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Earning Angel Wings

von

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~: Captured :~

» Gute Nacht, mein kleiner Engel. «

(Redewendung)
 

Raphael verließ das große, gelb gestrichene Gebäude durch den breiten gläsernen Haupteingang. Hastig überquerte er den hell gepflasterten, von hohen Ahornbäumen gesäumten Vorhof bis er die dicke Sandsteinmauer erreicht hatte, die das Krankenhaus von der Straße abgrenzte.

Kurz blieb er an dem geräumigen Durchgang stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Er hasste das Gefühl, hilflos zu sein, und nichts anderes war er im Moment. Er hatte keine Chance, Aideen in diesem Zustand irgendwie zu helfen.

Frustriert fuhr sich der Erzengel mit der Hand durch die igelig-kurzen Haare und unterdrückte den Impuls, auf den sandfarbenen Stein neben ihm einzuschlagen.

Wie hatten es die Diener der Hölle nur wagen können die Hand gegen sie zu erheben?

Trauer überflutete ihn als er an das blasse Gesicht der jungen Engelsfrau zurückdachte. Er musste schlucken als ihm bewusst wurde, dass es sogar möglich war, dass sie nie wieder aufwachte.

In ihrer Menschenform waren Himmlische ebenso verletzlich wie alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten. Das machte die Erde auch zu einem so beliebten Kampfplatz der Dämonen.

Zwar wurden die wichtigsten Lichtwesen wieder geboren, sobald sie starben – es gab jedoch jede Menge Möglichkeiten, das zu verhindern.

Mit versteinerter Mine trat der hübsche Sechsundzwanzigjährige auf den Gehsteig und mischte sich unter die Menschen. Ohne es wirklich wahrzunehmen überquerte er mit der Masse die breite Kreuzung, als die Ampel grün wurde, und folgte der viel befahrenen vierspurigen Hauptstraße.

Er wusste, was er eigentlich tun sollte - und doch war er gerade jetzt einfach nicht in der Lage dazu.

Er konnte unmöglich in ihre Wohnung gehen und Gottes Auftrag ausführen. Alles würde ihn an sie erinnern und Raphael fühlte sich außerstande, jetzt noch mehr zu ertragen. Seine Kehle war unverändert wie zugeschnürt und die Trauer saß ihm wie ein dicker Kloß im Hals, der ihm die Luft abdrückte.

Wie von selbst lenkten ihn seine Füße in eine der abzweigenden Seitenstraßen, die zwar auch nicht gerade schmal war, wo aber wesentlich weniger Verkehr und Lärm herrschte.

Am liebsten hätte der Erzengel sofort einen der einsamen Gärten in den himmlischen Gefilden aufgesucht, wo er ungestört trauern konnte. Doch er wusste, dass er jetzt nicht einfach so davon laufen konnte.

Zuerst musste er den Auftrag wegen dem er hier war zu Ende bringen.

Aber vielleicht würde er im nächstgelegenen Park auf einer Bank einen kurzen Moment der Ruhe finden und konnte seinem Körper die kleine Rast gönnen die er nach diesem Schock so dringend brauchte - und sich auf das Kommende vorbereiten.

Der junge Mann mit den hellen Haaren blieb kurz neben einer der Mauern, die die Grundstücke und Häuser von der Straße abtrennten, stehen und blinzelte, um sich aus seinen Gedanken zu lösen und zurecht zu finden.

Er wusste, dass hier ganz in der Nähe ein kleines Waldstückchen unbebaut geblieben war um den Menschen in ihrer Hektik Erholung zu bieten. Während er angestrengt nachdachte, ließ er seinen Blick über den breiten Gehsteig schweifen.

Es waren hier auffallend wenig Leute unterwegs, wenn man es genau bedachte schien die Straße wie ausgestorben – bis auf einen kleinen Jungen, der etwas verloren mit dem Rücken zu ihm einige Meter entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand und auf einen Punkt vor seinen Füßen starrte.

Stirnrunzelnd ließ der Engel seinen Blick auf der schmalen Gestalt ruhen.

Eine kleine schwarze Spinne mit rotem Kreuz auf dem Rücken seilte sich von einem Zweig des Kirschbaums, der im Garten des Hauses wuchs vor dem Raphael gerade stand, hinunter und landete auf der hellen Haut im Nacken des Erzengels.

Mit leichtfüßigen Schritten eilte sie über die weiche warme Oberfläche unter dem weißen Stoff bis sie bei seiner Wirbelsäule angekommen war.

Dort biss sie zu.

