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Corvus et Vulpes

von

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Ein verlockendes Angebot

„Schau dir nur an, was du angerichtet hast!“, brüllte sie, zitternd vor Zorn, ohne die ausländischen Gäste zu bemerken. „Und schau dir Xiao Chen an! Den halben Arm hat das Vieh ihr verbrannt, nachdem uns außer einem Schwarm Hsigo auch noch ein K’uei anfallen musste! Seit ich hier bin, habe ich nicht so viele Dämonen in einer Nacht auf einem Haufen gesehen! Noch NIE waren so viele Biester unterwegs, und noch NIE waren sie so aggressiv!“

Außer sich fuchtelte sie wild mit den Armen und riss Xiao Chen den zerfetzten Ärmel bis zur Schulter hoch, um die böse aussehende Wunde zu zeigen. Die Haut war vom Handgelenk bis zur Mitte des Oberarmes aufgeplatzt, das Fleisch darunter dunkelrot und blutig.

Hatten Dumbledore und die anderen dem lautstark auf Chinesisch geführten Gespräch bis jetzt nicht folgen können, so verstanden sie nun anscheinend sehr wohl; Tonks sog scharf die Luft ein und packte Lupin am Ärmel. „Du liebe Zeit! Hier wirkt Magie doch nicht so wie sonst, wie soll das denn bloß verheilen?“ „Keine Sorge“, antwortete Dumbledore ihr leise und legte warnend einen Finger auf die Lippen. „Die Region ist für ihre ausgezeichneten Zaubertränke berühmt, da müssen wir uns keine Sorgen machen.“

Plötzlich fiel Xiao Hongs Blick auf die versammelte Runde und sie verstummte schlagartig.

„Seien Sie aufs Herzlichste gegrüßt, meine Damen und Herren!“

Ohne einen Gegengruß abzuwarten, stieß sie ihre wimmernde Schülerin mit einem starren Lächeln und unter unzähligen Verbeugungen in einen kleinen Nebenraum.

„Es tut mir leid, ehrlich!“, fauchte Jiang Li, die den beiden gefolgt war, betroffen zurück und breitete verzweifelt die Arme aus. „Was soll ich denn tun, mal ganz ehrlich, Xiao Hong? Ich kann es nicht ungeschehen machen! Das wisst ihr doch genau, wie oft muß ich mich also noch dafür entschuldigen?“

„Nimm mich nicht auf den Arm, hörst du?“ Xiao Hongs Ärger schien sich noch gesteigert zu haben, so unmöglich das auch schien. „Ich bin vielleicht nur die vierte Schwertmeisterin hier, aber das heißt nicht, dass man alles mit mir machen kann!“

„Was ist hier los?“ Eine schneidende Stimme ertönte und beide Streithähne fuhren wie von einer Tarantel gestochen herum. Yue You betrat den Raum durch eine kleine Seitentür, ein maliziöses Lächeln auf den vollen Lippen. „Geht es wieder einmal um die Sünden unserer kleinen Jiang Li?“ Sie hob die kleine Laterne, die sie in der rechten Hand trug, und leuchtete ihren beiden Mitschwestern ins Gesicht.

Jiang Li fühlte, wie die Wut ihr mit ungeahnter Heftigkeit in die Kehle schoss. Mit einer kurzen, gereizten Bewegung schleuderte sie Yue You die Laterne aus der Hand und hörte sie mit einer gewissen Befriedigung in einer Ecke zerbersten. Für einen winzigen Moment herrschte atemlose Stille, dann schnalzte Yue You nachlässig mit der Zunge und warf ihr langes, schwarzes Haar zurück. „Nimm dich bloß in acht, meine Liebe, ich rate es dir gut. Sonst könnten meine teuren Mitschwestern und ich auf die Idee kommen, die Meisterin darum zu bitten, dich aus deinem Amt zu entfernen. Nach deinen ganzen Fehltritten in letzter Zeit würde ich keinen müden Shù darauf verwetten, dass sie dich nicht gleich vor die Türe setzt. Du hättest’s echt verdient, rausgeworfen zu werden!“

„Ja, ganz genau! Du hättest niemals die erste Schwertmeisterin werden dürfen, dafür bist du schlicht und einfach viel zu UNREIF!“, kreischte Xiao Hong beipflichtend und ballte die Fäuste. Ihre bleiche, vor Schmerz bereits schluchzende Schülerin hatte sie anscheinend völlig vergessen.

