaoi-Autorin immer mal wieder ne schöne Gelegenheit, zur Abwechslung mal zwei Schwänze im nicht-erigierten Zustand zu fantasieren XDD

Ich hab heute auch mal wieder richtig lang am Stück Mejibray gehört, brauchte mal wieder die volle Portion.
Ich hab dich auch lieb, Lieblingshasiusagischnuffilein <3 Fühl du dich auch geschmust, ganz doll <3 <3
Bis zum nächsten Mal
dein Haruleinchen
Von:  MarryDeLioncourt
2019-05-23T19:10:00+00:00 23.05.2019 21:10
Ohhh so schön, dass die beiden wieder vereint sind. Ich freu mich schon sehr auf die Hochtzeit <3
Antwort von: Harulein
24.05.2019 06:46
Jaa <3 Sie haben sich wieder, und ich freu mich auch schon drauf.
Von: daietto_usagi
2019-05-22T21:43:25+00:00 22.05.2019 23:43
..... O.o ... oh das Kapitel ist kurz....
Kein Vor - oder Nachwort.... *auf Uhr schau*..... mhhhh....nagut! Das schaff ich auch noch.

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Ich hab die Seiten gleich komplett durchgelesen.
Groß was dazu schreiben kann ich kaum.

Zur einen Seite find ich es zu früh, das Meto wieder zu Tsuzuku zurückgeht.
Zur anderen Seite ist es aber vielleicht das Beste für alle. Meto sehnt sich nach Tsu und Tsu dreht ohne Meto nur noch mehr durch, je länger er von ihm getrennt ist. Beide brauchen jetzt einfach eine Menge Ruhe.
Meto kann jetzt einfach nur in seiner Nähe sein. Es muss ja gar nicht viel geredet werden. Manchmal reichen auch die einfachsten Gesten aus, um zu zeigen das man füreinander da ist und einem was an dem anderen liegt.
Gönn wir den beiden erstmal ihre Ruhe. Nur so können die Gedanken wieder klarer werden. ^-^ Richtig?

Antwort von: Harulein
23.05.2019 06:19
Uii, zwei Kapitel an einem Abend? XD

Ja, das Kapitel ist kurz geworden. Hab ja auch die Reihenfolge verändert.
Das nächste Kapitel schließt direkt daran an. Ich konnte/wollte die beiden einfach nicht so lange getrennt sehen, ich hab da richtig mitgelitten und deshalb wirds im nächsten Kapitel dann auch langsam wieder gut.

Auf das Kommi zu dem Koichi-Kapitel antworte ich auch noch, nur da brauch ich länger ...

<3
Von: daietto_usagi
2019-05-22T21:02:59+00:00 22.05.2019 23:02
>u> Was, nein ich les nicht gleich das nächste Kapitel. Niemals. <u<
Nagut vielleicht doch. XD Ich will wissen wie es weiter geht und jetzt ist alles noch frisch im Kopf.
So muss Tsu nicht so lang vor Koichi's Bett sitzen.

Okay, Koichi hat es wieder rausgerissen. XD
Man ey, mein Hirn, ne... eigentlich müsste man bei den Satz "Tsu, komm, du kannst bei mir im Bett schlafen.", sich einfach nur denken: "Oh das ist lieb von ihm!". Aber ich muss gestehen meine Augenbrauen haben sich beim Lesen angehoben und ich musste grinsen. In meinem Kopf kam nur ein kleines: "Uuhhhh~!" empor. XD Man man man mein Hirn denkt echt gleich wieder zu sexuell. XD Okay usagi, reiß dich zusammen und bleib jetzt ernst, ja?! >.<

ó.o Das macht Koichi ganz richtig, das er Tsu sagt, das er selber furchtbar traurig wäre, wenn es Tsu nicht mehr geben würde. Das musste ich der Freundin damals auch klar machen. Sie sagte immer wieder, das eh keiner um sie trauern und sie niemand vermissen würde, da spürte ich sogar wie ich ein wenig "wütend" wurde und ihr deutlich klar machte, das sehr wohl Menschen sie vermissen und um sie trauern würden, eine davon stünde gerade genau vor ihr. Das war auch der Punkt wo sie wieder etwas "normaler" und ruhiger wurde und mich lange ansah. Klar denkt man das in dem Moment, das es doch egal ist, wenn man jetzt weg wäre, weil die wichtigste Person eh nicht da ist, aber es gibt auch andere Menschen, die sehr wohl auch um die Person trauern würden, auch wenn sie keine Liebesbeziehung zu dieser Person haben. Aber eine Freundschaft / enge Bindung ist da.