Der junge Mann spürte einen kurzen, ziehenden Schmerz zwischen seinen Schulterblättern, nicht mehr als ein kleines Pieksen.

Doch schenkte er dieser Tatsache keine Beachtung.

Es war Sommer, und jede Menge Stechmücken unterwegs.

Die Spinne ließ sich unbemerkt an einem Faden zum Boden hinab und krabbelte davon. Währenddessen hatte ihr Opfer eine Entscheidung getroffen und überquerte ohne lange zu überlegen die wenig befahrene Fahrbahn.

Raphael steuerte auf die einsame Gestalt zu, die ihn nicht zu bemerken schien, ja sogar gar nichts um sich herum registrierte, so sehr war sie auf das fixiert, was vor ihr lag.

Stand der Kleine etwa unter Schock?

Ihm schien es jedenfalls so, als brauche der Junge Hilfe und irgendwie füllte dieser Gedanke sein ganzes Denken aus, so dass ihm das drohende Ziehen in seinem Bauch nicht wirklich auffiel.

Der Erzengel beschleunigte seine Schritte und war schon beinahe bei der zierlichen Person angekommen, deren weißblonde Haare wuschelig von ihrem Kopf in alle Richtungen abstanden, als er erkannte was da so leblos zu Füßen des Knaben auf dem Boden lag und er abrupt zum Stehen kam.

In einer Lache aus hellrotem Blut lag eine kopflose Taube auf den grauen Steinen. Im ersten Augenblick schoss Raphael der Gedanke durch den Kopf, dass der Vogel vielleicht dem Jungen gehört hatte und ihn irgendeine Katze umgebracht hatte.

Doch die tröstenden Worte blieben ihm im Hals stecken als sich seine Nackenhaare aufstellten und er spürte, wie eine Gänsehaut langsam seinen Rücken hinauf kroch.

Die Anzeichen waren eindeutig, doch trotz allem konnte er nicht so reagieren wie er wollte.

Zweifellos ein Zauber, der den Sechsundzwanzigjährigen gegenüber der Tatsache, dass er es mit einem Dämonen zu tun hatte gleichgültig machte, ihn geradezu lähmte.

Es war ihm unmöglich zu handeln, wie er es normalerweise getan hätte.

Etwas in ihm sträubte sich dagegen, irgendwie zu agieren oder gar sein Schwert zu ziehen und dem armen, gänzlich hilflos scheinenden kleinen Wesen vor ihm etwas anzutun.

Wenn er sich nur nicht so bewusst wäre, wie falsch diese Gedanken waren! Doch er hatte keine Möglichkeit, die grausame Täuschung von der er so gut wusste, dass sie nicht stimmte, abzuschütteln und seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen.

Stattdessen trat er einen weiteren Schritt auf den Jungen zu und war nun nur noch zwei Meter von ihm entfernt. Diesen Moment wählte Cruel, um sich seinem Opfer zuzuwenden.

Raphaels Aufmerksamkeit, die zuerst immer noch wie hypnotisiert auf den toten Vogel gerichtet war, wurde nun auf die Gestalt vor ihm gelenkt.

Sein Blick wanderte langsam von den schwarzen Turnschuhen über die beinahe weiße Haut der Beine die nur halb vom hellblauen Stoff einer Kargoohose verdeckt wurden und blieb an dem mit Blutspritzern bedeckten grauen T-Shirt hängen. Übelkeit begann sich in dem Engel zu regen und er fühlte sich schwach, fast schon krank.

Was geschah hier mit ihm?

Beherrschte dieser junge Dämon vor ihm tatsächlich schon derart komplizierte Magie, die es ihm ermöglichte, einem Himmlischen der ersten Sphäre die Energie zu entziehen?

Das würde bedeuteten, dass der Kleine einen sehr hohen Rang in der Unterwelt belegen musste, schoss es dem Älteren ungebeten durch den Kopf.

Seitdem sich Luzifer vom Licht abgewandt hatte, besaß er eine Macht, die der Gottes beinahe ebenbürtig war, und somit war es ihm möglich, Wesen zu erschaffen die sogar über seinem ehemaligen Rang als Erzengel standen.

Trotz allem war das bisher außer bei seinem Sohn noch nicht vorgekommen, und Loki war eine Ausnahme.

Raphael hätte am liebsten geschrieen.

Er konnte sich momentan wirklich mit nichts Wichtigem beschäftigen – wie beispielsweise dem Unschädlichmachen des magischen Netzes in dem sein Geist verfangen war – so sehr er es auch wollte.