„Pah, ihr seid nichts als neidische, widerliche alte Furien! Ich hab’ ja schon immer gewusst, dass ihr bloß meinen Rang haben wollt! Der Rest ist euch doch scheißegal!“ Jiang Li war so aufgebracht, dass sich ihr ohnehin schon wirres Haar wie elektrisch aufgeladen in dicken Büscheln von den Schultern hob. Als Tonks die drei streitenden Schwertmeisterinnen hörte, rätselte sie, was in diesen Wäldern wohl gefährlicher sein mochte: die Dämonen oder diejenigen, die vor ihnen schützen sollten.

„Welcher Rest, hmm, Jiang Li?“, zischte Yue You und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, wodurch sie einer zustoßenden Kobra glich. „Meinst du etwa den Schutzzauber, den wir deinetwegen verloren haben und wegen dem wir überhaupt erst in diese Lage gekommen sind?“ Sie wollte noch etwas hinzufügen, als plötzlich eine laute, gebieterische Stimme ertönte. „RUHE! Das genügt, ihr verdammten Mädchen! Was sollen unsere Gäste von uns denken?“

Von allen unbemerkt hatte die alte Meisterin die Halle betreten; ihre scharfen Augen sprühten Funken vor Zorn. „Wie soll man schlafen bei solchem Lärm? Und du, Xiao Hong, solltest dich wohl besser ausruhen, anstatt Jiang Li bei ihrem Gespräch zu stören!“

Plötzlich fiel ihr Blick auf Xiao Chen, die sich wimmernd an die Wand, weg von den drei Streitenden, gedrückt hatte und mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren verletzten Arm umklammerte.

Mit einem Mal wurde sie ganz still und eilte auf das junge Mädchen zu, um die Wunde zu untersuchen. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht wie Stein, die Stimme zu Eis gefroren. „Also so ist das, Xiao Hong. So gut kümmerst du dich um deine Schülerin, dass du einen dummen Streit ihrer Gesundheit vorziehst. Für diese Verantwortungslosigkeit sollte ich dich so hart bestrafen wie noch nie.“ Sie blickte kurz in die Runde und schüttelte dann müde und angeekelt den Kopf. „Ich sollte euch alle Drei bestrafen, aber keine Angst, ich werde euch nicht mehr schlagen. Es hat noch nie etwas gebracht, ihr seid und bleibt dumme, einfältige und unerzogene Mädchen. Verschwindet, geht mir aus den Augen, dass ich euch nicht mehr anschauen muss. Welches Bild ihr unseren Besuchern, die noch dazu von so weit her kommen, geboten habt, wird euch wohl selber klar sein. Los, auf eure Zimmer. Ich will euch nicht mehr sehen.“

Betreten musterten sich die drei Übeltäter mit gesenkten Augen und Jiang Li fühlte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Dass ihre ehemaligen Lehrer, noch dazu Snape, nach diesem Fiasko zu allem Überfluss auch noch mitbekamen, wie sie dummen Schulmädchen gleich abgekanzelt wurden, gab ihr den Rest. Schweigend verließ sie als letzte den Nebenraum, verbeugte sich noch einmal vor allen, diesmal ein endgültiger Abschied, rauschte aus dem Zimmer und warf sich dort mit offenen Augen auf das Bett. Wie sie ihnen allen morgen gegenübertreten sollte, war ihr unklar, und es brauchte noch einige Zeit, bis sie schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel.        

 

Um die Mittagszeit herum erwachte sie und ließ die Ereignisse der letzten Nacht Revue passieren. Ein solcher Streit kam in letzter Zeit sehr häufig vor und leider waren die Vorwürfe in ihre Richtung nicht ganz unbegründet, wenn sie ehrlich war. Und wenn sie sehr ehrlich war, hatte Yue You vollkommen recht. Wäre sie nicht so sorglos mit den Amuletten der Kampfschule umgegangen, wäre das alles vermutlich nie passiert ...

