Zum Inhalt der Seite

Himmlisches Geflügel

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Es kann nur besser werden

Schule ist so ziemlich das Einzige, das ich noch mehr hasse als meinen wertgeschätzten Bruder Marc.

Einfach, weil er es immer wieder schafft mich fertig zu machen und ich inzwischen eine Koryphäe auf dem Gebiet der Lächerlichkeit und Unbeliebtheit bei den Schülern bin.

Der einzige Grund warum sich die anderen hier Anwesenden überhaupt mit mir abgeben ist der, dass ich mich perfekt dazu eigne mir Streiche spielen zu lassen und man mich auch ganz gut mobben und verprügeln kann.

Letzteres kommt zwar nicht so häufig vor, aber es ist trotzdem erniedrigend.
 

„Mr. Daniel, ich hoffe Sie haben eine gute Entschuldigung dafür, ihre Hausarbeiten nicht dabei zu haben.“

Ja, die hätte ich wohl. Nämlich die, dass Marc und ein paar seiner 'Homies' meinen Rucksack in den Brunnen vor der Schule geworfen haben, und meine Hausarbeiten nun nicht nur klitschnass, sondern auch nicht mehr lesbar sind.

Aber ich weiß genau, dass Mr. Harrison mir nicht glauben wird, weil Marc nun mal sein Lieblingsschüler ist, weshalb ich nur mit dem Kopf schüttle, und versuche das Gekicher meiner Klassenkameraden zu ignorieren.
 

Ich schwöre mir mal wieder, so weit weg wie nur irgendwie möglich ein College zu besuchen, weil ich diesen ganzen Mist hier vermutlich nicht länger ertragen werde.

Man könnte ja meinen, dass Marc und ich uns blendend verstehen würden und uns auch irgendwie ähnlich wären, wo wir doch Zwillinge sind.

Aber Fehlanzeige. Während Marc eine Sportskanone und überaus beliebt ist, da er es irgendwie schafft absolut Jeden um den Finger zu wickeln, bin ich der traurige Rest vom Schützenfest.
 

Ich bin weder besonders sportlich, noch bin ich sonderlich beliebt, und im Umgang mit Menschen vermutlich ein hoffnungsloser Fall.

Mein soziales Umfeld besteht aus Loreen, die ich seit dem Kindergarten kenne, und die ungefähr genauso beliebt ist wie ich auch.

Das einzige Talent das ich zu haben scheine bezieht sich auf Schulfächer wie Mathematik, Biologie, Chemie, Physik und Sprachen. Mal abgesehen davon bin ich relativ gut in Sachen Technik und Videospielen, aber im Großen und Ganzen war es das auch schon gewesen.
 

„Das ist wieder so typisch. Ihr Bruder ist wirklich der Begabtere von Ihnen Beiden.“, kommentiert Mr. Harrison und wieder geht das Gekicher in der Klasse los.

Mr. Harrison ist unser Lehrer für Religion, ein Fach das ich als genauso sinnlos erachte wie Sport. Warum man in der Schule so einen Mist lernen muss, der einem im normalen Leben überhaupt nichts bringt, wird nie in meinen Kopf gehen.

Vermutlich hatte Mr. Harrison aber auch schon von Anfang an eine Abneigung gegen mich, weil ich nicht gerade oft zu den Gottesdiensten der Gemeinde auftauche, und der gute Mann ist immerhin Messdiener, was seine Abneigung gegen Ungläubige erklärt.
 

Eigentlich bin ich ja gar nicht ungläubig. Zumindest nicht mehr, seit ein Erzengel sich bei mir eingenistet hat, aber das kann ich schlecht sagen, weshalb ich einfach schweige und aus dem Fenster sehe.

Ich frage mich sowieso was Gabriel an diesem ersten Schultag macht, wenn er sich nicht mehr als zwei Meilen von mir entfernen kann.

Sitzt er bei Starbucks um die Ecke und wartet darauf, dass ich Schulschluss habe? Oder führt er Zwiegespräche mit Gott auf dem Schuldach? Zuzutrauen wäre es ihm. Allerdings glaube ich eher, dass er irgendwo an einem schattigen Plätzchen liegt und schläft.
 

Mir ist in den paar Tagen in denen ich meine vierzehn Quadratmeter mit ihm teilen musste nämlich aufgefallen, dass Gabriel enorm viel schläft.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob er das tut weil er einfach ein fauler Haufen ist, oder weil es anstrengend ist sich auf der Erde aufzuhalten.

