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Last Desire 12

von

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Zusammenbruch

Beyond und L hatten es sich mit Süßgebäck und Erdbeermarmelade im Kaminzimmer bequem gemacht, wo bereits ein Feuer brannte, da die Temperatur draußen noch weiter heruntergefallen war und eine Eiseskälte herrschte. Sie waren fast alleine. Liam hatte sich Dathan geschnappt, um ihm erst mal vernünftig Unterricht zu geben und Nastasja war im Krankenhaus, um Watari zu besuchen. Ezra lag krank im Bett und hatte Sheol bei sich, der ihm Gesellschaft leistete. Und Lacie und Frederica bereiteten gemeinsam das Essen vor und schienen sich wunderbar zu verstehen. Elion war noch nicht aufgewacht und sie wussten, dass es vielleicht noch eine ganze Weile dauern würde, bis sich etwas daran änderte. „Hast du schon etwas gefunden?“ fragte L nach einer Weile, nachdem sie nicht viel gesagt hatten. Wortlos holte der Serienmörder einen kleinen Bogen Papier hervor, wo er alle Adressen ausgedruckt hatte, die eventuell das gesuchte Institut sein könnten. „Das alte, in dem Joseph Brown bereits vor über 27 Jahren geforscht hatte, existiert nicht mehr. Es ist aus unerklärlichen Gründen zusammengestürzt, nachdem es angeblich ein Erdbeben gegeben hat. Und irgendjemand hat sich auch wirklich Mühe gegeben, sämtliche Informationen zu verschleiern. Aber eines dieser Gebäude muss es höchstwahrscheinlich sein.“ L nahm sich den Bogen und begann selbst die Seiten durchzusehen. Nun, im Großen und Ganzen waren es dieselben Gebäude, die sich auch L herausgesucht hatte. Schließlich breitete er einen Stadtplan aus und begann nun die Punkte farbig zu markieren, die sie herausgesucht hatten. Es galt, gut abzuwägen, welches Gebäude am besten dafür in Frage kommen sollte. „Es muss ja nicht unbedingt ein Riesenkomplex ähnlich wie ein Verwaltungsgebäude sein“, sagte Beyond schließlich, dem noch etwas eingefallen war. „Es wäre doch viel klüger, wenn sie es vielleicht als eine Art Fabrik tarnen. So fällt niemandem was auf, keiner würde Fragen stellen wegen der Sicherheitsvorkehrungen und es wäre eine hervorragende Tarnung.“

„Den Gedanken hatte ich auch schon. Demnach müsste sich das Institut in einem Gewerbegebiet außerhalb der Wohngebiete befinden. Also muss es sich um einen der äußeren Stadtbezirke nahe der Themse handeln. Demnach kommen Barking and Dagenham, Havering und Bexley in Betracht.“ Beyond dachte nach und sah sich die Gebäude an, die er für diese Stadtbezirke herausgesucht hatte. „Havering hat hauptsächlich Wohngebiet… also ich würde mehr auf Bexley tippen, näher gesagt auf Crayford. Das ist quasi altes Industriegebiet und es gibt dort einen großen Gebäudekomplex, näher gesagt eine alte Chemiefabrik, die in den 80ern geschlossen und dann verkauft wurde. Sie besteht aus mehreren einzelnen Gebäuden und einem Hauptgebäude. Alles ist mit einer Mauer und mit Stacheldraht gesichert und da kommt man so schnell nicht rein. Außerdem würde es doch keinem auffallen, wenn es in einer alten hochgesicherten Chemiefabrik nicht ganz richtig zugehen würde. Meinst du nicht auch?“ Dem konnte L tatsächlich nicht viel entgegensetzen und er sah sich das mal genauer an. Nach einer Weile nickte er bedächtig und fragte „Wer hat sie gekauft?“ „Ein gewisser Harris T. Marlowe, aber als ich näher nachgesucht habe, fand ich nichts. Offenbar war es ein falscher Name, der benutzt wurde.“ Das machte es umso verdächtiger und so lohnte es sich, da mal näher hinzuschauen. „Beyond, du gehst zu Liam und sagst ihm, er soll sich das mal näher ansehen. Und ich…“ Der Detektiv verstummte kurz, als die Tür geöffnet wurde und Elion hereinkam. Er machte einen etwas orientierungslosen Eindruck und wirkte immer noch irgendwie… anders. „Was gibt’s, Elion?“ Die Augen des Proxys wanderten zu L und ruhten auf ihm. Sein Blick wirkte so tief und unergründlich, dass man das Gefühl hatte, sich vollständig darin zu verlieren. „Ich bin Elohim“, korrigierte er mit dieser Stimme, die Elion zwar ähnlich klang, sich aber dennoch deutlich hörbar unterschied. „Wie jetzt?“ fragte Beyond, der als Erster Worte fand. „Wieso das denn jetzt? Ich dachte, Elion hätte wieder die Oberhand.“

