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Tokyo Bay

Neustart
von

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Kapitel 5

Haruka wartete ungeduldig auf ihre Mitschülerin. Gut zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn trafen Kikyo und Junko ein. Nachdem sie ihre Unterlagen ausgepackt hatten, setzten sie sich auf die freien Stühle der Nachbartische der Sportlerin. Beide grinsten sie an und die Blondine konnte nur verwundert zurück blicken. „Guten Morgen.“, wünschte sie skeptisch und Junkos Grinsen wurde noch größer. „Jetzt erzähl schon! Wie läuft´s?“, bohrte sie neugierig nach. Haruka hob die Brauen. „Was?“ „Ach, tu nicht so! Michiru-san! Wie läuft es zwischen euch?“ Haruka rollte mit den Augen, lächelte aber. „Was soll da schon laufen? Wir haben letzte Woche nun mal die Pausen miteinander verbracht und zusammen gelernt. Mehr nicht.“ Kikyo schnaubte. „Ach, erzähl doch nicht! Was ist mit eurem Duett?! Hast du ihr schon vorher erzählt, dass du Klavier spielst? Sie hat in Kunst nämlich ein wundervolles Bild von einem Flügel gemalt, das sogar in einer Galerie ausgehängt werden soll.“ „Ja, das hat sie mir erzählt.“, nickte Haruka. „Also wenn du mich fragst, ist das bestimmt kein Zufall, Haruka-san.“, meinte die Klassensprecherin. „Genau. Und ich finde, ihr gebt ein wirklich tolles Paar ab!“, fügte ihre Freundin hinzu. Haruka zuckte ungläubig mit den Mundwinkeln. „Was soll das denn bitte heißen? Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, sie würde mit mir etwas anfangen wollen?! Ich meine, seht sie euch doch mal an. So unglaublich hübsch und talentiert sie ist, könnte sie doch jeden Mann der Welt kriegen. Warum sollte sie sich mit mir zufrieden geben?

Wie ich das sehe, hält sie mich auch noch für einen Jungen. Das tun ja alle hier. Fukami-sensei hat mich sogar in die Jungenumkleide geschickt! Wenn sie herausbekommt, dass ich gelogen habe, will sie bestimmt nichts mehr mit mir zu tun haben. Und sie macht auch überhaupt nicht den Eindruck, als wollte sie etwas mit einem Mädchen anfangen.“ „Ach was!“, meinte Junko, „Das ist doch alles Quatsch! Also erst mal hatte Michiru zwar noch nie eine Freundin, aber sie hatte auch noch nie einen Freund, soweit ich weiß. Offensichtlich hatte sie sich noch nie für irgendjemanden interessiert. Und jetzt überleg mal, wie sie mit dir umgeht! Sie ist dir gegenüber ganz anders als sonst. So wie ich das sehe, hatte sie nur auf jemanden wie dich gewartet.“ Kikyo seufzte. „Richtig. Und wenn ich mich recht erinnere, hast du nie behauptet ein Junge zu sein. Hisakawa-sensei hat das einfach angenommen und die anderen haben das nicht hinterfragt. Ich glaube übrigens, dass Michiru es weiß. Sie ist nicht so oberflächlich wie Narumi-san oder Kawashima. Und selbst, wenn sie sich nicht sicher ist, schöpft sie ganz gewiss schon Verdacht.“, ergänzte die Klassensprecherin. In der Zwischenzeit hatte sich der Raum etwas gefüllt und als Michiru eintrat, stahlen sich Kikyo und Junko wieder an ihre eigenen Plätze.

Den ganzen Tag über versuchte Haruka die Violinistin zu durchschauen, konnte jedoch nicht feststellen, ob ihre beiden Mitschülerinnen recht hatten oder nicht. Michiru indes bemerkte die durchdringenden Blicke der Blonden, bekam aber auf ihr Nachfragen immer nur ein „Es ist nichts.“, oder „Ich guck doch gar nicht!“ zurück.
 

