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Story between Worlds

Samael und Aurelia
von

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Bye my Angel

Bye my angel,

I missed you so,

but you will go.

You took my heart and my soul

and now you fly away,

but I have to stay.

Now the only thing I can say is:

“Bye my love

we will meet again at the big shores.”
 

„Wirst du mich verstehen? Verstehen wenn ich dir sage, das die Welt ein Geheimnis für sich ist und man Dinge besser ruhen lässt, bevor man das tiefe Dunkle erweckt und damit alles auslöscht, was einst auf Erden Bedeutung hatte?!

Ich schaue in deine Augen und sehe die Furcht, die auch mich einst verzagen ließ. Augen, die die Farbe des himmlischen Feuers haben, die in jeder Finsternis strahlen, unergründlich wie der tiefste Abgrund der Hölle. Augen die ich überall wieder erkennen würde.“
 


 

Schwingen. Leuchtend, kräftig geschwungene Flügel. Schlagen im Wind, lass mich in deine Arme fallen. Jene Arme, in denen ich mich so geborgen fühle. Spüre wie weiches Gras meine Finger berührt, eine warme Sommerbrise, über meine Wangen streichelt und dein Atem an meinen Ohren. Du schwebst über mir, ein kleines Zucken deiner Lippen, ein Hauch der von deinem Mund kommt, necken und lassen mich schmunzeln. Du sagst mir: Ich beschütze dich bis in den Tod.“
 


 

„Dunkel ist die Nacht, doch kälter ist die Luft als am Tag, lassen mich frieren.. Der Mond zieht langsam vorüber, Sterne stehen am Himmel und leuchten auf auf uns herab. „Einst sagte mir ein weiser Mann, die funkelnden Sternenlichter seien die Augen des Himmels. Beschützend und ruhig wachen sie alle Zeitalter der Welt über uns, auch wenn wir sie nicht sehen können, sie sind immer da. Diese Lichter erinnern mich an dich. Sie leuchten so stark wie du in meinem Herzen. Es wird niemals erlischen “. Seine Augen ruhten auf ihren, ein Schimmern der Sehnsucht zuckte in ihnen. „Niemals“.
 

Hauch eines Engelskusses im Frühling, von deinen Lippen. Allein das reicht schon, damit mein Herz zu pochen beginnt und die Schmetterlinge in meinem Bauch explodieren. Sie sagen mir, das alles gut ist, doch ihre winzigen sanften Flügelschläge flüstern das es bald Zeit wird. Zeit sich zu entscheiden, für eine Weile getrennte Wege zu gehen. Das Flattern passt sich dessen meines wild pochenden Herzens an. Unruhe keimt in meinem Innern auf. Urplötzlich spannt sich mein ganzer Körper an, du spürst es und ziehst dich wiederstrebend aber schnell, eigentlich schon fast zu schnell, zurück. Schließlich entfernt sich dein Körper mit den letzten verzweifelten Flügelschlägen der Schmetterlinge, ganz von mir. „ Die Zeit ist abgelaufen.“ Ein letzter Blick in deine unverwechselbaren, goldenen Augen. Ich liebe dich , schienen sie zu sagen. Dann warst du auch schon verschwunden.

Kapitel 1

Aurelia lief durch die Gänge des Herrenhauses inmitten der Stadt Edingburgh, ihrem Zuhause. Ihre Schritte halten durch den Korridor, während eine liebliche Melodie an ihre Ohren drang. 'Sie ist einfach wundervoll', ging es ihr durch den Kopf.

Die Sonne schien durch die makellosen Fenster und brachte ihr wohlige Wärme auf ihre Haut, die gleich in ihren Körper eindrang, bis zu ihrem Herzen und dort fest haften blieb.

Aurelia schritt auf die Doppelflügelige Tür zu, blieb einen kurzen Moment davor stehen und wartete bis die Töne, die das Klavier erklingen ließ, verstummten und sie schließlich eintrat. Zuerst spähte sie mit dem Kopf durch einen kleinen Spalt und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Zu ihrer Rechten befand sich das alte, verstaubte Bücherregal ( das sie einfach nur schrecklich fand, weil der scheinbar Jahrhundert alte Staub, der auf dem Möbelstück lag, keinen zu interessieren schien). Okey, das war jetzt vielleicht ein wenig übertrieben, er war nicht wirklich hundert Jahre alt, aber um die fünfzig Jahre könnte es sich handeln.

Schnell ließ sie ihre Augen weitergleiten und nahm den Kamin an der Fensterseite und die darum stehenden Sesseln war. Langsam drehte sie sich nach links und erblickte den großen, schwarzen Flügel, der mitten im Raum stand und dahinter ein kleiner Blondschopf zu sehen war. Schließlich ließ sie die schwere Tür hinter sich ins Schloss fallen und trat auf das Klavier zu.

Schallendes Händeklatschen ertönte und als sie um den Flügel herum trat, erkannte sie ihren Vater und ihren Bruder.

„Wundervoll. Einfach grandios mein Schatz.“ Ihr Vater Dave erhob sich aus seinem Sessel, schritt auf ihre Mutter zu und drücke ihr einen Kuss auf den Scheitel.

„Wie habe ich es doch vermisst, deine sanften Klaviertöne zu vernehmen.“ Virginia, Aurelias Mutter, wurde erst neulich von ihrem Leiden erlöst. Sie hatte die Knochenkrankheit ihres Vaters geerbt, der daran verstorben war. Ein himmlischer Geist hatte sie als einzige heilen können und war noch in letzter Minute erschienen bevor die Krankheit vollständig ausbrechen konnte und Virginas Krankheit unheilbar geworden wäre. Aurelia erinnerte sich noch gut an den Schock als ihr mitgeteilt wurde, das ihre Mutter wahrscheinlich bald sterben würde, aber noch besser daran als alle wieder aufatmen konnten und es ihrer Mutter von Tag zu Tag wieder besser ging.

„Heute war es das erste Mal seit einem halben Jahr das sie wieder auf dem Klavier gespielt hatte und du verpasst es einfach.“, spottete ihr Bruder und warf ihr einen grinsenden Blick zu. Sie wusste das er nur Spaß machte, sie jedoch nahm die Situation mit vollem Ernst, da sie wusste wie viel es ihrer Mutter bedeutete wieder auf dem Klavier zu spielen.

„Ich weiß, tut mir Leid, aber ich habe verschlafen...Warum habt ihr mich nicht geweckt?“ Ohne auf ihre Frage einzugehen warf ihr Vater ihr vor:

„Das tust du in letzter Zeit ziemlich oft“. Ein leises Murren war alles was sie zu stande brachte. Mit dem Blick auf den Boden gerichtet ging sie an ihren Eltern vorbei und ließ sich neben Eljah, ihrem Bruder, in einem der Sessel nieder.

„Es ist kein gutes Zeichen, wenn Engel öfters verschlafen. Was ist los?“, fragte besorgt ihre Mutter. Virginia hatte recht, aber Aurelia hatte jetzt keine Lust sich darüber Gedanken zu machen.

„ Nichts, es ist alles in Ordnung, wozu die Aufregung? Du weißt das das dir nicht gut tut.“, erwiderte sie in einem barschem Ton. 'MIST! Du weißt ganz genau, das du in der Gegenwart deiner Mutter, nicht so reden solltest'. Ihre Mutter war zwar wieder geheilt, musste sich aber dennoch schonen und starke Medikamente einnehmen. Sie verfluchte sich innerlich dafür das sie mal wieder daran Schuld war, das Schweigen im Raum herrschte und als sie den Blick ihres Vaters sah wünschte sie sich erst gar nicht aufgestanden zu sein. Das schrie eindeutig nach einer Predigt sobald Virignia schlief.

„Tut mir Leid“, wisperte sie. Wie sehr sie doch diesen Satz hasste! Aber sie konnte ihr Mundwerk einfach nicht daran hindern das zu sagen was ihr gerade durch den Kopf ging.

„Ich denke es wäre besser, wenn ich mich hinlegen würde. Ich fühle mich nicht wohl.“ Mit diesen Worten stand Virginia vom Hocker auf und machte Andeutungen zu gehen.

„Warte, ich werde dich begeleiten.“, sagte ihr Vater seiner Frau zugewandt und warf Aurelia noch einen letzten verstohlenen Blick zu, als die Zwei auch schon aus dem Salon traten und leise die Tür hinter sich schlossen. Sobald die Tür hinter ihnen zufiel warf Aurelia die Hände vor das Gesicht und fluchte leise.

„Hey, was ist den nur wieder los, Schwesterherz?“ sagte Elijah in seiner besorgten großer Bruderstimme. Er war nicht nur der ältere von ihnen beiden, sondern auch die wichtigste Person in ihrem Leben. Natürlich hatte sie ihre Eltern und Freunde auch lieb und würde sie auch für nichts in der Welt hergeben, aber ihr Bruder verstand all ihre Entscheidungen, Unterstützte sie beim Kampftraining, war immer für sie da und kannte sie in und auswendig. Andersrum war es genauso nur mit dem kleinen Unterschied das er nie Unterstützung benötigen zu schien. Er war eine hervorragender Kämpfer. Okey, das Gegenteil konnte nicht von ihr behaupten, aber er besaß das benötigte Fingerspitzengefühl, wenn es darum ging Präzise mit einer Waffe umzugehen und Fingerspitzengefühl besaß sie nun mal nicht. Was Sanftheit im Umgang mit Klingen anging hatte er viel von ihrer Mutter geerbt, während sie die etwas ungeduldigere Seite ihres Vater erhalten hatte. Elijah hatte einfach alles, was man als Schwertkämpfer brauchte. Sie nahm die Hände vom Gesicht und sah ihn an.

„ Ich weiß es nicht. Ich schlafe in letzter Zeit auch nicht so gut, düstere Träume verfolgen mich.“ Sie legte eine kleine Pause ein und fuhr dann fort:

„ Ich weiß nicht ob das an der schwierigen Zeit liegt oder an etwas anderem, aber es kommt mir so vor als ob die Wände meines Zimmers jede Nacht näher Rücken und mich irgendwann zerquetschen werden.“

„Liebeskummer?“, stichelte Elijah. Sie starrte ihn entsetzt an und meinte:

"Jetzt mach dich nicht lächerlich.“

„Hey, war ja nur ein Scherz. Komm mal her.“ Er nahm ihre Hände und zog sie sanft zu sich. Ohne Einwand ließ sie sich vom Sessel ziehen und setzte sich ihrem Bruder seitlich auf den Schoß. Beruhigend umarmte er sie und flüsterte:

“ Das wird schon wieder, du wirst sehen. Wir alle haben turbulente Zeiten hinter uns, da ist es doch klar das man ein bisschen aus der Bahn gerät. Und das wegen Mum wird auch wieder. Sie braucht jetzt einfach ein bisschen Schonzeit und ist deinem lauten Mundwerk einfach noch nicht gewachsen.“ Sie brachte etwas wie ein leises Kichern zu stande.

„ Na siehst du, gar nicht so schlimm und falls du -"

"Halt! Jetzt werde bloß nicht sentimental:“

„Ich? Sentimental?“ Er schaute sie ungläubig an. „Wer jammert denn hier so rum?“ Spielerisch fasste sie nach dem Kissen hinter seinem Rücken und zog es ihm kräftig über den Kopf. Lauthals lachte er auf.

„Okey, hör auf...“

Kapitel 2

Nebelschwaden zogen herauf, erhellt durch das Licht des Mondes. Leise fielen die ersten Blätter auf dem Moos bewachsenen Boden am Ufer. Der erste Frost war auf den Gräsern zu sehen und Winterkälte machte sich bemerkbar.

Samael flog dicht über der Wasseroberfläche, quer über den See entlang und starrte Geistesabwesend über sein verschwommenes Spiegelbild. Schwarze vom Wind zerzauste Haare umspielten sein markantes Gesicht. Das reflektierende Licht des Mondes, schien ihm ins Gesicht und ließ seine hohen Wangenknochen deutlich hervortreten.

'Na super', dachte er, als er eine weitere verzerrte Gestalt im Wasser sah, die scheinbar ein paar Meter über ihm flog.

Entnervt drehte er sich um. Silberne Haare, die der Gestalt um den Kopf flogen, erinnerten Samael wie jedes Mal an die früheren Flugstunden, die er mit seinem Vater unternommen hatte. Wie er sie doch hasste.

'Kann er mich nicht einmal in Ruhe ankommen lassen?'.

Er wandte sich wieder dem Wasser zu, jedoch entging ihm nicht das spöttische Grinsen der über ihm fliegenden Person. Als er an dem bewaldeten Ufer ankam, ließ er sich geschmeidig auf den Boden sinken und zog seine dunkelroten Fluggefährten in sich hinein. Noch einmal holte er tief Luft, bevor die in schwarz schimmernde Gestalt mit ihrer gewohnten Eleganz auf dem grünen Boden landete. Samael stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Gestalt lachte:

„ Guten Abend, Bruderherz. Hättest ruhig auf mich warten können.“ Böse warf er ihm ein verzweifeltes Blick zu.

„ Ich weiß, das du mich den ganzen Weg bis hierher beobachtet hast und an keinem gemeinsamen Flug interessiert bist, Raphael.“ Er lächelte.

„ Warum bist du mir gefolgt?“

„ Ich wollte lediglich unsere Geschwister liebe ein wenig auffrischen.“ Süßlich umfasste er Samaels Hände. Über ihnen ertönte eine weibliche Stimme

„ Hey! Verhält man sich so, an einem friedlichen Ort wie diesem hier?“ Beide erstarrten. Einen Augenblick lang vermochte keiner von beiden sich zu bewegen. Samael war der erste der sich aus der Starre löste und als er den auf seinen und Raphaels Händen, ruhenden Blick seiner Schwester sah, zog er diese angewidert weg. Auch Raphael kam wieder zu sich und sah zu dem auf dem Baum sitzenden Mädchen hinauf.

Diese landete mit einem perfekten Salto wenige Augenblicke später neben ihnen. Böse schaute sie zu ihren Brüdern hinauf. Sie fasste sich mit einer Hand an die Schläfe:

„ Ich habe zwei ältere Brüder, die nichts besseren zu tun haben, als sich liebevolle Worte an den Kopf zu werfen. Also wirklich!“ Ihre letzten Worte hallten wie ein unsägliches Echo durch den Wald wieder. Aufgescheuchte Raben flogen aus den Baumkronen hinaus in die Nacht. Entgeistert schaute Raphael ihnen hinterher.

„ Das ist jedenfalls kein Grund gleich meine Freunde zu verjagen!“ rief er empört. Neben ihm begann jemand zu lachen

„ Deine Freunde?!“ fragte Samael ungläubig. Gerade als Raphael antworten wollte hob das Mädchen beide Hände:

„ Wenn ihr nicht sofort damit aufhört, werde ich aber so richtig wütend.“ Ihre roten, langen Haare, die sich langsam aufzubauschen schienen, glänzten im silbernen Mondschein und erinnerten Samael wie jedes Mal an einen wunderschönen Fuchs. So flink und raffiniert, schleichend bei Mitternacht, die Gegend unsicher macht. Ja, so könnte man seine jüngere Schwester durchaus beschreiben.

„ Schon gut, Jewel, wir...“

„ Genau meine Freunde!“ unterbrach Raphael seinen Bruder, wandte sich ab und verschwand in dem dunklen Wald. Ratlos blickten sich Samael und Jewel an. Einen Moment später kam ein dunkler Schatten aus dem Wald. Raphael.

Er hielt eine etwas größere Tragetasche in der rechten Hand. Der Inhalt klirrte, als er sich auf seine Geschwister zubewegte. Misstrauisch sahen sie ihn an. Er grinste freudig.

„ Ach kommt schon; Lust ein bisschen Spaß zu haben? Die Nacht ist zu schön um nur faul herumzusitzen.“ Ohne auf eine Antwort von Jewel oder Samael abzuwarten, griff er in die Tasche und holte ein längliches, hell leuchtendes Schwert heraus. Zärtlich strich er mit seinen Fingern über die messerscharfe Klinge.

„ Ein Langschwert. Liegt gut in der Hand und ist leicht zu führen.“ Er warf es Samael zu. Anschließend griff er ein weiteres mal in die Tasche und zog einen großen Bogen heraus.

„ Jewel, ich dachte der wäre perfekt für dich. Die Pfeile müssten dort unter dem Baumstamm liegen.“ Er deutete auf den großen umgefallenen Baum am Waldrand hin. Sie zögerte, lief dann aber zu Raphael hin und entnahm ihm den Bogen mit gespielter Leichtigkeit aus der Hand. Ihr Blick wanderte zu dem Baum, auf den sie kurz darauf zusteuerte. Eine weitere Waffe wurde aus der Tasche gezogen. Silbern schimmerte sie. Bei genauerem Betrachten konnte man sehen, das die Form ähnlich eines Samuraischwertes war. Sein Blick wanderte zu Samael.

„ Diese Waffe passt nicht unbedingt zu unserer Standartausrüstung.“ Er lächelte „ Sorgt durch seine geschwungene Klinge für Gleichgewicht im Kampf und liegt gut in der Hand.“

„ Woher hast du dieses Schwert?“ fragte Samael ungläubig. Genau in diesem Moment kam Jewel wieder zu ihnen zurück.

„ Das ist nicht wichtig. Hauptsache man hat Spaß.“

„ Also wirklich Raphael,“ sagte Jewel, „ Wo hast du bloß den Bogen her?“ Geschickt legte sie einen Pfeil ein und spannte ihn. Währenddessen ging Samael ein paar Schritte auf seinen Bruder zu. Gefährlich sprach er mit gesenkter Stimme:

„ Ich mag es nicht, wenn du mir ein Geschenk machst oder versuchst dich bei Jewel einzuschleimen. Und behaupte nicht das du das nur zum Spaß machst, alles was du tust machst du aus einem bestimmten Grund.“ Seine Hand verkrampfte sich um den Griff des Langschwertes. „Glaub mir auf so etwas falle ich nicht noch einmal herein.“ Auch Raphael machte einen Schritt auf Samael zu, sodass die zwei Brüder nur noch wenige Zentimeter voneinander trennte. Erst nach wenigen Sekunden merkten sie , das Jewel sie böse anstarrte. Sie hatte sich den Bogen um die Schulter gelegt und den Pfeil zurück in den Köcher gesteckt. Widerstrebend rückte er von seinem Bruder ab.

„ Hab doch mal ein wenig Vertrauen. Jewel ist alt genug um selber zu entscheiden wer sich bei ihr einschleimen darf und wer nicht.“ erwiderte Raphael.

„ Es wäre ein Wunder wenn ihr einmal aufhören könntet euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, geschweige denn über mich zu reden, wenn ich direkt neben euch stehe!“ motzte Jewel und verschwand im Wald. Samael lief ihr hinterher, wurde jedoch sogleich von Raphael am Arm fest gehalten. Als er sich umdrehte, fing dieser sofort an zu lachen, hörte allerdings wieder auf, als er Samaels ernsten Blick sah.

„ Gib einfach Acht, wo du hintrittst.“ Dann wandte er sich ab und beide tauchten die schier endlose Dunkelheit des Waldes.

Kapitel 3

Aberdeen.

Eine der schönsten Städte in ganz Schottland, so empfand es zumindest Amaya. Gelassen schlenderte sie bei Sonnenschein in herbstlicher Atmosphäre durch den Park und blickte gen Himmel. Die Sonne schien auf ihre blasse Haut hinab, weckte in ihr warme sommerliche Gefühle. Sie blieb stehen. Amaya holte einmal tief Luft, hielt sie für ein paar Sekunden an und atmete sie schließlich aus.

'Du bist nicht zum Vergnügen hier'. Neu gefasst richtete sie sich auf und lief weiter. Sie war vor etwa einer Woche hier angekommen. Als sie damals von der Garnison hergebracht wurde, kam ihr alles so merkwürdig vor. So viele Menschen, die durch die Straßen hetzten, Autofahrer die sich über die scheinbar immer rot stehende Ampel aufregten und sie anschrien, oder welche, die einfach gemütlich auf der Parkbank lagen und eine rauchten.

Ging das so? Waren das Menschen? Hatten sie eine Aufgabe im Leben, die sie erfüllen mussten? Woraus bestand ihr Lebensinhalt?

Das waren Fragen, die Amaya im Laufe der Tage in den Sinn gekommen waren und die sie bis jetzt nicht hatte beantworten können. Sie wusste nur eines: Das es in dieser Welt lauter Menschen gab, die gar nicht wussten was sie machten oder machen sollten.

'Du hast hier eine Mission zu erfüllen und keine Zeit Gedanken an Menschen zu verschwenden', ermahnte sie sich.

Schnurstracks steuerte sie auf den Parkausgang zu und überquerte die befahrenen Straße, als sie auch schon vor einem kleinen Gebäude aus Ziegelsteinen stand. Obendrüber prangte ein blinkendes Neonschild mit der Aufschrift 'Good old Aberdeen'.

Langsam schritt sie die zwei Stufen hinauf, während der Wind ihr kräftig in den Rücken blies und öffnete die mit Plakaten beklebte Glastür. Als sie in den Raum eintrat, war außer Zigarettenqualm und dunklen Silhouetten nichts zu erkennen. Amaya hielt abrupt die Luft um nicht husten zu müssen und ging quer durch die Bar auf einen kleinen Tisch in der Ecke zu. Einige Blicke von Männern machten sich bemerkbar, doch sie ignorierte sie bewusst und setzte sich leise hin. Wenigstens war hier kein allzu dichter Qualm, sodass sie sich wieder traute normal zu Atmen.

Sie hob den Blick und schaute auf die Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand prangte. Kurz nach drei. Seine Schicht hat seit zehn Minuten angefangen.

Ungeduldig schaute sie auf ihre langen Fingernägel hinab. 'Bleib ruhig. Er wird gleich kommen. Es wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben'.

Als sie ihre Augen wieder nach vorne richtete, um abermals auf die Uhr zu schauen, nur um zu prüfen ob der Zeiger sich schon ein Zentimeter weiter bewegt hatte, stand er auch schon vor ihr. Groß, schlank, allerdings nicht sehr viele Muskeln. Ihr Blick wanderte weiter nach oben zu seinem Gesicht. Blaue Augen schauten sie fragend an, braune, zerzauste Haare umgaben sein Kopf und die Schultern waren etwas zu weit nach vorne gefallen. Er intensivierte sein Blick, der sie zum Stottern brachte:

„ Wie bitte? Ich hatte die Frage nicht... verstanden.“ Darauf sah er sie verwirrt an.

„ Äh, ich hatte Sie gefragt ob Sie schon wissen, was Sie gerne bestellen würden“. Amaya riss sich von seinem Anblick los und starrte verkniffen auf den Boden.

„ Nein...nein ich weiß es noch nicht. Ich...warte noch auf jemanden“, murmelte sie in sich hinein.

