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Love Me or Shut Up

Chris und Ryan Two
von

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Eine zweite Chance

Chris
 

Sie lief eilig und mit strahlend grünen Augen auf mich zu. Ihr Gang war leicht und anmutig wie bei einer Tänzerin. Bei jeder Bewegung wehte ihr langes, haselnussbraunes Harr im warmen Wind. Ihr feiner Sommerrock tanzte um ihre langen Beine. Wie einen Schleier zog sie einen blumigen Duft hinter sich her. Dann war sie so nahe vor mir das ich den verführerischen Glanz ihrer zarten Lippen sehen konnte. Unsere Blicke streiften sich für einen winzigen Augenblick. Und dann war sie auch schon wieder weg. Ich sah ihr nach. Bis sie hinter mir einem Jungen in die Arme fiel und ihn küsste.

"Hey, du starrst das Mädchen schon die ganze Zeit an. Magst du die etwa?"

Ich wand mich ab und schaute zu Lisa hinüber, die sich zu Alex und Michael an einen Tisch auf dem Schulhof setze.

"Ich kenn sie doch gar nicht". Ich setzte mich neben Lisa, die penibel ihr T-Shirt glatt strich. Auf meine Antwort schaute sie mich misstrauisch an.

"Sprich sie doch mal an, Chris!" sagte Alex, während er Lisa neckisch ansah.

"Sie hat einen Freund, sieht man doch", gab Lisa schnippisch zurück.

Ich lächelte erleichtert. In solchen Sachen wie Schule, Freunde und alles was damit zu tun hatte, hatte sich mein Leben kaum verändert. Ich ging Tag für Tag zur Schule und hatte Spaß mit den Drei und all meinen andern Freunden. Mein Leben bekam allmählich wieder seinen alten Ablauf.

Im Gegensatz zu dieser schrecklichen Zeit, die weit hinter mir lag, war jetzt alles relativ normal.

Ich erinnerte mich nicht gerne daran. Ich wollte diese Erinnerungen am liebsten alle miteinander packen und aus meinem Kopf rauswerfen. Der heutige Tag würde genauso verlaufen wie Gestern. Das war zwar manchmal etwas langweilig. Aber ich war froh wie noch nie in meinem Leben. Ich musste mir um kaum etwas Sorgen machen. Jedenfalls musste ich keine Angst mehr haben vor dem was morgen Schreckliches geschehen könnte. Nur ab und zu erinnerte ich mich in Albträumen an die dunklen Zeiten. So wie in der letzten Nacht. Als ich träumte das Ryan mich abwies.
 

“Hey Chris, träumst du?” Lisa gab mir einen kleinen Stoß und sah mich mit großen Augen an. “Hast du mir überhaupt zugehört? Das wird bei dir langsam zur Gewohnheit, oder was?” sagte sie beleidigt. Also sagte ich mal nichts. Das hatte zur Folge, dass außer Lisa, jetzt auch Alex und Michael mich neugierig ansahen und auf eine Antwort warteten.

“Über was denkst du denn die ganze Zeit nach?“ fragte Lisa. “Das muss ja was ganz wichtiges sein, wenn du gar nichts mehr mitbekommst und dauernd vor dich hinträumst”.

“Ich denke an gar nichts”, sagte ich zu meiner Verteidigung.

“Ach, komm schon! Sag es mir!”, drängelte sie und zerrte an meinem Arm. Was ich ganz und gar nicht leiden konnte.

“Ist nicht so wichtig. Wirklich nicht”.

Und plötzlich schien es Lisa satt zu haben das ich ihr nicht antwortete. Sie drehte ruckartig den Kopf weg und verschränkte die Arme vor der Brust.

Alex schüttelte den Kopf und sagte zu Lisa: “Warum ist dir denn so wichtig was er denkt?”

Lisa schaute ihn überrascht an. Aber schon in der nächsten Sekunde hatte sie wieder ihr eingeschnapptes Gesicht aufgesetzt.

“Ist es gar nicht”, sagte sie und rückte ein Stück weg von mir.

Michael steckte sich einen Kaugummi in den Mund und bemerkte kauend: “Das sieht aber gar nicht so aus”.

Lisa schnaubte wie ein wirrendes Pferd. “Was geht’s dich an?”

“Ich mein ja nur…” sagte Michael etwas eingeschüchtert.

“Lass sie! Die ist doch immer so”, sagte Alex.

“Ach was“, zischte Lisa. „Du spinnst ja. Ich darf ja wohl Chris fragen was ich will, oder nicht? Und du weißt genau warum ich ihn das frage.”

