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Liebe, nennen wir es Liebe

Puppyshipping
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich sollte es ein Oneshot sein und auch bleiben. Irgendwie aber wurde nichts daraus.
Nachdem ich hunderte Anfänge geschrieben und verworfen habe, hier Kaiba's Sicht.

Nochmals nachträglich möchte ich mich für die vielen Kommentare bedanken!

Wenngleich es auch hier wieder auf Haufen Klischees gibt, die mich beim Schreiben anbrüllten sie bitte zu bedienen, schwingt diesem Teil nicht mehr ein solcher Gleichmut mit, wie es noch bei Joey's Kapitel war, sondern soll auch tiefere Gedanken transportieren.

Dennoch wünsche ich allen Lesern und Leserinnen eine freudige Zeit mit Seto's Teil!
Auch hier dürfen Rechtschreibfehler behalten werden, wenngleich ich dankbar für konstruktive Kritik bin.
Vorhang auf! Komplett anzeigen

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Gedanken, nennen wir es Gedanken

Frust kennt keinen Namen. Es ist einfach ein Gefühl, welches sich dem Körper bemächtigt und nicht nach einem simplen 'Warum' fragt. Wut, ja Wut... Vielleicht, als Zweig dessen, würde eine schlichte Weiterführung sein, doch ist es genau das, was ich spüre.

Tiefe Wut, welche sich in Frust gewandelt hat und das ist es, was länger vorhält.

Nur kurz schaue ich auf, sehe die vielen geneigten Häupter, welche über ihren Aufgaben hängen und somit einer vorgegeben Norm folgen. So, wie ich es vor vielen Jahren auch einmal tat und heute auf das Tiefste verabscheue. So, wie ich mich dafür heute hasse es zugelassen zu haben.
 

Nur einer tut es nicht, tat es niemals und wird wohl auch niemals das Pflichtbewusstsein haben es auch nur zu versuchen. Blondes Haar, welches sich fächerförmig auf dem blauen Stoff der Schuluniform ausbreitet, während blasse Haut auf Armen liegt. Von meinem Standort aus kann ich sehen, dass er den Mund leicht geöffnet hat, die geschlossenen Augen, aber auch den schlanken Rücken. Sonnenstrahlen brechen sich auf seinem Haar, doch lenkt dieser Umstand nicht davon ab, wie seltsam dieses Bild in diesem Moment auf mich wirkt.
 

Ich bin versucht zu schnauben, doch widerstehe ich den Drang es auch wirklich zu tun. So wie ich vieles verdränge. Unter anderem auch, dass ich diesen Hund dafür beneide ein Freigeist zu sein. Es nicht verlernt zu haben partout nicht in eine Form passen zu wollen, sondern eben diesen, entgegen aller Widrigkeiten, durchsetzen zu wollen. Und dafür hasse ich ihn. Nicht nur dafür, sondern auch für seine lakonische Unfähigkeit Dinge ernst zu nehmen, nach Plan zu handeln und nur darauf zu hoffen, dass alles sich schon irgendwie zum Guten wenden wird. Ich hasse, aber vor allem beneide ich ihn darum.
 

Schon als ich ihn das erste Mal sah, wusste ich, dass wir in zwei vollkommen unterschiedlichen Welten leben. Er, der Freigeist mit dem Hang zum Surrealismus und ich der Theoretiker, der nur nach Plan handeln und denken kann. Wir sind so unterschiedlich und doch so gleich, gefangen in unserem Trott, ohne dass wir die Möglichkeit haben auch nur ansatzweise auszubrechen.

Abermals muss ich mir ein Schnaufen verkneifen, als ich das tiefe Einatmen vor mir vernehme. Noch immer tut er so, als würde er den Schulstoff nicht brauchen, obwohl er es besser wissen sollte und es wahrscheinlich auch tut. Irgendwo in seinem Spatzenhirn sollte sogar ihm das klar sein. Ich hingegen brauche ihn wirklich nicht, beinhaltet der Unterricht doch alles Dinge, die ich schon vor vielen Jahren in mich reinprügeln lassen musste - Auf dass es für immer in meinem Gedächtnis wüten würde. Dass es mir letztlich sogar geholfen hat und nur die Art und Weise falsch war, verdränge ich noch heute aus meinem Bewusstsein. Es ist jener Teil meiner Vergangenheit, der mich noch heute formt und mir den Plan vorgibt, nach welchem ich zu leben habe.
 

Ein aufploppendes Fenster auf dem Laptopbildschirm vor mir, lasst mich meinen brennenden Blick von ihm nehmen. Sofort ziehen sich meine Brauen zusammen und das einzige, was ich noch spüre ist der Kopfschmerz, welcher sofort Einzug hält. Ein Druck, welcher erst in der Schläfe beginnt und sich dann weiter ausbreitet. Auch ein Relikt meiner wirklich gelungenen Erziehung.

Ärzte, bei denen ich mich mal blicken ließ, bezeichneten es als Migräne. Andere meinten wiederum, dass es nur Flüssigkeitsmangel sei. Niemand aber wusste, dass dem nicht so ist. Kopfschmerzen, meist einseitig, können auf alles mögliche hindeuten, doch haben sie bei mir einen anderen Grund. Nur einer hatte mit seiner Diagnose richtig gelegen und das war Roland gewesen.

Ich erhebe eine Hand und führe sie zu meiner Nasenwurzel, um diese kurz zu massieren, obgleich ich weiß, dass es nicht helfen wird.

'Mr. Kaiba, Sie tun sich zu viel an. Denken Sie nicht zuviel. Dann wird das wieder.'

Obgleich seine Worte schon vor einigen Jahren ertönten, höre ich sie noch immer in meinem Kopf widerhallen. Sie sprechen eine Wahrheit, der ich allein aber nicht zu begegnen vermag. Sie klingen wie eine hohle Phrase, sind es aber nicht. Doch kann ich nicht aus meiner Haut.
 

