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Tokyo Bay

Neustart
von

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Kapitel 16
 

Endlich konnte sie sie fühlen… Sie spüren… Sie schmecken…

Mit rasendem Herzen und geröteten Wangen erwachte Michiru nach einer Nacht voller verschwommener Träume. Verwirrt sah sie sich um. Sie war in ihrem eigenen Zimmer… Lag in ihrem eigenen Bett… Dieser Teil ihres Traumes war wohl doch nicht Realität… Aber als sie an sich herab sah, erkannte sie, dass sie noch immer ihr himmelblaues Sommerkleid trug. Also hatte sie sich die letzte Nacht doch nicht nur eingebildet? Mit einem Seufzen ließ sich Michiru zurück in die Kissen sinken. Ihr Blick wanderte durch ihr Zimmer. Ein paar Schritte weiter lag ihre Jacke auf ihrem Schreibtisch. Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Haruka hatte sie wohl tatsächlich nach Hause gebracht. Getragen. Bis in ihr Bett. Glücklich umklammerte die Künstlerin ihre Bettdecke und schloss die Augen. >Also doch…<

„Guten Morgen.“ Toshios Stimme hallte schon vom Wohnzimmer her durch den Flur, als Michiru ihre Zimmertür öffnete. Zögerlich trat sie zu den beiden Erwachsenen ans Sofa. Setsuna lächelte vielsagend hinter ihrem Roman hervor, doch ihr Mann verbarg sein Gesicht hinter der Tageszeitung. „Guten Morgen.“, antwortete Michiru nun, was ihren Vater dazu veranlasste, seine Lektüre sinken zu lassen. „Kopfschmerzen?“, fragte er skeptisch. Michiru legte die Stirn in Falten. „Wieso sollte ich Kopfschmerzen haben?“ „Glücklich?“, entgegnete jetzt Setsuna, woraufhin sich die Wangen ihrer Stieftochter röteten und beide Frauen ein Grinsen nicht mehr unterdrücken konnten.
 

Knurrend versuchte Haruka, wenigstens ein Auge zu öffnen. Wie lebensmüde musste man sein, um die Rennfahrerin schon vor sieben Uhr morgens aus dem Bett zu klingeln? Auch wenn heute Montag war und die Schule um Acht begann… „Was?“, fauchte sie genervt in ihr Handy. „…Sanji?! Hast du keine anderen Hobbys?! Ich hätte noch mindestens ´ne halbe Stunde schlafen können! Wehe, es ist nicht wichtig!“ Gähnend rieb sie sich den Schlaf aus den Augen. „…Wie, in zwei Wochen schon? Na klasse.“ Die Blondine versuchte aufgeregt zu klingen, doch ein weiteres Gähnen machte ihr einen Strich durch die Rechnung. „…Moment mal… Heute?“ Jetzt setzte sie sich auf. „Genial! Natürlich hab ich Zeit!“
 

Die gesamte Busfahrt über zur Schule hatte Michiru versucht, ihre Aufregung zu unterdrücken und ihren Puls zu beruhigen, doch schon als sie die Blondine wartend vor dem Schuleingang erkannte, begann ihr Herz erneut zu rasen. Schon Harukas gesäuselte Begrüßung ließ der Schwimmerin abermals Röte ins Gesicht steigen.

