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Verhängnisvolle Nacht

von

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Ausweg

Langsam erstarben alle Geräusche ringsum. Paris legte sich schlafen. Leicht klapperten die Fensterläden in ihrer Fassung. Aramis starrte an die schwarze Decke über sich. Der Lärm ihrer Nachbarn war beruhigend gewesen. Mit der eintretenden Stille legte sich die Panik wie ein fester Eisenring um sie. Sie hatte versucht ruhig und rational zu denken. Sie hatte jede nur erdenkliche Möglichkeit in Betracht gezogen. Sie hatte .... sie bekam keine Luft mehr. Ihre nackten Füße wurden taub von der Kälte der Fußbodendielen, während sie auf und ab lief, um wieder atmen zu können. Sie konnte nicht für immer als Mann durchgehen. Vielleicht nicht einmal mehr für lange Zeit. Das war ihr durchaus bewusst. Noch waren die glatten Gesichtszüge und die hohe Stimme Zeichen ihrer Jugend, doch niemand blieb auf ewig jung. Eine alleinstehende, mittellose Frau hatten nicht viele Möglichkeiten. Die Männer machten die Gesetze, die nur Rechte für sie vorsahen. Das Kloster oder eine lieblose Ehe hießen die Alternativen und beides empfand sie als Gefängnis. Mit einem Kind waren ihr selbst diese verwehrt. In Paris bleiben konnte sie nicht. Sie würde eine Kettenreaktion von Ereignissen auslösen. Ereignisse, die sie so wenig imstande war zu steuern, wie eine Wildsau, die durch den Wald tobte.

Als die ersten Morgenstunden anbrachen, griff Aramis fahrig nach ihren Sachen und zog sich an. Sie lief los, ziellos und verzweifelt darauf aus, sich selbst zu vergessen. Die Straßen hinunter, ohne auf den Weg zu achten, nur darauf bedacht möglichst schnell zu sein. Endlich machte sich die Erschöpfung bemerkbar, auf die sie es angelegt hatte. Ausgebrannt und schweißnass hielt sie sich an einer Hauswand fest. Und endlich erlaubte sie sich zu weinen.
 

Kapitän d'Treville hatte schlecht geschlafen. Halme, die durch seine Strohmatte stachen, hatten ihn die gesamte Nacht gequält und unruhig schlafen lassen. Er hatte äußerst schlechte Laune. Der Balanceakt auf den eisglatten Stufen des Eingangsportals verschlechterte diese noch mehr.

Er stürmte den Flur entlang in sein Büro. Als er die Tür zuschlug, erinnerte sich d'Treville an die zusammengesunkene Gestalt im Vorzimmer. Er versicherte sich, dass seine Wahrnehmung stimmte und befahl das Häufchen Elend in sein Büro. Unnahbar thronte d'Treville hinter seinem Schreibtisch und blickte streng auf seinen Musketier.

"Was ist nicht in Ordnung?"

"Alles ist in Ordnung," sagte Aramis. Sie hielt den Kopf gerade und den Rücken durchgedrückt. Doch Erschöpfung und Müdigkeit standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Trevilles Blick wurde schärfer und strenger.

"Ich bin schwanger." Aramis drückte ihren Rücken noch weiter durch.

"Ich muss dich nicht darauf hinweisen, was du alles aufs Spiel setzt", sagte d'Treville ruhig. Wie es dazu kam, interessierte ihn nicht, allein die Tatsache und eine Lösung zählten.

"Ja, ich weiß es," sagte Aramis gereizt. "Ich muss mich jetzt schon so lange verkleiden."

"Du hast es dir so ausgesucht. Niemand hat dich gezwungen Musketier zu werden. Und warum bist du Musketier geblieben? Menson ist tot. Sein Tod war das, was du wolltest!" Aramis antwortete erst nach einer Pause.

"Das Leben einer Frau ..." Ihre Stimme wurde leise vor lauter Nachdenklichkeit, "ist nicht groß genug für mich. Ich will mehr."
 

