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Naschst du immer noch?

von

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Ich nasche noch immer

Noch immer war sein Blick fest auf das Mato, die Zielscheibe, gerichtet, aber seine Stirn lag in nachdenklichen Falten. Sein Pfeil prallte an der Wand hinter dem Mato ab. Er hatte verfehlt. Sein Geist war nicht leer. Langsam atmete er ein, löste seine Körperhaltung geordnet auf und trat zurück. Unwillkürlich glitt sein Blick hoch, wo die Fenster zur Küche waren, wo Yuzuru für gewöhnlich stand und ihm zusah.

Yuzuru stand nicht dort. Die nachdenklichen Falten auf seiner Stirn erhielten mehr Tiefe. Seit einiger Zeit spürte Issei zunehmend, dass etwas in ihrem Leben nicht stimmte. Sicherlich lag es nicht mehr an seinem Bruder Sou und dessen ohne Humor gesegneten Streich; das war bereits einige Tage her. Wie hatte er gesagt? „Die Liebe wird doch nur noch heißer, wenn sie auch mal ein paar Hürden überwinden muss.“ Die Beziehung zwischen ihm und Yuzuru brauchte wahrlich keinen Ansporn, sie waren mit mehr verbunden als romantischer Liebe, vermutlich war Seelenverwandschaft schlussendlich doch das richtige Wort. Er würde Yuzuru vor allem beschützen.

Frage blieb, welches Unheil lag in der Luft? Nachdenklich musterte er das Etikett auf seiner Wasserflasche. Wann überkam ihn dieses Gefühl am stärksten? Zuletzt hatte er es heute im Unterricht gespürt: Der Japanischunterricht begann, jeder Schüler nahm Stifte, Hefte und Bücher auf den Tisch und ebenso Yuzuru. Der Unterschied nur, dass sein Heft und sein Buch zerstört waren. Seiten an- und herausgerissen, Beleidigungen und Drohungen mit Filzstift hineingeschmiert. Natürlich wollte Yuzuru so tun, als wäre dies keine große Sache, als wäre er bloß wieder einmal tollpatschig gewesen. Das war keine Tollpatschigkeit. Niemand war ungeschickt genug, sein eigenes Eigentum mit Homos sind krank!, Keine Macht den Transen! und Stirb Schwuchtel! zu verunstalten. Dies waren nur die Wörter, die Issei aus dem Augenwinkel hatte lesen können. Wer würde so etwas unter ihnen tun? Bisher hatten sie und ihre Beziehung noch keinen ernsthaften Gegenwind bekommen, obwohl so viele Schüler davon wussten und Yuzuru nicht gerade diskret mit seinen Gefühlen für ihn umging. Issei mochte diesen genuinen Ausdruck von Gefühlen an Yuzuru. Er lachte, wenn ihm nach lachen zu mute war, und jede Trübsal war leicht auf seinem Gesicht zu lesen. Issei liebte das glückliche Lächeln, wann immer Yuzuru ihn erblickte, als würde er durch seine bloße Anwesenheit Yuzurus Welt erhellen. Niemals könnte Yuzuru solche Worte schreiben, egal ob mit oder ohne Absicht. Irgendjemand hatte ihn – nein, sie beide – im Visier. Issei würde das zu Stoppen wissen.

Dies brachte ihn jedoch zu einer weiteren Frage: Warum? Warum schien es jetzt auf einmal jemanden an ihrer Schule zu stören, dass Yuzuru nun einmal war, wie er war und damit zum Ziel dieser fürchterlichen Schikane wurde. Da es kein Geheimnis war, dass Yuzuru seine Braut sein wollte, hätte die Aversion des Unbekannten im Grunde schon immer schwelen müssen. Ohsumi? Nein, dieser war Yuzuru nicht abgeneigt, vielmehr zu sehr zugeneigt, wenn man Issei fragte. Ob er die Niederlage gegen ihn nicht ertrug? Ohsumi war zwar ein ehrgeiziger Typ, der nicht gerne verlor und sich gerne mehr als gut für ihn war in ein Ziel verbiss, dennoch nahm er eine Niederlage mit Würde. Zumindest galt dies für Karatekämpfe und er würde Ohsumis Verhalten von dort auf den Alltag übertragen. Also konnte er ihn als den unbekannten Täter vorerst ausschließen.

