Zum Inhalt der Seite

Der Sanftmütigen Erbe

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Ich hole sie zu mir, in mein Land"

Es war still geworden, im Krankenhaus. Bis auf die Nachtschwestern, die alle halbe Stunde mal ins Zimmer sahen, war nichts los.

Lucy hatte sich den Besucherstuhl zwischen die Betten von Emily und Nathan gerückt, die Betten standen so eng zusammen, dass sie mit der einen Hand die Matratze des rechten Bettes berühren konnte und mit der anderen Hand zugleich die des linken Bettes. Durch die Schlitze, zwischen den Vorhängen am Fenster blitzte ein wenig Mondlicht hinein, ließ Emily und ihren Bruder blasser denn je wirken. Beide atmeten nur flach, beide regten sich kaum.
 

Irgendwann musste Lucy eingedämmert sein, denn sie schreckte auf, als etwas Warmes ihren Nacken berührte. Hektisch blickte sie sich um, ehe ihr bewusst wurde, was – oder besser: wer – sich da zu ihr gesellt haben musste.

„Aslan…?“, fragte sie fast tonlos.

Wie zur Antwort schob sich der goldene Löwenschädel neben sie, berührte kurz ihre Schulter. Das majestätische Tier passte gerade so in den winzigen Raum hinein. Seine dichte Mähne streifte ihre Wange und in jedem anderen Moment hätte Lucy jetzt wohl gekichert.

Aber sie wusste in diesem Moment, warum Aslan hier war.

Also atmete sie nur tief durch. „Jetzt ist es also soweit“, murmelte sie bedrückt.

Aslan nickte, langsam und gewichtig. „Ja, Lucy. Ich bin gekommen, die beiden nach Hause zu holen“

So gütig und warm seine Stimme klang, Lucy rann dennoch eine Träne über die Wange. Rasch wischte sie sie mit dem Finger weg.

Die dunklen Augen des Löwen musterten sie dabei. „Ihr habt viel für die beiden geopfert. Ihr habt viel für die beiden getan. So wie ihr zuvor schon so viel für Narnia getan habt. Ich glaube nicht, dass es dich jetzt tröstet, aber eure Mühen werden euch vergolten werden. Vielleicht schon recht bald“, sagte er sanft und mit einem Mal hob er den Kopf und leckte die letzten Reste der Träne von Lucys Wange.

Da konnte sie nicht mehr anders. Sie stand auf und fiel dem großen Löwen um den Hals, schmiegte sich an seinen warmen Leib.

Aslan kommentierte das nur mit einem leisen, dumpfen Schnurren, tief in seiner Brust. „Seit du Narnia das letzte Mal verlassen hast, sind dort fast wieder 400 Jahre vergangen. Aber ich sehe, du bist auch in dieser Welt erwachsen geworden“, brummte er schließlich.

Lucy löste sich gerade so weit von ihm, dass sie beim Sprechen nicht seine Mähnenhaare in den Mund bekam. „Was meinst du?“

Aslan legte den Kopf schief und sah sie einen Moment nur an, ehe er sagte: „Du hast mich erst gar nicht gefragt, ob ich dein Elixier mitgebracht hätte. Du hast gelernt, dass es Situationen gab, es einzusetzen – die hast du erlebt. Bei Edmund, bei Trumpkin, bei Reepicheep. Aber du hast auch gelernt, dass es Situationen gibt, in denen es falsch wäre, jemanden von seiner Reise abzuhalten“

Lucy atmete tief durch. Sie musste zugeben, dass sie an ihr Feuerblumenelixier tatsächlich nicht einmal einen Gedanken verschwendet hatte. „Du… du hast gesagt, du willst sie nach Hause holen. Nach Narnia?“

„Nicht ganz. Ich hole sie zu mir, in mein Land. Sie sind Sohn und Tochter Narnias und sie sind reinen Herzens. Sie haben es verdient, dass ich sie dorthin mitnehme – ebenso wie die sieben Freunde, die Narnias Säulen sind“

„Und… Caspian? Ich meine… werden sie ihren Vater dort kennenlernen?“

Aslans Antwort war ein Nicken, ehe er den Kopf hob und sich mit einem Schritt rückwärts sachte von Lucy löste. „Es wird Zeit“, deutete er nur an.
 

Lucy kämpfte ein erneutes Aufschluchzen nieder, ehe sie sich straffte und an Nathans Bett trat.

Der Junge lag still da, völlig friedlich – aber mit geöffneten Augen. Eine Abgeklärtheit lag darin, die Lucy zugleich erschreckte und berührte. Sie griff in ihre Rocktasche und holte vorsichtig die kleine Flöte in Form von Susans magischem Horn hervor. Behutsam legte sie das Kleinod auf Nathans Brust, auf Höhe seines Herzens, fasste nach seinen Händen und legte sie wie beschützend darüber.