Aber natürlich bin ich viel zu feige ihn zu fragen, auch wenn ich selbst nicht weiß, was an der Frage so schlimm ist.

Zwar bin ich von Natur aus ein neugieriger Mensch, aber gegenüber anderen habe ich so meine Hemmungen, und das wird auch nicht besser, wenn der Gegenüber ein Erzengel ist und kein Normalsterblicher.
 

Eigentlich sollte man meinen mir würde dieses zwei-Meilen-Problem mehr ausmachen, aber zu meiner eigenen Überraschung nehme ich das nach dem ersten Schock lockerer als erwartet. Nun ja, vermutlich ist so etwas auch leichter zu verkraften, wenn man schon verarbeiten musste mit einem Erzengel zusammen zu wohnen.

An dem Krater den er in unserem Garten verursacht hat, werde ich vermutlich den Rest meines Lebens mit zu schippen beschäftigt sein.

Ich hoffe doch stark, dass Gott ihm dafür irgendeine Strafe aufbrummt. Und wenn es wuchernder Bartwuchs ist, weil ich darauf wette, dass Gabriel das unheimlich aufregen würde.
 

„Bevor wir mit dem Unterricht beginnen, habe ich euch zuerst zwei frohe Botschaften mitzuteilen.“, erhebt Mr. Harrison das Wort, und ich frage mich unweigerlich ob er bekannt gibt den Planeten zu wechseln, denn das wäre das Einzige was für mich im Moment eine frohe Botschaft darstellen würde.
 

„Zuerst, bin ich nun nicht mehr nur euer Religionslehrer, sondern auch Klassenleiter. Ich freue mich sehr darauf, nun mehr Zeit mit euch verbringen zu können.“

Unweigerlich verziehe ich das Gesicht leicht, als mir klar wird, dass ich diesen Mann nun noch mehrere Stunden die Woche ertragen muss, und nicht wie gehabt lediglich vier. Aber sogar diese vier Stunden haben an meinen Nerven genagt. Und an meinem Selbstbewusstsein, dass sowieso nicht gerade unbedingt vorhanden ist.
 

„Und dann freut es mich, einen neuen Mitschüler in unserer Klasse begrüßen zu dürfen. Komm doch bitte herein.“

Ich höre wie sich die Türe öffnet und wieder schließt, ehe Schritte zu hören sind und der Schüler dann wohl bei unserem neuen Klassenleiter stehen bleibt um sich vorzustellen, wie alle anderen neuen Schüler die jemals gekommen sind auch.
 

„Das hier ist Gabriel Walker. Er ist gerade aus San Francisco hier her gezogen und wohnt zur Zeit bei seiner Tante. Stell dich doch bitte vor.“

Ich gähne hinter vorgehaltener Hand und sehe weiterhin aus dem Fenster, da es mich nicht sonderlich interessiert wie das nächste Mitglied von Marcs Rudel so aussieht oder sich verhält.
 

„Wie schon gesagt, ich bin Gabriel Walker. Freut mich.“

Bei der Stimme zucke ich zusammen, und mein Blick huscht nach vorne, während ich wahrscheinlich ein genauso dummes Gesicht zur Schau trage, wie an dem Tag als ein Engel in meinen Garten fiel.
 

Ich würde gern behaupten, dass ich zu viel von dem falschen Zeug geraucht habe, aber dummerweise nehme ich keine Drogen.

Deswegen kann es nur heißen, dass Gabriel, der Erzengel Gabriel, tatsächlich vor der Klasse steht und sich als neuer Schüler ausgibt, während er dieses arrogante Lächeln im Gesicht trägt, dass ich schon so oft bei ihm gesehen habe.
 

Ohne überhaupt noch abzuwarten, ob Mr. Harrison noch etwas zu sagen hat, setzt er sich in Bewegung und lässt sich geschmeidig auf den Stuhl neben mir fallen, was mich dazu bringt meine Augenbraue zu heben.

Na gut, es ist kein anderer Platz mehr frei, aber darum geht es mir auch nicht, sondern um die Klamotten die er trägt.
 

Eine schwarze Jeans, die so eng ist das sie aus der Mädchenabteilung stammen MUSS, ein schwarzes Shirt mit der Aufschrift 'Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, Inquisitionen. Wir wissen wie man feiert! Ihre Kirche', und Stiefel bis zum Knie, natürlich ebenfalls in Schwarz.