Dieser kombinierte Zauber war wahrhaft tückisch, er hatte keinen der Fallstricke wirklich bemerkt, und das ihm, dem Herrscher der Lüfte!

Als der Junge die Hand senkte, die er bisher noch an die Lippen gehalten hatte, riss er Raphael wieder aus dem Trance in den ihn sein Lähmungsspruch bis jetzt versetzt hatte.

Die anfängliche Erleichterung, die der Engel darüber empfand wandelte sich allerdings in Entsetzen, und er musste ein ungläubiges Keuchen unterdrücken, als er die blutüberströmten kleinen Finger sah die – den Kopf der toten Taube umschlossen.

Ekel überflutete ihn, und trotzdem war er nicht in der Lage irgendetwas anderes zu tun als das, wozu ihn der Zauber dieses kleinen Bastards vor ihm zwang. Ungläubig aufgerissene silberblaue Augen fuhren in die Höhe zum Gesicht des Kindes, das ihm etwa bis zum Bauch reichte und das seinen entsetzten Blick erwiderte, als sei es die Unschuld selbst.

Doch das leichte, eindeutig böse Lächeln, das auf seinen Lippen lag machte den Eindruck zunichte, vor allem, als plötzlich seine kleine rosa Zunge hervor schoss um langsam – geradezu genüsslich - das Blut vom rechten Mundwinkel zu lecken.

Die Übelkeit verstärkte sich, ebenso wie das Schwächegefühl.

Cruels Lächeln weitete sich zu einem Grinsen.

Das Gift breitete sich rasch aus und zeigte die gewünschte Wirkung.

Im Moment war der Engel vor ihm nicht kräftiger als ein neugeborenes Kätzchen. Es war beinahe schon zu leicht gewesen und der junge Dämon war enttäuscht, dass ihm sein Opfer nicht mehr Widerstand geboten hatte.

Es war schon ein wirklicher Nachteil, wenn man von Gefühlen wie Trauer und Verzweiflung abhängig war und sich vollkommen darin verlieren konnte, stellte er mit einem spöttischen Blick auf das blasse Gesicht seines Gegenübers fest.

Anders hätte ein so simpler Trick niemals Erfolg haben können und der Ausgang des folgenden Duells hätte keinesfalls festgestanden.

Allerdings begann es ihn allmählich zu nerven, immer zu dem anderen hoch schauen zu müssen, und Luzifer hatte ihm schließlich erlaubt, nach Ausführen seines Auftrags seine wahre Form anzunehmen. Nun – seine Aufgabe war so gut wie erledigt. Langsam begann sich Cruels Gestalt zu verändern.

Raphaels Blick wanderte wieder zurück zu den Augen des Jungen und was er sah ließ ihn erschaudern.

Das Braun der Iris wich einem intensiven Rotton, der nicht nur die Iris sondern auch das Weiß des Augapfels auszufüllen begann.

Zudem hatte er das Gefühl, der andere würde wachsen – oder war das nur so weil seine Knie nachgaben?

Er fühlte sich zunehmend schwächer und alles um ihn herum begann sich zu drehen und zu verschwimmen.

Stand er überhaupt noch auf den Füßen?

Verzweifelt und gleichzeitig fasziniert starrte er auf den einzigen Punkt, der sich nicht zu bewegen schien, und das war das Gesicht des Dämons - aus dessen Zügen alle Kindlichkeit verschwand.

Das war das Letzte, was der Erzengel für lange Zeit mitbekommen sollte. Die Erschöpfung, die er schon die ganze Zeit unterschwellig spürte, erreichte ihren Höhepunkt und Schwärze flutete über ihn herein als er schließlich völlig erschöpft in Ohnmacht fiel.

Cruel beobachtete mit schon beinahe wissenschaftlichem Interesse, wie sein Opfer immer stärker zu schwanken begann.

Das Gift hatte nun seine volle Wirkung entfaltet, und der schmale Körper des jungen Mannes ihm gegenüber sank total entkräftet in die Arme des mittlerweile größeren Dämons.

Der noch immer weißblonde Höllengeborene lächelte auf das blasse Gesicht Raphaels nieder.

Der Erzengel hatte so viel Energie abgegeben, dass Luzifer mehr als zufrieden sein würde. Und er selbst hatte etwas, womit er sich später ein wenig beschäftigen konnte.

Blutrote Magie umhüllte die beiden Gestalten und sie verschwanden.
 

