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Auftragsnummer YT1985M

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Habe leider stinkreichen, gutaussehenden jungen Typen bekommen

Kapitel 1 – Habe leider stinkreichen, gutaussehenden jungen Typen bekommen

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29.01.2015 . Auftragsnummer YT1985M
 


 

Schwer seufzend lehnte sich der Musiker mit dem Kinn auf seine flache Hand und sah augenrollend über den Esszimmertisch hinweg zu seinem Vater. Auch das Kopfschütteln konnte er sich nicht unterdrücken, um deutlich zu machen wie daneben er dessen Aussagen schon wieder fand, und brummte nur noch entnerv auf.

„Was meinst du denn schon wieder damit, ich solle mir endlich ‚einen ordentlichen Beruf suchen‘? Schau mich doch mal an, schau unsere Hallen an, alles ausgebucht – immer, verstehst du? Wir sind jetzt vielleicht nicht so groß wie die Scorpions, aber es reicht. Mit 40 hör ich auf und setz mich in Malibu zur Ruhe. Das ist alles chic alter Herr, mach dir keinen Kopf.“
 

Dem Vater entkam der laue Kaffee beinahe wieder durch die Nase, als er entsetzt darüber auflachen musste, weil der Sohnemann mit seinen 28 Jahren noch immer in Dimensionen schwebte, die nicht mehr tragbar waren im realen Leben, und brauchte somit einen Moment, ehe er Atmung und Getränk in sich sortierte. Die Hand vornehm rücklings an den Mund gehalten, blickte er nun augenrollend zu seinem Drittgeborenen und wollte einfach nicht glauben, dass er ebenfalls von ihm abstammte.

„Du klingst so töricht. Komm mal hier her, auf meine Seite, und hör dir zu, was du sagst“, tadelte er fast spitz bemerkend, als die Mutter das Esszimmer betrat, um das Kuchenblech abzuräumen.

„Jetzt hört doch auf, euch schon wieder so anzugiften. Kazuro, mensch, das ist doch fürchterlich mit euch“, stemmte sie eine Hand in die Hüfte, verzog den Mund und blickte mahnend auf ihren Mann herab.

Eine Geste die sich nicht gehörte, aber Natsuko und Kazuro gehörten zu den Eltern die etwas cooler waren, wie Yasu fand, der zu Grinsen begann - welches allerdings sofort, wenn auch gespielt ertappt, aus seinen Zügen wich, nachdem die Mama auch ihn scharf anblickte.

„Yasu. Dein Vater hat schon Recht damit, was er sagt, du brauchst gar nicht so unschuldig tun.“

„Tu ich nicht“, winkte der Musiker sofort belustigt ab und fühlte sich trotzdem von Mama verteidigt.
 

„Mein Gott, Junge“, seufzte der Vater aus, „such dir doch endlich eine Frau und gründe eine Familie. Ich bin überzeugt davon, dass deine Synapsen dann wieder richtig arbeiten“, wedelte im nächsten Moment ein Zeigefinger kreisend vor dem Gesicht des Jungen umher, der nur die Stirn in Falten legte und erneut brummte.

„Eine Frau …“, wiederholte er etwas knurrig und mit nun wahrlich genervten Zügen, was die Mutter dazu brachte den Mann einen seichten Klapps auf den Hinterkopf zu geben.
 

Diese Freiheiten gab es bei ihm zu Hause tatsächlich.
 

„Kazuro! Jetzt hör endlich auf. Akzeptiere es doch endlich, dass Yasu uns keine kleinen, süßen Enkelkinder schenken wird“, stocherte sie dennoch nach, und brachte die Brauen des Sohnes zum Heben.

„Oooch, na wenn’s bloß das ist! Ich kauf euch welche. Ist doch heutzutage kein Problem“, sagte er so selbstgefällig, dass dem Vater die Gesichtszüge entglitten. Er konnte nicht deuten, ob sein Sohn das nun ernst meinte oder, so hoffte er, nur scherzte. „Wie wär’s mal zur Abwechslung mit einem Schokobaby?“

„Einem was?“

Noch immer spiegelte sich Entsetzen auf Kazuros Zügen, und Yasu genoss diesen Moment in welchem er seinen Vater etwas auflaufen lies.
 

Einfach aus dem Grund, weil der es nicht lassen konnte, nach all den Jahren weiterhin zu hoffen dass sein Drittgeborener nur eine sehr lange Phase durchlitt.
 

Er war 28 Jahre alt!

Ausgewachsen!

Hatte seinen Weg gefunden!
 

Wann fand sein Vater sich endlich damit ab?
 

„Aus Afrika“, zuckte Yasu mit den Schultern, als ginge es um Kaugummi aus einem bestimmten Laden. „Sind doch auch süß. Und angenommen, ich würde mit einer Afrikanerin ankommen, dann wäre das Kind wahrscheinlich auch eher dunkel. Wobei ich mir nicht vorstellen kann dass eine Kreuzung zwischen Afrikanern und Japanern gut aussieht.“
 

Als würde sich Yasu darüber ernsthafte Gedanken machen!
 

„Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen dass du überhaupt weißt, wie sowas funktioniert, Junge!“, feixte der Vater belustigt auf, nur um noch etwas mehr Salz in die Wunde zu streuen.

Auch Natsuko konnte sich ein Schmunzeln diesbezüglich nicht verkneifen, doch war sie alles andere als darauf aus ihren Sohn aufzuziehen. Sie hatte sich, im Gegensatz zum Vater, zu 80% damit abgefunden, dass sie maximal einen gefühlten, weiteren Schwiegersohn bekämen, der die Familie bereicherte. Nicht jedoch eine Schwiegertochter, die eventuell süße kleine Nachkommen gebar.
 

So schade es auch war.
 

Yasu hatte nämlich ganz wunderbare Erbanlagen, wie auch Natsukos Mutter fand – die wiederum noch etwas abgebrühter war als Yasu selbst. Seine Oma, mütterlicherseits, war nämlich tatsächlich cool.
 

So richtig, richtig cool.
 

Als sie vor einigen Jahren erfuhr dass einer ihrer Enkel schwul war, war ihre erste Reaktion so derart unerwartet ausgefallen, dass selbst dem Vater die Augen aus den Höhlen fielen.
 

„Versteh ich doch mein Schatz, versteh ich doch. Ich konnte auch nie etwas Attraktives an einem Frauenkörper finden, ich bin also völlig deiner Meinung. Achte nur immer gut auf die Gesundheit, die gerät schnell mal ins Vergessen beim süßen Schmerz. Und nimm den Mund nicht ganz so voll, hm?“ Und boxte ihn daraufhin kumpelhaft in die Seite.
 