Mittlerweile schloss er den letzten Knopf seiner Schuluniform. Das Training war vorbei, ohne dass Issei sich auf nur einen Schuss hatte konzentrieren können. Sorge um Yuzuru überschattete seine Sinne. Er schulterte seine Tasche und verließ das Dojo. Wie üblich traf er Yuzuru auf der Treppe an. „Alles gut?“, fragte er ihn.

Yuzuru nickte und lächelte, aber nicht so strahlend wie sonst. Ob auch er das Übel in der Luft wahrnahm? Issei wünschte nicht, wusste es jedoch besser. „Wie war das Training?“, fragte Yuzuru.

„Hm.“ Mit einer kurzen Bewegung des Kopfes forderte er Yuzuru auf, dass sie endlich losgingen. Die Schule war für sie beide und besonders für Yurzu zu gefährlich. Issei musste schnell den Täter aufdecken und dieses Übel beenden, bevor dem anderen noch schlimmeres geschah.

„Hier, ich hab wieder Kekse gebacken. Mit Mandeln dieses Mal“, reichte Yuzuru einen kleinen Beutel, den Issei auch annahm. Dabei stockte er kurz, ein Pflaster an Yuzurus Finger? Natürlich brauchte man zum Kochen und Backen auch scharfe Küchengeräte und ein kleiner Schnitt war schnell passiert, dennoch war Yuzuru sicher und versiert in der Küche. Schon lange nicht mehr hatte er sich versehentlich geschnitten. „Ist es schlimm?“

Überrascht sah Yuzuru auf seinen Finger und versteckte ihn sogleich hinter seinem Rücken. „Nein, nein, alles in Ordnung. Ist nur ein kleiner Kratzer. Ich hab' mich nur mit der Hitze am Herd vertan, keine große Sache.“ Er lächelte ihn verlegen an und sah dann auf seine Schuhspitzen.

Issei musterte seinen Freund. War dies auch ein Werk des unbekannten Täters? Sicherlich war es möglich, einen Herd zu manipulieren, und wer anderen Schaden zufügen wollte, fand immer einen Weg. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen. „Sei vorsichtig, ja?“, bat er ihn leise und nahm Yuzurus verletzte Hand in seine. Er legte einen sanften Kuss auf das Pflaster. „Ich will mein Leben mit dir verbringen, mit allem von dir. Pass bitte auf dich auf.“

Tiefe Röte zog auf Yuzurus Wangen ein. „Na-Natürlich. It-chan …“

Issei lächelte ihn noch kurz an, dann gingen sie weiter. Natürlich aß er Yuzurus Kekse und sie schmeckten ihm gut. Er bewunderte diese Kochkünste und so ließ er sich sehr, sehr gerne von seinem Freund bekochen.

Vor Yuzurus Haus verabschiedeten sie einander. Gerne würde er den Abend mit ihm verbringen, allerdings musste er über ihre verzwickte Lage nachdenken und bräuchte dazu Ruhe. Außerdem wollte er seinen Freund nicht weiter beunruhigen.

 

Nach dem Abendessen saß Issei an seinem Schreibtisch und versuchte, erste Namen von Verdächtigen, die ihm bereits in den Sinn kamen, aufzuschreiben: Ohsumi, Hiragi … Issei schüttelte den Kopf. Im Grunde war Yuzuru beliebt an der Schule, die meisten ihrer Mitschüler waren mit ihm befreundet. Seine Fröhlichkeit war ansteckend. Wer sollte etwas gegen ihn haben? Ohsumi hatte er bereits ausgeschlossen und bei dieser Bewertung blieb er. Hiragi besaß einen ähnlichen Begriff von Würde, außerdem würde sie Yuzuru kein Haar krümmen und Issei vermutete, sie würde eher ihre Wut auf ihn konzentrieren.

