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Die Freiheit zu weinen

Naruto x Sasuke
von

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Sasuke

Die Schulstraße war eine jener bedeutungsvollen Straßen, die sich ihren Namen mit abertausend anderen Straßen in dieser und auch in anderen Städten und Ländern teilte. Auf der ganzen Welt gab es sie und hätte man nun ausgerechnet, in wie vielen dieser Straßen tatsächlich noch eine Schule existierte, wäre das Ergebnis vermutlich eher ernüchternd ausgefallen. Auch in dieser Stadt gab es sie und auch hier teilte sie das Schicksal jener Straßen, die ihrem Namen keinerlei Ehre machten. Stattdessen reihten sich vereinzelte Wohnhäuser mit stellenweise mehr oder minder gepflegten Vorgärten aneinander und da es sich zudem um einen verkehrsberuhigten Bereich handelte, konnte man des Öfteren, wie auch heute Dank des strahlenden Sonnenscheins, spielende Kinder beobachten, die ihren Ball von der einen zur anderen Seite kickten. Ein Idyll, mag ein fremder Besucher vermuten, der zufällig heute hier vorbeikommt, vielleicht um Verwandte zu besuchen, womöglich auch, um einen Spaziergang unter den blühenden Kirschbäumen zu machen, um dann abschließend im gut besuchten Café an der Straßenecke einen Cappucino und ein Stück der leckeren Apfeltorte zu genießen, die Madame Yukimura so gerne bäckt.

Eventuell würde der Fremde sie dann um etwas Schlagsahne, jedoch nicht zu viel, das mochte er betonen, zu bitten und sie zu ihrem Standort zu beglückwünschen. Ein Café konnte doch kaum einen schöneren Standort haben als zwischen den blühenden Kirschen, all den Apfelbäumen und der ruhigen und gepflegten Straße.

"Oh ja", würde Madame Yukimura, der man ansehen konnte, dass sie ihr fünfzigtes Lebensjahr bereits hinter sich gelassen hatte, sagen, "ich bin ganz ihrer..."
 

Als die Tür sich öffnete, verstummte sie urplötzlich. Es war kein lautes Geräusch gewesen und doch war Madame Yukimura zusammengezuckt und ihr freundliches Lächeln erstarrte im nächsten Augenblick.

Der junge Mann, der das Café soeben betreten hatte, würdigte sie keines Blickes, vielmehr richtete sich sein Blick auf die zurückliegende Wand und somit auf eine sepiafarbene Kopie eines Landschaftsbildes, die das Haus in seinem Zustand vor etwa einem Jahrhundert abbildete. Schaute man genauer hin, konnte man wohl auch noch die Jahreszahl - 1910 - lesen. Diese Mühe machte sich der junge Mann jedoch nicht, sein Blick irrte ziellos über Bild, Blumentapete und den Holzboden.

Madame Yukimura, die sich inzwischen wieder gefangen zu haben schien, wenn man von ihren Händen absah, die nervös wirkend an dem kleinen Papierblock herumnestelten, den sie in der Hand hielt, um etwaige Bestellungen niederzuschreiben, versuchte vergeblich Blickkontakt zu dem jungen Mann zu bekommen. Schließlich gab sie dieses Vorhaben auch auf und erhob stattdessen ihre Stimme:

"Guten Tag, Sasuke, schön dich zu sehen."
 