Ja … seine liebe Omi.

Jetzt war sie leider schon sehr alt und krank.
 

„Ganz ehrlich, Paps“, betonte er letzteres Wort etwas flapsig und überheblich, „ich möchte auch gar nicht wissen wie das funktioniert. Und außerdem reicht es doch, wenn deine anderen Kinder sich artgerecht fortpflanzen. Und wenn du mal ganz, ganz tief in dich reinhörst, dann sollte dir bewusst sein, dass du eigentlich Schuld daran hast, dass ich am anderen Ufer herumgondle.“
 

So.
 

„Bitte?!“

Wieder war der Vater entsetzt, musste aber in seinem Entsetzen abermals auflachen und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Was sind das denn jetzt für Thesen? Soll ich dir Schwimmflügel geben, dass du endlich an die richtige Seite schwimmst, oder was?“
 

Schade eigentlich dass der Gute manchmal nicht bemerkte, wie witzig er sein konnte.
 

„Hach“, seufzte der Sohn theatralisch auf, und winkte ab. „Quatsch. Aber soviel ich weiß, wolltet ihr noch ein Mädchen – und dann kam ich. Und diesen Wunsch hast du unbewusst mit mir in die Eizelle eingepflanzt“, nickte Yasu völlig überzeugt, als sich die Mutter ein heftiges Auflachen hinter hervorgehaltener Hand verkniff, und das Kuchenblech nun hinaustrug. „Und deswegen“, zeigte nun ein Finger auf den älteren Mann ihm gegenüber, „und nur deswegen, bin ich eine Mischung aus Beidem. Na ja, oder sowas in der Art jedenfalls. Ist doch prima, meinst du nicht? Allerdings werde ich auch weiterhin keine Frauenkleidung tragen oder mich Mädchenhaft bewegen. Ich werde allerdings auch weiterhin keinerlei Interesse für Autos und Harleys aufweisen. Ich hoffe das ist in Ordnung? Und wenn es dich beruhigt … die ganze Welt ist der Meinung dass ich stock hete bin. Die Medien spekulieren derzeit sogar, ob ich etwas mit Misami Kagayami am laufen habe.“
 

Er kam nicht umher bei diesem Gedanken mit den Augen zu rollen.
 

„Ist das nicht die Popsängerin, die sich so übertrieben rosa kleidet?“, wollte die Mutter wissen, die gerade zurückkam, und dem Sohn damit ein Nicken entlockte. „Wie alt ist die eigentlich?“

Yasu hob die Schultern. „Keine Ahnung.“

„Und warum ausgerechnet sie?“, hakte die Mutter nach, während sie sich auf ihren Platz, neben den Vater, niederließ und Yasu einen Moment musterte.

„Wahrscheinlich, weil ich sie zweimal zum Studio gebracht habe mit meinen Wagen. Macht man ja nicht einfach mal so. Man bringt Leute generell zu deren Arbeitsstellen, wenn man sie heiraten will. Sonst nicht“, nippte er an seinen Kaffee, und sah mit erhobenen Brauen über die Tasse hinweg zum Vater, der nur sehr tief Luft holte, und das Thema schlussendlich beseufzte.
 

Die Mutter fuhr dem Mann aufmunternd über die Schultern, als habe der eben eine schwere Nachricht zu tragen, und klopfte ihn anschließend einige Male auf den Rücken.

„Na komm schon. Es gibt weitaus Schlimmeres, als einen Sohn der Musik macht, um sich mit 40 nach Malibu abzusetzen“, versuchte sie es scherzend, ehe sie Yasu etwas ernster ansah, und dann näher an den Vater heranrückte. „Vielleicht ist das sogar ganz cool, dann können wir kostenlos Urlaub am Meer machen, wenn wir alt und grau sind, oder sogar am Meer unser Ableben feiern. Also ich fände das toll.“
 

Und das meinte sie durchaus ernst.
 

„Es ist dein Sohn“, seufzte der Vater fast weinerlich auf, und fuhr sich über die Stirn. „Es ist ganz eindeutig … dein Sohn.“
 

***
 

Besuche bei den Eltern …
 

Yasu freute sich darauf sie hin und wieder zu sehen, war aber genauso froh das Elternhaus wieder zu verlassen. Besonders, wenn es die meiste Zeit darum ging, wie schwul er nun wirklich war und inwieweit sein fiktiver Plan mit Malibu Früchte trug.
 

Als würde er tatsächlich nach Malibu ziehen wollen.

Es zog ihn wohl an den einen oder anderen Ort – Malibu stand da aber nicht mit zur Debatte.
 

Mit diesem Gedanke schritt er an jenem späten Winterabend durch die Straßen eines Szeneviertels Osakas, und konnte ein offensichtliches Kopfschütteln darüber nicht vermeiden.

Malibu.

Pha.

Eher noch würde er tatsächlich nach Afrika auswandern, aber doch nicht zu den Amis.

Die waren groß und laut und brachten sich ständig gegenseitig um. Darauf konnte er getrost verzichten, und schüttelte abermals den Kopf, wenn nicht gar den ganzen Körper, sobald das Gehirn Szenen aus amerikanischen Dramen abrief, von welchem Yasu überzeugt war, dass diese nicht unweit von der Realität entfernt lagen.

Den Reißverschluss der Jacke noch etwas hochziehend, zog die andere Hand die Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche hervor, um sich anschließend in gewohnter Manier einen der giftigen Glimmstängel aus der Verpackung zu klopfen, als seine Füße vor einen nobel wirkenden Laden hielten, welcher an der großen dunklen Tür gleich von vier Sicherheitsmännern bewacht wurde. Über ihnen das große Logo des Lokals “Arc♥ Angel“ , welches erst um 21:00 Uhr erleuchtete, sobald sich die Pforten offiziell öffneten.
 

Wie ein altbekannter Kumpel gesellte sich der junge Mann zu einer der beiden Fraktionen und betrachtete das Logo. Schon unzählige Male stand der Musiker an jener Stelle und blickte aus diesem Winkel zu seinem Engel hinauf, welcher rücklings mit Pfeil und Bogen vor dem Schriftzug schwebte, und ein ihm unbekanntes Ziel fixierte. Ob Yasu es für gut befand, konnte er nicht direkt sagen, aber insgeheim wiederholte sich sein innigster Wunsch ein jedes Mal, beim Betrachten des kleinen Amors.
 

Sein Pfeil sollte eines Tages seinen Mr. Right treffen und zu ihm bringen – so absurd und albern dieser Wunsch auch war, in Verbindung mit einem Hostclub betrachtet.
 

