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La Vie de Fayette

Beloved Enemies
von

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What's Wrong With Me?

Kaum, dass ich wieder zuhause war, hatte mich meine Mutter natürlich wieder mit Fragen gelöchert, wo ich denn so lange gewesen war. Ich wich ihren Fragen mehr oder weniger aus und sagte ihr einfach, ich wäre noch irgendwo gewesen und dann ging ich auch schon in mein Zimmer. Ich hatte wirklich keine Lust zum Reden, denn erst einmal musste ich selbst damit klarkommen und das für mich selbst einsortiert bekommen. Den Abend verbrachte ich am Computer. Ich wollte wieder mit Eren zocken und etwas Ablenkung finden. Ein bisschen sinnloses Geballere tat richtig gut und besserte auch ein wenig meine Laune. Vor allem, weil ich währenddessen nicht an den Sex mit Rion denken musste. Dann aber schrieb mich Eren über Skype an und erkundigte sich bei mir nach dem Stand der Dinge. Zuerst wusste ich noch nicht, ob ich über mein Problem schreiben sollte, dann aber entschied ich mich doch dazu. Ich brauchte jetzt jemanden, dem ich davon erzählen konnte. Eine neutrale Person, die das alles aus einer ganz anderen Sicht sah.

Also schrieb ich ihm, dass ich momentan in einem totalen Gefühlschaos steckte, weil ich nicht wusste, was ich tun oder fühlen sollte. Natürlich fragte Eren sofort nach und ich gestand ihm, dass ich zweimal mit jemandem geschlafen hatte, den ich eigentlich hasste und für den ich eigentlich nichts empfand. Dabei verschwieg ich aber, dass es ein Mann war und behauptete einfach, es wäre eine Frau. Ich wollte es nicht noch komplizierter machen, als es ohnehin schon war. Es dauerte eine Weile, bis ich Antwort bekam:

„Wenn du doch mit dieser Frau schläfst und dir so viele Gedanken machst, dann scheinst du ja doch was für sie zu empfinden, so wie ich das sehe. Jedenfalls kann es kein Hass sein, ansonsten würdest du dich ja wohl kaum zu ihr hingezogen fühlen. Aber ich kenne so was. Ich hab wirklich Schwierigkeiten gehabt, mich auf meine Freundin einzulassen und dachte zuerst, die würde mich verarschen und wäre nur auf eine schnelle Nummer aus. Aber letzten Endes habe ich mich eines Besseren belehren lassen. Vielleicht gibt es ja irgendwelche Dinge an ihr, die du doch magst. Ich meine… ihr seid immerhin aus der Schule raus und keine Teenies mehr. Da ändert sich die Sicht der Dinge auch.“

Nachdenklich las ich mir die Zeilen durch und obwohl Eren ja eigentlich Recht hatte, hatte ich dennoch das Gefühl, komplett auf dem Schlauch zu stehen. Ich wusste nicht weiter und fühlte mich innerlich vollkommen zerrissen. Als ich Eren das mitteilte, hielt er es auch für das Beste, wenn ich mir erst mal die Zeit und die Ruhe nahm, um einen klaren Kopf zu bekommen.
 

Ich blieb recht lange wach und stand am nächsten Morgen erst um halb elf Uhr auf. Die Nacht hatte ich nicht sonderlich gut geschlafen und mir ließ diese Sache einfach keine Ruhe, dass ich freiwillig mit Rion geschlafen hatte. Und das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass nicht einmal Alkohol im Spiel war und ich es irgendwie ja auch gewollt hatte. Aber warum? Was war nur mit mir los? Mir war, als könnte ich immer noch seine Stimme hören, wie er meinen Namen rief, als wir beide unseren Orgasmus hatten. Selbst jetzt konnte ich noch seine Lippen auf meiner Haut und seinen heißen Atem im Nacken spüren und sogar das Aftershave riechen, welches er immer benutzte. Mit Fragen in meinem Kopf, die ich nicht zu beantworten vermochte, ging ich in die Küche und setzte mich an den Tisch. Aber irgendwie hatte ich keinen großen Appetit. Und meiner Mutter entging natürlich nicht, dass mich irgendetwas beschäftigte.