Wieder in ihrem Hotelzimmer angekommen, legte sich Haruka auf ihr Bett und starrte an die Decke. Am Wochenende war sie jeden Tag auf der Laufbahn und anschließend in der Bucht gewesen, hatte sich dem Wind hingegeben und über die elfengleiche Schönheit nachgedacht. Doch heute regnete es fast den ganzen Tag über, also verzog sie sich nach einigen tiefen Seufzern ins Fitnessstudio. Nach einem gut zweistündigen Dauerlauf ging sie duschen und zum Abendbrot ins Hotelrestaurant, um sich hinterher noch ein Glas Wein an der Bar zu bestellen.

Schon nach kurzer Zeit bemerkte sie die ihr zugeworfenen Blicke einer attraktiven Brünetten, die allein auf einem kleinen Sofa in einer Ecke saß. Automatisch lächelte Haruka ihr entgegen, kam aber schnell wieder zu sich und starrte weiter auf ihr Glas. Sie wollte nicht wieder so anfangen wie in Nagoya. Sie wollte nicht mehr mit den Frauen spielen und wie es im Moment aussah, hatte sie sich sowieso an eine ganz andere Frau verloren. Bei dem Gedanken an Michiru begann sie wieder verträumt zu lächeln. Sie war so in der Erinnerung an die hübsche Künstlerin versunken, dass sie gar nicht mitbekam, wie sich die Brünette aus der Ecke neben sie setzte und sie anlächelte. Nachdem sie ein leises Räuspern vernommen hatte, sah die Blondine erschrocken auf. „Hallo. Ich bin Sarah und komme aus den Staaten.“, stellte sich die junge Frau vor. „Tut mir leid, habe ich dich aus einem Traum gerissen?“, fragte sie lächelnd. „Weniger ein Traum, mehr eine traumhafte Erinnerung…“, antwortete Haruka noch immer ein wenig abwesend. „Ich bin heute zum ersten Mal in Tokio, aus geschäftlichen Gründen… Ich kenne hier niemanden, also dachte ich, du könntest mir vielleicht ein bisschen was über diese Stadt erzählen.“, erklärte die Amerikanerin mit einem starken Akzent, nachdem die Blondine nur schweigend auf ihr Weinglas gesehen hätte. Diese grinste jetzt. „Du sprichst überraschend gut Japanisch, dafür, dass du zum ersten Mal hier bist.“ „In Japan war ich schon öfter, nur noch nie in Tokio.“, stellte Sarah bestimmt klar. Haruka nickte verstehend. „Mein Name ist Haruka. Es freut mich, dich kennen zu lernen. Wie ich sehe, ist dein Drink leer. Darf ich dich auf ein Glas einladen? Ich kann dir diesen Rotwein hier empfehlen.“ Sarah lächelte vielsagend zurück.

Schon nach einem Glas wurde die Gestik der Amerikanerin eindeutiger. Haruka war klar, dass sie ihre erste Nacht in Tokio nicht allein verbringen wollte. Für sie war es ein Leichtes, die Brünette neugierig zu machen und schon nach dem zweiten Glas Wein wusste sie ihre Zimmernummer. Sie erzählte, ohne weiter auf ihr Privatleben einzugehen, von ihrer Rennfahrervergangenheit und dass sie jetzt in Tokio nach ihrem Abschluss durchstarten wolle. Sarah erklärte, sie wäre im Auftrag eines reichen Kunstsammlers unterwegs und solle sich nach jungen, talentierten Künstlern umsehen. Unweigerlich musste Haruka wieder an Michiru denken. Der Wein trug noch zusätzlich dazu bei, dass ihre Gedanken immer mehr abschweiften und sie der Amerikanerin bald gar nicht mehr zuhörte. Als diese den Körperkontakt zu ihr suchte und ihr eine Hand auf die Schulter legte, kehrte die Blondine ins Hier und Jetzt zurück. „Weißt du Sarah, eigentlich habe ich morgen wieder Schule. Und ich will nicht wieder zu spät kommen. Also sollte ich jetzt ins Bett gehen.“ Die Brünette blickte etwas überrascht, verstand diese Aussage allerdings als Einladung. Bereitwillig stand sie auf und grinste der Sportlerin mit einem „Okay.“ ins Gesicht. Diese holte ihr Portemonnaie heraus und drückte ihrer Bekanntschaft einige Scheine in die Hand. „Sei doch bitte so gut, und bezahl für mich, wenn der Kellner sich wieder blicken lässt, ja? Hat mich gefreut, Sarah. Und viel Erfolg noch auf deiner Kunstreise.“, verabschiedete sie sich, bevor die ihr verwirrt hinterher sehende Amerikanerin noch etwas sagen konnte.