Mal abgesehen davon, dass ich es irritierend finde, dass er nachdem er ganz in weiß hier aufgetaucht ist, nun komplett schwarz angezogen ist, beschäftigt mich viel eher eine andere Frage.
 

„Woher zum Geier, hast du die Klamotten?“, zische ich, als Mr. Harrison sich zur Tafel umdreht und bekomme einen gelangweilten Blick von meinem Banknachbarn.

„Ich hab mir Geld von dir geliehen.“

Ich weiß im ersten Moment gar nicht was ich darauf sagen soll, und starre ihn einfach nur fassungslos an, ehe ich doch ein „Du hast dich an meinem Sparbuch vergriffen?“, vor mich hin zische und er lediglich mit den Schultern zuckt.

„Ich kann schlecht wie der letzte Penner in die Schule gehen.“
 

Wie gesagt weiß ich, dass er meine Klamotten nicht sonderlich mag, um genau zu sein verabscheut er sie eher. Aber dass er mir das ständig unter die Nase reiben muss, dass ich nicht so cool angezogen bin wie alle anderen, tut trotzdem ein bisschen weh.

„Ich geb's dir ja zurück. Sobald ich den Auftrag beendet habe.“

Wo wir wieder bei der Frage wären wie lange das eigentlich dauert, denn mir ist noch nicht aufgefallen, dass er irgendetwas Großartiges getan hätte, außer zu schlafen und sich über mein Zimmer, und allem was sich darin befindet, zu beschweren.
 

„Darüber reden wir noch.“, murre ich in seine Richtung, bevor ich versuche dem Unterricht zu folgen.

Mr. Harrison spricht gerade über den Teufel und die Apokalyptischen Reiter, und das mit einer Begeisterung, die schon an Besessenheit grenzt.

Wie man sich in Religion so hinein steigern kann, überschreitet meinen Horizont bei weitem, aber bekanntlich hat ja jeder Mensch etwas Anderes das ihn begeistern kann.
 


 

Die Stunden sind so zähflüssig wie Ahornsirup dahin gekrochen, dass ich fast schon nicht mehr mit dem Pausenläuten gerechnet habe, und deswegen erst einmal verplant sitzen bleibe, anstatt wie alle anderen förmlich aus der Klasse zu rennen.

Na ja, 'alle' ist vermutlich etwas übertrieben.

Die Hälfte der Klasse hat sich um unseren Tisch gescharrt, darunter zu allem Übel auch noch Marc, und redet wie wild auf Gabriel ein.

Dabei handelt es sich um die typischen Fragen, die wohl jeder schon einmal mitgemacht hat.
 

Woher er kommt, ob er Geschwister hat, ob es nicht total cool ist alleine zu wohnen, woher er seine Klamotten hat, mit was er seine Haare färbt, was er für Hobbys hat, und so der übliche Müll eben.

Natürlich darf die Frage warum er ausgerechnet neben mir sitzt nicht fehlen, weshalb ich mich räuspere und ein Prusten damit kaschiere.

„Hast du ein Problem, Nerdi?“, knurrt mich Marc an und ich schüttle den Kopf, während ich meinen Blick auf die Tischplatte hefte.
 

„Vielleicht sitz ich hier, weil nichts anderes frei ist?“, beantwortet Gabriel das Offensichtliche mit einer Frage, und erhebt sich dann, während er sich noch in derselben Bewegung eine Zigarette zwischen die Lippen schiebt und sich an seinen neuen Klassenkameraden vorbei drängelt um nach draußen zu kommen.
 

Zu meinem Glück folgt ihm der Pulk, um ihn weiter mit Fragen löchern zu können, während ich zurück bleibe.

Im Allgemeinen verbringe ich meine Pause relativ selten draußen in freier Natur. Meistens bleibe ich im Klassenzimmer oder aber, wenn das nicht möglich ist, verbarrikadiere ich mich auf eine der unzähligen Toiletten.
 

Ich weiß, dass das total erbärmlich ist und ich damit das Klischee eines jeden Teeniefilms über unbeliebte Leute abdecke, aber das ist mir ziemlich egal.

Es ist ja nicht so, als ob ich tatsächlich allein wäre. Meistens findet mich Loreen irgendwo und wir verbringen die Pausen zusammen.
 

„Da bist du ja.“

Wenn man vom Teufel spricht, kommt er bekanntlich gelaufen.