„Oh, ja klar. Okay, dann komme ich einfach später nochmal.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verschwand hinter der Theke. Sie wartete bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war und verdrehte dann die Augen. Super. 'Wirklich toll gemacht, Amaya. Aber was hätte ich denn sagen sollen? Hallo, ich bin dein Geist, der dich dein Leben lang so gut es geht beschützen wird, ich aber für nichts garantieren kann? Menschen sollten einen besseren Eindruck von ihren Beschützern haben. Was aber darauf zutrifft, das die Menschen nie etwas von ihren Beschützern erfahren. Und das auch so bleiben sollte'.

Sie straffte die Schultern, richtete sich auf und wollte sich gerade erheben, als jemand anderes sich gegenüber von ihr auf den Stuhl setzte. Der Gestank von Alkohol und Zigarettenrauch drang zu ihr herüber. Der Qualm war also doch noch in ihre Ecke gedrungen. Früher oder später wäre er durch den Raum zu ihr gelangt...oder eben jetzt, mit einem Schlag, indem sich ein wildfremder Alkoholiker neben sie setzte und sie aus gläsernen Augen anstarrte. Ruhig schaute Amaya ihn einen Moment lang an, worauf er zu grinsen begann und ihr damit seine schwarzen Zähne zeigte. Mit einem schnellen Ruck beugte sie sich nach vorne, schlug mit der Hand auf den Tisch und zog eine finstere Fratze, womit sie ihm ihre weißen Zähne zur Schau stellte.

Einen Augenblick lang wirkte er erschrocken und wich zurück, doch dann „ Ich sehe wir verstehen und auch ohne verbale Kommunikation. Mein Name ist Ed.“ Er beugte sich wieder vor, wodurch ein grässlicher Geruch aus seiner Richtung kam und wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gesagt das, dass der persönliche Gestank der Hölle sei. Amaya schloss einen kurzen Moment die Augen.

„ Leider bin ich jemand, der sehr gerne mit anderen spricht und deswegen auf anregende Wortwechsel eingestimmt ist, weshalb ich auch lieber nonverbalen Gesprächen fernhält. Guten Tag“.

Sie stand auf und durchquerte die Bar. Wie gut konnte der Tag schon sein, wenn man um drei Uhr nachmittags bereits betrunken ist?

Amaya war schon längst an der Tür angekommen und draußen auf die Veranda getreten, als sie etwas am Kragen ihrer Strickjacke packte und sie unsanft nach hinten zog. Ein leises „Oh“ entschlüpfte ihr, als sie kurz darauf dicht vor dem Alkoholiker stand. Er starrte sie wütend an.

„ Das mit den Zähnen, fand ich ja nicht schlecht, aber wie wäre es mit was anderem?“.

„ Scher dich weg!“, schrie sie ihn an. Darauf fing er an gehässig zu lachen, wodurch ein paar andere Männer aus der Bar traten, sich ihm anpassten und auf sie zukamen. Reflexartig trat sie einen Schritt zurück als einer von ihnen auch schon das Wort ergriff:

„ Ach, siehst du die Kleine hat Angst.“

„Vielleicht solltest du ihr mal zeigen, dass sie keine zu haben braucht.“, meinte ein anderer, der wegen seiner Größe nicht zu übersehen war.

„Womöglich hat sie gar keine Angst.“, warf ein anderer ein. Das reichte Amaya, sie hatte die Schnauze voll. Genervt schloss sie die Augen und lenkte ihre Konzentration auf ihr Innerstes, blendete die Männer um sie herum aus ihrem Bewusstsein. Sie spürte eine wild keimende Energie in ihren Adern, griff danach und warf sie jedem der Männer ins Gesicht.

Schlagartig öffnete sie die Augen. Um sie herum lief alles in Zeitlupe ab, konnte jeden ihrer Regungen spüren, jeden ihrer schmutzigen Gedanken sehen. Schließlich schob sie ihre Innere Präsenz vor jedes Auge der Männer, ausschließlich die von Ed, da sie, nicht ganz unerklärlicher Weise, bei ihm nicht so weit vordringen konnte.

Ein stummer aber großer Schall erbebte das ganze Grundstück und allmählich wurden ihre Bewegungen wieder schneller, ihre Atemzüge kürzer. Einen kurzen Augenblick redeten sie noch im Wirrsal, im anderen verstummten alle und verwirrte, zum Teil ängstliche Gesichter blickten zu ihr herüber.

Stille. Nach einem Moment der Fassungslosigkeit, erhob der große Mann als erstes das Wort:

„Ich glaube ich verzieh mich lieber...“.

Ein anderer: „Ich müsste eigentlich schon längst wieder-,“

„ Man sieht sich.“

Ohne Amaya noch eines Blickes zu würdigen, stürmten alle die Treppe runter, als wäre der Teufel hinter ihnen her, machten um sie jedoch einen großen Bogen. Einer hob sogar die Hand vor den Mund und würgte. Der Einzige der sich noch immer auf der Stelle befand, auf der er auch vor zwei Minuten stand, war Ed:

„Du miese Schla***.“ Er deutete mit dem Finger auf sie: „Nächstes Mal bekomme ich dich!“.

Er meinte es ernst, daran bestand kein Zweifel.

„ Hey was ist hier los?! Lass sie in Ruhe!“. Amaya wurde sofort aus ihrer Konzentration gerissen, schaute über Ed's Schulter und erkannte die Person, die im Türrahmen stand:

Ihr Schützling. Javier. Ed hielt inne und drehte sich dann um. Er fixierte den Kellner aggressiv:

„ WAS?!“

„Ich will das du dich auf der Stelle verziehst und dich diese Woche hier nicht mehr blicken lässt!“, entgegnete er. Ed stieß einen tiefes, gefährliches Brummen aus und einen Moment lang glaubte Amaya, das er etwas erwidern wollte, besann sich dann jedoch eines Besseren, machte auf dem Absatz kehrt und streifte sie am Arm, als er die Treppe hinunter ging. Als sie sein wütendes Stampfen nicht mehr vernehmen konnte, blickte Amaya ihren Schützling an.

„Warum hast du das getan?“

„Warum nicht?“, sagte er barsch.

„Ich wäre auch alleine mit ihm fertig geworden. Schließlich bin ich kein kleines Mädchen, das sich nicht selbst zu helfen weiß!“

„Es ist meine Sache was und warum ich etwas tue, denn das geht keinen was an, verstanden?!“, er legte eine kurze Pause ein und fuhr fort „ Außerdem wurde es sowieso mal Zeit, das einer ihm die Meinung sagt.“

Ihr kam es so vor, als würde er sie gar nicht richtig ansehen, was sie rasend machte. 'Na toll. Und auf so einen musst du dein ganzes Leben aufpassen. Viel Spaß'. Sie wusste zwar nicht genau was es war, aber sie hatte weder Lust, noch die Nerven dazu, hier noch weiter herumzustehen. Amaya wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, aber bedanken würde sie sich sicher nicht.

„Tja, dann gehe ich mal, wenn das hier jetzt geklärt wäre.“ Sie drehte sich um und trat aus dem Schatten des Vordaches und das erste was sie tat, war endlich wieder frische Luft einatmen.

Kapitel 4

Ein weiteres Mal träumte Aurelia von einem riesigen, verzweigten, grünen Baum, der inmitten einer wuchtigen, überdimensionalen, aus Stein gemeißelten Halle stand. Sie befand sich auf einem breiten Gang, der geradeaus zu dem Baum führte. Unterhalb von ihr befand sich links und rechts eine dunkelblaue, glasklare Flüssigkeit. Wasser.

Sie stand also wieder einmal auf einem Art Steg aus Stein. Auf der Seite ragten hohe Felswände auf und reichten meterweit bis zur Decke, die von dicken, mit Runen versehenen Säulen aufrecht erhalten wurde. In den Rillen der Wand waren schon Ablagerungen von Staub und Eis zu erkennen. Aurelia, die noch immer von dieser Architektur beeindruckt war, setzte sich in Bewegung, schritt über den langen Steg, auf den Baum hinzu.

Schon von weitem konnte sie erkennen, dass von oben ein breiter Lichtstrahl auf ihn hinab schien, in dem durch Lichtspiegelungen einige Schneeflocken zu sehen waren, die sich leicht hinab gleiten ließen. Dieser Ort erinnerte Aurelia an die Berichte von Toten, die auf dem Weg ins Jenseits unterbrochen und durch Ärzte wieder ins Leben zurück geholt wurden. Sie hatte gehört, das die meisten sagen, das alles ganz friedlich war, sie in einem dunklen Gang standen und auf das helle, warme Licht am Ende zugegangen waren, bevor sie die Augen aufschlugen und an die kahle, weiße Decke des Krankenzimmers starrten.

So kam es ihr auch jetzt vor, nur mit dem kleinen Unterschied, das dies hier alles ein Traum war und sie hoffentlich bald wieder aufwachen würde, da sie schon ahnte was gleich kommen würde. Dennoch schien die ganze Szenerie geradezu in ihrer Pracht zu explodieren.

Vorne angekommen, säumten sich drei Stufen vor ihr auf, die sie voller Erstaunen hinauf stieg und kurz danach auch schon im hellen Licht, das von oben herab schien, stand. Gebannt ließ Aurelia den Blick schweifen, fragte sich ob so einen Ort in Wirklichkeit überhaupt existieren könnte.

So viele Fragen häuften sich in ihrem Kopf, begleitet von einem vertrauten Gefühl, das ihr der Gedanke gab, schon mal hier gewesen zu sein oder mindestens von dieser Gegend gelesen zu haben. Als sich ihr Blick nach vorne richtete, wurde sie abrupt aus ihren Überlegungen gerissen.

Vor ihr stand eine große, kräftige, mit dem Rücken zu ihr gewandte Gestalt. Außer das es ein Mann war, wusste sie nicht wer es war oder was er hier machte. Schlagartig richtete sich ihre ganze Konzentration auf seine Statur.

Ein kräftiger Körper, durchtrainierte Beine, schmale Hüften, ein schön geschwungener muskulöser Rücken. Ihre Augen glitten über sein Nacken und blieben in dem, vom Licht erstrahlten, schwarzen Haar haften. Aurelia erinnerten sie an den tiefen, dunklen Nachthimmel, der sich abends vor ihrem Fenster breit machte und das schimmern des Mondes in ihr Zimmer fällt, sie sanft in den Schlaf wog. Aber der Schlaf blieb in letzter Zeit alles andere als ruhig und entspannt.

Dann spannten sich seine Muskeln an, drehte den Kopf zur Seite und sah sie über die Schulter an. Ein sofortiges Stechen ließ sie für den Bruchteil einer Sekunde zusammenzucken.

Als sie die Augen schließlich wieder öffnete, erblickte sie nur eines: Pupillen, so hell und unruhig wie loderndes Feuer. Einerseits setzten sie in ihr wilde, verstreute und gemischte Gefühle aus, andererseits aber auch schickten sie ihr eine Woge der Wärme und Wohlseins durch ihren Körper, trafen sie bis ins Mark.

Aurelia war sich nicht sicher, wie sie reagieren sollte, wusste nicht, was sie machen sollte, aber eines war ihr bewusst: Solche Augen hatte sie noch nie zuvor gesehen, so welche konnte es gar nicht geben. Schließlich wandte er sich ihr ganz zu und ließ damit die ganze Sicht auf seinen Körper frei.

Er trug eine schwarze Jeans und hatte ein aufgeknöpftes, graues Hemd an, das seine Muskeln extra schön hervorbrachte. Er sah sie durch seine auffälligen Augen an, allerdings ohne irgendwelche Anzeichen von den Gefühlen, die dieser Ort hervorbrachte. Kleine Schneeflocken wirbelten um ihn herum, ließen sich auf seinen Wimpern nieder. Langsam öffnete er seinen Mund, holte Luft und sprach mit tonloser Stimme:

„Jetzt, wenn die Welt von Schatten und Dunkelheit erfüllt ist -.“
 

Aurelia wachte schweißgebadet in ihrem Zimmer auf. Die Bettdecke hatte sich um ihre Beine gewickelt, die sie sich sofort vom Leibe riss, als würde sie ihre Haut verätzen.

Ungeduldig tastete sie nach ihrer Nachttischlampe und knipste sie an. Der Raum wurden augenblicklich in ein warmes, nicht zu starkes Licht gehüllt, sodass ihr das Augen blinzeln erspart blieb. Aurelia setzte sich auf und massierte sich die Schläfen, wobei ihr bewusst wurde, dass sie von Kopf bis Fuß schwitzte.

Verzweifelt rieb sie ihre feuchten Hände am Laken ab. Derartige Auslöser hatte sie nach einem Traum noch nie gehabt und sie fing sich an Sorgen zu machen.

'Lass das jetzt, das bringt gar nichts', sagte sie sich und begrub ihre Finger unter ihren Schenkeln, damit sie da blieben, wo sie nichts anrichten konnten. Aber noch mehr beunruhigte sie, das dieser Typ, den sie gesehen hatte, mit ihr gesprochen hatte, was zuvor gar nie der Fall gewesen war.

Er war ihr in den letzte Träumen schon begegnet, hatte sich aber ihr niemals von vorne gezeigt geschweige denn ein Wort an sie gewandt. Aurelia schaute an sich hinab. Sie zitterte am ganzen Körper und das nicht wegen der frischen Nachtluft, die durch ihr geöffnetes Fenster hineinkam.

'Es reicht, ich muss hier raus'.

Sie hob die Beine über die Bettkante, setzte sie auf dem Fußboden auf. Aber trotz der beheizten Fließen, wollte die Wärme einfach nicht in sie eindringen und spürte sie nur an ihren Fußsolen, wo sie auch blieb. Aurelia erhob sich mit Mühe aus dem Bett und viel umgehend wieder auf ihre Decke.

'Das gibt es doch nicht. Kann ich jetzt nicht mal mehr stehen bleiben?!'. Wütend auf sich selbst riss sie sich abermals hoch und stand einen Moment später sicher in ihrem Zimmer. Sie straffte ihre Schultern und ging auf ihren Kleiderschrank zu.

Die kühle Brise die in diesem Augenblick durch den Raum wehte, machte sich auch auch unter ihrem Trägertop bemerkbar und ließ sie schaudern. Sie öffnete den doppelflügligen Schrank, nahm einen dunkelgrünen Pullover mit V-Ausschnitt und eine schwarze Jeans heraus, schlüpfte schnell in beide Sachen, zog die dunkle Lederjacke am Kleiderhaken über die Schultern und schloss den Reißverschluss ihrer Stiefel um die Beine zu.

Danach trat Aurelia auf den verlassenen Flur hinaus, durch dessen Fenster helles Mondlicht hineinfiel und ihren Schatten auf den Boden warf. Sie lief den Gang entlang, bog rechts um eine Ecke, als sie auch schon vor der hölzernen Zimmertür ihres Bruders stand.

'Wahrscheinlich schläft er schon. Wieso auch nicht? Immerhin war es fast zwei Uhr'. Hören konnte sie jedenfalls nichts und so, unbeachtet der Tatsache das er nicht mehr wach war, klopfte sie dreimal an die Tür. Totenstille. Aurelia wartete, überlegte ob sie doch einfach wieder in ihr Bett gehen und weiterschlafen sollte. Aber sie brauchte sich nichts einzureden, denn sie wusste ganz genau, dass, das nicht funktionieren würde. Dafür war sie einfach zu aufgewühlt.

Ohne noch einen Gedanken an sich selbst zu verschwenden, drückte sie die Tür auf und trat ins das mit Kerzen beschienen Zimmer.

'Kerzen? Willkommen im 21. Jahrhundert, Bruderherz'. Sie hatte ja nichts gegen Kerzen, aber davon gleich ein Dutzend in seinem Zimmer aufzustellen, hielt sie unter normalen Umständen doch etwas merkwürdig. Verwirrt trat sie in den Raum, schloss die Tür hinter sich und erblickte eine Sekunde später Elijah.

Durch das trübe Licht konnte sich nicht allzu viel erkennen, doch es reichte aus, damit sie sah wo sich ihr Bruder befand oder besser gesagt lag.

Wäre sie mit anderen Gründen hierher gekommen, hätte sie lauthals gelacht, doch jetzt wusste sie nicht was sie sagen sollte. Seine Beine waren über die Rückenlehne eines Stuhls gelegt und baumelten auf der anderen Seite runter. Mit dem Rücken lag er auf der Sitzfläche und sein Kopf hing ungemütlich, so sah es zumindest aus, in der Luft, sodass die Oberfläche seines Schädels nach unten gerichtet war.

Die Hände lagen ruhig auf der Brust, Augen waren geschlossen. Aurelia kippte der Mund auf, schloss ihn aber schnell wieder, da die Vorstellung, wie das wohl aussehen mochte, ihr ziemlich verdreht vorkam.

„Was...was zum Teufel machst du da?“, fragte sie völlig fassungslos.

„Ich meditiere. Siehst du das denn nicht?“, beantwortete er ihre Frage, wobei seine Augen jedoch geschlossen blieben. Als sie darauf schwieg, weil ihr einfach die Worte fehlten, fragte er zurück: „ Was ist los? Stimmt irgendetwas nicht? Sieht das vielleicht blöd aus?“

„Du liegst hier mit dem Kopf zu Boden, auf einem Stuhl, bei dem du deine Beine über die Lehne gelegt hast und fragst mich ob das vielleicht blöd aussieht?“. Er verzog sein Gesicht und meinte:

„ Sieht ganz so aus.“ Elijah ließ sich einfach nicht aus der Ruhe bringen.

„ Hör zu, der Grund, wegen was ich eigentlich hergekommen bin, ist weil ich dich fragen wollte, ob du mit mir spazieren gehst.“. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort und meinte dann:

„ Ist es das was man neuerdings macht? Um Mitternacht spazieren gehen?“

„ Dann sag du mir, ob es normal ist, dass man mitten in der Nacht meditiert. Dazu noch in so einer Position!“, konterte sie. Er hob die Hände, als ob ihn jemand erschießen wollte.

„ Okay, okay. Ich komme ja schon. Gib mir zwei Minuten.“ Aurelia wusste, dass, das die Worte für: Warte vor der Tür, waren, rollte mit den Augen, machte auf dem Absatz kehrt und ging raus in den Flur.

Sie lehnte sich ans Fenster, als ihr erneut die Bilder von ihrem Traum vor die Augen kamen. Die riesige Halle, das Eis an den Wänden, der grüne, große Baum, der im hellen Licht des Strahls stand und wahrscheinlich aus übernatürlichen Gründen existierte und schließlich der junge Mann, mit den schwarzen Haaren und seinen Feuer farbigen Augen.

Sie hatte seinen Blick so deutlich vor sich, dass sie schon zu glauben begann, diese Augen würden sie jetzt, in diesem Moment verfolgen und nicht mehr los lassen.

Aurelia schüttelte den Kopf.

'Das stimmt natürlich alles nicht'. Zitternd schlang sie ihre Arme um sich und wartete im dunklen Flur auf ihren Bruder. Es war nur ein Traum.

Kapitel 5

Amaya lief die Queens Road entlang, damit sie einen einen klaren Kopf bekam und um sich die Zeit zu nehmen, etwas herunterzufahren. Der Vorfall in der Bar hatte sie zu sehr aufgewühlt, als das sie zurück zu ihrer Wohnung laufen könnte, warten bis der Tag sich dem Ende neigte und irgendwann die Nacht hinein brechen würde.

Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihren Schützling aufzusuchen, mit ihm zu sprechen und dann einfach weg zu rennen?

'Du kannst so leichtsinnig sein', erschall eine Stimme in ihrem Kopf, 'hoffentlich war dir das eine Lehre.'

Sie kniff die Augen zusammen.

'Lass mich gefälligst in Ruhe!'. Nichts. 'Na super, jetzt rede ich schon mit mir selbst. Vielleicht wäre es doch besser wieder zur Wohnung zurück zu kehren und sich hinzulegen', überlegte sie.

Ohne noch einen Gedanken an den Vorfall zu verschwenden, machte sie auf dem Absatz kehrt und lief die schnurstracks die Straße hinunter, die von jungen Mädchen mit vollen Einkaufstaschen bis hin zu alten Leuten, die gerade mit ihrem Hund spazieren gingen gesäumt war.

Was Amaya die letzten Tage aufgefallen war, ist, dass Aberdeen eine wunderschöne Altstadt hatte, die schon Jahrhunderte alt war. Die traditionellen Gebäude und ihre Skulpturen, die so aussahen, als würden sie von einer anderen Welt erzählen, die klassischen Kirchen und Kathedralen, die der Stadt einen gewissen Flair gaben, ja eigentlich die ganze Architektur faszinierte Amaya immer wieder aufs neue. Sie fand es beeindruckend, das diese Bauwerke nach all den Jahren, noch ihren gotischen Ausdruck behielten und sich trotzdem der heutigen Zeit anpassten.

Wenn es nach ihr ging, könnte sie für immer hier bleiben.

'Aber es liegt nicht an mir das zu entscheiden'. Sie hatte sich nach ihrem Schützling richten.

Zog er in ein anderes, unbekanntes Land, würde sie ihm folgen müssen, entpuppte er sich zu einem Weltenbummler, der nie einen festen Wohnort hatte, würde sie ihm unweigerlich folgen, egal ob sie wollte oder nicht. Sein Leben war ihre Aufgabe, ihre Mission, ihr Leben.

Den Blick starr auf den Weg vor ihr gerichtet, machte sie sich drauf und dran an etwas anderes zu denken, wobei sie auch Erfolg hatte. Beleuchtete Schaufenster boten die verschiedensten Waren an. Sie kam an einem vorbei, der sogar schon Kostüme für Halloween anbot, obwohl das noch gut ein Monat hin war.

Alles nur ein Geldgieriger Köder für die Kunden.

Amaya hatte ebenfalls versucht die Menschen verstehen zu lernen, die Gründe für ihre Handelsweisen, ihre Meinung was die Ideen anderer betraf, ihre Art und Weise zu leben, ihre ganze Lebensperspektive. In vielem konnte sie ihre Anlässe nachvollziehen, aber wenn sie bemerkte wie Geldgierig manche Menschen waren, konnte sie nur ratlos daneben stehen und ohne Ende darüber grübeln.

Allmählich kam sie der Kreuzung immer näher, die parallel zu dem Park verlief, in dem sie vor etwa einer Stunde spazieren gewesen war. Von links und rechts kamen Autos in regelmäßigen Abständen, als Amaya hinter sich eine entfernt, rufende Stimme wahrnahm. Ihr Schützling.

'Bitte nicht, bitte erspare mir das'. Sie versuchte ihn zu ignorieren und konzentrierte sich so gut es eben ging auf den Straßenverkehr. Vergebens.

„Hey! Jetzt warte doch mal. Hallo? Ich rede mit dir!“. Sie spürte seine Präsenz unmittelbar hinter ihr, holte tief Luft, schluckte ihre Wut auf sich selbst hinunter und drehte sich langsam zu ihm um.