Unruhig ging Haruka in ihrem Zimmer auf und ab. >Was sollte das denn werden?! Du wolltest hier neuanfangen und hättest beinahe gerade mal eine Woche durch gehalten! Reiß dich zusammen! Die wolltest du sowieso nicht!<, fluchte sie tonlos über sich selbst. Es stimmte. Sie wollte Sarah nicht. Sie wollte niemanden. Nur Michiru. Trotzdem. Lange hätte sie nicht mehr gebraucht. In spätestens einer Stunde wäre sie bei der Amerikanerin im Bett gelandet und hätte mit ihr das selbe getan, wie schon mit so vielen Mädchen. Die meisten bekamen erst im Schlafzimmer mit, dass Haruka kein Mann war. Aber sie wusste, wie sie trotzdem bekam, was sie wollte. Und wie damals in Nagoya wäre sie am nächsten Morgen wieder leise aus dem Zimmer geschlichen, ohne sich zu verabschieden. Denn all diese Mädchen und junge Frauen hatten ihr rein gar nichts bedeutet. Eine Handvoll kalten Wassers im Gesicht sollte ihre Gedanken wieder ordnen. Sie schmiss sich auf ihr Bett und drückte ihr Gesicht in ein Kopfkissen, um einen kurzen Wutschrei zu dämpfen. Dann drehte sie ihren Kopf und sah die Bilder auf ihrem Nachttisch. Augenblicklich beruhigte sie sich. Was wohl ihre Eltern zu ihrem Lebensstil gesagt hätten? Ihre Mutter hatte ja einige Male Andeutungen gemacht… Sie hatte sich sicher gedacht, dass Haruka kein typisches Mädchen werden würde. So war sie auch nie. Ihre große Schwester hatte schon mit dreizehn so etwas wie einen ‚Freund‘. Doch sie selbst hatte sich nie für Jungs interessiert. Ihr Vater hatte ein paar wenige Male beim Einkaufen oder auf der Rennbahn gefragt, ob sie diesen oder jenen Jungen nicht süß fände, aber das fand die Blondine immer nur lächerlich. Ganz anders reagierte sie, wenn ihre Mutter sie nach ihrer Meinung über ein Mädchen fragte. >Selbst wenn Vater das nicht ganz verstanden hat, Mutter wusste es bestimmt.<

Langsam drehte sich Haruka auf den Rücken und starrte an die Decke. Ob ihre Eltern von Michiru auch so begeistert gewesen wären? Vermutlich schon. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand schlecht über die Künstlerin denken konnte. >Was soll denn dieser Blödsinn wieder? Sie will doch garantiert eh nichts von dir! Spätestens dann nicht mehr, wenn sie weiß, wer du bist.<, tadelte sie sich selbst. Allerdings würde sie das auch spätestens am Freitag heraus finden. Immerhin hatten sie am Donnerstag wieder Sport und nachdem sie Fukami aufgeklärt hatte, würde sie sich jetzt bei den Mädchen mit umziehen und das würde sich spätestens am nächsten Morgen herum sprechen. Ob Michiru dann sauer sein wird? Auf jeden Fall würde sie enttäuscht sein, wenn sie die Wahrheit von den anderen erfahren würde und nicht von Haruka selbst. Das wollte die Blondine auf gar keinen Fall. >Morgen muss ich sie aufklären. Irgendwie.<
 