„Was ist denn los, Fay? Du wirkst irgendwie bedrückt. Ist gestern irgendetwas passiert?“

Im Normalfall hätte ich vielleicht alles erzählt, aber ich hatte einfach keine Lust darauf, dass meine Mutter mir noch den Floh ins Ohr setzte, ich wäre vom anderen Ufer. Und da Emily auch am Tisch saß, wollte ich sowieso nicht unbedingt davon erzählen, wie Rion über mich hergefallen war. Mit Sicherheit hätte sie mich aus Eifersucht noch glatt erwürgt. Aber wenn ich überhaupt nichts sagte, würde meine Mutter sich nur irgendetwas wieder zusammendichten und das endete nicht selten in einer Katastrophe. Nachdem ich mir Toast mit Marmelade gemacht und einen Bissen gegessen hatte, begann ich zögernd zu erzählen.

„Ich bin gerade ratlos, das ist alles. Da sind ein paar Sachen, die mich beschäftigen und ich weiß nicht, wie ich das regeln soll.“

Während Emily wie immer mit ihren Freundinnen auf dem Handy schrieb, hatte meine Mutter ihre Kreuzworträtsel beiseite gelegt und wandte sich mir zu.

„Möchtest du darüber reden?“

Eigentlich nicht, dachte ich, sprach es aber nicht laut aus. Stattdessen erklärte ich ihr „Es gibt da jemanden, mit dem es gerade ein komplettes hin und her ist. Ich sag mal so: ich hab da eine gewisse Beziehung zu der Person und mit der hatte ich auch den One-Night-Stand gehabt. Zwischen uns ist es ziemlich kompliziert und diese Person will etwas von mir und ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich gut geht. Ich weiß selbst nicht, was ich fühle und ob ich die Gefühle dieser Person überhaupt erwidern kann. Es war schon schwierig gewesen, bevor wir miteinander geschlafen hatten, aber jetzt ist es total kompliziert geworden und ich weiß selber gerade nicht, wo mir der Kopf steht. In meinem Kopf herrscht ein totales Chaos und… naja…“

Ich wusste nicht, wie ich das Ganze näher erklären sollte, ohne verraten zu müssen, dass ich von Rion sprach. Meine Mutter trank einen Schluck Kaffee und fragte „Und wenn ihr zwei miteinander redet?“

Reden? Irgendwie war ich mir nicht so sicher, ob das eine gute Idee war. Vor allem weil ich ja nicht mal wusste, wie ich mit Rion darüber sprechen sollte, wenn ich doch überhaupt keine Ahnung hatte, was ich in seiner Nähe fühlen sollte.

„Wie denn, wenn ich keinen Plan habe, was ich will? Ich glaube, reden hilft da auch nicht wirklich.“

Nun aber seufzte Emily und legte ihr Handy weg, wobei sie überraschend das Wort erhob.

„Das ist ja mal wieder so typisch Mann. Anstatt einfach mal das Gespräch zu suchen, schweigt ihr euch aus.“

Auch Mum nickte beipflichtend und erklärte „Deine Probleme werden sich ganz sicher nicht davon lösen, dass du den Kopf in den Sand steckst. Ihr seid doch gute Freunde, da könnt ihr doch sicher eine Lösung finden.“

Etwas irritiert von dem Wort „Freund“ runzelte ich die Stirn. Was zum Teufel reimte sich meine Mutter denn wieder bitteschön zusammen?