Abermals spüre ich die Schmerzen stärker werden, vom Nacken beginnend, was mich dazu bringt kurz die Augen zu schließen. Unzufrieden dränge ich meine Gedanken beiseite und widme mich endlich dem Fenster, welches mir auf dem Bildschirm hektisch entgegen springt. Nur kurz danach bin ich versucht mich zu erheben und dieses traurige Schauspiel zu verlassen, welches sich Schule nennt. Weg von den Aufgaben, die für mich keine sind, weg von den Lehrern, welche mir Zucker in den Hintern blasen und auch weg von Wheeler, welcher noch immer mit leicht geöffneten Lippen auf seinen Armen schläft.

Einen winzigen Augenblick denke ich daran, was passieren würde, wäre ich nicht ich, sondern wie er. Frei, ohne Verpflichtungen, von denen ganze Menschenleben abhingen und auch frei von der Bürde der Verantwortung, die mein Leben bestimmt. Einfach für einen Moment tun, was ich für richtig halte, fern ab der Etikette, die sich mein Leben schimpft.
 

Mir entfährt ein fast unhörbares Schnaufen, doch gereicht es, um den Haufen Mensch eine Reihe vor mir aufschrecken zu lassen. Sein Kopf fährt hoch, hektisch und mit einer raschen Atmung, sieht er sich um, ehe er die Luft ausstößt und seine rot unterlaufenen Augen kurz an meinen Blick hängen bleiben. Nur ein winzigen Augenblick, und doch ist er intensiver, als ich jemals zuvor erfahren habe. Dieser bricht ab, als der Lehrer vorn sich geräuschvoll räuspert und ihn rasch, aber durchdringend ansieht.

"Mr. Wheeler. Wenn Sie schon im Matheunterricht nicht aufpassen können, so hoffte ich doch, dass sie zumindest in Wirtschaftslehre besser seien. Und das obwohl Sie nun schon an einer wirklich inspirierenden Quelle sitzen."

Kurzzeitig überlege ich mir mich innerlich zu übergeben, als der Lehrer nun auch zu mir blickt und mich anlächelt. Diese elenden Speichellecker...
 

Sofort verdränge ich den Gedanken und widme meine Aufmerksamkeit wieder meinem Laptop, welchen ich energisch schließe, ihn in meinen Aktenkoffer packe und mich letztlich erhebe.

"Ein dringender Termin.", murmle ich so scharf ich kann, ehe ich den Henkel greife und mich somit von den Bild befreie, welches mich fortan wohl noch einige Stunden verfolgen wird.

Wheeler schnauft leise, als ich seinen Tisch passiere. Ganz im Gegenteil zum Lehrer, welcher mir stoisch zunickt und versucht nicht in seinem breiten, klebrigen Lächeln unter zu gehen.

"Aber sicher, Mr. Kaiba. Melden Sie sich bitte doch im Sekretariat ab und dann können Sie-"

Ich unterbreche ihn nicht verbal, doch verstummt seine Stimme, als ich die Tür öffne, hindurch schlüpfe und dann geräuschvoll zufallen lasse.
 

Kurz atme ich die abgestandene Luft des Ganges ein, welcher die vielen Stimmen in den Räumen zu einen unbestimmten Murmeln werden lässt. Ich spüre wie der Kopfschmerz stärker wird, doch straffe ich mich nur, ehe ich endlich auf den Ausgang zustrebe, das Quietschen meiner eigenen Sohlen noch als einziges Geräusch zulassend.

Es ist eine Woche vergangen, doch hat die mir gereicht. Eine Woche, in welcher ich mehr Präsentationen gehalten habe, als mir lieb ist. Sieben Tage, in welchen ich versucht habe mein Schlafpensum von drei auf dreieinhalb Stunden zu drücken und kläglich daran gescheitert bin. Entsprechend ist auch meine Laune, als ich am Morgen des Tages wieder die Tür zu einem Meeting öffne. Dieses Mal eines der wichtigeren Spezies.
 

"Mr. Kaiba. Der Vorstand erwartet Sie bereits. Wollen Sie einen Kaff-"

Ich unterbreche den Mann, wohl der Protokollführer, und blicke ihn durchdringend aus brennenden Augen an.

"Schwarz, eine Kanne.", würge ich hervor, ehe ich mich an ihm vorbei schiebe, einen Stapel Unterlagen unter meinem Arm.

"Sicherlich, Mr. Kaiba. Ach so! Ihr Bruder hat sich für heute angekündigt und-"

Abermals schneide ich ihn scharf das Wort ab, jedoch ohne ihn anzusehen.
 

"Eine Kopfschmerztablette dazu. Danke." Diese Worte spreche ich ruhiger, wende mich aber ab und gehe rasch auf meinen Tisch zu, welcher an der Stirnseite der Anderen steht. Wie in der Schule, nur bin ich hier von Menschen umgeben, die wissen was sie wollen. Und das ist mich abzusägen. Ein jedes Meeting mit diesen Haien gleicht einen verdammten Spießrutenlauf, der einfach kein Ende nehmen will. Noch immer, auch nach Jahren meiner Führung, sehen sie mich als Kind, mit ebensolchen kindlichen Ideen, vergessend, dass diese es sind, welche ihnen die Taschen füllen. Doch ist es leichter für einfache Menschen einen gemeinsamen Feind zu haben, anstatt sich mal über sich selbst Gedanken zu machen. Solange ich aber nicht volljährig bin, habe ich die Auflage mich mit ihnen herumklagen zu müssen.
 

Ich seufze kurz, aber unhörbar, als bei diesem Gedanken meine Kopfschmerzen noch weiter zunehmen. Nicht nur, dass mir der mangelnde Schlaf meine Konzentration raubt, drückt es auch auf meine Laune das ständige Gepoche ignorieren zu müssen.