Der Angesprochene, von dem man nicht so recht sagen konnte, ob er sie verstanden hatte - er reagierte nämlich nicht - setzte sich nun kommentarlos auf einen der Stühle, der zu einem der kleineren Tische gehörte und griff nach wie vor schweigend zu einer der Karten, die die kleine Auswahl des Cafés von ihrer besten Seite präsentierte. Der Neffe von Madame Yukimura hatte aufwendig sämtliche Torten und teils auch etwas aufwendigere Getränke fotografiert und diese verwendet, um das ganze möglichst schmackhaft zu illustrieren. Völlig ungerührt und mit starrem Blick blätterte Sasuke durch die Karte ohne dabei innezuhalten. Er las das ganze nicht aus Interesse, schließlich wusste er genau, was hier angeboten wurde. Vielmehr hoffte er, dass Madame Yukimura sich endlich wieder ihrem eigentlich Gast zuwenden und ihn derweil in Ruhe lassen würde. Das sprach er natürlich nicht aus, jedoch atmete er unhörbar erleichtert aus, als sich die offensichtlich verwirrte Frau wieder dem Fremden zuwandte und ihm etwas über die Besonderheiten ihres Apfelkuchens erzählte.
 

Nach einer Weile erschien ein Arm in Sasukes Blickfeld, angesichts dessen er den Kopf und auch die Karte ein Stück zurücknahm und teilnahmslos beobachtete, wie die ältere Frau ihm ein Stück ihrer Himbeertorte auf den Tisch stellte. Ohne Sahne, wie er nüchtern festellte. Hinzu kam ein heißer Kakao. Mit Waffel. Sasuke setzte sich nun auf und griff mit der Hand in die Jackentasche und einen kleinen Geldschein herauszuziehen, den er auf den Rand des Tisches legte und ohne Regung beobachtete, wie Madame Yukimura diesen nahm und in ihrem überdimensionales Portmonnaie verschwinden ließ.

Danach wartete er etwa eine Minute, bevor er zu der Kuchengabel griff und sich betont langsam daran machte, die Torte in mundgerechten Stücken zu verspeisen.
 

Der fremde Gast hatte das ganze Schauspiel wortlos beobachtet und wusste es nicht so recht einzuordnen. Zwar war er keine zwanzig mehr, jedoch konnte er sich auch nicht entsinnen, dass die 'Jugend von heute' grundsätzlich solche Manieren an den Tag legte, die man schon gar nicht mehr als solche zu bezeichnen wagte. Im Gegenteil. Sein Neffe, der seiner Erinnerung nach inzwischen siebzehn oder achtzehn sein mochte, benahm sich tadellos und studierte seines Wissens nach inzwischen in einer der größeren Städte des Landes Kunstgeschichte. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte, schließlich konnte er einen Van Gogh nicht von einem Picasso unterscheiden, aber es freute ihn doch, dass der Junge - zumindest bis jetzt - etwas aus seinem Leben gemacht und etwas erreicht hatte.
 

Seine fortführenden Gedanken wurden je durch das - dieses Mal - geräuschvolle Öffnen der Tür unterbrochen, deren Klinke laut gegen die abgenutzte Tapete schlug.

"Tante Hana, ich bin's!", schrie der soeben eingetretende Junge quer durchs Café und bewirkte somit, dass nicht nur der erschrockene Fremde, sondern selbst Sasuke - der soeben das letzte Stück seiner Himbeertorte gegessen hatte - aufblickte, wenn sich auch nicht ablesen ließ, ob er nun verwundert war über das Geschehnis oder eher weniger.

Madame Yukimura, die bis eben in der angrenzenden Küche des Cafés zugebracht hatte, kehrte zurück und setzte beim Anblick des Jungen ein herzlich lächelndes Gesicht auf: "Itachi! Ist die Schule schon vorüber? Hast du deine Hausaufgaben gemacht? Möchtest du ein Stück Torte?"

Der angesprochene Junge, Itachi lautete wohl sein Name, nickte eifrig auf jede der ihm gestellten Fragen hin und rief laut: "Aber ich möchte Blaubeerkuchen - mit ganz viel Sahne!"

Die Frau, die Itachi 'Tante Hana' nannte, versprach ihm, dass sie ihm sogleich ein Stück besorgen würde und er sich doch schon einmal setzen solle. Danach kehrte sie eiligen Schrittes in die Küche zurück, um dort ein möglichst noch warmes Stück ihres Blaubeerkuchens hervorzuholen und dies mit einem großzügigen Klecks Sahne zu bedenken.
 