"Kannst du zu deiner Familie zurück gehen?" Energisch schüttelte Aramis den Kopf.

"Ich habe mich vor 3 Jahren brieflich bei ihnen gemeldet. Sie haben mir zu verstehen gegeben, dass ich für sie gestorben bin." Trevilles überlegte lange und gründlich.

"Ein Freund ist vor kurzer Zeit gestorben. Er war Wirt eines Gasthauses in der Bretagne, in Trézien-Plouarzel. Nachdem er jener Krankheit zum Opfer gefallen ist, die unter Wirten verbreitet ist, hat er mir sein Gasthaus vermacht."

"Welcher Krankheit?"

"Dem Alkohol. Ich kenne das Anwesen nicht, aber es könnte sozusagen eine Zuflucht für dich sein. Mit einem alten Gasthaus kann ich nichts anfangen."

"Ich wohne vielleicht dort, aber ich werde es nicht als Geschenk annehmen," antwortete Aramis so würdevoll wie möglich.

"Stolz ist Sünde," sagte Treville. Aber etwas anderes als ihren Stolz hatte sie nicht.

Mittlerweile waren alle Musketiere zum Dienst eingetroffen und fanden sich im Hof zur Truppeninspektion ein. Treville trat vor und seine Stimme schnitt durch den kalten Wind, wie ein Messer.

"Morgen Männer, sind wir nicht wieder froh zum Dienst antreten zu dürfen?" Er lächelte, dass es seine Musketiere rückwärts taumeln ließ. Es erhob sich ungeordnete Zustimmung: Jawohl, man sei froh, bei dieser Eiseskälte hier sein zu dürfen.

"Glückspilze seid ihr, den König beschützen zu können, für diesen Sold." Sein Lächeln verstärkte sich und jawohl, sie seien Glückspilze. Aramis hörte den Anweisungen des Kapitäns schläfrig zu und wippte halb eingeschlafen im Stehen.
 

Aramis hatte wieder etwas Zutrauen in ihre Zukunft gefasst. Dennoch waren ihre Nächte lang von den vielen schlaflosen Stunden. Immer öfter trieben sie die unruhigen Nächte raus aus dem Bett, um zu laufen. Sie lief nun nicht mehr ziellos und gehetzt, bis zur totalen Erschöpfung. Jetzt rannte sie ruhig und gleichmäßig die Straßen entlang, in den noch jungen Tag. Bäcker mit ihren Gesellen begrüßten sie auf ihrem Weg in die Backstuben. Das gleichmäßige Laufen half ihr sachlicher über ihre Situation nachzudenken. Über ihrem Kopf schwebten zwei metaphorische Wolken. Die erste war die Ungewissheit, was sie in Trézien-Plouarzel erwarten würde. Die zweite war der bevorstehende Abschied von Paris und ihren Freunden.

Aramis unterbrach ihre Gedankengänge, als sie am Ende der Straße Athos erblickte. Es fiel ihr immer schwerer Athos in die Augen zu blicken. Grundsätzlich wurde sie rot und fahrig, wenn er das Wort an sie richtete. Dass er mit ihr sprechen wollte, sah sie an seinem entschlossenen Gesichtsausdruck. Nein, nicht jetzt, nicht heute, dachte Aramis gequält. Natürlich musste ihm ihr verändertes Verhalten aufgefallen sein. Sie kannten sich zu gut.

Athos blieb stehen, in der Annahme, dass Aramis anhalten würde. Verdattert sah er sie mit kurzem Begrüßungsnicken vorbeirennen. Was war denn in Aramis gefahren? Athos nahm die Verfolgung auf. Sie stöhnte innerlich auf, als sie Athos herankeuchen hörte und erhöhte das Tempo.

"Hör bitte auf zu laufen," rief ihr Athos hinterher.

"Geht nicht, meine Strecke ist noch nicht zu Ende," brüllte Aramis liebenswürdig zurück und erhöhte wieder das Tempo.