"Mr. Kaiba. Wir sind hier, weil wir mit Ihnen über die neue Marketingstrategie sprechen wollen."

Missmutig schließe ich meine Lider, lausche einen stillen Moment lang dem Rauschen in meinen Ohren, ehe ich meine Augen wieder öffne und auf die schlanke, ältere Frau blicke, welche ihre anfänglich ergrauten Haare in einen zotteligen Dutt gezwängt hat.

"Dafür ist die Marketingabteilung zuständig. Das ist kein Grund eine Vollversammlung einzuberufen, die mir wertvolle Zeit stiehlt."
 

Sofort versteift sich das adrette Fräulein, während ich mich, inzwischen weit langsamer, auf meinen Stuhl zubewege. Fast schon etwas zu kraftvoll, ob meiner Laune, lege ich den Stapel Papiere und Poster vor mir ab.

"Sie sind derjenige, der das Design angeordnet hat. Die Marketingabteilung ist nur das ausführende Organ!", ereifert sie sich, während ich kurz in ihre Richtung sehe und sie versuche nonverbal niederzumähen.

"Und all ihre Abteilungen haben ihr 'OK' gegeben, als ich es Ihnen vorgelegt habe."

"Das war-"

Ich falle ihr ins Wort, indem ich sie mit einer heftigen Bewegung auffordere sich zu setzen und um Gottes Willen endlich den Mund zu halten. Ihre Stimme zerrt einmal mehr an meinen Nerven, ein Umstand, welchen ich so nicht gebrauchen kann.

Auch ich lasse mich nieder und beginne mit klammen Fingern die Papiere auseinander zu klauben. Anbei sind Skizzen von mir, oder der Grafikabteilung, welche neue Produkte verständlich erklären und realisieren sollen. Ein Affront in den Augen der schmallippigen Geschäftsleute, mit welchen ich hier zusammen sitze.
 

Der Protokollführer kehrt zurück, räuspert sich kurz, ehe er eine Edelstahlkanne abstellt und eine Tablettenbogen daneben legt. Mit einem Nicken bedanke ich mich und sehe dabei zu, wie er eilends zu seinem Platz verschwindet und sich schreibbereit macht. Ich lasse mir Zeit, während ich dem Rascheln der letzten Abteilungsleiter lausche und warte bis deren Gemurmel endlich verstummt ist. Langsam schütte ich mir etwas Kaffee in eine Tasse, drücke zwei Tabletten aus der Blisterpackung und schlucke sie rasch herunter.

Normalerweise bin ich niemand, der offen Schwächen zugibt, aber hier erlaubt es einfach die Zeit nicht den Anstand zu wahren. Dann erhebe ich mich endlich.
 

"Die Sitzung ist eröffnet. Fangen Sie an, Haibara." Ich blicke zu der Frau, welche mich schon zuvor mit ihrer grellen Stimme um den Verstand bringen wollte und gebe ihr somit die Erlaubnis zu Sprechen. Sogleich erhebt sie sich, streicht umständlich den knittrigen Rock über ihren dürren Beinen glatt, ehe sie sich mir zuwendet.

"Mr. Kaiba. Bei allem Respekt, können wir uns es nicht leisten die Firma auf diese Art zu präsentieren. Die Matrizen und Entwürfe, die ich gesehen habe, spotten jeglicher Autorität und zeigen auf, dass die KC vieles von ihrem einstmaligen Glanz eingebüßt hat!"

Schweigend lasse ich die Tirade über mich ergehen, ehe ich langsam nicke und sie auffordere sich wieder zu setzen.

"Sie finden also die Entwürfe sind zu kitschig für eine Firma, die Spielzeug herstellt. Welches Klientel, meinen Sie, sprechen wir denn damit an?"

Meine Worte sind deutlich, wenngleich sie auch in meinen Kopf verschwimmen.

"Mr. Kaiba! Sie sind doch noch fast selbst ein Kind! Warum sonst sollten Sie sich von bunten Monstern und quietschigen Farben angezogen fühlen?"
 

Mir entkommt ein kurzes, trockenes Lachen, ehe ich abermals zu meiner Kaffeetasse greife. Nach außen hin ruhig, ist es das Getränk, welches meine Nerven etwas beruhigt und mir hilft die nächsten Worte zu finden.

"Ich wüsste nicht, dass es ein Kind ist, welches Ihnen Ihr Gehalt zahlt. Zudem..." Ich erhebe mich, stelle die Tasse ab und beuge mich stattdessen vor, wobei ich sie mit meinen Blick fest halte. "...Zudem stellen wir keine Waffen mehr her, sondern Spielzeug! Spielzeug, Spiele und Fantasiegestalten! Das wissen Sie und dafür arbeiten Sie auch. Glauben Sie Kinder damit zu beeindrucken Panzer auf ein Plakat zu zaubern, unter welchem dann in martialischer Schrift steht: Nur für schießwütige Kinder geeignet?"
 

Ich weiß, dass meine Worte ausschweifend sind, doch kann ich mich bei solch einer offen zur Schau getragenen Ignoranz nicht zurück halten.
 

Die Frau lacht leise, aber trocken auf, ehe auch sie sich wieder erhebt.

"Sie reden wie ein kindischer Narr! Laut der Marktanalyse sind Spielzeuge im Kommen, die realistischer sind, als irgendwelche bunten Farbkleckse, die Sie als Produktwerbung verkaufen wollen!"

Ich schnaube kurz, ehe ich die Luft tief in meine Lungen ziehe, hoffend, dass das Medikament bald wirkt. Anstatt einer Antwort drehe ich mich zu einer weißen Tafel um, an welcher Notizen über den Verlauf hängen. Diese nehme ich ab, lege sie auf den Tisch und suche stattdessen rasch aus meinen Unterlagen ein großformatiges Poster heraus. Eines, das ich habe drucken lassen, welches so aber niemals als Werbung veröffentlicht werden würde.