Alex Gesichtsausdruck verfinsterte sich. “Jetzt hör aber auf. Nicht die Leier wieder“. Er stand ruckzuck auf. Als er uns den Rücken zuwandte sagte er noch leise: “Das geht mir echt so was von auf die Nerven”.

So seltsam mir es auch vorkam, warum die Drei so einen Aufstand machten, interessierte es mich jetzt doch um was es hier eigentlich ging. “Warum ist er denn so sauer?”, fragte ich vorsichtig.

“Na, weil Lisa ihn damit nervt das sie glaubt du hättest…” Blitzschnell verpasste Lisa ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. “He, was soll das?” protestierte er und hielt sich die Hand an den Kopf.

“Halt die Klappe, Michael!”
 

Nach der Schule ging ich ins Krankenhaus zu Ryan. Den ganzen Tag hatte ich mich darauf gefreut. Als ich begann ihn regelmäßig zu besuchen, dachte ich das wäre eine gute Gelegenheit um ihn besser kennen zu lernen. Wir kannten und zwar fast schon ein halbes Jahr, aber wirklich kennen gelernt hatten wir uns nicht. Und wir stritten uns fast immer wenn wir uns trafen, so kam es mir jedenfalls vor.

Ich kam am Ende des langen Ganges im dritten Stock des Krankenhauses an und klopfte. Niemand öffnete. Nach dem zweiten Klopfen machte ich sie auf und spähte hinein. Es war ordentlich. Das Bett war gemacht, auf einem kleinen Tisch daneben stand ein halbvolles Glas Wasser und eine Flasche. Eine schwarze Jacke hing über dem Stuhl und ein Handy lag auf dem Tisch. Ryan war nicht da. Ich setzte mich an den Tisch, schaute zur Tür und erinnerte mich an den einen Tag vor ein paar Wochen.
 

Es war sein Geburtstag. Damals saß ich in diesem Zimmer und wartete auf Ryan. Nach einer viertel Stunde ging die Tür auf und er kam herein. Noch immer saß er in einem Rollstuhl. Er sah müde aus. Seine Wangen waren leicht gerötet, auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen. Er ignorierte mich.

Dann traute ich mich endlich etwas zu sagen. “Wie geht es dir?”

Er kam an den Tisch gefahren. Hätte ich ihm in sein Bett geholfen, würde er sich wahrscheinlich hinlegen, die Decke über den Kopf ziehen und schweigend warten bis ich genervt ging. Das hatte er das letzte Mal getan. Dass er sich vor mir unter der Decke versteckte und schmollte, fand ich etwas kindisch von ihm. Er wusste, dass wenn er mir einfach sagen würde, dass ich gehen sollte, dann würde ich versuchen ihn umzustimmen. Und dann würde ich bis zum Schluss bleiben und mit ihm reden. Doch mir wurde es auch allmählich zu blöd einfach dazusitzen und los zu plappern, ohne eine Antwort zu bekommen. Es war als würde ich gegen eine Wand reden. So war auch jetzt.

Auf dem Tisch lag eine schwarze Armbanduhr, die mir schon das letzte Mal aufgefallen war, weil sie anscheinend immer hier lag, aber ich hatte sie Ryan nie tragen sehen. Ich nahm sie und schaute sie mir genauer an. “Das ist eine schöne Uhr. Woher hast du die?” Keine Reaktion. “Jessy und Bianca waren letztens mit mir in einem Geschäft gewesen, wo es nur bunte Armbanduhren und solche Sachen gab. Du weißt schon, was die beiden eben mögen. Jedenfalls sind sie fast durchgedreht und wie verrückt durch den ganzen Laden gesprungen und haben alles angeschaut und bei jedem Teil davon geschwärmt wie süß es wäre. Und da war ein Regal voll mit bunten Armbanduhren. Die Zwei haben sich gleich ein paar gekauft. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann wozu man überhaupt eine brauch, wenn man ein Handy hat. Aber Jessy sagte das käme jetzt wieder in Mode und das man von denen mehr als nur eine am Arm tragen muss. Natürlich haben sie noch mehr Krimskrams mitgehen lassen, als nur die Uhren”.

Ich legte die Uhr wieder hin. “Jetzt wo es draußen so schön ist, könnten wir alle malwieder was unternehmen. Die andern vermissen dich. Wenn du hier raus kommst, solltest du mit zu den Mädchen kommen und wir setzen uns zusammen. Bianca plant dass wir alle zusammen mal in einen großen Vergnügungspark gehen. Und dort sogar übers Wochenende bleiben. Sie hat schon ein sehr schönes Hotel gefunden, indem wir bleiben könnten. Sie wollte das Sara und Vincent auch mitkommen, aber die beiden haben zu viel zu tun. Aber wir haben sicher auch ohne die beiden unseren Spaß, nicht wahr? In einen Vergnügungspark zugehen ist doch eine gute Idee von Bianca, nicht wahr?”

