31. Kapitel, in dem Takeru und Hikari auf den Abschlussball gehen
An einem Samstag Ende März, am Tag des Abschlussballs, klingelte Takeru an Mimis Wohnungstür, um sie abzuholen. Gespannt wartete er, dass jemand öffnete und fragte sich, wie Mimi wohl aussehen würde. Sicherlich umwerfend. Aus ihrem Kleid hatte sie ein Geheimnis gemacht und wollte es ihm unter keinen Umständen vor dem Ball zeigen. Sie würde die Blicke der meisten Jungs auf sich ziehen, so wie sie es immer tat mit ihrem hübschen Gesicht und ihrer Traumfigur.
Mimis Vater öffnete die Tür und grinste Takeru an. „Sie ist unterwegs.“ Er trat zur Seite und Takeru spähte neugierig an ihm vorbei. Das Klackern von Absätzen kündigte Mimis Näherkommen an, dann bog sie im Flur um die Ecke und erschien, begleitet von ihrer strahlenden Mutter, an der Wohnungstür.
Takeru blieb der Mund offen stehen. Sie trug ein langes, goldfarbenes Kleid aus fließendem Stoff mit Trägern. Das Kleid schmiegte sich perfekt an sie und betonte ihre schlanke Figur. Ihr Gesicht war stärker geschminkt als sonst und betonte besonders ihre Augen und ihre vollen Lippen. Die hellbraunen Haare hatte sie auf einer Seite weggesteckt, auf der anderen fielen sie ihr jedoch bis über die Brust. Sie lächelte und hauchte Takeru einen Kuss auf die Lippen.
„Gefall‘ ich dir?“, fragte sie und drehte sich anschließend einmal im Kreis, wobei sie einen tiefen Rückenausschnitt präsentierte, der ihre makellose Haut zeigte.
„Und wie“, brachte Takeru heraus.
Mimi und ihre Eltern lachten, dann verabschiedeten sie sich und machten sich auf den Weg zum Ball.
Dieser fand in der Sporthalle der Schule statt, die für diesen Anlass mit dunklen Teppichen ausgelegt worden war. An den Wänden und der Decke hingen zahlreiche Girlanden und Lichterketten. Ein DJ spielte leise Musik, denn noch war der Ball nicht in Gang. Mädchen trugen Kleider in leuchtenden Farben und Jungs dunkle Anzüge. Viele tummelten sich am Eingang, die meisten waren jedoch bereits in der Halle, um nach ihren Plätzen Ausschau zu halten. Takeru hielt Mimi an der Hand und hielt gleichzeitig nach Hikari Ausschau. Sie hatte ihm erzählt, dass sie ein schwarzes Kleid tragen würde. Sie wollte unter keinen Umständen auffallen, da es nicht ihr Abschlussball war, doch gezeigt hatte sie Takeru das Kleid trotzdem nicht. Er verstand nicht, warum Frauen so ein Geheimnis um ihre Kleider machen mussten. Es waren immerhin nur Kleider. Nackt sahen sie ohnehin alle besser aus.
„Suchst du Kari?“, fragte Mimi, die bemerkt hatte, wie sein Blick durch die Menge schweifte.
„Ja. Vielleicht könnten wir kurz zu ihr“, antwortete er.
„Meinetwegen“, seufzte Mimi.
Als er sie draußen nicht entdecken konnte, gingen sie in die Halle, wobei sie immer wieder stehen blieben, um ein paar von Mimis Freunden zu begrüßen.
In der Halle entdeckte Takeru Hikari und Makoto recht schnell. Sie standen in einem Grüppchen von sechs Leuten und unterhielten sich. Zumindest Makoto unterhielt sich. Hikari stand neben ihm und wirkte ein wenig fehl am Platz.
„Da ist sie“, sagte Takeru und zog Mimi mit sich mit zu Hikari. Als diese Takeru bemerkte, sah sie ihn an und strahlte über das ganze Gesicht.