Sie zwang sich, an andere Dinge zu denken und begab sich in das kleine Badezimmer, das ihren Räumen direkt angeschlossen war. Dort begann sie ausgiebige Körperpflege zu betreiben; sie wollte den ersten ungünstigen Eindruck, den sie gegeben hatte, ausbügeln so gut es nur irgendwie ging.

Fawkes zu Ehren wählte sie ein schönes pflaumenfarbenes Qípáo mit halblangen Ärmeln, das mit einer feinen Stickerei von Drache und Phönix bedeckt war. Der kostbare Brokat des knöchellangen Etuikleides schimmerte zart in der prallen Sonne, die zum Fenster hereinschien, und ließ die Gold- und Silberfäden leuchten.

Den Luxus ein solches Kleid zu tragen konnte sie sich schließlich nicht sehr oft leisten. Im Kampf gegen haarige, stinkende Monster eignete sich praktische, baumwollene oder leinene Garderobe bei Weitem besser als ein seidenes Kleid, und meistens hatte sie auch gar keine Lust eins zu tragen, aber um Snape das boshafte Grinsen aus dem Gesicht zu wischen, hätte sie noch viel mehr auf sich genommen. Während sie an ihn dachte, begann sie selber düster zu lächeln und das Lied des Phönix’ vor sich hin zu summen, als sie ihr Haar scheitelte und in einen eleganten Knoten zwang. Die Zaubertrankstunden waren ihr noch in lebhafter Erinnerung. Oft hatte sie sich gewünscht, Großmeisterin Zhen Juan würde den Unterricht abhalten, und das hieß was. 

Zuallererst einmal musste sie sich jetzt aber bei ihrer Meisterin melden und demütig für die Vorkommnisse der letzten Nacht entschuldigen. Hoffentlich hielt sie Wort und gab ihr keine Tracht Prügel. In der Vergangenheit hatte Jiang Li oft genug davon zu kosten bekommen und verzichtete nur zu gern darauf. Obwohl sie jetzt schon lange genug erwachsen war, lag der Stock bei Meisterin Zhen Juan immer griffbereit, sowohl für sie als auch ihre Mitschwestern.

Jiang Li strafft ihre Schultern, überprüfte noch ein letztes Mal den Sitz ihres Kleides und Haares, und schob als letzten Schliff noch eine kunstvoll geformte Spange aus Silber, besetzt mit dunkelroten Granatsplittern, in den Knoten. Perfekt. So konnte sie sowohl Meisterin als auch Snape gegenübertreten.

 

Das einzige Problem bestand nun nur noch darin, die beiden auch zu finden. Nicht einmal einen Hauself traf sie auf ihrer Suche, das Haus schien plötzlich wie ausgestorben.

Als letzte Möglichkeit blieb eigentlich nur noch das Badehaus, das größere der beiden Gebäude, in dem die Gruppe vermutlich untergebracht war. Jiang Li vermied es nach Kräften, dorthin gehen zu müssen, denn jedes Mal war es laut, hektisch und voll. Die Angestellten und Hauselfen hatten viel zu tun und hasteten unablässig auf und ab in dem riesigen Gebäude, und wer ihnen dabei im Weg stand, konnte nicht mit viel Nachsicht rechnen.

Trotzdem blieb ihr wohl nichts anderes übrig, also seufzte sie noch einmal tief auf und machte sich auf den Weg.

Im großen Speisesaal waren beinahe alle Tische besetzt. Die meisten Gäste, von denen viele weit gereist waren, um es sich im Badehaus Lian für einige Tage gut gehen zu lassen, zogen es offensichtlich vor, hier und nicht alleine auf ihren Zimmern zu essen; eine Wolke aus Gesprächsfetzen, Geschirrklappern und ab und zu gedämpftem Auflachen lag über dem Raum. Jiang Li kämpfte sich zwischen den Tischreihen durch und entdeckte die Gesuchten weit hinten, rund um eine große Tafel sitzend. Nicht nur ihre Meisterin, auch sämtliche ihrer Mitschwestern schien es hierher verschlagen zu haben; Yue You unterhielt sich gerade angeregt mit Lupin, während Xiao Hong und Li Ming dem Anschein nach über eine abwesende Person lästerten. Vermutlich ohnehin über sie, so wie Xiao Hong gestikulierte und Grimassen zog.