~* Dritte himmlische Sphäre, eine der Straßen die zum Sphärentor führen *~
 

Gabriel hastete mit Sephrenia im Schlepptau zu dem schimmernden Tor, das in die siebte Sphäre führte und nicht weit von ihnen entfernt im Nichts leuchtete.

Ihnen war soeben die Nachricht überbracht worden, sich unverzüglich zum Herrn zu begeben, jedoch ohne irgendeine weitere Angabe.

Es war absolut normal, dass Gott seine Beweggründe erst offenbarte, wenn man sich in seinem Tempel befand. Zu groß war das Risiko, dass die Botschaft einem Spion der Unterwelt in die Hände fiel.

Dennoch reagierten die beiden Engel gerade jetzt besonders empfindlich auf Derartiges. Schließlich befand sich Eve seit heute auf der Erde, und es bestand die Möglichkeit, dass sich eine der schlimmen Befürchtungen, die die Zieheltern seitdem plagten, bewahrheitet hatte.

Vor allem Sephrenia war krank vor Sorge um ihren Schützling, weshalb das Paar mit absolut unüblicher Eile durch die Gänge und Wege des Himmels rannte, was ihnen nicht wenige erstaunte Blicke einbrachte.

Sobald sich die gewaltigen, silberweißen Flügel des Tores allerdings geöffnet hatten, blieb der hübsche Seraphim so abrupt stehen, dass Gabriel um ein Haar in sie hinein gelaufen wäre.

Der Erzengel achtete jedoch gar nicht darauf sondern starrte stattdessen ebenso fassungslos wie seine Gefährtin auf das, was sich da vor ihnen auftat.

„Wa … was ist mit dem Übergang passiert?“ stotterte sie, während ihr Blick wie betäubt an der massiven Wand aus weißem Marmor hing, die sich direkt hinter den Torflügeln befand.

Vorsichtig streckte Gabriel die Hand aus, um einen der Steine zu berühren. Ein hellblauer Blitz zuckte über die schimmernde Oberfläche und eisige, alles betäubende Kälte fuhr in seinen Arm. Mit einem erschreckten Zischen zog er die Finger zurück, sobald ihn die Magie getroffen hatte.

„Es ist vollkommen abgeschottet. Ein kompletter Zusammenbruch.“ flüsterte er ungläubig und rieb sich abwesend über die schmerzende Hand. „Sein Geist ist nirgendwo zu spüren! Wie kann das sein?“

Sephrenia war bei dem Vorgang kreidebleich geworden und begann nun, am ganzen Körper zu zittern. Es war ihr unmöglich, ihre Augen von dem fugenlosen, unüberwindbaren Hindernis abzuwenden.

„Irgendetwas muss mit Raphael passiert sein!“ sagte sie tonlos. „Was sollen wir nur tun?“

Ihre Augen weiteten sich, als ihr ein weiterer entsetzlicher Gedanke kam. „Das Tor zur Erde! Wir … wir sind eingesperrt! Ohne Gabriels Willen lässt es sich nicht öffnen! Wir können Eve nicht helfen!“ Ihre Stimme wurde immer höher und schriller.

Gabriel warf der Engelsfrau neben sich einen prüfenden Blick zu.

Offensichtlich stand sie unter Schock und war kurz davor, hysterisch zu werden. Seine eigene aufkeimende Angst niederkämpfend fasste er sie vorsichtig um die Taille und tätschelte beruhigend ihren Arm während er mit leiser Stimme auf sie einredete. Behutsam drehte er sie von dem fürchterlichen Bild weg. Er musste unbedingt einen kühlen Kopf bewahren.

„Mach dir keine Sorgen, Liebes. Wir wissen doch noch gar nicht, ob etwas mit Eve passiert ist! Wir werden jetzt die Himmelstreppe nehmen und Ihn das dann selbst fragen. Der Zugangssystemabsturz ist eine Katastrophe, aber Er weiß sicher schon davon. Vielleicht ist das auch der Grund weshalb wir zu ihm kommen sollen. Lass uns gehen, es sind ziemlich viele Stufen.“
 

Die gewaltige, schneeweiße Wendeltreppe, deren Ausmaße ins Unendliche zu gehen schienen, und die sich durch sämtliche Sphären des Himmels zog, war trotz ihrer unglaublichen Größe restlos überlaufen.

Die Nachricht vom abgestürzten Transportsystem hatte sich in Windeseile verbreitet, und ein riesigen Durcheinander ausgelöst. Es gab keine Alternative um von einem Ort zum nächsten zu kommen und die bohrende Unwissenheit was nun geschehen sollte sorgte dafür, dass fast jeder Bewohner des Lichtreichs zu seinen Lieben zu gelangen versuchte – was das Chaos allerdings nur noch mehr verstärkte.