"Farbkleckse sagen Sie.", spreche ich leise dem Papier entgegen, während ich es entfalte und mit den vorhandenen Klammern an dem Brett befestige. Raschelnd öffnet sich eine riesenhafte Zeichnung, welche komplett ohne Farbe auskommt. Es ist eine aus Bleistift, doch macht sie allein durch ihre Ausdrucksstärke Eindruck.
 

Rasch trete ich einen Schritt zur Seite, ehe ich wieder die Frau ins Visier nehme.

"Das ist eine der Konzeptzeichnungen eines unbekannten Künstlers, welche sich an unsere Produktpalette anlehnt. Was sehen Sie darauf?"

Kurz ist nichts zu hören, ehe sich die Abteilungsleiterin leise räuspert und sich fahrig eine graue Strähne hinter das Ohr streicht.

"Menschen... Sp-spielende Menschen. Jugendliche, junge Erwachsene... die spielen."
 

Ich nicke langsam und nehme abermals das Wort auf, ohne sie aus den Augen zu lassen.

"Freunde. Es sind Freunde. Es sind Freunde, die unsere Spiele spielen. Es sind Karten mit bunten Motiven, die sich an Kinder richten und ebenso von Erwachsenen gespielt werden. Es sind Menschen, die sich einen Dreck darum scheren, ob sie farbintensive, fröhliche Bilder anlachen oder nicht. Es sind Väter; Es sind Mütter, die von ihren Kindern, die unsere Werbung sehen, dazu animiert werden uns das Geld in die Taschen zu spülen! Es sind Menschen, die Fröhlichkeit und Glück mit bunten, hellen Farben assoziieren und nicht mit Panzern, die über eine ausgestorbene Landschaft rollen! Es sind unsere Kunden und die Werbung ist das Kommunikationsmittel dazu!"
 

Ich schlucke trocken, ehe ich mich nun vollends mit dem Rücken zu ihr drehe und meinerseits das Bild betrachte.

Es ist eine einfache Bleistiftzeichnung mit Personen, die zusammen sitzen, lachen, spielen und reden, aufgeteilt in viele kleine Szenen, die wie Traumbilder voneinander getrennt sind. Sie sind Freunde, das weiß ich. Mal sitzen sie im Garten von einem älteren Herren, mal in einem Zimmer. Mal laufen sie einfach nebeneinander her. Was bleibt sind ihre lachenden Mienen und die ausdrucksstarke Freude in ihren Gesichtern.
 

Ich weiß auch woher die Zeichnung stammt. Die vielen Striche, welche ein großes Ganzes ergeben. Auch die Menschen darauf kenne ich. Nur einer vermag nicht richtig in diese Collage und Aufzählung zu passen und doch scheint es dem Künstler wichtig gewesen zu sein, dass dieser dabei ist. In der oberen rechten Ecke des Posters sehe ich ihn. Einen jungen Mann, welcher stumm an einem Tisch sitzt und auf einen Laptop starrt. Es ist die einzige Änderung, die ich gemacht habe, bevor ich das Bild auf das Format drucken ließ. Ich habe das Gesicht unkenntlich gemacht. Mein Gesicht. So als wolle ich nicht mit ihnen zusammen lachen. So als wolle ich nicht zu ihren Freunden gehören. So als wolle ich nicht Mensch sein. Nur meine Frisur und mein eigenes Wissen lassen die Gestalt darauf noch erkennen. Und Mokuba, wie er mit eben diesen Menschen lacht, spielt und spricht.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie es indirekt in meinen Besitz gelangt ist. Vor nicht einmal einen Jahr als Geschenk an meinen Bruder zum Geburtstag von einem blonden Jungen, der sich nichts anderes leisten konnte als ein Blatt Papier, einen Bleistift, ein riesiges Herz und ebenso viel Talent. Ich habe Mokuba gebeten es mir auszuleihen, genau für diesen Zweck, weil ich immer damit gerechnet habe, dass der Tag kommen würde, an welchem ich es verwenden kann. Ganz klein, ganz weit unten am rechten Rand prangt der fast unsichtbare Beweis; Die Signatur des Künstlers. Ein krakeliges Zeichen, kaum mehr als ein Strich, aber unverkennbar.
 

Ich reiße mich aus meinen Gedanken heraus und kann nur hoffen, dass meine kleine Pause mich nicht hat unsicher wirken lassen. Es wäre das Letzte, was ich nun gebrauchen kann. Ein Beweis, dass ich unsicher bin und damit unfähig ein solches Unternehmen zum Gewinn zu führen. Sofort kann ich spüren, wie sich der Druck in meinen Inneren wieder aufbaut und sich sämtliche Muskeln verhärten. Auch der Schmerz, der meine Gedanken, sowie meine Konzentration durchschneidet, wird wieder heftiger. So heftig, dass ich eine erneute, kurze Pause einlege, ehe ich mich straffe und zu den wartenden Personen umwende, welche noch immer das Bild mit all seinen Feinheiten versuchen zu betrachten.

Ich bin froh, dass niemand diesen kleinen Ausreißer - meine Schwäche - bemerkt hat. Dass niemand sie als Vorwand nehmen kann mich erneut zu hinterfragen, zu offen sprechen ihre Mienen zu mir.
 

"Das, meine Damen und Herren, ist unsere Zielgruppe. Diese Menschen, die Freude an unseren Produkten haben, die empfehlen, bewerten und sie benutzen. Nicht wir, sondern sie."
 