Die Stille zwischen ihr und der Pianistin ließ Michiru in der Frühstückspause fast durchdrehen. >Sag doch endlich was!< „Übrigens… Sanji hat mich heute früh angerufen.“ >Na besser als nichts…< Erleichtert atmete die Künstlerin aus. „Dein alter Teamkollege?“, fragte sie, bevor sie von ihrem Sandwich abbiss. „Ja. Er und mein Trainer werden schon in zwei Wochen nach Tokio ziehen.“ Nachdem sich die Blondine vergewissert hatte, dass ihr Apfel vollständig abgenagt war, warf sie den Rest gekonnt in den ein paar Schritte entfernten Mülleimer. „Und heute Nachmittag treffen wir uns mit einem neuen Rennteam.“ Nun sah Michiru auf und konnte ihren leicht enttäuschten Gesichtsausdruck nicht verbergen. Sie hatte eigentlich gehofft, auch nach der Schule noch Zeit mit Haruka verbringen zu können. „Was ist los?“, fragte die daraufhin besorgt. Michirus Wangen begannen sich erneut zu verfärben, also wandte sie sich verlegen ab. „Nichts…“ „Wir treffen uns erst um Fünf. Also kann ich dich noch in aller Ruhe nach Hause bringen.“ Michiru erschrak. Haruka hatte sich lautlos zu ihr herüber gebeugt und ihr fast ins Ohr geflüstert. Nun löste ihr warmer Atem im Nacken der Violinistin eine Gänsehaut aus. Am liebsten hätte sich Michiru einfach zu ihr umgedreht und endlich wieder die sanften Lippen gesucht, die sie alles um sich herum vergessen ließen. Stattdessen saß sie regungslos und schwer atmend da und schloss ihre Augen. Haruka verharrte noch einen Moment in ihrer Position, ließ sich dann jedoch enttäuscht zurück sinken. Langsam beruhigte sich Michirus Herz wieder. „Ja, das wäre… Ich meine… Wenn es dir nichts ausmacht…“
 

Haruka startete noch einige weitere Annäherungsversuche, doch Michiru wies diese jedes Mal unbeholfen und verlegen zurück. >Was ist nur los mit dir?! Reiß dich zusammen! Du willst sie doch! Und sie will dich garantiert auch… Also worauf wartest du noch?!< Abwesend dankte Michiru der Rennfahrerin, als diese ihr nach Schulschluss die Wagentür aufhielt. Haruka sah der Schönheit nachdenklich nach. >Du bist eindeutig zu weit gegangen, Tenoh!< Dann setzte sie sich selbst hinters Steuer. „Willst du noch irgendwohin? Ich muss zwar bald los, aber eine Stunde hätte ich noch Zeit…“ >Jetzt mach was!< Die Violinistin sah von dem ach so interessanten Auto auf dem benachbarten Stellplatz ab und traute sich endlich, wieder den Blickkontakt mit der Athletin zu suchen. „Keine Ahnung, hast du keine Idee?“ Haruka unterdrückte ein verschmitztes Grinsen >Und was für Ideen ich hätte!< „Keine Ahnung…“ Lächelnd startete sie den Motor.

Als sie den Highway erreicht hatten, stellte Haruka innerlich seufzend das Radio an. Sofort grinste sie zu ihrer Beifahrerin. Michiru sah noch immer schweigend aus dem Fenster. Also begann sie leise mit zu summen. „Did dshu have to go to jail, Put shor house on up for shale, Did dshu get a good lawye-e-e-er?” Michiru begann zu grinsen. „Hope you didn't cat a tan, Hope you find the right man, Who'll fix it for yo-hou!” Jetzt konnte sich die Violinistin ihr Lachen endgültig nicht mehr verkneifen. „Haruka, nicht nur dein Englisch ist miserabel, du singst auch noch krumm und schief!“ Die Blondine straffte siegessicher die Schultern >Geht doch!< „Kannst du es besser?“ Michiru schmunzelte, doch sie wollte die durch Harukas Sangeskünste aufgelockerte Stimmung nicht gleich wieder zerstören. Also wartete sie auf den nächsten Einsatz, bevor sie engelsgleich und im reinsten Englisch begann: „Well, sometimes I go out by myself And I look across the water; And I think of all the things, what you're doing; And in my head I paint a picture“ Harukas Grinsen wich einem verträumten Lächeln.

Bald hatten sie ihr Ziel erreicht und Haruka parkte in einer kleinen Haltebucht. Geduldig wartete Michiru darauf, dass ihr die Rennfahrerin die Tür aufhielt und ihr zum Aussteigen die Hand reichte. Mit geschlossenen Augen ließ sich die Blondine rückwärts gegen das Brückengeländer fallen. Ihre Mitschülerin stellte sich auf eine Strebe und beugte sich über das unruhige Wasser. „Gute Idee.“, seufzte sie, als ihr der frische Meereswind ins Gesicht blies. Langsam hob Haruka ihre Lider. Sie ließ bewusst einen Schritt zwischen sich und der Künstlerin frei, als sie sich umdrehte und sich mit den Armen auf dem kalten Stahl abstützte.