Tonks diskutierte gerade heftig fuchtelnd mit Meisterin Zhen Juan und Dumbledore, die ständig entweder Tischdekoration oder Essen davor bewahren mussten, von Tonks’ erregten Handbewegungen vorzeitig abgeräumt zu werden. Snape saß mit gallebitterer Miene daneben, stocherte lustlos in seinem Essen und schwieg verstockt. Allerdings schien er schon die Genüsse der heißen Quellen kennengelernt zu haben, denn sein Haar sah nicht mehr ganz so fettig aus wie sonst.

Sie näherte sich rasch dem Tisch und verneigte sich leicht zur Begrüßung. Die Meisterin forderte sie mit einem ungeduldigen Wink auf, sich zu setzen und kümmerte sich dann nicht weiter um ihre erste Schwertmeisterin. Yue You dagegen lachte und schien ihr den nächtlichen Streit nicht mehr nachzutragen.

„Na, das war ja was letzte Nacht! Ich hab’ heute eine solche Standpauke abkassiert, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Steht dir übrigens auch noch bevor, die Alte will dich später sprechen, allein.“ Sie lachte und nahm einen kräftigen Schluck Pflaumenwein. „Xiao Hong hat auch ihr Fett weg. War vor mir drin und hat fast geheult, als sie wieder draußen war. Aber Xiao Chen geht’s dafür wieder gut. Die Kleinen sind runter ins Dorf und kaufen sich Süßigkeiten oder sonst was.“

Jiang Li nickte ernsthaft und ließ sich Snape gegenüber nieder, der sie zuerst nur kurz mit einem teilnahmslosen Blick streifte, zusammenzuckte und dann noch einmal genauer hinsah. Innerlich musste sie trotz aller Probleme plötzlich grinsen. Da hatte sie wohl einen Nerv getroffen.

„Wie geht’s dir eigentlich so mit Yue Yan?“, fragte sie beiläufig und nahm sich gedämpftes Lammfleisch sowie einige San-pi Taschen. Yue You zuckte verwundert mit den Achseln und verzog ihren Mund. „Naja, wie immer eben. Wie gesagt, heute drücken sich gleich alle drei vor der Arbeit, wenn die mal erst in Zhu Que sind und die anderen Kinder treffen, sehen wir sie vor Sonnenuntergang nicht wieder.“ Sie musterte ihre Schwester verschlagen und lächelte wissend. „Denkst wohl darüber nach, wie’s so mit den Kleinen ist, was? Aber laut der Alten verschwindest du ja bald von hier und lässt uns hier eine ganze Weile allein. Zwar werde ich dann wohl die erste Geige spielen, aber abgesehen davon – “, sie zuckte wieder mit den Achseln, diesmal um ihre Verlegenheit zu verbergen, denn sie wollte Jiang Li nicht merken lassen, dass sie ihr fehlen würde. „Es wird zu sechst noch schwerer werden, diese Biester zu bekämpfen. Es ist ja so schon hart genug.“

Jiang Li sah sie an und wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Auf einmal kam ihr schlagartig zu Bewusstsein, dass sie dadurch, Dumbledores Angebot ernsthaft annehmen zu wollen, ihre durch Jahre hindurch vertraute Wohnung in der Kampfschule lange nicht mehr sehen würde. So lange hatte sie Hogwarts und ihrer Schulzeit in England nachgetrauert, dass ihr gar nicht aufgefallen war, wie sehr sie an China hing.

Lupin rettete sie, indem er sich leise räusperte, lächelte und mit Yue You das vorhin abgebrochene Gespräch wiederaufnahm. Dumbledore unterhielt sich immer noch mit der Meisterin und Tonks plapperte fröhlich mit Li Ming und Xiao Hong.