Itachi blickte sich einen Augenblick lang um, bis sein Blick auf Sasuke fiel, der inzwischen seinen leeren Teller beiseitegeschoben und den Kakao in die Hand genommen hatte im Glauben, er habe nun zum Trinken eine annehmbare Temperatur erreicht.

"Sasuke", rief Itachi laut und der Angesprochene brachte es gerade noch fertig seinen Becher wieder abzustellen, bevor der Junge vor ihm stand und leicht am Ärmel von Sasukes marinefarbener Jacke zog.

"Was ist?"
 

Der Fremde war erstaunt. Scheinbar war der junge Mann ja nicht taubstumm, was wiederum seine Theorie in Hinblick auf die schlechten Manieren wieder deutlich fundierter erscheinen ließ.
 

"Wir haben die Mathearbeit zurückbekommen - ich hatte eine eins", Itachi legte eine dramaturgische Pause ein, "und übermorgen fahren wir alle in den Vergnügungspark. Die ganze Klasse. Ist das nicht toll?!"5

Man hatte förmlich das Gefühl Itachis Augen wären in der Lage Funken zu sprühen, so viel Begeisterung und Freude versuchte er zu vermitteln mit seiner Aussage.

Sasuke wiederum schloss für einen kurzen Moment die Augen, um sich dann dem Jüngeren zuzuwenden: "Das ist wunderbar."
 

Er bemerkte das ungläubige Gesicht des fremden Gastes nicht, der nicht so recht wusste, ob die Aussage des Jungen mit dem Namen Sasuke nun ernst gemeint war oder von Sarkasmus nur so triefte. Sein Satz hatte weder Begeisterung noch offene Ablehnung ausgedrückt. Er war schlichtweg neutral gewesen, beinahe schon gleichgültig.

Sollte er das nun korrekt interpretiert haben, fühlte er sich auch weiterhin in seiner Annahme bestätigt - dieser Typ namens Sasuke hatte absolut kein Taktgefühl.
 

Seine Überlegungen schienen jedoch nicht ungemerkt geblieben zu sein, stellte er fest, als er Sasukes Blick streifte, der ihm für einen Augenblick in die Augen gesehen, sich jedoch sofort wieder von ihm abgewandt hatte. Nicht, dass ihn dies in Erstaunen versetzte, es ist nicht immer angenehm, anderen in die Augen zu blicken, das hatte er selbst schon mehrfach festgestellt. Allem Unmut zum Trotz ertappte er sich zudem dabei, wie er weitere Überlegungen anstellte und sich fragte, was einen Menschen wohl so beeinflussen mochte, dass er ein derart 'merkwürdiges' Verhalten an den Tag legte.
 

Wenige Minuten später erhob sich der junge Mann schließlich, ungerührt dessen, dass Itachi immer noch in seinem Stück Kuchen herumstocherte, und verließ das Café. Die Tür fiel fast schon geräuschlos ins Schloss und der Fremde raufte sich die Haare, während er aus den Augenwinkeln beobachtete, wie sich Madame Yukimura zu dem kleinen Jungen an den Tisch setzte und unüberhörbar seufzte.

Itachi sah auf und blickte seine vermeintliche Tante fragend an.

Diese öffnete zunächst den Mund, um ihn unmittelbar wieder zu verschließen. Als habe sie etwas sagen wollen, sich jedoch nicht dazu durchgerungen. Nachdenklich stützte der Fremde seinen Kopf auf den Händen ab und beobachtete, wie Itachi den Kopf wieder senkte und mit leicht bedrücktem Gesichtsausdruck den Rest seines Kuchens verspeiste.
 