„Hast du dich verlaufen?“ Haruka setzte ihren Rucksack auf ihrem Tisch ab. Hiro saß kippelnd auf dem dazugehörigen Stuhl und grinste sie breit an. „Ich wollte dich eben mal besuchen. Oder empfängst du nur hübsche Mädchen?“ „Jedenfalls empfange ich keine arroganten Möchtegernmachos. Also räum meinen Platz.“ Das Grinsen verschwand aus Hiros Gesicht. Als er aufstand, fiel sein Stuhl scheppernd zu Boden. „Wer ist hier der arrogante Macho?“ Kein halber Meter lag zwischen den beiden, als er ihr drohend in die Augen funkelte. „Gerade eine Woche hier und schon so ein großes Maul? Pass lieber auf, was du sagst, Tenoh-kun! Und mit wem du dich abgibst! Narumi heult ständig rum, weil du dir Michiru unter den Nagel gerissen hast. Wie ich mit ihr umgehe, hat dich überhaupt nicht zu interessieren und trotzdem mischst du dich andauernd ein.“ Bei den letzten Worten stieß er Haruka gegen die Schulter. Unbeeindruckt hielt die Rennsportlerin seinem Blick stand. „Es interessiert mich nicht, was du davon hältst. Du wirst Michiru nicht gerecht. Sie verdient es nicht, unter deiner Fuchtel zu stehen. Und das scheint sie jetzt zu begreifen. Ich habe sie mir nicht unter den Nagel gerissen, sie wendet sich nur von dir ab. Nimm es hin.“ Jetzt reichte es Hiro. Beidhändig stieß er Haruka erneut gegen die Schultern. „Wofür hältst du dich eigentlich? Spar dir deine blöden Sprüche, oder ich prügle sie dir aus!“ Haruka hatte sich mühelos abgefangen und trat energisch direkt auf ihren Kontrahenten zu. Zentimeter von seinem Gesicht entfernt knurrte sie: „Du willst dich mit mir anlegen? Von mir aus! Du wirst im Dreck landen, noch bevor ich mich überhaupt aufgewärmt habe. Und deine Bodyguards“, sie nickte in die Richtung der drei Jungs, die sich bereits hinter Hiro aufgebaut hatten, „schaffe ich auch noch.“ Hiros Augen folgten flüchtig ihrem Blick. Dann fletschte er die Zähne, als Haruka hinzufügte: „Von mir aus jederzeit. Nach der Schule. Ich will meine gute Beziehung zum Direktor nicht wegen eines vorlauten, verzogenen Bengels aufs Spiel setzen.“ Ohne Vorwarnung rammte Hiro ihr plötzlich die Faust in den Magen. Haruka schluckte kurz. Doch anstatt zurückzuschlagen, fauchte sie nur: „Bist du fertig? Ich sagte, nach der Schule.“ Hiro knurrte kaum hörbar, doch in diesem Augenblick erschien Frau Amano in der Tür. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stratzte in Richtung der letzten Reihe davon.

Nach dem Ethikunterricht warf Haruka ihre Unterlagen in ihre Tasche, um so schnell wie möglich zum Biologieraum zu gelangen. Hiro beobachtete sie und fasste ihre Eile als Zeichen für ihren Rückzug auf. Daraufhin stolzierte er ihr breit grinsend nach.

Michiru wartete bereits an ihrem Platz und merkte nichts von der frühen Auseinandersetzung. Haruka hatte auch nicht das Verlangen daran etwas zu ändern, doch Hiro schritt, nachdem er eingetroffen war, erst auf Narumi zu, mit der er kurz ein paar Worte wechselte, und sah dann mit einem triumphierenden Grinsen zu der Blondine. „Was hat der denn?“, fragte Michiru skeptisch und sah mit einem durchdringenden Blick in die Augen der Sportlerin. „Nichts von Bedeutung. Mach dir keine Sorgen.“, zwinkerte diese und setzte sich zu ihr.

Nachdem es zum Stundenende geklingelt hatte, trat Narumi an den Tisch der beiden. „Kommst du, Michiru-chan?“, fragte sie auffordernd. Die Künstlerin sah überrascht auf. „Was? Wohin denn? Oh, entschuldige bitte, Narumi-san. Ich habe wohl vergessen, dir zu sagen, dass ich nicht mehr mit euch in den Pausen jüngeren Schülern Angst einjagen und anschließend über Nichtigkeiten lästern möchte. Tut mir leid, aber daran hatte ich noch nie Gefallen. Und Kawashima-kuns arrogante Art und sein Umgang mit… Naja, einfach mit allen hat mich schon immer genervt.“, erklärte sie, währenddessen sich Empörung in Narumis Gesicht ausbreitete. „Wer soll hier arrogant sein? Wenn hier jemand arrogant ist, dann ist es wohl der hier!“, mischte sich jetzt Hiro ein. „Ich dachte, ich hätte mich heute früh deutlich ausgedrückt, Tenoh-kun! Michiru kommt wieder mit uns und du lässt sie artig in Ruhe.“ Provokant tätschelte er der Sportlerin den Scheitel. Diese stand jetzt auf und funkelte den Schwarzhaarigen finster an.