Gabriel eilte mit Sephrenia im Schlepptau so schnell es ging die unzähligen Marmorstufen hinauf. Sie mussten sich an der Hand halten um sich in dem allgemeinen Gewirr nicht zu verlieren, und der majestätische Erzengel war immer wieder gezwungen, einen Bogen um herumstehende Gruppen zu schlagen, die mitten auf den Treppen standen und sich unterhielten.

Glücklicherweise war es seiner Gefährtin gelungen, den Schock zu überwinden, in dem sie sich befunden hatte. Hätte er sie führen müssen, wäre ein schnelles Vorankommen unmöglich gewesen. Er wich geschickt einem weiteren Auflauf junger Botenengel aus, die auf den breiten Stufen Platz genommen hatten.

„Wenigstens war das Tor zur Erde gerade geöffnet als Raphael die Kontrolle verloren hat. Nicht auszudenken wenn wir hier eingesperrt gewesen wären.“ Stellte einer der jungen Himmlischen soeben lautstark fest.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Er nicht an so einen Fall gedacht hat? Es gibt sicher ein Notsystem für derartige Fälle!“ erwiderte ein anderer aus dem Kreis und erhielt zustimmende Rufe. „Sonst hätten die da unten Raphael ja nur einmal außer Gefecht setzen müssen!“

„Pah, als ob es so einfach wäre! Raphael ist schließlich ein Erzengel, der ist für niedere Dämonen sowieso unbesiegbar und auch für andere nicht so leicht zu überrumpeln ist! Er hat viel zu viel Erfahrung mit Unterweltlern, um durch sie ernsthaft in Gefahr zu geraten.“ entgegnete eine andere männliche Stimme belustigt und Gabriel blieb abrupt stehen, als er sie erkannte.

Sein Kopf ruckte in die Höhe und er suchte mit schmalen Augen die Gesichter der Herumstehenden ab. Sephrenia, die sie auch gehört hatte, trat neben ihn und sah sich ebenfalls sorgfältig um.

„Du suchst doch nicht etwa nach mir, Bruderherz?“ wollte die Stimme plötzlich hinter dem großen Erzengel wissen.

In ihr schwang ein belustigter Unterton mit.
 

~* Erde, Lokis Appartement im offiziell nicht vorhandenen 13. Stock des Kazewolkenkratzers *~
 

Eve zitterte. Sie hatte Angst, so große Angst, wie sie in ihrem bisherigen Leben nie verspürt hatte. Die tödliche Furcht verdrängte sogar den Gedanken, dass irgendetwas fehlte, ein wichtiges Gefühl, und dass sie sich unbedingt erinnern musste was es war.

Die Panik beherrschte ihr Denken wie ein riesiger schwarzer Wirbel der sie immer mehr in die Tiefe zog und so ihr Entsetzen beständig steigerte.

Noch immer lag die Himmlische wie erstarrt auf diesem großen Ledersofa, auf dem sie auf so schmerzhafte Weise vor wenigen Sekunden erwacht war, unfähig sich in irgendeiner Weise zu rühren.

Sie starrte unbeweglich in die goldenen Augen dieses Dämons, der vorher ein Junge gewesen war. Die junge Engelsfrau hatte sich sofort wieder an alles erinnern können, nachdem sie sich aus diesem seltsamen Traum, von dem sie irgendwie das Gefühl hatte, dass er mehr mit der Realität zu tun hatte als ihr lieb sein konnte, erwacht war.

Alles in ihr war vor Schmerzen verkrampft, als würde das Gift der grausamen Schlange noch immer in ihren Adern wüten.

Es schien sich an der Bissstelle zu sammeln, um sich dann wie Feuer wellenförmig über ihren ganzen Körper zu verbreiten. Sie unterdrückte den Impuls, an ihren Hals zu langen um zu sehen ob dort tatsächlich so etwas wie eine Wunde war. Der Ausdruck auf dem hübschen Gesicht des Dämons, das sie nun zum ersten Mal ganz und in aller Deutlichkeit vor sich sah, warnte sie davor, auch nur die geringste Bewegung zu wagen.

Sie bezweifelte allerdings, dass sie dazu überhaupt fähig war. Neben den Schmerzen, die ihren Körper durchtosten und der Angst, die sie fest in ihrem Griff hielt, spürte sie noch ein weiteres, gänzlich unbekanntes Gefühl in sich aufkeimen.