Snape hob langsam den Kopf und musterte sie sekundenlang stumm, bis er schließlich zu ihrer großen Verwunderung den Mund auftat. „Ich habe gehört, dass man hier viel mit Tränken arbeiten muß. Stellen Sie sich immer noch so ungeschickt an wie früher?“

Wieder wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Diese Frechheit ... Snape war kein bisschen freundlicher geworden. Aber das war kein Wunder. Er schien in Sachen Schönheitspflege genauso wenig zu tun wie früher, warum sollte er sich da auf einmal bessere Manieren zugelegt haben. Sie widerstand der Versuchung, genervt mit den Augen zu rollen und nahm stattdessen einen Schluck Wasser. „Wissen Sie, unsere Hauselfen können das ganz gut, da lasse ich lieber meine Finger davon.“

Wider Erwarten gab er keine hämische Antwort, sondern verzog das Gesicht zu etwas, das er wohl für ein höfliches Lächeln hielt, und wechselte das Thema. „Arbeiten Sie auch in diesem Haus?“ Jiang Li wertete es als positiven Versuch und antwortete einigermaßen freundlich. „Nein, mit dem Badehaus habe ich nicht viel zu tun. Das Gebäude, in dem Sie gestern Nacht waren, trägt zwar denselben Namen, ist sonst aber eine eigenständige Kampfschule. Allerdings verdient die Meisterin mit der Badeanstalt bei weitem mehr Geld, denn zahlende Schüler gibt es nicht sehr viele. Meine Schwestern und ich sind bei ihr angestellt.“ Sie nahm einige Bissen und sah ihn auffordernd an. „Aber genug von mir. Wie geht es Ihnen?“

Snape hob die Augenbrauen und schien kurz nachzudenken. „Naja, abgesehen davon, dass wir eine ziemlich lange und unerwartet beschwerliche Reise um die halbe Welt hinter uns haben – ganz gut, würde ich sagen.“ Er warf ihr einen schnellen, listigen Blick zu und widmete sich dann wieder seinem gebratenen Fisch.

„Die Meisterin hat Ihr Kommen mir gegenüber kein einziges Mal erwähnt, sonst hätte ich Sie natürlich gerne persönlich abgeholt, Professor. Soweit ich weiß, kann man zwar in Xi’an direkt apparieren und sogar mit Floo-Pulver reisen, rund um die Stadt aber wird’s dann schwieriger.“

„Allerdings, schwieriger ist nett gesagt. Wir mussten uns durch Horden von fliegenden Affen kämpfen, so was habe ich vorher noch nie gesehen“, antwortete Snape düster und trank etwas Wein.

„Ach, Sie haben die Hsigo also auch schon kennengelernt. Aber eigentlich greifen sie tagsüber nicht an, sie sind nämlich schreckliche Feiglinge, wenn der Feind sichtbar für sie ist“, meinte Jiang Li scheinbar unbeteiligt, konnte ein spontanes Lächeln aber nicht unterdrücken. Snape in Angst. Viele würden sterben, um so was einmal in ihrem Leben zu sehen.

„Ich bin ja gespannt, wie Sie sich in Hogwarts anstellen werden“, gab er, ohne weiter auf das Thema einzugehen, mit spöttisch gehobener Augenbraue zurück. „Als Lehrerin kann ich Sie mir nur schwer vorstellen. Es war ja schon schwer genug, Ihnen etwas beizubringen.“

Eine scharfe Antwort lag ihr bereits auf der Zunge, da drehte sich die Meisterin um und warf ihr einen scharfen Blick zu. „Fertig mit Essen? Los, wir haben noch eine Menge zu besprechen, meine Liebe. Am besten verabschiedest du dich jetzt und kommst sofort in mein Büro.“

Jiang Li konnte nur mit Mühe ein Schaudern unterdrücken. Snape hatte zwar kein Wort verstanden, schien aber begriffen zu haben, dass ihr etwas Unangenehmes bevorstand, denn er lächelte anzüglich, als sie sich eilig erhob und bei allen entschuldigte. Keiner außer ihm schien ihr Gehen sonderlich zu bemerken, am wenigsten Lupin und Yue You, die sich noch vertiefter als zuvor miteinander unterhielten.