Loreen ist meiner Meinung nach recht hübsch, aber aus irgendeinem Grund schafft sie es, dass hinter schwarzen Schlabberklamotten, einem viel zu langem Pony und ihrer riesigen Brille zu verstecken. Wüssten die anderen, wie Loreen ohne Brille, mit gebändigten Haaren und im Badeanzug aussieht, wäre sie keine Außenseiterin mehr.
 

„Euer Neuer ist vielleicht echt mal seltsam.“, kommentiert sie, während sie sich ritt links auf den Stuhl vor mir setzt und ihre Brotdose mit dem Trinkpäckchen auf meinem Tisch abstellt.

„Du hast ihn schon gesehen?“, gebe ich etwas mürrisch von mir und sie nickt, während sie vermutlich eine Augenbraue hebt. So genau kann ich das bei ihrem Pony nicht erkennen.
 

„Seltsam ist vielleicht etwas untertrieben. Der Typ ist der Teufel.“, murre ich vor mich hin, während ich eines meiner zerquetschten Salamibrote aus der Schultasche ziehe, und hinein beiße.

„Wenn er dich ärgert, knöpf ich ihn mir mal vor.“, entgegnet meine beste Freundin und ich muss unweigerlich grinsen.
 

Loreen ist einfach nicht so wie ich. Das Einzige das uns verbindet ist, dass wir Außenseiter sind. Wobei ich seit einiger Zeit das Gefühl habe, dass sie im Gegensatz zu mir, dass mit Absicht ist.

Loreen ist einfach viel direkter als ich und nicht auf den Mund gefallen. Sie sagt ständig ohne nachzudenken ihre Meinung, und hat auch kein Problem damit, dafür eins auf den Deckel zu kriegen. Im Gegensatz zu meinen Eltern, sind ihre Eltern zwar gläubig, aber stellen ihre Beziehung zu ihrem Kind dann doch an erste Stelle. Außerdem zwingen sie sie nicht in die Kirche zu gehen oder sonstigen religiösen Unfug zu betreiben.
 

Das was Loreen und mich verbindet, ist eher so der Rest. Wir mögen dieselben Dinge, dieselben Orte, lachen über dieselben Witze und beenden gegenseitig unsere Sätze, weil wir genau wissen was der Andere denkt.

Außerdem gebe ich zu, dass ich Loreen noch nie bei einem Videospiel schlagen konnte.
 

Normalerweise haben wir keine Geheimnisse voreinander, aber ich bezweifle das sie immer noch mit mir befreundet sein will, wenn ich ihr erzähle das der Neue eigentlich ein Erzengel ist, und bei mir zu Hause in meinem Zimmer lebt, wo er die meiste Zeit schläft, raucht oder sich über alles beschwert.

Vermutlich würde sogar Loreen mich für total bescheuert halten, oder noch schlimmer, meine Eltern über meinen geistig verwirrten Zustand informieren.
 

Also beschließe ich die Sache nicht zu erwähnen. Wenn Gabriel seine 'Mission' beendet hat, verschwindet er auch bestimmt wieder. Und außerdem, wie lang kann so eine Mission schon dauern? Bestimmt ist er schneller weg als ich denke, und ich kann wieder meinem geregelten Leben als Loser und Boxsack von Marc weiter führen.
 


 

Die Pause geht für meinen Geschmack viel zu schnell vorbei, weshalb Loreen wieder in ihre Klasse muss, und ich mit meinem Bruder und seinem Gefolge wieder allein bin.

Zu meinem Glück ist Gabriel aber immer noch das Gesprächsthema Nummer Eins, weshalb man mir nicht viel Beachtung schenkt.

Und so geht auch der restliche Schultag relativ zügig vorbei, ohne irgendwelche unliebsamen Zwischenfälle.

Vor allem aber auch deswegen, weil ich mich nach der vierten Stunde in anderen Kursen befinde als Marc. Es hat so seinen Vorteil, wenn man nicht ein Gehirn in der Größe einer Erbse hat und somit Leistungskurse besuchen kann.
 

Was im Übrigen nicht heißt, dass ich gerettet bin. Immerhin ist Marc mein Bruder und wir haben denselben Nachhauseweg.

Aber da ich immer damit rechne, dass er und seine Gefolgsleute aus dem nächsten Gebüsch springen, überrascht es mich nicht wirklich, als sie mich neben dem Spielplatz abpassen, mir den Weg abschneiden und mich umzingeln.
 