Ein anderer Ansatz musste her. Also versuchte er Verbindungen zwischen den Attentaten auf Yuzuru, von denen er wusste, zu finden. Was war bisher geschehen? Yuzurus Bücher waren zerstört und mit homophoben Beleidigung beschmiert worden; Müll war in seinen Spind ausgekippt worden; der Herd in der Küche war so manipuliert worden, dass Yuzuru sich verletzen musste; an der Tafel hatte eine Kreidemalerei gestanden, die Yuzuru als Sexspielzeug mehrerer Männer (nur als Penisse angedeutet) darstellte; Reißzwecken waren in Yuzurus Schulschuhen gewesen; ein Gerücht über Yuzuru, dass er heimlich Frauenkleider trüge, war umgegangen. Wieder schüttelte Issei den Kopf. Wer dachte sich solche Gemeinheiten nicht nur aus, sondern setzte sie sogar in die Tat um? Furchtbar. Was nun hatten diese Taten gemeinsam? Sie fanden alle in der Schule statt, sie waren alle gegen Yuzuru gerichtet und sollten ihm entweder Schaden zufügen oder seinen Ruf mittels homophober Klischees diskreditieren. Wieder lag seine Stirn in nachdenklichen Falten. Dass Mobbing suchte einem zu schaden, lag in der Natur der Sache und dass solcher Schaden auch ein zerstörter Ruf war ebenfalls, dennoch war diese Konzentration auf Yuzurus angenommene Sexualität merkwürdig. War das schlicht das Schlimmste, was sich der Täter ausdenken konnte? Oder lag hier ein Hinweis?

Issei nahm letzteres an. Vielleicht war es, wollte man Yuzuru schaden, leicht und naheliegend ihm beispielsweise solch ein Gerücht anzuhängen, aber dennoch musste diese Konzentration nur auf dieses Thema eine Bedeutung haben. Das Problem des Täters lag also vordergründig nicht mit Yuzuru, sondern mit Yuzurus … Mit was nun eigentlich? Dass er unbestreitbar weibliche Züge zeigte? Dass er offen mit seiner Zuneigung zu ihm, Issei, umging? Wieso fühlte man sich von solchen Dingen derart angegriffen, dass man einem anderen Menschen solchen Schaden zufügte? Issei vermutete, dass es sich hier um etwas Persönliches handelte. Mobbing begann auch ohne persönliche Verbindung zwischen Opfer und Täter, in ihrer Kindheit war Yuzuru davon bereits betroffen gewesen; aber dieser Fall lag doch anders als damals. Oder? Issei würde erst einmal diesen Weg gehen, solange er keine anderen Hinweise fand.

Persönlich also … Wen hatte Yuzuru also verletzt? Anscheinend mit etwas verletzt, dass mehr oder weniger homophobe Beleidigungen auslöste? Issei schmunzelte bei dem Gedanken, Yuzuru hätte den falschen Mitschüler angeschwult. Dies war allein schon deswegen ein alberner Gedanke, da sein Freund nur Augen für seinen Prinzen hatte und jeder an ihrer Schule wusste davon. Was auch immer angeschwult sein sollte, ein falscher Flirt vielleicht, käme nicht von Yuzuru ausgehend. Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken: Hatte Yuzuru jemanden abgewiesen und dieser rächte sich nun? Das lag immerhin im Bereich des Möglichen und ein Sprichwort sagte bereits, wie nah Liebe und Hass einander sein können.

Issei sah auf sein Blatt Papier, auf welchem er seine Gedanken festhielt, Worte unterstrichen, Pfeile gezogen und ein wirres Diagramm seiner Tätersuche erstellt hatte. Sein vorläufiges Ergebnis: Der Täter war jemand, der Yuzuru gegenüber Avancen gemacht und dabei abgewiesen worden war. Nun hieß es herauszufinden, wer das war. Sollte leicht sein, wenn er Yuzuru fragte … Oder auch nicht, da sein Freund sich über seine Anziehungskraft kaum im Klaren war. Ob doch Ohsumi dahinter stand?