Michiru gefiel diese neue Distanz, die die Leichtathletin damit schuf, überhaupt nicht. >Du machst noch alles kaputt mit deiner blöden Schüchternheit!< Seufzend legte sie ihre Stirn auf ihren verschränkten Armen ab. „Ist alles in Ordnung?“ Harukas ruhige Stimme erklang dicht an ihrem Ohr.

>Wehe, du lässt sie wieder gehen!< Vorsichtig sah Michiru auf. Harukas besorgter Blick sprach Bände. Natürlich wollte auch sie ihrem Engel wieder nahe sein, doch dessen abweisendes Verhalten hatte sie abgeschreckt. Eine Freundschaft mit Abstand wäre ihr allemal lieber, als dass sich die Schönheit gänzlich von ihr abwenden würde, weil sie ihr zu nahe trat. Michiru spürte, wie sich erneut ihr Herzschlag beschleunigte, als sie den Rücken durchstreckte. Sie wandte den Blick von Haruka ab, dem strahlenden Grün konnte sie nicht standhalten. Ihre Augen suchten nach einem Punkt in der Ferne, als sie die Distanz zu der Pianistin überwand und sich an ihren warmen Oberkörper schmiegte. Sofort legte Haruka ihre Arme um den zierlichen Körper. „Jep, alles in Ordnung.“, seufzte die Violinistin, als sie den vertrauten Duft einatmete.

Fast eine halbe Stunde lang stand das Paar regungslos auf der Brücke. Dann beugte sich Haruka langsam vor, um der Künstlerin einen sanften Kuss auf die Wange zu hauchen. „Ich muss los. Ich darf nicht schon zum ersten Treffen mit dem neuen Sponsor zu spät kommen.“ Michiru seufzte, drehte sich aber lächelnd um und zwinkerte der Blondine zu. „Schon okay.“ Nachdem sie sich aus der Umarmung gelöst hatte, stolzierte sie auffällig mit den Hüften schwingend zurück zum Wagen. Haruka sah ihr überrascht nach. „Kommst du?“, fragte ihr Engel unschuldig, als er das Auto erreicht hatte. „Ähm…“ Nach einem kurzen Kopfschütteln folgte ihr die Athletin und hielt ihr mit einer künstlichen und viel zu tiefen Verbeugung die Beifahrertür auf.
 

„Gott, wo hast du denn gesteckt?! Yamada ist mit unserem hoffentlich zukünftigen Chef schon vorgegangen. Hast du mal auf die Uhr gesehen?!“ Sanji wartete bereits ungeduldig auf dem Hauptparkplatz der Rennbahn. „Reg dich ab! Wir haben doch noch fünf Minuten.“ Genervt befreite sich Haruka von ihrem Helm. Nachdem sie Michiru nachhause gebracht hatte, war sie in ihre Wohnung gefahren, um ihr Auto gegen ihr Motorrad zu tauschen, in der Hoffnung nach dem Gespräch mit dem Sponsor noch ein paar Runden drehen zu können.

In einem Büro trafen die beiden auf die älteren Herren, die bereits in geschäftlichen Gesprächen versunken zu sein schienen.

Es dauerte einige Stunden, bis die Details geklärt waren, also setzte bereits die Dämmerung ein, als Haruka mit den anderen wieder den Parkplatz betrat. Dem neuen Sponsor, Herrn Asai, fiel das Motorrad der Sportlerin sofort ins Auge. Lange musste Haruka nicht versuchen, den Mann mit Schnauzer zu überreden. Fast schon forderte er selbst die Blondine dazu auf, ihm ihr Können auf der Rennbahn zu zeigen.

Für Haruka war es ein unbeschreibliches Gefühl, endlich wieder auf ihrer Maschine sitzen und Vollgas geben zu können. Der Wind umschloss ihren Körper und gefühlvoll legte sie sich in die Kurven. Dass sie dabei wie gebannt von drei Augenpaaren beobachtet wurde, vergaß sie vollkommen.

