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Bruderliebe

von

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~°~37~°~

 

 

Schwerfällig hob ich den Kopf, sah auf das Weinglas, das noch immer vor mir auf dem Piano stand. Leicht angewidert nahm ich meinen Blick davon weg.

Wie hatte ich nur so tief fallen können?

Doch die Zeit des Selbstmitleides war vorbei. Endgültig! Ich musste mich aufraffen, sollte nichts hinterfragen oder nach einem Warum erbitten, sondern handeln. Wenn ich etwas bewegen wollte, sollte ich es aus eigener Kraft heraus schaffen. Lange genug hatte ich, was mich anbelangte, hängen gelassen.

In diesem Augenblick schwor ich mir, keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken, bis ich so weit auf der Höhe war, um in naher Zukunft wieder damit umgehen zu können. Dass es nicht einfach werden würde, musste mir keiner sagen. So viel Verstand besaß ich, um zu wissen, was auf mich zukommen würde. Die alkoholischen Getränke sollten in Zukunft ein Genussmittel bleiben, und nicht als Seelentröster verwendet werden. Nein, ich wollte das nicht mehr. Das gleiche galt übrigens auch fürs Rauchen, als ich meinen Blick über die vielen, aufgerauchten Zigarettenstummel schweifen ließ, die sich in den überfüllten Aschenbecher tummelten oder auf dem Boden verstreut lagen, weil ich zu faul gewesen war, sie ordnungsgemäß zu entsorgen. Das alles war ebenso ein Dorn in meinen Augen. Einige Läufer waren bereits mit Asche beschmutzt. Staubsaugen war in letzter Zeit ein Fremdwort gewesen.

Darauf konnte man nicht stolz sein. Carstens Besitz – und ich hatte es nicht gewürdigt. Als ob Carsten mir mental zunicken, mir unter die Arme greifen würde, verspürte ich die Kraft, mich zu erheben, auch wenn der Alkohol meine Sinne und meinen Körper noch gut im Griff zu haben schien, war ich dennoch stärker, dagegen anzukämpfen. Wankend stand ich vom Hocker auf, atmete tief durch. Der Geruch von Schweiß, alter Wäsche, alles, was einen Menschen unattraktiv werden ließ, drang an meine Nase, hinterließen einen schalen Geschmack bei mir. Ich wollte wieder wie ein sauberer Mann riechen. Als Erstes brauchte ich dringend eine Dusche.

Im Schlafzimmer angekommen holte ich mir aus dem Schrank frische Klamotten und ging langsamen Schrittes, um nicht irgendwo gegen ein Möbelstück zu stoßen, ins Bad. Basta, der ruhig das Ganze verfolgt hatte, trottete hinter mir her. Doch ihn mit ins Bad nehmen, das wollte ich nicht und drehte mich zu ihm herum.

„Basta, ich werde es schaffen. Jetzt geh in dein Körbchen, los“, gab ich die Anweisung an ihn.

Der Schäferhund gab als Antwort ein „Wuff“ von sich und bewegte sich in Richtung seiner Schlafstätte. Nachdenklich schaute ich ihm hinterher, bevor ich gänzlich hinter der Tür vom Bad verschwand. Das Gefühl, der Hund wäre der beste Freund des Menschen, bestätigte sich auch für mich. Noch immer etwas wackelig auf den Beinen zog ich mir daher ungeschickt und umständlich meine Sachen aus, ließ sie auf den Boden gleiten und kickte sie dann zur Seite. Später würde ich mich über die Unordnung kümmern. Jetzt erst einmal eine schöne Dusche. Ich drehte das Wasser auf, ließ den Wasserstrahl warm werden, duschte ausgiebig. Das Wasser kurbelte meinen Kreislauf an, trieb mir weiter den Alkohol aus den Knochen, weil ich nicht ganz so warm duschte. Anschließend wusch ich meine Haare, seifte sie gründlich ein, bis mich das Gefühl überkam, auch da sauber zu werden. All diese Dinge tat ich, wie schon lange nicht mehr so ausführlich und mit einem guten Gefühl.

Die Haut meiner Hände und Füße war in der Zwischenzeit schrumpelig geworden, als ich die Dusche nach einiger Zeit verließ und mich anzog. Der frische Duft von Seife und Sauberkeit stieg mir in die Nase.

Ich fuhr mir über den Bart, der als Nächstes dran glauben musste. Auch das hatte ich schleifen lassen und man konnte es kaum einen Dreitagebart mehr nennen. Einen richtigen Bartwuchs hatte ich nicht direkt und die kahlen Stellen dazwischen sahen mehr als nur belustigend aus, eher wie der eines Landstreichers. Über mein eigenes Spiegelbild schüttelte ich beschämend den Kopf.