Er gähnte lang. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass bereits Mitternacht vorbei war. Zeit, ins Bett zu gehen. Hier käme er jetzt ohne weitere Informationen sowieso nicht weiter.

 

Nachdenklich sah er aus dem Fenster, an der Tafel sprach ihr Lehrer über Integralrechnung und Issei hörte ihm nicht zu. Diesen Morgen war Yuzuru nicht gemeinsam mit ihm zur Schule gegangen. Mit einer fadenscheinigen Ausrede hatte Yuzuru ihn vorgeschickt und war kaum rechtzeitig zum Unterricht erschienen. Wie schwer mochte diese Situation auf Yuzuru lasten? Und warum stützte er sich nicht auf ihn? Er war Yuzurus Freund, er war für ihn da, er würde ihm immer helfen. Aber Issei wusste auch, Yuzuru wollte nicht zur Last fallen und natürlich hatte er seinen eigenen Stolz. Auch Yuzuru war ein Mann, selbst wenn das nicht immer offensichtlich schien, Issei wusste es. Issei liebte ihn.

„Yogi-kun?“, fragte eine leise Stimme an seinem Ohr und holte ihn so aus seinen Gedanken zurück. War die Stunde bereits zu Ende? Er hatte nicht ein Wort gehört. Issei sah auf. „Hm?“

Das Mädchen strich sich schüchtern eine Haarsträhne hinters Ohr. „Bitte, hier“, und sie reichte ihm ein Buch Die Schlacht von Yashima¹.

Abwartend blickte Issei auf das Buch.

„Letzte Woche nach dem Training haben wir doch über Yabusame² gesprochen … und du wolltest ein Buch darüber lesen … und bitte.“ Ihre Stimme war leise.

„Danke“, nickte Issei und nahm das Buch an. „Ich gebe es dir bald wieder, Akiyama-san.“

Sie lächelte: „Nicht nötig, wirklich.“

„Du bist erst seit kurzem im Club, nicht wahr? Kommst du gut zurecht?“

„Ja, erst seit drei Wochen. Die anderen sind alle sehr nett und ich strenge mich an, natürlich. Kyudo ist kein einfacher Sport, aber … Du bist sehr inspirierend, Yogi-kun.“

Nana korobi, ya oki – Wenn du siebenmal hinfällst, stehst du achtmal wieder auf“, erwiderte Issei auf ihr Kompliment. „Es ist einfach, wenn man treuen Rückhalt hinter sich weiß“, kurz glitt sein Blick zu Yuzuru. Immer stand dieser ihm bei, feuerte ihn an, selbst wenn er einmal strauchelte. Sah Yuzuru ihm zu, musste Issei sein Bestes geben, allein schon für das glückliche Lächeln im Gesicht seines Liebsten. Mit Yuzurus Begeisterung war in Issei kein Raum für Zweifel.

Ihre Augen folgten kurz seinem Blick. „Shibata-kun? Aber er ist do- Entschuldige“, unterbrach sie sich schnell und schlug die Augen genierlich zu Boden, „ich sollte mich nicht einmischen.“

„Was wolltest du sagen?“ Gab es etwa schon wieder neue Gerüchte über Yuzuru? Er musste endlich mit ihm reden und herausfinden, wen er unabsichtlich derart vor den Kopf gestoßen hatte. Dies alles musste endlich ein Ende finden, wenn sich Yuzuru bereits von ihm zurückzog.