Der Rest des Tages verschwimmt vor meinen inneren Auge. Sie haben sich beeinflussen lassen, doch weiß ich nicht bis zu welchem Grad. Habe ich sie von mir überzeugt oder hat die Zeichnung in Plakatgröße es getan? Der Ton, der nach dem Schweigen angeschlagen wurde, war anders. Er war respektvoller, mehr ein Team als nur das blanke Herunterrasseln von Statistiken und Zahlen. Mehr, als nur die Verdammung bunter Farben und doch konnte all dies nicht überspielen, dass sie weiterhin ein Kind in mir sehen. Ein Kind, welches zu eben dieser Klientel gehört, die ich so vehement verteidigt habe. Ein Junge, welchen es weiter zu beobachten gilt.
 

Meine klammen Finger räumen automatisch die vielen Papiere zusammen, die sich im Laufe der stundenlangen Sitzung auf meinen Schreibtisch verteilt haben. Sie fühlen sich taub an, sodass ich am Ende innehalte und sie kurz knete, während ich rasch dem müde wirkenden Protokollführer zunicke, welcher mit seinem Laptop unter den Arm, aus dem Raum schleicht. Ich kann es ihm nachsehen. Auch ich bin müde, aber vor allem ist der Kopfschmerz geblieben. Ein ständiger Begleiter, hervorgerufen von Gedanken und Druck, jenen ich versuche krampfhaft Stand zu halten.
 

Ich bin nicht das Kind, welches sie alle sehen wollen. Ich bin zwar jung, aber meine Erziehung und mein Wissen reichen weit über ihre Erfahrungen hinaus. Sie mögen länger dabei sein, doch heißt das nicht, dass sie besser sind. Nicht sie. Nicht sie, die Speichellecker meines Adoptivvaters.
 

Abermals versuche ich die rotierenden Gedanken zu verdrängen und raffe rasch die letzten Seiten zusammen, ehe ich sie mir als unordentlichen Stapel erneut unter den Arm klemme. Raschen Schrittes verlasse ich den stickigen Raum und wende mich dem Gang zu, welcher mich zum Fahrstuhl bringen soll, als ich vor diesem schon eine hochgewachsene Gestalt bemerke, die sich schnell in Gang setzt, als sie mich sieht.

Kurz bevor wir aufeinander treffen, bleibe ich stehen.

"Roland, stimmt etwas mit Mokuba nicht?", presse ich hervor und blicke zu dem Hünen auf, welcher mich eingehend durch seine Brille betrachtet.
 

"Mit Mokuba ist alles in Ordnung. Der junge Herr ist bei Ihnen Zuhause und wird sich wohl inzwischen die Zeit mit Spielen vertreiben. Wollen Sie noch hier bleiben, oder soll ich Sie Heim fahren, nachdem Sie ihn verpasst haben?"

Ich kann den unterschwelligen Tadel hören. Ich sollte Schluss machen, doch durch die Länge dieser sinnlosen Sitzung kann ich es noch nicht. Zuvor muss ich noch etwas erledigen, was keinen Aufschub duldet.

"Noch nicht. Sagen Sie Mokuba bitte von mir eine Entschuldigung und dass ich komme, sobald ich kann."

Ich nehme den kurzen Anflug von Missmut in seiner Mimik wahr, ehe dieser Eindruck ebenso rasch verschwindet, wie er gekommen ist und er ergeben nickt.

"Achten Sie auf sich, Mr. Kaiba, und rufen Sie mich an, wenn Sie abgeholt werden wollen. Zumindest fahren sollten Sie heute nicht mehr selbst."

Meine Laune sinkt ob des nunmehr offen ausgesprochenen Tadels, doch ich bin ihm nicht böse. Ich weiß seine Sorge um Mokuba und mich zu schätzen, auch wenn sie in manchen Teilen erdrückend wirkt. So wie jetzt.
 

"Danke." Mit diesem kurzen, gemurmelten Wort drücke ich ihm den Haufen Papier in die Hand, ehe ich mich abwende und endgültig an ihm vorbei drücke. Er wird wissen, dass er den Stapel mit ins Auto nehmen soll. Meine Laune sinkt spürbar. Als der Aufzug kommt und ich rasch hinein eile, ignoriere ich die letzten Worte Rolands, welche mir durch die Luft entgegen wabern.

"Mr. Kaiba, Whe-"
 

Dann schließen sich die Türen und der Fahrstuhl setzt sich automatisch in Bewegung. Es ist der Moment, in welchem ich kurz die Augen schließen und mich treiben lassen kann. Ein kurzer Augenblick, der mir dennoch genügend Kraft gibt den Schmerz in meinem Schädel etwas zu verdrängen. Ein leises 'Ding' teilt mir mit angekommen zu sein. Automatisch öffnen sich die Türen und ich trete hinaus, spüre sogleich den weichen, hochflorigen Teppich unter meinen Schuhen und wie ich darin versinke. Wie auf Wolken schwebe ich auf mein Büro zu, geräuschlos und vor allem ohne Hast. Auch innerlich beruhige ich mich langsam und spüre, wie mein Geist sich etwas entspannt. Der Schmerz wird weniger je näher ich meinem Büro komme und wird zu einem hintergründigem Pochen, als ich endlich, nach so vielen Stunden, die Tür vor mir aufstoßen kann.
 

Ich atme tief die Luft ein, als ich, noch im Dunkeln, auf meinen Schreibtisch zuhalte. Ein mir bekannter Weg, welchen ich so schon hunderte Male zurückgelegt habe. Die immer selben Lichter, die immer selbe Aussicht. Ich brauche keine Lampe um mich zu orientieren. Nicht hier, nicht in meinem Refugium. Als Fixpunkt dient mir die Lehne meines Sessels, welcher wie immer vor der riesigen Panoramascheibe steht. Fast einladend sieht er mir entgegen. Denke ich...