Aber Yasu wünschte es sich.
 

Dieser Club war sein zu Hause geworden. Hier bekam er kostenfrei ein Zimmer und war einer der wenigen Glückspilze, die sich solch einen vorteilhaften Luxus erarbeitet hatten in kurzer Zeit. Dementsprechend familiär war der Umgang mit dem ganzen Personal, und dementsprechend banal war der Wunsch, Mr. Right genau hier kennen zu lernen.
 

Wer wusste das denn schon?
 

Fraglich war nur, wie lange er noch bleiben konnte, gehörte er mit ende Zwanzig doch schon längst zum Urgestein in diesem Geschäft, worüber er kurz aufseufzen musste, und anschließend das Augenmerk auf die Security lenkte.
 

„Was machst du denn hier? Musst du etwa arbeiten? Ich dachte ihr tourt?“, merkte man verwundert an und musterte den Jungen durch die schwarze Sonnenbrille.

„Eigentlich hab ich frei…“, kratzte dieser sich am Hinterkopf. „Und wir touren auch nicht, das war nur ein mehrtätiges Festival, ich bin doch schon seit letzter Woche wieder hier. Eigentlich wäre heute Probe gewesen, aber die fällt aus und jetzt will mich der Boss sprechen“, erklärte Yasu, und warf einen Blick auf die Uhr. „Was war gestern mit diesem Kunden gewesen, habt ihr das geklärt?“

Einer der Security nickte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. „Selbstverständlich.“

„So ganz bei Sinnen war der aber auch nicht gewesen“, warf ein zweiter ein, und brachte die anderen drei zum Nicken und Yasu zum fraglichen dreinblicken.

„Schätze mal ‚Magic-Wonderland-Bonbons‘“, klärte man ihn nur kurz angebunden auf, was dem Host allerdings genügte, und er mit leicht geöffneten Mund verstehend nickte.
 

Zwar nahmen einige Hosts hin und wieder etwas ein, aber es waren eher harmlose Drogen – wobei das Wort „harmlos“ in Verbindung mit Drogen vollkommen fehl am Platz war. Aus diesem Grund waren die einzigen Drogen, die Yasu jemals zu sich nahm, Alkohol und Zigaretten. Vielleicht der ein oder andere Joint oder eine Runde Shisha blubbern, aber zu Härterem griff der Musiker nicht. Anders war da schon einer seiner Kollegen, der sich regelmäßig mit LSD vollpumpte und an manchen Abenden eine Line nach der nächsten zog. Am nächsten Tag klagte er oft über Nasenbluten, sodass sich Yasu stets darüber wundern musste, das dessen Nase nicht schon beim Anblick des Pulverpäckchens das Bluten anfing.

Drogen gehörten also so gesehen dazu, und auch wenn es absurd erschien, gab es auch hierbei Regelungen. Amphetamine gehörten dazu, und waren verboten, ebenso war Crystal nicht gerne gesehen. Kunden, als auch Hosts, die damit erwischt wurden, wurden sofort des Hauses, und teilweise mit ordentlichen Geldstrafen, verwiesen.
 

Hätte er zu jenem Zeitpunkt geahnt, dass ihm genau dieses Thema bald mehr denn je beschäftigen würde, wäre er eventuell noch wenige Minuten stehen geblieben, um dem Gespräch über genaue Auswirkungen dessen zu lauschen, und sich somit mehr Wissen darüber anzueignen.
 

Vielleicht war es aber auch einfach das Beste, nicht zu wissen, dass man kommenden Donnerstag, kurz nach Sieben, von einer Dachlawine erschlagen wurde.
 

***
 

Während Yasus Füße ihn einige Momente später die Treppen hinauftrugen, die normalerweise an jeder Stufe mit einer orange-roten LED-Leiste erstrahlten, ließ er den Blick über die Räumlichkeiten schweifen, und grüßte den ein oder anderen Kollegen, die sich schon daran machten die Gästezimmer und die beiden großen Gast- und Showräume herzurichten. Zwar war es gerade einmal 17:00 Uhr, aber es gab mitunter sogenannte „Privat-Buchungen“, sowie „Sonderbuchungen“, die je nach Buchungswunsch, schon ab 18:00 Uhr in den Club gelassen wurden. Heute zum Beispiel buchte eine Gruppe junger Mädchen ab 19:00 Uhr den kompletten zweiten Saal, und die Hälfte des Personals gleich mit.
 

Da der Musiker heute frei hatte, war die Enttäuschung darüber, ihn nicht zu diesem Event buchen zu dürfen, bei den Mädchen groß gewesen.
 

Böse war der 28-Jährige darüber allerdings nicht - lieber wäre es ihm dennoch gewesen, dann hätte er nicht nach ganz oben gemusst, weswegen sich das bislang gelassene Gemüt innerlich begann etwas aufzubauschen.

Kleine Wellen der Nervosität schwappten durch die feinen Nervenbahnen des Körpers, der mehr und mehr in Unruhe geriet, je weiter die Füße ihn nach oben trugen.
 

Was könnte der Chef wollen?

Hatte er etwas falsch gemacht?

Einen Gast verärgert?

Unklug gehandelt?

Gefiel ihm seine neue Haarfarbe nicht?

Warf er ihn vielleicht sogar raus, weil er in den letzten Wochen intensiver mit der Band unterwegs war? Dabei hatte Yasu von Beginn an gesagt, dass er die Clubarbeit nur als Nebenverdienst wahrnehmen möchte.
 

Fragen über Fragen, die sich hoffentlich in der nächsten Minute klärten. So kam der angespannte Körper mit einem tiefen Atemzug vor der hölzernen Tür zum Stehen, erhob die Hand, um anzuklopfen, doch just in jener Sekunde öffnete sich diese Schwungvoll und Kenta, der Barkeeper, trat mit ebenso überraschter Mine hervor, wie sie nun auch auf Yasus Zügen lag.
 

Huch?
 

„Was machst du denn hier?“, fragten sich die beiden Männer gegenseitig im selben Atemzug, ehe sie darüber zu Schmunzeln begannen.
 

Kenta zog die Tür heran, deutete mit dem Daumen über seine Schulter hinweg und legte plötzlich eine Mimik auf, die mehr als nur Beachtung aussprach.

„Weißt du noch, mein Apfel Martini den ich so ganz per Zufall entworfen habe?“, schmunzelte er den Jüngeren entgegen, der sogleich davon angesteckt wurde, und nickte. „Wird in die Karte aufgenommen, er fand ihn gut“, hibbelte er nun auf und ab, legte beide Hände an Yasus Oberarme und schüttelte dessen Körper ein-, zweimal vor Aufregung und Freude, was den Host nur aufglucksen ließ.
 

