One-Shot
Rin lief durch den Korridor. Niemand wollte ihn haben. Er hatte es gewusst, wollte es aber nie wahr haben. In ihm war noch immer die Hoffnung gewesen, das sie ihn akzeptierten, so wie er war. Er war zwar ein Dämon, er war ein Nachkommen von Satan selbst, aber er verhielt sich doch noch immer wie ein Mensch… zumindest dachte er das. Er hatte eine Persönlichkeit, aber niemand schien das zu verstehen. Alle hassten ihn. Er war es gewohnt. Aber letztendlich seine Freunde zu verlieren zerriss alles in ihm. Er wollte nur noch weg. Er wollte Satan vernichten und anschließend selbst verschwinden.
Die Augen vom Pony verdeckt marschierte er einfach nur auf das Dach des Wohnheimes und als er oben war, schritt er langsam an den Rand zu.
Er blickte auf die Stadt, die er lieben gelernt hatte. Hier hatte er Freundschaften geschlossen, hatte gelernt, was Vertrauen hieß.
Wo war das alles?
Die Sicht verschwamm und er spürte, wie etwas Warmes seine Wangen runter lief. Nein, er durfte nicht weinen. Er war ein Mann und Männer weinten nicht…
Doch diesmal konnte er nicht anders.
Er ging auf die Knie, noch immer seinen Blick trotz Unklarheit auf die Stadt gerichtet. Alle hassten ihn. Er hasste ihn. Wie konnte es nur dazu kommen?
Er wollte sie alle nur vor Amaimon beschützen.
Wenn er niemals dagewesen wäre... Wenn er niemals gekommen wäre…
Er hörte Schritte.
Er hielt inne. Kam etwa jemand hier hoch? Aber warum? Im Wohnheim war doch niemand sonst da? Er sollte sich vielleicht verstecken. Er stand auf, taumelte jedoch etwas, sodass er sich erst einmal beruhigen musste. Die Schritte wurden lauter, sie waren auch recht schnell, als die Tür aufgerissen wurde und anschließend er dort stand.
Er, Suguro Ryuuji, genannt Bon. Dieser hatte eigentlich nur einen Ort gesucht, um in Ruhe nachzudenken. Yukio hatte ihm erlaubt, das Wohnheim zu betreten, da er selbst nicht gewusst hatte, wo sein älterer Bruder im Moment war. Er stutzte, als er Rin sah. Wenn er gewusst hätte, dass er hier war, dann…
Seine Augen weiteten sich. Ebenso die von Rin. Der Kleine realisierte schnell, was gerade passierte und drehte sich ruckartig um. Wieso musste er hier sein? Was hatte er hier verloren?
Bon selbst war ein wenig irritiert. Hatte er gerade Tränen gesehen?
Er hatte in Rin eigentlich nur eine kleine lernfaule Nervensäge gesehen, die trotz seines schlechten Benehmens alles daran tat, sie alle zu beschützen und wenn er dafür alleine los gezogen war. Bon hatte es nie verstanden. Er hatte immer gedacht, Rin vertraute ihnen nicht. Nachdem er erfuhr, was Rin war, glaubte er weiter daran, das der Dämon ihnen nicht vertraute. Lag er etwa falsch? Der Zweihaarfarbige schluckte, senkte den Blick und drehte sich um. Vielleicht sollte er ihn alleine lassen. Doch kaum wollte er nach der Türklinke greifen, blickte er noch mal zu Rin. Dieser hatte ihm noch immer den Rücken gekehrt. Er sah so… einsam aus.
Ryuuji schluckte erneut, holte tief Luft und betrat das Dach gänzlich. Er schritt auf Rin zu, stand direkt hinter ihm. Dieser hielt die Luft an. Wollte er etwa reden? Oder ihm eine reinhauen? Ein leichtes Grinsen schlich sich auf seinen Lippen. Er sprach, ohne sich umzudrehen.