„Ihre Yamaha scheint sie zu beherrschen. Mich würde allerdings interessieren, wie sie mit unseren Maschinen klar kommt.“ Herr Asais misstrauischer Blick folgte der jungen Fahrerin. „Keine Sorge. Haruka-san kann jede Maschine fahren.“, versicherte Yamada Takuzo und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Das wird sie Ihnen bei ihrer offiziellen Testfahrt zeigen können.“

Sanjis Augen schienen förmlich an seiner Teamkollegin zu kleben. „Als würde sie gleich abheben… Wie ein Kranich fliegt sie über die Bahn, meint ihr nicht?“, murmelte er vor sich hin und wurde dafür von dem Sponsor skeptisch angesehen, von dem Trainer jedoch leise belächelt.
 

„Wie war es bei deinem neuen Sponsor?“ Michiru schlenderte langsam neben Haruka her in Richtung des Schulgebäudes. „Hätte gar nicht besser laufen können! Hatte gestern schon eine kleine Testfahrt mit meiner eigenen Maschine, dann kommt noch eine offizielle und vermutlich kann ich nach meinem Abschluss da anfangen.“ Katashi bekam bei den Worten der Rennsportlerin spitze Ohren. Ohne sie vorher zu begrüßen, fing er gleich an, sie auszufragen.

Ein wenig genervt ließ sich Haruka auf ihren Platz im Ethikraum fallen. Ihr Mitschüler war für ihren Geschmack ein wenig zu neugierig. Erst als Frau Amano die Stunde eröffnen wollte, gab Katashi Ruhe.

Nach der Biologiestunde hielt Haruka Michiru deshalb an, sich zu beeilen, um vor dem neugierigen Schüler den Raum verlassen und unauffällig verschwinden zu können.

Etwas verwundert setzte Michiru ihre Tasche kurze Zeit später auf einer Bank ab. „Ich dachte, du freust dich über den neuen Job…“ „Tu ich ja auch! Aber ich will lieber Zeit mit dir verbringen, als Kusakas Neugierde zu stillen.“, antwortete Haruka und bemerkte nicht die Röte, die sich daraufhin auf Michirus Wangen bildete. „Und außerdem“, jetzt streckte sich die Blondine genüsslich in alle Richtungen, „muss es noch nicht jeder mitkriegen, dass ich bald wieder Rennen fahre.

Apropos Zeit verbringen…“, fügte sie gähnend hinzu, „hast du heute noch was vor? Ich dachte, wir könnten auf dem Weg zu dir noch irgendwo auf ein Eis oder so anhalten.“ Michiru hatte es geschafft, die verräterische Farbe aus ihrem Gesicht zu vertreiben und sah nun entschuldigend auf. Wegen eines Termins würde sie heute von ihrem Vater abgeholt werden, aber immerhin konnte sie ihre Mitschülerin auf morgen vertrösten.
 

Harukas Rucksack wurde wütend in den Kofferraum geworfen. Nach einem kurzen Zögern trat Michiru auf die Blondine zu und legte ihr sanft ihre Hand auf die Schulter. „Komm schon Haruka. War doch nur ein Test. Japanisch ist eben nicht deine Welt. Was soll´s? Mach dir nichts draus.“ Die Leichtathletin seufzte resignierend. Michiru hatte recht. Bis zum Schuljahresende waren es nur noch vier Wochen und die Fünf in ihrem letzten Japanischtest hatte sie nicht völlig abrutschen lassen. Eine Drei war ihr immer noch sicher, dafür könnte sie sogar noch zwei Fünfen kassieren. Es war aber auch vielmehr die arrogante Art ihres Klassenlehrers, die sie zur Weißglut trieb. „Es ist nur… Ach, ich komme mit solchen Idioten einfach nicht klar.“, rechtfertigte sie sich leise. Michiru schüttelte lächelnd den Kopf. „Musst du auch nicht. Nur noch ein Monat, Haruka. Dann bist du ihn los. Und dann…“, die Violinistin stockte. Was dann? Sie hatte sich noch keine weiteren Gedanken darüber gemacht, wie es nach ihrem Abschluss weiter gehen würde. Sie hatte gehofft, bis dahin halbwegs berühmt zu sein, um mit ihren Auftritten sicher ihren Unterhalt verdienen zu können, aber der erhoffte große Durchbruch war bisher ausgeblieben. >Ich kann doch nicht ewig nur für den Verlag meines Vaters auftreten…< Haruka entging nicht, wie sich ihre Freundin in ihren Gedanken verlor. Also hauchte sie ihr einen sanften Kuss auf die Wange und nahm ihr ihre Schultasche ab, um auch die in ihrem Kofferraum zu verstauen. „Und dann sind erst mal Ferien.“, beendete sie für Michiru den Satz. Dankbar sah ihr die Künstlerin nach.