„Ist irgendetwas schief gelaufen?“ fragte L ruhig nach, der bei weitem entspannter blieb als Beyond. Elohim kam nun näher und erklärte es ihnen. „Elion und ich hatten während seiner Schlafphase miteinander gesprochen und er erklärte sich bereit, mir seinen Körper zu überlassen, bis wir unser Ziel erreicht haben. Er war der Ansicht, dass ich weitaus mehr ausrichten kann als er und ich euch besser beschützen kann.“

„Und das geht so einfach?“ hakte der BB-Mörder neugierig nach, wobei er Elohim mit seinen Shinigami-Augen beinahe bohrend ansah. „Nun“, begann Elohim und nahm schließlich auf einem Sessel Platz. „Elion hat sich sehr weit zurückgezogen, damit mir mehr Kraftreserven zur Verfügung stehen. Hätte er mir nicht Platz gemacht, dann hätte ich es wohl eher nicht geschafft, selbst die Kontrolle zu übernehmen. In meiner momentanen Situation bin ich ganz von seinem Willen abhängig.“ Aha, so war das also. Irgendwie sah das Elion ja auch ähnlich, dass er so eine Entscheidung traf. Wenn es dem Wohl seiner Familie und vor allem der erfolgreichen Durchführung ihres Plans diente, dann war er bereit, jedes erdenkliche Opfer zu bringen. Eine wirklich aufopferungsvolle und treue Seele und das wusste auch Elohim, da sagte er auch „Ihr habt einen wirklich treuherzigen Gefährten in eurer Familie. Aber sagt, wie weit seid ihr denn mit eurer Suche?“ „Wir wollten eine alte Fabrik in Crayford unter die Lupe nehmen, die wahrscheinlich das getarnte Institut ist. Aber wir wollen erst einmal sicher gehen und es uns selbst ansehen.“ Elohim nickte und sah sich die Bilder genauer an. „Verstehe“, sagte er schließlich. „Aber es gibt da ein entscheidendes Problem: um zu erkennen, ob euer Freund und meine andere Hälfte sich dort befinden, braucht ihr jemanden, der in der Lage ist, selbst verborgene Präsenzen wahrzunehmen. Liam ist dazu nicht in der Lage und Nivkha kann seine Fähigkeiten noch nicht vollständig kontrollieren. Demnach also wäre es das Beste, wenn ich nachsehen gehen würde. Ihr Menschen wärt sowieso nicht in der Lage dazu und ich kann meine andere Hälfte selbst dann wahrnehmen, wenn sie ihre Präsenz zu verbergen versucht. Allerdings hat die Sache einen entscheidenden Haken.“