„Carsten, ich werde mich ändern, ich verspreche es.“ Dann nahm ich den Rasierer in die Hand und legte los, auch die darauffolgende Zahnhygiene kam nicht zu kurz. Nach einer gefühlten Stunde war ich mit mir zufrieden. Ich strich mir über das glatt rasierte Gesicht, schmeckte dabei die Zahnpasta im Mund, die den Geschmack von Rotwein und Zigaretten zurückgedrängt hatte, und ging in die Küche. Den Alkohol spürte ich zwar immer noch, aber es wurde besser. Doch bekam ich Durst. Daher holte ich mir einen Orangensaft. Auf den hatte ich Lust bekommen, und erinnerte mich daran, wie ich eine ganze Palette kurz vor Carstens Tod gekauft hatte, weil er das Getränk zum Schluss am liebsten gemocht hatte.

Beinahe gierig trank ich mein voll eingeschenktes Glas in einem Zug aus, stellte es auf die Anrichte in der Küche ab. Jetzt, nachdem ich etwas durch den Saft gestärkt war, wusste ich, kam nun die eigentliche Arbeit auf mich zu. Ich seufze beinahe wehleidig, als ich das Durcheinander sah, während ich eine Inspektion durch das Haus machte. Es sah furchtbar aus. Zwar nicht ganz so schlimm wie bei einem Messie, der jahrelang alles hortete und nebenbei vergaß, sauber zu machen, aber erschreckend genug, um sich zu schämen. Wenn ich so weiter gemacht hätte, wäre ich dem Chaos nahegekommen, selbst einer zu werden. Beschämt über den Zustand der Inneneinrichtung, machte ich mich endlich an die Arbeit und die weitere verstrichene Zeit wurde ich nüchterner und voller Tatendrang. Ich wollte nicht mehr in diesem Dreck wohnen, auch wenn es die ganze Nacht andauern würde, war ich bestrebt, hier aufzuräumen und sauber zu machen.

Wenige Minuten später, ich hatte mir Latexhandschuhe angezogen, war ich mit einer blauen Rolle Müllsäcke, saubere Putztücher, Reinigungsmitteln und einem Eimer voll heißem Wasser in der Hand bestückt gegen die Unordnung angetreten, begann die eigentliche Arbeit. Auch wenn es sehr spät am Abend war, fühlte ich mich voller Leben. Ich hatte wieder einen Sinn in meinem Leben bekommen. Das Gefühl der Richtigkeit nahm immer mehr zu. Zuerst sammelte ich all die Zigarettenstummel, Schachteln und Aschenbecher und entsorgte alles. Es fiel mir auch nicht schwer, die letzte angebrochene Schachtel Zigaretten ebenfalls in den blauen Müllsack zu werfen.

Nein, auch das würde ich nicht mehr bereuen. Der kalte Rauch am Morgen, der sich in den Vorhängen und in der Tapete verfing, war nicht wirklich angenehm. Ich wollte wieder eine saubere und frische Wohnungseinrichtung genießen können. So fiel mir die Arbeit immer leichter, als ich zu dem ganzen Alkohol kam – die vollen Weinflaschen und Spirituosen. Alles, was wir überhaupt an alkoholischen Getränken hatten, ob in der Bar, im Kühlschrank gebunkertes Bier, das Carsten ab und an nach der Arbeit gerne getrunken hatte, oder die Vorräte, die ich mir angeeignet hatte, weil ich längere Zeit nicht aus dem Haus gehen wollte, dies alles schüttete ich in den Ausguss.

Es fiel mir nicht allzu schwer, das zu tun – noch nicht! Die Entwöhnung würde noch kommen, dessen war ich mir bewusst.

Danach putzte ich die Wohnung von oben bis unten, schickte Basta von einer Ecke in die andere, wenn er mir im Wege stand. Denn der Hund war von Neugierde getrieben.

Schweiß stand auf meiner Stirn und wurde immer mehr. Bald war ich so durchgeschwitzt, dass ich meine Sachen wechseln musste, nicht, weil es hier zu warm war, nein, der Alkohol und die Arbeit waren der Grund dafür.

Gegen den Nikotinentzug bestellte ich mir, als ich eine kleine Pause einlegte und ich mich dann an meinen Laptop setzte, über das Internet Nikotinpflaster, was am nächsten Tag per Post geliefert werden sollte. Als ich merkte, wie mich die Kraft vollständig verließ, beschloss ich, für heute Schluss zu machen. Am nächsten Morgen würde ich weitermachen.

Ich schlief zwar gleich ein, aber dennoch war ich die restliche Nacht über unruhig, wachte hier und da kurz auf und schwitzte das Laken durch. Der Alkoholentzug begann, immer mehr zu werden.

Am nächsten Morgen, ich hatte mir den Wecker gestellt, wachte ich gerädert auf. Der erste Griff nach einer Zigarette ging ins Leere, als ich Appetit danach bekam. Ich hoffte, der Paketfahrer würde bald mit den Pflastern kommen, seine Tour wegen mir anders im Bezirk planen und vielleicht gleich als Erstes erscheinen. Ich wusste, es war reines Wunschdenken. Um mich abzulenken, stand ich schnell auf und ging ins Bad.