„Nein, wirklich, ich möchte mich nicht einmischen“, versuchte sie abzuwehren, doch unter Isseis forschem Blick knickte sie ein. „Ich habe gehört – und ich meine, das muss ja noch lange nichts heißen –, dass Shibata-kun etwas mit Ohsumi-kun aus dem Karateclub haben soll. Bloß ein Gerücht, nicht wahr? Jeder weiß doch, dass Shibata-kun nur Augen für dich hat, Yogi-kun.“

„Ohsumi?“ Unwillkürlich glitt sein Blick wieder zu Yuzuru. Versuchte Ohsumi etwa wirklich, ihn so in seinen Club zu bekommen? Oder schlimmer! Issei stutzte, als er seinen Freund nicht mehr im Klassenraum entdeckte. Eben war er doch noch hier gewesen. Wo war er nur so schnell hingegangen? Und wieso brachte er kein Bento an Isseis Tisch? Gemeinsam zu essen war ihr tägliches Ritual und es gab keinen haltbaren Grund, dieses ausfallen zu lassen. Er witterte Übel in der Luft. Ruckartig stand er auf, sein Stuhl fiel zu Boden. Yuzuru!

„Yogi-kun?“ Aus seinen Gedanken gerissen blickte er zu Akiyama. „Wenn Shibata-kun dich nicht zu schätzen weiß …“, fing sie an, allerdings unterbrach eine unwirsche Handbewegung seinerseits ihren Satz. „Danke für das Buch, Akiyama-san. Du kriegst es wieder.“ Dann ließ er sie stehen.

Issei ging zu zwei Mädchen aus Yuzurus Kochkurs, welche ein paar Tische weiter saßen. „Habt ihr Yuzuru gesehen?“

„Oh, Shiba-chan? Hat er nicht heute eine Verabredung mit Ohsumi-kun?“

„Den habe ich zumindest vorhin an der Tür gesehen. Aber ja, er erzählte doch gestern etwas davon?“

Alarmiert sah er die beiden Mädchen an: „Ohsumi? Wisst ihr, wo sie hingehen wollten?“ Sollte er sich derart in Ohsumi geirrt haben? War dieser doch der Übeltäter und verantwortlich für all die schrecklichen Gerüchte und Taten gegen Yuzuru? Oder war am Ende doch das Gerücht wahr?

„Shiba-chan wollte wo Ruhiges hin.“

„Wir haben ihm das Dach empfohlen.“

Mit schnellen Schritten verließ er das Klassenzimmer und rannte durch die Flure ihrer Schule. Dass ein Lehrer in ermahnte, hörte er nicht. Es gab wichtigere Dinge im Leben als unfallfreie Fortbewegung. Yuzuru war in Gefahr! Oder ihre Beziehung war in Gefahr. Issei war verwirrt; ein Gefühl, welches er verabscheute. Bald lief er die Treppe hinauf und warf die Tür auf. Außer Atem stand er auf dem Dach. Leichter Wind spielte mit seinen Haaren und einige Schritte vor ihm sah er Yuzuru und Ohsumi. Vielmehr sah er Ohsumi über Yuzuru gebeugt. „Yuzuru!“, rief Issei, überbrückte die wenigen Schritte und mit einem kräftigen Tritt löste er Ohsumi von seinem Freund. Er würde ihn auch dieses Mal besiegen.

„It-chan!“ Yuzuru war offensichtlich überrascht und rappelte sich auf. „It-chan, was tust du hier?“

„Das sollte ich dich fragen. Und was macht er hier?“, deutete er mit einem Knopfnicken zu Ohsumi, welcher noch versuchte, sich nach dem Tritt zu sammeln.

Auf Yuzurus Wangen breitete sich eine beschämte Röte aus. „Das ist nicht so, wie du denkst. Ehrlich, It-chan. Bitte.“

„Was denke ich denn?“, fragte Issei. Er wollte ruhig bleiben, immerhin vertraute er Yuzuru. Selbst wenn Yuzuru keine Gefühle mehr für ihn empfinden sollte – schwer vorstellbar, aber man sollte ja niemals nie sagen –, würde er ihn niemals betrügen oder hintergehen. Das war einfach nicht Teil seines liebenswürdigen Charakters.

Mittlerweile war Ohsumi wieder auf den Beinen, trat zu ihnen und legte einen Arm um Yuzurus Schultern. „Er gehört jetzt zu mir, Yogi“, grinste er.