Auf dem Weg in die Stadt setzte ein starker Platzregen ein. Haruka ließ sich davon nicht beirren und hielt auf den Highway zu. Doch schon nach kurzer Zeit wurde der Regen noch stärker und aus den Augenwinkeln heraus konnte sie erkennen, wie sich Michirus Körper anspannte. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin schon oft bei solchem Wetter gefahren. Ganze Rennen. Und ich habe nie einen Unfall gebaut.“, versuchte sie die schöne Streicherin aufzumuntern. Doch deren Körper verkrampfte sich nur noch mehr. Die Künstlerin sprach kein Wort und starrte ernst aus dem Fenster. Besorgt schaltete Haruka das Warnlicht an und brachte ihren Wagen auf dem Standstreifen zum Stehen. Erst als sie ihre Hand nahm, sah Michiru überrascht zu ihr herüber. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass die Athletin links rangefahren war. Jetzt blickte sie in besorgte grüne Augen. „Hast du was gesagt? Wieso stehen wir hier?“, fragte sie leise und bekam einen verwirrten Blick zur Antwort. Ein einzelner Donnerschlag ließ die Schwimmerin zusammen zucken. „Hast du Angst vor Gewittern?“, fragte Haruka überrascht aber ruhig. „Nein, nicht vor Gewittern. Nur vor Platzregen… Haruka, können wir bitte weiter fahren? Ich fühle mich nicht wohl…“ Die Rennfahrerin erkannte sofort die leichte Panik in der Stimme ihres Schützlings. Also startete sie den Motor und ordnete sich wieder auf dem Highway ein. Als sie beschleunigt hatte, griff sie nach Michirus im Schoß zu einer Faust geballten Hand und verschränkte ihre Finger mit denen ihres Engels. Dankbar beobachtete dieser die fürsorgliche Geste und überwandte sich zu einem Lächeln.

Nach einigen Minuten parkte Haruka und führte Michiru in das Café, in dem sie schon vor einigen Wochen gesessen hatten. Der Kellner brachte bald die bestellten Getränke und für einen Moment herrschte Stille zwischen den Schülerinnen. „Ich glaube, ich sollte dir mal was erklären.“, begann Michiru schließlich leise. Doch Haruka lehnte sich kopfschüttelnd zurück. „Du musst nicht, wenn du nicht willst.“ Michiru lächelte ihren Gegenüber traurig an. „Ich will aber. Du hast mir von deinen Eltern erzählt, jetzt erzähle ich dir von meinen.“ Jetzt lehnte sich Haruka verwirrt wieder vor. Sie dachte, sie hätte Michirus Vater bereits kennen gelernt. Und sprach der nicht von ‚seiner Frau‘? War einer der beiden vielleicht krank?

„Also ist Kaioh-san gar nicht dein Vater?“, überlegte sie leise grübelnd, woraufhin Michiru schmunzelte. „Doch, das ist er. Aber seine Frau ist nicht meine Mutter. Meine Mutter starb, als ich fünf war, vor nicht ganz zwölfeinhalb Jahren. Meine Mutter war immer ganz vorsichtig und hasste es, im Regen zu fahren. Aber irgendein wichtiger Termin ließ sich nicht verschieben, also musste sie los, obwohl gerade ein typischer Novemberregen eingesetzt hatte. Ich erinnere mich noch daran, wie das Telefon klingelte und mein Vater mich und Mamo schnappte, um mit uns ins Krankenhaus zu fahren. Meine Mutter lag zwei Wochen lang im Koma, bevor ihr Herz aufhörte zu schlagen. Ein junger Mann, der gerade erst seinen Führerschein gemacht hatte, hatte ihr die Vorfahrt genommen. Bei dem Platzregen hatte er sie nicht kommen sehen…“