„Und ich sagte, du bist es nicht wert, ihre Gegenwart zu genießen. Du hast es zu akzeptieren, wenn sich Michiru nicht mit dir abgeben will!“ >Michiru-?!< Die Künstlerin blinzelte Haruka überrascht an. Nach und nach verstand sie auch die anderen Worte. >… meine Gegenwart zu genießen?< Auf ihre Wangen schlich sich ein leichter Rotschimmer.

Hiro zog die Augenbrauen zusammen. Haruka hatte sich vor ihrer Mitschülerin aufgebaut und ihre Hände zu Fäusten geballt. Kurzerhand holte der Streitsüchtige erneut aus, wobei er diesmal ihr Gesicht anvisierte. Haruka reagierte aber sofort und fing seine Faust ab, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte. Sie sah sich noch einmal suchend um und als sie sich sicher war, dass Herr Katsuki den Raum bereits verlassen hatte, drehte sie mühelos den Arm ihres Angreifers, sodass der keine andere Wahl hatte, als ihr den Rücken zu zuwenden. „Ich habe gesagt, Michiru hat sich entschieden. Du lässt sie zukünftig in Ruhe, hast du mich verstanden? Und dein Temperament solltest du in Zukunft auch lieber zügeln. Sonst breche ich dir noch versehentlich die Knochen.“, erklärte sie ruhig und zog noch einmal Hiros Arm nach hinten, bevor sie ihn losließ.

>Schon wieder…< Michiru schüttelte die verlegene Röte von ihren Wangen und die schüchternen Gedanken aus ihrem Kopf. Hiro sah sich wütend aber eingeschüchtert um. Dann stürmte er davon. Gefolgt von seinem verunsicherten Anhang, wobei Narumi noch einmal entsetzt zu Haruka und Michiru sah, bevor auch sie verschwand.

„Du meine Güte, Haruka! Wo hast du das denn gelernt?“, fragte Michiru verblüfft. Doch die Blondine drehte sich nur grinsend um und sagte knapp: „In Nagoya.“ Anschließend schulterte sie ihren Rucksack und nickte in Richtung Ausgang. „Wollen wir?“

Zunächst war Michiru neugierig, woher die Sportlerin diese Reaktionsfähigkeit und die Technik hatte, denn es sah nun wirklich nicht so aus, als hätte Haruka sie heute zum ersten Mal angewandt. Als sie aber spürte, dass die es ihr nicht wirklich verraten wollte, hörte sie bald auf zu fragen. „Sag mal, Michiru, hättest du heute Nachmittag noch kurz Zeit? Ich habe da nur ein kleines Problem mit der Hausaufgabe in Japanisch.“, fragte die Leichtathletin stattdessen. Michiru hatte ihrer Schwester zwar versprochen, gleich nach der Schule mit ihr zu spielen, aber eine Stunde könne sie sich wohl trotzdem Zeit nehmen. Wie könnte sie ihr auch jetzt noch einen Gefallen ausschlagen?