Deutlich weniger enthusiatisch als noch vor wenigen Minuten fiel letztendlich auch seine Verabschiedung aus: "Wir sehen uns, Tante Hana." Es klang durchaus freundlich und auch ein kleines Lächeln zierten die Lippen des Kindes, das plötzlich älter und wissender schien, als noch zu Beginn seines Auftauchens. Selbst der Fremde registrierte, dass irgendetwas in der Luft lag. Irgendetwas, das niemand von den Beteiligten auszusprechen wagte.

Er zuckte ein wenig zusammen, als die Tür daraufhin mit einem lauten Knallen ins Schloss fiel.

Erneut seufzte Madame Yukimura.

"Was soll nur werden?", fragte sie leise in den Raum. Eine rhetorische Frage ohne Antwort. Der Fremde blickte aus den großrahmigen Fenstern hinaus und glaubte, dass schon bald ein Unwetter heranziehen würde.
 

Kurze Zeit später verließ auch er das kleine Café und beeilte sich vor den ersten Regentropfen zu seinem ein wenig entfernt parkenden Auto zu gelangen.
 

Zwei Tage später hatte er diesen denkwürdigen Tag vergessen und als er, Monate später, Sasuke doch tatsächlich noch einmal begegnete, erkannte er ihn schon längst nicht mehr.
 

Sasuke selbst hatte nicht viel mitbekommen von dem nachdenklichen Fremden, der ihn im Café begutachtet hatte. Im Gegenteil, er hatte längst aufgehört, darauf zu achten, wie andere ihn sahen oder überhaupt auf ihr unverhohlenes Starren zu reagieren. Früher hatte er sich häufig gefragt, ob er wohl unbemerkt ein regenbogenfarbenes Kleid trug und ihn die Leute deshalb so musterten. Ab und an kamen ihm auch diese Gedanken wieder, jedoch meist nur für einen kurzen Zeitraum. Er hatte verstanden, dass es vollkommen gleichgültig war, ob er neonpinke Pullover oder welche in blauer Farbe trug. Ebenso hatte er begriffen, dass er keine Lösung fand, die diese Differenz zwischen ihm und den anderen zu überbrücken mochte.
 

Anfangs hatte seine Mutter noch unterschiedliche Versuche unternommen, ihn zu bestimmten Handlungen zu bewegen:

"Sasuke, rede doch mal mehr mit den anderen."

"Sasuke, Kiba von nebenan feiert übermorgen Geburtstag und hat dich eingeladen, möchtest du hin?"

"Sasuke, es ist wichtig, dass du den Lehrern mehr entgegenkommst, denk doch an deine Zukunft!"
 

Vor allem der letzte Satz "Denk doch an deine Zukunft" zog sich quer durch die Lebensjahre des jungen Mannes. Im Namen der Zukunft hatte man alles mögliche zu beachten. Dazu gehörten nicht nur gute Schulleistungen und ädaquate Kleidung - sondern auch in erster Linie ein "Bitte" und "Danke" verknüpft mit guten Manieren und einem fröhlichen und selbstbewussten Auftreten.

Nicht nur, dass ihm die höflichen Floskeln seit frühster Kindheit schwergefallen waren - es fiel ihm ebenso schwer, verschlossene Türen zu öffnen. Oft hatte er sich schon dabei ertappt auf den Fluren dieser Welt zu stehen, die eine Tür, durch die er gehen musste, zweifelsfrei anhand des Türschilds identifiziert zu haben und dennoch hatte er es nicht tun können. Er verspürte keine Angst beim Gedanken daran, nach dem Türknauf zu greifen, sondern eher eine große, undefinierbare Leere, wenn er sich gedanklich ausmalte, sein Vorhaben zuendezubringen.