„Was?!“, herrschte sie ihn laut an, lauter als sie beabsichtigt hatte. Amaya sah seine erschrockene Miene und fügte ein so leises „Entschuldigung“ hinzu, das sie sich nicht mal selbst sicher war, ob sie es überhaupt gesagt hatte. Angestrengt starrte sie auf den Boden, als könnte sie damit bezwecken, dass er sich dadurch öffnen würde, was ihr im Moment mehr als recht gewesen wäre.

„Könntest du mich ansehen, wenn ich mit dir rede?!“, fügte er hinzu, als ihr auf einmal Bewusst wurde, dass er wohl weiter geredet haben musste, sie aber so beschäftigt mit sich selbst gewesen war, das sie ihn nicht gehört hatte. Schließlich hob sie ihren Blick und sah direkt in seine wunderschönen, blauen Augen.

„Was...was hast du gesagt? Ich hatte eben nicht zugehört. Tut mir Leid.“ Darauf schüttelte er verständnislos den Kopf, wobei seine braunen Haare ihm ins Gesicht fielen und er sie schnell wieder nach hinten strich.

„Hör zu, du bist nicht diejenige, die sich entschuldigen muss, sondern ich bin es. Ich hätte dich vorhin nicht so behandeln dürfen, nicht so barsch sein dürfen...Deswegen bin ich dir gefolgt und ja es tut mir Leid...“. Für ein paar Sekunden blieb es still, als er dann die unangenehme Stille unterbrach und: „Bist du jetzt ZUFRIEDEN?“, hinzufügte.´

Warum war er jetzt so genervt? Amaya versuchte die richtigen Worte zu finden:

„Ähm...also,-“

„Weißt du eigentlich bin ich gar nicht der Typ für so etwas...für Entschuldigungen und wir kennen uns auch gar nicht, aber ich wollte das hier einfach aus der Welt schaffen...oder wie auch immer man das sagt.“ Warum sagte er das? Er hatte recht, sie kannten sich doch gar nicht. 'Warum rennt er mir hinterher und entschuldigt sich?'. Sie wusste, dass, das viel zu weit ging und sie hier nicht bleiben sollte, aber es flogen ihr so viele Fragen durch den Kopf, das ihr schwindelig wurde und sich ein unbekanntes Gefühl in ihr breit machte.

„Ich, ich weiß zwar nicht was dich dazu bewegt mir zu folgen, nur um dich bei mir zu entschuldigen, aber ich sage dir, dass du das nicht brauchst, weil du mich sowieso nie wieder sehen wirst...also belasse es einfach dabei, verstanden?“.

Ohne auf eine Antwort von ihm zu warten, wandte sie sich ab und lief weiter auf Straße zu.

Nicht umdrehen. Amaya bog in eine kleine Seitengasse ein, blieb stehen und legte eine kurze Pause ein. Erschöpft lehnte sie sich an die kalte Steinmauer eines Hauses und schloss für einen Moment die Augen. Aufmerksam lauschte sie dem Straßenlärm, den hupenden Autofahrern und der weit entfernten fröhlichen Musik, die wahrscheinlich von dem diesjährigen Jahrmarkt kam, von dem sie gestern ein großes Werbeplakat gesehen hatte.

Der Geruch von Müll und Katzensekret stieg ihr in die Nase und ließ sie würgen. Unerwartet wurde ihr wieder ganz schummrig vor den Augen, Übelkeit machte sich bemerkbar, ließ sie die Hand vor den Mund heben. Dann ertönte auf ein Mal ein lautes Scheppern von Tonnen die umgestoßen wurden.

Amaya drehte sofort den Kopf zu der Seite, aus der das Poltern kam. Erst konnte sie nicht viel sehen und nur eine kräftige Silhouette erkennen, die direkt auf sie zukam. Aber als die Gestalt aus den Schatten der Dächer trat, weiteten sich ihre Augen, Panik machte sich im ersten Augenblick breit, verleitete sie dazu schneller zu atmen, dann nur noch stoßweise.

„Hab ich dich!“, sprach Ed mit krächzender Stimme und stürzte sich auf Amaya. Sie hatte gerade noch genug Zeit sich von der Mauer abzustoßen, ihm auszuweichen und davon zu rennen. Aber als er sie an ihren langen, dichten Haaren packte, war sie gerade mal ein paar Meter weitergekommen und riss sie nach hinten.

Er ließ sich nicht los, zog ihren Kopf nach hinten runter, sodass ihr Rücken schon zu knacksen begann und sie in sein Fratzen besetztes Gesicht sehen konnte, musste.

Die Haut war völlig verfault, das an manchen Stellen schon Löcher zu erkennen waren. Wundsekret lief von seinen Wangen und tropfte ihre Natur schwarzen Haare, ein Auge war gerötet, während das andere aus der Augenhöhle trat und wie zähflüssiges Gummi seine Nase hinunterlief. Ein heißeres Röcheln kam aus seiner Kehle und als Ed seine Krallen besetzte Hand in Amayas Rippen stieß, sie einen lauten Schmerzensschrei von sich gab, beugte er sich zu ihr hinunter.

Sein Mund, an dem einige Hautfetzen hingen, war weit geöffnet und die spitzen Zähne direkt auf ihren Hals gerichtet. Reflexartig nutzte sie den kurzen Moment, in dem er abgelenkt war und stieß ihren Ellenbogen heftig in seinen Bauch.

Sein Körper war zwar ziemlich robust, doch der Überraschungsmoment lag auf ihrer Seite, der ihr dazu verhalf, das er seinen Griff nur vorübergehend aber lang genug lockerte, damit sie sich von seinen Fängen befreien konnte, einen Salto nach hinten, über ihn drüber machte, geschickt auf landete und sie so schnell es ging aus der Gasse rann, direkt auf die Hauptstraße zu.

Ohne einen Blick über die Schulter werfen zu müssen, wusste Amaya nur allzu gut, dass er ihr dicht auf den Fersen war. Sie schlängelte sich an den Verkaufsständen des Bauernmarktes vorbei, rannte damit den ein oder anderen Passanten ungeachtet um. Amaya versuchte so gleichmäßig wie möglich zu atmen, dennoch trat das erwartete Seitenstechen ein. Der Nachteil, wenn man sich in einem menschlichen Körper befand.

Sie versuchte ihre Schmerzen zu unterdrücken, wusste aber, dass sie es nicht mehr lange ohne rechtzeitige Verwandlung durchhalten würde. Aber sich in einer gut gefüllten Straße in einen Geist zu verwandeln, wäre nicht ganz unauffällig.

'Doch mir wird wohl oder übel nichts anderes übrig bleiben'. Sie wollte gerade in ihre innersten Gedanken greifen, als sie durch ein lautes Autohupen aus ihrer Konzentration gerissen wurde und sich unmittelbar bewusst wurde, dass sie mitten auf der Straße stand.

Amaya sah gerade noch, wie ein PKW auf sie zuraste. Dann schien es, als würde alles in Zeitlupe ablaufen: Gelbe Lichter knallten ihr ins Gesicht, ließen sie zusammenzucken, der wirbelnde Wind des großen Fahrzeuges wehte ihr die Haare um den Kopf. Amaya drehte sich um, ihre Augen in der Armbeuge versteckte, der letzte Atemzug glich einem letzten Aufbäumen ihrer inneren Kraft. Ihr Feingespür sagte ihr, das der PKW nur noch Zentimeter von ihr entfernt war, bevor sich etwas in letzter Sekunde auf sie warf und zur Seite schleuderte.

Das einzige was Amaya noch spüren konnte, war wie sie hart auf den Boden auftraf, warme Hände um ihre Taille geschlungen waren und ein Körper mit ihrem den Gras bewachsenen Hang hinunter rollte. Schließlich blieben sie liegen, ein, im ersten Moment, unscheinbares Gewicht auf ihr, ein wild pochendes Herz, das ihrem nicht ganz unähnlich war. Dann schloss sie die Augen, ließ sich in unendliche Dunkelheit gleiten, sah nichts mehr, fühlte nichts mehr. Ließ sich eine unbestimmte Zeit lang treiben, ihr kam es wie die Ewigkeit vor.

Anschließend schien eine Stimme zu ihr zu sprechen, meterweit entfernt und doch so nah:

„Hallo? Kannst du mich hören?“. Amaya spürte wie ihr leicht auf die Wange getätschelt wurde.

„Scheiße...“.

Allmählich kam sie wieder zu sich, öffnete zögernd die Augen, unwissend was sie nun erwarten würde. Sie hatte sie gerade genug geöffnet, als sie bestürzt erkannte, das man ihr wieder auf die Wange klatschen wollte, zwar nicht stark, aber sie war dennoch rechtzeitig hellwach, bevor es so weit kommen konnte.

Ehe seine Finger sie berühren konnte, ergriff Amaya das Handgelenk. Gefasst schaute sie ihm in seine Augen. Ihr Schützling.

Er lag auf ihr, seine Ellenbogen links und rechts ihrer Schultern, eine Hand unter ihrem Nacken, die andere dicht an ihrer Backe. Sie sah in seine Augen Hoffnung und Erleichterung aufflackern, sein Herzschlag beschleunigte sich, ihrer machte es seinem gleich. Einen Augenblick schien die Welt still zu stehen, seine unverwechselbaren blauen Augen ruhten auf der ihren und erwiderten den Blick.

Seine Mundwinkel zuckten nach oben, als er merkte, das ihr nichts ernstes zugestoßen war. Doch ehe sie sich versah, glitten sie wieder nach unten und ein besorgter Gesichtsausdruck huschte über sein Gesicht. Plötzlich wurde sie den Gedanken nicht mehr los, dass er, sie und Ed zusammen gesehen hatte und dabei einem Monstrum begegnet war.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie und bemühte sich ruhig zu klingen.

„Was ich hier mache?!“, entgegnete er enttäuscht: „ Dürfte ich dich daran erinnern, dass ich dir gerade das Leben gerettet habe? Dazu meines noch fast selbst drauf gegangen wäre!“

„Nun, keiner hat gesagt, dass du das hättest tun müssen.“.

„Es schien mir gerade eine sinnvolle Tat gewesen zu sein.“, antwortete er etwas geistesabwesend, den Blick dennoch auf sie gerichtet. Amaya wartete einen Moment, bevor sie „Danke.“ sagte und das meinte sie auch so. Eigentlich war sie diejenige, die auf ihn aufpassen müsste, nicht umgekehrt.

„Ist schon okay.“, meinte er ruhig, seine Konzentration galt wieder ihr. Dann rollte er sich von ihr ab, stand auf und streckte ihr lächelnd die Hand hin: „Ich bin Javier.“

Kapitel 6

„Was sind das für Träume? Woher kommen sie?“, fragte Elijah, während sie bei hellstem Mondschein durch den Wald liefen.

Die Temperatur war in den letzten Stunden deutlich gesunken, sodass schon erster Frost auf den Blättern zu sehen war. Dichter Nebel hatte sich breit gemacht, hing zwischen den Zweigen der Sträucher fest, wanderte langsam die Bäume hinauf. Eine leichte Brise strich durch die Gräser und zerrte an den Haaren von Aurelia, die sie vorhin zu einem lockeren Knoten zusammen gebunden hatte.

Sie liefen jetzt seit etwa einer halben Stunde durch den Wald, in der sie Elijah von ihrem Traum erzählt hatte: Die überdimensionale Halle, dem grünen Baum, der eigentlich viel zu riesig gewesen war, dem hell leuchtenden Lichtstrahl, der die breite Baumkrone beleuchtete (und realistisch gesehen eigentlich gar nicht da sein konnte, doch was war an diesem Traum schon normal gewesen?) , sowie von dem jungen Mann mit den Höllenfeuer farbigen Augen.

Lange Zeit war Elijah still gewesen und hatte darauf nichts gesagt. Bis jetzt:

„Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Weder der Ort, noch den Typen von dem ich dir berichtet habe, war mir bekannt. Mehr kann ich dazu nicht sagen, aber es macht mich verdammt unruhig“, antwortete sie ihm.

Das Licht seiner LED- Taschenlampe, die er mitgenommen hatte, streifte die Pflanzen am Wegesrand, zeigte ihnen den Weg, der immer schmaler wurde und hinter einem wuchtigen Baum um die Ecke verschwand.

„Nun, ich bin zwar keiner der sich mit Träume auskennt und habe auch keinerlei Ahnung was dir, was das anbelangt, helfen könnte . Außerdem denke ich das man nicht alles was man in seinen Träumen sieht oder im Inbegriff zu tun ist auf die Goldwaage legen sollte, aber sie hören sich dennoch nicht ganz ungefährlich an und du solltest Acht geben...naja, soweit man Träume als „gefährlich“ beschreiben könnte. Vielleicht war es aber auch der Stress mit Dad, wenn man an heute Nachmittag denkt“.

Aurelia kam das wie ein Widerspruch vor.

Einerseits sollte sie Acht geben, andererseits den Traum nicht zu ernst nehmen.

„Wenn es sich nicht so seltsam komisch anfühlen würde, würde ich dir ja sofort recht geben, aber-“. Ein schmerzerfüllter Schrei durchschnitt die Ruhe der Nacht, unterbrach Aurelia mitten im Satz.

Erschrocken fuhr sie hoch und auch Elijah konnte seine Verwunderung nicht verstecken. Forschend schwang er die Taschenlampe von links nach rechts und wieder zurück. Die tiefe Schwärze machte es ihnen schwer überhaupt etwas zu erkennen und als der Nebel wie durch Geisterhand noch dichter wurde und auf sie zukam war es schließlich unmöglich noch irgendetwas in der Dunkelheit zu erkennen. Aurelia sah die Hand vor Augen nicht mehr und als ihr Herzschlag sich einigermaßen wieder beruhigt hatte, sagte sie mehr, als fragte:

„Was war das denn?!“

„Ich weiß es nicht. Es klang aber auf keinen Fall nach einem Tier aus dieser Umgebung. Irgendetwas ist auf unserem Territorium passiert und es ist nicht weit weg".

Erneut ertönte ein qualvoller Schrei, doch dieses mal deutlich tiefer,sodass sich ihre Nackenhaare aufstellten. Elijah drehte sich zu seiner zwei Jahre jüngeren Schwester um.

Seine Augen waren ganz dunkel und ließen den weißen Schimmer des Mondes, der sich in ihnen reflektierte, besonders hervorstechen. Aurelia erinnerten sie immer an ein hell leuchtendes Licht am Ende des Ganges, auf das man zusteuern konnte und wenn man angekommen war von einer Woge der Wärme und Zuneigung umhüllt wurde, nur das die Woge seine Arme waren, die ihr so vertraut wie ihre eigenen waren.

„Warte hier.“,waren seine einzigen Worte bevor er sich zum gehen abwandte und somit erste Anzeichen von Wut in ihr weckte. 'Warum meint er in solchen Momenten seine Rolle als großer Bruder besonders heraushängen zu müssen?'

„ELIJAH! Hör auf-,“ doch anscheinend sollte sie ihren Satz nicht zu Ende bringen, da in diesem Augenblick ein tiefes Dröhnen zu hören war und kurz darauf ein gewaltiger Körper mit riesigen Fangarmen aus dem Dunklen schoss, geradewegs auf Aurelia und Elijah zu.

Sie konnte zwar nicht viel erkennen, nur den Kopf und die Umrisse der Tentakeln, die an ihm hafteten, aber sich trotzdem so erschrak, das sie in Schockstarre stehen blieb. Ihre Augen weiteten sich, der Pulsschlag schoss in die Höhe, unfähig noch den lebensrettenden Schritt zur Seite zu machen. Mit lautem Gebrüll kam er immer näher auf sie zu, doch als er in einer winzigen Sekunde durch das Mondlicht raste, erhaschte Aurelia einen Blick auf seine Augen. Sie waren nicht auf sie gerichtet, zumindest glaubte sie das. Doch ehe sie sich versah warf sie ein heftiger Stoß zur Seite, betäubte sie und schickte sie in das kalte Nichts.
 

Aurelia wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch es konnte sich nur um Sekunden gehandelt haben, als sie unsanft mit dem Rücken auf dem Efeu bewachsenen Boden landete, ihr Bruder direkt obendrauf, ihr Körper unter seinem begraben.

Beschützend schlang er die Arme um ihren Kopf.

Später wurde Aurelia bewusst, das diese Kreatur sie umgerannt, wenn nicht sogar getötet hätte, wenn in diesem Moment Elijah nicht eingegriffen und sie beide nicht aus dem Weg gestoßen hätte.

Als auf einmal Totenstille herrschte, nutze sie eine kurze Weile um tief einzuatmen und zur Ruhe zu kommen. Sie spürte ebenfalls den warmen Atem ihres Bruders an ihrer Stirn, der ihr versicherte, das ihm nichts schlimmes zugestoßen war. Er hatte ihr das Leben gerettet. Warum kann das nicht mal andersrum sein? , fragte sie sich, wurde aber abrupt aus ihren Gedanken gerissen, als sie ein paar wild schlagende Flügel vernahm, worauf sich Elijah von ihr hinunterrollte und nach oben gen Himmel blickte.

Doch es waren nur einzelne Sterne zu erkennen, die durch die Äste schienen. Aurelia hörte ihn leise Fluchen. Genervt wandte er sich ihr wieder zu und fragte ob bei ihr alles in Ordnung sei, was sie mit einem Nicken beantwortete.

„Ich hoffe ich war nicht allzu schwer“. Und genau das liebte sie an ihrem Bruder: Sein Hang dazu die Situation aufzulockern, wann immer es geht und unter normalen Umständen hätte sie sofort eine passende Antwort parat gehabt, aber er schien trotzdem so geistesabwesend zu sein, das sie es dabei beließ darauf nichts zu erwidern. Außerdem war dazu jetzt auch gar nicht der richtige Zeitpunkt. Stattdessen fragte sie:

„Weißt du was das war?“.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube ich habe schon von solchen Viechern gelesen, aber das ist im Moment egal. Was mich eher aus der Ruhe bringt, war der Dämon, der kurz danach über uns geflogen und dem Ungeheuer gefolgt ist. Er befindet sich auf unserem Territorium, ich muss ihn aufspüren.“

Aurelia sah, das er seine Rückenmuskulatur anspannte und darauf zwei große Schwingen aus ihm heraustraten. Einen kurzen Augenblick sprühten kleine goldene Funken aus ihnen heraus und ließen sich auf den Federn nieder.

Aurelia fand Elijahs Flügel besonders schön: Rabenschwarze Federn mit einem leichten Hauch von Gold, die seinen Wald grünen Augen jedes Mal hervorstechen ließen. Im Gegensatz zu seinen waren ihre Flügel Perlmuttfarben und hatten keine Extravaganzen. Sie zwang sich nicht weiter darüber nachzudenken und sagte:

„Du meintest wir!“. Aurelia machte Anstalten seinem Beispiel zu flogen, wurde jedoch gestoppt, als er die Hand hob und den Kopf schüttelte.

„Wenn es hart auf hart kommt, und das wird es, bin ich der bessere von uns zwei der sich körperlich wehren kann. Dein Dolch, den du mitgenommen hast, wird dir dabei nicht viel helfen. Warte hier auf mich und mach bitte nichts unüberlegtes, versprochen?“.

Aurelia sah in seine Augen, die sich in ihre bohrten und sah den Kampfessgeist in ihnen. Jener eiserner Wille, den er von ihrem Vater geerbt hatte. Sie kannte ihn gut genug und wusste das sie ihn nicht mehr aufhalten konnte. Dennoch kostete sie es große Überwindung auf seine Forderung einzugehen:

„Versprochen“.

Elijah nickte ihr zum Abschied nochmal kurz zu, erhob sich in die Lüfte und verschwand durch die Baumkronen. Aurelia wartete bis auch das letzte goldene Schimmern verschwunden war und zog ihren Dolch aus der Scheide. Sie wog ihn in ihren Händen und betrachtete ihn:

Der Griff war mit reichlichen Verzierungen versehen die sich um ihn schlängelten und in sich ein eigenes Muster bildeten. Manchmal erzählten solche Gravierungen eine Geschichte in einer sehr alten Sprache, die heutzutage nur noch die wenigsten Engel lesen konnten. Aber meistens berichteten sie wie die Klinge zu benutzen war und was ihre Stärke beinhaltete. Da Aurelia die alte Sprache mal ein Jahr studiert, dann aber doch, wegen ihrer Schwierigkeit unterbrochen hatte, konnte sie einzelne Worte entziffern, wenn sie ihn in den richtigen Winkel bewegte, sodass genügend Mondlicht drauf schien.

Dazu war jedoch keine Zeit.

Dann stach sie sich absichtlich in den Finger, um zu prüfen, ob noch genügend Gift vorhanden war, das für Dämonen zum Tode führte. Als die Jade grüne Flüssigkeit herausquoll, war Aurelia sich sicher, das es für einen noch reichen würde. Zufrieden steckte sie die am Rand gezackte Klinge Klinge weg und schlug dann die Richtung ein, in der das Wesen verschwunden war.

'Tut mir leid Bruderherz, aber ich kann einfach nicht hier bleiben und nichts tun, während du durch den Wald preschst und einen Dämonen umlegst'.

Aurelia beschloss zu Fuß zu gehen, was sie zwar langsamer machte, aber wesentlich unauffälliger war, was das Leuchten ihrer Flügel betraf.

Die Zweige, die den Weg am Rande säumten, streiften ihre Jeans und erzeugten Gänsehaut an ihren Beinen. Unwillkürlich musste sie wieder an ihren Traum denken: Die Halle, das Eis, der Baum...die Feuer farbigen Augen und ohne Vorwarnung machte sich wieder das beunruhigende, seltsame Gefühl in ihr breit, das sich die ganze Zeit in ihr versteckte und nur bis zum Ausbruch wartete.

Es ließ sie bis in die Fingerspitzen erzittern, wodurch noch mehr Gänsehaut entstand.

Sie hatte vorhin versucht Elijah dieses Gefühl zu beschreiben, doch die einzige Weise, wie sie es konnte, war das es sich so anfühlte, als ob sich ein Gift tief in ihre Haut einbrennen und nicht mehr aufhören würde.

'Denk jetzt nicht darüber nach. Falsche Zeit, falscher Ort', ermahnte sie sich und richtete ihre Konzentration so gut es ging auf den Weg, der vor ihr lag.

Erst jetzt viel ihr auf, dass es viel zu Still war und das eine gefährliche Kälte auf sie zukam. Dämonen!

Ihre Alarmglocken schalteten sofort ein. Zu dieser unnatürlichen Kälte frischte noch ein kühler Wind auf, der die Blätter der Bäume rauschen ließ und Aurelia einzelne Strähnen aus ihrem improvisierten Knoten zog. Vor ihren Augen lichtete sich der Nebel in Sekundenschnelle. Sie sah sich um, ging in Kampfposition und machte sich auf alles gefasst, was nun kommen könnte.

Doch nichts geschah. Nach einem Moment der Stille, einzig allein von dem plätschern des kleinen Baches unterstrichen, huschte sie vom Pfad runter, lief noch ein Stück weiter in den Wald hinein und versteckte sich hinter dem nächstbesten Baum.