„Wie jetzt?“

Und daraufhin antwortete sie doch tatsächlich „Na du sprichst doch von Seth, oder etwa nicht?“

Ich wusste nicht, ob ich in diesem Moment genervt oder gleich wütend sein sollte. Irgendwie kam ich mir ein wenig verarscht vor und das regte mich schon auf. „Mum, kannst du nicht ein einziges Mal damit aufhören, mir und Seth irgendetwas andichten zu wollen?“

„Ja entschuldige Mal“, rief sie sofort und man konnte schon heraushören, dass sie sich auf eine Konfrontation gefasst machte. „Du hast von einer Beziehung gesprochen und dass es kompliziert geworden ist. Für mich hört es sich eben danach an, als hätten du und Seth etwas.“

Ich versuchte ruhig zu bleiben und ihr diesen Schwachsinn wieder auszureden: „Wie denn bitteschön, wenn er mich nicht mal liebt und mit diesem Raphael zusammen ist?“

Und als wäre das nicht schon genug, nein jetzt musste auch noch Emily einen draufsetzen.

„Ach was. Ich bin mir sicher, dass er nur mit Raphael zusammen ist, weil er einen Ersatz sucht. Und so dicke, wie ihr beide seid, ist es doch glasklar, dass er was für dich empfindet.“

Mir war das nun endgültig zu viel und ich stand auf. Der Appetit war mir nun endgültig vergangen und als Mum mir noch hinterher rief, ich solle doch da bleiben, da antwortete ich nur „Vergiss es. Das ist mir endgültig zu blöd. Mit euch kann man doch echt nicht vernünftig reden.“
 

Mir reichte es und ich ging ins Bad, um zu duschen. Ich war wütend auf Mum und Emily und hatte auch keine Lust mehr zum Reden. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, als würden sie mich auch nicht sonderlich ernst nehmen. Da konnte ich genauso gut mit einem katholischen Pfarrer reden. Nach der heißen Dusche verzog ich mich in mein Zimmer, schloss die Tür ab und baute die Staffelei auf. Die beste Art, mich abzulenken, war das Malen. Das hatte ich sowieso vorgehabt. Da ich aber gerade Lust auf etwas Neues verspürte, holte ich eine neue Leinwand heraus und suchte als erstes meinen Stift, um die Linien vorzuzeichnen. Stellte sich nur die Frage, was für ein Motiv ich nehmen sollte. Einfach etwas Impressionistisches? Die klassische Obstschale? Ein Fantasiegemälde? Lange überlegte ich, bis ich dann zu dem Entschluss kam, doch kein Öbild zu malen. Stattdessen wollte ich zur Ausnahme mit Aquarellfarbe malen. Ich legte also die Keilrahmenleinwand beiseite und holte das Papier, welches ich für Aquarellbilder nahm. Zugegeben, ich malte vorzugsweise mit Ölfarbe und Kohlestiften. Aquarell nahm ich äußerst selten, da ich nicht gerade das beste Händchen dafür hatte. Aber heute hatte ich einfach Lust dazu. Ich hatte sogar schon eine Vorstellung, was ich als Motiv malen könnte und welche Farben ich dafür nehmen würde. Aber zuerst begann ich mit einem Stift die Linien vorzuzeichnen. Mir schwebte das Bild direkt vor Augen und ich begann zu zeichnen. Ich malte die starken und breiten Schultern, den kräftigen Hals und dieses fein geschnittene Gesicht, welches eine so starke Ausstrahlung hatte. Normalerweise hätte ich ein listiges und verschlagenes Lächeln dazu gemalt, welches eiskalte Überlegenheit ausstrahlte, doch ich entschied mich anders. Denn ich erinnerte mich an dieses warmherzige Lächeln, das er mir gezeigt hatte. Ein Lächeln, welches so menschlich wirkte und sich tief in mein Gedächtnis gebrannt hatte, sodass ich es selbst sah, wenn ich die Augen schloss.