Die ebenmäßigen, geradezu perfekten Züge ihres Gegenübers schienen eine seltsame Faszination auf sie auszuüben und irgendetwas in ihrem Inneren zum Schwingen zu bringen. Etwas reagierte auf das wunderschöne Gesicht, als wäre es ihr vertraut. Als wäre er nur für sie erschaffen worden – oder sie für ihn.

Der seltsame Gedanke, der ihre Verwirrung und Furcht nur noch steigerte entglitt ihr wieder, als eine weitere Schmerzenswelle ihren Körper erschütterte und dafür sorgte, dass sich alles in ihr schmerzhaft zusammenkrampfte.

Was geschah da nur mit ihr? Das unerbittliche Brennen in ihren Adern war zu real, als dass es sich nur um Einbildung oder Traum handeln konnte und war kaum zu ertragen!

Die Verwirrung wich wieder der grenzenlose Furcht, vor allem als dem sensiblen Engel schließlich die Aura ihres Gegenübers bewusst wurde. Es war wie ein mächtiger finsterer Nebel, die den schwarzgeflügelten Höllengeborenen beinahe schon greifbar einhüllte und sie beide umgab, eine Woge die über ihr zusammenzuschlagen drohte.

Noch nie hatte sie etwas derartig Gewaltiges und Dunkles gespürt, ihre Sinne wurden geradezu überflutet.

Was wollte dieser anscheinend unglaublich starke Dämon noch von ihr?

Sie konnte Hass spüren, Hass und unterdrückte, scheinbar grenzenlose Wut. Die ganze Situation, in der sie sich immer mehr wie seine todgeweihte Gefangene vorkam, mit diesem durchdringenden Blick aus geschlitzten Pupillen, die denen eines Raubtieres glichen und sie wortlos betrachteten, abschätzend, als wäre sie seine Beute oder sein Opfer, trug nicht gerade dazu bei, ihre Angst zu mildern.

Warum hatte er sie mitgenommen?

Eve wusste nicht wirklich viel über die Abtrünnigen, doch dass die Gestalten der Dunkelheit Lichtwesen nicht gerade freundlich gesonnen waren, hatte selbst sie mitbekommen. Im Moment wünschte sich die junge Frau nichts sehnlicher, als nie aus dem Himmel fort gegangen zu sein.

Sie wusste zu wenig von den Gefahren, die hier auf jeden Engel zu lauern schienen. Ihre Vorbereitungen hatten das Leben auf der Erde betroffen, aber nichts von den wichtigen Dingen mit eingeschlossen, was die anderen in ihrem Alter gelernt hatten.

Sie wusste so gut wie gar nichts über Dämonen und wie sie sich gegen sie zur Wehr setzen konnte. Ihre einzige Alternative war immer nur das Weglaufen gewesen, doch wie sollte sie vor etwas davon rennen, von dem sie gar nicht wusste wie sie es erkennen sollte?

Außerdem war trotz der ganzen Übungen alles auf dieser Welt ganz anders und neu für sie gewesen, und diese Tatsache, zusammen mit der unterdrückten Feindseligkeit, die ihr jetzt zusammen mit dieser unvergleichlichen Aura von dem Dämon über ihr entgegenschlug, wühlte ihr Innerstes auf.

Er hatte doch dafür gesorgt, dass sich ihr Körper verändert hatte, und nun dem einer Zwölfjährigen entsprach! Weshalb war er dann wütend auf sie?

Als hätten die Gedanken über ihr Alter irgendeine verborgene Tür in ihrem Geist aufgestoßen, wurde Eve mit einem Mal klar, was das seltsame Gefühl des Verlustes war, das sie sofort nach dem Aufwachen verspürt hatte.

Sie war nicht mehr da!

Die wenige Heilmagie, die sie bisher besessen hatte und die sie zwar nie anwenden konnte, aber die trotz allem wie eine kleine Flamme in ihrem Inneren gebrannt hatte, war nicht mehr vorhanden! Ihr Verschwinden schmerzte, als wäre etwas in ihr ausgelöscht worden, das noch gar nicht zur vollen Entfaltung gekommen war.

Eine eisige Hand schien sich um ihr Herz zu legen und es schmerzhaft zusammen zu pressen, als sie die volle Erkenntnis mit der Wucht eines Schwerthiebs traf.

Dadurch, dass dieser Dämon ihr nicht nur die Energie, sondern auch ihr Alter genommen hatte, war sie jünger als Dreizehn!

