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Last Desire 5

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Die Horrornacht von Norington

Es war stockfinster und als Andrew auf die Uhr schaute, sah er, dass es noch mitten in der Nacht war. Müde rieb er sich die Augen und fragte sich, was ihn denn aufgeweckt hatte, denn normalerweise hatte er einen sehr tiefen Schlaf und wachte für gewöhnlich nachts nicht auf. Schlaftrunken ging er auf den Gang und hörte merkwürdige Geräusche. Was genau war denn da los und was waren das für Geräusche? Instinktiv ging er ins Schlafzimmer seiner Eltern und bemerkte, dass die Tür angelehnt war. Seltsam. Dabei verschlossen sie normalerweise die Tür. „Mama? Papa?“ murmelte er leise und rieb sich wieder die Augen. Keine Antwort, wahrscheinlich schliefen sie gerade. Langsam öffnete er die Tür und schlich sich ins Schlafzimmer. Er sah fast gar nichts in der Dunkelheit, wagte es aber nicht das Licht einzuschalten, da er sie nicht so plötzlich wecken wollte, denn sonst würden sie noch sauer werden. Also blieb er am Bett stehen und sah nur sehr schwach in der Dunkelheit, dass seine Mutter da lag. Sanft rüttelte er sie an der Schulter. „Mama, ich kann nicht schlafen.“ Immer noch keine Reaktion. Wahrscheinlich schlief sie so tief, dass sie sich gar nicht aufwecken ließ. Also beschloss Andrew, einfach zu ihnen ins Bett zu kriechen und für den Rest der Nacht bei ihnen zu bleiben. Er kroch unter die Bettdecke und kuschelte sich bei seinen Eltern ein. Doch sogleich, als er zwischen ihnen lag, da hörte er ein leises Knarren von der Tür her. Leise Schritte waren vom Gang her zu hören und er bekam Angst. Das klang nicht nach den leisen tapsigen Schritten der Waisenkinder, die meist barfuß oder auf Socken liefen. Das war Schuhwerk und es waren schleichende Schritte. Irgendjemand schlich durch das Waisenhaus. Andrew wandte sich ängstlich an seinen Vater und rüttelte ihn an. „Papa, da ist jemand auf dem Flur.“ Doch es kam keine Reaktion. Und als Andrew ihn fester durchrüttelte, da spürte er etwas an seinem Ärmel und an seinen Händen. Irgendetwas Warmes, Flüssiges und leicht Klebriges. Was das wohl war? In der Dunkelheit konnte er nicht viel erkennen, aber so viel stand fest: seine Eltern würden nicht aufwachen, die schliefen zu tief und so wollte er selber nachsehen gehen. Vielleicht… vielleicht war es ja Clara, die wieder mal schlafwandelte. Oder womöglich Jeremiel, der sich nachts immer herumtrieb und dann genauso plötzlich auftauchte, wie er immer verschwand. Konnte ja gut möglich sein, dass er oder Clara diese komischen Geräusche verursachten. Und wenn es Clara war, dann musste man sie wieder ins Bett bringen, bevor sie sich noch irgendwie wehtat oder in Gefahr brachte. Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass man Schlafwandler niemals aufwecken durfte. Man musste sie wieder zu Bett bringen. Vorsichtig schlich Andrew also wieder aus dem Bett und bemerkte, dass dieses komische nasse Zeug an seinen Händen klebte. Am besten ging er ins Bad und wusch sich die Hände. Glücklicherweise lag es nicht weit vom Flur entfernt. Andrew schlich leise dorthin, um die anderen nicht zu wecken und hörte wieder diese merkwürdigen Geräusche, die er nicht genau zuordnen konnte. Was da wohl los war? Na was soll’s. Er wollte gleich wieder ins Bett gehen und schlafen. Als er das Badezimmer betrat und das Licht einschaltete, bemerkte er, dass da Blut am Lichtschalter klebte. Aber… wie kam das Blut denn dorthin? Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn, als er sah, dass er es war! An seinen Händen und an seinen Ärmeln klebte Blut. Angst überkam ihn, als er das viele Blut sah und er hätte beinahe geschrieen, doch er tat es nicht. Er brachte nicht mal dafür die Kraft auf. Wieso nur klebte da so viel Blut an seinen Händen und wo kam es her? Mama, schoss es ihm durch den Kopf und so schnell wie er konnte, rannte der 8-jährige Andrew zurück ins Schlafzimmer seiner Eltern und schaltete das Licht an. „Mama! Papa!“ Er sah sie beide im Bett liegen, in ihrer Brust klafften Löcher und so wie es aussah, waren sie beide schon längst tot. Entsetzt wich Andrew zurück und starrte auf seine Hände. Sie hatten nicht geschlafen… sie waren tot… Aber wieso? Warum waren seine Eltern denn tot? Andrew ergriff die Angst und der rannte zu den Schlafräumen der Kinder. Doch dort bot sich überall der gleiche Anblick. Sie lagen in ihren Betten und waren genauso tot wie seine Eltern. Jenny, Clara, Mike, Joshua… seine besten Freunde, die teilweise wie Geschwister für ihn waren. Sie waren alle tot. Fluchtartig rannte Andrew den Gang entlang und wollte nach oben, wo die älteren Kinder einquartiert waren. Vielleicht gab es ja noch eine Chance, dass jemand von ihnen am Leben war. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte und er begriff auch nicht, was hier gerade geschah. Wieso nur waren sie alle tot und wer hatte das getan? Gerade wollte Andrew die Treppe hoch, doch da hörte er das Knarren der Dielen von oben und erstarrte fast, als er realisierte, dass da jemand nach unten kam. Was sollte er tun? Etwa nach oben rennen und hoffen, dass es eines der Kinder war? Nein, mit Sicherheit waren es keine Kinder, das klang nach festem Schuhwerk. Das war die Person, die seine Eltern und die anderen Kinder erschossen hatte. Also versteckte sich Andrew hastig in einem Schrank, der da in der Nähe war und lugte durchs Schlüsselloch. Das Licht wurde angeschaltet und Andrew hörte, wie die Schritte näher kamen. Sein Herz schlug bis zum Hals und er wurde von einer entsetzlichen Angst ergriffen. Bitte schau nicht im Schrank nach, bitte! Ich hab Angst… ich will nicht sterben. Mama… Papa… hilf mir doch irgendjemand. Andrew zitterte am ganzen Körper und Tränen kamen ihn. Er hatte entsetzliche Angst und wollte einfach nur aufwachen. Bitte lass das alles bloß ein schrecklicher Alptraum sein. Lass mich aufwachen und bei Mama und Papa im Bett liegen. Ich will aufwachen und bei meiner Mama im Arm liegen und sie sagen hören, dass alles gut sei und ich nur wieder schlecht geträumt habe. Er schluchzte heftig und sah dann, wie aus dem Schatten eine Gestalt auftauchte. Sie trug eine Pistole mit Schalldämpfer bei sich und als Andrew erkannte, wer es war, da hatte er das Gefühl, dass in diesem Moment die ganze Welt auf ihn herabfiel. Ausgerechnet er, dachte der Achtjährige und zitterte heftig. Er wurde von einer fast unkontrollierbaren Angst ergriffen und wäre beinahe in Panik verfallen. Er wollte schreien, er wollte weglaufen, doch er konnte es nicht. Wenn er auch nur einen Mucks von sich gab, würde der Mörder ihn bemerken und ihn ebenfalls töten. Plötzlich blieb die Gestalt stehen und langsam wanderte ihr Blick zum Schrank. Andrew sah diese leeren und ausdruckslosen Augen, die weder Wärme noch Kälte ausstrahlten. Nein, bitte sieh nicht in den Schrank. Bitte geh weiter, aber sieh nicht im Schrank nach! Langsam erhob der Mörder seine Pistole und Andrew gefror das Blut in den Adern. Sofort legte er sich flach auf den Boden des Schranks und schützte seinen Kopf, da wurde ein Schuss abgefeuert. Holz splitterte und sogleich folgte ein weiterer Schuss. Bei jedem Mal zuckte Andrew zusammen und presste eine Hand auf seinen Mund, um nicht zu schreien. Er hatte so eine unbeschreibliche Angst, dass er sich nur mit einer fast unmenschlichen Anstrengung davor bewahren konnte, nicht laut zu schreien. Mama, bitte hilf mir, ich hab Angst. Bitte lass das nur ein böser Traum sein. Ich will das nicht, ich will das nicht mehr! Bitte lass mich wieder aufwachen. Doch als der dritte Schuss folgte, da wurde Andrew klar, dass das hier kein Alptraum war. Nein, es war noch viel schlimmer, als ein Alptraum. Es war die Hölle. Langsam verhallten die Schritte, als der Mörder weiterging und Andrew blieb noch lange im Schrank kauern. Warum nur? Warum hat er das getan, fragte er sich und verstand es einfach nicht. Was haben wir ihm getan, dass er uns alle umbringt? Haben wir ihn jemals schlecht behandelt, oder hasst er uns so sehr, dass er uns töten will? Nein, das ist es nicht… er hasst uns nicht. Wir sind ihm ganz einfach im Weg. Wir sind für ihn ein Problem, deswegen muss er uns allesamt töten. Das ist der einzige Grund. Er tötet uns einfach, weil er in uns ein Problem sieht, das ist alles. Das allein reicht schon, dass er uns einfach so umbringen will. Andrew blieb die ganze Zeit im Schrank kauern und wartete. Er hatte zu große Angst, um den Schrank zu verlassen und er hörte, wie weitere Schüsse durch den Schalldämpfer abgegeben wurden. Nach und nach wurden alle in ihren Betten erschossen, während sie schliefen. Sie alle hatten nie etwas Falsches getan und sich nie etwas zuschulden kommen lassen, außer ein paar harmlosen Kinderstreichen. Viele von ihnen waren nicht mal älter als fünf oder sechs Jahre. Dennoch mussten sie alle sterben, weil ihre Existenz oder zumindest ihr Wissen für ihn ein Problem war. Das war ihr einziges Vergehen. Das allein war schon ein Grund genug, dass sie alle mit ihrem Leben zahlen mussten. Schließlich, als Andrew rein gar nichts mehr hörte, wagte er sich hervor und roch sogleich etwas Merkwürdiges. Es war kaum wahrnehmbar, aber der Kopf tat ihm etwas weh und er wurde ein wenig benommen. Was war das? War das etwa… Gas? Da er wusste, was das bedeutete, rannte er schnell zum nächsten Fenster und kletterte von dort aus auf den Baum, der da wuchs. Und kaum, dass er vom Baum herunter war, da gab es einen ohrenbetäubenden Knall und die Fensterscheiben explodierten förmlich, als gewaltige Feuersäulen emporstiegen. Augenblicklich wurde in dieser stockfinsteren und kalten Nacht alles hell erleuchtet und Andrew sah, wie sich binnen weniger Sekunden Feuer ausbreitete. Mit Tränen in den Augen stand er da, unfähig sich zu bewegen oder sonst überhaupt irgendetwas zu tun. Hilflos sah er mit an, wie das Norington Waisenhaus, in welchem er mit seinen Eltern gelebt hatte und wo er mit den anderen Waisenkindern aufgewachsen war, in Flammen aufging und alles zerstört wurde, was ihm einst wichtig war. Wirklich alles war fort. Seine Familie… seine Freunde… sein Zuhause. Er hatte ihm alles genommen und würde auch ihn töten. Andrew wusste, dass auch er ein Problem war, weil er zu viel wusste. Wenn er etwas sagte, würde der Mörder ihn aufspüren und ebenfalls töten.