Also trafen sich die beiden nach ihrer letzten Stunde Astronomie, beziehungsweise Psychologie, vor der Bibliothek. Schneller als erwartet waren Harukas Fragen beantwortet. Darum erledigten sie auch noch die Matheaufgaben, wobei sie allerdingt immer mehr plauderten und ihren eigentlichen Grund für ihr Zusammensitzen schon fast vergessen hatten. Nachdem sich Michiru über Narumis lästige Angewohnheit, sich über jeden lustig zu machen, der nicht über genügend Kapital oder Schönheit verfüge, ausgelassen hatte, sah Haruka nachdenklich auf ihren Hefter. Es war nicht gerade der beste Übergang, aber sicherlich besser als gar keiner. Also atmete sie noch einmal tief durch und sah dann wieder auf. „Narumi kriegt wohl allerhand mit, was?“, fragte sie schließlich. „Naja, kann man so sagen. Allerdings bekommt sie nur das mit, was sie interessiert. Geld, Aussehen, wer mit wem zusammen ist oder wer ein Geheimnis hat, das aufzufliegen droht.“, antwortete die Künstlerin im genervten Tonfall. „Wie stehst du denn dazu? Ich meine… zu den Geheimnissen und so…“ „Wie meinst du das?“, fragte die Streicherin, bekam jedoch keine Antwort. „Naja, jeder hat seine Geheimnisse. Das ist doch auch normal, oder nicht? Ich meine… Ich habe ja auch welche.

Aber wieso fragst du das überhaupt?“ Michiru sah Haruka nachdenklich an. „Willst du mir vielleicht etwas sagen?“ „Naja, ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das anstellen soll, ohne dass du sauer wirst. Oder zumindest enttäuscht von mir bist.“, gab die Blondine leise zurück. „Warum sollte ich denn enttäuscht von dir sein? Du kannst mir eigentlich alles sagen. Ich werde schon nicht sauer oder so.“ Haruka holte noch einmal tief Luft und sah dann auf. „Michiru, Hisakawa-sensei hat da einen kleinen Fehler gemacht. Und dieser Fehler hat mich auch gar nicht überrascht oder so, weil er schon so vielen Menschen passiert ist. Er hat sich diesen Zettel vom Direktor wohl nicht ganz durchgelesen und deshalb angenommen, ich wäre ein neuer Schüler. Naja, und eben keine… Schülerin.“ Die Blondine sah Michiru an und versuchte die Gedanken hinter deren Mimik zu lesen. Einen Moment lang zweifelte sie noch, wie ihre Erklärung wohl angekommen war, aber dann verzog sich das Gesicht der Geigerin zu einem breiten Grinsen. „Was? Das ist dein Geheimnis? Deswegen sollte ich wütend oder enttäuscht sein? Mein Gott, Haruka! Für wie oberflächlich hältst du mich denn?“, lachte sie jetzt fast, was Haruka erröten ließ. „Also wusstest du es?“, fragte sie zögernd. „Natürlich wusste ich es! Schon als Hisakawa dich ‚-kun‘ genannt hatte, hast du so komisch reagiert. Da habe ich schon vermutet, dass irgendetwas nicht stimmt. Und als du mich dann letzte Woche so umarmt hast…“, jetzt errötete die Violinistin leicht. Sie lächelte die Sportlerin immer noch an. Allerdings hatte sich ihr Lächeln gewandelt, was die Blondine dazu veranlasste, sich wieder aufrechtzusetzten. „Und du verbringst trotzdem so viel Zeit mit mir.“, grinste sie jetzt und verstärkte dadurch noch das Rot auf Michirus Wangen. Ihre Blicke verschmolzen miteinander und Haruka hatte das Gefühl, in den türkisfarbenen Augen der Künstlerin zu versinken. Langsam streckte sie ihre Hand aus, um nach der der Violinistin zu greifen. Diese war so von den strahlendgrünen Augen ihres Gegenübers gefesselt, dass sie sich nicht wehren konnte. Es hätten Stunden vergehen können, in denen sie einfach nur den anderen wahrnahmen. Zögerlich regte sich jetzt auch Michiru und verschränkte ihre Finger mit denen der Blonden, was diese dazu veranlasste, mit der freien Hand eine türkisene Strähne aus dem Gesicht der Schönheit zu streichen und dann zärtlich auf deren Wange zu verbleiben. Verträumt schloss die Künstlerin ihre Augen und schmiegte sich der Geste Harukas entgegen. Die Sportlerin lehnte sich noch ein Stück weit vor und zögerte noch einen Moment. Dann flüsterte sie: „Du bist schöner als jeder Engel, weißt du das?“, schloss ebenfalls die Augen und lehnte ihre Stirn gegen die Michirus. Ruhig atmeten sie im gleichen Rhythmus und hörten fast den Herzschlag des anderen.