„Wa-was? Nein!“, widersprach Yuzuru sofort und löste sich aus dem Arm. „Nein, ich … It-chan, das …“, stotterte er und endete in einem tiefen Seufzen. „Wir haben trainiert.“

„Trainiert? Karate?“, hakte Issei nach. Seit wann wollte Yuzuru kämpfen? Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. „Wieso?“

„Ist doch klar“, antwortete Ohsumi. „Irgendjemand hat es auf Shibata abgesehen. Das wird bestimmt nicht bei Gerüchten und Tafelbildern bleiben.“

Er musterte beide. „Und dann gehst du zu ihm statt zu mir?“

Ertappt vertiefte sich die Röte auf Yuzurus Wangen. „Ja, er … Ich will dir doch nicht zur Last fallen. Ich dachte, wenn ich auf mich selbst aufpassen könnte, könntest du die Zeit mit mir besser genießen. Und dann müsstest du nicht mehr mit diesem süßen Mädchen reden, um zu entspannen.“ Er nestelte an seinem Hemdsärmel.

Issei zog seine Stirn in nachdenkliche Falten. Süßes Mädchen? „Meinst du Akiyama-san?“

„Sie war doch vorhin auch bei dir und hat dir sogar ein Buch gegeben.“

Ohsumi brummte: „Du bist viel zu beliebt, Yogi. Lass uns anderen auch noch was übrig. Wenn du Akiyama-san willst, kümmer' ich mich um Shibata.“

„Vergiss es!“ Sofort zog er Yuzuru zu sich und taxierte Ohsumi mit dunklem Blick. „Yuzu, weißt du, wer es auf dich abgesehen hat? Irgendjemand, der einen Groll gegen dich hegt? Der etwas missverstanden hat? Irgendwas?“

Yuzuru schüttelte den Kopf: „Hab' ich schon überlegt, mir ist aber niemand eingefallen. Ich komme eigentlich mit allen gut aus. Dachte ich zumindest.“

„Ja …“, gab Issei nachdenklich von sich. „Bist du dir sicher?“

Yuzuru nickte.

„Vielleicht liegt's ja an dir, Yogi“, grinste Ohsumi und genoss Isseis verwirrten Blick. „Vielleicht hat ja jemand ein Problem mit dir und lässt das an Shibata aus. Immerhin, er ist dein wunder Punkt. Das wissen alle.“

Einen langen Moment blinzelte Issei. An diese Möglichkeit hatte er bisher gar nicht gedacht. Natürlich, wollte jemand ihn treffen, wäre Yuzuru das optimale Ziel. Wieso wollte jemand ihn treffen? Auch er kam mit ihren Mitschülern gut aus und war auf andere Art als Yuzuru beliebt. Viele sahen zu ihm auf, bewunderten seine sportlichen und schulischen Leistungen, fanden ihn cool und manchmal glorifizierten sie ihn ein wenig und manchmal auch ein wenig zu viel. Nicht nur Yuzuru dachte von ihm als Prinz, aber das war eigentlich kein wirkliches Problem.

„Oh nein …!“ Ihm war die Lösung eingefallen: wieso Yuzuru das Ziel war, wieso die Beleidigungen homophob waren, wieso es ein Problem mit ihm, Issei, war, wieso er es eher hätte sehen müssen. „Pass auf ihn auf!“, wies er Ohsumi noch an und eilte die Treppe wieder hinunter.

 

Die Kyudohalle war leer. Eines der Deckenlichter flackerte.

„Yogi-kun?“ Ihre Stimme hallte durch den Raum, während sie weiter hineinschritt. Ein leichtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. „Yogi-kun, du wolltest mich sehen?“

Als der Pfeil an ihr vorbei zischte, nahm er ihr Lächeln mit. Sein Aufprall auf das Mato war überlaut in der Stille zu hören. „Akiyama-san, gut, dass du gekommen bist“, sagte Issei und trat aus den Schatten heraus. „Wir müssen reden.“

Ihre Stimme zitterte leicht: „Yogi-kun? Was … Worum geht es?“

Ein paar Schritte von ihr entfernt blieb er stehen, den Bogen noch in der Hand. „Das weißt du genau, nicht wahr? Du hast Yuzu all diese Dinge angetan.“