„Der Alpha-Proxy ist in der Lage, dich ebenfalls zu finden“, kombinierte L und nickte bedächtig. Ja, so etwas hatte er sich schon so in der Art gedacht. „Und wenn wir uns der Fabrik nähern, werden sie alarmiert sein und dann werden sie verschwinden.“ Ja, das stand zur Befürchtung und da stellte sich die Frage, was sie am besten tun konnten. Auch Elohim dachte nach und bot an, sich etwas zu überlegen, da kam plötzlich Lacie herein, die einen etwas gehetzten Eindruck machte und allem Anschein nach nicht glauben konnte, wen sie da wieder vor sich sah. „Bist… bist du es?“ fragte sie und blieb erst stehen, unsicher, ob sie näher kommen sollte. Aber als sie sich dann sicher war, dass genau jene Person vor ihr stand, von der sie dachte, sie nicht mehr so schnell zu sehen, ging sie auf ihn zu und ergriff seine Hand. Etwas schüchtern senkte sie den Blick und selbst jetzt noch besaß sie diese kühle und unergründliche Schönheit, die ihr etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles verlieh. Sie war gänzlich das Gegenteil zu ihnen allen, denn obwohl sie ihr Herz offen nach außen trug und eine ähnliche ehrliche und unschuldige Art besaß wie Dathan oder Elion, so vermochte man doch nicht, sie zu durchschauen. Elohim erwiderte diese Geste und auch wenn sie sich nicht allzu nah kamen, so merkte man doch diese besondere Verbindung zwischen den beiden. Sie sagten nichts, sondern sahen sich einfach nur an. Mit Augen, die in der Lage waren, hinter der Maske des Äußeren zu sehen. L räusperte sich schließlich. „Ich will nur äußerst ungern eure traute Zweisamkeit unterbrechen, aber wir haben wichtigere Dinge, um die wir uns im Augenblick kümmern sollten.“ Und damit lösten sich die beiden wieder voneinander und wirkten verlegen, dass sie sich von diesem Augenblick hatten mitreißen lassen. „Ja stimmt“, sagte Elohim und setzte sich. „Es ging um die Fabrik, die ihr überprüfen wollt. Nun, ich könnte natürlich versuchen, auf Distanz mein anderes Ich wahrzunehmen, allerdings dürfte auch das nicht einfach werden, weil es sofort erkennen wird, was ich vorhabe, was im Grunde denselben Endeffekt haben dürfte, als wenn ich persönlich gehen würde.“

„Vielleicht… vielleicht kann ich ja helfen“, bot sich ganz überraschend Lacie an, die sich zu Elohim dazugesellt hatte und immer noch seine Hand festhielt. „Zwar erinnere ich mich nicht genau, wie dieses Institut aussieht, aber wenn ich es vielleicht von nahem sehe, kann ich mich womöglich wieder daran erinnern. Und da ich keine Unvergängliche bin, dürfte der Alpha-Proxy zunächst keinen Verdacht schöpfen. Vor allem, weil ich sowieso versucht habe, das Institut zu finden.“ Nun, die Idee war gar nicht mal so schlecht, aber L hatte da trotzdem Bedenken. Der Alpha-Proxy würde mit Sicherheit sofort versuchen, sie zu töten, wenn sie sich in die Nähe des Instituts begab. Immerhin war sie eine Gefahr für ihn. „In dem Falle würde ich dich nur ungern allein gehen lassen. Einer von den anderen sollte dich besser begleiten für den Fall, dass etwas passieren könnte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass du wieder angegriffen wirst.“ Lacie nickte und hatte auch schon eine Idee, wer sie begleiten könnte. „Wenn Frederica mitkommt, dürfte es kein Problem darstellen, oder? Immerhin ist ihre Kraft nicht so stark wie Liams, Elohims und Dathans und da dürfte es weniger Probleme geben.“ Der Vorschlag klang vernünftig und so waren alle Beteiligten einverstanden. Lacie ging direkt los, um Frederica zu sprechen und wurde sogleich von Elohim begleitet. Als sie im Flur standen und die Tür hinter ihnen zufiel, da umarmte er sie und drückte sie fest an sich. „Ich würde dich gerne begleiten“, sagte er und küsste sie. „Es mag nur ein Gefühl sein, aber ich ahne nichts Gutes, wenn du dorthin gehst.“ „Es wird schon gut werden“, beruhigte sie ihn und strich ihm zärtlich durchs Haar. „Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Wenn das alles vorbei ist und du nicht mehr länger in diesem Körper bleiben musst, dann… dann können wir vielleicht ganz in Ruhe von vorne beginnen, ohne uns um solche Dinge Gedanken zu machen. Aber erst einmal solltest du vielleicht dem Jungen erklären, was los ist.“