HARU!!!! >.< Ich versuch hier ernst zu bleiben und Tsu.... Tsu... legt einfach seine Lippen auf Koichi's. >.<
(nicht das ich generell was dagegen hätte >3>) Naargh, aber Tsu sucht glaub ich einfach nach Halt und Koichi schenkt ihm ja grad so viel Nähe und Wärme, da... ja... ich glaub da kann das schon passieren. Vielleicht auch eine Art "Danke" für den Satz von Koichi, das der Rosahaar ihn vermissen würde, wenn er nicht mehr wäre?! Wer weiß. Reflexe halt. óuo Ein lieber Mensch ist an Tsu's Seite, jetzt wo es ihm so miserabel geht und dafür hat Koichi halt einen lieben Kuss bekommen. <3

Aaargh auauauauuua Tsu dein Kopf. q.q Bist du denn verrückt, man?!?!?! T____T
q.q Aber wie schnell er mit verzweifelter Stimme nach Koichi ruft, sobald dieser in einen anderen Raum geht.
Klar, da bekommt Tsu Angst das auch Koichi jetzt einfach weg geht. Aber so reißt Koichi Tsu wenigstens ein bisschen aus dem Selbstverletzungswahn, den er grad mit der Bettkante betrieben hat.

Ich versteh Koichi gut, das er nur noch die Klinik als Ausweg sieht.
So ein lebensfroher, positiver Mensch wird auf einmal in so eine fast schon traumatische Situation geworfen. Klar das er nicht weiß, was er noch tun soll, wenn Tsu sich da mit Absicht den Schädel am liebsten einhauen will und dann auch noch solche Sätze wie "Lass mich sterben!" von seinem besten Freund hören muss. ó.o Wenigstens geht Tsuzuku da wenigstens nach kurzen wehren mit ihm mit.

Okay ich muss gestehen ich hab einen kleinen Moment gebraucht, um "ko_1" zu "verstehen!". XDD
Dacht mir nur so: "Warum schreibt er ne 1 hinter Ko? O.o" Doch dann hat es Klick gemacht. XD Ichi... natürlich. Clever eigentlich.

q.q Ach Koichi. Ich würde am liebsten grad in den Monitor spring und Koichi bei allem helfen. Vor allen die Wohnung von Tsu und Meto wieder sauber zu kriegen, das er nicht allein all das Blut und die damit verbundenen Gedanken beseitigen muss. ó.o Bei dem Album was Koichi fand, würd ich mich neben ihn setzen und mich an seine Schulter lehnen, während wir die Fotos durchkuckten und merkten, das es auch echt schöne Erinnerungsfotos von den beiden zusammen gab. Mutter und Sohn. Als Koichi sich das T-Shirt von Meto nahm und es Tsu wohl bald geben will.... uiuiuiui da bin ich gespannt wie er reagiert. Ich kann mir beides vorstellen. Entweder Tsu tut es gut, wenn er Meto's Geruch um sich hat oder.... und was ich eher befürchte ist, das Tsu dann erst Recht wieder verzweifelt und zittrig wird, weil er so noch mehr an Meto denkt und "weiß", das er ihn verlassen hat. Ich bin gespannt wie er letztendlich drauf reagiert. Im schlimmsten Fall macht er Koichi Vorwürfe alá "Warum tust du mir das an und gibst mir noch sein T-Shirt?!!!" ó.o