„Wir können doch nicht zulassen, dass unser Lieblings-Loser einen so langweiligen Tag, ohne jegliche Action verbringt.“, grinst Jamal, der neben meinem Bruder steht und diesem in Sachen mieser Charakter in nichts nachsteht.

Eigentlich sollte ich Angst haben, da sie zu fünft sind und ich allein, aber meine Angst hat sich vor Jahren auf ein Minimum reduziert.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und dazu fähig sich an alles zu gewöhnen. Auch an Demütigungen und Schläge. Selbst dann, wenn er sich nicht damit abgefunden hat und dem Ganzen eigentlich nur entkommen will.
 

„Habt ihr nicht irgendwas Besseres vor? Eigentlich findet ihr das doch bestimmt schon langweilig.“, gebe ich von mir, auch wenn ich nicht weiß warum ich das tue.

Aus jahrelanger Erfahrung weiß ich, dass es nicht gerade vorteilhaft ist Konter zu geben, aber aus irgendeinem Grund musste ich das loswerden.

Vielleicht habe ich über die Jahre einfach schon zu viel in mich hinein gefressen was nach draußen muss, aber eine blöde Idee zu kontern war es trotzdem.
 

Das merke ich daran, dass Patrick, der hinter mir steht, mich tritt und ich nach vorne falle, wo ich den Sturz mit Händen und Knien abfange.

Ein Brennen fährt durch meine Hände und ich beiße die Zähne zusammen, während ich die Augen zusammen kneife, da ich sowieso weiß was nun folgt.
 


 

So leise wie möglich schleiche ich mich durch die Hintertür ins Haus, um nicht an der Küche vorbei zu müssen, und meiner Mutter noch in die Arme zu laufen.

Natürlich habe ich ihr des Öfteren erzählt was Marc und seine Freunde mit mir machen, aber natürlich hat sie mir nicht geglaubt.

Ihr Lieblingssohn ist wohl erzogen und religiös, und würde niemals auf die Idee kommen jemanden zusammen zu schlagen. Schon gar nicht seinen eigenen Bruder, den er so abgöttisch liebt.

Ich sollte natürlich aufhören mir solche absurden Lügen auszudenken um meinem Bruder schaden zu wollen, war das Einzige was ich von ihr gesagt bekommen habe.

Also habe ich es aufgegeben.
 

In meinem Zimmer angekommen schließe ich die Türe hinter mir und sperre ab, bevor ich meinen Rucksack fallen lasse und mich auf dem Bett zusammen kugle.

Ich bin wirklich froh allein zu sein, auch wenn ich mich frage wo sich mein Mitbewohner eigentlich herum treibt, was aber nicht wirklich ein Rätsel ist.

Vermutlich hängt er mit Irgendwem herum und hat Spaß, den man nur auf der Erde haben kann.
 

Eine Weile liege ich bewegungslos da und starre vor mich hin. Eigentlich sollte ich mich um meine Verletzungen kümmern, aber ich bin der Meinung, dass ich das auch noch später erledigen kann.

Ich bin so müde, dass ich nur ein bisschen schlafen möchte, und die Schrammen und Prellungen laufen mir schon nicht davon.

Danach werde ich etwas zu Abend essen, meine Hausaufgaben erledigen und dann ins Bett gehen, bevor morgen alles wieder von vorne losgeht.

Mit dem Gedanken, dass Gabriel schon klar kommen wird, was auch immer er gerade tut, schlafe ich dann doch schlussendlich ein.
 

Natürlich fühlt man sich erholt und nicht mehr wie erschlagen, wenn man ein paar Stunden geschlafen hat. Das weiß jeder, und deswegen wundere ich mich auch nicht sonderlich darüber, dass es mir besser geht als ich aufwache.

Mein Digitalwecker zeigt zu meinem Leidwesen allerdings bereits 22 Uhr an, was mich das Gesicht verziehen lässt.
 

So lange wollte ich gewiss nicht schlafen, und ich weiß jetzt schon genau, dass ich mir morgen von Mum wieder etwas anhören kann, wie verantwortungslos ich wäre, weil sie mit dem Essen auf mich gewartet hätten und ich nichts Besseres zu tun hätte, als zu schlafen.

Ich fauler Sack!
 