Aurelia lehnte sich mit dem Rücken an der rauen Rinde des Stammes an, blickte nach unten und erstarrte: Vor ihr ging es meterweit einen steilen Hang hinab. Im Notfall hätte sie den Baum hinauf klettern können, was sie auch getan hätte, doch als die Kälte abermals zu ihr drang und immer eisiger wurde, sodass sie ihren Atem vor Augen schon sehen konnte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Mist!

Sie saß also in der Falle. 'Er wird gleich hier sein'.

Die Kälte war schon längst in ihren Körper eingedrungen. Sie versuchte das quälende Zittern zu unterdrücken, es würde sie nur verraten. Aber insgeheim wusste Aurelia, das es dazu schon zu spät war.

'Er weiß längst wo ich bin'.

Dann, das erwartete Knacken von Unterholz, lähmende Kälte, ein Schatten, der sich nicht nur auf dem Boden breit machte. Von nun an zählte sie ihre Herzschläge, die einer nach dem anderen in ihrer Brust pulsierten und ihm die letzte Spur ihres Aufenthaltsortes verrieten.

'Na, dann komm doch!', waren ihre letzten Gedanken, bevor sie in Windeseile ihren Dolch hinauszog und aus dem Schatten des Baumes wirbelte. Dave hatte ihr mal gesagt, das man seine Waffe präzise und exakt führen müsse, um sein Gegner erstechen zu können. Und das tat sie jetzt auch.

Lange Jahres lernen und trainieren bis zur Erschöpfung hatten sie so weit gebracht wie sie jetzt war und das war bei weitem noch nicht alles.

Geschickt brachte sie sich in ihre Balance, holte Kräftig aus und traf mit ihrer Klinge auf einen harten Widerstand. Durch den Aufprall ihres Angriffes fuhr ihr ein dröhnender Schmerz den rechten Arm hinauf, worauf sie die Zähne zusammenbeißen musste. Sie hatte nicht gedacht das er so stark sein würde.

Als Aurelia ihren Blick hob, konnte sie außer einer kräftigen Statur ihres Gegners nichts erkennen. Trotzdem setzte sie zu einem zweiten Anschlag an, der dieses mal nicht von Schmerzen gefolgt, aber auch gekonnt abgewehrt wurde. Aurelia wusste, das er ihr körperlich überlegen war und sie mit ihrem Dolch nicht lange durchhalten würde.

Wenn genügend Platz gewesen wäre, hätte sie die Klingen aus ihren Flügeln fahren lassen, doch mittlerweile stand sie schon zwischen zwei Bäumen.

Es wäre unmöglich in so einer Enge zwei Meter lange Schwingen auszubreiten.

Ein weiterer Schlag von Metall auf Metall folgte, noch einer und noch einer. Sie wich einen weiteren Schritt nach hinten aus, was ein verehrender Fehler war:

Hinter ihr öffnete sich der tiefe Abgrund ins dunkle und würde sie verschlucken, sobald der nächste Hieb kommen würde. Ihr musste etwas einfallen und zwar sofort! Aurelia blieb kaum Zeit sich zu überlegen, was sie nun machen sollte, als die silberne Klinge abermals auf sie hinabsauste.

Reflexartig steckte sie ihren Dolch in die Scheide, nahm ihre ganze Kraft zusammen, holte mit dem Fuß aus und schlug dem Dämon seine Waffe aus der Hand. Die Klinge flog nach hinten den Hang hinunter. Kurz darauf ließ er einen wütenden Schrei aus und stürzte sich auf sie.

Aurelia verlor das Gleichgewicht und rollte mit dem Dämon die Böschung hinab. Unerwartet traf sie mit dem Rücken auf einem spitzen Stein auf, der stecken blieb und sich bei jedem erneuten Auftreffen immer weiter hinein bohrte.

Aurelia schrie verzweifelt auf und versuchte sich den Stein, während des ständigen rollen hinaus zu reißen, wurde aber von den Armen, die sie kräftig umschlungen hielten, gehindert und mitgerissen. Dennoch schaffte sie es irgendwie den Stein hinaus zu zerren und ihn in die Schläfe des Gegners zu schlagen.

Bei dem zweiten Ausholen wurde sie durch eine kleine Erhöhung unterbrochen, wodurch sie zu zweit durch die Luft wirbelten und einen Moment später hart auf dem wieder flachen Boden landeten. Aurelia stöhnte schmerzerfüllt auf als er mit seinem Körper auf ihr auftraf.

'Warum müssen sich alle Männer auf mich werfen?', fragte sie sich, hob ihren Blick und hörte auf der Stelle zu atmen auf.

Sein Gesicht, die Konturen, die Augen...sie kannte sie inzwischen nur allzu gut. Und in diesem Moment schien es ihr, als würde das Gift, das sich durch ihre Haut fraß endgültig zu ihren Knochen hervor dringen und sie verätzen. Auf ihr lag der Mann aus ihren Träumen.

Kapitel 7

Amaya kam es ziemlich absurd vor, Hilfe von einem Menschen, Javier anzunehmen.

Trotzdem nahm sie nach kurzem Zögern seine ausgestreckte Hand dankend an und ließ sich auf die Füße ziehen. Einen Moment lang taumelte sie noch, kämpfte gegen die aufkommende Übelkeit und Schwindelgefühle an, zwang sich jedoch sich zusammenzureißen.

Dann stand sie ihm direkt gegenüber, hob die Hand vor die Stirn, damit die Sonne sie nicht blendete, die sein braunes Haar von hinten bestrahlte.

Er hatte ein markantes, blasses Gesicht, alles andere als voll. Die Kinnpartie verlief perfekt in den Unterkiefer hinein, wodurch seine Wangenknochen betont wurden. Die Augen,welche Indigo blau waren, zwischen drin vielleicht einen leichten grün-Stich hatten, waren eher rund und verliehen ihm ein gewisses etwas. Amaya erinnerten sie an einen tiefen See, der verlassen inmitten eines undurchdringbaren Waldes lag und dessen kräftiges Schimmern in der Sonne niemals verblasste, aber dennoch etwas verletzliches hatte. In ihrem Inneren keimte eine wachsende Unruhe auf und sie wusste nicht woher sie kam.

Strikt zwang sie sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren:

„Danke Javier, das du mich gerettet hast.“, aber das wäre nicht deine Aufgabe gewesen, fügte Amaya im Stillen hinzu.

„Ist schon okay. Ich meine,-“

„Warum warst du rechtzeitig da um...?“, unterbrach sie ihn, wobei ihr unerwartet die letzten Worte selber im Hals stecken blieben. Seine Augenbrauen vertieften sich, schloss für einen Moment die Augen und öffnete sie schließlich wieder:

„Nein, ich bin dir nicht gefolgt, falls du das meinst. Ich war geradewegs zur Bar zurück, als ich dich sah.“. Amaya war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte. Einerseits war es nachzuvollziehen, was er erzählte, aber seine Haltung sagte etwas anderes aus:

„Dann warst du zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Danke nochmals, aber ich muss jetzt wirklich los“.

Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt, ging von dem gepflegten Rasen auf den geteerten Weg und klopfte sich den Dreck von der Kleidung ab.

'Ich muss schnellstens von hier weg und dafür sorgen, dass er mich vergisst'.

„Hey!“. Javier. Statt sich umzudrehen, beschleunigte sie ihre Schritte, wurde immer schneller.

„Wohin willst du gehen?“. Nach seiner Stimme zu urteilen lief er ihr hinterher und das nicht gerade langsam.

'Geh weg von hier'. Nach einem Moment der Stille glaubte Amaya er sei verschwunden. Seine Präsenz wurde blasser. Ein Glück. Erleichtert atmete sie auf.

„Wer bist du?“. Abrupt blieb sie stehen. Das hatte sie nicht erwartet.

„Wen interessiert das?“, konterte sie.

„Ich wüsste gerne wen ich gerade gerettet habe. Du kennst meinen Namen, also möchte ich auch deinen wissen!“.

Amaya wusste nicht was sie darauf antworten sollte. Sie konnte ihm nicht ihren wahren Namen preisgeben. Durfte es nicht. Als ihrerseits keine Antwort kam, spürte sie, wie er ein paar Schritte näher trat.

„Denkst du denn nicht ich hätte das Recht dazu ihn zu erfahren?!“.

„Doch, das hast du“. Amaya wandte sich zu ihm um und wich zurück, als sie bemerkte, wie nahe er bei ihr stand. Javier blickte ihre ernst in die Augen, keine Spur des fröhlichen Lächelns, als er vorhin bemerkt hatte, dass ihr nichts fehlte.

„Mein Name ist Page. Reicht dir das?“.

Er schaute sie verdutzt an. Wahrscheinlich hatte er nicht mit einer Antwort gerechnet, setzte aber trotzdem an, um ihr seine Meinung zu sagen, als plötzlich ein stechender Schmerz durch Amayas Kopf schoss und eisige Kälte durch ihren Körper strömte.

Unwiderruflich brach sie zusammen, stütze ihren Kopf mit den Händen, als sie auf dem mit Pflanzen gesäumten Weg auftraf. Zähne zusammenbeißend ballte Amaya sie zu Fäusten, sodass sich ihre Fingernägel in die Haut hinein bohrten, die schon langsam zu bluten angefangen hatte. 'Woher kommt dieser unbeschreibliche Schmerz?', fragte sie sich, woraufhin ihr ein verzweifelter Schrei entfuhr.

Es ging alles so schnell: Ihre Sicht trübte sich, die Sinneswahrnehmungen griffen zur Taubheit über, ihre Gelenke schienen empfindungslos geworden zu sein und ließen sich nicht mehr bewegen. Es kam ihr so vor, als ob ihr Körper von Innen ausgeholt wurde und sie dagegen nichts machen konnte.

Allmählich traten schwarze Punkte vor ihre Augen und das letzte was sie fühlte, war wie zwei Arme sie hielten, und ihr vielleicht ein Gefühl von Sicherheit verliehen hätten, wenn Amaya sie noch hätte fühlen können.

„Javier...“. Sie bemühte sich einen geraden Satz herausbringen zu können, aber alles was sie halbwegs zu Stande brachte, war sein Name.

„Javier...“

„Page, was ist los? Kannst du mich hören?“, fragte er sie, aber das was er zurück bekam, war nichts als ein quälender Schrei.

„Keine Angst, ich bin hier“. Seine dumpfen Worte kamen kaum bei ihr an, als augenblicklich der Schmerz ein Stück verebbte, zwar nicht ganz, aber gerade genug, sodass sie einigermaßen sprechen konnte:

„Verschwinde! Sofort!...Er kommt...wegen mir...“.

„Was!? Was redest du da?“.

„Er...er wird mich finden...bitte“.

„Schhh, ganz ruhig, okay!? Ich muss dich hier erst mal fort schaffen. Die Leute schauen schon“. Er überlegte einen Moment und fragte:

„Meinst du, du kannst gehen?“.

Doch ohne lange eine Antwort von ihr abzuwarten, hob er sie vorsichtig auf, stütze sie, damit sich nicht wieder hinfiel. Amaya klammerte sich an seiner Schulter fest, legte ihren dröhnenden Kopf darauf, öffnete kurz die Augen und merkte wie der Schmerz sie erneut überflutete und ihre Knie einknicken ließ.

Im Bruchteil einer Sekunde schlang er beide Arme um sie und verhinderte so ein nochmals schmerzlicher Aufprall auf den Boden. Jegliches Zeitgefühl verließ Amaya und ließ sie zwischen Realität und Delirium wandeln. Und während des quälenden inneren Kampfes, spürte sie Javier´s Arme um ihren Körper, die sie nun trugen und in einen schrecklichen Traum, jenseits dieser Welt hineingeleiteten.

Kapitel 8

Die Zeit schien still zu stehen. Der ganze Wald senkte sich in eine Stille, als wäre nichts passiert. Verdorrte Blätter fielen auf die Erde hinab und jedes Auftreffen klang in Aurelia´s Ohren wie aufloderndes Feuer, das für Ewigkeiten in der Hölle brannte. Sanfter Wind rauschte durch die Bäume, zupfte an den kleinen Grashalmen, zog sie mit in seine Richtung.

Der See lag unangerührt da und spiegelte den hell scheinenden Mond in seiner ganzen Pracht. Eine Sternenklare Nacht, wie aus einer anderen Zeit, nichts schien diese Schönheit jemals auslöschen zu können. Bis jetzt. Alles was einst schön war versank in den lodernden Augen des Abgrunds.

Unfähig sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, lag sie da, fassungslos, geschockt und voller Selbstzweifel, sich das alles vielleicht doch einzubilden? Aber das kann keine Illusion sein!

Sie erkannte jedes einzelne Detail:

Die makellose Haut, geschwungene Lippen, hohe, eckige Wangenknochen, die ausdrucksstarke Augenbrauen, von den Augen allein ganz zu schweigen. Aurelia blieb der Atem in der Kehle stecken, versuchte etwas zu sagen, brachte aber kein einzigen Ton heraus. Sein Blick fesselte den ihren und presste schließlich auch das letzte bisschen Luft aus ihrer Lunge heraus.

Was dachte er? Was hatte er jetzt vor?

Sie versuchte eine Antwort in seinen Augen finden zu können, was aber leider erfolglos blieb. So etwas gab es nur einmal. Aurelia kam es vor, als ob eine Ewigkeit vergangen wäre und gleichzeitig keine Uhr dieser Welt weiter getickt hätte.

Dann blitzte in ihrer Nähe etwas silbernes auf, das man auch leicht für eine Lichtreflexion des Wassers hätte halten können. Doch als sie den Punkt genauer fixierte, sah sie ihre einmalige Möglichkeit zu entkommen, dem ganzen ein Ende zu bereiten: Nahe Aurelia´s Oberschenkel lag ihr Dolch, dessen giftige Flüssigkeit an der Spitze herausquoll und geduldig auf sie warten zu schien.

Allmählich erkannte sie ihre Chance. Vermutlich ihre einzige Chance. Wenn nicht jetzt, dann nie!, schrie es ihr durch die Gedanken.

Ruhig hielt sie seinem Blick stand, tastete an sich herunter, dicht an seinem Unterarm vorbei. Aurelia spürte keine Körperwärme, die von ihm abging, aber als Kälte konnte man es auch nicht beschreiben. Das Gras strich unter ihrer Handfläche vorüber, an den ein oder anderen Regenwürmern vorbei, dann das erwartete vertraute Gefühl der scharfen Klinge, die sie jedes Mal mit sich trug.

Aurelia´s Finger schlossen sich eisern um das Heft, zogen es auf einen Schlag, aber nicht zu schnell und mit vollster Vorsicht zu sich heran. Sie wartete noch einen kurzen Moment, um ihrem Herzen einen Augenblick der Ruhe zu gönnen, sah das letzte Mal in seine unwiderstehlichen Augen, holte aus und stach ihm mit ganzer Kraft in sein Bein.

Er gab einen schmerzerfüllten Laut von sich, spannte die Muskeln an und gab nur einen Augenblick, aber dennoch lange genug nach, damit Aurelia ihn von sich schieben konnte. Er landete auf dem Rücken, als sie sich über ihn beugte, die Klinge aus seinem Schenkel zog und an seine Kehle hielt. Jetzt trennten ihn nur noch wenige Millimeter von seinem Tod.

Sie hätte ihre Waffe nur zur Seite ziehen brauchen, um ihm den Rest zu geben, doch irgendetwas hinderte sie daran.

Er schaute ihr direkt in die Augen.

Rief in ihr wieder jene Gefühle hervor, die sie mit Mühe versucht hatte zu verdrängen: Wilde, verstreute Gefühle, die keinen Platz zu finden schienen, andererseits aber auch welche, die sich warm anfühlten und so etwas wie Wohlsein ausdrückten. Aurelia wusste nicht mehr was sie machen sollte.

Du musst ihn töten!, schrien ihre Gedanken und ihr Herz pochte viel zu laut, als das sie hätte darauf hören können. Was sollte sie jetzt tun? Alles schien sich in die Länge zu ziehen.

„Sag mir wer du bist, Dämon!“, rutschte es aus ihr heraus, bevor sie überhaupt nachdenken konnte. Trotz der Verwirrung versuchte Aurelia stand zu halten, als sie auf einmal sanfte Flügelschläge wahrnehmen konnte und einen Augenblick später Elijah neben ihr kniete.

„Alles in Ordnung bei dir? Warum tötest du ihn nicht?“

„Weiß nicht. Ich... kann es nicht.“, brachte sie murmelnd hervor. Obwohl Aurelia´s Blick auf den Mann unter ihr gerichtet war, wusste sie, das ihr Bruder sie mit einem - Was -zum -Teufel?!- Blick anstarrte, dann seinen Dolch aus seinem Gürtel herauszog und Anstalten machte, das zu tun, wozu sie nicht in der Lage war. Den Dämon töten.

Als hätte sie es vorausgesehen, griff Aurelia nach Elijah´s Handgelenk:

„Nein! Wir werden ihn nicht töten. Noch nicht“, sagte sie ihm. Sein Blick glitt von ihr zu dem Mann hinab.

„Ich glaube das, dass auch nicht mehr nötig sein wird“.

„Was?!“. Blitzschnell sah sie auf das Gesicht unter ihr. Er war leichenblass, seine Augen geschlossen. Eine Welle des Schocks durchflutete sie, während ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. War das Gift so schnell gewesen?

„Er ist nur bewusstlos...noch...Trotzdem sollten wir ihn hier nicht liegen lassen. Ich schlage vor, wir bringen ihn zu Dad, denn es ist mir ein Rätsel, dass er dich nicht umgebracht hat, als er dazu die Möglichkeit gehabt hatte“.
 


 

Raphael stand in der Dunkelheit der Nacht, sah auf die zwei vom Himmel delegierten Gestalten herab, die sich über seinen Bruder beugten. Die eine, war erst später dazu gekommen und allem Anschein an war diese ein Mann, vielleicht ein bis zwei Jahre älter als er, blondes Haar, große, kräftige Statur, Engelsgleich, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Woge des Abscheus überkam Raphael, atmete ein und genoss es in vollen Zügen.

Allerdings interessierte ihn nicht der junge Mann, sondern eher die zweite Gestalt, die sich über Samael beugte. Zierlich aber stark, die Haare zu einem noch kaum bestehenden Knoten zusammengebunden.

Etliche Strähnen umfingen ihr Gesicht, verdeckten es. Er ließ seinen Blick über die Szenerie schweifen, blieb jedoch an einem unübersehbaren Gegenstand hängen: Ein gezackter Dolch, vorne von Jade grüner Flüssigkeit überzogen, das Ebenbild des Todes.

Raphael konnte es nicht leugnen, das es ihm einen Moment so etwas wie vorübergehende Glückseligkeit bereitete seinen Bruder so zu sehen, wurde jedoch in seiner Schadenfreude unterbrochen, als er hinter sich kräftige Flügelschläge vernahm.

„Was ist passiert?“. Jewel, natürlich, wer denn sonst?

Sie trat neben ihn, schaute Raphael mit einem fragenden Blick an und richtete dann ihre Bernsteinfarbene Augen auf das Geschehen, das sich vor ihnen ergab. Ihr langes, rotes Haar fiel leicht auf die Schultern herab, umgaben ihr strahlendes Antlitz im Mondschein. Ein etwas spitzes Kinn zeichnete ihr Gesicht, hohe Wangenknochen hoben sich ebenfalls unter ihren Augen ab, jedoch längst nicht so ausgeprägt wie die von Samael oder ihm.

Jewel´s Statur war eher klein und schmal, äußerlich keine besonderen Auffälligkeiten. Ob man sie als hübsch oder äußerst attraktiv bezeichnen konnte, musste jeder mit sich selbst ausmachen. Aber was Raphael sofort sah, wenn er an sie dachte, waren ihre stechenden Augen, die in jeder Finsternis aufleuchteten.

Was einen aber aber noch mehr an ein Raubtier erinnerte wenn man ihr gegenüber stand, war ihre animalische Kraft, die Schnelligkeit und ihre Reaktionsfähigkeit, die sie zu etwas besonderem machten. Es gab allerdings eine Sache, eine empfindliche Seite, die sie, nach Raphael´s Wahrnehmungen, verletzlich machte:

Ihre rechte, Narben übersäte Hand.

Viele weiße Konturen, die sich mal mehr, mal weniger abhoben und sich um Finger und Handfläche schlängelten. Entstanden waren diese vor sechs Jahren bei einem Zwischenkampf in den schottischen Highlands, als Jewel gerade ihr zehntes Lebensjahr erreicht hatte.

Samael, Jewel und er waren mit ihrem Vater Lucius auf der Durchreise nach Peterhead gewesen, als sie nachts von einer Gruppe Engeln angegriffen worden waren.

Solange die anderen gekämpft hatten und sie verzweifelt versucht hatte sich in Sicherheit zu bringen, wurde sie von einem der Angreifern gepackt und attackiert. Mit ihren damals dünnen und kurzen Ärmchen konnte sie sich nicht wehren, doch Lucius kam im richtigen Moment und hatte sie gerettet.

Aber die Narben, die der Engel mithilfe seines himmlischen Feuers, in sie hinein gebrannt hatte, waren geblieben. Nicht viele, der Gottgesandten Wesen hatten die Gabe, Dämonen zu verbrennen, indem sie, sie berührten, wobei die Kinder Satans daran nicht ganz unschuldig waren, das diese Begabung allmählich ihre Wirkung verlor.

Ein kleiner Stich des Bedauerns durchfuhr Raphael, als er daran dachte, dass er damals nicht für sie dagewesen war, nicht versucht hatte ihr zu helfen. Das gehört der Vergangenheit an und was geschehen ist, ist nicht unbedingt...wichtig, dachte er. Jewel´s bohrender Blick war letztendlich das, das ihn aus seinen Gedanken riss.

Ihre Augen glänzten jetzt noch mehr, wie immer, wenn sie unbedingt etwas wissen wollte.

„Wenn du es so willst: Man kann nicht gerade sagen, dass unser geliebter Bruder seine Konzentration auf die überschreitende Grenze zum Territorium der Engel gerichtet hat“, antwortete er ihr mit knappen, kalten Worten. Er hatte keine besonders große Lust die Situation ausführlich zu schildern.

„Und was machen wir nun? Du weißt so gut wie ich, das wir die Grenze nicht überschreiten können. Nicht so“, meinte Jewel warnend.

„Wir werden nach Hause fliegen und Dad erzählen, was passiert ist. Komm schon!“.

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Raphael um und machte Anstalten seine Flügel auszubreiten.

„Wir werden Samael nicht helfen?!“. Entsetzt starrte sie ihn an, doch Raphael schien es völlig kalt zu lassen.

„Erinnerst du dich nicht an deine eigenen Worte?!“, sagte er. Mit dem Rücken noch immer zu ihr gewandt. Geräuschlos erhob er sich in die Lüfte und flog davon.

„Und wieder vergeht eine schlaflose Nacht, auf dem Weg nach Hause...Jan Mayen, du kannst dich auf etwas gefasst machen“. Damit breitete auch sie ihre graufarbenen Schwingen aus, ließ einen Seufzer los und folgte ihrem Bruder ins schwarze Nichts.