Nach und nach verteilten sich warme leuchtende Farben auf dem Bild. Kalte und dunkle Blautöne, die sich mit kräftigen Rot- und Orangetönen vermischten und ein sehr stimmiges Bild ergab. Die Augen betonte ich besonders. Ich malte die eisblaue Iris, welche so hell war, als wären es leuchtende Kristalle. Nach und nach zeichnete sich ein leuchtendes farbenfrohes Bild ab und ich sah wieder sein Gesicht… Rions Gesicht. Oh Mann, dachte ich und seufzte leise. Jetzt male ich ihn sogar schon und bin keinen Schritt weiter, was meine Gefühle betrifft.

Ich beschloss, im Blumenladen vorbeizuschauen und versteckte das Bild, nachdem ich die Farben weggeräumt hatte. Wenn Emily oder meine Mutter es noch zu Gesicht bekamen, dann machten sie alles nur noch schlimmer. Also legte ich es oben auf den Kleiderschrank, wo sie es nicht finden konnten und wo es vor allem in aller Ruhe trocknen konnte. Da dies erledigt war, zog ich meine Schuhe an, schnappte meine Fahrradschlüssel und ging. Da ich immer noch sauer auf Mum und Emily war, sagte ich nur „Bin weg“ und verließ das Haus.
 

Ich fuhr in Richtung Innenstadt und hielt direkt vor dem Blumenladen. Dort war Seth gerade dabei, die Rosen herauszustellen. Ich grüßte ihn und winkte ihm zu. Und er schien sich sichtlich zu freuen, dass ich mal vorbeischaute.

„Ach da bist du ja, Fay. Und ich hatte schon Sorgen, dass Rion dir die Hölle heiß macht.“

Ich versuchte zu lachen, aber so ganz wollte es mir nicht gelingen und ich half Seth dabei, die Blumen rauszustellen. „Wo warst du denn gestern Abend? Ich wollte dich anrufen, aber du warst nicht da.“

Da ich ihm vertrauen konnte, erzählte ich ihm, dass ich ein zweites Mal mit Rion geschlafen hatte und was Rion zu mir gesagt hatte. Seth seinerseits war so überrascht, dass er beinahe einen Blumentopf fallen ließ. Er starrte mich einen Augenblick lang sprachlos an, bevor er das für sich sortiert bekam. Aber dann schüttelte er den Kopf und meinte „Also das erste Mal kann ich ja noch verstehen, weil du betrunken warst. Aber das zweite Mal… War es wegen dem Traum, dass du es ausprobieren wolltest?“

Unsicher zuckte ich mit den Schultern.

„Mein körperliches Verlangen war da wohl irgendwie stärker als mein Kopf. Typisch Mann, was? Wir sind eben alle komplett triebgesteuert.“

Doch Seth sah mich aufmerksam an und sein Blick hatte etwas Prüfendes. „Aber du musst noch an ihn denken…“

Wir gingen wieder gemeinsam in den Blumenladen ich erzählte ihm von meinem Dilemma. Seth zeigte sehr viel Verständnis und hörte mir aufmerksam zu. Auch er riet mir, in Ruhe über alles nachzudenken und dann das Gespräch mit Rion zu suchen. Dann aber, als wir das Thema wechseln wollten, fiel ihm noch etwas ein, worauf er mich direkt ansprach. „Hast du eigentlich die Fotos?“

Erst da fiel mir ein, dass ich sie gestern gar nicht den Umschlag mit den Fotos mitgenommen hatte. Die mussten noch bei Rion zuhause liegen.