Seufzend kämpfe ich mich in eine sitzende Position, nur um irritiert die Stirn kraus zu ziehen und zu blinzeln, bevor ich meine Beine aus dem Bett schwinge und zum Lichtschalter tapse.

Kaum dass das Licht angeht, kneife ich die Augen zusammen und bleibe eine Weile ruhig stehen, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, und ich mich langsam zum Spiegel bewege, um mir das Ausmaß meines nachmittäglichen Vergnügen anzusehen.
 

Dort angekommen starre ich mein Spiegelbild an, und blinzle einige Male sehr langsam um mich zu vergewissern, dass ich wirklich sehe was ich sehe.

Ich meine, ich WEISS das Marc und sein Gefolge mich übel erwischt haben, und das auch ziemlich übel. Das weiß ich schon daher, weil es unglaublich wehgetan hat.

Aber ernsthaft, das was ich hier sehe, passt so überhaupt gar nicht dazu.
 

„Was zur Hölle?!“, rufe ich aus und betaste mein Gesicht, um auch wirklich ganz sicher zu gehen, dass das was ich im Spiegel sehe der Wahrheit entspricht.

Ich. Habe. Keinen. Einzigen.Verdammten.Kratzer!

Das kann nicht sein! Das kann einfach nicht sein, nachdem sie auf mich eingetreten haben und ich das Blut auf dem Gehsteig gesehen habe.

Es kann nicht sein, dass ich absolut nichts habe.

Zur Sicherheit ziehe ich mein Shirt hoch, aber auch an meinem Oberkörper ist kein einziger Kratzer oder auch nur der Hauch eines blauen Flecks.

Und blaue Flecken müsste ich definitiv haben, nämlich von den Ferien mit Marc. Heute Morgen waren sie auch noch da.
 

„Was geht hier ab?“, kreische ich wieder, während ich mein Shirt nach unten ziehe, und das Klopfen von unten ignoriere, das vermutlich von meiner Mutter kommt, die mich somit zur Ruhe rufen will.

Das macht sie ständig: Mit dem Besenstiel an die Decke klopfen.

Aber heute funktioniert es nicht, weil ich einfach zu verstört bin über das was ich sehe.

Vielleicht habe ich aber auch nur zu viele Tritte an den Kopf bekommen, und habe nun eine Wahrnehmungsstörung, und sehe eigentlich aus wie tot.
 

„Oh Gott...ich bin tot.“, kommt mir die Erkenntnis, denn anders lässt sich diese ganze unheimliche Grütze überhaupt nicht erklären.

Tote spüren doch nichts, oder? Also ich meine Schmerzen und so. Also ist die Erklärung einfach nur logisch.
 

„Alter, was machst du für ‘nen Krach?!“
 

Erschrocken drehe ich mich um, und starre Gabriel an, der auf dem Boden vor meinem Bett sitzt und sich durch die Haare fährt, wobei er ziemlich verpennt aussieht.

Vermutlich hat er auch geschlafen, warum er das allerdings vor meinem Bett getan hat, begreife ich nicht so wirklich.

Es grenzt sowieso schon an ein Wunder, dass ich nicht auf ihn drauf getreten bin.
 

„Ich bin tot!“, stelle ich fest, und merke, dass ich kurz davor stehe los zu heulen, weshalb ich mir auf die Lippe beiße.

„Hä?“, kommt der höchst intelligente und tröstliche Kommentar von meinem Gegenüber, während er sich aufrappelt und einmal herzhaft gähnt.
 

„Ich habe keinen einzigen Kratzer und keine Schmerzen! Ich bin tot! So schnell verheilt das nicht! Ich bin doch nicht Jesus!“, heule ich los, und bekomme als Antwort ein schallendes Lachen, während sich Gabriel auf mein Bett fallen lässt, und sich eine Zigarette anzündet.
 

Dass Gabriel die Personifizierung eines Arschlochs ist, habe ich irgendwann glaube ich schon einmal erwähnt, aber das hier ist mal wieder die Bestätigung für meine Theorie.

Ich meine, wenn er wirklich ein Engel, ein Erzengel um genau zu sein, ist, dann kann er doch etwas dagegen tun. Mich wieder zum Leben erwecken zum Beispiel.

Irgendwas, aber nicht einfach da sitzen, rauchen und mich auslachen.
 

Genau das scheint der Vollidiot jetzt auch zu merken, da er aufhört zu lachen, seine Zigarette ausdrückt und zu mir kommt.