Und da sie Menschenform angenommen hatte bedeutete das, dass sie noch kein vollständiger Engel war, weil die Zeitrechnung eine völlig andere war.

Denn erst mit dreizehn Erdenjahren verwandelten sich die jungen Himmlischen in Lichtwesen und bekamen ihre ersten, noch unsichtbaren Flügel und somit auch ihre Magie!

Das wiederum bedeutete … dass sie im Moment kein Engel mehr war, sondern ein ganz normaler Mensch, und sich nicht zurück transformieren konnte. Somit war jede Chance, mit den oberen Sphären Kontakt aufzunehmen zerstört!

Ein Flackern um sie herum riss sie aus ihren verzweifelten Gedanken und erinnerte sie daran, dass sie im Moment noch ganz andere Sorgen hatte.

Die Angst packte sie wieder mit gierigen Klauen und schleuderte sie tiefer in die Finsternis. Sie war allein! Und absolut wehrlos. Keiner würde ihr helfen können, weil niemand wusste, dass sie Hilfe brauchte!

Eve starrte auf die rot schimmernden Wände, die ihr jetzt erst wirklich auffielen und sie mit dem schwarzhaarigen jungen Mann wie eine Pyramide einschlossen. Sie waren vollkommen von der Außenwelt abgeschottet.

Die drei anderen Dämonen dahinter, die diese mit ihrer Magie bildeten und die ihr erst jetzt bewusst wurden, jagten ihr nur noch einen geringen Zusatzschrecken ein. Zu tief war sie im Sumpf der Verzweiflung gefangen als dass sie diese neuerliche Gefahr noch groß schocken konnte.

Was sollte sie nur tun?

Was konnte sie überhaupt tun?

Ihre vor Schmerz und Angst dunklen Augen wanderten zurück zu dem hübschen Gesicht ihres Gegenübers, der noch immer über sie gebeugt war und dessen Mine nichts verriet. Er schien zu warten.

Aber worauf?

Was würden sie jetzt mit ihr machen?

Es war einfach zu viel!

„Oh Gott!“ flüsterte sie mit leiser zittriger Stimme in der ihre ganze Verzweiflung lag. Die drei Dämonen um sie herum zuckten erschrocken zusammen als die magische Wand bei ihren Worten verlosch.

Eve war nicht weniger erstaunt und vergaß für einen kurzen Moment ihre Furcht. Wie war das denn jetzt passiert?

Lediglich der mit den goldenen Augen, von dem sie vermutete, dass es der Anführer der anderen war - denn jetzt konnte sie auch die Auren der übrigen um sie herum wahrnehmen, und keine war so mächtig wie seine - zog lediglich eine Augenbraue in die Höhe und auf seine hübschen Züge schlich sich eine Spur von Belustigung.

„Nun, Kleine – wenn das geklärt wäre, können wir uns ja ein wenig über deine Zukunft unterhalten.“
 

*:------------------------~*~--------------------------:*

TBC.



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  la_estrella
2008-02-14T12:39:18+00:00 14.02.2008 13:39
Muy bien!

Bisher hat sich beim Lesen der FF noch nie Langeweile eingeschlichen und sie gestaltet sich zunehmend interessanter.

Freue mich auf das nächste Kapitel

LG
*
Von: abgemeldet
2004-10-19T18:03:16+00:00 19.10.2004 20:03
Bitte schreib schnell weiter...ich finde,dass die story als buch eine noch größere fangemeinde in ihren bann ziehen würde...-+CoL-+
Von:  starwater
2004-09-23T06:25:54+00:00 23.09.2004 08:25
Tschuldigung, tschuldigung , dass erst jetzt mein Kommi kommt!!!!
Hab zur Zeit aber totalen Stress, bitte nicht böse sein^^!!!
Ich freu mich, dass deine Geschichte wieder weitergeht, hab schon sehnsüchtig darauf gewartet...und du hast uns Leser (auf jeden Fall mich!!) nicht enttäuscht!!!
Sehr spannend, mysteriös und einfach genial geschrieben!!
Ich hoffe, dass wir uns bald wieder auf ein neues Chap von dir freuen dürfen!!
Knuddelääääääääz, starwater ;))
Von:  fany10
2004-09-14T19:58:46+00:00 14.09.2004 21:58
Nach ewigen Zeiten habe ich endlich eine deine Fanfictions gelesen (es gab ja viel Auswahl :-))und das war viel zu spät!
Mit dieser hier habe ich wohl gleich einen Volltreffer gelandet, eine wunderbare Geschichte/ Idee, die pefekt geschrieben ist!
Die Charaktere, einfach in den Bann ziehend- wen mag ich mehr, den Höllenfürsten persönlich oder seinen Sohn? Eine harte Entscheidung!

