Schlagartig jagte ein tiefer Schauer durch Takaos Körper. Es war als ob ihn jemand in ein eiskaltes Meer gestoßen hatte. Keuchend japste er auf und riss seinen Kopf hoch. Heftig atmend stellte er fest, dass er wieder zurück in der Schattenwelt war. Fort war die Szene vor dem Hiwatarianwesen. Was zur Hölle war das denn für ein Trip grade gewesen?
Bibbernd sah sich der einsame Beyblader um. Gerade als er aufstehen wollte um wenigstens durch etwas Bewegung wieder warm zu werden, erschien eine kleine, orange Flamme inmitten der Luft vor ihm. Einen Moment lang starrte Takao verdutzt auf das Feuerchen. Vielleicht konnte ihm das ja etwas Wärme spenden. Er streckte den Arm danach aus und hielt augenblicklich wieder inne, als unvermittelt eine schwache, gebrochene Stimme an sein Ohr drang.
„Versprichst du mir Vertrauen?“
Takao zögerte. Von wem stammte die Stimme dieses mal? Ach, zum Teufel mit all den Zweifeln! Das war doch sonst auch nicht seine Art. Und immerhin war die kleine orange Flamme schon mal viel vertrauenserweckender als der ganze schwarze Nebel um ihn herum.
„Ja! Das tue ich!“, verkündete Takao mit fester Stimme und berührte das Flämmchen. Er konnte spüren wie sich eine wohlige, eigenartig bekannte Wärme ihm ausbreitete. Die Flamme flackerte kurz auf, ehe sie verschwand.
„Halt! Bleib hier!“, rief Takao in die schwarze Stille. „Ich muss Kai finden. Er muss hier irgendwo sein. Bitte hilf mir!“
Die unbekannte Stimme schien ihn gehört zu haben, denn nur Augenblicke später erspähte er in der Ferne einen orangeroten Schimmer. Sofort rannte Takao in diese Richtung los. Es war nicht gerade leicht das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Eine finstere Wolke legte sich vor das Schimmern und als wäre das nicht schon genug, zog um Takao herum ein trügerisches Nebelfeld auf.
Nein, er musste stur bleiben. Immer weiter geradeaus!
Und tatsächlich es klappte!
Dieses Mal war der Fall keine Überraschung mehr. Dafür war der Ort, an dem sich Takao wieder fand überraschend. War das nicht der Schrein auf dem Berg an dessen Fuße sich seine Heimatstadt erstreckte? Und warum sah er Kai andächtig vor dem Schrein stehen? Die Sonne ging gerade am Horizont unter. Langsam setzte sich Kai in Bewegung und marschierte geradewegs auf das heilige Gebäude vor ihm zu. Mit jedem seiner Schritte fühlte sich Takao schwerer. Als ob mit jedem Schritt ein weiterer Stein auf seinen Rücken geladen wurde. Je näher Kai dem Gebäude kam, umso schrecklicher fühlte sich Takao. Der Schrein kam ihm immer düsterer und bedrohlicher vor. Er hatte Angst! Panische Angst, die mit jedem Schritt des Russens größer wurde. Am liebsten hätte Takao aufgeschrien, hätte Kai gewarnt vor dem dunklen, gierigen Schatten, den er in dem Schrein spürte. Doch er konnte seinen Mund nicht öffnen, alles war viel zu schwer. Er konnte sich gar nicht mehr rühren. Das einzige wozu Takao noch in der Lage war, war es mit an zusehen wie Kai geradewegs auf ein großes Unheil zusteuerte. Und er konnte nichts dagegen tun! Schließlich war Kai angekommen und zog die Schiebetür zum Raum im Schrein auf.
Mit einem Male war es so als ob Takao an den Boden gepresst würde. Es fühlte sich so an, als ob plötzlich unendlich schwere Ketten an ihm zögen. Er war gefangen! Die Ketten erdrückten ihn geradezu! Er fühlte sich unendlich hilflos. Die Tür zum Schrein schloss sich. Verschloss Kai sich ihm?
Er fühlte wie seine eigene Verbindung zu ihm erneut schwächer wurde.
Da war wieder das eiskalte Gefühl, welches durch Takaos gesamten Körper und sein Bewusstsein jagte. Welches ihn zurückholte in die düstere Welt aus schwarzen Wolken.