„Oh verdammt, die habe ich total vergessen. Die liegen noch bei Rion. Ich fahr eben vorbei und hol sie.“ Damit wollte ich wieder losgehen, aber Seth hielt mich noch kurz auf. „Es eilt ja nicht, Fay. Wegen mir brauchst du dir da keinen Stress machen.“

Aber ich schüttelte den Kopf und meinte nur „Ich hol sie nur ab und verschwinde wieder. Er hat eh gesagt, dass er zu tun hat.“

Zugegeben, ich wäre Rion am liebsten erst mal aus dem Weg gegangen, aber dann hatte ich das wenigstens erledigt und konnte dann abschalten. Und zwar richtig. Doch dann sagte Seth etwas, was mich dann doch zum Nachdenken brachte: „Suchst du vielleicht einen Grund, um wieder zu ihm gehen zu können?“

Tat ich das? Wollte ich wirklich unbedingt zu ihm, dass ich mir extra die Umstände machte, nur um die Fotos abzuholen, obwohl ich genauso gut bis Montag warten konnte? War das auch der Grund, warum das erste Motiv, was mir beim Malen in den Sinn gekommen war, auch ausgerechnet Rion sein musste? Ich blieb stehen und dachte nach. Was zum Teufel war nur mit mir los? Konnte es vielleicht tatsächlich sein, dass ich drauf und dran war, mich in Rion zu verlieben, den ich immer als arroganten Mistkerl betrachtet hatte und den ich schnellstmöglich wieder aus meinem Leben streichen wollte? War ich denn tatsächlich so schnell über Katherine hinweg? Nein… ich liebte sie immer noch oder zumindest war ich mir dessen sicher. Und die Trennung tat mir immer noch weh, wenn ich daran zurückdachte. Ich seufzte und fuhr mit meiner Hand durchs Haar.

„Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist. Seit das mit Katherine zu Ende gegangen ist, hab ich das Gefühl, dass mein Leben komplett durcheinandergeworfen wird und sich in ein einziges Chaos verwandelt.“

Immer noch betrachtete Seth mich aufmerksam, so als versuche er aus meinem Gesicht irgendwelche Gedanken und Emotionen abzulesen.

„Seit der Trennung von Katherine, oder nicht vielleicht, seit Rion wieder aufgekreuzt ist?“

Tja, das wusste ich leider auch nicht. Bei dieser komplizierten Geschichte war es ohnehin schwierig, da noch irgendwie durchzublicken.

„Verdammt… ich weiß es doch auch nicht. Ich meine, das Ganze ist doch sowieso schon schwer genug für mich und ich hab gerade erst die Trennung von Katherine hinter mir. Es ist, als hätte Rion einfach den Moment abgepasst, um mir auf die Pelle zu rücken. Und dann sagt er noch solche Sachen. Ich weiß doch selber nicht, was ich denken oder fühlen soll.“

Seth nickte verständnisvoll. Bei ihm war es nicht so schwer gewesen, als er das erste Mal als Teenager in einen anderen Jungen verliebt gewesen war. Für ihn als bekennender Schwuler war das kein Problem gewesen, aber bei mir war es etwas anderes. Ich war heterosexuell und hatte nie etwas Tieferes für andere Männer empfunden und das tat ich auch jetzt nicht. Der Gedanke, mit einem Mann zusammen zu sein, erschien mir noch genauso fremd und absurd wie eh und je, trotzdem konnte ich Rion nicht vergessen. In mir herrschte ein Konflikt, den ich so schnell nicht lösen konnte. Warum auch musste das Leben nur so verdammt kompliziert sein?

„Hast du versucht, mal mit deiner Mutter zu reden?“

Bei diesen Worten schnaubte ich laut und schüttelte den Kopf. „Die denkt, dass ich von dir rede. Sie und Emily können immer noch nicht damit aufhören, uns beide verkuppeln zu wollen. Glaub mir, ein Gespräch mit denen ist doch vollkommen zwecklos. Da kann ich doch genauso gut mit dem Papst über meine Probleme reden. Von dem krieg ich genauso eine gescheite Antwort. Nein, das bringt mit denen überhaupt nichts. Ich muss das irgendwie alleine klären. Wenn ich denn wenigstens wüsste wie. Ach verdammt… als wäre das alles nicht eh schon kompliziert genug, dass ich einen One-Night-Stand mit dem Kerl hatte, der mich in der Schule ständig schikaniert hat. Jetzt sagt er auch noch, dass er will, dass ich mich in ihn verliebe.“