Sehr gut waren auch die, ja, fast schon lexiakartigen Auflistungen der Erzengel und der Totsünden, hätte ich so aus dem Stehgreif nie alle zusammen bekommen.
Loki ist doch in den germanischen Mythen der Bruder Wotans und hat sich dem Bösen verschrieben, oder? Hab ich irgendwie so in Erinnerung und würde ja auch passen ;-)

Bei der Erwähnung der sieben Totsünden in Eisform, ziemlich am Anfang der Geschichte, musste ich fast lachen.
Mein Paps arbeitet nämlich bei Schöller und hat nur wegen der Bennenung eben dieser Eissorten einen neuen Kunden geschrieben:
Ein christlich- kirchliches Seminarheim bestellte zuvor bei Langnese, bis zu dem Zeitpunkt der Entwicklung der "sieben Eis- Totsünden", deshalb schmissen sie die Firma raus und Schöller kam zum Zug.
Tja, des einen Freud, des anderen Leid.

Auf jeden Fall eine Geschichte die du umgehend weiterschreiben MUSST! Ich bin schon so gespannt was mit Eve passiert.........

Viele Grüße, Fany

P.S.: Schneller!!
Von: abgemeldet
2004-09-14T18:25:01+00:00 14.09.2004 20:25
wow O.O
echt hammer. schreib büdde gaaaanz schnell weiter!!!
BITTE!!!!

hdgdl
azaya
Von: abgemeldet
2004-09-13T18:47:00+00:00 13.09.2004 20:47
das war mal wieder super^^ (was schreib ich das überhaupt, ist doch eh immer das gleiche -_-)
nya und das übliche halt, schreib mir doch bitte wieder eine ens ja? danke für die letzte!
bis denne
inu
Von: abgemeldet
2004-09-13T18:09:52+00:00 13.09.2004 20:09
Halli Hallo! So wie es ausschaut hast du soeben einen neuen Leser und Kritiker gewonnen, nämlich (tätärätää) mich ;)
Um nicht jedes Kapitel einzeln zu kommentieren muss ich jetzt mal alles irgendwie zusammenfassen, aber wo fange ich da am besten an?
Muss ja schon sagen, dass ich irgendwie gar nicht auf den Titel geachtet habe, sondern nur 'Engel und Dämonen' gelesen habe und dachte 'das ist was für mich'. Naja bisher wurde ich bei diesem System meist enttäuscht, aber diese FF war es wirklich wert reinzuschauen. Zum Glück, dass ich nicht den Titel zuerst gesehen habe, denn den finde ich jetzt nicht so dermaßen anziehend, ein wenig zu allgemein für meinen Geschmack.
Aber dieses kleine Defizit macht schon allein dein Schreibstil alle mal wett. Ich bin wirklich begeistert. Du schreibst ohne diese blöden
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* * Kommentare
...Dinger... wie auch immer man es nennen will. Dein Schreibstil ist flüssig und ich finde du hast auch eine wunderschöne Liebe zum Detail, was ich persönlich unheimlich genial finde. Auch die Beschreibung der Himmels- und Höllensphären sind echt voll kreativ. Allein die Sache mit dem Tor zur Erde, der langen Treppe etc. sind einfach total gut vorstellbar. Aber auch Blicke beschreibst du echt schön und das Äußere der verschiedenen Personen ist wunderbar vorstellbar.
Aber bevor ich hier zu sehr schwärme muss ich ja zugeben, dass ich allgemein bestimmte Vorstellung der Engelshierarchie etc. nicht unbedingt teile und mir deshalb manchmal an den Kopf schlagen musste. Aber ich muss wohl lernen die Story mit Abstand zu meiner eigenen Meinung zu betrachten und dann ist sie wirklich ein Juwel. Spannend, schön ausgeschmückt, wenig Rechtschreibfehler und die Idee mit den Zitaten zu Beginn jedes Kapitels ist auch ur schön.
Bin gespannt wie es weitergeht!
Tschauserle
Creditor alias Mürri
Von: abgemeldet
2004-09-13T14:30:03+00:00 13.09.2004 16:30
geniales kappi kan ich da nur asgen. ^^
na ch langer zheti endlich. *froi* ^^
wirklich...aber was war das mit eve und dem schild oder was auch immer? <.<
ssw.
vinchen


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