Kurz darauf traf die Feuerwehr ein und versuchte den Brand irgendwie zu bekämpfen, während zwei der Männer zu ihm eilten. „Hey Kleiner, was ist passiert? Was ist mit den anderen?“ „Sie… sie sind… tot… Sie sind alle tot…“ Das war alles, was er hervorbrachte. Apathisch starrte er ins Leere, unfähig, auch nur eine einzige weitere Frage zu beantworten. Der Notarzt traf ein, die Polizei ebenfalls und immer noch versuchte die Feuerwehr, da irgendetwas zu retten und wenigstens ein paar Überlebende rauszuholen. Doch Andrew wiederholte nur diese vier Worte „Sie sind alle tot“, bis man es aufgab und nur noch dafür sorgen konnte, dass der Brand nicht auf andere Häuser überging. Andrew wurde ins Krankenhaus gebracht und untersucht. Körperlich fehlte ihm nichts, doch die Polizei hörte nicht auf, ihn zu befragen, woher das Blut an seinen Händen und an der Kleidung komme und was in dem Waisenhaus passiert sei. Er starrte nur ins Leere und sagte „Wir waren im Weg, deshalb hat er sie alle erschossen.“ Aber auf die Frage, wer es denn gewesen war, gab er keine Antwort. Selbst als man versuchte, ihn unter Druck zu setzen, schwieg er und wiederholte immer nur das, was er zuvor schon gesagt hatte. Keiner schaffte es, auch nur einen Hinweis auf die Identität des Mörders zu finden und Andrew blieb noch zur psychologischen Betreuung eine Weile im Krankenhaus. Er schlief nicht, er saß einfach nur schweigend da und vergoss stille Tränen. Sie alle waren fort. Seine Eltern, seine Freunde. Sein Zuhause war weg und es gab rein gar nichts mehr, was er noch hatte. Er war der Einzige, der dieser grausamen Hinrichtung entkommen war. Aber wieso ausgerechnet er? Wieso nur hatten sie alle sterben müssen, aber nicht er? Worin lag da die Gerechtigkeit? Warum hatte es ausgerechnet ihn treffen müssen? Wieso nur hatte er nicht schon viel früher erkannt, was wirklich gewesen war und dass „er“ im Begriff gewesen war, so etwas Schreckliches zu tun? Er hätte es doch ahnen müssen. Nein, er hatte geahnt, dass etwas passieren würde, aber er hatte nichts getan, um es zu verhindern. Tief in seinem Inneren hatte er etwas geahnt und er hatte rein gar nichts genommen, um die anderen zu retten.
 