Nach vier Häuserblocks fiel Athos zurück und Aramis hielt erschöpft an. Während sie Luft schöpfte, beobachtete sie den Schatten der langsam näher kam und hob den Kopf.

"Salute, D'Artagnan, wie ist es wieder in Paris zu sein?"

"Salute, Aramis, wie heißt das Spiel, was du und Athos da treiben?" fragte grinsend der Angesprochene.

"Keine Ahnung, aber ich habe, gewonnen," schnaufte Aramis zurück.
 

Es wurde stetig heller, als zu ihrem Haus zurückkehrte.

"Mach es dir gemütlich!" Aramis blinzelte ihrem ungebetenen Gast entgegen.

"Danke, aber die Bequemlichkeit deiner Treppe hält sich in Grenzen," erwiderte Athos und folge Aramis ins Haus. Irgend etwas bedrückt Aramis, aber er vertraut sich einfach niemandem an, dachte Athos. Dass es sich hier um keine Kleinigkeit handelte, davon zeugte der gehetzte Gesichtsausdruck. Dass Aramis ihren Blick stur auf einen fiktiven Punkt richtete und ungeduldig mit den Fuß auf den Boden klopfte, sorgte nicht gerade für eine Bereicherung der Atmosphäre.

"Kann ich dir etwas vertrauliches als Freund erzählen?" fragte Athos. Aramis hörte abrupt auf, mit dem Fuß über den Boden zu scharen und nickte. Konnte er! Konnte er! Sie konnte so vertrauensvoll sein, bis ihnen beiden die Tränen kamen.

Athos wollte Aramis zum Reden bringen. Er hielt es für das Beste, über seine Sorgen zu reden, vielleicht öffnete sich dann auch sein Freund.

"Erinnerst du dich an die Frau, die mich während meiner Krankheit besuchen war?"

"Marie? Ja."

"Ich kenne Marie schon sehr lange. Wir sind fast Nachbarn gewesen. Ich habe sie aufwachsen und zur Frau erblühen sehen. Und es kam, wie es kommen musste. Ich hab mich in sie verliebt. Als sie alt genug war, bin ich zu ihrem Vater gegangen und habe um ihre Hand gebeten." Sein Blick verdüsterte sich bei den Erinnerungen an seine Vergangenheit. "Meine Familie ist schon sehr alt und blaublütig, aber auch genauso arm. Die Parkanlagen sind verwildert, von den Fensterläden blättert die Farbe ab, die Teppiche zeigen Löcher ..... Zu adlig um zu arbeiten, aber zu arm um jemanden zu bezahlen, der es tut," sagte Athos trocken. "Maries Familie geht es nicht anders und so wurde mein Antrag abgelehnt. Sie sollte reich verheiratet werden, ihre Familie brauchte Geld. Der Adel hat die ungünstige Gewohnheit Geld auszugeben, was er nicht hat. Und so wurde sie mit einem Adligen aus unserer Gegend verheiratet. Ich konnte es nicht ertragen, sie mit jemand anderem verheiratet zu sehen. Meine Liebe war mittlerweile so stark, dass ich möglichst weit weg musste. Und so bin ich bei den Musketieren gelandet."

"Warum ist sie hierher gekommen," fragte Aramis mit brüchiger Stimme.

"Sie kam, um mir zu erzählen, dass ihr Mann letztes Jahr bei einem Reitunfall ums Leben gekommen ist."

"Das ist doch gut. Jetzt könnt ihr heiraten." Erfolglos versuchte Aramis ihre Stimme nicht bitter klingen zu lassen. Athos lachte trocken auf.

"Weißt du, wie wir unser Vermögen verloren haben? Mein Vater hat Unmengen von Geld in wahnwitzige Projekte gesteckt. Diese Wahnwitzigen Projekte haben sich jetzt als Goldader herausgestellt. Während ich hier sitze und mit dir rede, wächst mein Erbe."