Sie wussten nicht, wie lange sie dasaßen, aber als die Schulglocke zum Ende der letzten Stunde läutete, öffneten sie enttäuscht ihre Augen. Beiden legte sich ein Rotschimmer auf die Wangen und so langsam es ging, lösten sie wieder ihre Hände. „Ich muss jetzt leider los, Hotaru wartet sicher schon auf mich.“, fand die Violinistin als erste ihre Stimme wieder. „Schade.“ Haruka warf sich ihren Rucksack über die Schulter. Auf dem Schulhof verabschiedeten sich die beiden schüchtern voneinander und machten sich dann in unterschiedliche Richtungen davon.

Mit rasendem Herzschlag machte sich Haruka gleich auf den Weg in die Bucht von Tokio. Sie konnte es nicht fassen. Obwohl Michiru wusste, wer sie war, ließ sie so viel Nähe zu. Hatten Kikyo und Junko also recht? Vielleicht war es ja doch denkbar, dass die Künstlerin ähnlich empfand wie sie.

Michiru kam in der Zwischenzeit zuhause an. Wie zu erwarten war, sprang ihr Hotaru in die Arme, sobald sie den kleinen Flur betreten hatte. Nur eine halbe Stunde später standen die beiden Mädchen im Wohnzimmer und gaben sich dem musikalischen Spiel hin. Setsuna bemerkte sofort, dass ihre Stieftochter mindestens genauso tief in der Musik unter ging wie vor einer Woche, und konnte nicht anders, als still zu lächeln. Sie war sich sicher, dass es etwas mit der neuen Schülerin zu tun haben musste.
 

Am nächsten Morgen wartete Haruka bereits vor dem Schulgebäude auf ihre Mitschülerin. Noch bevor Michiru bei ihr angekommen war, stolzierte Narumi an der Blondine vorbei und warf ihr noch einen verachtenden Blick zu. „Ich glaube, so kühl habe ich sie noch nie erlebt.“, begrüßte Michiru die Sportlerin, die sich ihr daraufhin freudestrahlend zuwandte. „Guten Morgen. Ich hoffe, Hotaru war nicht allzu enttäuscht, weil du gestern später nachhause gekommen bist?“, gab diese zurück, ohne weiter auf das Verhalten der Brünetten einzugehen.

Noch bevor es überhaupt zur Pause klingelte, bemerkten Haruka und Michiru das Getuschel von Hiro und seinen Freunden. Leise nahm die Violinistin der Pianistin das Versprechen ab, sich nicht auf Handgreiflichkeiten einzulassen. Sobald Herr Katsuki also den Unterricht beendet hatte, machten sie sich zügig auf den Weg nach draußen. Auf dem Schulhof angekommen, schlugen sie gleich die Richtung ihres Lieblingsplatzes ein. Selbst wenn Hiro und die anderen heute mal nicht in die Cafeteria gehen sollten, würden sie sie dort wenigstens nicht sofort sehen.

Doch zu Beginn der Mittagspause stand plötzlich Narumi vor Michiru. „Ich will mit dir reden, Michiru-san.“, erklärte sie bestimmend und duldete keine Widerrede. Haruka stellte sich neben ihre Freundin und sah starr zu Hiro. „Wenn er dabei ist, will ich auch dabei sein. Das wirst du doch sicher verstehen, oder nicht, Hara-san?“ Die Brünette und der Schwarzhaarige sahen sich kurz an. Dann nickte sie und er sagte kurz: „Wir gehen schon mal vor.“, bevor er mit seinem Anhang verschwand. Jetzt drehte sich Haruka zu Michiru um, die ebenfalls nur kurz vielsagend nickte und dann mit Narumi den Raum verließ.