Ich lehnte mich gegen den Verkaufstresen und seufzte leise. Selten hatte ich mich je so ratlos gefühlt und ich fragte mich, wie das alles nur so weit hatte kommen können. „Klingt für mich ganz stark danach, als würde er dich lieben.“

„Ja aber… er hat mich bis zu unserem Abschluss an der High School tyrannisiert und sich ständig über mich lustig gemacht. Danach haben wir uns sechs Jahre lang nicht gesehen. Wie soll er sich da in mich verliebt haben?“

Seth brauchte nicht lange nachzudenken, um auf eine Antwort zu kommen. „Vermutlich ist es ja nach eurem One-Night-Stand passiert. Das wäre ja auch möglich. Oder aber er hat sich verliebt, nachdem er dich im Café getroffen hat. Die Möglichkeit besteht auch.

„Nachdem ich ihn so angefahren habe?“ fragte ich ungläubig, doch Seth hielt an dieser Theorie fest.

„Wahrscheinlich ist da einfach irgendetwas an dir, was er doch sehr anziehend findet. Ich meine, du siehst echt süß aus und ich kann es schon verstehen, wenn er ein Auge auf dich geworfen hat.“

Na toll, das machte es aber auch nicht besser. Am liebsten würde ich in diesem Moment einfach nur laut schreien, wenn ich wenigstens auf diese Weise wieder etwas Ordnung in meinen Kopf kriegen konnte. Schließlich aber legte Seth eine Hand auf meine Schulter.

„Vergiss einfach mal, was alle anderen darüber denken und was sie von dir erwarten. Es mag jetzt ziemlich abgedroschen und kitschig von mir klingen, aber es ist besser, wenn du allein auf das hörst, was du wirklich willst und vor allem ehrlich zu dir selbst bist. Was genau spricht denn alles dagegen, dass du dich auf eine Beziehung mit ihm einlässt?“

Da brauchte ich nicht lange nachzudenken. „Er ist ein arroganter Dreckskerl, der mir in der Vergangenheit genug Ärger gemacht hat, er provoziert mich auch jetzt immer noch, ich liebe noch Katherine und außerdem stehe ich nicht auf Männer.“

Und als Seth mich fragte, was denn dafür sprach, da musste ich schon etwas nachdenken.

„Er sieht gut aus, er hat Kohle, er ist ein sehr erfolgreicher Fotograf, er hat eine einfühlsame Seite und er ist gut im Bett…“

Als mir das letzte so herausrutschte, wandte ich verlegen den Blick ab und errötete, aber Seth ging sehr souverän damit um und nickte. Und dann zog er sein Fazit: „Also so wie ich das höre, lässt du dich nur von der Vergangenheit davon abhalten, mit ihm zusammenzukommen. Du klammerst dich so sehr an den Gedanken, dass ihr immer eingeschworene Feinde sein werdet, dass du sogar in Kauf nimmst, selber dadurch unglücklich zu werden. Fay, du bist ein Sturkopf und wahrscheinlich genauso ein großer wie Rion. Nur bei ihm ist es der Unterschied, dass er bereit ist, sich auf diese Gefühle einzulassen und den ersten Schritt zu wagen. Mag sein, dass das vielleicht nicht ganz die richtige Art und Weise von ihm ist, aber letzten Endes lässt du dich von der Vergangenheit ausbremsen. Und das Sprichwort sagt ja auch: wer nur in der Vergangenheit lebt, der kann auch nicht nach vorne schauen. Ich will dir nicht unbedingt anraten, dass du dich direkt auf ihn einlässt und ihr wieder im Bett landet. Aber du solltest mal darüber nachdenken, ob es Gegenargumente gibt, die nicht auf die Vergangenheit beruhen. Und das ist doch eigentlich nur jenes, dass du hetero bist. Aber wenn du dich zu Rion hingezogen fühlst und sei es auch nur in sexueller Hinsicht, dann bleibt eigentlich nur die Schussfolgerung, dass du bisexuell bist und hauptsächlich zu Frauen tendierst und Rion sozusagen die Ausnahme von der Regel ist.“