Ich wartete auf seine Antwort Er sah auf seine Hände, die er auf die Knie gelegt hatte und bewegte sich nicht. Sein Gesicht war ausdruckslos.

“Wenn die anderen kommen, freuen sie sich bestimmt dich zu sehen. Freust du dich denn kein bisschen das sie dich Heute besuchen kommen? Kannst du nicht versuchen etwas weniger niedergeschlagen auszusehen? Sonst machen sie sich bestimmt gleich wieder Sorgen. Was ist denn heute mit dir, warum du so ein Gesicht machst?"

Plötzlich hob Ryan den Kopf und sah mich mit einem durchdringenden Blick an, dass mir der Atem stockte. Seine Augen waren weit aufgerissen. “Warum…” seine Stimme war leise und bebte leicht. “Warum sagst du so was? Hör auf damit. Ich will es nicht mehr hören”.

Für einen kurzen Augenblick spürte ich seine Trauer, die mir wehtat. Dann wand er sich enttäuscht ab und schaute zu Boden.

Was sollte das eben? Fragte ich mich. Es klang als würde ich ihn nur nerven. Glaubte er dass ich nur aus Spaß hier war?

“Ich will dir doch nur helfen”, sagte ich.

“Das sollst du aber nicht. Du kannst mir nicht helfen. Vergiss es und lass mich in Ruhe!”

“Ich denk nicht dran. Ich…”, weiter kam ich nicht.

Unerwartet stand Ryan aus dem Rollstuhl auf. Er schwankte etwas, aber blieb schließlich ruhig stehen und ging unsicher auf sein Bett zu. Bei jedem Schritt schien er beinahe zusammenzubrechen.

Ich stand schnell auf und wollte ihm helfen, aber bevor ich ihn berühren konnte schrie er: “Bleib weg!” Darauf blieb ich starr stehen, ganz nah neben ihm. Bereit ihn aufzufangen wenn er fiel.

“Ich will nicht das du mir hilfst“, flüsterte er. „Es hat keinen Sinn. Sieh mich an! Ich kann kaum laufen und das wird sich auch nicht ändern“. Er blieb vor dem Bett stehen, ließ sich einfach drauffallen und setzte sich dann gerade hin. “Ich wünschte du hättest mich nicht gerettet”.

Wie ein Schlag traf mich die Erinnerung, daran wie ich Ryan in den Armen hielt und ihn nicht loslassen wollte. Niemand sollte ihm zu nahe kommen. Er war so entsetzlich blass und zerbrechlich gewesen. Über seinem schwachen Körper lief ein Strom aus Blut, das sich langsam um uns herum ausbreitete. Das war damals der schrecklichste Moment in meinem ganzen Leben.

Wie erstarrt stand ich da und konnte es nicht fassen. Wie konnte Ryan mir nur vorhalten das ich ihn beschützen wollte?

Ich ballte die Hände zu Fäusten. In jedem Gespräch das wir bisher in diesem Krankenhaus geführt hatten, sagte er solche gemeinen Sachen zu mir. Er ließ sich einfach nicht aufmuntern. Ich musste ganz anders mit ihm reden. Jetzt war Schluss mit den Samthandschuhen.

“Weißt du was du da sagst? “ Ich machte eine Pause. “Du warst solange ich dich kenne, immer so unglücklich, dass es mir wehtat. Ich wollte dich trösten und dir helfen, weil ich nicht anders konnte. Immerzu habe ich dir gesagt: Ich werde dich beschützen was auch passiert, aber…“.

“Red nicht so einen Blödsinn!“, seine Stimme klang wütend. “Du hast doch keine Ahnung wie es mir geht. Ich will nicht mehr“.

Ohne auf seine Worte zu achten sprach ich weiter: “…aber das war falsch. Ich hab es satt, wie du mich immer anschweigst. Ich kann es langsam nicht mehr mitansehen, wie du dich selbst bemitleidest. Irgendwann erreiche ich auch mal meine Grenze”.

Es herrschte Stille. Ich hätte gedacht, es würde mir viel schwer fallen meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Aber jetzt tobte die Wut die ich solange zurückgehalten, hatte in mir.