Es ist allein meine Schuld, dass sie alle sterben mussten. Wenn ich sie nicht rechtzeitig vor ihm gewarnt hätte, dann wäre es doch niemals so weit gekommen. Ich bin dafür verantwortlich, dass sie allesamt sterben mussten. Sie sind meinetwegen tot. Warum nur? Warum musste alles nur so schrecklich werden und wieso nur bin ich nicht mit ihnen gestorben? Was berechtigt mich überhaupt dazu, noch weiter am Leben zu bleiben, nachdem sie alle sterben mussten, obwohl sie nichts Schlimmes getan hatten? Ich habe es doch nicht verdient zu leben, wenn sie alle meinetwegen sterben mussten. Mama, Papa, Clara und die anderen… ich werde sie nie wieder sehen. Ich werde nie wieder nach Hause zurückehren können.
 

Die Tür ging auf und Andrew sah aus den Augenwinkeln, wie ein etwas älterer Herr ins Zimmer kam und seinen Hut abnahm. Er war gekleidet wie ein typisch englischer Gentleman und er ging direkt zu Andrew hin. Nicht schon wieder so ein Psycho-Futzi. So langsam hatte er wirklich keine Lust mehr darauf. „Guten Tag Andrew, wie geht es dir? Ich habe gehört, was mit deiner Familie passiert ist. Das tut mir sehr leid, es muss wirklich schrecklich für dich gewesen sein.“ Andrew antwortete nicht, er sah ihn nur schweigend an. Der Mann setzte sich zu ihm und räusperte sich. „Mein Name ist Watari und ich habe erfahren, dass du der Einzige bist, der diese Tragödie überlebt hat. Man sagte du hast den Mörder gesehen.“ Andrew erinnerte sich wieder an diese eiskalten und leeren Augen, die er durchs Schlüsselloch gesehen hatte und spürte wieder diese unbändige Angst. Er wollte es nicht… er wollte sich nicht mehr erinnern. „Wir waren ihm im Weg, deshalb musste er uns töten.“ „Im Weg?“ fragte der alte Mann und runzelte verwundert die Stirn. „Inwiefern denn im Weg?“

„Wir wussten zu viel. Deshalb musste er uns töten.“ Der alte Mann merkte wohl, dass Andrew nicht darüber reden wollte und nickte. „Ich kann verstehen, wenn du noch nicht bereit bist, darüber zu sprechen. Aber mach dir keine Sorgen. Ich werde dir ein neues Zuhause geben und du brauchst auch keine Angst zu haben, dass er dich finden könnte. Es wird dir nichts passieren und ich werde dafür sorgen, dass er dich niemals finden wird.“ Doch Andrew schüttelte nur den Kopf, wobei er immer noch ins Leer starrte. „Er wird mich so oder so finden und mich töten, wenn er weiß, dass ich lebe. Sie haben keine Ahnung, wer oder was er ist… keiner weiß es… nur ich. Und deshalb wird er mich töten.“

„Und was genau ist er?“ Andrew starrte ihn mit von Tränen geröteten und Angst gezeichneten Augen an. Nie hatte Watari diesen Ausdruck in solch kleinen Kinderaugen gesehen. Es tat ihm im Herzen weh, dieses Kind so zu sehen, welches so einen schrecklichen Horror erlebt hatte. Seine unschuldigen Tage als unbeschwertes und sorgloses Kind waren für immer vorbei. Andrew sammelte sich und verkrallte die Hände ins Bettlaken. Er vergoss keine Tränen mehr, trotzdem sah er so unendlich verzweifelt und hilflos aus. „Er… er ist ein Monster.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2014-10-07T09:04:04+00:00 07.10.2014 11:04
Der Anfang ist großartig *Gänsehaut*


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