„Du meinst Ezra?“ Sie nickte und lächelte, wobei ihre Augen wieder etwas sehr Tiefgründiges an sich hatten. Ihr Blick sah fast schon etwas traurig aus. „Solange du noch in Elions Körper bist, können wir uns nicht näher kommen als jetzt in diesem Augenblick. Aber das ist nicht schlimm. Ich kann warten. Ehrlich gesagt habe ich ohnehin schon lange genug gewartet, dich endlich zu sehen. Ich kann ja selber nicht erklären, wieso ich mich ausgerechnet in dich verliebt habe. Irgendwie ist es so, als würde ich dich schon mein ganzes Leben lang kennen, ohne dir jemals begegnet zu sein. Es ist schon verrückt…“ „Ja“, murmelte er und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während er ihr blasses, aber dennoch wunderschönes Gesicht betrachtete. Einen Moment lang standen sie so da, bis sie plötzlich eine heisere Stimme hörten, die sie fragte „Was macht ihr da?“, woraufhin ein ungesund klingendes Husten zu hören war. Es war Ezra, der noch seinen Pyjama trug und alles andere als gesund aussah. Lacie löste sich von Elohim und wandte sich zum Gehen. „Ich werde Frederica suchen gehen.“ Damit sah er ihr nach und einen Moment lang wirkte er sehr abwesend, bis dann Ezra fragte „Was ist denn mit dir los, Elion? Ist etwas?“ Elohim wandte sich nun zu dem Jungen zu und bemerkte, wie jung und klein geraten er war. Er wirkte schon recht niedlich und er konnte nicht anders als zu schmunzeln. So langsam verstand er, was Elion an ihm fand. Er beugte sich zu ihm herunter und sagte mit ruhiger Stimme „Ich glaube, ich muss dir da etwas erklären, Ezra. Weißt du, ich bin nicht Elion. Mein Name ist Elohim.“ Der erkältete 16-jährige musste noch ein paar Male husten, bevor er ein kurzes „Wie jetzt?“ hervorbrachte. „Das kapier ich nicht.“ „Elion und ich wurden in einem Körper geboren. Im Grunde ist das hier mein altes Ich, das in Elions Körper wiedergeboren wurde. Er hat mir seinen Körper überlassen, weil er der Meinung war, ich könne euch besser beschützen.“ Eine Weile starrte Ezra ihn an und es war schwer zu erkennen, was er eigentlich dachte. Aber dann, nachdem er von einem neuen Hustanfall ergriffen wurde, fragte er schließlich „Du warst es doch, der dieses Mädchen da umgenietet hat, das mich umbringen wollte, oder?“

„Ja“, bestätigte er. „Elion bat mich, dich und die anderen zu retten und deshalb habe ich kurzzeitig die Kontrolle übernommen.“ „Aha. Aber… du bleibst jetzt nicht für immer in seinem Körper, oder?“ Es war Sorge in seinem Blick zu sehen und Elohim konnte es dem Jungen auch schwer verübeln. Immerhin hatte dieser Angst, dass er vielleicht seinen geliebten Elion nicht mehr sehen würde. Irgendwie erinnert er mich an meinen Sohn Jamin, dachte Elohim und schmunzelte. „Keine Sorge, es ist nur für kurze Zeit, danach werde ich für immer aus seinem Körper verschwinden. Ich bleibe nur für ein oder zwei Tage in seinem Körper.“