„Welche Dinge denn?“, fragte sie. „Das Gerücht habe ich nur gehört, wirklich. Eine Freundin von mir …“

Isseis Mine verfinsterte sich und er unterbrach sie: „Verkauf mich nicht für dumm. Du hast sein Buch beschmiert, du hast diese scheußliche Szene an die Tafel gemalt, du hast die Reißzwecken in seine Schuhe getan. Du warst das alles.“

„Oh nein“, erschrocken schlug sich Akiyama die Hand vor den Mund. „Das ist ja fürchterlich.“

„Tu nicht so, du bist eine schlechte Schauspielerin“, rügte er sie kalt. „Warum hast du das alles getan?“ War es wirklich so, wie er es sich dachte?

„Vielleicht sind die Gerüchte ja wahr?“ Sie zuckte mit den Schultern. Auf Isseis aufforderndes Schweigen erklärte sie: „Naja, ich hörte, wie man Gerüchte eben so hört, dass Shibata-kun eine – als gutes Mädchen kann ich das gar nicht aussprechen – eine Transe sei. Und vielleicht ist daran ja tatsächlich etwas dran? Er ist der einzige Junge im Kochkurs, er trägt eine Schürze mit Rüschen, er möchte deine Prinzessin und deine Braut sein, Yogi-kun. Vielleicht ist es ja mehr als nur ein Gerücht?“

Issei sah sie zweifelnd an: „Und?“

Jetzt war es an Akiyama verwirrt zu sein. „Wie und?“

„Na“, Issei grinste leicht, „selbst wenn das Gerücht stimmen sollte, was ist dann? Was würde sich dann ändern? Yuzu würde immer noch in den Kochkurs gehen und immer noch eine Schürze mit Rüschen tragen – in der er übrigens sehr heiß aussieht – und er würde auch immer noch meine Prinzessin und meine Braut sein wollen. Es würde sich nichts ändern, sollte das Gerücht nun stimmen oder nicht.“

„Aber, aber du musst dann doch Schluss mit ihm machen!“, ereiferte sie sich. „Du kannst doch nicht mit so jemandem befreundet sein.“

„Muss ich das? Kann ich nicht? Wer sagt das? Du?“, fragte er sie. „Was war dein Plan? Yuzu bei allen als schwul und transsexuell zu diffamieren und ihn seelisch mit deiner Schikane und dem Psychoterror zu zerstören – und dann was? Hätte ich ihn fallen gelassen? Hätte ich dich zur Freundin genommen? Deswegen bist du doch in den Club eingetreten, nicht wahr. Deswegen soll ich dir beim Kyudo immer helfen, deswegen leihst du mir Bücher aus und erzählst mir die Gerüchte, natürlich ganz unschuldig. Um mir nahezu kommen, stimmt's? Um zu beweisen, dass du besser als Yuzu bist.“

„Ich bin besser!“, warf sie ein. Ihr Gesicht war hochrot vor Scham, entdeckt worden zu sein, und vor Wut, dass sie gescheitert war. „Ich passe so viel besser zu dir, Yogi-kun. Ich kann dir auch Bentos machen, aber du wolltest es nicht. Du hast mich einfach weggeschickt. Mich! An deine Seite gehört ein Mädchen wie ich und kein Hüne wie er.“ Wieder zischte ein Pfeil an ihrem Gesicht vorbei und schlug hinter ihr in das Mato ein.

„Falsch“, sagte Issei ruhig. „Yuzu ist der einzige Mensch an meiner Seite. Tust du ihm noch einmal weh, durch ein Gerücht oder durch sonst irgendeine Schikane, lässt du in irgendeiner Weise deine absurde und kleingeistige Eifersucht an ihm aus, wirst du es für den Rest deines Lebens bitter bereuen.“

Wieder zischte ein Pfeil an ihrem Gesicht vorbei und hinterließ einen kleinen Schnitt auf ihrer Wange. Als sie über die Stelle strich, hatte sie ein wenig Blut an ihren Fingern. Mit großen, erschrockenen Augen sah Akiyama ihn an.