Kenta war schwer in Ordnung, und zum Leidwesen manches Kunden tatsächlich einfach nur „der Typ hinter der Bar“, der sich nicht festlegen wollte, ob er lieber eine Frau oder einen Mann an seiner Seite haben wollte. Mit ganz viel Glück konnte der ein oder andere den 31-Jährigen nach Ladenschluss in den frühen Morgenstunden mit nach Hause nehmen – oder aber er nahm den ein oder anderen mit auf sein Zimmer. Das passierte allerdings selten, und wenn, dann unentgeltlich.
 

„Was, echt jetzt?“

Yasu war erstaunt, freute sich aber für seinen Kollegen, und mittlerweile guten Freund, der nur erneut an seinen Schultern herumwackelte und vor ihm herumtänzelte.

„Ohne Scheiß, man. Er’s gut drauf zur Zeit. Seitdem wir das Konzept etwas geändert haben läuft der Schuppen hier noch besser, als die Jahre zuvor. Ich möchte meinen geilen Arsch darauf verwetten, dass der mir nur ´n Vogel gezeigt hätte heute vor einem Jahr, wäre ich da mit meinem blöden Martini angetanzt. Aber jetzt? Ich musste nicht einmal was sagen, verstehst du?“

Kenta war ganz außer sich vor Freude und steckte Yasu regelrecht mit seinem breiten Grinsen an, als es im selbigen Moment aus dem Zimmer hinter ihnen unruhig wurde, und die tiefe Stimme des Chefs nach Yasu fragte.

Der reckte den Kopf etwas, als könne er durch die angelehnte Tür sehen, und zog für einen kurzen Moment gespannt die Brauen, mit einem Seufzer, in Richtung Haaransatz.
 

„Hat er dich herbestellt?“, wollte Kenta mit gesenkter Stimme wissen, woraufhin der Gefragte kurz angebunden nickte und an seinem Piercing zupfte, ehe er mit dem Finger unter der Nase entlangfuhr.

„Hast du dein Zimmer nicht aufgeräumt?“

Die Frage klang so tadelnd ernst, dass Yasus Schmunzeln augenblicklich zurückkam, und er sofort auf das kleine Spiel einging, indem er sich schlagartig und überrascht einleuchtend an die Stirn griff. Selbst die Augen schloss er für einen Moment so hoch theatralisch, dass es nun Kenta war, der sich fragte wie viel Ernsthaftigkeit wirklich dahintersteckte.
 

„Mist“, stieß Yasu aus. „Du hast Recht. Ich habe mein Bett heute Morgen nicht gemacht, und auch nicht Staubgewischt. Das wird’s sein.“ Ein dumpfes Geräusch erhellte Kentas Ohren, als sich sein Kollege die flache Hand an die Stirn klatschte, erst dann musste er verhalten über die Schauspielkünste des Jüngeren auflachen und klopfte ihn auf die Schulter.
 

„Yasu-san, bist du das?“

Die Stimme des Clubbesitzers schlich sich erhaben, aber freundlich durch die Gehörgänge der beiden Männer, welche sich, nach einem weiteren stummen Blickaustausch, vorerst voneinander verabschiedeten, ehe der Host schließlich das Zimmer betrat und die Tür hinter sich zuzog. Sogleich kontrollierte der Chef die Uhrzeit, und bekam erst dann eine höfliche Verneigung seines Angestellten, als dieser etwas näherkam, und sein Blick auf dessen Wesen ruhte.
 

„Sie wollten mich sprechen?“

Höflich, aber nicht zögerlich oder zu zurückhaltend kam die Frage des Jüngeren, dem im nächsten Moment mit einer stummen Handgeste der Platz auf dem Stuhl vor dem großen Schreibtisch angeboten wurde.
 

Der hatte auch schon bessere Zeiten gesehen und wirkte, entgegengesetzt zum Club, alles andere als edel. Er war alt und abgenutzt, richtig spärlich, und hatte weiß Gott seine besten Zeiten schon hinter sich, sodass sich Yasu immer wieder fragte, was für eine Bedeutung wohl dahintersteckte. Denn wenn es um den Club ging, dann geizte der Chef nicht herum. Nur schien der Club für diesen ringsum um sein Büro zu existieren, denn dieses spiegelte absolut nicht das wieder, was man von außen und von den Räumlichkeiten des Anwesens kannte und gar schon erwartete.
 

Nein, ganz und gar nicht.
 

Während alles edel und auf den neuesten Stand war, war das Büro in die Jahre gekommen und erzählte fast schon ganz nostalgische Geschichten, die, sobald man sich setzte, eine stoische Ruhe auf den Körper ausstrahlten, sodass Yasus Herz schlagartig sehr viel weniger klopfte.
 

„Ganz Recht.“

Der ältere, gut gekleidete Mann, lehnte sich in seinem Bürosessel zurück und legte die Fingerkuppen aneinander, über welche das dunkle Augenpaar hinweg auf seinen Gegenüber blickte. „Du hast eine private 12 Stunden Buchung bekommen. All inclusive. Dein Kunde wird gegen 20:00 Uhr hier sein, also möchte ich, dass du die Suite herrichtest und dich um das Essen kümmerst. Der Gast wünscht keinen Zimmerservice und hat ausdrücklich verlangt, von seinem Gastgeber bewirtet zu werden.“

Die linke Hand schweifte flach in einer Halbbewegung über den Tisch, um anzudeuten, dass Yasu sich um alles zu kümmern hatte, der etwas baff über so eine Buchung schien, dann aber zögerlich nickte.
 

Eine private 12 Stunden Buchung setzte natürlich freie Tage außer Kraft.
 

Auf Wiedersehen Käse-Flips, Cola und PS4 …
 

***
 

Es passierte höchst selten, dass ein Kunde keinen Zimmerservice wünschte, wenn er die Suite buchte, aber … der Kunde war König. Und anscheinend auch stinkreich, was Yasu dann doch für einen Moment verunsichert dreinblicken ließ. Immerhin kannte er die Preise für solch eine Nacht, und bekam deswegen leichte Magenschmerzen.
 

Etwa ein alter Sack?

Mit Falten an den Falten?
 

Igitt!
 