Haruka hatte Michirus Worte aufmerksam verfolgt und senkte nun den Blick. Sie fuhr schon seit Jahren Rennen. Bei jedem Wetter. Nie hatte sie einen Gedanken daran verloren, dass auch andere die Kontrolle verlieren und sie in einen Unfall verwickeln könnten.

„Aber ich hab ja noch Setsuna.“, ergänzte Michiru traurig lächelnd. „Sie ist zwar ein ganzes Stück jünger als er, aber irgendwie passt sie ganz gut zu meinem Vater. Und sie ist meine beste Freundin. Nur schade, dass sie kein Instrument spielt, wie es meine Mutter tat. Sie hatte mich übrigens zur Kunst und Musik gebracht.“ Als Michiru über die positiven Erinnerungen an Siren und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Setsuna erzählte, besserte sich ihre Laune.

Nach einigen Stunden schlug Haruka eine Spazierfahrt vor. Es hatte zu regnen aufgehört und die warme Frühlingssonne verdrängte langsam die Wolken. Auf dem Weg zum Auto legte sie ihre Hand in Michirus Taille und führte sie auf die andere Straßenseite. Michiru genoss die dadurch geschaffene Nähe in vollen Zügen. Sie warf der Blondine verstohlene Blicke zu, doch diese schien abgelenkt zu sein. Jetzt erst bemerkte auch Michiru das Rufen. Die Rufe einer Frau. Eine Frau rief den von ihr geliebten Namen. Verwirrt stoppte auch die Künstlerin, als Haruka stehen blieb, um sich umzusehen. Auf der anderen Straßenseite schien sie fündig zu werden. Selten hatte Michiru beobachten können, wie sich die Miene der Rennsportlerin so aufhellte. Sie folgte dem Blick und erkannte eine junge Blondine mit langem Haar, die vor Aufregung fast vor ein Auto gerannt wäre, sich aber im letzten Moment doch noch dazu entschied, den nächsten Fußgängerüberweg zu nehmen. „Mina!“, keuchte Haruka aufgeregt und sprintete zu der Ampel, die von der anderen Blondine angesteuert wurde. Überrascht sah Michiru zu, wie sich die beiden Frauen in die Arme fielen. Für einen kurzen Moment wollte Eifersucht in ihr aufsteigen, doch dann sah sich Haruka erneut suchend um. Mit einem breiten Grinsen zog sie die Unbekannte hinter sich her in Richtung Michiru. „Michiru, das ist-… Also Mina, darf ich-…“, begann sie aufgeregt von einer schönen Frau zur anderen blickend. Dann atmete sie erst mal tief durch. „Michiru, das ist meine Schwester Minako. Minako, das ist Michiru.“ „Michiru-?“, fragte Minako zwinkernd und bekam ein Augenrollen seitens Haruka zur Antwort. Michiru reichte ihr erleichtert die Hand. >Du bist so doof Michiru! Wie kannst du nur auf ihre Schwester eifersüchtig sein?! Wie kannst du überhaupt eifersüchtig sein?! Du bist nicht mit ihr zusammen, schon vergessen?<

„Bist du Ruka-chans Freundin?“, wollte Minako geradeheraus wissen. Sofort schoss Röte in das Gesicht der Künstlerin und sie sah hilfesuchend zu ihrer Mitschülerin, die sich räuspernd ihre Krawatte richtete. „Wir haben uns seit einer halben Ewigkeit nicht gesehen und das ist das Erste, was dir einfällt?“ Minako grinste wissend. >Kein Ja, aber auch kein Nein.< „Stimmt. Andere Frage: Was machst du in Tokio?“, fiel ihr ein, doch dann weiteten sich ihre Augen. „Verdammt! Ich war doch nicht grundlos unterwegs! Tut mir leid, Ruka-chan, aber ich muss los.“ Aufgeregt kramte sie in ihrer Handtasche. „Hier. Ich hab ´ne neue Nummer. Ruf an. Ich hab dieses Wochenende frei. Und wehe, du meldest dich nicht!“ Mit einem warnenden Blick steckte sie ihrer Schwester eine Visitenkarte in die Brusttasche und umarmte sie, bevor sie nach einem „Hat mich gefreut, Michiru-san!“ davon eilte.