Aber anstatt etwas Tröstliches zu sagen, holt er aus und klatscht mir seine Handfläche mit voller Wucht gegen die Stirn, was ich mit einem Schmerzensschrei kommentiere, bevor ich mir die Stirn halte.
 

„Fühlst du dich immer noch tot, oder soll ich nochmal nach helfen?“, stellt er die Frage so trocken, dass die Wüste Gobi ein Witz dagegen ist.
 

Das hat in der Tat wehgetan, was wohl heißt, dass ich doch nicht tot bin, worüber ich mich natürlich freue, aber was trotzdem keinen Sinn ergibt.

Während ich mich also darüber freue doch nicht tot zu sein, dreht sich Gabriel wieder um, um wieder zu meinem Bett zu gelangen und sich darauf fallen zu lassen.
 

„Ich kapier trotzdem nicht, warum ich keinen Kratzer habe.“, stelle ich fest, während ich mich umziehe, und die Hausaufgaben einfach Hausaufgaben sein lasse. Ob ich sie nun habe oder nicht macht keinen besonders großen Unterschied, da sie morgen wahrscheinlich sowieso wieder im Wasser landen werden, oder vielleicht sogar Feuer fangen.

Ich frage mich sowieso warum ich mir diese Mühe überhaupt noch mache, aber es liegt wohl an meiner Gewissenhaftigkeit als guter Schüler.

Oder Loser-Nerd, wie Marc es so schön ausdrückt.
 

Während ich meine Hose anziehe, kommt mir eine Idee, auf die ich eigentlich schon früher hätte kommen müssen.

„Du warst das!“

Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung, während ich mich zu Gabriel umdrehe.
 

Anstatt etwas zu erwidern, wendet er den Blick ab und murrt ein „Ich weiß nicht wovon du redest.“, was ich ihm ungefähr so viel abkaufe, wie das er eigentlich ein total netter Typ ist.

„Lüg doch nicht! Das ist die einzige Erklärung die übrig bleibt. Wie sollten die Verletzungen sonst verschwinden?“

„Übernatürliches Phänomen, vielleicht.“, kontert er und ich rolle mit den Augen.

„Das zufällig gerade auf meinem Bett sitzt und eine raucht?“.
 

Da Gabriel mir nicht antwortet, gehe ich davon aus das ich Recht habe, und er mich geheilt hat. Wie auch immer er das gemacht hat weiß ich zwar nicht, aber es ist ja auch die Geste die zählt.

„Vielleicht sollte ich dich nicht mehr im Kleiderschrank halten.“, überlege ich laut, während ich mich ebenfalls zu meinem Bett begebe und mich an Gabriel vorbei drücke um mich hinzulegen.
 

„Ich bin kein Haustier das man 'halten' kann.“, knurrt er mir entgegen und ich zucke mit den Schultern.

Bei aller Liebe, ich finde Gabriel nicht sonderlich bedrohlich, auch wenn er das bestimmt sein kann. Aber im Moment erinnert er mich eher an eine mies gelaunte Katze, was ich nicht wirklich ernst nehmen kann.
 

Eine Weile herrscht Schweigen zwischen uns, während er raucht und ich an die Decke starre und mir überlege, wo ich ihn sonst schlafen lassen sollte, außer im Kleiderschrank.

Mein Bett wäre natürlich die optimale Lösung, immerhin ist das zumindest groß genug, dass zwei Leute hinein passen. Aber ob ich mit Gabriel wirklich in einem Bett schlafen will, steht wiederum auf einem anderen Blatt Papier.
 

„By the way...“, erhebt er das Wort, und ich zucke zusammen als er sich ohne Vorwarnung über mich beugt, und dabei so dreckig grinst, das sich Marc noch etwas von ihm abschauen könnte.

„Bietest du mir gerade an mit dir in einem Bett zu schlafen?“
 

Mein Mund klappt auf, während ich ihn anstarre und sein Grinsen noch breiter wird, falls das überhaupt möglich ist.

„Tz, tz, einen Engel verführen wollen. Böser Junge...dafür schmorst du in der Hölle.“

Es ist nicht der Satz an sich der mir einen Schauer über den Rücken jagt, sondern eher die Tatsache das Gabriel mir den letzten Teil schon fast entgegen geschnurrt hat.

Sorry, aber das kenn‘ ich von ihm nicht, und da darf ich schon mal paralysiert sein.
 