 

Meisterin Zhen Juan hielt sich nicht lange mit einleitenden Reden auf, sondern befahl ihr mit einer knappen Geste, sich zu setzen. Jiang Li wagte nicht den Kopf zu heben, als eine Strafpredigt auf sie niederprasselte, dass ihr Hören und Sehen verging. Nach endlosen Minuten, in denen sie immer und immer wieder zu hören bekam, was für eine Schande und Enttäuschung sie doch für Berufstand, Ausbildungsstätte und ihr Land sei, brach die alte Frau plötzlich ab und schlug hart auf den Tisch.

„Wie oft ich euch verzogenen Gören schon die Leviten gelesen habe, kann ich schon gar nicht mehr zählen. Noch dazu lernt ihr nie etwas daraus, sondern führt euch im Gegenzug bei jedem Mal schlimmer auf.“ Sie hielt kurz inne und kramte nach ihrer Pfeife, während Jiang Li mit brennend roten Ohren dasaß und sich heftig schämte.

„Aber du bist erwachsen und fällst überdies bald nicht mehr in meinen Zuständigkeitsbereich. Wie ich von Herrn Dumbledore erfahren habe, bist du bereit, nach England zu gehen und als Lehrerin in Hogwarts zu beginnen. Ehrlich gesagt habe ich es auch gar nicht anders erwartet.“ Die Meisterin stopfte die Pfeife rasch und steckte sie an. Nach einem kurzen, ärgerlichen Zug paffte sie aus und musterte ihre erste Schwertmeisterin nachdenklich. „Du freust dich sicher, wieder in deine alte Schule zurückzukommen. Allerdings, das wird dir wohl klar sein, befreit dich das nicht von deinen Verpflichtungen uns gegenüber und –“, wieder pausierte sie kurz und nahm einen langen Zug, „Ich habe bereits mit Herrn Dumbledore gesprochen, ihr werdet einen kurzen Abstecher nach Anshan machen müssen.“ Das heftige Auffahren ihrer Schwertmeisterin ignorierte sie geflissentlich und fuhr mit erhobener Stimme fort. „Du wirst verstehen müssen, dass Herr Dumbledore geschäftlich unterwegs ist und keine Rücksicht auf deine familiären Konflikte nehmen kann. Ehrlich, Jiang Li, du wirst das doch einsehen, oder nicht? Abgesehen davon habe ich bereits eine Eule zu deinen Eltern geschickt und euch alle angekündigt. Sie freuen sich sehr, dich endlich wiederzusehen, nach all den Jahren.“

Jiang Li schüttelte nur stumm den Kopf und schob bockig die Unterlippe nach vorne. Ihre Eltern waren momentan wohl die letzten Menschen, die sie wiedersehen wollte. Als sie das letzte Mal in Anshan gewesen war, hatten sie sich im Streit getrennt, und die Gründe des Zerwürfnisses nagten immer noch an ihr. Nein, zu ihren Eltern wollte sie jetzt wirklich nicht, das würde die Alte schon noch einsehen müssen. Jiang Li konnte sehr stur sein, wenn es darum ging, etwas zu erreichen. Die nächsten Worte ihrer alten Meisterin kamen dann allerdings sehr unerwartet.

„Ich habe gehört, dass Chu Yangdai vor geraumer Zeit einen Posten in Anshan ergattert hat, als Sekretär irgendeines Ministers, wessen, ist jetzt nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass mir vor Kurzem zu Ohren gekommen ist, dass sich dein nichtsnutziger ehemaliger Freund bei ihm hat blicken lassen.“

Jiang Li verschluckte sich jäh und rang heftig nach Luft. Zhen Juan musterte sie aus runzligen Augenwinkeln und nickte gedankenvoll, während sie im Geiste säuerlich grinste. Wie gerne Jiang Li jetzt ihre Sachen packen und nach Anshan zu ihren Eltern reisen würde. Wenigstens diese Diskussion hatte sich erledigt. Noch bevor sie allerdings etwas Entsprechendes sagen konnte, taumelte ihr Gegenüber unsicher auf die Beine und stürzte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer – es war nicht schwer zu erraten, woraus momentan Jiang Lis größte Schwachstelle bestand.



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