„Wenn Elion damit einverstanden ist, dann ist das so. Aber wehe, du versuchst ihn oder mich zu verarschen. Dann werde ich noch richtig stinkig.“ Elohim gab sein Versprechen und damit wollte er gehen, doch da hielt Ezra ihn noch kurz am Arm fest. „Danke übrigens, dass du mich gerettet hast…“ sagte er tonlos und ging. Nun, vielleicht hatte der Kleine eine etwas ruppige Verhaltensweise, aber er schaffte es trotzdem, Beschützerinstinkte zu wecken. „…“ Elohim hielt kurz inne, denn er war sich sicher, etwas gehört zu haben. Eine Stimme, die er vor sehr langer Zeit gehört hatte oder zumindest geglaubt hatte zu hören. Merkwürdig… wem gehörte diese Stimme? Sie klang irgendwie so anders als jene, die er auf der Welt hörte. Normalerweise war er es, der sie suchte. Aber diese eine Stimme suchte ganz gezielt ihn. „E… im… ich…“ Die Stimme war so schwach und kaum hörbar. Sie war so schwach, dass er noch nicht einmal verstehen konnte, was sie ihm sagen wollte, geschweige denn, dass er sie identifizieren konnte. Er versuchte sich zu konzentrieren, aber da war sie auch schon wieder fort. „Elohim?“ Für einen Moment glaubte er, diese Stimme jetzt viel deutlicher zu hören, als wäre ihr Besitzer direkt vor ihm, aber als er näher hinsah, erkannte er, dass es nur Lacie war. Aber für einen Moment hätte er schwören können, dass diese Stimme ihr gehörte. Wieder schloss sie ihn in den Arm und küsste ihn. „Ich werde mich gleich mit Frederica auf den Weg machen und wollte mich schon mal verabschieden.“ Was ist das nur für ein Gefühl? Schon seit er sie das erste Mal gesehen hatte, war er sich sicher, dass er sie schon so lange kannte. Sie erinnerte ihn einfach an Ain. „Dann pass auf dich auf und geh keine unnötigen Risiken ein. Dasselbe gilt auch für Frederica. Meine andere Hälfte ist gefährlich und unberechenbar.“

„Ich weiß, aber es wird uns schon nichts passieren, keine Sorge.“ Sie gingen gemeinsam runter, wo Frederica bereits auf sie wartete. Sie hatte bereits einen warmen Mantel und einen Schal angezogen. Auch sie wirkte recht optimistisch, aber eine gewisse Nervosität war bei ihr auch nicht ganz zu übersehen. „Also dann“, sagte sie schließlich. „Wollen wir dann mal los?“ Lacie zog nun ebenfalls ihren Mantel an und verabschiedete sich von Elohim und den anderen. Dann gingen sie nach draußen, wo es wieder zu schneien angefangen hatte. Sie gingen zu Lacies Wagen und stiegen sein. Es war fürchterlich kalt und die blonde Engländerin drehte erst einmal die Heizung auf. Der CD-Player sprang an und begann Tschaikowskis „Schwanensee“ zu spielen. „Du scheinst dieses Lied sehr zu mögen“, bemerkte das Albinomädchen, als sie die Musik wiedererkannte. Lacie nickte und fuhr los. „Ja. Irgendwie berührt es mich jedes Mal sehr, wenn ich es höre. Es steckt einfach so viel Tiefe und Anmut darin.“ „Stimmt. Ich kriege da jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich es höre.“ Nachdem das Lied zu Ende gespielt war, begann nun eine bekannte Melodie aus „Der Nussknacker“ zu spielen. Während der Fahrt kamen sie näher ins Gespräch und Frederica erzählte von ihrer Zeit bei Nastasja und den anderen und was sie dort alles erlebt hatte. Auch davon, wie sie sich mit Elion einen Körper geteilt und ihm beigestanden hatte, als er bei Ezra gewesen war. Als Lacie das hörte, sah sie das Albinomädchen verwundert an. „Das war doch sicherlich etwas seltsam, oder?“ „Ja, irgendwie schon. Ich habe ja im Grunde alles mit Elions Augen gesehen und konnte trotzdem nichts tun. Es war schon recht beängstigend, aber ich habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen und ihm beizustehen. Und dank Sariels Opfer habe ich letzten Endes doch noch eine zweite Chance mit meiner Familie bekommen.“