„Was meinst du… Wäre jeder zufrieden, wenn ich mich einfach mal hier runter stürze?“
Es herrschte Stille. Sein Herz tat weh, es pochte zu schnell. Es war einfach aus ihm heraus gesprudelt. Ob Bon etwas erwidert? Oder ihm eine reinschlug? Er hoffte, das er irgendetwas tat, denn die Stille und die tatenlose Momente machten ihn verrückt. Er schloss leicht die Augen, ehe der Junge hinter ihm antwortete:
„Vielleicht.“ Der Dämon ließ die Augen geschlossen. Sie brannten.
„Es gibt immer jemanden, der froh wäre, wenn es einen Dämonen weniger gäbe.“ sprach Ryuuji weiter. Dieser stand nun direkt hinter Rin, sodass dieser ihn spüren konnte. Sein Schweif streifte die Beine des Größeren und dessen Atem berührte seinen Nacken. So nah, dachte sich Rin. Er war ihm so nah.
Mit einem Male wurde er unsanft umgedreht, am Kragen gepackt und weiter nach hinten gedrängt, sodass er die Dachkante fühlte. Unbeeindruckt sah er in die wütenden Augen des anderen. Zorn war da drin zu erkennen, keine Frage. Aber auch… Trauer?
„Dennoch gibt es auch Menschen, die dir vertraut haben!“
Rin's Miene verdunkelte sich leicht. Sie hatten ihm vertraut. Hatten. Er sah zur Seite.
„Du bist so… egoistisch! Nie denkst du nach, was andere fühlen! Du hättest es uns sagen können!“ fauchte er ihn an. Verstand er es nicht? Rin wurde ebenfalls ein wenig sauer. Es war beinah wie früher, beide stritten sich. Zwar war Streit etwas negatives, aber nur so konnte er dem Älteren näher sein als sonst. Und dennoch war es für Rin eine ganz neue Situation. Kurz atmete er tief ein, ehe er dem anderen in die Augen sah.
„Und dann?“ Beherrscht knirschte er mit den Zähnen. „Dann hättet ihr mich doch direkt gemieden… Ihr hättet euch niemals mit mir abgegeben und ich wäre von Anfang an allein gewesen!“ zischte er. Bon lockerte seinen Griff nicht, dennoch erweichten seine Züge ein wenig. Rin lachte.
„Ich war es eigentlich gewohnt, von allen anderen gehasst zu werden, ob sie nun wussten, was ich war oder nicht. Und trotzdem…“ Trotzdem wollte er nicht alleine sein. Er war egoistisch, dennoch hätte er alles dafür getan, das niemand zu Schaden kam.
„Lass los…“ hauchte er leise. Ryuuji stutzte, als Rin dies sagte und sich dabei etwas nach hinten lehnte. Vielleicht war es besser so. Er sah ihn an. „Beende es.“
Der Größere starrte auf seine Hände, die den Kragen des Anderen fest umklammerten. Er könnte los lassen und Rin würde vom Dach stürzen. Wenn Rin nichts dagegen unternahm, würde er vielleicht sogar sterben. Doch er wollte es nicht. Wenn Rin nicht mehr da wäre…
Als es für Rin etwas zu lange dauerte, packte er Suguro's Arm und ging einen weiteren Schritt nach hinten… um im nächsten Augenblick etwas Warmes an sich zu spüren.
Er befand sich in Ryuuji's Armen. Dieser hatte ihn noch an der Hand gepackt und an sich gezogen, dabei war er rücklings zu Boden gestürzt. Dies war ihm jedoch egal gewesen. Fest hielt er den Kleinen an sich gedrückt, dieser verstand es nicht.
„Suguro…?“
„Du Dummkopf…“ brüllte er direkt. Rin zuckte zusammen. „Wenn es dir egal wäre, wieso heulst du dann?!“
Der Kleine sah den anderen ungläubig an. Dann fuhr er sich über die Wangen. Nass. Er hatte es nicht realisiert, das er geweint hatte. Und Suguro hatte ihn die ganze Zeit so gesehen?
Wie peinlich!
Dieser schüttelte den Kopf.