„T.K.!“, rief sie und umarmte ihn. Überrascht erwiderte er ihre Umarmung. Sie musste wirklich froh sein, ihn zu sehen. Als sie ihn wieder losließ, musterten sie sich gegenseitig von oben bis unten. Ihr Kleid war ein knielanges, schwarzes Trägerkleid, das sehr schlicht gehalten war. Dazu trug sie cremefarbene Schuhe. Ihr Haar war wie immer glatt, offen und an einer Seite mit einer Spange befestigt, um die störende Strähne daran zu hindern, ihr ins Gesicht zu fallen. Außerdem war sie ein wenig geschminkt, jedoch lange nicht so auffällig wie Mimi. Diese hatte sich inzwischen an das Grüppchen gewandt und sich in die Unterhaltung eingemischt.
„Oh mein Gott, dein Anzug!“ Hikari starrte ihn mit großen Augen an und lachte dann, woraufhin er eine Augenbraue hob und an sich heruntersah.
„Was ist damit?“, fragte er in Erwartung, irgendwo einen Fleck oder ein Loch zu haben.
„Nichts, alles in Ordnung. Du siehst richtig gut aus, weißt du das?“ Sie kicherte noch immer, als sie ihm wieder in die Augen sah.
„Warum überrascht dich das? Willst du mich beleidigen?“, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein, du Idiot. Ich wollte einfach nur sagen, dass du… echt toll aussiehst“, sagte sie lächelnd.
„Ähm… danke?“ Er grinste verlegen. Mimi war mit ihm shoppen gegangen und hatte ihm einen Anzug ausgesucht, der zu ihrem Kleid passen würde. Der Anzug war schwarz und dazu trug er ein weißes Hemd. „Du siehst auch hübsch aus.“
„Danke“, murmelte Hikari und richtete unnötigerweise ihre Haare.
Der Abend verlief, wie ein typischer Abschlussball in Takerus Vorstellung ablief. Er tanzte hin und wieder ungeschickt mit Mimi, jedoch hatte er nie einen Tanzkurz belegt und hatte keine Ahnung, wie man sich eigentlich bei einem Partnertanz bewegte. Mimi lachte und versuchte immer wieder, es ihm zu zeigen, doch ständig stolperte er oder ging in die falsche Richtung. Irgendwann tanzte sie mit einem anderen Jungen aus ihrem Jahrgang und Takeru ließ sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen, nippte an seiner Cola und beobachtete sie nur. Mit dem anderen Jungen sah es besser aus, ziemlich gekonnt. Und für Takerus Begriffe lag die Hand des Jungen zu weit unten an ihrem Rücken. Er runzelte die Stirn, doch dann gerieten die beiden aus seinem Sichtfeld, da sich andere Paare vor sie schoben.
Takeru hielt nach Hikari Ausschau, die mit Makoto tanzte. Auch bei den beiden sah es gekonnt aus. Hikaris Bewegungen waren geschmeidig und grazil. Hin und wieder schenkte sie Makoto ein Lächeln, das Takeru einen seltsamen Stich im Herzen verspüren ließ.
Nach dem Lied jedoch trennten die beiden sich voneinander. Makoto ging an einen anderen Tisch und Hikari kam auf ihn zu, grinste und setzte sich neben ihn.
„Na, du bist ja so allein hier.“
„Mimi tanzt gerade mit jemand anderem“, murmelte Takeru und zuckte mit den Schultern. „Und wie läuft’s bei euch?“
„Ganz gut. Makoto ist echt nett“, antwortete Hikari.
Nun grinste Takeru vielsagend. „Siehst du? Und du hast dich beschwert, dass ich ein Date für dich arrangiert habe.“
„Weil ich deine Hilfe nicht brauche, um Typen kennenzulernen“, erwiderte Hikari abwinkend. „Ich kann das allein.“
„Ja, merke ich. Ohne mich wärst du doch gar nicht hier.“
Sie warf ihm einen feindseligen Blick zu. „Suchst du jetzt Streit? Oder willst du mein Wingman werden?“
„Dein Wingman? Nee, lieber nicht.“ Er zog die Nase kraus. Er wollte ganz sicher nicht Hikari dabei helfen, den Mann ihres Lebens zu finden. Dass aus ihr und Makoto etwas werden würde, hatte er nicht eine Sekunde lang geglaubt. Er wollte nur, dass sie sich von ihren Gedanken an Yamato ein wenig ablenkte und etwas Spaß hatte. Und er wollte sie bei diesem Ball dabei haben.