Dann würde er sich noch eine kleine Helferpille besorgen müssen für die kommende Nacht, denn selbst er konnte nicht einfach so auf Knopfdruck mit jedem ins Bett - zumal das auch gar nicht jede Nacht oder jeden Abend vorkam – geschweige denn jede Woche. Seine letzte Privatbuchung lag über vier Wochen zurück. Seitdem war er nur unten im Club, und sorgte für Unterhaltung bei den Gästen - was meist doch der angenehmere Teil seines Nebenjobs war. Da konnte ihm egal sein, wie die Gäste aussahen. Mehr als flüchtigen Körperkontakt, ein paar Flirts, Wunschnachkommen und die Kunst des Schauspiels jemanden das Gefühl zu geben, er sei etwas ganz Besonderes und ihn einfach gut zu unterhalten mit kleinen Showeinlagen, gab es dabei nicht.
 

Wobei er zugeben musste, dass seine letzte Privatbuchung nun auch nicht ganz so abscheulich war, weswegen er hoffte, dass auch die Heutige ganz ohne Nachhelfen vonstattengehen würde, und-
 

„Hier.“

Der Chef reichte ihm einen Zettel, mit den wichtigsten Eckdaten der Buchung. „Harukaze Masao, 1980 geboren in Kyóto und jetzt die rechte Hand eines angesehenen Dienstleistungsunternehmens Osakas. Ich nehme an, er ist kein Kind von Traurigkeit, also sei höflich und zuvorkommend, er zahlt wirklich eine Menge“, klärte er Yasu auf, der nur immer überraschter dreinblickte, und dann fast einen Schock bekam beim Betrachten der Summe.
 

Da stockte einem ja der Atem!
 

„Beachtlich, nicht wahr?“

Der Chef fuhr sich leger durch das brünett gegelte Haar und stützte sich anschließend mit den Ellenbogen auf dem rustikalen Tisch ab. „Dennoch bekommst du bei seiner Ankunft Takano-san an die Seite gestellt. Sobald dein Gast sich ausgewiesen hat und alles okay ist, wird er dich dann alleine mit ihm hochgehen lassen. Sollte etwas Vorfallen, dann weißt du was zu tun ist, ja? Außerdem wird Watanabe-san heute Nacht oben in den Fluren sein. Laut Mamiya klang der Herr allerdings sehr seriös, und wenn Mamiya das sagt, lege ich schon seit Jahren etwas Wert auf ihre Worte.“
 

Unglaublich aber wahr – so sprach der Chef von seiner Frau – der einzig weiblichen Angestellten des Hauses, welche für die Buchungen zuständig war.
 

Yasu nickte mit fest aufeinander gepressten Lippen und fuhr mit der Fingerkuppe des Zeigefingers über die, auf dem Papier, tonnenschwere Summe. Als könne er sie fühlen. Als würden daraus augenblicklich Geldscheine gedeihen.

Dabei war er einfach nur so fasziniert davon, wie jemand, der rechnerisch gerade einmal fünf Jahre älter war, nur so viel Geld haben konnte, um es für eine einzige Nacht einfach mal für einen wildfremden Menschen, mal ganz herablassend betrachtet, beim Fenster rauszuwerfen.
 

Immer noch unglaublich.
 

„Wenn alles klar ist, dann würde ich vorschlagen, dass du dich an die Arbeit machst und wünsche dir eine angenehme Nacht.“
 

Mit diesen Worten verließ der junge Musiker das Büro des Chefs, und starrte noch immer wie gebannt auf die beachtliche Summe. Nicht dass sie plötzlich schrumpfte, oder er ausversehen das Komma an der falschen Stelle erblickte. Auch das Währungszeichen scannten die Augen immer wieder neu, aber es war und blieb das Yen-Zeichen. Selbst den Zettel drehte er ein paar Male in seinen Händen, als tauche ein großer dicker Haken auf, der ihn erschlug, aber … nichts.
 

Kein Haken.
 

Kein Haken, keine Dampfwalze, kein Dampfer oder Bus – nichts. Absolut nichts, was ihn auf irgendeine Art und Weise wie eine Flunder Mutter Erde gleichmachte.
 

Keine extravaganten und unlösbaren Sonderwünsche - und zu allem Überfluss, auch leider kein Foto.

So musste sich Yasu noch etwas gedulden, und was half besser gegen Ungeduld, als Arbeit? So machte er sich daran die Suite, wie gewünscht, herzurichten, und runzelte dabei nach und nach doch etwas die Stirn.
 

Was für eine Art Mensch steckte hinter solchen Wünschen?
 

Der Mann wollte drei Kerzen auf dem Nachttisch haben, sowie fünf auf dem Fenstersims, und wenn vorhanden, noch drei weitere auf einen beliebigen Schrank im Zimmer.

Es mussten Teelichter sein, die sich in hübschen Windschutzgläsern entzünden sollten.
 

Gut, das verstand Yasu nicht so ganz, der sich zudem fragte, was genau ‚hübsch‘ für diesen reichen Schnösel bedeutete.
 

Des Weiteren wünschte dieser eine Nackenrolle in U-Form, und einen Fleece Bademantel in weiß. Japanisches Badesalz für die Wanne, die bitte gegen neun mit Wasser eingelassen werden sollte, und wenn möglich, begrüßte er ein Fläschchen japanisches Massageöl mit Vanillenote.
 

Bislang alles kein Problem.
 

Zum Abendessen wünschte der Herr sich ganz klassisches Sushi, wobei eine genaue Bestelladresse beistand, und die Anmerkung, dass neben Wasser, die Orderung eines guten Getränks nicht in Yasus Aufgaben lag. Allerdings sollte er noch sicherstellen, dass eine Musikanlage vorhanden war, die Musik von einem USB-Stick wiedergab – wäre das nicht der Fall, so sollte er sich darum bemühen, das Album ‚Symphony of Lights‘ von dem Berliner Künstler ‚The Dark Tenor‘ zu besorgen.
 

Wer auch immer das sein sollte … laut Google jedenfalls erschien das Album im Oktober 2014.
 

Nun, zugegeben, etwas extravagant war das schon, allerdings für die Summe noch total untertrieben, weswegen Yasu, nach der Abarbeitung der Liste, erneut den Zettel drehte und wendete, ja, sogar den Fußboden absuchte, ob er einen Zusatzzettel mit weiteren Anmerkungen verloren hatte - aber es schien tatsächlich alles zu sein. Er kam nicht umher diesbezüglich stutzig zu werden, glaubte er doch wirklich, dass da noch sehr viel mehr sein müsste, in Anbetracht der Summe, ehe sein Blick prüfend durch die Suite schweifte und schließlich für sich nickte.

Das durfte zu diesem Zeitpunkt alles gewesen sein, und so verließ er die Räumlichkeit, um sich auf den Weg in ein Hinterhaus zu begeben, wo die Privatzimmer einiger Mitarbeiter lagen. So auch Yasus Zimmer, auf dessen Bett schon seine Flips, die Cola und die noch nicht angeschlossene PS4 warteten. Dabei freute er sich schon seit letzter Woche darauf, endlich einen Abend mal nichts zu tun und sich ganz ohne Sinn und Verstand der virtuellen Welt des Battlefield Hardline zu widmen.
 