Boahr wenn man sich mal so Liveauftritte vom echten Tsu ins Gedächtnis ruft und wie man ihn da manchmal so sieht wie er schreit und sich krümmt und leidet... boahr da kann man sich hier den verzweifelten und komplett kraftlosen Tsu nur allzu gut vorstellen. q.q Wie er mit Koichi vollkommen monoton spricht ohne Kraft in der Stimme und so... jetzt kann man nur hoffen das bald alles wieder gut ist. Und ich fand die Szene schön, wo Koichi sich zu Tsu gelegt hat, damit dieser endlich mal ein wenig Schlaf findet. Aber gut das die Decke dazwischen war. Bei mir ist es grad umgedreht. Gut ist ne Weile her... aber immer wenn eine Freundin bei mir übernachtet hat, war auch ein Klappbett neben meinem Bett und die Freundin war ein Meter neben mir. Ich hatte immer Probleme in der Nacht. Konnte nur schwer einschlafen. Warum weiß ich nicht. Aber ich hatte immer ne schlechte Nacht, wenn eine Freundin bei mir übernachtet hat. Aber ich denk das ist alles diese "gewöhnungssache". Wenn man immer jemand bei sich hat, ist jede Nacht allein grausam und andersrum ist es für den Körper komisch, wenn das Hirn weiß, das diesmal auf einmal jemand neben dir im Zimmer schläft. Tsuzuku's Körper weiß halt, das da eigentlich immer ein warmer Metokörper liegt und er nicht alleine ist. Wenn dieser fehlt... herrscht Unruhe.

So und damit ist auch das Koichi-Kapitel zu Ende.
Der Gute hat ja jetzt einiges zu tun. Ich würd gern wissen was seine Freundin dazu meint.
Spätestens wenn sie bei ihm ist und Koichi selbst auch etwas energieloser erscheint, kommt es doch sicher zu einem Gespräch. Man darf gespannt sein. ^-^ Ich hoffe ich konnte dir eine Freude machen, das ich gleich das nächste Kapitel gelesen hab. War ziemlich spontan. XD Aber alles war noch frisch im Kopf mit Tsu am Bett und so, da wollt ich nicht nochmal so viel Zeit vergehen lassen. ^u^ Liebste Grüße vom usagilein~
Antwort von: Harulein
23.05.2019 18:45
Soo~ und jetzt kann ich hier auch antworten. Findet das Haru natürlich sehr nice, dass usagilein gleich weiter gelesen hat ^u^

Ich hab mir SO gedacht, dass du da wieder das "Falsche" denkst, als Koichi Tsu zu sich ins Bett bittet. Würde ich in ner anderen Geschichte wahrscheinlich auch, gleich sexuell denken ... Aber hier sind die beiden eben wirklich nur beste Freunde.
Auch wenn Tsuzuku da einen Moment lang über die Grenze geht ... >u> Siehe dieser Kuss da, der aus seiner puren Verzweiflung entstanden ist.

Das mit der Bettkante war heftig zu schreiben. Weil ... na ja ... das Haru ist halt auch so ... ._. Ich hab das auch schon "geschafft". *kleinlaut ist* Ist jetzt aber auch schon wieder länger her.

Tja ... so leid Tsuzuku mir immer tut, wenn ich in hier so quäle oder den echten auf der Bühne weinen sehe ... Irgendwie hat er selbst dann noch was ... wie soll ich sagen ... Schönes (?) an sich. Etwas, das mich anzieht und dafür sorgt, dass ich immer wieder solche Szenen mit ihm schreibe ...

Ich glaube, ich bin auch eher so eine, die sich erst ne Weile dran gewöhnen muss, wenn jemand mit mir in einem Zimmer schläft. Könnte dann auch nicht gleich schlafen.
Aber Tsuzuku ist halt mehr der abhängige Typ, der jemanden bei sich braucht, weil ihm das Alleinsein solche Angst macht. Und er ist jetzt halt auch so intensiv an Meto gewöhnt.

So, ich warte dann mal gespannt auf dein nächstes Kommi. Freu mich drauf ^u^
*chu chu chu*
das Haru
Von: daietto_usagi
2019-05-21T22:21:50+00:00 22.05.2019 00:21
Uiuiuiuiui das Vorwort klingt aber gar nicht gut.
*die angebotenen Taschentücher lieber gleich annehm*
Muss ich jetzt stark sein?! q.q
*mein Bestes geb*

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*Ruana-chan auch ganz lieb übers Köpfchen streichel* <3
Argh, aber Meto hatte wohl echt schlecht geschlafen. ó.o
Entweder ein schlechter Traum oder einfach im falschen Moment aufgewacht.
Das hatte ich mal. Ich wurde so schwer wach und ich fühlte mich so fertig, als hätte ich keinen Schlaf gehabt, obwohl er da war. Das ist echt eklig, wenn du irgendwie im tiefsten Schlaf auf einmal wegen irgendwas aufwachst und dann ewig brauchst, um in die Gänge zu kommen und wach zu werden.