„Gut. Du wärst eh ein miserabler Wingman“, behauptete Hikari und sah ihn herausfordernd an.
„Wieso das denn?“, fragte er verwirrt. „Ich bin dafür ja wohl total geeignet.“
„Jeder Kerl würde doch sofort denken, dass du mein Freund bist und mich deswegen gar nicht erst ansprechen. Du siehst einfach zu gut aus für einen Wingman“, erwiderte Hikari, als wäre es die logischste Sache der Welt. Dann sah sie ihn an, offensichtlich erschrocken über das, was sie gesagt hatte, und wurde rot um die Nase. Auch Takeru fühlte sich ein wenig verlegen wegen dieses unverhofften Kompliments.
„Ähm… danke?“
„Also ich meinte… was ich sagen wollte… ähm…“ Sie wandte sich von ihm ab und nahm einen großen Schluck von ihrem Wasser, sodass Takeru lachen musste.
„Schon okay. Mach‘ mir ruhig Komplimente“, meinte er und beobachtete sie weiter.
„Nö, sonst kriegst du noch einen Höhenflug. Hast du Lust, stattdessen mit mir zu tanzen?“ Fragend sah sie ihn an, die Wangen noch immer rot gefärbt.
„Ich kann nicht tanzen“, erwiderte Takeru entschlossen.
„Mit Mimi schon?“
„Es ist ihr Abschlussball. Ich musste mit ihr tanzen, oder?“
Hikari zog eine Schnute. „Na schön. Dann eben nicht.“
„Jetzt sei nicht beleidigt.“
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete die tanzenden Paare. Takeru wusste genau, dass sie eingeschnappt war. Nahezu jedes einzelne Körperteil verriet sie: die verschränkten Arme, das leicht gereckte Kinn, die halb gesenkten Lider, der nach rechts verzogene Mund, der wippende Fuß…
„Habe ich dir schon gesagt, wie gut dir dein Kleid steht?“, fragte er in einem Versuch, sie wieder zu besänftigen. „Deine Schultern sehen damit wirklich schmal aus. Und es macht deine Oberweite größer. Und insgesamt siehst du noch schlanker aus, als du sowieso schon bist. Und wie gut deine Beine erst…“
Ihr Lachen unterbrach ihn. „Halt‘ die Klappe, du Schleimer.“ Doch immerhin schien sie nicht mehr beleidigt zu sein.
Grinsend zuckte er mit den Schultern. „Einer muss dir ja mal Komplimente machen.“
„Blödmann. Makoto hat auch gesagt, dass ich hübsch aussehe.“
„Ja“, sagte Takeru, stützte den Ellbogen auf dem Tisch ab und sah sie an. „Aber hat er auch betont, wie schmal deine Taille aussieht und wie gut deine Haare liegen?“
Wieder musste sie lachen und verpasste ihm einen Klaps gegen den Arm. „Wenn du nicht gleich aufhörst, werde ich Mimi sagen, dass ihr Freund gerade fremdflirtet.“
„Ich flirte doch gar nicht, ich sage nur die Wahrheit“, erwiderte Takeru lässig.
Hikari kicherte und sah ihn dann an. „Mimi hat echt Glück, jemanden wie dich abbekommen zu haben.“
Er hob eine Augenbraue. „Weißt du noch, als wir Mimi vor einem Jahr das erste Mal gesehen haben und du sagtest, ich hätte sowieso keine Chance?“
Sie nickte und ein seltsamer Ausdruck schlich sich in ihre Augen. Er wüsste nur zu gern, was sie gerade dachte.
„Ja, ich erinnere mich sehr gut.“