„Und hast du jemanden gefunden, den du liebst?“ Diese Frage überraschte die 445-jährige und sie errötete dabei. „Wie bitte?“ fragte sie und war völlig überrumpelt. „Wie kommst du denn darauf?“

„Na die Tarotkarte, die Madame Arcana dir gelegt hat. Sie stand für die Liebe und da dachte ich, es gäbe da vielleicht jemanden in deinem Leben.“

„Ganz sicher nicht“, beteuerte Frederica und machte abwehrende Handbewegungen. „Ich habe sowieso kaum Zeit, um jemanden kennen zu lernen. Und ich brauche auch niemanden an meiner Seite. Ich bin glücklich so, auch ohne Mann.“ „Das kann sich ja noch ändern“, meinte Lacie und kicherte amüsiert über Fredericas Verhalten. „Die Karten lügen nicht. Vielleicht sagst du jetzt, dass du niemanden brauchst, aber was nicht ist, kann noch werden. So ging der Spruch, wenn ich mich recht entsinne.“

„Ach, ich bin ja nicht die Einzige. Sheol ist ja auch noch alleine und du…“

„Da muss ich dich wohl enttäuschen. Mein Herz habe ich bereits an Elohim verschenkt.“ Nun war die Weißhaarige baff und konnte es nicht glauben. „Du und… Elohim? Ja aber wann…“ „Gestern“, gab Lacie etwas verlegen zu. „Es ist verrückt. Mir war, als hätte ich ihn schon mein ganzes Leben lang gekannt und alles, was ich wollte, war seine Liebe. Ich habe ihn schon geliebt, bevor ich ihn überhaupt gesehen habe.“

„Das ist wirklich romantisch“, seufzte Frederica und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. „Liebe auf dem ersten Blick. Wenn das mal nicht Schicksal ist.“ Nach einer knapp zwanzigminütigen Fahrt hatten sie schließlich Crayford erreicht und steuerten direkt das Industriegebiet an. Da es nicht viele Parkmöglichkeiten gab, stellte Lacie den Wagen ab und sie gingen zu Fuß weiter. Der Wind war noch kühler geworden und sie froren in ihren Mänteln. „Und?“ fragte Frederica, die ihren Strickschal zurechtrückte. „Kannst du dich an etwas erinnern?“ Lacie sah sich um und schüttelte den Kopf. „Nicht so wirklich. Aber wir sind ja auch noch nicht da. Das Institut liegt ungefähr fünf Minuten zu Fuß von hier entfernt und vielleicht kommen meine Erinnerungen dann wieder zurück.“ „Na toll. Ich zittere ja jetzt schon wie Espenlaub.“

„Beim Laufen wird dir gleich warm. Ich habe auch noch Handschuhe, die ich dir leihen kann.“ Damit gab sie dem Albinomädchen weiße Handschuhe. „Ja aber dann hast du doch keine.“