Das ist auch der Moment, als ich innehalte. In mir verkrampft sich alles. Die Schmerzen treten wieder in den Vordergrund, doch kämpfe ich sie nieder. So habe ich mein Büro nicht verlassen und obwohl alles noch an Ort und Stelle ist, kommt mir doch etwas anders vor. Ich erkenne die Silhouette meines Bürostuhles, doch erscheint sie mir verdreht. Nicht vertraut, so wie die vielen Male zuvor. Raschen Schrittes überbrücke ich die wenigen Meter, strecke meine Hand aus und vergrabe meine Finger in dem schwarzen, weichen Leder des Kopfteils.
 

Mit Schwung drehe ich den Sessel zu mir herum, sodass ich auf die Sitzfläche blicken kann und erstarre innerlich. Blondes Haar, welches in der Finsternis fast schwarz wirkt. Weit aufgerissene Augen, welche sich darunter befinden und von welchen ich das Weiß nur erahnen kann. Ein verspannter, schlanker Leib, der sich weiter in die Polster hinein presst.
 

"Was..." Meine Stimme ist mehr ein Knurren, als ich ihn auf diese Weise anspreche.

"Was willst Du hier, Wheeler!", zische ich, während ich versuche seinen starrenden Blick festzuhalten. Ausgerechnet er, der durch meine Gedanken tanzt wie ein immerwährender Albtraum! Ausgerechnet er muss hier sein und mich in dieser Verfassung antreffen! Er, der mir mit seinem Bild den Atem raubte! Der, der mich in der Schule nervt und mit seinen unqualifizierten Kommentaren auf die Palme bringt! Der mein Dasein mit ein bisschen Leben füllt und meine starre Planung ins Wanken zu bringen vermag.

Ich spüre Wut in mir aufwallen. Meine Augen verengen sich, während ich das Häufchen Elend verschwommen unter mir anstiere.

"Ich...", setzt er an, doch ich unterbreche ihn wirsch.

"Was. Willst. Du. Hier!", wiederhole ich mich, was ihn nur noch weiter in die Polster zurück treibt. Er kommt mir vor wie ein gejagtes Tier, welches Schutz in einer Höhle sucht und dennoch weiß, dass es nicht entkommen kann.

"Ich… Mokuba hat...", beginnt er erneut zu einer Erklärung anzusetzen. Der Name aus seinem Mund klingt in diesen Moment wie Hohn für mich. Als würde das etwas erklären.
 

"Was hat Mokuba!" Meine Stimme ist nunmehr nur ein leises, gefährliches Zischen. Ich spüre, wie ich ihm immer näher komme. Ich weiß nur nicht warum. Ich nehme schon jetzt seine Körperwärme wahr, der leichte Duft nach Mandel und Honig, in welchen sich der Geruch frischer Luft mischt. Vielleicht ist es das, was mich anzieht. Ich weiß es nicht.

Ich presse Luft in meine Lungen, als ich mir die Frage selbst beantworte.

"Mokuba hat Dich rein gelassen?"
 

Innerlich schalle ich mich einen Idioten. Ich rücke etwas von ihm ab, von dem Duft, welcher mir, auf unerklärliche Weise, das Gefühl gibt hier richtig zu sein. Nach Hause zu kommen, wenngleich dies mein Büro ist. Dennoch nehme ich diese Änderung wahr. Der Umstand sorgt dafür, dass ich mich etwas entspanne. Die Schmerzen werden weniger und so bin ich endlich in der Lage wieder zu atmen. Richtig zu atmen.
 

Ich richte mich auf. Meine Augen haben sich an die Finsternis gewöhnt. Dennoch suche ich erneut einen Punkt, an welchem ich mich orientieren kann. Es ist seine Stimme, welche zu diesem wird, nicht die Lehne, die sich noch immer schemenhaft von dem dunklen Hintergrund abhebt.
 

"Du warst nicht in der Schule und da dachte ich, dass-", vernehme ich seine gepresste Stimme, als er mir endlich antwortet. Sofort sind die Schmerzen wieder da, schlagen mit voller Wucht zu, so dass meine Worte zischend die sonstige Stille im Raum durchschneiden.

"Was dachtest Du?! Dass Du hier einfach auftauchen kannst, nur weil ich mich in diesem Idiotenverein eine Woche nicht blicken lasse?"
 

Er macht mich wütend. Meine Kopfschmerzen poltern durch meinen Schädel und drohen mir die Sicht zu nehmen, doch halte ich mich aufrecht. Der Druck, der Druck... Der Druck...

Nunmehr ist es sein aufkochender Zorn, der mich innerlich zusammenfahren lässt.

Ich nehme am Rande wahr, wie die Lehne etwas nach hinten wippt, als er sich aufrichtet und so Platz macht für seine Worte, aus denen ich nicht mehr nur die Angst entdeckt worden zu sein, sondern auch den Kampfeswille höre, welcher ihn ausmacht.
 

"Oh, ja! Der große Mr. Kaiba kann sich natürlich rausnehmen den wichtigen Prüfungsstoff zu verpassen!"
 

Ein Zittern durchfährt meinen Leib, während sich meine Augen versuchen sich wieder auf ihn zu konzentrieren. Ich verenge sie, doch erkenne nichts, sodass ich meine Antwort ins vermeintlich Leere spreche, während ich einen Schritt zurück mache. Weg von diesem Fegefeuer. Weg von diesem Duft, der so vieles verheißt.
 

"Als würdest Du auch nur ansatzweise etwas von dem verstehen, was diese inkompetenten Vollidioten Euch da versuchen beizubringen!"

Sofort fährt er auf. Ein ewiges Katz- und Mausspiel, obgleich ich es in diesem Moment nicht so wahr nehme. Nur langsam verdrängt dieses Geplänkel den Nebel, welcher sich um meine Sinne gelegt hat. Meine Finger ballen sich zu festen Fäusten, als nunmehr die Wut langsam die Oberhand gewinnt. Wut auf ihn. Frust darüber, dass er einfach hergekommen ist. Zorn darauf, dass er sich die Freiheit nehmen konnte. Und Enttäuschung darüber, dass ich es nicht kann.