„Vielleicht hast du Recht. Vielleicht würden wir dich meiden.“ begann Ryuuji und holte tief Luft, ehe er weiter sprach. „Aber du hättest unser Vertrauen gewinnen können. Du hättest uns beweisen können, das du kein schlechter Dämon wärst! Es hätte Möglichkeiten gegeben!“
„Hättest du mich denn akzeptieren können?! Schließlich bin ich ein Sohn Satans und eben dieser hatte doch die Familie von Konekomaru und einige Freunde von euch getötet!!!“ Rin wollte sich los reißen. Er wollte nicht länger hier bleiben. Obwohl er sich so sehr nach Nähe gesehnt hatte, doch wenn er noch länger blieb, würde sein Herz erst recht zerreißen. Er konnte einfach nicht mehr.
„Es wäre besser, wenn du mich einfach hassen würdest!“
„Das wäre es…“ stimmte Bon ihm zu, den Blick zu Boden gesenkt. Er hatte ihn nicht losgelassen. Und die Trauer in seinem Blick nahm zu. Rin stutzte. Der Brünette beugte sich ein wenig runter und berührte ganz leicht die Lippen des Anderen mit seinen. Rin weitete die Augen. Passierte es gerade wirklich? Küsste Bon ihn wirklich?
Ehe er sich versah, löste sich dieser auch schon wieder von ihm.
„Vielleicht wäre es sogar richtig gewesen…“ sprach er weiter, seinen Blick ausweichend. „Letztendlich bist du mir nicht egal… Weder als Dämon… noch als Mensch.“
Rin's Herz machte Sprünge. Er war ihm nicht egal? Wie durfte er das deuten? Und vor allem – was hatte der Kuss zu bedeuten. Als er nichts dazu sagte, wurde Suguro nervös. Er hob die Hand und legte sie an Rin's Wange. Dieser zuckte zusammen.
„Ich... habe dich nie gehasst, weil du Satan's Sohn bist.“ begann er und zögerte einen kurzen Augenblick, bevor er dem Anderen in die blauen Augen sah. „Ich war wütend, weil du alles für dich behalten hast. Nie wolltest du dir helfen lassen. Ich mein, gut, das du Satan's Sohn bist, ist für uns ziemlich ungewohnt... Aber wie oft hast du bewiesen, das du nicht wie er bist? Das deine Flammen uns nicht verletzen? Das du alles daran setzen würdest, uns zu beschützen, jeden Einzelnen?“
Rin konnte nicht mehr. Die Tränen flossen ihm über die Wangen und seine Kräfte verließen ihn. Er fühlte sich so schwach und besonders sein Herz drohte zu zerspringen. Er hatte stets gedacht, sie alle hassten ihn. Und jetzt erfuhr er, das zumindest Ryuuji sauer auf ihn war, weil er ihm nichts anvertraut hatte? Was war er doch für ein Freund. Aber gleichzeitig war dies eine völlig neue Welt für ihn. Er hatte Freunde, die sich um ihn sorgten. Er wollte sie nur nicht in seine Angelegenheiten mit hinein ziehen.
„Sugu-“
„Hör zu. Du bist zwar stark, weil du eben Satan's Sohn bist und willst uns nicht reinziehen... Aber wir alle sitzen im selben Boot, hörst du?! Daher können wir doch erwarten, das du uns sagst, was los ist!“
„Su...“ Der Größere seufzte und drückte Rin wieder an sich. Dieser weinte bitterlich und klammerte sich an ihn. Sein ganzer Körper erzitterte jedes Mal, wenn er nach Atem rang, doch hatte er nicht mehr das Gefühl, verloren zu sein. Starke Arme hielten ihn fest und die Wärme des Anderen hüllte ihn ein. „Es... tut mir Leid.“ brachte er aus sich heraus.
„Ich wollte nicht, das ihr verletzt werdet... Ich... wollte euch doch nur beschützen...“
„Dummkopf. Wir alle wollen uns gegenseitig beschützen. Wir sind doch ein Team...“
Lange verharrten die beiden in dieser Position. Langsam aber sicher fasste sich Rin endlich und setzte sich auf, direkt Bon gegenüber. Dieser musterte ihn kurz. „Ich bin erstaunt, wie lange du heulen kannst.“
Rin fühlte sich angegriffen und wollte wieder darauf einsteigen, als er stutzte. Suguro lächelte ihn an. Ein rötlicher Schimmer legte sich auf seine Wangen, ehe er den Kopf senkte.