"Jetzt weißt du nicht, ob sie dich oder das Geld deiner Familie will."

"Sie wurde damals nicht aus freiem Willen verheiratet," versuchte Athos Marie zu verteidigen, aber sicher war er sich nicht. Nachdenkliche Stille tat ein.
 

"Danke, dass ich dir das erzählen konnte. Es ist gut, sich einem Freund anvertrauen zu können." Erwartungsvoll lächelte er Aramis an. Aramis strahlte zurück

"Keine Ursache!", und stand auf. Athos starrte an seinem Freund hoch. "Und?"

"Und?" .... und ich geh mich für den Dienst umziehen?"

Das war nicht das, was Athos hören wollte.

"Bist du sicher, dass du nicht über etwas reden möchtest? Lass die Tür doch offen!" brüllte Athos.

"Was? Ich versteh dich nicht, die Tür ist zu," kam Aramis Stimme gedämpft aus dem Nebenraum.

"Dann mach sie auf. Dich bedrückt doch irgend etwas."

"Was?"

"Lass die Tür auf! Mein Gott, Aramis, ich bin auch ein Mann." Athos hatte es satt zu brüllen.

"Geht nicht. Ausschlag!" kam es undeutlich zurück.

"Schon wieder oder immer noch?"

Porthos hörte die letzten gebrüllten Sätze der beiden, als er Aramis Haus übereilt betrat.

"Ein bisschen schamhaft, unser kleiner Aramis," grinste er Athos zu.

Klopft denn heutzutage keiner mehr an, dachte Aramis genervt und hielt vorsichtshalber die Tür zu!!
 

Die nächsten Tage vergingen viel zu rasch. Zu vieles war noch zu erledigen. Wieviel Zeit ihr blieb, bis die ersten Anzeichen der Schwangerschaft sichtbar wurden, wusste Aramis nicht. Endlich waren alle Formalitäten geklärt. Aramis würde als entfernte Verwandte Trevilles auftreten, da der Kapitän weiterhin als Besitzer des Gasthauses eingetragen blieb.

Der Tag der Abreise stand schon fest.

Als die Zeit keinen Aufschub mehr duldete, machte sie sich auf die Suche nach ihren Freunden. Athos war nicht zu Hause, aber Porthos fand sie in einem der Gasthäuser, nahe seiner Wohnung. Er war in ein halbes Hühnchen vertieft und sah das dampfende Fleisch mit den Augen eines Liebhabers für seine Geliebte an. Aramis setzte sich und wartete auf das Ende der Mahlzeit. Mitessen lehnte sie ab. Die Frage war ohnehin nur obligatorisch gemeint. Porthos hatte nicht vor seinen Schatz zu teilen.

"Porthos, ich muss die Musketiere für unbestimmte Zeit verlassen." Porthos verschluckte sich und spie qualvoll den letzten Knochen aus.

"Was? Das machst du nicht!"

"Ich muss, es ist etwas Privates."

"Was Privates, was Privates," äffte er seinem Gegenüber nach. "Du sagst mir gefälligst warum du weg willst. Ich weiß, dass du Athos aus dem Weg gehst, aber mit mir redest du gefälligst!" Aramis wischte sich Porthos feurig feuchte Aussprache aus dem Gesicht. Es hatte keinen Sinn manche Freunde zu ärgern, vor allem, wenn sie so groß waren.

"Es ist so, ich muss für längere Zeit zu meiner Familie ..." Verzeih mir Porthos, dachte Aramis und log ihn mit einer Familiengeschichte, zurückreichend über 3 Generationen in Grund und Boden.
 

In einer Woche schon würde sie Paris verlassen. Ihr Herz blutete bei den Gedanken, was sie zurück ließ.

Aber es war Zeit zu gehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2005-04-22T09:17:15+00:00 22.04.2005 11:17
Du schreiobstb echt super, mir gefaellt es echt gut und ich freue mich schon aufs weiterlesen.
ich finde dei idee super eine frau bei den Musktieren!


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