"Kaiba, Du arrogantes-" Ich vernehme seine Stimme, jedoch nicht die Worte. Stattdessen setze ich vor und greife zu. Ich kann den Stoff seines Shirts unter meinen Fingern spüren, wie er etwas nachgibt und dann seinen Zweck erfüllt - Ihn zu mir zu bringen. Mit diesem Duft. Mit dem Gefühl nach Hause zu kommen - Frei zu sein.

Dennoch ist es meine innerliche Aufruhr, die sich noch immer Bahn brechen will.
 

Ich möchte, dass er einfach geht.

Dass es ein Albtraum ist und dieser endlich aufhört.

Dass der Geruch verschwindet, der mir meine Sinne zu rauben droht und ich endlich abschalten kann.

Dass ER verschwindet... Weg von mir, weg aus meinen Gedanken und meinem Herzen, welches ich beschleunigt in meinen Ohren rauschen höre.

Der Sturkopf und ewige Störenfried mit einer großen Klappe, der macht was er will und wenn er dabei als Zwerg gegen einen Riesen kämpft.

Der Freigeist, der nicht nachdenkt und stattdessen mit einem einzigen Bild, welches von Herzen kommt, all meine Sehnsüchte miteinander vereint und zu Papier gebracht hat.

Er - Joey Wheeler.
 

Dieser Junge macht mich wütend. Er beherrscht nicht mehr nur meine Gedanken, sondern auch einen gewissen Teil meines Daseins und das ist etwas, mit dem ich nicht klar komme. Kontrollverlust.
 

"Wheeler, das ist MEIN Büro! Und es ist MEIN Sessel, den Du gerade mit Deinen Flöhen kontaminierst. Entweder Du rückst mit der Sprache raus, anstatt mich mit hohlen Phrasen zu bombardieren, oder ich schmeiße Dich eigenhändig aus dem Gebäude!"
 

Meine Brust hebt und senkt sich im schnellen Takt meines Herzschlages, sodass ich Angst haben muss, dass er es hören könnte. Es ist Unsinn, das weiß ich, aber meine Wut, mein Zorn mir selbst gegenüber, versperrt mir die Sicht. Mein gesamter Körper ist verspannt und langsam beginnen bunte Farben vor meinem inneren Auge zu explodieren. Doch dann spüre ich sie. Seine Hand, wie sie sich sacht, fast sehnsüchtig auf meine legt. Sogleich fühle ich die Wärme, die meine Haut durchdringt und die Wirbel an Farben verscheucht. Wie sein Geruch, welcher mir so nahe ist.

Ich schlucke trocken und will fliehen, doch ich kann es nicht. Ich kann ihm nicht entkommen.
 

Abermals vernehme ich seine Stimme. Sie ist es, die mich aus dem Gedankenstrudel reißt und die mich endlich wieder handeln lässt. Sie klingt gepresst, doch frisst sie sich durch die Ruhe, welche in ihr hintergründig mit schwingt und durch meine Mauer aus Wut und Selbsthass.
 

"Kaiba, weder habe ich Flöhe, noch bin ich dumm. Also spare Dir die Luft."

Ich lasse los. Seine Hand rutscht von meiner Haut und ich spüre, wie sich meine verkrampften Finger öffnen. Den dumpfen Aufschlag, als er wieder auf die Sitzfläche plumpst, vernehme ich kaum.

Er soll endlich verschwinden. Er soll endlich gehen und mich in Ruhe lassen.
 

"Wenn du keinen triftigen Grund hast, dann verschwinde!" Ich knurre. Zu mehr bin ich nicht mehr in der Lage, denn noch immer zittere ich und noch immer betäubt sein Geruch meine Sinne und den Schmerz.

Ich bemerke kaum, wie ich mich ihm wieder annähere. Wie sich der Duft abermals verstärkt und mir die Luft raubt. Er ist kaum mehr als ein Schatten und dennoch einer, der seine Finger fest um meine Gestalt verwoben hat.
 

"Du bist ja immer noch da.", zische ich. Mein Atem prallt an seinem Gesicht ab. Wann sind wir uns so nahe gekommen? Seit wann lasse ich eine solche Nähe zu? Weil er es ist? Nein, weil Wheeler es ist?

Es ist einerlei, denn ein weiteres Mal vernehme ich seine Stimme, welche noch immer gepresst klingt, aber nichts von der hintergründigen Ruhe eingebüßt hat.

"Kaiba, ich werde nicht gehen."

Wenige Worte, doch gereichen diese, dass sich mein Denken vollkommen abschaltet. Ein einfacher Satz, den ich mir schon so viele Male erträumt hatte. Nicht von ihm. Nicht nur, aber von Anderen. Von Menschen, die sich Freunde nennen. Von meinen Eltern. Von meinem Bruder. Von ihm....
 

Nur am Rande nehme ich wahr, wie sich seine Finger in meiner Kette verfangen und mich näher ziehen. Noch näher, als ich ihm ohnehin schon bin. Atem, der aufeinander trifft, Düfte, die sich vermischen und Herzen, welche beginnen im Gleichklang zu schlagen.

Und endlich bekomme ich meine Antwort auf das Warum.

"Du bist hier. Das ist Grund genug.", spricht er gegen meine Lippen. So leise, so hauchfein und doch verstehe ich ein jedes Wort so, als hätte er es mir entgegen gebrüllt. Danach sind es seine Lippen, welche sich mit meinen verfangen. Eine zarte Berührung, kaum mehr als ein Hauch. Wärme schießt durch mich hindurch, erhitzt nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Herz und endlich, das allerste Mal habe ich das Gefühl frei zu sein. Frei, eigene Entscheidungen zu treffen. Nicht mehr in eine Schublade passen zu müssen und ihm in diesem Punkt ebenbürtig zu sein. Der Druck löst sich und damit auch der Knoten um mein Herz. Ich erwidere den Kuss. Ich kann nicht anders.
 