Nathan ließ es geschehen. „Die goldene Katze…“, murmelte er nur fast tonlos vor sich hin.

Lucy lächelte etwas gequält. „Aslan“, berichtigte sie ihren Neffen, „Er heißt Aslan“.

Dann beugte sie sich hinab und gab ihrem Neffen einen leichten Kuss auf die Stirn. Als Lucy wieder aufblickte, hatte Nathan die Augenlider geschlossen und ein leichtes, entspanntes Lächeln lag auf seinen Lippen. Er war bereit für seine letzte Reise.

So trat Lucy hinüber zu Emilys Bett. Ihr Gesicht wirkte eingefallener, ihr Körper schwächer und kränker als der ihren Bruders. Ihre Augen waren und blieben geschlossen, als Lucy ihr behutsam die Haare aus der Stirn strich. Dick, wellig und schwarzbraun, ebenso wie Caspians. Emily hatte ihrem Vater immer unglaublich ähnlich gesehen.

Lucy nahm auch die Hände ihrer Nichte, faltete sie über deren Herzen. Und da sie ihre Nichte nicht wecken wollte, legte sie die Kette sacht über die gefalteten Hände. Ein Mondstrahl brach sich in dem angelaufenen Silber des löwenförmigen Anhängers.

Auch hier beugte Lucy sich hinab und gab ihrer Nichte einen Kuss auf die Stirn. „Jetzt wirst du deinen Vater endlich kennenlernen“
 

Dann trat sie zurück, an Aslans Seite. Ihre Hand grub sich fest in seine dichte Mähne, als sie das friedliche Bild ein letztes Mal in sich aufnahm.

Aslan ließ ihr die Zeit, aber als sie kurz die Augen schloss, hörte sie, wie er einen Schritt vortrat, erst zu Nathan, dann zu Emily, als wollte er sich noch einmal überzeugen, dass beide bereit waren. Dann erst legte er den Kopf in den Nacken und stieß ein lautloses Brüllen aus, dessen Schall Lucy dennoch zu spüren vermeinte.

‚Mein Atem ist das Leben. Mein Ruf aber geleitet euch in die Ewigkeit.‘

Diesen Satz hatte Aslan irgendwann einmal in einem Traum zu ihr gesagt und unwillkürlich erinnerte sich Lucy jetzt daran. Fast war sie gespannt, was geschehen würde.

Von den Körpern der Kinder ging ein leichtes Schimmern aus, dann lösten sich auf einmal halbdurchsichtige Abbilder von den Leibern, setzten sich auf und glitten aus den Betten, traten an Aslans Seiten. Die Hand von Emilys Abbild berührte Aslans linke Schulter, die Hand von Nathans Abbild seine rechte.

Nur nebenbei nahm Lucy wahr, dass Emilys Abbild die Kette um den Hals trug – und die echte bei Emilys Körper komplett verschwunden war. Nathans Abbild trug die kleine Flöte an einem dünnen Lederriemen um den Hals und Lucy war sich sicher, dass die Miniatur von Susans Horn nicht mehr unter den Händen seines Körpers zu finden war.
 

In diesem Moment begann Aslans Körper sich aufzulösen und mit ihm die Abbilder der Kinder.

Unwillkürlich wollte Lucy die Hand nach ihnen ausstrecken, ob um sie aufzuhalten, oder zu begleiten, wusste sie selbst nicht so recht, aber sie rührte sich nicht. Und dann war sie auf einmal wieder allein in dem winzigen Krankenzimmer, vollkommen allein, denn aus den Körpern ihrer Nichte und ihres Neffen war das Leben gewichen.

Lucy atmete tief durch. „Auf Wiedersehen, Aslan…“, flüsterte sie vor sich hin und wie schon einmal an diesem Tag meinte sie sein Schnurren zu hören.

Und diesmal klang es wie ein Versprechen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2014-08-02T11:50:12+00:00 02.08.2014 13:50
Hey^^

Wieder einmal ein super Kapi^^Ich weiß nicht wieso, aber ich musste beim Lesen irgendwie heulen.... *noch immer heulend durch einen Haufen Taschentücher hindurch wusel* Schreib bitte schnell weiter>.<

Byebye
Bloodnight^^
Antwort von:  Mimiteh
03.08.2014 16:32
Ich habe es tatsächlich geschafft, einen Leser zu Tränen zu rühren? oO whow^^
Nächstes Kapitel kommt bald, versprochen!


Zurück