Kapitel 9

Das sanfte Wiegen, das sich urplötzlich in ein Stolpern verwandelte, war das, was Amaya wieder erwachen ließ.

Durch den kleinen Augenschlitz konnte sie nur wenig erkennen.

Lediglich eine verschwommene, graue Zimmerdecke, dir vom trüben Licht an der Wand erhellt wurde. Sie sah, wie sie ihr immer näher kam, die Wände um sie herum dichter wurden und genauso erdrückend wurden, wie ihre Kopfschmerzen.

Von Minute zu Minute. So schien es ihr jedenfalls.

Dann machte sich der Druck zweier Arme spürbar, die sie sorgsam trugen. Einer unter ihrem Nacken, den anderen in ihrer Kniebeuge, warme Hände umfingen ihre Schulter und Beine, ließen einzelne wohltuende Schauer durch ihren Körper fließen. Trotz der jagenden Schmerzen, die sich immer mehr vergrößerten, kam es ihr so vor, als würde sie auf einer Wolke liegen, die sie bis zum Horizont geleitete.

Sie blendete alles andere um sich herum aus und ließ sich treiben, gab ihren Kräften die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen. Es hätte ewig so weiter gehen können, doch auf einmal sah sie eine dunkle Wand aus Nebel auf sich zukommen und wendete den Tag in die Nacht um. Amaya wurde schwindelig und schloss benommen die Augen.

Kaum befand sie sich wieder im tiefen Delirium, zogen die schwarzen Nebelschwaden von neuem auf und überdeckten sie mit einer dicken Schicht Orientierungslosigkeit.

Sie wusste weder wo oben, noch wo unten war, die Schmerzen wurden noch größer, sie wollte sich fallen lassen, ins endlose Nichts. Dann, bevor sie die Gelegenheit dazu hatte, ihren Körper der unendlichen Leere zu übergeben, sah sie Kreaturen, die aus dem Nebel hinaustraten und sich als ziehende Schatten auf sie zubewegten, ihre Mäuler öffneten und nach ihr greifen wollten.

Amaya schrie erschrocken auf, versuchte wegzurennen, blieb aber wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen. Sie kamen immer näher, die Qualen wurden größer, sie hatten sie fast erreicht, ein zweiter Schrei des Schmerzes folgte, bis sie auf dem Boden kniete.

Aber der Druck verschwand nicht, stattdessen wurde er immer schwerer, unerträglicher, schnürte ihre die Kehle zu. Spitze Steinchen bohrten sich in ihre Füße, Stiche von hundert Nadeln waren die Folge.

Inzwischen hatten sie Amaya erreicht, streckten ihre Fangarme nach ihr aus und griffen auf sie ein...
 

Mit einem lauten Schrei schreckte sie aus ihrem Traum hoch, war schweißgebadet, was möglicherweise auch an der dicken Decke lag, unter der sie steckte.

Ihre Stirn war feucht und fühlte sich heiß an. Was war das für ein Traum gewesen?, fragte sich sich. Amaya fasste sich an den Kopf und erschrak, als sie bemerkte, das er nicht nur sehr warm war, sondern regelrecht glühte! Sie bemerkte, das sie die übernatürlichen Schmerzen nicht nur geträumt hatte, als sich ein verräterisches Pochen wieder bemerkbar machte.

Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihr breit.

Was ist das nur? Ich kann es spüren, irgendetwas stimmt nicht! Irgendetwas stimmt mit mir nicht!

Mühsam versuchte sie ihr Gedanken beiseite zu schieben, setzte sie sich vorsichtig auf und betrachtete die fremde Wohnung, in der sie sich befand:

Amaya selbst lag auf einer Couch, umringt von etlichen bunt verzierten Kissen, auf denen sich die verschiedensten Applikationen befanden.

Zu ihrer Rechten befand sich ein kleiner, aus dunklem Holz angefertigter Wohnzimmertisch, auf dem ein feuchtes Handtuch lag. Viel mehr konnte man in diesem Zimmer nicht erkennen, da es draußen schon dämmerte und nur das Licht in der gegenüberliegen Küche angeschaltet war. Ihr Blick blieb auf dem Stück Stoff hängen, als plötzlich eine schlanke Hand danach griff, es hochhob und Sekunden später sanft auf ihre Stirn legte. Javier.

Amaya wusste nicht, wieso sie sich so sicher war, dass er es war, sie wusste es einfach.

Erleichtert, das ihr Körper anfing sich endlich nicht mehr ganz so arg wie ein heißer Ofen anzufühlen, atmete sie auf, um diesen Moment noch länger in die Länge zu ziehen.

Wohltuende Kühle floss in sie hinein, gab ihr die Kraft weiter die Augen offen zu halten, womit auch allmählich ihre Stimme wieder kam:

„Wo bin ich? Was ist passiert?“. Als Amaya keine Antwort erhielt, wurde sie leicht nervös und blickt hinter sich. Dort erblickte sie sein Gesicht und blieb sofort, an genau einer Stelle haften:

Diese Augen, so tief, so rein wie die blaue See, die sich perfekt an seine Nussbraunen Haare anpassten. Er war so schön...
 

Augenblicklich schwebte ihr ein Bild von einem Fels in der Brandung vor den Augen, wie sich die Wellen an ihn schmiegten und ihn einen Moment später wieder allein ließen, er in der untergehenden Sonne glänzte und seine Schatten auf das aufschäumende Wasser warf...Götter! Was machst du hier eigentlich gerade?!

Javier schien ihre Unruhe bemerkt zu haben und gab sich deshalb Mühe nicht aufgeregt zu klingen:

„Du bist vorhin im Park zusammengebrochen...Ich hatte gehofft, du wüsstest vielleicht, warum das passiert ist“.

Ja, wenn ich das nur wüsste, fuhr es ihr durch den Kopf.

Amaya war es immer noch völlig schleierhaft, warum sie in Ohnmacht gefallen war, denn normalerweise wurden Wesen ihrer Art nie krank oder verloren das Bewusstsein. Das ganze muss doch einen Grund haben!... Ich werde mich später mit Mirac in Verbindung setzen müssen...

Erst jetzt bemerkte sie, dass, das Handtuch auf ihrer Stirn langsam runter rutschte, da Javier es losgelassen hatte und sie fragend anstarrte. Er wollte es gerade auffangen, aber Amaya war ihm schon einen Schritt voraus und nahm es in ihre Hand.

„Ich habe gefragt wo ich bin?! Und um deine Frage zu beantworten...nein, ich weiß nicht warum ich...zusammengebrochen bin.“.

Ihr kam es so merkwürdig vor, das aus ihrem Mund zu hören. Wie konnte das nur geschehen? Sie wollte nicht länger von ihm so angesehen werden, richtete sich schnell auf, was ein großer Fehler war. Stechende Schmerzen schossen ihr durch den Kopf und ließ sie einen Moment schwanken.

„Autsch!“. Was war nur los mit ihr?! Er erhob sich von seinem Stuhl und half ihr sie noch das letzte Stück aufzusetzen.

„Besser?“, fragte er. Sie nickte nur, als er sich wieder auf dem Stuhl neben ihr sinken ließ. Dann blieb es einige Minuten still. Unwissend was sie jetzt sagen sollte, wandte sie sich und wollte gerade versuchen aufzustehen, als er die unangenehme Stille brach:

„Um dich zu beruhigen: Du bist bei mir Zuhause und nein, ich wollte dich nicht abschleppen oder sonstiges. Das überlasse ich lieber diesem Alkoholiker, der dir wie ein verrückter hinterhergerannt ist.“.

DAS WAR KEIN ALKOHOLIKER! Wenn du wüsstest! Das war was größeres, als du jemals zu sein vermagst! Ohne sie weiter zu beachten, ging er in die Küche, während sie entsetzt aufstöhnte:

„Du hast wirklich gedacht...das ich denke, dass du...“. Vor lauter Aufregung und wahrscheinlich auch Wut, blieben ihr die Worte im Hals stecken und der Mund weit geöffnet.

„Willst du was trinken?“, fragte er sie und holte aus einem der Wandschränke nur ein Glas heraus. Als Amaya weiter schwieg, meinte Javier:

„Naja, nach deinem Blick zu urteilen, nachdem du aufgewacht bist, hätte man sich das durchaus denken können, das du dich das gefragt hast.“ Er lächelte leicht.

„Du spinnst!“, war das einzige, was sie hervorbrachte, aber immerhin mit einer kräftigen Stimme.

„Ist das deine Art dich bei jemandem zu bedanken, der dich im Fieberwahn nicht einfach liegen gelassen hat, sondern zu ihm nach Hause getragen hat? Schließlich hätte ich dich auch einfach dort lassen können“.

Das Lächeln war verschwunden. Er füllte das Glas mit Mineralwasser aus einer Flasche, kam zu ihr zurück und drückte es Amaya in die Hand.

Ein leises „Danke“, kam ihr über die Lippen, während er in seine Jackentasche griff, die über der Stuhllehne hing und eine Zigarettenschachtel herausholte, in der zusätzlich ein Feuerzeug eingesteckt war.

„Willst du auch eine?“, fragte er zu ihr gewandt.

„Ich bin nicht Raucher, aber danke, nochmals.“, erwiderte sie mit Nachdruck.

„Wie du willst.“, meinte er schulterzuckend. Javier ging zum Fenster, öffnete es und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Fenstersims ab.

Um keine Zeit mehr zu verschwenden, nahm sie noch ein Schluck Wasser, stellte danach das Glas auf den Wohnzimmertisch, schlug die Decke zurück und beugte sich hinunter, damit sie sich ihre Schnürstiefel anziehen konnte.

„Wie lange war ich eigentlich bewusstlos?“, fragte sie, bevor sie, wegen dem noch immer etwas verschwommenen Sichtfeld, das Zubinden der Schuhe aufgab und die Bändel in den Schaft stopfte.

Ihre Kopfschmerzen hatten immer noch nicht aufgehört und wurden immer schlimmer. Erschöpft fasste sich sich an die Stirn und schloss die Augen.

„ So etwa um die zwei Stunden, vielleicht auch drei.“, beantwortete er Amaya´s Frage, ohne sie anzuschauen,was sie wiederum rasend machte, als sie fassungslos die Augen wieder aufschlug.

Zwei, vielleicht auch drei.

MENSCH!

Wie konnte man so...so leichtfertig sein?! An den Gedanken, was alles hätte passieren können, hatte er wohl keine Zeit verschwendet. Wie denn auch?

Er ist ein Mensch, vergiss das nicht, ermahnte sie sich. Und mal wieder brachte sie vor lauter Zorn kein einzigen Ton heraus. Noch etwas, das ich nicht leiden kann. Sie schaute zu ihm auf.

Javier starrte raus auf den Straßenverkehr, wobei einzelne Strähnen seiner Haare ihm ins Gesicht wehten. Es hatte nichts mit ihm zu tun, aber so hätte sie ihn stundenlang anstarren können. Sein Körperbau war nicht der kräftigste, aber schmächtig konnte man es auf keinen Fall nennen. Ihm fehlten vielleicht ein paar Muskeln, doch sein Gesichtsausdruck zeigte so viel stärke, das es ihr schon fast unrealistisch vorkam.

Er wäre ein ein begnadeter Geisterkrieger, fuhr es ihr durch den Kopf. Fasziniert schaute Amaya noch einen Augenblick auf sein Gesicht, als ihr auch schon etwas aus dem Mund rutschte, was sie sofort bereute:

„Wer bist du?“. Sie sah, wie er sich kurz anspannte, dann seinen Kopf zu ihr drehte und sie entgeistert anstarrte. Unbemerkt ließ er seine Zigarette fallen:

„Was?“. Verlegen schaute sie auf den Fußboden, biss sich auf die Lippen, sodass sie zu bluten anfingen.

„Nichts. Ich muss jetzt auch wieder gehen. Danke, dass du dich um mich... gekümmert hast.“, sagte Amaya, drehte sich um und schnappte sich ihre beige Strickjacke, die auf der Rückenlehne der Couch lag, und schritt mit schnellen Schritten auf die Tür zu, bei der sie meinte, das diese die Wohnungstür sei.

Sie drückte die Klinke hinunter und zog die Tür zu sich, aber so schnell sie, sie geöffnet hatte, so schnell wurde sie mit einem kräftigen Stoß wieder geschlossen. Dann stellte sich ihr Javier direkt in den Weg und schaute sie an.

„Wohin willst du gehen?“, fragte er sie ehrlich interessiert. Das hatte sie nicht erwartet.

„Warum willst du das wissen?“, fragte sie zurück. Doch er sah sie mit einem bohrenden Blick an, an dem es keinen Ausweg gab. Etwas genervt rollte Amaya die Augen:

„Ich will wieder nach Hause und jetzt öffne bitte die Tür:“

„Nein. Geh nicht. Bitte.“ „Nenne mir einen guten Grund wieso ich hier bleiben soll.“ Sie wusste zwar nicht, was er wollte, aber falsche Hoffnungen wollte, durfte sie ihm nicht machen:

„Du hast mich gerettet, wofür ich dir auch dankbar bin, aber -,“

„Ich mache mir sorgen. Ist das Grund genug für dich?“. Als er ihren skeptischen Blick sah, sprach er weiter:

„Stell dir doch mal vor, dieser Typ kommt wieder und greift dich an. Was machst du dann?“.

„Er wird nicht wieder auftauchen.“, log sie und machte einen Schritt nach vorne und abermals nach der Klinke zu greifen, wurde aber von Javier gestoppt, indem er seine Hand um ihre Finger schloss, die schon auf dem Griff lagen.

Er roch leicht nach Zigarettenqualm.

„Da wäre ich mir nicht so sicher.“. Amaya sah in seinen Augen echte Besorgnis. Nicht gut. Unter seiner Hand konnte sie seinen Puls spüren, seine Finger auf der ihren. Er drückte sie kurz, als ob er sie damit überreden könnte doch zu bleiben...was er auch irgendwie schaffte.

Ihr Kopf schmerzte, sodass sich bereits schwarze Punkte vor ihren Augen bildeten. Noch weniger gut. Konzentriert versuchte sie seinen Blick ruhig zu erwidern und meinte:

„Ich werde bleiben. Unter einer Bedingung.“. Amaya konnte seine Erleichterung deutlich spüren und trat näher an ihn heran.

„Und die wäre?“, fragte er, fast flüsternd. Sie standen sich nun so nah, das sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. So warm...so menschlich.

„Küss mich“.

Kapitel 10

„Setze ihn dort auf dem Bürosessel ab.“, wies Aurelia ihren Bruder an und zeigte auf den schwarzen Lederbezogenen Stuhl, der nahe des Glasschreibtisches stand. Ihr Vater saß dort so oft, dass auf dem Bezug schon Abdrücke seiner Statur zu sehen waren.

Dave mochte seine Arbeit als Führer der Garnison wirklich sehr und verbrachte dort den größten Teil seiner Zeit, aber wo er doch vollends aufging, war bei seiner Familie, die er mehr als alles andere liebte. Aurelia warf einen kurzen Blick auf die Unterlagen, die geordnet auf dem Tisch lagen und auf den ausgeschalteten Computer, als Elijah sie auch schon zum Helfen aufforderte.

Sie drehte den Sessel zu ihm herum und hielt ihn fest, während ihr Bruder den bewusstlosen jungen Mann unsanft auf dem Möbelstück niederließ. Er hatte ihn den ganzen Weg vom Wald bis in das wichtigste Gebäude der Stadt getragen.

Elijah hatte ihn über seine Schulter gelegt und hatte so auch keine Rücksicht auf ihn genommen, als sie durch die Baumkronen geflogen waren, wodurch sie wiederum schneller als gedacht vorangekommen waren.

Aber das hatte Aurelia auch nicht wirklich interessiert. Sie war noch immer viel zu sehr mit dem Gedanken und dem Schock beschäftigt, den Mann aus ihrem Träumen getroffen zu haben, als das sie auf was anderes hätte achten können.

Wie konnte so etwas passieren? War das überhaupt möglich? Real?! Sie lebten in einer Welt, in der mehr passierte und existierte, als das die Menschheit erahnen konnte, dessen war sie sich bewusst.

Schließlich gehörte sie selbst zu den Geschöpfen, bei denen Menschen meinten, sie hätten sie erschaffen.

Aber von Leuten zu träumen, denen sie noch nie zuvor begegnet war, ging selbst über ihr Verständnis hinaus. Andererseits, gab es auch Situationen, in die ihr Vater schon seit seiner Geburt steckte...Sie versuchte das Geschehene beiseite zu drängen und war einfach froh, endlich in Dave´s Büro angekommen zu sein.

Das großzügige Zimmer war modern eingerichtet: Beheizter Fußboden aus Marmor, die Wand weiß gestrichen, große Fenster säumten die Nordseite des Raumes und ließen einen freien Blick auf die beleuchtete Stadt. Schräg gegenüber stand der Schreibtisch, auf dem eine der vielen Edelstahllampen platziert war, die Dave so sehr mochte.

Die Wand rechts war mit diversen Regalen voll gestellt, in denen sich immer gleich graue Ordner befanden. Auf der anderen Seite hing ein Flachbildfernseher, der so gut wie nie benutzt wurde. Der einzig richtige Farbfleck im ganzen Zimmer war jedoch das große, abstrakte Bildkunstwerk, das im Eingangsbereich des Büros hing.

Aurelia hatte es immer schon sehr gut gefallen, weil auf dieser einen Leinwand so viele Farben, Figuren und Formen drauf gebracht worden waren, das es einem schon unwahrscheinlich erscheinen konnte.

Sie ging davon aus, dass Dave es aus genau diesem Grund gekauft hatte: Die Widerspiegelung der surrealen, vielseitigen Welt, in der sie lebten, dass man sich dessen immer wieder bewusst wurde, wenn man es sah, dass einem seine Herkunft und Abstammung nicht in Vergessenheit geriet.

„Kannst du einen kurzen Augenblick auf unseren Freund aufpassen, damit er nicht vom Stuhl fällt?“, forderte Elijah sie in seiner großer - Bruder- Stimme auf, als er in die Richtung des Fernsehers lief.

„Wäre unschön wenn er auf den Boden knallt und ihn mit seinem Blut befleckt. Außerdem kann man ihn nicht gerade als Fliegengewicht bezeichnen“. Aurelia schritt auf die schwarzhaarige Gestalt, die reglos im Sessel lag, zu und betrachtete ihn für einen Moment. Wenn man ihn so sah, hätte man meinen können, das er nur schlafen würde.

Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und verdeckten somit den Großteil seiner Augen. Das etwas spitze Kinn passte sich perfekt seinen geschwungenen Lippen an und verliehen seinem äußeren was, was sie nicht in Worte hätte beschreiben können. Sie fing gerade an zu grübeln, was das sein könnte, als sie durch ein plötzliches Klicken aus ihren Gedanken gerissen wurde.

Abrupt wandte sie sich Elijah zu und blickte zugleich auf einen lehre Wand, an der noch wenige Augenblicke zuvor der Fernseher gehangen hatte. Ihr Bruder stand davor und starrte ebenfalls auf die kahle Fläche, die sich langsam zu bewegen anfing. Wie aus dem nichts hob sich ein großer Rechteckiger Umriss aus der Wand drehte sich automatisch um 90° nach links, sodass zu zwei Seiten jeweils einen Durchgang hatte. Getrennt von der schmalen Mauer, die inzwischen stehen geblieben war. Baff hielt Aurelia den Atem an. Ungläubig zeigte sie auf den trüb erleuchteten Raum, der dahinter lag.

„Elijah, was ist das? Davon weiß ich überhaupt nichts. Was soll das sein?“, fragte sie, ahnungslos was sie sagen sollte. Natürlich wusste sie, dass, das, was sich vor ihr ergab so etwas wie eine Geheimtür mit einem dahinterliegenden Raum darstellte, aber trotzdem wusste sie nicht was ihr Bruder jetzt damit anstellen wollte.

„Eine Geheimtür. Siehst du das denn nicht?“, fragte er sie und sah sie verwundert an.

„Natürlich weiß ich das, aber was hast du jetzt damit vor?...“. Ihre Worte verstummten als er durch das Zimmer ging und den Dämon, der immer noch im Sessel lag, an den Schultern packte. Dank seiner übernatürlichen Engelskräfte, war es für ihn kein Problem den Gefangenen hochzuheben und ihn abermals über seine Schulter zu legen.

Man hätte meinen können der Dämon wäre tot, aber seine flache Atmung verriet Aurelia das er durchaus noch am Leben war und er demnächst aus seinem Bewusstlosen Zustand wieder aufwachen würde. Gemeinsam durchquerten sie das Büro und schritten durch den Gang, der in den anderen, für sie unbekannten Raum führte. Was die gewöhnlichen Möbelstücke betraf, so war das Zimmer nur spärlich eingerichtet.

An der Längswand stand ein länglicher Tisch, der, vom Platz her gesehen, die ganze Seite beanspruchte. Auf ihm befanden sich, nach der Reihe angeordnet, die verschiedensten Klingen, Handschellen und kleinere Folterinstrumente. Links und rechts waren jeweils ein langes, aber schmales Fenster eingebaut, neben denen ebenfalls Handschellen und Ketten an der Wand angebracht waren.

Aurelia kam sich ein bisschen wie in einer mittelalterlichen Zelle vor, nur mit dem Unterschied, das der Raum beheizt war.
 

„Hier bringen Dad und ich gefangene Dämonen hin, wenn wir sie einer Befragung unterziehen wollen, was aber recht selten vorkommt. Meistens verrichten wir hier Arbeiten die unter die Folter fallen. Das wird auf beiden Seiten schon seit Jahrhunderten so gemacht. Wir fangen sie, foltern sie, mit der kleinen Hoffnung etwas aus ihnen herauszubekommen, und vernichten sie dann vollends. Aber das passiert allerdings nur in den äußersten Fällen, das wir nach der Jagd einen Dämonen hierher bringen. Meistens töten wir sie schon am Kampfort, wie du es selber tust“.

Er sah ihren fragenden Blick und wusste genau, was sie wissen wollte:

„Eigentlich bekommt man das Wissen über diesen Raum erst wenn man seine Prüfungen abgelegt hat mitgeteilt. Aber da du ja sowieso in wenigen Wochen in die Prüfungen gehst, dachte ich, dass, das nun auch nichts mehr ausmacht, ihn dir jetzt schon zu zeigen...Kannst du ihm die Handschellen an der Wand über die Handgelenke ziehen!?“.

Elijah hob den Dämon über die Schulter und hielt in fest, während Aurelia sich daran machte die Fesseln überzustreifen.

Sie dachte an die bevorstehenden Tests, die jeder Engel mit dem 19 Lebensjahr ablegen musste, um ein Himmelskrieger zu werden. Als sie seine Hand berührte, erstarrte sie vor Schreck einen Moment.