„Schon in Ordnung. Mir ist nicht sonderlich kalt. Na komm, lass uns gehen. Je schneller wir das Institut gefunden haben, desto schneller können wir auch wieder zurück.“ Damit machten sie sich auf den Weg und gingen die Straße entlang. Das Industriegebiet wirkte irgendwie ziemlich verlassen und mit dem grauverhangenen Himmel und dem leichten Schneefall hatte es eine fast gespenstische Kulisse. Es herrschte eine befremdliche Stille hier und irgendwie beschlich Lacie ein seltsames Gefühl, hier zu sein. Irgendwie kam ihr dieser Ort vertraut vor, als wäre sie schon mal hier gewesen. Vor vielen Jahren… Aber das konnte doch gar nicht sein, oder? Sie konnte unmöglich hier gewesen sein. Ein unangenehmer Schmerz machte sich in ihrem Kopf breit und sie fühlte sich schlecht. Und dieser Schmerz verstärkte sich nur, je weiter sie gingen. Es war, als wolle sich ihr ganzer Körper dagegen sträuben, weiterzugehen. Ihr wurde schwindelig und sie hielt sich an Fredericas Arm fest. Das Albinomädchen bemerkte, was los war und fragte „Alles in Ordnung mit dir?“ „Mir… mir ist nur gerade nicht etwas gut“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. „Aber es geht schon.“ Doch dem war nicht so. In Wahrheit fühlte sie sich miserabel und es wuchs zu einer regelrechten Migräne heran. Alles in ihr sträubte sich, weiterzugehen, weil irgendetwas in ihr wusste, dass sie sich nicht erinnern wollte. Aber dennoch musste sie es tun. Allein schon, um den anderen zu helfen. Als sie schließlich um eine Ecke bogen und das Institut fast erreicht hatten, überkam Lacie ein Schwindelanfall. Alles um sie herum begann sich zu drehen und ihr wurde schwarz vor Augen. Sie verlor den Halt unter den Füßen und stürzte, doch Frederica konnte sie noch rechtzeitig auffangen. „Lacie! Hey Lacie!“ Doch die Engländerin nahm ihre Stimme nicht mehr wahr. Als sie die Mauern der ehemaligen Chemiefabrik sah, da sah sie Bilder vor ihren Augen. Bilder von Laboren, Menschen mit Schutzmasken und Kitteln, sie hörte das Geräusch eines EKGs und erinnerte sich an Stimmen. Kalt… es war kalt gewesen. Und sie war ganz allein. Sie erinnerte sich an kalte und sterile Gänge, an Schläuchen in ihren Arm und an Untersuchungen. Und sie erinnerte sich an eine Akte mit einer Bezeichnung. „Projekt AIN SOPH“. Sie hatte die Akte gelesen und ein Foto gesehen. Ihr Foto. Und darunter stand… „Proxy-00 – Klassifizierung: Prototyp“. Lacies Augen weiteten sich. Ihr Herz begann zu rasen und Angst und Entsetzen überkamen sie. Nein… das konnte doch nicht sein. Sie war kein Proxy, insbesondere kein Prototyp. Sie war Lacie Dravis, Alices alte Freundin! Es war doch nicht möglich, dass ihr ganzes Leben…
 

…eine einzige Lüge war?
 

Ja aber… sie erinnerte sich doch genau, dass sie mit Alice zusammen an der Uni gewesen war. Sie waren eng miteinander befreundet gewesen und sie hatte Eltern in Winchester… eine Familie. Es konnte doch nicht sein, dass das alles nie existiert hatte. Sie war kein Proxy, sie war… sie war… ein Mensch? Nein, sie war ja nicht einmal das. Zwar hatte sie gespürt gehabt, dass etwas an ihr anders war, aber dennoch wollte sie einfach nicht wahrhaben, dass ihr ganzes Leben eine einzige Illusion war. Immer mehr Bilder durchfluteten ihren Kopf und Tränen liefen ihre kreidebleichen Wangen hinunter. Sie zitterte am ganzen Körper und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Frederica kniete sich neben sie hin und nahm sie tröstend in den Arm, verstand aber selber nicht, was denn auf einmal los war. Aber dann fragte Lacie „Kannst du… an meinem Hinterkopf nachsehen?“ „Wie?“ Lacies Hand wanderte zu ihrem Hinterkopf und sie zitterte immer noch heftig. „Bitte… sieh an meinem Hinterkopf nach und sag, dass da nichts ist.“ Frederica verstand nicht so wirklich, was das bewirken sollte, kam aber ihrem Wunsch nach. Sie schob vorsichtig Lacies goldblondes Haar beiseite und fand erst nichts, bis sie aber dann doch etwas entdeckte. Es sah aus wie eine Tätowierung. Nun sah sie genauer hin und tatsächlich erkannte sie, dass man auf Lacies Hinterkopf einen Strichcode tätowiert hatte. Und das konnte nur eines bedeuten: Lacie war ein Proxy…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  pri_fairy
2015-01-28T20:42:35+00:00 28.01.2015 21:42
Super Kapitel :)
Oh man die arme Lacie was ein Schock! :(
Ja Frederica soll auch noch glücklich werden später ^^


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