Aber Pustekuchen.
 

Er konnte das traurige Bild einer netten Beschäftigung nur beweinen, ehe er schließlich wehmütig unter die Dusche stieg, um sich fertig zu machen. Doch genau da drehte sein Hirn gerne amerikanische Filme mit ihm, sodass er beim einmassieren des Shampoos in die Haare, gebannt die Fließen vor seiner Nase anstarrte, und nicht bemerkte, wie sich eine weiße Schaumschnecke über seine Stirn schlich.
 

Wahrscheinlich war dieser Harukaze so Grotten hässlich, dass ihn niemand wollte, und musste notgedrungen mit so einer Summe arbeiten, um endlich mal einen abzubekommen? Oder noch viel schlimmer – der brachte eine Kamera mit, und verlangte einen Pornodreh von Yasu!

Das Abartigste was sein Hirn allerdings projizierte, war eine Szene, mit einem stinkreichen, Bärtigen alten Sack, der Falten über Falten auf den Körper verzeichnete, und ihm beim Dreh des Films mit einer Peitsche ganz absurde Dinge abverlangte.
 

Dem Musiker wurde ganz schlecht, und je mehr er darüber nachdachte, umso schlimmer wurde die ganze Szenerie in seinem Kopf, sodass er sich ganz ernsthaft die Fragen stellte, ob das überhaupt noch tragbar war was er hier tat.
 

Geld hin oder her, aber das war definitiv erniedrigend.

Das musste er sich nicht antun!
 

Andererseits würde er dann auf der Straße landen, denn der Wohnungsmarkt in Osaka war leider nicht durch den Gang eines Kleiderschrankes ins Narnia gepflastert, wo er hätte leben können. Auch bei einen seiner Bandkollegen wäre kein Platz auf Dauer, und zu seinen Eltern …
 

Nein.
 

Schnell versuchte der junge Mann all die Gedankengänge, und die Schaumschnecke, fortzuspülen, konnte sich aber nicht so recht entscheiden, inwieweit hübsch er sich herrichten sollte. Er fand es viel zu schade für einen aufgeblasenen Taugenichts Make-Up und Haarspray zu verschwenden, auf der anderen Seite leuchtete der Geldbetrag immer wieder vor seinem inneren Auge auf, und machte ihn deutlich, dass das hier nicht zum Vergnügen gehörte. Manchmal hatte der Musiker damit ein Problem, welches überwunden werden musste, also begann er dieses zu lösen, indem er sich, nach sorgfältiger Auswahl seiner Abendgarderobe, doch dezent schminkte und stylte.
 

Da lobte er sich den älteren Bruder, welcher als Make-Up Artist tätig war, und ihn und seiner Band immer zur Seite stand. So war es ein Leichtes eine gute Grundierung aufzulegen, und sich so zu schminken, dass es wie eine zweite Haut auflag.
 

„Natura-Photoshop“, sagte sein großer Bruder immer dazu.
 

Dieser Gedanke ließ ihn lächeln und einen Moment völlig vergessen, wo er war und wer er war. Denn Masahito, sein großer Bruder, war Yasus ein und alles. Er war auch der einzige Mensch in seinem Leben, der so ziemlich alles von ihm wusste, und ihn dennoch mit Stolz als seinen Bruder ansah.

Er wusste, dass er hier lebte und arbeitete. Er wusste, wie es Yasu wirklich ging, der sich zwar nicht groß beschwerte, aber einfach noch eine Kleinigkeit zu seinem persönlichen Glück brauchte, um zufrieden zu sein.
 

Außerdem zeugte der in der Familie wahrlich die schönsten Neffen. Blieb nur zu hoffen, dass die kommende Nichte auch so ein Augenschmaus werden würde.
 

***
 

Die restliche Zeit, die ihm noch bis zur Ankunft seines Gastes verblieb, wollte er bei Kenta an der Bar verbringen. Einerseits, um sich etwas mit ihm zu unterhalten, andererseits, um sich schon einmal etwas Mut anzutrinken. Mut vor den Unbekannten. Eigentlich sollte er etwas abgehärteter sein was das betraf, denn im dem Grunde war seine ganze Zukunft und jeder Tag ein Mysterium.
 

Besonders was seine Musik betraf.
 

Im Moment stand die Band hoch im Kurs, war gut ausgebucht, aber man durfte sich deswegen nicht zurücklehnen und Däumchen drehen. Schon Morgen könnte es mit Ruhm und Ansehen vorbei sein – dessen war sich der junge Mann bewusst, der wohl so einen verlorenen Eindruck auf Kenta machte, dass der ihn sogleich einen seiner Apfel Martinis über den Tresen schob.
 

Etwas irritiert und fragend hob Yasu den Blick, doch brauchte es keine weiteren Worte, und der Ältere winkte zwinkernd ab. „Ich lade dich ein.“
 

Na, wenn das so war.
 

Die Hand umgriff das Glas, hob es an und prostete dem Barkeeper zu, der nickte, einige Gläser polierte, und sich anschließend beim Sortieren der Schnapsflaschen direkt gegenüber, hinter den Tresen, seines zuweilen einzigen Gastes und Kollegen stellte.
 

„Nervös, hm? Wäre ich an deiner Stelle auch, wer weiß schon was das für ein Gollum ist. Am Ende hat er nur ein Auge, hier so, über der Nase, schielt und stinkt nach Altenheim.“

Er machte es einfach mal vor, doch konnte der Jüngere den Witz nicht so Recht weglächeln, und tippte sich stattdessen selbst an die Stirn.

„Die Viecher heißen Zyklop. Und ich bin mir gerade ernsthaft unsicher, ob man mit nur einem Auge schielen kann.“ Wobei ihm gerade auffiel, dass es schier unmöglich war, dass der Kunde nach Altenheim roch. Der war 33 Jahre alt, also hatte der auch keine alten, labbrigen Falten!
 

Der war kein alter Sack!

Aber alle anderen abartigen Optionen blieben offen.
 