„Verpiss dich in deinen Kleiderschrank.“, fauche ich ihm entgegen und drehe mich schwungvoll um, so dass ich auf der Seite liege, und Gabriel von mir runter befördere.

Dummerweise hat dieser verdammte Engel so gute Reflexe, dass er nicht auf dem Arsch landet, sondern auf den Beinen landet.
 

Ich höre wie er sich kichernd durch den Raum bewegt, das Licht löscht und dann höre ich die Tür des Kleiderschranks zugehen, was mich dazu bringt erleichtert aus zu atmen.

Mein Gott, wie kam ich überhaupt auf diese bescheuerte Idee?
 

Das knarren der Schranktür lässt mich wieder die Luft anhalten und lauschen.

„Übrigens: Von dem witzigen Video das Marc von dir bei einem Masturbationsversuch gemacht hat, hättest du mir ruhig erzählen können.“
 

Und damit geht die Tür wieder zu, während mir die Röte ins Gesicht schießt, und ich einen leidenden Schrei in mein Kissen abgebe, was durch Gekicher im Schrank kommentiert wird.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jael-chan
2015-10-28T23:16:08+00:00 29.10.2015 00:16
Ich glaube, dies ist die erste Geschichte, die ich wegen ihrem Schnuppertext angeklickt und gelesen habe. Nun muss ich allerdings sagen, dass du mich wohl so schnell nicht wieder los wirst ^.^ ich hab wirklich viel Spaß beim Lesen und erwarte schon sehnsüchtig das nächste Kapitel.

Am Anfang musste ich mich erstmal daran gewöhnen, dass du die Geschichte komplett im Präsens geschrieben hast. Schon beeindruckend, wie sehr man sich an so was wie Zeitformen gewöhnt, wobei es eigentlich ziemlich egal sein sollte, welche man zum Schreiben nimmt.

Bei einigen Erklärungen in der Geschichte, hatte ich das Gefühl, dass sie ein wenig inkonsistent sind. So sagt Daniel zum Beispiel erst, dass seine Noten durchschnittlich sind. Dann erzählt er, dass sein einziges Talent Mathe, Bio, Chemie, Physik und Sprachen wären (was abgesehen davon ne ganze Menge Fächer sind, wodurch ich ihm sein "aber im Großen und Ganzen war es das auch schon gewesen." nicht so richtig abkaufe), bezeichnet anschließend das Hirn seines Bruders als so groß wie eine Erbse und eröffnet dem Leser, das er einige Leistungskurse besucht.
Ich gebe zu, dass es sich nicht wirklich wieder spricht, ich aber schon einen Moment so da saß: 'Hää, was den nu, ist er jetzt gut in der Schule oder schlecht?'
Am Ende ist bei mir so was raus gekommen, wie, dass Daniel zwar gut in der Schule ist, aber durch seine häufig fehlenden Hausaufgaben und extreme Abneigung überhaupt die Schule besuchen zu müssen, seine Noten dies nur bedingt widerspiegeln. (Wobei sie aber für LKs reichen.. hmm)

Ich hoffe, meine Beschreibung ist nicht zu wirr. Denn dies ist mir auch bei anderen Dingen in der Geschichte aufgefallen. (Er hat sich an Schläge gewöhnt, sich mit ihnen aber nicht abgefunden. Wo ist der Unterschied, gerade weil er nix dagegen tut, bzw. keine Aussicht auf Hilfe hat?)

Dafür gefallen mir die Figuren richtig gut. Sie sind nicht langweilig/normal, sondern haben ganz lustige Macken und Eigenarten.
Ich bin schon gespannt, was Gabriels Mission ist, doch ich schließe mich der Meinung an, dass es mehr als nur ein bisschen mit Daniel und Marc zu tun hat.

Liebe Grüße
Jael
Von: abgemeldet
2015-09-20T06:37:03+00:00 20.09.2015 08:37
Gabriel ist ja in gewissermaßen doch zu was gut. Auf das letzte Kommentar von Gabriel, hätte er auch verzichten können. Als wäre Daniels Leben nicht schon Scheiße genug. Aber ich habe den Verdacht, dass die eigentliche Mission von Gabriel auf Daniel und Marc beruht. Zwei Gegensätze von Zwillingen. Im großen und ganzen ist Marc der Böse und Daniel der Gute.
Man wird es ja sehen, ob ich richtig liege. Wird zwar noch dauern, aber immerhin werden wir es ja bald erfahren. ^^


Zurück