Itachi, der im Jahr von Sasukes zwölften Geburtstag geboren wurde, war seit jeher anders gewesen als sein großer Bruder. Ein aufgeschlossenes, neugieriges Kind, das auf andere zuging, gleichzeitig jedoch am Rockzipfel seiner Mutter hing. Ein Kind, das jegliche Investitionen wert war, hatte Sasuke ab und an etwas verbittert gedacht, wohlwissend, dass diese Einschätzung nicht so ganz gerecht war. Er war nie in der Lage gewesen, eine wirklich enge Bindung aufzubauen zu Itachi, vielleicht aufgrund des großen Altersunterschiedes, womöglich weil er sich damals mit zwölf irgendwie betrogen gefühlt hatte von seinen Eltern, die die Aufmerksamkeit plötzlich in erster Linie dem kleinen, schreienden Bündel zu widmen hatten.
 

Wenn viele Klischeedarstellungen davon ausgingen, dass die Eltern ihre Hoffnungen in ihr ältestes Kind hineinprojizierten, so konnte Sasuke diese Überlegung vorbehaltlos dementieren. Sicherlich hatte immer ein gewisser Druck auf ihm gelastet, jedoch bekam auch er mit, dass Itachi in der Hinsicht anders behandelt und begutachtet wurde. Es war, als habe man aus den Fehler, die man eventuell gegenüber dem Erstgeborenen begangen hatte, im Nachhinein gelernt.

"Oder es ist so, dass man mich aufgegeben hat."
 

Sasuke wusste durchaus, dass auch dieser Satz nicht wirklich gerecht gegenüber seinen Eltern war. Dennoch fiel es ihm schwer, bestimmte Gedanken abzustellen und sie bereits in der Konstruktionsphase wieder zu verwerfen.
 

Jene, die nicht dazugehörten, versuchten häufig Ventile für ihre Wut zu finden, die sie in ihrem täglichen Leben begleitete. So gab es einige, die nach Aufmerksamkeit gierten, unabhängig davon, ob ihre Bemühungen sie zum Clown der Nation degradierten. Ebenso existierten jene, die darauf setzten andere durch körperliche und teils auch verbale Gewalt einzuschüchtern, um ihre vermeintliche Macht zu demonstrieren und sich Anerkennung durch die Furcht anderer zu verschaffen.

Eine andere Möglichkeit bestand darin, den Hass auf sich selbst zu projizieren. Selbstverletzendes Verhalten nannte man das. Darüber hinaus gab es natürlich noch Drogen.
 

Den zwanzigjährigen Sasuke suchte man vergeblich in den Jugendgangs oder unter den Junkies dieser Stadt. Wenn er ehrlich war, traute er sich nicht einmal Marihuana zu konsumieren. Nicht, weil er etwaige Strafen fürchtete, sondern weil er glaubte zu wissen, dass jegliche Suchtmittel ihn hart treffen könnten. Er war zwar nicht allzu selbstzerstörerisch veranlagt, wie er vermutete, jedoch wollte er es auch keinesfalls darauf anlegen, sich das Gegenteil zu beweisen.

Sasuke wusste sehr genau, dass er nicht dazugehörte, aber er hatte ebenso verstanden, dass er auch keinen Halt in den Spinnenfäden der Gesellschaft fand, die sich bemühte auch jene aufzufangen, die versagt hatten ihr Leben normgerecht zu gestalten.
 

Manchmal, wenn der Regen eine Symbiose zwischen Monsun und Sinflut einzugehen schien und das laute Prasseln auf dem Wellblech so ohrenbetäubend laut war, dass selbst die dumpfe Musik aus dem Kopfhörer es kaum noch zu übertönen vermochte - fühlte Sasuke eine Form von tiefer, innerer Zufriedenheit in sich aufsteigen.

Zwar glaubte er nicht daran, dass dieser schier endlose Regen, der in einigen Minuten das Zeitliche segnen würde, irgendetwas verändern konnte - aber ihm gefiel der unsinnige Gedanke an einen Funken Hoffnung, der Bestand haben könnte, wenn all der Schmutz fortgewaschen war.
 