Seine Haut war ganz warm, ja fast schon heiß. Sie beeilte sich und zog sich,sobald sie konnte wieder zurück. Ihr Bruder schien ihre Eile bemerkt zu haben und sah sie besorgt an:

„Was ist los?“ „Er fühlt sich ganz warm an. Kann es sein, dass, das an dem Gift des Dolches liegt, den ich ihm ins Bein gestochen habe?“

„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber möglich wäre es. Es wäre besser wenn du jetzt gehen würdest, da ich nicht weiß, ob Dad erfreut wäre, dich hier schon vor deinen Prüfungen anzutreffen“.

Aber bevor sie darauf hätte antworten können, machte sich jemand hinter ihr bemerkbar, sodass die Zwei sich umdrehten und ihrem Vater direkt gegenüber standen. Sein ergrautes Haar war noch etwas zerzaust und einzelne Bartstoppel zeigten sich auf seinen Wangen.

Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren jedoch das, was Aurelia am meisten auffiel. Eine schlaflose Nacht stand in ihnen geschrieben. Unwillkürlich musste sie an den vergangenen Nachmittag zurück denken. Dave war enttäuscht gewesen, das sie zum ersten Vorspiel ihrer Mutter seit langer Zeit zu spät gekommen war...besser gesagt es ganz verpasst hatte.

Als ihre Eltern den Salon verlassen hatten, hatte sie nebenbei noch einen vorwurfsvollen Blick ihres Vater einstecken müssen. Jetzt schien jedoch seine Konzentration eher auf dem Dämon zu liegen, anstatt auf Elijah und Aurelia.

Nach einem Moment des Schweigens, trat er an ihr vorbei und blieb vor dem Bewusstlosen stehen. So war ihr Vater nun mal: Stets Fokussiert bei der Arbeit, egal was um ihn herum geschah.

„Dad, woher wusstest du, dass wir uns...hier befinden?“, fragte sie.

„Ich hatte ihn, bevor wir zur Garnison aufgebrochen waren angerufen und ihm Bescheid gegeben.“, beantwortete Elijah ihre Frage: „Das hast du nicht mitbekommen. Du warst mit deinen Gedanken ganz woanders“, fügte er hinzu.

Das stimmte, sie war nach dem Kampf mit dem Dämon völlig aus der Fassung gewesen und hatte vermutlich, während des Telefonats, vor sich hingestarrt und an nichts anderes denken können.

Nach diesen Worten herrschte wieder tiefes Schweigen. Draußen hörte sie das entfernte Leuten von Krankenwagen und hupenden Autos. Langsam merkte sie, wie die Müdigkeit sie zu überrollen drohte und hätte Dave nicht wieder das Wort ergriffen, wäre sie sicher der Gefahr ausgelaufen, im stehen einzuschlafen.

„Gab es irgendwelche Anzeichen, dass er bald aufwachen würde?“

„Nein, jedenfalls keine die ich bemerkt hätte“, meinte Elijah. Aurelia musste sich anstrengen nur ein kleines Lächeln aufzusetzen, anstatt vor Freude loszulachen, das sie endlich einmal etwas wusste, das ihr Bruder nicht mitbekommen hatte: Der Dämon würde aufwachen und zwar in Kürze, denn länger als zehn Minuten konnte es sicher nicht mehr gehen. Normalerweise war es so, das Elijah derjenige von ihnen zwei war, der die meisten Sachen wusste und keinerlei Hilfe zu benötigen schien.

„Was das passiert?“, fragte Dave weiter.

„Er hatte mit Aurelia gekämpft und als ich sie vorfand, war er schon in der Übergangsphase zum Bewusstlos sein. Sie hatte ihm eine der Skorpion Dolche ins Bein gestochen. Seither hatte er nicht mehr die Augen geöffnet. Außerdem hatte er Aurelia nicht getötet, als er die Chance dazu hatte.“, erklärte Elijah.

Sie war ihrem Bruder dankbar, dass er ihrem Vater den eigentlichen Grund, für ihren Spaziergang im Wald nicht nannte und es ausließ. Sie warf ihm einen Blick zu, der alles sagte, was sie ihm gerade nicht sagen konnte und formte mit den Lippen ein leises „Danke“. Trotz keiner Erwiderung, erkannte sie an seiner Haltung und einem kurzen Zucken seiner Mundwinkel, dass er sie bemerkt hatte, ihr ein Gefühl von „Ist okay“ gab.

„Er ist durch das Gift des Dolches nicht gestorben?“

Bevor Elijah auch diese Frage beantworten konnte, sprang Aurelia für ihn ein:

„Nein, aber ich vermute stark, dass, das an der Dosis des Giftes lag. Sie war bereits schon fast leer, daher denke ich das es zu wenig Gift war, um ihn zu töten, aber genug um ihn in einen ohnmächtigen Zustand zu versetzen“.

Jetzt sah Dave sie das erste Mal, seit er zu ihnen gestoßen war, richtig an. Er warf ihr ein leichtes Lächeln zu.

„Na schön, wenn er nicht stirbt, müssen wir ihn eben zurück holen“.

Der Führer der Garnison ging auf den länglichen Tisch zu und nahm eine kleine Dose Ias. Dieser Stoff verhalf den Engeln, Dämonen und andere Wesen wieder zu Bewusstsein zurückzubringen.

„Wieso? Wir könnten ihn doch auch einfach umbringen. Was,-“ Dave schnitt Elijah das Wort ab.

„Nein, das werden wir nicht tun...noch nicht. Ich würde ihn gerne ein paar Sachen fragen. Hier nimm das, falls es doch zum äußersten kommen sollte..oder du deine Wut nicht im Zaum halten kannst.“, letzteres fügte er mit einem Grinsen hinzu.

Er gab ihrem Bruder einen Art Handschuh aus Metall, der auf der Oberfläche mit großen, spitzen Zacken besetzt war. Die Finger waren oben durch eine extra Schicht Stahl geschützt und wurden unten um die Handfläche herum mit einem ledernen Verschluss angebunden.

„Aber warte bitte, bis er erst wach ist“. Darauf trat Dave auf den jungen Mann zu, dessen dunkle Kleidung nur so vor Dreck starrte. Allerdings war Aurelia nicht besser dran. Ihr Vater öffnete die schmucklose Dose und hielt sie, mit Sicherheitsabstand, dem Dämon direkt unter die Nase. Kurz darauf fing er an sich zu regen und war mit einem Ruck hellwach.

Urplötzlich spannte sich sein Körper an, holte Schwung, schwang die Beine nach oben und schleuderte Dave auf die Seite. Er kam mit dem Rücken hart auf dem Boden auf und ließ einen dumpfen Laut aus. Aurelia zuckte zusammen. Das hatten sie nicht erwartet.

Ehe sie realisieren konnte, was gerade passiert war stand Elijah schon vor dem Dämon und schlug mit dem eisernen Handschuh, den er inzwischen übergezogen hatte, so heftig ins Gesicht, das dem Dämon die Gesichtsknochen knacksten. Er jedoch gab keinen einzigen Laut von sich und kniff nur die Augen schmerzerfüllt zusammen.

„Wagst du es noch einmal Hand an meine Familie oder mich zu legen, werde ich dir deine brennenden Augen ausreißen!“, schrie Elijah ihn an.

Er kam nur selten aus der Ruhe, aber wenn er mal wütend war, dann auch richtig.

Er schlug dem Dämon nochmals ins Gesicht. Aurelia wollte gerade zu ihrem Vater, um ihm zu helfen, aber er hatte sich schon wieder aufgerappelt und wandte sich zu seinem Sohn:

„Wenn hier jemand einen umbringt, entscheide ich, ob das auch getan wird!“, sagte Dave mit lauter Stimme und drängte Elijah beiseite. Nicht aus Wut auf ihn, sondern auf den Dämon. Der Gefangene blutete bereits aus der Nase und einigen tiefen Schrammen auf seinen Wangen.

Dave packte ihn am Hals und drückte fest zu:

„Wir werden dich einer Befragung unterziehen und wenn du dich nochmals wehren solltest oder uns keine Antwort auf unsere Fragen gibst, werden wir umgehend dafür sorgen, dass du es bereuen wirst!“.

Er deutete mit dem Kopf in die Richtung seines Sohnes, der wütend die Riemen um seine Handflächen fester zu zog. Aurelia´s Kopf fing an zu dröhnen, was eindeutig am Schlafmangel der letzten Nächte lag.

Durch den etwas verschwommenen Blick, sah sie zu ihrem Bruder hinüber, der ihr verständnisvoll zunickte, was ihr wiederum das Signal gab, das sie gehen konnte. Und das tat sie auch.

Sie hätte zwar noch gerne gesehen, wie so eine Befragung ablief - wobei sie wusste, dass außer fragen, brüllen und Blut nicht viel mehr dabei war - konnte aber der Versuchung ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor die Sonne aufging, nicht widerstehen. Sie kam gerade am Durchgang an, als sich ihr Blick verselbstständigte und wie durch ein Magnet zum Dämon rüber gezogen wurde.

Sein Gesicht war schmerzerfüllt, seine Züge gequält.

Die Augen loderten, brannten sich in ihre hinein. Ihr kam es so vor, als würden sie, sie fesseln und nicht mehr los lassen wollen. Sie berühren, doch nicht zu nahe kommen. Dann änderte sich sein Ausdruck:

Er wurde energischer, verlangender und noch quälender. Aurelia hatte das Gefühl, als würde sie in ein tiefes Loch fallen. Kein Ende, kein Entrinnen. Sie hätte sich in ihnen verloren, wenn nicht eine metallene Faust seinen Kopf abermals zur Seite geschlagen hätte. Auch dieses Mal gab er keinen Laut von sich. Nur ein dumpfes Stöhnen glaubte sie zu vernehmen, war sich aber nicht sicher.

An seinen Mundwinkeln lief dunkelblaues Blut hinab und tropfte nach unten. Sie stutzte einen Moment. 'Hatten Dämonen nicht eigentlich schwarzes Blut?' Doch bei dem nächsten Schlag der sein Gesicht traf, war ihr Gedanke wieder vergessen. Wahrscheinlich lag das an dem Schlafmangel den sie besaß.

„Wenn du meine Schwester noch einmal anstarrst, bringe ich dich auf der Stelle um!“, knurrte Elijah. Aurelia zwang sich wegzuschauen, während ihr Bruder dem Dämon die Faust in den Magen rammte, und trat aus dem Raum. Völlig erschöpft suchte sie eines der Ruhezimmer auf, die am Ende des Ganges lagen.

Jedoch waren sie nicht weit genug weg, um die wütende Stimme von Dave und die harten Schläge ihres Bruders zu überhören.
 

Nach guten zwei Stunden der Folter gaben es Dave und Elijah auf, etwas aus dem Dämonen herauszubekommen. Zumindest vorübergehend. Er war ziemlich standhaft geblieben und hatte, obwohl er an der Wand angekettet war und ihnen direkt gegenüber stand, sie keines Blickes gewürdigt.

Seine Ausdauer war erstaunlich gewesen. Ein Mensch hätte diese Folter niemals überlebt. Letzten Endes hatten die Schmerzen ihn doch eingeholt, worauf er erneut bewusstlos zusammengesackt war.

Das Blut tropfte nun in regelmäßigen Abständen auf den gefliesten Boden, sammelte sich in den Rillen und floss in Richtung des eingebauten Abflusses.

'Wie hatte er nur so lange durchhalten können? Ohne einen einzigen Schmerzenslaut!', überlegte Elijah und als Dave ihm einen nachdenklichen Blick zuwarf, merkte er, dass er seine Fragen laut ausgesprochen hatte. Gleichzeitig drehten sich die beiden um und sahen auf den erschlafften Körper vor ihnen hinab.

Elijah wurde klar, dass er so schnell auf seine Fragen keine Antwort bekommen würde. Die schwarzen Haare des Dämons fielen in sein von Qualen überzogenes Gesicht, seine Adern waren deutlich hervorgetreten, Schweiß rann ihm von den Schläfen und vermischte sich mit seinem Blut. 'Seine Rippen waren wahrscheinlich gebrochen,' ging es ihm durch den Kopf.

Blaue Flecken verunstalteten seinen makellosen Körper, sein Atem ging noch flach, aber er würde sich bald wieder erholt haben.

Elijah blieb noch einen Moment ratlos stehen, drehte sich um und begann wieder mit dem Einräumen der Folterinstrumente, die sein Vater sorgsam säuberte. Eine Weile arbeiteten sie schweigend nebeneinander her und er fragte sich erneut, warum der Dämon seine Schwester nicht getötet hatte, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte.

'Vielleicht war der momentane Adrenalin zu hoch gewesen, um gleich zu reagieren.'

Plötzlich hielt er es nicht mehr aus:

„Dad, sag mir,-“

„Nein. Ich habe keine Ahnung, wieso er das getan, beziehungsweise nicht getan hat.“ Das Verhältnis zwischen Elijah und Dave war sehr eng.

Sein Vater hatte ihn alles gelehrt, was er selber wusste und beherrschte. Manchmal war ihre Bindung so stark, das der eine wusste, was der andere gerade dachte oder sagen wollte, was zum Teil aber auch an der Begabung lag, die sein Vater besaß.

Zum letzten Mal strich er mit einem Tuch ober den blutverschmierten Metallhandschuh, dessen Zacken sich in das Fleisch des Dämons gebohrt hatten.

Dann gab er ihn Elijah, der ihn in den beleuchteten Schrank legte, worin die Folterinstrumente aufbewahrt wurden. In dem obersten Fach befanden sich mehrere Phiolen, die mit dem Jade grünen Gift gefüllt waren und später in ihre Dolche gegeben wurde. Unter anderem hingen Sai- Gabeln, Skorpion Dolche und Kurzschwerter an den unteren Ablagen.

Engel, wie auch Dämonen benutzten so gut wie immer Waffen, die für Kämpfe auf kurzer Distanz angefertigt worden waren. Schusswaffen waren in ihrer Welt nicht brauchbar, da beide Wesensarten immun gegen ihre Kugeln waren.
 

Im Verlauf der Millionen von Jahren, in denen die Mächte des Himmels und der Hölle schon existierten, wurden die Engeln mit versteckten scharfkantigen Klingen ihn ihren Flügeln ausgestattet, die sie jederzeit ausfahren konnten. Die Dämonen hingegen hatten Schwingen, die mit immensen Stacheln bereichert waren. Elijah hatte mal einen zu spüren bekommen und es war kein Erlebnis, das er ein zweites Mal haben wollte.

Er konnte sich noch allzu gut an den brennenden Schmerz erinnern, den er mit 14 Jahren hatte ertragen müssen...

„Elijah!“. Schlagartig wurde er aus seinen Gedanken gerissen:

„Hast du mir eben nicht zugehört?“, fragte ihn sein Vater. Dieser sah ihn an: „

Der Dämon könnte bald wieder zu sich kommen und trotz der Folter, bezweifle ich, dass wir aus ihm mehr herausbekommen werden als vorhin. Er hat einen sehr eisernen Willen, das habe ich gespürt“.

Dave heftete seinen Blick auf den Gefangenen und schürzte die Lippen, als würde er überlegen.

Er hatte seit seiner Geburt eine Art siebten Sinn, konnte Präsenzen anderer spüren und manchmal ihr innerstes durchforsten, wie Geheimnisse oder Fakten anderer. Diese Gabe kostete ihn aber ein hohes Maß an Konzentration, sodass es ihn so erschöpfte, dass er danach manchmal fast zusammenbrach.

Bisher wurde kein anderer Engel ausfindig gemacht, der diese oder eine ähnliche Fähigkeit besaß. Deshalb war es auch eines der unerforschten Gebiete der Engel Ära seit tausend Jahren hatte und daher eine rießen Sensation.

Ein weiterer Nachteil dieser Gabe war, dass sie kam und ging, wie es ihr passte. Was sie so zu einem unkontrollierbaren Phänomen, welches nicht mehr als ein paar Minuten anhielt, machte.

Dave schien sich damit abgefunden zu haben, dass ihm sogar die höchsten Engel - die Erzengel -, nicht helfen konnten. Trotzdem sah man gelegentlich, dass er darunter litt.

„Und was hast du nun vor?“, fragte Elijah ihn.

„Ich werde Nathaniel den Hohen kontaktieren. Möglicherweise kann er uns weiterhelfen.“.

Elijah kannte Nathaniel schon seit er denken konnte und daher war er für ihn wie...wie eine Art Vorbild. Ein weißer Mann, den man immer um Rat fragen konnte und welcher ein alter Freund war, für den er seine Hand ins Feuer legen würde. Dave und Nathaniel hatten sich während der Ausbildung in der Garnison kennen gelernt.

Dave, der damals junge und tapfere Krieger am Anfang seiner Karriere als Leiter der Garnison dastand und Nathaniel, der bereits zu einem Erzengel auserkoren worden war. Aber trotz des jahrelangen Kennens, sprach Elijah´s Vater den oberen Engel mit seinem vollen Namen an. Als eine Art Zeichen des...Respekts.

Während Elijah sich darauf freute einen alten Freund wieder zu sehen, gingen die Zwei in das eigentliche Büro. Dave bewegte sich in Richtung seines Schreibtisches, drückte einen schwarzen Knopf und setzte sich so mit dem Erzengel in Verbindung. Dieser Weg verhalf den Engeln in Gedanken zu kommunizieren.

Ein armer Wissenschaftler ihres Volkes, hatte dieses System vor etwa 150 Jahren entwickelt und war so zu einem der berühmtesten Professoren seiner Zeit aufgestiegen.

Plötzlich vernahmen beide die Stimme des Erzengels Nathaniel in ihrem Kopf und vereinbarten einen sofortigen Termin.

Kapitel 11

Er sah sie aus seinen undurchdringbaren Augen an, unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. Sie erwiderte seinen Blick, konnte aber darin keinerlei Reaktionen erkennen.

Javiers Hand lag noch immer ungeachtet auf der ihren.

Ihr schwirrte der Kopf, die Augen wurden immer schwerer. Eine unerträgliche Hitze machte sich in ihr breit, die sie zu versengen drohte.

Was hatte sie nur gerade gesagt?! So war sie doch nicht! Das wollte sie gar nicht!

Amaya blickte auf den Boden und rückte ein Stück ab. Ihre Hand entglitt seiner. Ihr Atem ging schwer, das Herz klopfte wild. Sie öffnete den Mund, um ihm zu erklären, dass ihr eben nicht bewusst gewesen war, was sie gesagt hatte. Aber diese Worte kamen nie heraus.

In diesem Moment schnellte sein Arm hervor, griff nach ihren Fingern und zog sie dicht zu sich heran. Ihre Körper prallten heftig aneinander, sodass sie für einen Moment die Luft anhalten musste.

Mit einer Hand umfing er ihre Wange, mit der anderen hielt er sie fest. Dann beugte er sich zu ihr herab und presste seine Lippen auf ihre. Sie erstarrte vor Überraschung und spürte, wie er ihr einen Arm um die Hüften legte. Seine Lippen waren warm und unnachgiebig, raubten ihr das letzte Fünkchen Kontrolle über sie selbst.

Dann wurde der Kuss langsamer, vorsichtiger und wandelte ihre Anspannung in...in Gelassenheit um. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken und schmiegte sich an ihn.

Erstaunt zog sich Javier etwas zurück und sah ihr tief in die Augen. Seine waren voller vorübergehendem Verlangen gezeichnet, zugleich trat aber auch ein gewisses Zögern hinein. Trotzdem dauerte es nur einen kurzen Augenblick, ehe sie ihren Kopf leicht nach oben neigte und sie sich erneut küssten.

Dieses Mal bewusst und wohl wissend, das er sie eigentlich überhaupt nicht kannte, nicht mal eine Ahnung hatte, wer sie wirklich war.

Amaya wusste, dass sie aufhören musste und das wollte sie auch. Doch als er den Kuss in die Länge zog, verlor sie erneut die Beherrschung und lehnte sie noch näher an ihn heran.

Er strich ihr durch die Haare, wodurch auch das letzte bisschen Luft aus ihrer Lunge entwichen war. Demnach schlang sie die Arme um seine Taille und zog ihn mit sich nach hinten.

Gemeinsam prallten sie gegen eine Wand, verschlangen sich, hielten einander fest. Javier ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten und ließ sie knapp über ihren Hüften inne halten. Amaya erwachte aus der scheinbar schwerelosen Trance:

Das war nicht gut. Das war überhaupt nicht gut! Doch so sehr sie auch mit sich selbst kämpfte...sie konnte ihn nicht loslassen.

Aber ehe sie sich selbst überwinden konnte, ihn von sich zu stoßen, hörte sie in der Nähe ein lautes Rumpeln. Gleichzeitig ließen sie voneinander los und schauten überrascht in Richtung Wohnungstür.

Beide blieben wie angewurzelt stehen. Im Eingang stand eine kleinere Frau in mittleren Jahren. Die dunklen, gelockten Haare hatte sie sich hochgesteckt, einzelne Strähnen zierten ihr rundes Gesicht.

Zwei vollgepackte Einkaufstaschen in jeder Hand. Eine hatte einen großen Riss, da ein Teil der Lebensmittel auf den Boden gefallen war, vermutete Amaya.

„Hi,...Mum, ich dachte du wärst heute Abend noch bei Alisé...“.

Es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, das er angenommen hatte, dass seine Mutter erst später nach Hause kommen würde. Sie stand wie geschockt da und ihre Wangen zeigten eine verräterische Röte.

Unwillkürlich kam Amaya die Frage, ob die Mutter ihren Sohn schon einmal mit einem Mädchen zusammen gesehen hatte...Wundern dürfte sie sich nicht. Immerhin war sie selbst neunzehn und schätzte, dass Javier gleichaltrig war, vielleicht ein Jahr jünger.

Die Stille im Raum bereitete ihr Unbehagen und sprach innerlich ein Dankesgebet aus, als die ohnehin schon kaputte Tragetasche endgültig aufriss und schließlich der ganze Einkauf auf den Holzboden fiel.

Die Frau, Amaya schätzte sie auf vierzig, löste sich augenblicklich aus ihrer Starre und bückte sich nach unten, um die Lebensmittel wieder einzusammeln.

Javiers Anspannung ließ etwas nach. Er atmete kurz auf, blickte kurz über die Schulter zu Amaya und ging dann auf seine Mutter zu, um ihr zu helfen.

Und noch während er zu ihr hinüber lief, traten schwarze Punkte vor ihre Augen, schwächten ihre Sicht und hüllten alles in Dunkelheit. Die unerträgliche Hitze wallte abermals in ihr auf, verlangsamte ihre Atmung, trocknete ihr die Kehle aus. Schweißperlen kullerten an ihr hinab.

Was war gerade nur passiert?! Was geschah jetzt, in diesem Moment?!

Doch noch bevor sie ihre Gedanken zu Ende führen konnte, schweifte ihr Bewusst sein vollends ab. Wie gelähmt rutschte sie die Wand hinunter. Das letzte was sie noch mitbekam, war wie sie zu Boden fiel, liegen blieb, und Javiers Mutter einen geschockten Laut von sich gab.
 