Oh oh Tsuzuku... auch wenn es noch nicht ausgebrochen ist, jede einzelne Zigarette mehr in deinem Körper ist ein Stück näher zum Ausbruch. ó.o Muss es denn erst soweit kommen, wenn es deinem Herz eh schon nicht gut geht? q.q Und pamp den armen Meto nicht so an. Dem gehts eh nicht so gut. T.T/

Puuuuhh, Dr. Niimura kann Fragen stellen. @.@ Ob ich da antworten könnte?
„Wissen Sie, wer Sie sind?“ --> Ja leider. Ein pummeliges Etwas, was sich mit dem Helfen anderer Menschen von sich selbst ablenkt, um nicht durchzudrehen, wenn man wieder merkt, das man nicht so ist, wie man gern wäre... naja... rein optisch gesehen zumindest. >.>

"Wissen Sie denn, wie Sie sind?“ --> Mhh...lieb....nett...hilfsbereit...ein guter Zuhörer O.o... damals mehr schüchtern als heute, aber in manchen Situation immernoch... aber leider fress ich Sorgen und negative Gedanken lieber in mich rein, als andere Menschen damit zu belasten. ó.o

Aber Tsu beschreibt sich selbst da recht gut. Keine 3 Tage ohne Sex. XD Joa, kann ich mir gut vorstellen. Und er steht auf Schmerzen, jaaa auch das ist wahr. Mal sind es gute Schmerzen... mal nicht so gut. ^^°
Nawww und wie er betont, das er nur noch Augen und Gefühle für Meto's Körper hat. <3 So will ich das hören.
... ó.o mhh... ich kann Tsu gut verstehen, das er so große Angst hat, das Meto ihn irgendwann allein lässt. Tsu liebt Meto so unglaublich doll, fast schon zu sehr, das dadurch die Angst natürlich umso größer ist, verlassen zu werden. Aber ich glaub wenn ich jemand auf einmal hätte, der mein Leben so komplett ins Positive umkrempelt und mein Herz plötzlich so viel Liebe und Nähe und Bestätigung erhält... klar, das man die Person dann nie wieder missen will und dann natürlich die Angst von jeden weiteren glücklichen Tag, den man verbringt, größer wird. ó.o

...neeeeiiin, hier werden keine Klingen gekauft! Aus. Böser Tsuzuku, leg die hin.... ich red gegen eine Wand. =.= .... oder vielmehr... einen Monitor. -.-

T_T Die Friedhofszene ist gemein.
In meinem Kopf lief der Text wie ein dramatisches Animeszenario ab. Der Geist von seiner Mutter, der erscheint und mit ihm spricht. Dann doch wieder verschwindet, als Tsu es nicht mehr aushält und die Mutter sich auflöst, weil sie ihren Sohn sowieso nicht davon abhalten kann. Dieses Gefühl danach der vollkommenden Leere kenn ich sogar. Das war mal nach einem heftigen Streit mit jemand, wo auch Tränen flossen und alles. Danach war man innerlich so leer. Ich hab dann einfach ausdruckslos irgendwelche Sachen aufgeräumt und so und an nichts mehr gedacht. Lief auch alles automatisch irgendwie. Ein ganz komisches Gefühl diese Leere und zugleich Ruhe. Ich bin gespannt was jetzt passiert, wenn Tsu Zuhause auf Meto stößt. ó.o