“Was glaubst du, warum ich Tag für Tag zu dir komme, obwohl ich das überhaupt nicht muss? Glaubst du es würde mir nichts ausmachen was passiert ist?” Ich merkte kaum dass meine Worte immer lauter wurden. Ich schrie ihn beinahe an. Aber das war mir gerade völlig egal. Wütend stand ich auf. “Kapierst du es nicht? Ich hätte es bitter bereut wenn ich dich im Stich gelassen hätte”. Ich tat einige Schritte auf ihn zu. Nun stand ich ganz nahe vor ihm und sah wie angespannt er dasaß. Die Hände in die Bettdecke verkrallt und den Blick nach unten gerichtet.

“Du sagst, du kannst nicht mehr. Und erzählst mir wie schlecht es dir geht. Hast aber nie versucht etwas daran zu ändern. Du hast gesagt dass ich dich in Ruhe lassen soll und einfach abhauen soll. Aber du kommst alleine nicht zurecht. So hast du schon immer geredet. Und tust es heute immer noch”.

Ryan atmete leise ein. “Es hat doch alles keinen Sinn mehr”. Ich erschreckte selbst vor mir, als ich Ryan fest an den Schultern packte. Ihm schien das egal zu sein.

“Sie mich an!”, befahl ich. Aber er zeigte keine Reaktion. Er vermied es mich anzusehen. Für einen Moment hatte ich wieder Mitgefühl mit ihm. Aber dafür war es jetzt zu spät. Jetzt musste alles gesagt werden.

“Dir wurde von anderen Leuten sehr wehgetan, aber was hindert dich jetzt noch daran, zutun und zulassen was du willst. Es ist niemand mehr da der dir was tut. Wenn du dich schlecht fühlst liegt das nur noch an dir. Es ist niemand da, dem du die Schuld geben kannst”.

Ryan ließ die Decke los und versuchte mich weg zuschubsen. Aber ich ließ ihn nicht los, sondern packte ihn nur noch fester.

“Du begreifst das alles nicht. Du bist immer noch damit beschäftigt, dir die Welt als grausamen und trüben Ort vorzustellen. Damit erreichst du aber rein gar nichts. Es ist einfach nur egoistisch von dir”.

Unerwartet sah mich Ryan, mit seinen schwarzen Augen an, in denen die Tränen glänzten. Er zog die Schultern zusammen und versuchte sich klein zumachen. Mein Griff wurde lockerer.

“Ich habe versucht dich zu verstehen und nachzuvollziehen wie du dich fühlen musst. Aber willst du denn wirklich dein ganzes Leben lang zulassen dass du wegen der Vergangenheit leidest. Soll das dein Leben sein?“ Nach einer kurzen Pause flüstere ich: “Glaubst du Sie hätte das gewollt?”

Er sah erschrocken auf. Tränen liefen ihm über die Wangen. Ich hatte damit gerechnet dass er mich jetzt hassen würde. Dass er mich mit aller Kraft weg schubsen würde. Aber er tat nichts. Er blickte mir nur in die Augen.

Nach unendlich langer Zeit, nahm ich ihn in die Arme und hielt ihn ganz fest. Ich spürte dass er leicht zitterte und sich los machen wollte. Dann, zögernd und ganz sachte, fing er an leise zu schluchzen.

“Es tut mir leid, dass es dir so schlecht geht. Aber mach es bitte nicht noch schlimmer als es ist!” Er vergrub sein Gesicht an meiner Schulter, als ich mich neben ihn setzte. Ich wusste nicht wie lange ich ihn so hielt. Aber ich hätte für eine Ewigkeit so dasitzen können.

Dies war der Tag an dem Ryan beschloss sich zu ändern.
 

Damals erkannte ich dass die Ereignisse der Vergangenheit ihn viel schwerer belasteten als ich dachte. Jetzt schämte ich mich dafür, wie optimistisch ich damals war.

Als Ryan heute zur Tür herein kam, tat er das ohne Rollstuhl. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein leichter Ansatz eines Lächelns. Es war kaum zu erkennen und andere würden es wahrscheinlich nicht bemerken. Aber mit der Zeit kannte ich ihn so gut, dass ich genau wusste, wie er aussah wenn er sich freute.

Ryan schloss die Tür hinter sich und setzte sich mir gegenüber auf den zweiten Stuhl. Sein Gang wirkte sicherer und kräftiger. Vor ein paar Tagen hatte ich ihn zwar noch mit Krücken laufen sehen, aber jetzt schien er sich wieder vollkommen erholt zu haben.

“Wie geht es dir?”, fragte ich voller Freude.

“Gut”.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Marge91
2014-12-14T20:11:22+00:00 14.12.2014 21:11
supi kapi


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