 

Raphael und Jewel flogen über die kahlen Berge Jan- Mayens. Durch die dicken Nebelschichten konnten sie nur die groben Umrisse der Gipfel und Täler sehen. Die Luft hier oben war sehr dünn und eisig noch dazu.

Doch das bereitete den Geschwistern keine Schwierigkeiten. Raphael genoss die friedliche Stille, die sich über die Insel legte und in einen tiefen Schlaf hüllte.

Der Alltagslärm der Menschen war ihm letztendlich ziemlich auf die Nerven gegangen.

Sie waren bereits die ganze Nacht über die Grönlandsee geflogen und hatten vor etwa einer Stunde das Festland erreicht. Die längliche Landmasse, die an der Küste hauptsächlich aus Felsen und Stein bestand, war kaum bewohnt.

Die letzte verbliebene Wohnsiedlung, namens Olonkinbyen, bestand früher aus sechzig Männern und Frauen. Heutzutage waren es nur noch um die zwanzig Einwohner. Dazu kamen noch Meteorologen, die, die Wetterstation besetzten.

Weiter Landeinwärts hatten die Nightfire´s ihren Wohnsitz, der vor etwa zweihundert Jahren erbaut und von Generation zu Generation weitervererbt wurde.

Schweigend flogen sie über den inzwischen beschneiten Beerenberg. Die letzte Aktivität des Vulkans lag mehrere Jahrzehnte zurück, galt aber dennoch als aktiv.

Als sie ihn hinter sich gelassen hatten, verschwand der Nebel und gab die Sicht auf weitere Berge frei, die mit Gestrüpp und Sträuchern bewachsen waren. Gleich dahinter ragte der Aussichtsturm des Anwesens empor und lockte Raphael ein Gefühl der Vorfreude hervor.

Auf den letzten hundert Metern beschleunigte er sein Tempo, glitt durch die offenen Rundbogen und landete mit Leichtigkeit im Turm. Endlich. Jewel kam wenige Augenblicke später an und blickte zornig zu ihrem fünf Jahre älteren Bruder auf:

„Ich hasse es! Du weißt ganz genau, dass ich es nicht leiden kann die ganze Nacht, ohne Pause wohlgemerkt, durchzufliegen! Besonders wenn der Regen einem um den Kopf peitscht!“.

Ja, sie war ein bisschen hysterisch. Raphael musste sich ein Lachen verkneifen und zog stattdessen seine Flügel ein. Ein fernes Donner grollen kündigte das heutige Unwetter an.

„Aber du musst zugeben, dass es nur von Vorteil war keine Pause einzulegen. Außerdem fordert es deine Kondition, die nach den neuesten Ständen...noch ausbaufähig ist.“.

Der Blitz, der hinter ihr aufleuchtete, gab den perfekten Kontrast zu ihrem wütendem Gesicht, das sie zog. Er lächelte sie an, was sie nur noch mehr provozierte. Jewel schnaubte und ging in Richtung Treppe, die nach unten in den Wohnteil des Hauses führte.

„Sagtest du nicht gerade, du müsstest mit Vater sprechen?! Ich denke nämlich, dass es höchste Zeit wird".

Sie sah über ihre Schulter und grinste ihn diabolisch an. Das Verhältnis zwischen ihnen war auf einer sehr sarkastischen Ebene aufgebaut, was für Geschwister vielleicht eher ungewöhnlich war, aber ihnen das Zeichen gab, dass zwischen ihnen alles okay war.

Raphael hatte den ganzen weg nach Hause darüber nachgedacht, wie Lucius wohl auf die Neuigkeiten und Samaels Entführung reagieren würde.

Sie hatten zwar schon viele waghalsige Dinge erlebt, was für sie praktisch zum Alltag zählte, doch von Engeln wurde bisher kleiner von ihnen mitgenommen. Was die vergangene Nacht betraf, so war es das erste Mal, dass ihnen so etwas passiert war. Sie waren jagen gewesen, bis diese Kraken ähnliche Kreatur aufgetaucht war und alles durcheinander gebracht hatte. Es stammte nicht aus ihrer Welt, nicht aus der Welt der Menschen, nicht aus Midgard.

Die Bezeichnung der Welt der Menschen stammte von den Geistern, die dazu verdammt waren, die nordischen Götter anzubeten, mit denen sie seit Anbeginn der Zeit einen uralten Pakt geschlossen hatten. Engel wie auch Dämonen kümmerten sich nicht um solche Dinge und glaubten an sich selbst, wussten zwar, dass es jene Götter gab, hatten jedoch keinen Bezug zu ihnen.

Alle drei waren hinter jeder Seite des Biestes her gewesen. Dann hatten sie die warnende warme Luft um sich herum gespürt, was ihnen das Signal gab, dass Engel sich in der Nähe befanden.

Raphael und Jewel mussten einen kleinen Umweg nehmen, damit sie keine allzu große Aufmerksamkeit aus sich zogen und wurden so von Samael getrennt. Danach war ihnen der große, blonde Engel, wie ein Verrückter hinterher gefolgt. Sie wollten ihn in einen Hinterhalt locken, doch er war noch rechtzeitig abgebogen und zurück gegangen, als er die Fährte verloren hatte. Anschließend waren sie ihm auf einiger Entfernung gefolgt und waren an einem kleineren See angekommen. Dort war Samael bewusstlos auf dem Waldboden gelegen und hatte sich nicht mehr gerührt.

Diese Frau, die sich über ihn gebeugt hatte, war ihm gleich aufgefallen. Wie hatte sie es geschafft seinen Bruder zu Fall zu bringen? Diese Frage war Raphael während der letzten Stunden mehrmals durch den Kopf gegangen.

Jewel war das Ausschlaggebende, das ihn aus seinen Grübeleien zurückholte, indem sie direkt vor die Augen trat und ihn anstarrte.

„Kommst du nun?“, fragte sie noch immer leicht gereizt.

„Natürlich“, antwortete er ihr und schritt die Treppe hinunter. Es dauerte eine Weile bis sie den Turm hinter sich gelassen hatten und gingen durch die darauffolgende Korridore.

Es gab einen Grund, warum sich die Familie auf einer so Gottverlassenen Insel niedergelassen hatten:

Sie waren allein. Allein und abgeschieden von dem Rest der Welt. Es war auch bei ihren Vorfahren so gewesen, dass sie sich zurück gezogen hatten.

Aber keinesfalls weil sie mit niemandem etwas zu tun haben wollten. Im Gegenteil:

Sie hatten einen großen Bekanntenkreis und der Name „Nightfire“, war so gut wie in jedem dämonischen Clan bekannt. Außerdem lebten viele namhaften Dämonen in einer Menschenleeren Gegend und lebten stets ihr eigenes Leben, mit eigenen Regeln, hielten aber trotzdem regelmäßigen Kontakt zu ihren Partnern.

'Und all das nur für einen Zweck...', dachte Raphael und marschierte weiter. Sie erreichten die Eingangshalle, die von zwei Rundbogenreihen gesäumt war und an jedem von ihnen der Kopf einer gewaltigen Schlange hing. Jörmungandr. Die Midgardschlange.

In der Mythologie ein riesiges Tier, das die Welt umspannt, in echt eine Kreatur, die seit Jahrtausenden schlief. Das Gegenstück der Dämonen. Ein Träger der jetzigen Welt. Stirbt sie, sterben die Nachkommen der Unterwelt. Das Ziel der Engel.

Bevor seine Gedanken zu weit abschweiften, schob Raphael sie beiseite und nickte stattdessen einigen bekannten Gesichtern zu, die gerade aus dem Konferenzraum seines Vaters traten.

Darunter befanden sich gute Freunde und die engsten Vertrauten der Familie, wie die Flynt´s und Arthan´s. Taro und Felia Flynt waren um ein paar Ecken mit den Nightfire´s verwandt und standen Lucius immer zur Seite. Ihre Gesichter hatten dieses Mal einen ernsten Ausdruck und verschafften Raphael eine gewisse Vorahnung...

Ein knappes Lächeln ihrerseits, bevor sie auch schon um die nächste Ecke verschwunden waren.

Die Geschwister warteten noch einen Moment, bis auch die letzten aus dem Raum gekommen waren und traten dann schließlich selber in den Raum ein. Der Saal bestand vollkommen aus Stein und hatte statt normale Wände, Bogenpfeiler, die eine freie Sicht auf die Berge gaben.

In der Mitte stand ein runder Tisch, in dem ebenfalls ein Abbild der Midgardschlange eingelassen war. Insgesamt war das Haus in einem etwas älteren Stil gehalten und eingerichtet.

Die Holzverkleidungen an den Wänden im Flur waren mit detaillierten Handschnitzereien angefertigt worden und ließen einen wissen, dass sie aus einer anderen Zeit stammten. Dennoch gab es auch ein neueres Gebäude, das an das alte Gebäude angrenzte und durch eine Brücke verbunden war. Dort befand sich das Lager für alle Waffen, Trainingsräume und einen unterirdischer Tunnel der auf die Nachbarinsel führte.

Lucius stand an einem der Bogen und starrte in den strömenden Regen.
 

„Ihr seid wieder da.“, sagte er, mit dem Rücken zu ihnen gewandt.

„Ja, aber...“, begann Jewel, wurde jedoch von ihrem Vater unterbrochen:

„Ohne Samael. Was ist passiert?“, fragte er und drehte sich erst jetzt zu ihnen um.

„Es ist etwas unerwartetes geschehen.“, ergriff Raphael das Wort und schilderte seinem Vater die Ereignisse der letzten Nacht. Als er mit erzählen fertig war, starrte Lucius in einen Augenblick erschrocken an und drehte sich dann zu einem Mann um, der den beiden Geschwistern völlig fremd war und erst jetzt aus der hintersten Ecke trat. Er war recht groß gewachsen und hatte Schulterlanges, schwarzes Haar. Zwischen ihnen begann ein stummes Wortspiel. Dann sahen beide zu Raphael hinüber.

„Jewel, würdest du mir den gefallen machen und uns einen Moment alleine lassen?“, bat Lucius sie.

Jewel hob an, um zu rebellieren, wieder einmal. Besann sich jedoch eines Besseren, als sie den Blick ihres Vaters sah. Empört stapfte sie davon und knallte die Tür hinter sich zu.

Das Verhältnis zwischen Lucius und seinen Kindern war vertraut und zugleich auch sehr diszipliniert. Er weihte sie in alle Angelegenheiten ein und gab ihnen Aufgaben zur Beschattung der Engel in ganz Großbritannien. Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte er sie das Fliegen und Kämpfen gelehrt.

Ihre Mutter, Penelope, war bei Jewel´s Geburt gestorben und Lucius redete nie über sie, aber Raphael glaubte nicht, dass es daran lag, das er trotz allem Distanz zu seinen Kindern hielt. Und als er jetzt seinen Vater ansah, wusste er auch, dass er recht damit hatte.

„Du wirst deinen Bruder zurückholen. Aber bevor du das tust, gibt es noch eine Sache, von der du noch nichts weißt, mein lieber Sohn.“.

Kapitel 12

Aurelia lag auf der ledernen Couch und starrte aus dem Fenster. Inzwischen erstreckten sich die ersten Sonnenstrahlen über den Bergen und hüllten den neuen Tag in ein hell scheinendes Licht.

Sie hatte gehofft noch für ein paar Stunden etwas Schlaf zu bekommen. Stattdessen lag sie wach und konnte keinen ruhigen Gedanken fassen.

Das wütende Brüllen ihres Vaters und die Schläge ihres Bruders hatten sie den Rest der Nacht wach gehalten. Alles was Aurelia unternommen hatte endlich zur Ruhe zu kommen, hatte letztendlich nichts gebracht. Die Schreie und Hiebe waren nicht zu überhören gewesen.

Seit etwa einer halben Stunde hatten sie allmählich nachgelassen und waren schließlich ganz verstummt. Wie alle Engel konnte auch Aurelia Dämonen nicht ausstehen und brachte jeden um, der ihr in die Quere kam, aber dennoch spürte sie, dass sie sich an die Art der Befragung ihres Vaters noch gewöhnen musste.

Was ihr jedoch mehr zu Schaffen machte, war das Schweigen des Dämons.

So wie es sich angehört hatte, als sie ihn gefoltert hatten, hätte er vor Schmerzen Schreien müssen, aber er hatte nicht ein einziges Mal ein Laut von sich gegeben. Jedenfalls keines, das sie gehört haben könnte.

Aurelia rüttelte sich schaudernd aus ihren Gedanken und richtete sich mit einem Seufzen auf, da sie ja wohl doch nicht mehr einschlafen würde.

Vor Müdigkeit wurde ihr ganz Schummrig vor Augen. Sie brauchte dringend einen starken Kaffee. Erschöpft lief Aurelia zur Tür und trat in den Flur hinaus. Der noch dunkle Gang lag so vor ihr, dass sie unwillkürlich an ihren Traum, den sie wenige Stunden zuvor gehabt hatte, erinnert wurde.

Ein frösteln überkam sie. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus. Es war so kalt. Sie zwang sich weiter zu gehen und schob die Erinnerungen so gut es ging beiseite.

Am Ende des Flurs erkannte sie das leuchtende Licht des Kaffeeautomaten, steuerte darauf zu und bestätigte den Knopf, auf dem „Kaffee“ drauf stand. Während die schwarze Brühe in den automatisch hervorgeholten Plastikbecher gegossen wurde, lehnte Aurelia den Kopf an die Wand und starrte Gedankenverloren auf den Boden.

Ihre Augen schienen immer schwerer zu werden und klappten zu. Solange die Maschine vor sich hin brodelte, mischte sich noch ein anderer Unterton durch die Stille in der frühen Morgenstunde.

Zuerst dachte Aurelia sie hätte sich das Qualen erfüllte Stöhnen nur eingebildet, doch als der Automat den Ton als Zeichen, dass der Kaffee fertig war, von sich gab, konnte sie es deutlich hören.

Sofort schlug sie die Augen auf und drehte sich in die Richtung aus der, der Ton kam, um.

Sie erkannte die Tür, die in Daves Büro führte. Dort hielten sie den Dämon, der sie angegriffen hatte, gefangen. Er litt, das konnte sie eindeutig hören. Einerseits wollte Aurelia in diesem Moment nicht wissen, ob Dave und Elijah die ganze Reihe der Folterinstrumente, die auf dem Tisch lagen, benutzt haben, um den Dämon zum Reden zu bringen. Andererseits war sie neugierig genug, um zur Tür zu gehen und sie zu öffnen.

Anschließend hielt sie ein Moment inne. Nichts. Dann wieder ein schmerzerfüllter Laut, der ihr keine Ruhe ließ. Statt auf ihre innere Stimme zu hören, die ihr deutlich sagte, dass sie umkehren und gehe sollte, ließ sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen und schlich sich auf den noch immer geöffneten Durchgang in der Wand zu.

Plötzlich wurde es wieder ganz Still. Ihr Herz begann so stark zu schlagen an, dass sie sich sicher war, das man es meterweit hören konnte. Aurelia kam immer näher und als sie schließlich die offene Wand passierte, war sie sich nicht mehr sicher, ob sie das überhaupt noch wollte.

'Du bist schon so nah dran! Also zieh es auch gefälligst durch!', dachte sie und trat die letzten paar Meter durch den Gang. Glücklicherweise hatten ihre Stiefel keine Absätze, sondern eine glatte Sohle, die extra für schnelle Wendungen im Kampf gedacht waren.

An der Ecke blieb sie stehen. Lauschte.

Ein leises röcheln, wütendes knirschen der Zähne, der Atem eines Dämons. Ihre Hände fingen an zu zittern, stützten sich einen Augenblick an der Wand ab. Ihr Körper bebte vor Anspannung.

Draußen war ein vorbeifahrender Krankenwagen zu hören, doch mit seinen Sirenen schien er kaum zu Aurelia durchdringen zu können.

Auf einmal durchbrach ein wutentbrannter Schrei die Stille, gefolgt von einem heftigen Stoß. Sie hörte Steinbrocken auf den Boden fallen, Staub rieselte hinab und vermischte sich mit dem Blut, das durch die Rillen des der Fliesen floss. Einer der Brocken rollte ihr bis vor die Füße. Herausgerissen.

Aus der Wand. Sie zuckte zusammen. Dann sah sie wieder hoch und ein einziger Gedanke stellte sich vor allen anderen in den Vordergrund: Jetzt oder nie.

Mit neu gefasstem Mut straffte sie ihre Schultern und wirbelte mit ganzer Kraft um die Ecke.

Aurelia hatte kaum den Fuß wieder auf den Boden gesetzt, als eine kräftige Hand sie am Hals packte und sie gewaltig gegen die Wand drückte. Ihr Kopf stieß hart auf, sodass noch mehr Putz von der Wand prasselte. Ein krampfhafter Schmerz durchfuhr ihren Körper, ihre Sicht verschwamm.

Sie versuchte mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte bei Bewusstsein zu bleiben, was ihr allerdings nur einige Sekunden gelang. Zwischen schwarzen Löchern und weißen Flächen erblickte sie ein Gesicht, konnte es aber niemandem zuordnen. Dazu war sie zu schwach.

Erst als hell brennende Augen die Dunkelheit zum glühen brachten, wusste sie, dass es seine waren. Doch dann war es schon zu spät.
 

Schon nach kurzer Zeit betrat Nathaniel die große Eingangshalle der Garnison.

Elijah hatte ihn schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, doch sein Äußeres hatte sich kaum verändert: Dunkelbraunes, Schulterlanges Haar und einen Dreitagesbart, gute Statur und kräftige Oberarme. Man hätte meinen können er wäre Anfang dreißig, doch seine blasse Haut verbarg sein wirkliches Alter. Mit seinem stolzen Gang kam er auf Dave und Elijah zu:

„Ich grüße euch! Wie geht es dir, mein alter Freund?“, fragte Nathaniel mit einem Anflug eines Lächelns.

Sie umarmten sich, wie es gute Freunde eben machten und klopften dem jeweils anderen auf die Schulter.

Als beide wieder ein Schritt voneinander gewichen waren und auch Nathaniel und Elijah sich begrüßt hatten, breiteten sich leichte Sorgenfalten auf der Stirn des Erzengels aus.

„Danke, uns geht es gut“, antwortete Dave.

„Schade, dass wir uns unter solchen Umständen wieder sehen. Es wäre sicher angenehmer gewesen sich bei einer Tasse Kaffee zu treffen, aber ich gehe dahin wo ich gebraucht werde, egal zu welchen Gegebenheiten.“, beteuerte Nathaniel.

Er hatte eine gewisse formelle Art an sich, die ihn wiederum auf eine noch höhere Position als ohnehin schon brachte. Trotzdem behielt er seine Wärme und Vertraulichkeit gegenüber seinen Freunden und Verbündeten.

„Es werden sich sicher wieder Gelegenheiten finden, in denen man sich austauschen kann.“, meinte Dave:

„Doch vergangene Nacht ist etwas passiert.“ Er erzählte Nathaniel die Geschehnisse der vergangenen Nacht, während sie sich auf den Weg zu seinem Büro machten.

Die Garnison war groß, wenn man statt der Höhe die Fläche mit ein berechnete. Sie bestand aus fünf riesigen Gebäuden und einer Außenanlage. In dem ersten Gebäude befand sich natürlich die Eingangshalle und die Verwaltung mit ihren Büros. Von dort aus konnte man drei verschiedene Richtungen einschlagen.

Durch einen langen, lichtdurchfluteten Gang gelang man in das zweite und dritte Gebäude die zwei unterschiedliche Trainingsräume – und Lager mit einbezogen.

Durch den mittleren Gang kam man in Ruhe – und Aufenthaltsräume, die von allem anderen am meisten abseits lagen, sodass dort niemand gestört wurde. Durch den dritten und letzten Gang gelang man in den größten Trainingsraum, der gleich an dem Waffenlager angrenzte.

Nebenbei gab es noch eine Außenanlage, auf der eine etwas kleinere Arena gebaut wurde.

Dort fanden hin und wieder Kampfspiele statt, bei denen die Engel ihre Kampfleistungen und Stärken aneinander messen konnten. Auch wenn es in der Garnison meistens nur um Krieg und Dämonen ging, herrschte zwischen den Engelskriegern eine lockere und freundschaftliche Atmosphäre. Sowohl Männer als auch Frauen starteten dort ihre Ausbildung und bekamen danach eine Anstellung, wenn sie in der Umgebung bleiben wollten.

Dave, Elijah und Nathaniel gingen die weiße Marmortreppe hinauf, die sich nach dem ersten Abschnitt zu zwei Seiten erstreckte. Sie schlugen die rechte Richtung ein und verließen den Eingangsbereich. Danach folgte ein länglicher Korridor, dessen Decke aus Fenstern bestand und Sonnenstrahlen hindurch scheinen ließ.

Immer wenn Elijah den Erzengel sah, musste er auch an dessen Bruder, Lysander, denken. Vor langer Zeit waren beide dazu bestimmt gewesen ein Erzengel zu werden.

Da aber nur einer den hohen Posten erlangen konnte, musste sich der Rat für einen von ihnen entscheiden. Die Wahl traf folglich auf Nathaniel. Man konnte zwar nie behaupten, dass sich die Brüder nahe standen, aber diese Entscheidung brachte noch mehr böses Blut zwischen sie.

Anfangs tat Lysander fast alles um Nathaniel zu stürzen. Doch mit der Zeit hatte er gemerkt, dass, das nichts brachte. Und so hatte er sich für den Posten als Botschafter entschieden. Er erledigte alle wichtigen Vorbereitungen, wenn es um größere Schlachten zwischen Engel und Dämonen ging.

Außerdem reiste er in andere Länder, um die dortigen Engel zu besuchen. Er beriet sich mit ihnen und tüftelte mit ihnen Vorgehensweisen zur Bekämpfung der Dämonen aus. Insgeheim wusste fast jeder, dass er immer noch sauer auf die Entscheidung war. Wenn man einmal nah dran gewesen war, den höchsten Posten der Engel zu erlangen, war es verständlich, wenn man etwas enttäuscht war.

Doch Elijah war sich aus irgendeinem Grund sicher, dass Lysander mehr als enttäuscht war.

Nach ein paar Richtungswechseln gelangen sie schließlich in den Flur, in dem Daves Büro lag und es schon verräterisch nach Kaffee roch. War Aurelia etwa schon aufgestanden?, fragte sich Elijah.

Nachdem er sie in der Nacht hatte gehen lassen, um sich im Raum nebenan hinzulegen, war er davon ausgegangen, dass sie mindestens den ganzen Vormittag schlafen würde.

Inzwischen war Dave mit dem Erzählen an dem Punkt angelangt, als der Dämon vor Schmerzen das Bewusstsein verloren hatte:

„...ist er zusammengebrochen und hatte keine Regung mehr von sich gegeben. Wir hatten die Folterinstrumente noch gereinigt und hatten dich anschließend hergerufen.“, beendete er seine Worte.

„Merkwürdig. Das ist in der Tat sehr seltsam. Ich werde ihn mir gleich mal ansehen.“, meinte Nathaniel.