Ich hatte irgendwie befürchtet, dass es darauf hinauslief, dass ich doch nicht so hetero war, wie ich mir immer einreden wollte. Und genau das wurmte mich. Immerhin war es das Einzige, was mir wirklich das Gefühl gab, ich wäre ein Mann. Mit der Ausnahme von der Tatsache, dass ich einen Penis statt Brüsten hatte. Die Tatsache, dass ich zu Frauen und zu Männern eine Neigung hatte, machte für mich alles nur noch schlimmer. Das war auch so wieder ein ewiges hin und her, genauso wie mit meinem Aussehen.

„Was genau ist denn eigentlich dein Problem?“ fragte Seth und verschwand nach hinten, um die auf dem Boden liegenden Stängel und Blätter wegzufegen. Ich schnappte mir ebenfalls einen Besen und half ihm.

„Na sieh mich doch an“, seufzte ich frustriert. „Rein optisch bin ich weder ganz Mann noch ganz Frau, sondern irgendein undefinierbares Zwischending. Und jetzt soll ich nicht schwul oder hetero, sondern bisexuell sein? Das ist doch auch nur so ein verdammtes Zwischending. Meine Liebe für Frauen war doch im Grunde genommen das Einzige, was mich zu einem richtigen Kerl gemacht hat. Ausgenommen von meinem Geschlecht halt.“

Doch mein bester Freund hatte dafür nicht viel Verständnis und ich sah schon an seinem Blick, dass er mich gleich noch ordentlich zurechtstutzen würde.

„Heißt das etwa, dass die Tatsache, dass ich Männer liebe, mich nicht mehr zum Mann macht?“

Ich erkannte so langsam, dass ich das ziemlich ungünstig formuliert hatte und versuchte das richtig zu stellen.

„Nein, so meinte ich das nicht“, versuchte ich ihm zu erklären. „Es war eher auf mich bezogen.“

Doch Seths Blick blieb weiterhin und nachdem wir den Boden gefegt hatten, begann er nun damit, die Scheren und Werkzeuge einzuräumen. „Du lässt dich zu sehr von deinen Komplexen beherrschen und von dem, was andere von dir denken. Es kann dir doch egal sein, was andere über dich denken. Und ebenso kann es dir egal sein, dass du androgyn bist. Du könntest dir so vieles einfacher machen, wenn du endlich mal damit aufhörst, dir selbst einzureden, du seiest kein richtiger Mann. Ansonsten müsstest du dir mal Gedanken machen, ob du nicht vielleicht professionelle Hilfe in Anspruch nehmen solltest, um dein Problem in den Griff zu bekommen. Ansonsten wirst du dir immer dein Glück auf diese Weise verbauen. Ich sage ja nicht direkt, dass du mit Rion zusammenkommen sollst. Das ist allein deine Sache. Aber bisher haben deine Komplexe dafür gesorgt, dass wirklich jede deiner Beziehungen gescheitert ist, weil du dir immer einredest, dass sie sowieso irgendwann den Bach runtergehen, weil deine Freundinnen irgendwann einen Typen finden werden, der besser ist als du. Fay, du hat eine so große Blockade in deinem Kopf, dass sie dir immer wieder aufs Neue ein Bein stellt und wenn du nicht langsam mal deine Einstellung zu dir selbst änderst, dann wirst du noch wirklich unglücklich werden. Und das will weder ich noch du selbst.“