„Klar man. Nach oben, nach unten, nach links, nach rechts – jeder kann schielen, egal wie viele Augen er hat.“
 

Jetzt musste Yasu doch auflachen, allerdings zeitgleich den Kopf schütteln und seufzen. „Unterhalten wir uns gerade ernsthaft über Dinge, die mit der Lage der Nation gar nichts zu tun haben?“

„Lage der Nation?“ Diesmal lag es an Kenta die Stirn belustigt in Falten zu legen. „Soooo angesehen bist du nun auch nicht, dass sich dein Gemütszustand auf das ganze Land ausbreiten würde, bleib mal am Teppich, und sei nicht Teppich, du Mausezähnchen.“

„Bitte was?“

„Ja, ja“, nickte Kenta kräftig. „Ein Mausezähnchen bist du.“

„Was bitte soll das sein?“

„Meine Güte …“, seufzte der Barkeeper augenrollend, „ der Junge hat keine Ahnung vom Schielen und Häkeln, aber vom Tuten und Blasen oder wie?“ Mit völlig überheblicher Schauspielkunst, sah Kenta Yasu mit erhobenen Brauen an, als wolle er ihn dazu bringen noch einmal genauer darüber nachzudenken, um sich nicht zu blamieren. Doch der Musiker schien nun wahrlich irritiert und blickte den Barkeeper abwartend an, der sich Daumen und Zeigefinger an das Nasenbein hielt, die Augen schloss und schwer aufseufzte.

„Tze … mein Gott, Jungchen, was soll nur aus dir werden“, stieß er weinerlich aus. „Was habe ich nur falsch gemacht? Ich hätte dich in einen Hauswirtschaftskurs schicken sollen, und nicht auf die Musikschule. Ich sollte ein ernsthaftes Wort mit deiner Mutter reden, so geht das nicht weiter.“
 

Welch ein Schauspiel, es konnte nur belacht werden.
 

„Alter, dir bekommt wohl die neue Getränkekarte nicht, oder was?“, feixte Yasu, hob den Hintern vom Hocker und beugte sich so weit nach vorn, dass er Kenta über den Tresen hinweg einen kumpelhaften Stoß gegen die Schulter geben konnte. „Ehrlich jetzt, ich habe noch nie im Leben das Wort ‚Mausezähnchen‘ gehört. Was soll das sein? Ein Kosename? Oder hast du das eben erfunden?“
 

Die Streichmusik des berühmten Geiger David Garrett spielte in jenem Augenblick ein, mit dem Stück Clementi Sonatina, welches Yasu sehr mochte, obwohl er eher zur Metallfraktion gehörte, und ließ sich damit wieder auf seinem Hosenboden sinken. Im vergangenen Jahr war er mit Masahito auf einem Konzert des Geigers. Anfangs war er nicht sehr davon angetan, doch bei diesem Song hatte der Künstler ihn schließlich abgeholt.
 

Das Glas an die Lippen geführt und den Barkeeper noch einen sehr fragwürdigen, aber auch belustigten Blick geschenkt, stockte er beim Vorhaben sich einen weiteren Schluck des herben Getränks zu gönnen, als eine wirklich angenehme, aber bis dato fremde Stimme den Gehörgang streifte.
 

„Mausezähnchen ist ein gezähntes Muster an der Kante einer Häkelei.“
 

Es klang so unnahbar und ruhig, dass sich der Körper kaum getraute eine Bewegung auszuführen. Erst als sich Takano-san im seitlichen Sichtfeld des Musikers abzeichnete, wagte der es sich zu bewegen, und wandte den Blick zu ihm.
 

Allerdings war es nicht dieser gewesen, welcher die Aufklärung verlauten ließ.
 

„Yasu-san, dein Gast ist soeben eingetroffen.“

Mit einem Fingerzeig deutete er auf einen jungen Mann, welcher mit angemessenen Abstand stehen blieb, und den Host nun auffällig, dennoch unaufdringlich, musterte und ein charmantes Lächeln aufsetzte, sobald dieser sich ihm zuwandte.
 

„Verzeihung, ich bin etwas früher, es ist also völlig in Ordnung, wenn Sie ihr Getränk noch in Ruhe genießen möchten.“
 

In einem Comic wäre das der Moment, wo dem Protagonisten meist die Kinnlade auf den Boden fiel und die Augen übertrieben groß aus ihren Höhlen traten. Aber Yasu hatte Glück. Sein Körper deformierte sich in keiner Weise beim Anblick des wohl schönsten Mannes, der ihm seit Langem vor die Linse lief.
 

Ja, wirklich, es war wie ein angenehmes Klavierstück, welches der Seele in ruhigen Zeiten zu Gute kam, als das Augenpaar den Gast vom Scheitel bis zur Sohle regelrecht abscannte, um nach Fehlern zu suchen.
 

Tiefschwarzes Haar, definierte Gesichtszüge, ein seidenglattes Hautbild, glasklare Augen, fein geschwungene Lippen und eine wahrlich beneidenswerte Körperhaltung, in einem, sicherlich sehr teurem, dunklen Anzug. Die drei geöffneten Hemdknöpfe an der oberen Knopfleiste schienen das perfekte Bild eines seriösen Mannes zerstören zu wollen, doch in Yasus Augen war genau das schon, im wahrsten Sinne des Wortes, ein erster Einblick auf den wahren Charakter.
 

Was für ein wunderschöner Mann …
 

„Du … bist …“

Wow!

Er verschlug Yasu regelrecht die Sprache.
 

„Harukaze Masao, freut mich. Ist es denn okay, wenn wir uns duzen?“ Er reichte ihm die Hand, verneigte sich sogar, dabei war das Yasus Aufgabe, der augenblicklich, wie von der Tarantel gestochen vom Barhocker rutschte, und versuchte seine Begrüßungsfloskeln alle auf einmal abzuarbeiten - sich dabei allerdings total verhedderte.
 

Sowohl mit dem Körper, als auch mit der Zunge.
 

„Oh Gott, es tut mir leid, eigentlich hättest du – SIE! … Sie … eigentlich hätten Sie mir das Du anbieten müssen, und ich hätte Sie auch gerne angemessen in Empfang genommen, ich wusste nicht-“
 

Masao lachte verhalten auf.

„Locker bleiben, wir sind schließlich nicht auf dem Wiener Kongress“, zwinkerte er kess.
 

Das nicht, aber wir waren höchstwahrscheinlich Milliardenschwer!
 

„Wooow.“ Ein Pfiff ertönte. „Mein lieber Scholli, ganz ehrlich“, lehnte sich Kenta völlig angetan über den Tresen und warf sein Wischtuch über die linke Schulter. „Wir dachten schon da kommt so ein richtig alter, hässlicher Zyklop. Weißt schon, diese Wesen aus der griechischen Mythologie. Yasu wollte sich gerade noch `n bisschen Mut antrinken, um die Nacht zu überstehen, aber da gibt’s ja gar nichts zu überstehen.“ Er musterte Yasus Gast ganz offensichtlich angetan - dem fielen nun aber beinahe die Auge aus den Höhlen, als Kenta mal wieder so mir nichts dir nichts, locker vom Hocker, einfach das sagte, was sein Hirn so dachte!
 