Ein dezentes Klopfen ließ ihn aufschrecken. Es kam von der Zimmertür, die sich ohne eine Erwiderung von ihm schließlich zögernd öffnete. Was mochte jemand denken, der sich dabei soviel Zeit ließ? Hatte die Person Angst ihn zu ertappen? Wobei?

Das matt lächelnde Gesicht seiner Mutter tauchte im Türspalt auf.

"Sasuke?", fragte sie zögernd, doch er sah sie nur abwartend an ohne etwas zu erwidern.

"Hast du nun deine Bewerbungen geschrieben?", fuhr sie schließlich fort. Im Grunde wusste Sasuke natürlich, dass dies eine rein rhetorische Frage war, die ihm vermitteln sollte, dass sich seine Mutter um ihn und seine Belange sorgte und sich auch kümmern wollte. Ebenso wusste er, dass seine Antwort, unabhängig davon, ob er die Frage bejahen oder verneinen würde, dieselbe Reaktion hervorrufen würde. Es war schlichtweg bedeutungslos.

"Ich bin dabei", erwiderte er schließlich die farblose Wand musternd. Dunkel glaubte er sich zu erinnern, dass die Wand ursprünglich in einem sehr hellen Gelbton gestrichen worden war, jedoch erkannte man diese Farbe kaum und sie erschien schlichtweg ernüchternd weiß.

"Gut, du weißt ja, wenn du Hilfe brauchst", sie führte den Satz nicht zuende und beließ es stattdessen bei einer etwas hilflos erscheinenden Geste, die alles und Nichts bedeuten konnte. Am Ende fügte sie lediglich hinzu, dass das Essen bald fertig sei.

Sasuke würde sie natürlich nicht um Hilfe bitten, ebenso wenig, wie seine Bewerbungen je über Datum und Adresse hinauskamen.
 

Nicht, dass Sasuke dumm oder ungebildet gewesen wäre. Im Gegenteil, er hatte die Schule zwölf Jahre besucht und zumindest auch durchschnittliche Leistungen erbracht. Zumindest bis er sich selbst in die Quere gekommen und eines Tages seine Sachen gepackt und nicht mehr hingegangen war.

Ob er diese Entscheidung bedauerte? Er bedauerte in erster Linie den Grund, den er gehabt hatte, so zu handeln, doch hatte er in den vergangenen zwei Jahren darauf verzichtet, ihn der Mutter mitzuteilen, die inzwischen längst aufgehört hatte, nachzuhaken.

Wozu auch? Die Tatsachen und die Gegenwart veränderte sich nicht, nur weil man die Vergangenheit erneut durchkaute und ausspuckte. Selbst, wenn er eines Tages sich sagen konnte, dass er nun in der Lage war, anders zu handeln - selbst dann würde sich all das nicht in Luft auflösen.
 

Er war und würde kein Mensch werden, den man auf der verwandschaftlichen Geburtstagsfeier als erfolgreichen Sprössling preisen konnte. Sicherlich, er wusste nicht, was seine Eltern all den neugierigen und klatschsüchtigen Tanten und Onkels erzählen mochten, jedoch ging er nicht davon aus, dass es besonders aufregend war. Vermutlich sprachen sie gar nicht über ihn. Sasuke kannte nicht einmal alle bei Namen hätte er ihnen gegenübergestanden.

Einmal hatte auch sein Vater ihn deshalb kritisiert - er sprach damals davon, dass es ihm irgendwann schaden könne, wenn er keinerlei Kontakte pflege. Was wäre denn, wenn er Hilfe gebrauchen konnte?

Wobei denn, hatte sich Sasuke damals gefragt, jedoch nur etwas fadenscheinige Antworten erhalten. Bis jetzt konnte er sich nicht so recht die Situation vorstellen, in der er die Hilfe jener Leute gebrauchen könnte.
 