„Na das sieht doch vielversprechend aus.“, ertönte Kikyos Stimme hinter der Sportlerin. Lächelnd sah diese sich um. „Guten Morgen, ihr zwei.“, grinste sie breit. „Haruka-san, so fröhlich, obwohl unsere Künstlerin gerade den Raum mit ihrer besten Freundin verlassen hat?!“, zwinkerte ihr Junko zu. Gemeinsam gingen auch die Drei jetzt nach draußen und die dunkelhaarigen Mädchen schmeichelten der Blondine wegen ihres Sieges am gestrigen Tag über Hiro. „Ach Quatsch. Ich sagte doch, dem ist nichts zuzuschreiben. Er hat bloß ein großes Mundwerk und sonst nichts.“, gab sie selbstbewusst zurück. Als sie Michiru im Eingangsbereich erscheinen sahen, hielt Kikyo die Pianistin am Handgelenk fest. „Jetzt warte doch mal! Du musst uns noch erzählen, was da genau läuft! Immerhin haben wir dir ja wohl den Rücken gestärkt. Als Gegenleistung müssen wir doch von dir auf dem Laufenden gehalten werden.“, zwinkerte die Brünette. Haruka sah fast sehnsüchtig zu Michiru. Dann drehte sie sich noch einmal um und zog ihr Handy aus der Tasche. „Okay, ich erzähle es euch am Wochenende, einverstanden? Ich lade euch auf ein Eis ein. Gib mir deine Nummer, dann machen wir uns später eine Zeit aus.“ Mit einem breiten Grinsen diktierte Kikyo ihre Handynummer und ließ die Blondine dann wieder zu ihrer Freundin.

Da die Pause fast vorbei war, entschied Michiru, ihrer Mitschülerin nach dem Unterricht alles über das Gespräch mit Narumi zu erzählen. Daher bemühten sie sich nach der Englischstunde, ihre Sachen nur langsam zusammen zu packen und als die meisten Schüler verschwunden waren, hakte Haruka nach. „Ach, Narumi-san ist eingeschnappt, weil ich sie in letzter Zeit immer links liegen gelassen habe. Sie hat sich beschwert, dass sie mich schon viel länger kennt und sie immer für mich da war. Totaler Blödsinn… Ich hab ihr erklärt, dass sie sich nie wirklich für meine Probleme oder so interessiert hat und dass sie immer nur neugierig war, wenn ich mal was erzählt habe. Dann hat sie angefangen, über Kawashima zu erzählen. Dass er mich ja angeblich auch schon in Schutz genommen habe. Aber das stimmt überhaupt nicht! Ich hatte noch nie mit irgendjemandem Probleme. Und wenn doch, dann hat Hiro Probleme ausgelöst und sie von seinen Jungs wieder beseitigen lassen. Ich habe Narumi-san gesagt, dass ich mit dieser Lästerei und diesem Machtgehabe nichts mehr zu tun haben will und wenn sie irgendwann anders darüber denkt, soll sie mir Bescheid sagen.“

Anerkennend lächelte Haruka Michiru zu. Dann wandelte sich ihre Mimik. „Wieso hast du dich überhaupt mit ihnen abgegeben, wenn dir ihr Verhalten so zuwider war?“, fragte sie skeptisch. Doch die Künstlerin winkte ab „Haruka, ich erkläre dir das später mal. Mein Vater wartet, ich habe noch einen Termin und er holt mich deswegen heute ab. Aber morgen haben wir wieder mehr Zeit.“ Haruka sah auf. Toshio war bereits im Eingang des Schulhofs zu sehen.

Kurz sah Michiru noch einmal zurück und tauchte schließlich in einem blauen Coupé ab. Haruka stand immer noch auf dem Schulhof und starrte an die Stelle, an der die Streicherin verschwunden war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: Tidus17
2015-12-22T19:33:11+00:00 22.12.2015 20:33
Zuerst wollte ich `schönes Kapitel' schreiben, aber der letzte Absatz war etwas verwirrend geschrieben. Da wo Narumi Michiru abfing zum reden.......da hattest du geschrieben Haruka ging mit Narumi raus. Obwohl diese doch mit Michiru reden wollte. Da war es etwas verwirrend.....aber sonst ok :)
Von:  fahnm
2015-08-11T10:03:33+00:00 11.08.2015 12:03
Klasse Kapitel
Mach weiter so
Von:  xXxMephistoxXx
2015-08-11T01:15:36+00:00 11.08.2015 03:15
Spitzen Kapi
Weiter so
Lg Mephi


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