Er zieht scharf die Luft ein. Es klingt fast wie ein Keuchen, doch ist es nicht allein die Überraschung, die ihn treibt. Nein, das ist nicht alles. Mein Geist verdrängt den Gedanken, als ich meine Hand erhebe und in sein überraschend weiches Haar fahre, während ich mit der Anderen Halt auf dem wenigen Resten der weichen Sitzfläche suche, welche er nicht besetzt. Ich spüre die Wärme seiner Haut durch seine Kleidung hindurch, während ich den Kuss vertiefe und mir nehme, wonach sich mein Herz unterbewusst gesehnt hat.
 

Den Geschmack von etwas Fruchtigem, etwas Samtigen, etwas Verheißungsvollen schwebt seinem Kuss nach. Der Geschmack nach mehr. Das ist auch der Grund, warum ich mich wenig später löse und mich etwas aufrichte. In der Finsternis vernehme ich seinen rascheren Atem, der meinem in Nichts nachsteht. Meine Augen suchen seine, doch finden ihn nicht. Stattdessen strecke ich meine Finger aus, berühre erst meine Lippen, ehe ich sie ihm entgegen reiche und mit rauer Stimme etwas hervor presse. Etwas, was den Moment entspringt und nicht einem Plan. Etwas, was mir die Freiheit erlaubt, welche er mir gibt. Nur er.

"Komm, lass uns gehen."
 

Manchmal sind es die Gedanken, die erst Kreise spinnen müssen, damit man versteht. Meine haben es getan und zum allerersten Mal in den letzten Jahren fühle ich, dass sie abebben und mich einfach tun lassen, was immer ich will. So wie er, der Freigeist Joey Wheeler.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Lunata79
2022-08-15T12:06:38+00:00 15.08.2022 14:06
*ggg* Jetzt also doch ein 2. Kapitel. *freu*
Ich war jetzt einige Jahre nicht on. Bin aber froh, dass ich wieder dazu gekommen bin. Nicht auszudenken, wenn ich das 2. Kapi nicht mitbekommen hätte.
Jetzt sieht man auf jeden Fall etwas klarer. *happy rumhüpf*

Mach weiter so.

Lg
Lunata79
Von:  Rosarockabye
2021-03-12T20:48:14+00:00 12.03.2021 21:48
Oh das war auch so herrlich schön <3
Von:  Onlyknow3
2020-05-20T16:15:43+00:00 20.05.2020 18:15
Was für ein schöner zweiter Akt, das hat mir so gut gefallen, das war so schön gerade weil es aus Setos Sicht war.
Joey ist mit seinner Sturheit bei ihm Durchgedrungen, welch ein Sieg. Das war das warten wert, mehr davon.
Auch wenn es wieder Schreibfehler gibt, die Story ist Mega. Weiter so, freue mich auf was neues von dir.

LG
Onlyknow3
Von:  Eventus
2020-05-16T22:35:13+00:00 17.05.2020 00:35
Ich liebe Kaibas Art. Allein schon in der Schule diese leicht von oben herab kommende Wortwahl in Richtung des Lehrers lässt dessen Stellenwert in Kaibas Augen recht gut wiederspiegeln. Kaiba duldet keinen Widerspruch, lässt emotional so gut es geht niemanden an sich ran. Das zeichnet ihn aus, das macht ihn einzigartig und zu diesem Zeitpunkt fast unangreifbar.

Ich musste schon an der Stelle grinsen, als er nach Kaffee verlangt. Konnte ich mir sogar bildlich vorstellen, wie er da hing.
Eine Frage hab ich aber gerade. Kaiba ist an sich noch mehr oder weniger schulpflichtig, richtig? Wie alt ist er in dieser Geschichte in etwa?

Die Diskussion zwischen Haibara und Kaiba fand ich sehr erfrischend. Sie versucht sich zu erklären, scheitert aber an Kaibas Wortgewandtheit und Durchsetzungsvermögens.

Das Zusammentreffen mit Joey aus Kaibas Sicht fand ich sehr gut gelungen, aber, wenn ich mich nicht irre, wiederholst du einen Teil aus dem ersten Kapitel - nur eben aus Kaibas Sichtweise, was ich hier aber ganz gut finde. Du hast diesen Teil um ein paar kleine Elemente erweitert.

Eine Sache aber finde ich irritierend und das ist der letzte Satz. So als würde Kaiba durch Joeys Kuss vollkommen aus dem Konzept gebracht, als sei nicht Kaiba derjenige, der gerade die Kontrolle hat - und wir wissen ja, dass Kaiba am LIEBSTEN die Kontrolle hat.

Hoffentlich klärt sich das noch auf, es ist wirklich sehr spannend zu lesen und macht Lust auf mehr!


Von:  Alistor
2020-05-16T07:40:35+00:00 16.05.2020 09:40
Oh wie schön
Du hast Setos Gefühle so gut beschrieben
Seine ganze Situation
Joeys Wirkung auf ihn
Das Knistern zwischen den beiden war förmlich greifbar
Richtig gut geschrieben

Antwort von:  Kemet
16.05.2020 18:13
Danke für die lieben Worte.
Mein Fokus lag eigentlich eher auf Seto's Freiheitsdrang, als wirklich auf seinen aufschäumenden Gefühlen. Ich wollte den innerlichen Krieg darstellen. Schön, dass mir das gelungen ist.

LG
Antwort von:  Alistor
16.05.2020 18:23
Ja wirklich sehr gut geworden
Immer wenn Seto in deiner FF spricht, höre ich die Stimme die er in Yu-Gi-Oh the abriged Series hat


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