„Ruka-chan?“ Michiru konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Haruka rollte erneut mit den Augen, lächelte dann aber sanft: „Ja, den Spitznamen gab mir Obaa-san.“ Sie zog die kleine Karte aus ihrer Brusttasche und betrachtete sie genauer. „Touma Minako – Journalistin und Moderatorin“ Auf der Rückseite stand eine Handynummer. „Hatten wir nicht noch was vor, Ruka-chan?“ Michiru nahm zwinkernd die freie Hand der Läuferin.
 

In der Bucht von Tokio angekommen, bat Haruka Michiru hilfsbereit ihren Arm an und stellte in sich hinein grinsend fest, dass diese sie auch nach dem Aussteigen nicht los ließ. „Deine Schwester ist süß.“, stellte die Violinistin beiläufig fest. Haruka, die bis eben noch mit geschlossenen Augen den Wind genossen hatte, der ihr ins Gesicht blies, sah sie nun skeptisch an. „Willst du mich eifersüchtig machen?“ >Vielleicht…<, dachte sich Michiru und lehnte sich an die Blondine. „Sowas würde ich doch nie tun.“, erklärte sie ruhig. Haruka zog die Schönheit noch dichter an sich. Sie legte die Arme um sie und schmiegte sich in ihr Haar, bevor sie flüsterte: „Du wärst die einzige, die mich nicht nur eifersüchtig machen könnte, sondern auch dürfte.“ Michiru seufzte leise, aber unüberhörbar.

Die Sonne war schon halb hinter dem Horizont versunken, als sie sich langsam zu Haruka umdrehte, um ihr in die Augen zu sehen. Diesmal wollte sie sich verlieren. Diesmal wollte sie in dem vertrauten Grün untergehen. Haruka erwiderte den liebevollen Blick und ließ sich widerstandslos in das strahlende Türkis fallen. Fast automatisch ließ sie ihre Hand an dem zierlichen Körper empor wandern, bis sie schließlich die Wange ihres Engels erreichte. Michiru widerstand dem Verlangen, ihre Augen zu schließen. Stattdessen streichelte sie zärtlich an Harukas Arm entlang. Als sie ihre eigene Hand auf die der Blondine gelegt hatte, lächelte sie der Athletin verliebt zu, bevor sie ihre Lider schloss und sich Harukas Berührung entgegen lehnte. Mit einem kleinen Schritt überwandte Haruka die letzte Distanz, die zwischen ihr und der Schönheit lag. Nachdem sie den schlanken Körper sanft weiter an sich gedrückt hatte, machte sie einen weiteren Schritt nach vorn, um Michiru zu drehen, die daraufhin das Brückengeländer in ihrem Rücken fühlte.

Lächelnd öffnete sie ihre Augen und stellte fest, dass Harukas Gesicht nur noch Zentimeter von ihrem eigenen entfernt waren. Ihr Herz schien tausendmal in der Minute zu schlagen, doch ihre Atemzüge waren ruhig und tief. „Worauf wartest du noch?“, flüsterte sie und reckte ihr Kinn leicht empor, um Haruka ein eindeutiges Zeichen zu geben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: Tidus17
2015-12-28T12:51:11+00:00 28.12.2015 13:51
Oha Minako ist die Schwester von Haruka, na dass kann ja was werden :). Schönes Kapitel!
Von:  xXxMephistoxXx
2015-10-25T11:58:49+00:00 25.10.2015 12:58
Spitzen Kapi
Weiter so
Lg Mephi
Von:  fahnm
2015-10-17T22:53:07+00:00 18.10.2015 00:53
Süß die beiden.
Ich freue mich schon aufs nächste kapitel


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