...wow...*durchatme*
Ich weiß grad gar nicht was ich schreiben soll. Vor allen wie.
Ich hab gleich den ganzen Rest durchgelesen. Man hat richtig mitgefiebert und alles lief in bewegten Bildern in meinem Kopf mit. Jeder Satz, jede Tat. Ab den Seifenspender, der an der Tür zersplitterte und der für Meto einfach zu viel wurde war ich selbst wie in einem Tunnel und wollte einfach nur weiter lesen. Der Seifenspender zerbrach, wie sicher auch Meto's Kraft im selben Moment. Meto wusste sicher nicht mehr was er noch tun sollte. Verständlich. Irgendwann hat man selbst einfach keine Kraft mehr und das menschen-natürlichste was am Ende bleibt ist entweder Angriff.... doch das passt zu Meto nicht.... daher bleibt die Flucht. Meto musste gehen, denn er wusste nicht mehr wie er diesmal noch helfen hätte können, da Tsuzuku am Ausbrechen war... Ich wäre bei der Situation wahrscheinlich auch spätestens beim zerbrechenden Seifenspender an der Tür in Tränen ausgebrochen vor Traurigkeit und Hilflosigkeit, das ich nichts für ihn tun kann und zugleich Wut, das Tsu so redet und die Tür nicht öffnet und hätte mich weinend an die Tür gekauert. Worte wie "Hör auf.... bitte Tsu.....hör auf...!" , wären sicher wimmernd meine treuen Begleiter in meinem Kopf gewesen. Wenn ich jetzt daran denke, erinnert mich das ein wenig an den Moment damals, wo ich einer Freundin die Klinge aus der Hand reißen musste... sie von etwas sehr sehr dummen abhalten musste, was jetzt so unwirklich scheint, das es wirklich mal so war und man sowas schon erleben musste. Gott sei Dank ging alles gut, aber grad jetzt denkt man da natürlich zurück.

Boahr und der Moment, wo Tsu dann aus dem Badezimmer raus geht und sieht das Meto weg ist.
Das muss ihm sämtliche Luft zum Atmen entzogen und das Herz mit tausend Seilen zusammengeschnürt haben. Das muss ein grauenvolles Gefühl sein, wenn genau das, wovor man Angst hat, auf einmal Realität zu werden scheint....

Als Koichi dann plötzlich erschien, war ich innerlich richtig erleichtert. Ich muss zugeben, ich ertappte mich richtig wie ich mir innerlich sagte: "Gott sei Dank Koichi!" Zur einen Seite war ich froh, das er da war und Tsuzuku helfen konnte, zur anderen Seite tat mir Koichi so Leid, das er seinen besten Freund so sehen muss und ihm so die Angst eingeflößt wird. Kann man fast nur froh sein, das Tsu dann schon wie im Nebel mit seinem Bewusstsein war und alles mit sich machen ließ und nicht auch noch Koichi aggressiv gegenüber trat, sondern alle Energie und Lebenskraft schon erschöpft waren und alles über sich ergehen und sich mit zu Koichi nach Hause nehmen ließ.

Auch wenn Koichi sich super um Tsu gekümmert hat, EINES muss ich ihn anmahnen.. XD
.... warum legt er sich nicht gleich zu Tsu, um ihn nicht allein zu lassen!? Also ich hätt mich gleich mit zu Tsu daneben oder so gesetzt/gelegt. Ich hätte ihn gar nicht erst allein in dem Raum lassen können. Das hätt ich mit mir selbst nicht vereinbaren können. Aber gut, Koichi dachte halt sicher das Tsu so mehr Ruhe finden kann und schneller einschläft oder so. Umso schöner, das Tsu von sich aus sich an Koichi's Bett gesetzt hat, um jemand vertrautes in seiner Nähe zu haben. T_T Auch wenn das Bild echt traurig ist, wie ein zerstörter Tsu vor Koichi's Bett sitzt. q.q

Ja also wow... das war... ein sehr heftiges Kapitel was Gefühlschaos, Angst und dunkle Gedanken angeht.
Aber es war wie immer mega gut geschrieben. In meinem Kopf lief alles wie ein Film ab. (Ich wünschte das gäbe es als Film, der würde mehrere Oscars von mir persönlich kriegen.) Einfach Wahnsinn. Auch Hut ab, wie du das so schreiben konntest. Das war für dich sicher auch sehr schwer alles so in Worte zu packen. Meinen Respekt. Fühl dich ganz fest vor Stolz und einfach so mit Liebe gefüllt umarmt. \TuT/ Ich hab dich lieb. Und sorry, das es diesmal echt ne Weile wieder gedauert hat mit dem Lesen bei mir. Aber ich will dafür echt einfach immer bereit sein und mich komplett drauf konzentrieren. Grad diesmal war es umso wichtiger, nicht halbmüde oder abgelenkt das Kapitel zu lesen.