Am meisten beschäftigte ihn jedoch die Frage nach dem Ursprung, dem wahren Grund für all das. Zwanzig Jahre waren vergangen und er, der durchschnittliche Sohn aus dem gesellschaftlichen Mittelstand hatte weniger Perspektive als jeder Sonderschulabbrecher sie haben könnte.
 

Dennoch hatte er nichts vorzuweisen - kein gewaltätiges Elternhaus, keine Alkoholiker, keinen pädophilen Onkel, nichts. Gar nichts. Absolut gar nichts.
 

Sicherlich war das Leben nicht immer nett zu ihm gewesen, in der Schule hatten sie ihn grundsätzlich neben den Klassenclown gesetzt in der Hoffnung, Sasuke würde ihn verstummen lassen - was primär dazu führte, dass seine Federtasche täglich dreimal auf wundersame Weise verschwand und sein Radiergummi alle paar Wochen ersetzt werden musste.

Auch seinen ersten Kuss konnte man als Desaster bezeichnen. Er hatte nicht recht gewusst, wie er dem Mädchen hätte deutlich machen können, dass er nicht interessiert war, was wiederum zu einem spontanen Kuss auf dem Schulhof inmitten einer pfeifenden Menge amüsierter Schüler geführt hatte, an den er sich ungern zurückerinnerte. Es hatte nichts Romantisches an sich gehabt, ein entrückter Moment ohne tiefere Bedeutung - und dass er anschließend sich wortlos an den johlenden Schülern vorbeigeschoben hatte, um die Schule zu verlassen und auf die letzten beiden Stunden zu verzichten, hatte er sowieso längst wieder verdrängt.
 

"Wo liegt eigentlich der Tiefpunkt im Leben eines Menschen", überlegte er, seinen Kinn auf die Hand stützend und aus dem Fenster starrend, "und wie weit bin ich eigentlich davon entfernt?"



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Porzellan_Puppe
2015-09-09T13:10:06+00:00 09.09.2015 15:10
Uuuh, das gefällt mir bis jetzt richtig gut!
Ich hab schon mal was von dir gelesen - und auch kommentiert, wenn ich mich richtig erinnere - und kann nach der zweiten FF sagen, dass du echt interessante Dinge schreibst und ich dich als Autoren auf jeden Fall vormerken werde, weil du meinem Geschmack i.d.R. ganz gut triffst. :D

Es ist super angenehm zu lesen, wie du dich nicht den gängigen Fanfiction-Klischees beugst, sondern deine eigenen Wege gehst-- die Erzählperspektive fällt mir dabei jedes Mal auf, sie lässt sich den typischen Varianten nicht richtig zuordnen, weder personal noch allwissender Erzähler. Find ich cool.

Dass Itachi der jüngere Bruder ist, finde ich sehr interessant. Dasurch entsteht eine ganz andere Dynamik, die ich so noch nicht gelesen habe.

Und den ganz großen Bonuspunkt bekommst du von mir dafür, dass du Sasuke so herrlich unsozial und unangepasst schreibst, wie er eigentlich auch sein sollte. Das kriegen so wenige Autoren auf die Reihe, teilweise wahrscheinlich auch mit Absicht, weil es dann doch einfacher ist, ihn ein bisschen zu normalisieren und sozial kompetenter zu machen. Deshalb freue ich mich jedes Mal, wenn das nicht so ist. Was leider nicht oft passiert. :'D

Jo, ich les dann mal weiter und kommentiere gleich die nächsten!

Von:  Onlyknow3
2014-06-06T07:21:30+00:00 06.06.2014 09:21
Sehr gutes Kapitel, komme nur nicht dazu so schnell alle Kapitel zu lesen.Aber mach weiter so, irgenwie zieht mich die Geschichte schon jetzt in ihren Bann.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Xylune
06.06.2014 11:09
Freut mich, dass bereits der Anfang dir zusagt ^^ und der Text rennt ja nicht weg ;)


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