War der nicht mehr ganz bei Trost!?
 

„Kenta!“, fauchte der Jüngere deswegen mit ganz eindeutiger Gestik und Mimik, was Masao allerdings amüsiert und weich auflachen ließ.
 

So, so. Ein hässlicher Zyklop also.

Masao besaß zum Glück so viel Selbstbewusstsein, dass er darüber locker hinwegsehen konnte, und nicht einmal Ansatzweise darüber nachdachte, ob er jetzt besser aussah, als solch ein Wesen aus der griechischen Mythologie.

Denn das tat er bei Weitem.

Und Yasu sah wahrhaftig noch viel schöner aus, als auf dem gezeigten Foto, welches er bekam.
 

So ein Mist aber auch.
 

„Was denn? Ist doch wahr, schau ihn dir doch mal an, da kann man ja glatt neidisch werden. Hätten die Griechen ihn als Vorlage genommen, es gäbe nichts Schöneres als Zyklopen“, posaunte der Barkeeper weiter von sich, als sich Masao direkt neben Yasu niederließ und verschmitzt seine Unterlippe zwischen die Zähne zog. Den Blick dabei auf Kenta gerichtet.

„Du kannst gerne mitkommen, so knausrig und verklemmt bin ich nicht“, bot er ihm an, brachte Kenta allerdings sofort verlegen darüber zum Abwinken.
 

Ebenso verlegen über diesen Fehlstart sah Yasu auf die Uhr, die zwanzig vor Acht anzeigte. Wahrlich, noch reichlich Zeit, er hätte nicht gedacht dass Masao schon so dermaßen überpünktlich auftauchte und schickte Takano-san nun weg, bat ihn allerdings noch darum, wenn das Sushi käme, es bitte in den Kühlschrank der Suite zu bringen.
 

Er hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass die Lieferung Viertel vor Acht kam.
 

„Was trinkst du da?“, wollte Masao neugierig wissen und nickte auf den Cocktail, ehe er seinen Gastgeber fragend ansah. „Darf ich kurz?“

Anscheinend wollte er daran schnuppern, also nickte Yasu und hätte auch kein Problem damit gehabt, hätte der andere seine schön geschwungenen Lippen an das Glas gelegt, um daran zu nippen.

„Martini im vorgekühltem Glas, gerührt. Nicht schlecht“, stellte der Gast fest und erweckte den Anschein von der höheren Klasse zu kommen, die auf viele Kleinigkeiten achtete. Ganz bestimmt hatte er auch darauf geachtet, dass seine Unterwäsche mit seinem Anzug harmonierte – auch wenn man diese gar nicht sah.
 

Noch nicht jedenfalls …
 

„Wollen sie einen?“, erfragte Kenta Masaos Absichten, welcher an dem Getränk roch, und es anschließend zurückstellte.

„Eine interessante Mischung von Wermut und Apfel. Gerne. Es sei denn sie verkaufen das nicht an Zyklopen, ich habe meinen Stammbaum leider nicht dabei, um diesen Ursprung auch wirklich zu 100% auszuschließen.“

Kenta war erstaunt und auch Yasu musste zugeben, dass dieser Mann ihn gerade fesselte. Doch Kentas herzhaftes Lachen durchbrach das Schwelgen des Hosts.
 

„Und sie waren so vernünftig einen Haushaltskurs zu besuchen, ja? Soviel ich weiß sind Zyklopen da nicht zugelassen“, scherzte der Keeper beim Mixen seines Cocktails weiter, was unter stetiger Beobachtung des Gastes geschah, der einen Arm auf den Tresen legte, und sich amüsiert auflachend mit der Zunge über die feingeschwungenen Lippen fuhr, sowie den Kopf schüttelte. Ein ebenso amüsierter Laut brachte seinen Witz zum Ausdruck, dann zog er sein Handy hervor und drehte es in der Hand nach links und rechts präsentierend.

„Gewiss nicht, aber ich weiß wie Google funktioniert. Im Übrigen … das Du gilt auch für dich, ich schätze du bist keine drei Jahre jünger als ich, wenn nicht sogar genauso alt, also … bitte.“
 

So.

Er sah also nicht nur gut aus und war stinkreich – nein, er sprach sogar die Sprache der unteren Bevölkerung.
 

Fließend!
 

***
 

„Liebes Tagebuch,
 

hätte mich heute über einen Zyklopen gefreut, da sowas nicht

in mein Beuteschema fällt.

Habe leider stinkreichen, gutaussehenden jungen Typen bekommen.

Versuche ihn mir jetzt hässlich zu trinken!
 

in Selbstmitleid zerfließend, Yasu“
 

***
 

„Na dann, Yasu“, hob Masao sein eben bekommenes Glas, und ließ den Host den hitzigen Kloß in seinem Hals schlucken, welcher es ihm gleichtat. „Auf eine schöne Zeit.“
 

Sein Lächeln war berauschend.
 

Wo war bloß der Haken!

Wo war bloß dieser verdammte Haken?!
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2017-06-24T20:34:06+00:00 24.06.2017 22:34
Verdammt Hübsch, steinreich und spricht fliesend die sprache der unteren Bevölkerung. Da kann man sich wirklich fragen wo da der Haken ist.
Storytechnisch wirklich hammer! Mal sehn wie's weiter geht

Von:  Yinyin24
2015-02-13T08:11:11+00:00 13.02.2015 09:11
Also sowas voll geil die Story freue mich auf das nächste Kapitel. :) Klingt sehr aufregend kann's kaum erwarten. Bitte schreib weiter. Lg yinka ♥
Antwort von:  xManja
14.02.2015 10:01
Dankeschön! :D Dann will ich dich mal nicht zu lange warten lassen :3
Von:  Jensha
2015-02-11T19:56:10+00:00 11.02.2015 20:56
Hammer geile und sehr lustiges Kapitel ich hoffe es geht so weiter mkt deinem schreibstiel hab ich kein problem und auf die Grammatik achte ich auch nicht so genau.^^
Freu mich auf weiters.
Antwort von:  xManja
14.02.2015 09:59
Oh Dankeschön! :)
Von:  lupina1979
2015-02-09T08:46:41+00:00 09.02.2015 09:46
Wow also echt der Hammer :-) Ich finde den Anfang deiner Geschichte jetzt schon sehr gut bin echt gespannt wie es weiter geht . LG
Antwort von:  xManja
10.02.2015 19:39
Oh vielen dank, das freut mich sehr! :)


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