„Du... Suguro?“
„Hm?“
„Ich hab das alles jetzt verstanden... aber eine Sache ist noch unklar...“
„Welche?“
„D-D-Der... Der... naja... der....“
„Der was? Okumura, jetzt spuck es-“
„Der Kuss!“ Stille.
Rin war nun knall rot und traute sich nicht, aufzusehen. Doch als es zu lange still war, wagte er einen Blick... nur um festzustellen, das sich Bon dem erst jetzt bewusst war, was er soeben getan hatte. Das Gesicht des Größeren war noch röter als seines. „Sugu-“
„Das war... also... n-nun...“ stammelte er und suchte nach Worten. Rin machte große Augen. Sein Schweif wedelte hin und her, ehe er den Blick senkte.
„... Würdest du es nochmal machen?“
„Also das-“ Suguro stutzte. Rin schaute ihn nicht an, aber irgendwie schien er darauf zu warten. Ob es ihm gefallen hatte? „Das sollte man nicht tun, wenn man nicht dasselbe empfindet.“
Rin's Kopf schoss nach oben.
„Heißt das, du empfindest etwas für mich? Du magst mich?“
„Eh... also...“
„Sag schon!“
„Jetzt sei endlich still!“ Total beschämt zog er den anderen an sich und küsste ihn erneut. Nur damit er die Klappe hielt. Rin hatte die Augen geschlossen und genoss diese Berührung, während Suguro die Bewegungen des Schwanzes mitverfolgte.
Rin freute sich. Ob er ihn auch...
Als sie sich lösten, wollte Rin erneut ansetzen, als der Andere seinen Zeigefinger an dessen Lippen legte. Er schüttelte den Kopf und schaute ihm in die Augen.
„Okumu-“
„Sicher, das du mich so nennen willst, nachdem du mich geküsst hast?“ warf der Andere schmollend ein.
„Eh?! W-Wie soll ich dich denn nennen, nachdem...“
Rin grinste nur. Er gab dem Anderen einen kurzen, aber bestimmten Kuss, ehe er aufsprang und ihm die Hand hin hielt.
„Lass uns was essen, Ryuuji!“
Die Röte des anderen wurde dunkler. Das hatte er also gemeint. Er ergriff seine Hand und wollte sich aufhelfen lassen, doch zog er Rin wieder zu sich runter und drückte ihn auf den Boden des Daches. Erneut legte er seine Lippen auf die des Kleineren und nutzte dessen Überraschung aus, um mit der Zunge in die Mundhöhle des Anderen einzudringen. Er ließ sich auf Rin nieder und verharkte seine Finger in seine, während er mit der Zunge neugierig umher tastete. Rin lächelte in den Kuss hinein und stupste die fremde und doch süß schmeckende Zunge an, um mit ihr zu spielen. Zwischen ihnen wurde es verdammt warm, Rin zerrte an Ryuuji's Jacke, damit dieser noch näher an ihn rückte. Wegen dem Luftmangel trennten sie sich kurz voneinander, Rin war recht benommen von dieser Hitze. Doch grinste er breit und seine spitzen Fangzähne entblößten sich. Suguro strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte.
„Rin...“ hauchte er. Der Genannte bekam eine Gänsehaut, doch es gefiel ihm.
„Sag's nochmal...“
„Rin... ich liebe dich.“
Dieser war nun doch überrascht, als er dies hörte.
„Meinst du das ernst?!“
„Natürlich! So etwas sagt man nicht aus Spaß! Außerdem... ich weiß, es klingt komisch, weil wir beide Männer sind, aber... ich mag dich sehr, Rin.“
Ryuuji hasste Satan. Und doch liebte er Satan's Sohn. Es war ein Widerspruch an sich, aber Rin war überglücklich. Seine Wangen bekamen ein tiefes Rot, ehe er freudig zu kichern begann. Er legte seine Arme um den Hals des Anderen und berührte dessen Nase mit seiner eigenen.
„Ich dich auch, Ryuuji. Danke, das du mich nicht aufgegeben hast...“ flüsterte er leise, bevor er die Lippen seines Freundes wieder in Beschlag nahm. Dieser ließ sich nur zu gern darauf ein.