Noch immer lag Takao auf seinem Rücken und blickte eine Weile einfach nur in die Düsternis. Waren diese merkwürdigen Trips wirklich Erinnerungen von Kai? Irgendwie passte da was nicht richtig zusammen. Dieses mal war er sich mehr wie ein Beobachter vorgekommen. Und wem gehörten überhaupt die Gefühle, die während dieser Erinnerungen auf ihn einprasselten? Oder war Takao nur der Beobachter des Beobachters, der zwar alle Eindrücke und Gefühle des Beobachters aufgedrückt bekam, aber letztendlich nur abwarten konnte bis die Erinnerung vorbei war? Immerhin hatte er ja noch hier und da eigene Gedanken fassen können. Waren die Gefühle nur Beobachtung oder konnte er währenddessen noch seine eigenen Gefühle fühlen. Herrje! Was sollte das Ganze überhaupt?
Takao raufte sich die Haare. Er hasste solche komplizierten Gegebenheiten und noch mehr hasste er es, keine Lösung dafür zu sehen. Für komplizierte Vorgänge war Kenny immer der Experte gewesen. Ihm wäre bestimmt schon etwas eingefallen. Wie sehr sich Takao nach einer helfenden Information von seinem klugen Freund jetzt sehnte! Doch Kenny war nicht hier und das war auch besser so für ihn. Takao seufzte. Es blieb ihm nichts anderes übrig als selbst auf eine Lösung zu kommen.
Über ihm erschien eine weitere kleine, orange Flamme. Oder war es die selbe von vorhin? „Versprichst du mir Freiheit?“, säuselte sie mit leiser Stimme in sein Ohr.
„Wer oder was bist du überhaupt?“, fragte er die kleine Flamme. Diese hüllte sich jedoch in Schweigen. Ungeduldig setzte sich Takao auf. Das Gefühl der schweren Ketten an seinem Körper war wie weggefegt. „Wer bist du?“ wiederholte Takao seine Frage. „Was bringen dir meine Versprechen und warum hilfst du mir? Sind das deine Erinnerungen? Bist du der Beobachter?“, die Fragen sprudelten geradezu aus ihm heraus und Takao war sich nicht mal sicher ob sie überhaupt Sinn machten.
„Ich verstehe das alles nicht...“, gab Takao nach einigen Momenten des Schweigens zu. Auch die Flamme schwieg und gerade als Takao dachte, dass sie nun gar nichts mehr sagen würde, gab sie doch noch etwas von sich: „Versprichst du mir Freiheit?“
Es ärgerte Takao, dass er nicht einmal auf eine einzige seiner Fragen eine Antwort bekam. Er musste sich doch gehörig zusammenreißen um seinen Frust hinunter zu schlucken und ihn nicht an der Flamme auszulassen. Immerhin war dieses Feuerchen das einzige in dieser dunklen Welt, das ihm einen Anhaltspunkt gab.
„Ja, ich verspreche dir deine Freiheit. Diese blöden Ketten hält ja keiner aus. Zeigst du mir jetzt wo Kai ist, oder muss ich noch so einen Erinnerungstrip durchmachen?“ Auffordernd stupste Takao die Flamme an, was diese auch prompt in eine Bewegung setzte.
Takao stand auf und folgte der Flamme durch den dunkel glitzernden Nebel. Immerhin konnte er so seinen Weg zum nächsten Punkt nicht verlieren.
Wie viel Zeit wohl schon verstrichen war seitdem er hier in dieser Düsterwelt aufgeschlagen war? Vermutlich war Black Dranzer immer noch am wüten und seine Freunde, Max, Rei und Daichi, boten diesem Mistvieh sicherlich ihre Stirn. Wenn sie siegreich wären, würde sich dann diese dunkle Welt in Nichts auflösen? Würden er und Kai damit automatisch frei sein? Oder würden sie mit der Welt verschwinden? Bei diesem Gedanken jagte Takao ein Schauer über den Rücken. Wieso musste er sich solchen Blödsinn ausmalen?
Er hoffte nur, dass sich seine Freunde nicht auch einlullen ließen.
Takao war so sehr in seinen Gedanken versunken, dass er gar nicht mitbekam, dass die Flamme stehen geblieben war. Und um ein Haar wäre er in sie reingerannt.
„Hey! Oh Mann, Alter. Warn mich das nächste mal, wenn du plötzlich stehen bleibst. Hier ist also der nächste Ort?“ Suchend sah sich Takao um. Doch es gab nichts interessantes hier. „Wo ist es denn jetzt? Hey Flamme, rede doch mal mit mir!“ Ungehalten stupste Takao die Flamme erneut an.
Anscheinend war das genau das Richtige, denn plötzlich fiel Takao wieder.
Also wieder eine dieser Erinnerung. Was ihn wohl jetzt erwarten würde? Takao hatte Mühe sich zu orientieren. Ein Blick nach oben verriet ihm, dass er unterm Sternenhimmel war. Jetzt konnte er endlich etwas erkennen. Doch was er da erkannte ließ ihn nicht schlecht staunen.