Wieder duschte ich ausgiebig und aß dann hinterher eine Kleinigkeit, nachdem ich Basta versorgt hatte. Viel an Nahrungsvorräten hatte ich nicht im Haus, aber für mich reichte es, denn ich hatte keinen allzu großen Hunger, eher einen Zug nach einer Zigarette. Es dauerte keine Stunde später, da klingelte es an der Tür. Der Paketfahrer mit dem Paket. Endlich! Dankend nahm ich es entgegen und ich brachte das erste Pflaster sofort an meinen Körper an, als ich das Paket in der Küche öffnete.

Vielleicht bildete ich mir das alles nur ein, aber ich hatte das Gefühl, nicht mehr ganz so süchtig nach einer Zigarette zu sein. Das Pflaster half – musste es, denn ich war fest entschlossen, wieder zu dem Jaden zu werden, der ich einst war. Noch war es ein weiter Weg und ich hatte vieles zu erledigen. Einen Schritt nach dem anderen, sagte ich mir.

Zuerst kaufte ich Lebensmittel ein, die ich nicht mehr in Vorräten zuhause hatte, nahm Basta als Begleitschutz mit. Ich brauchte den Hund jetzt dringender denn je. Das Autofahren fiel mir schwer, da ich mich nicht immer konzentrieren konnte. Ich hatte den BMW genommen. Dann, nachdem ich die Vorräte so weit wieder aufgestockt hatte, ging es dem Wäscheberg an den Kragen und den bekam ich binnen einer Woche in den Griff. Bald sah das Haus wieder so aus, wie ich es kannte. Selbst die Hundehaufen, die Basta in meiner stumpfen Zeit hatte im Garten verrichten müssen, hatte ich entsorgt. Als alles erledigt war, hörte ich den Anrufbeantworter ab und kümmerte mich um die liegen gebliebene Post. Rechnungen, die ich vergessen hatte zu begleichen, erledigte ich noch an Ort und Stelle über Onlinebanking, bevor weitere Mahnkosten anfallen würden. Denn einen Teil der Beerdigung hatte ich vergessen zu überweisen.

In dieser Zeit jedoch mied ich den Kontakt zu seiner Familie und den wenigen Freunden, die ich noch nicht ganz vergrault hatte. Ich vertröstete sie übers Telefon, weil sie sich doch Sorgen gemacht hatten. Ich machte denen klar, dass ich meine Ruhe bräuchte, ich aber auf dem Wege der Besserung wäre. Das alles in einem freundlichen Ton, sodass es mir keiner übel nahm. Immerhin!

Der Alkoholentzug allerdings, der sich ein – zwei Tage länger hinzog, wie ich mir ausgerechnet hatte, war schlimm. Dennoch stärkte es mich in meinem Bestreben, richtig gehandelt zu haben und tat alles, um nicht in das alte Schema zurück zu fallen.

Mit Aspirin und Magnesiumtabletten kämpfte ich gegen die Dämonen in mir, als ich einen Kollegen von Carsten anrief und mir Rat holte, als der Drang nach einem Glas Wein, Schnaps, was auch immer, überhandnahm. Er hatte mir dann die Tipps mit den Medikamenten zur Unterstützung gegeben.

Und wenn meine Gedanken, trotz der befürwortenden Maßnahmen, sich nur um meine Sucht drehten, unternahm ich mit Basta lange Spaziergänge, oder ging mit ihm joggen, bis ich ausgepowert, verschwitzt, aber zufrieden mit mir, unter die Dusche ging. So bekam ich die gefährlichen Stunden herum. Nach ein paar weiteren durchgeschwitzten Nächten hatte ich mein Alkoholproblem wieder in dem Sinne im Griff, dass ich wirklich danach keine Gelüste mehr verspürte und ich die Medikamente ebenfalls nicht mehr zur Unterstützung brauchte. Ich aß auch regelmäßiger, zwang mich zu festen Essenszeiten und lächelte, als ich mich dabei ertappte, wie ich mir in den Kaffee Milch goss.

Die Nachbarn sahen meine positive Entwicklung, dass ich öfter herausging oder mit meinem Hund joggte und wurden zugänglicher, grüßten mich zum größten Teil wie früher und ab und an fragte man nach, wie es mir so erging. Mir fiel es zwar noch schwer, über meinen toten Lebenspartner zu reden, aber es wurde mit der Zeit besser und besser.

Alles verlief in etwa so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ja, mein Leben hatte wieder einen Sinn bekommen, doch hatte ich es bis jetzt gemieden, an Carstens Grab zu gehen. Das stand mir noch bevor, ich wusste, dass ich diese Hürde noch bestehen musste.

 

 

©Randy D. Avies 2012

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-09-04T10:28:46+00:00 04.09.2015 12:28
Ich bin richtig stolz auf den kleinen Jaden :))


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