Ja, da hatte er wohl nicht ganz Unrecht. Ich sah ja auch ein, dass mein Männlichkeitskomplex ein ziemlich großes Problem war und ich etwas dagegen unternehmen musste. Aber es fiel mir einfach schwer zu akzeptieren, dass ich vielleicht bisexuell sein könnte. Ich wollte das nicht, ich wollte einfach nicht, dass ich mich in einen Mann verliebte. Man konnte es als Trotz oder Sturköpfigkeit bezeichnen, aber wenn man sein ganzes Leben lang hetero war und jetzt auf einmal gleich zwei Mal mit einem Mann ins Bett sprang und ein Mal davon vollkommen nüchtern und freiwillig war, da war es eben schwer, so etwas auch zu akzeptieren.

„Das ist alles nicht so einfach…“

Ich setzte mich auf einem Hocker und hatte irgendwie das Gefühl, als würde ich in einer mentalen Sackgasse stecken. „Die ganzen Jahre über lief bei mir alles normal. Naja… was man eben halt als normal bezeichnen kann. Aber kaum, dass Rion wieder auftaucht, ist bei mir alles komplett durcheinander geraten. Was soll ich denn machen, Seth?“

„Vielleicht mal ein bisschen ehrlicher zu dir selbst sein.“ Na toll, das half mir auch weiter. Ich fühlte mich ziemlich unmotiviert und fragte mich ernsthaft, wie das denn bitte weitergehen sollte.

„Was soll das denn bitte für eine Zukunft haben, wenn ich mich wider Erwarten auf so etwas einlasse? Was, wenn ich eines Tages eine Familie gründen will und auch mal eigene Kinder haben will? Wie soll das denn bitte funktionieren?“

Nun änderte Seth seinen Gesichtsausdruck und er schien wohl nicht mehr darauf aus zu sein, mir die Leviten zu lesen. Viel eher schaute er mich an, als wollte er mich fragen „Das ist doch jetzt wirklich nicht dein Ernst, oder?“

Er verschränkte die Arme und wirkte ein wenig ungehalten. „Fay, du verarschst mich doch jetzt langsam, oder? Du weißt doch genau, dass es für solche Fälle immer noch die Möglichkeit einer Adoption oder Leihmutterschaft gibt. Und wir haben auch die Möglichkeiten einer Homo-Ehe. Du steigerst dich komplett in irgendwelche Spinnereien hinein und verplanst dein ganzes Leben schon, obwohl du ja noch nicht einmal weißt, ob du überhaupt diese Beziehung mit ihm führen willst. Komm erst mal zur Ruhe, anstatt gleich so hysterisch zu werden und aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Das ist nämlich auch eine deiner Stärken: die Probleme noch größer zu machen, als sie eigentlich sind.“

Da neue Kunden in den Laden kamen, mussten wir das Gespräch beenden und ich bedankte mich bei Seth für die Hilfe. Zwar wusste ich nicht wirklich, ob mir das auch weiterhalf, aber zumindest war mir so, als hätte ich ein kleines bisschen Ordnung in meinen Kopf bekommen. Aber so ganz gelöst war mein Dilemma auch nicht. Zuerst spielte ich mit dem Gedanken, zu Rion zu fahren und die Fotos abzuholen. Aber irgendwie war mir dann doch nicht so ganz danach. Stattdessen fuhr ich zum Laden für Kunstzubehör, kaufte mir ein paar Farben und neue Pinsel, die ich dringend benötigte und auch einen neuen Kohlestift. Danach kehrte ich wieder nach Hause zurück, um für den Rest des Tages zu malen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Momo26
2015-06-08T10:22:55+00:00 08.06.2015 12:22
Hallo, das ist eine echt interessante Geschichte von dir.
Freu mich schon auf weiter lesen heute Abend.
Lg Momo
Antwort von:  Sky-
08.06.2015 12:25
Freut mich, wenn dir die Geschichte gefällt und danke vielmals für den lieben Kommi. Über Kommentare freue ich mich ja immer sehr.
LG
Slenderman


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