Ein großartiges Kapitel, Harulein.
Ganz liebe und jetzt auch echt erschöpfte und müde Grüße
vom usagi~ \=u=/ Ich setz mich in Gedanken jetzt auch vor Koichi's Bett, direkt neben Tsu und leg meinen Arm um ihn rum, das sich sein Körper warm und behütet fühlen kann. ♥
Antwort von: Harulein
22.05.2019 14:31
Was hab ich auf diesen Kommi gewartet! XD War echt total gespannt, was du zu diesem Kapitel sagst ...
Es war echt happig beim Schreiben, ich war so mehr oder weniger zwischen "Mein armes, süßes Tsu-Bebi T-T" und "Ich schreib so was irgendwie ... gerne?"

Ja, irgendwie war da bei den beiden schon morgens der Wurm drin. Meto hat sich ja am Abend zuvor in den Schlaf geheult, aber das hat Tsu nicht mitbekommen, entsprechend versteht er nicht so recht, was auf einmal los ist ...

Gute Fragen stellen ist ja Niimuras Job. Und bei Tsuzuku hat er wieder voll ins Schwarze getroffen. Ich hab mit diesen beiden Fragen "Wer bin ich?" und "Wie bin ich?" ja auch so meine Schwierigkeiten ... Im Moment gehts etwas besser, aber oft genug fühle ich mich einfach wie ein leeres, dunkles Loch, wo nicht zu sehen ist, wer und wie ich eigentlich bin und sein kann und so ...

Ja, ist so, je mehr man jemanden liebt und dabei zugleich dieses bodenlose Loch in sich fühlt, umso größer wird dann auch die Angst, verlassen zu werden. Tsu hat ja hier seine ganze Identität auf die Beziehung zu Meto aufgebaut, und ohne Meto fühlt er sich sofort sinnlos und leer.

Bei der Friedhof-Szene hab ich mich beim Schreiben tatsächlich gefragt, ob das so realistisch ist, wegen Misayos Geist und wie Tsuzuku das wahrnimmt und so. Hat ja schon son bisschen was "Fantastisches" irgendwo. Ich hab da aber viel gesucht und gelesen von BPSlern, die tatsächlich solche pararealen Erlebnisse haben, so was scheints zu geben.

Die heftige Szene mit dem Blut und dem Badezimmer und dem Seifenspender hatte ich schon länger vorgeschrieben, bevor ich dieses Kapitel angefangen hatte. Sie ist ja echt ziemlich krass ausgefallen, und das danach erst ... Hatte auch bisschen schlechtes Gewissen deshalb, aber ich musste das einfach so schreiben ...

Ja, für Koichi wars ein Riesenschreck. Stellt man sich mal vor, man weiß, der beste Freund ist völlig durch und drüber, man fährt zu ihm hin und malt sich den Horror aus, und dann ist es einfach echt so schlimm. Alles voll Blut und mitten drin ein verletzter, verheulter, völlig kaputter Tsuzuku ...

Dazu, dass Koichi dann schlafen gegangen ist, muss ich jetzt was zu seiner Verteidigung sagen: Da hat Fräulein Autorin Haru sich ein bisschen sehr eingemischt, da kann Ko nichts dafür ^^° Im nächsten Kapitel folgt eine "kleine" Szene, für die das irgendwie sein musste, dass Tsu erst alleine ist und sich dann erst zu Koichi ins Schlafzimmer wagt. Musst du bald dann auch mal weiter lesen ...

Wenn diese FF ein Film wäre, dann wär das einer der wenigen Filme, wo ich wirklich hardcore heulen und zugleich schmachten würde beim Zusehen. Das ist ja auch so ungefähr mein Konzept in diesem Werk: Tränen und viel Gefühle und Zucker und Lust ...

Bis zum nächsten Kapitel!
*sich neben usagi setz und Tsu auch unterstütz*

*chu*
das Haru


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