„Beim nächsten Pfeil mach ich ernst“, drohte er ihr.

 

Nach der Schule gingen Issei und Yuzuru gemeinsam nach Hause.

„Akiyama-san?“, fragte Yuzuru überrascht. „Das hätte ich ihr niemals zugetraut. Sie ist doch so ein nettes Mädchen.“

Issei nickte leicht und griff Yuzurus Hand. „Es tut mir leid, Yuzu. Du hast das alles nur meinetwegen durchmachen müssen.“

„Schon okay“, lächelte er. „Ich kann verstehen, dass sie dich auch mag. Du bist eben ein Prinz, It-chan, nicht nur für mich. Solange du an meiner Seite bist, bin ich glücklich, mach dir nicht so viele Sorgen.“

„Immer, Yuzu, ich werde immer an deiner Seite sein.“

Yuzuru schmunzelte: „Auch wenn ich eine Transe bin?“

Issei erwiderte das Schmunzeln: „Du bist du, was auch immer du bist oder nicht bist. Ich liebe dich, ob du nun in einer Rüschenschürze für mich Kekse backst oder in einem Blaumann ein Auto reparierst. Du bist in Rüschen sexy und ich lecke gern den Teig von deinen Fingern. Und bestimmt bist du auch sexy, wenn du dich tief über einen Motor beugst und ich dich hinterher von all dem Öl sauber waschen kann. Dein Lächeln bleibt immer gleich.“

„It-chan …“, Yuzuru lächelte glücklich verliebt und küsste ihn.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist wundervoll, Dich als Leser hier zu haben. Dankeschön!
Hat die Geschichte etwas in Dir ausgelöst? Dann schreibe mir kurz oder lang, was Du denkst.
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Wolfi-sama
2015-11-22T16:39:18+00:00 22.11.2015 17:39
Hey!

Bevor ich irgendwas anderes sage: Es tut mir so wahnsinnig leid, dass es mich so lange gekostet hat, den Wettbewerb abzuschließen und deinen Eintrag zu lesen, aber 'life happened' und ich brauchte erstmal eine Weile, um mich wieder zu fangen. Deswegen.. bitte ich nochmals um Entschuldigung.

Aaaahhh, wo soll ich anfangen? Dabei, dass du wunderbar in character geblieben bist vielleicht? ..Es ist ja nun schon einen Moment her, seit ich das letzte Mal "Was zum Naschen" gelesen habe, aber wenn ich deine Geschichte so lese, habe ich die Charaktere direkt wieder vor Augen und der gesamte Ton passt einfach perfekt! ..It-chan.. hach, gute Zeiten..

Was mich besonders gefreut hat, war Isseis letzte Konfrontation mit Akiyama: „Na“, Issei grinste leicht, „selbst wenn das Gerücht stimmen sollte, was ist dann? Was würde sich dann ändern? Yuzu würde immer noch in den Kochkurs gehen und immer noch eine Schürze mit Rüschen tragen – in der er übrigens sehr heiß aussieht – und er würde auch immer noch meine Prinzessin und meine Braut sein wollen. Es würde sich nichts ändern, sollte das Gerücht nun stimmen oder nicht.“

..und dass ers Yuzu dann nachher auch noch mal so deutlich gesagt hat.. mein kleines, schwarzes Herz hat sich sehr drüber gefreut! Vielen, vielen Dank <3

Lg
~Wolfi
Antwort von:  In-Genius
22.11.2015 18:34
Ah^^ Wunderbar, dass er dir gefallen hat. Ich wage mich sonst nicht aus meinem Stamm-Fandom raus, aber bei "Was zum Naschen" fand ich noch einen Platz für mich. Schön, dass auch du das so siehst.

Ich find's auch sehr schade, dass nicht mehr Aktion bei dem Wettbewerb kam. Aber ich zumindest hatte meinen Spaß!

LG
Jae


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