„Ich weiß nicht ob es stimmt, aber als meine hellseherische Fähigkeit von neuem kam, konnte ich bei ihm nichts spüren. Ich konnte zwar herausfinden welchem Dämonenclan er angehört aber mir hat irgendetwas gefehlt. Mir kommt es vor wie eine große Lücke, die ich nicht füllen konnte.“, meinte Dave;

„Es kann aber auch gut sein, dass die Gabe sich wieder entfernt hatte. Was sehr wahrscheinlich ist.“ Nathaniel nickte.

Gemeinsam gingen sie in das Büro und anschließend durch die geöffnete Wand. Kaum traten sie um die Ecke, blieben die drei auch schon wie angewurzelt stehen.

Er war weg. Der Dämon war verschwunden. Spurlos. Elijah konnte die Anspannung seines Vaters spüren und auch Nathaniel kam aus der Ruhe:

„Wo ist er?“, fragte der Erzengel.

„ Ich werde sofort meine Leute alarmieren!“, sprach Dave in gehetztem Ton und machte sich schon auf den Weg ins Büro um den Alarmschalter umzulegen, der alle zu ihm rufen sollte. Elijah sah die kaputten Handschellen an: Sie waren mit Gewalt herausgerissen worden und auch die Wand war völlig eingefallen.

Dunkles, fast schwarzes Blut klebte ebenfalls daran. Elijah ließ sein Blick weiter gleiten und stieß auf einen weißen Fleck. Eine unruhige Vorahnung durchflutete sein Innerstes. Er ging näher an die Wand heran und fasste die weiße Flüssigkeit an. Engelsblut! Blitzartig schoss ihm das Bild seiner Schwester durch den Kopf.

Vor Besorgnis fing sein Herz an zu rasen an und noch ehe er wusste was er tat, stürmte er aus dem Büro und rannte den Gang entlang. Schlitternd kam er vor dem Zimmer stehen, in das sich Aurelia hineingelegt hatte. Er riss die Tür auf.

Es war leer.

„Aurelia?!“, schrie er, doch er bekam keine Antwort.

„Elijah, was ist los?“, hörte er Nathaniel am Ende des Flurs rufen. Er eilte zum Erzengel zurück: „Sie ist weg. Er hat Aurelia mitgenommen!“. Mittlerweile kamen auch schon die anderen Engelskrieger und Kriegerinnen angerannt. Für einen kurzen Augenblick war es still, doch das reichte Elijah um die zuschlagende Tür im nebenan liegenden Flur zu hören. „Hier entlang!“.
 

Aurelia kam es vor, als wäre sie eine Ewigkeit nicht bei Bewusstsein gewesen, doch als sie nicht gerade sanft hochgehoben wurde und einen Moment später Kopf über lag, merkte sie, dass es sich höchstens nur um Minuten gehandelt haben konnte. Langsam versuchte sie ihre Augen zu öffnen, was ein Fehler war.

Ihr wurde darauf so übel, dass sie die saure Flüssigkeit in ihrer Kehle wieder hinunterschlucken musste. Also schloss sie ihre Lider wieder, wohl wissend das sie nicht wusste, wohin sie gerade gebracht wurde. Ihr fehlte noch jegliche Kraft sich zu wehren, geschweige denn sich zu befreien.

Erneut drohte der tiefe Abgrund sie zu verschlingen. Das letzte was sie davon abhielt war ein harter Schlag an den Kopf. Warum musste sie jemand schlagen, wenn sie ohnehin schon zu schwach war, um sich zu verteidigen? Oder war es gar nicht irgendjemand gewesen? Es hätte auch eine Wand oder ähnliches sein können...

Aurelia öffnete nochmals die Augen.

Glücklicherweise wurde ihr dieses Mal nicht schlecht. Ihr Blick war starr auf den mit Fliesen bedeckten Boden gerichtet. Sie befand sich also noch in der Garnison.

Einem Ort, an dem sie den größten Teil ihrer Zeit verbrachte. Neue Hoffnung keimte in ihr auf. Sie hob ihren Kopf etwas an, konnte aber durch die verschwommene Sicht nichts erkennen. Unerwartet ging es um die Ecke, als dann kurz darauf eine Tür geöffnet wurde, durch die sie getragen wurde. Sie meinte die Stimme ihres Bruders zu hören, war sich aber nicht sicher.

Doch als sie ihn ihren Namen rufen hörte, wusste sie, dass er nach ihr suchte.

Ihr Puls beschleunigte sich. Aurelia nahm ihre ganze restliche Kraft zusammen, um ihm zu antworten. Wollte ihm ein Signal geben, damit er wusste wo sie sich befand.

Doch ehe sie einen Ton heraus brachte, schlug die Tür fest ins Schloss. Eine Tür aus dickem Metall. Keiner würde sie hören. Instinktiv wusste sie, dass sie sich nun im Treppenhaus, das direkt aufs Dach der Garnison führte, befanden. Undurchdringbare Finsternis beherrschte den Raum.

Auf einmal war sie wieder hellwach, ihr Körper spannte sich sofort an. Knarrendes Holz durchbrach die Stille. Mit aller Kraft versuchte sie sich hoch zu hieven, wurde aber durch starke Arme wieder nach unten gedrückt. Aurelia wollte protestieren, doch sie bekam kein einziges Wort heraus.

Ihre Kehle war wie zugeschnürt.

Sie versuchte ihre Atmung wieder zu regulieren, um einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen.

Als eine zweite Tür geöffnet wurde, ließ das Knarren der Stufen nach und einzelne Sonnenstrahlen schienen den dunklen Treppenabsatz hinab.

Aurelia wagte einen Blick über ihre Schulter und erkannte die Statur, die schwarzen Haare und seine Augen, als er seinen Kopf ebenfalls kurz zur Seite wandte.

Er sah sie an, ließ sich aber nichts anmerken.

Noch bevor sie realisieren konnte, was mit ihr geschah, nahm er sie an den Hüften, um sie auf dem Boden abzusetzen. Doch dazu würde er nie kommen. Während er noch damit beschäftigt war sie über die Schulter zu heben, krallte sie sich an seinen Oberarmen fest, drückte sich mit den Füßen an seinen Hüften ab, machte einen Rückwärtsalto und stieß ihn damit mit voller Wucht nach hinten.

Aurelia kam mit beiden Füßen auf dem Boden auf und schlitterte noch ein paar Meter weiter nach hinten. Anschließend breitete sie ihre Flügel aus und rannte direkt auf dem, am Grunde liegenden Dämon zu. Sie würde keinen Versuch auslassen ihn umzubringen.

Sie ließ ihre Flügel die spitzen Klingen hinausfahren, die einen an Eiszapfen erinnerten, nur mit dem kleinen Unterschied, dass sie aus Metall waren. Darüber hinaus waren sie auf beiden Seiten so scharf, dass man sich glatt den Finger abschnitt sobald man Hand an sie legte.

Aurelia federte sich vom Boden ab, streckte die Klingen noch weiter aus und zielte auf ihren Gegner zu. Doch ehe sie sich versah, kam er ihr schon entgegen, breitete seine tief dunkelroten, fast schon schwarze Schwingen aus und schleuderte Aurelia mit ihnen zur Seite.

Trotz ihres fehlgeschlagenen Angriffs wusste sie, dass sie mit ihren Klingen ihn an den Flügeln getroffen hatte. Kaum hatte sie sich über diese kleine Wunde gefreut, traf sie auch schon hart auf dem Betonboden auf. Aurelia wollte sich gerade wieder aufrichten, als er sich über sie beugte, sie am Hals packte und nach unten drückte.

Alle Versuche sich aus seinem Griff zu befreien scheiterten und wurden nebenbei von ihm geschickt abgewehrt. Er fing an ihr langsam die Luft aus der Kehle zu pressen. Schließlich blieb sie liegen und sah ihn hasserfüllt an. Einen Moment lang regte sich keiner von ihnen und der Druck seines Griffes ließ nach.

Plötzlich ertönte ein lautes Krachen.

Wie auf Knopfdruck schauten beide in die Richtung aus der, der Lärm gekommen war. Die Tür, durch die sie vor wenigen Augenblicken gekommen waren, wurde aufgestoßen und fiel auf den Boden.

Kurz darauf erschien Elijah und die Wachen ihres Vaters.

Als ihr Bruder sie erblickte, zuckten die Krieger und Kriegerinnen bereits ihre Waffen und kamen auf sie zu. Der Dämon reagierte sofort, nahm Aurelia am Arm und zog sie auf die Beine. Danach legte er einen der giftigen Stacheln seiner Flügel an ihren Hals.

„Kein Schritt weiter!“, brüllte er.

Seine Stimme klang etwas rau, aber dennoch gefährlich und nicht zu unterschätzen. Als Elijah und die Wachen stehen blieben, um nichts zu tun, was ihr schaden könnte, setzte der Dämon sich in Bewegung, lief rückwärts und nahm sie mit sich. Aurelia machte keinerlei Anstalten sich zur Wehr zu setzen.

Es würde jetzt nur wenig helfen einen Giftstachel in die Kehle gerammt zu bekommen. Stattdessen fing sie den Blick ihres Bruders auf, welcher sie zum einen Teil aus besorgten Augen ansah, zum anderen Teil aber auch wusste, dass sie keine hilflose Frau war, die sich nicht zu Helfen wusste.

Aurelia nickte ihm noch einmal zu, als sie darauf mit dem Dämon vom Dach stürzte und in die meterweite Tiefe der Stadt sprang.

Kapitel 13

Eigentlich ist es einer der schönsten Momente, wenn man aufwacht und die Sonne einem warm ins Gesicht scheint. Doch als Amaya die Augen öffnete wünschte sie sich sofort sie besser zugelassen zu haben und wenigstens für einen Moment so zu tun, als wäre dies nur ein schlechter Traum.

Aber dafür war es bereits zu spät. Außerdem träumten Geister nicht. Nie.

Die Strahlen des neu angebrochenen Tages schienen durch die Rillen der Fensterläden, gaben der Wand ein gestreiftes Muster von weiß und schwarz.

Eine warme Decke war behutsam um ihre Schultern gelegt, streifte sie am Kinn. Der Duft von Lavendel drang ihr in die Nase und sie musste Niesen. Jetzt war Amaya endgültig wach und setzte sich abrupt auf. Hektisch ließ sie ihren Blick durch das fremde Zimmer schweifen.

'Shit!', war alles was sie in diesem Augenblick denken konnte. Was war passiert? Sie lag auf einem breiten Bett, dessen Raum spärlich eingerichtet war.

Zu Amayas linken befand sich ein Kleiderschrank, daneben ein Regal mit diversen Videospielen. Auf der rechten Seite war das Fenster, in der Ecke stand ein Schreibtisch mit einem Laptop.

Das war schon alles. Keine Bilder oder sonstige Sachen, die vielleicht etwas über die Person aussagen würden, die normalerweise hier schlief. Über Javier. Sie wusste, dass sie sich noch in seiner Wohnung befand, in seinem Zimmer. Sein Geruch, seine ganze Aura steckte hier drinnen.

Amaya konnte es sehen, spüren.

Trotzdem kamen ihr die Erinnerungen von gestern Abend nur stockend. In Gedanken ging sie alle Dinge durch, an die sie sich noch erinnern konnte: Sie war bei ihm auf dem Sofa im Wohnzimmer aufgewacht, verschwitzt und etwas aus der Fassung wegen dem Traum.

Er hatte sich um sie gekümmert, hatten miteinander gesprochen, danach wollte sie gehen. Aber an der Stelle, was dann geschehen war und wie sie ins Bett gekommen war, blieb ein dunkler Fleck.

Verwirrt und auch ein bisschen genervt stand sie einen Moment später auf den Beinen, zog ihre braunen Stiefelletten, die sorgfältig vor dem Bett aufgestellt worden waren, an und bewegte sich in Richtung Tür.

Keinerlei Anzeichen von Schwindelgefühlen oder Kopfschmerzen, als wären sie nie da gewesen.
 

Amaya wollte so schnell es ging die Wohnung verlassen und am liebsten für immer verschwinden. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte ein ungutes Gefühl, wenn sie noch weiter blieb. Innerlich plagten sie Schuldgefühle gegenüber ihrem Volk. Die Geister hatten sich unwiderruflich dem Schutz der Menschen verschrieben. Jeder von ihnen erhielt mit der Volljährigkeit einen Schützling und begleitete ihn das ganze Leben.

Wobei die Menschheit davon niemals etwas erfuhr und das auch so bleiben sollte. Wenn Mirac jemals davon erfahren würde, dass sie sich, zwar in Menschengestalt, aber trotzdem überhaupt ihrem Schützling gezeigt hatte, würde er höchst wahrscheinlich nicht erfreut darüber sein und ihr irgendeine Strafe geben. Amaya mochte ihren Onkel sehr, aber wenn es um Regeln und Pflichten ging war er knallhart, ohne die Gründe anderer zu beachten. 'Ich werde es ihm sagen müssen...besser ich verschwinde jetzt von hier', sagte sie sich.

Genau in diesem Moment kam sie an der Tür an und sah eine dunkelblaue Strickjacke, die ihr irgendwoher bekannt vorkam...Plötzlich kamen ihr Bilder vors innere Auge, die sich wie passende Puzzle teile an die anderen anpassten. Der durch ihn versperrte Weg nach draußen, seine Hand auf der ihren, seine Nähe, die Wärme...der Kuss.

Erschrocken stützte sich Amaya an dem Schreibtisch ab, zwang sich Ruhe zu bewahren.

'Wie hatte das nur passieren können?', ging es ihr durch den Kopf.

So was wollte sie doch nicht, hatte es nie beabsichtigt.

'Ich war im Fieberwahn, nicht richtig bei Bewusstsein, war nicht ich selbst', redete sie sich ein. Und das stimmte auch, stellte Amaya erleichtert fest. Doch ihr Herz setzte einen heftigen Schlag aus, als ihr auch die restlichen Erinnerungen kamen: Sie hatten sich geküsst, als plötzlich seine Mutter verdutzt in der Tür stand.

Es war alles so schnell gegangen. Sie hatte nicht gewusst was sie hatte denken oder sagen sollen und war einfach teilnahmslos stehen geblieben. Dann war sie ihn Ohnmacht gefallen und vor wenigen Minuten aufgewacht. Hatte er sie etwa ins Bett getragen?

Umso länger sie sich die Frage stellte, desto schneller wollte sie von hier weg. Im verzweifelten Versuch nicht mehr über den Vorfall nachzudenken, schloss sie die Augen, ging tief in sich hinein und griff nach der hell leuchtenden Kugel ihres Inneren und zog sie immer mehr auseinander.

Eine Sekunde später öffnete sie wieder ihre Augen. Im ersten Moment sah Amaya alles in einem grau- Ton, der immer schneller verblasste und dann einzelne bunte Linien vor ihr kreuzten. Langsam erhob sie sich und trat durch die Wand. Ihr ganzer Körper fühlte sich nun ziemlich zäh an.

Unwillkürlich musste sie an das Gerücht denken, dass man als Geist seine Fähigkeiten verlor, wenn man sich zu lange in menschlicher Gestalt befand. Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

Das Beeindruckende durch die Wand zu schweben, war, dass sie innen drin den Platz immer weiter ausbreiten und sogar einen Gang erschaffen konnte, ohne das es von außen auffiel.

So war man in der Lage einen neuen Raum in einem Raum zu konstruieren, sodass es dann wie eine kleine Wohnung wirken konnte.

Doch Amaya ließ die Wand in ihrer Ursprungsform und verschob den Spaß auf einen späteren Zeitpunkt. Schließlich kam sie im Wohnzimmer raus. Auch hier schien die Morgensonne kräftig herein und gab die Sicht auf Gegenstände frei, die sie gestern Abend gar nicht gesehen hatte. Ihr fiel auf, dass sie den zweiten Teil des Wohnbereiches ebenfalls nicht erkannt hatte. In der Mitte stand ein runder Tisch mit jeweils zwei Stühlen, die vor einem Kamin standen. Was Amaya jedoch sofort ins Auge stach, war diese ein Dutzend Antiquitäten Gegenstände, die sich auf einer einzelnen Kommode stapelten. Sie hätte näher ran gehen müssen, um alle individuellen Stücke zu inspizieren.

Aber dazu fehlte ihr die Zeit. Sie musste Javier finden und für seine Sicherheit sorgen, ihrer Bestimmung folgen. Dennoch heftete sie ihren Blick noch einen Moment länger darauf, wurde aber plötzlich aus ihrer Starre gerissen, als die Haustür laut zugeknallt wurde. Das dumpfe Geräusch von verhallenden Schritten drang an ihre Ohren. Amaya schreckte auf und erblickte Javiers Mutter. Sie saß am Küchentisch, trank ihren Kaffee und hatte währenddessen ihre Konzentration auf ein Stapel alter Zeitungen geheftet. Auf einmal stützte sie verzweifelt ihren Kopf in die Hände und seufzte:

„Oh, Javier was soll ich nur....“. Aber Amaya hörte ihren Satz nicht mehr zu Ende sagen, weil sie schon auf halbem Weg durch die Tür ins Treppenhaus war und die Wohnung verließ.

Sie beeilte sich, damit sie ihm folgen konnte, aber als sie die Eingangstür passierte und im Vorgarten stand, konnte sie Javier nirgends entdecken.

Die Sonne breitete ihre Strahlen am Himmel aus. Amaya gönnte sich für eine Sekunde das warme Licht. Sie wusste es nur allzu gut zu schätzen, da sie so etwas sehr selten zu Gesicht bekam.

Vor ihr lag eine schmale Straße, die an einem weiter unten gelegenem Fluss grenzte. Sie atmete tief ein, sandte ihre Kraft aus, um Javiers Aura zu finden.

Vor ihrem inneren Auge entstand ein graues, verzogenes Sichtfeld, das sich ihrem Standort anpasste. Sie schwenkte es nach oben, hatte so die Sicht eines Vogels und überflog die Stadt.

Tausende von grauen Schemen säumten die Hauptstraße, bewegten sich in Zeitlupe und zeichneten den Alltag, in den sie sich integrieren mussten. Menschen. Nicht weit entfernt waren einzelne kleine Nebelschwaden zu sehen, von denen jeder einem bestimmten Menschen folgte, ihn nicht alleine ließ, sich aber dennoch im Hintergrund hielt. Geister.

Amaya ließ ihren Blick weiter gleiten und setzte ihre Instinkte in eine gezielte Richtung, um Javier leichter zu finden. Ihre Erinnerungen an ihn, sein Aussehen, sein Geruch flossen in ihre Kraft hinein, führten sie durch etliche Straßen und Gassen und blieben vor einem großen Gebäude stehen.

Dort war er. Sie konnte es deutlich spüren. Seine Präsenz machte sich bemerkbar und ließ sie aus irgendeinem Grund nicht mehr warten.

Kaum war Amaya wieder zur normal Sicht gewechselt, setzte sie sich auch schon in Bewegung und folgte dem leitenden Faden. Sie wusste genau wo er sich befand, obwohl die Stadt ihr immer noch etwas fremd war. Reflexartig setzte sie ihre Fähigkeit ein und raste wie ein Lichtblitz durch die Straßen.

Die Backsteinhäuser am Rand, verwandelten sich in rote Streifen, sausten an ihr vorbei und blieben hinter ihr stehen. So wie jedes mal, wenn sie ihre Kräfte einsetzte, verschwammen Häuser, Bäume und Menschen zu langgezogenen Schemen. Das einzige was vor ihren Augen aufleuchtete war ein beigefarbener Faden, der ihr den Weg zeigte.

Inzwischen hatte sie die Hälfte der Strecke zurück gelegt, als sie auf einmal ein ungutes Gefühl überkam. Sie hielt inne, riss sich aus ihrem Wahn.

Erschrocken sah Amaya sich um und beobachtete die Umgebung. Hier schien alles in Ordnung zu sein. Doch sie wurde sich der Kraft bewusst, die sie zu dem Ort führte, an dem sich Javier aufhielt. Unruhe kratzte an ihrem sonst so ruhigem Gemüt und ließ ihr Herz schneller klopfen denn je.

Ihre Hände fingen an zu zittern und wurden feucht. Und als würde jemand auf sie einschlagen, wich sie einige Schritte zurück. Ein heftiger Stoß von Innen ließ sie zusammenzucken. Sie wusste: Javier war in Gefahr.

Innerhalb einer Sekunde war sie um die nächste Ecke gerannt und folgte jetzt ihrem Instinkt, statt dem leitenden Faden. Er hätte zu viel ihrer Konzentration benötigt, als das sie hätte aufbringen können.

Amaya steuerte direkt auf das große Gebäude zu, das sie vorhin vor Augen gehabt hatte. Als sie sich ihm näherte, erkannte sie, dass es sich um eine Schule handelte.

Sie wollte gerade ihre Sinne zu ihm ausstrecken, um zu erfahren wo genau er sich aufhielt, doch das Aufblitzen einzelner Visionen machte ihr einen Strich durch die Rechnung:

Er stand auf dem Hof, in der hintersten Ecke und lehnte sich an die Gebäudemauer. Die Szene verschwamm und eine neue machte sich auf: Forschende Augen, die sich ihr Opfer suchten. Dann schwere Schritte, welche immer schneller wurden und kaum noch den Boden berührten.

Auch dieses Bild verblasste und eröffnete abermals ein anderes: Javier stand noch immer in der hinteren Ecke und beobachtete die Menge von Schülern. Er hielt sich fern. Von allen. Doch dann ließ ihn ein kräftiger Stoß zur Seite taumeln. Ihm wurde schwarz vor Augen...

Amaya erwachte aus ihrer Starre und merkte das sie automatisch noch schneller geworden war. Mit pochendem Herzen überquerte sie die letzte Straße und stand einen Augenblick später auf dem Schulgelände. Sie ließ ihren Blick schweifen, konnte aber durch lauter Aufregung nichts richtiges erkennen.

Sie konnte ihn nicht finden, nicht mehr spüren. Panik machte sich in ihr breit, Angst versagt zu haben beeinflusste ihre Sinne.

'Oh, Götter, lasst das nicht wahr sein!', betete sie.

Ihr Atem stockte, hinderte sie daran Luft zu holen. Amaya versuchte nochmals ihre Sinne nach ihm auszustrecken, war aber zu aufgewühlt. Sie fasste sich an den Kopf, 'Bitte nicht'...

Und als hätten die Götter sie erhört, bildete sich der Faden vor ihr erneut und zog sie um das Gebäude herum.

Mit Blitzgeschwindigkeit rannte sie um die Ecke und setzte, noch bevor sie überlegen konnte, zum Kampf an.

Ihr Gegner stand mit dem Rücken zu ihr und bemerkte sie erst als sie ihm mit einem heftigen Tritt in den Rücken trat. Er knurrte, mehr vor Schreck als vor Schmerz. Amaya hatte kaum Zeit zum Luft holen, als er sich zu ihr umdrehte und ihr einen finsteren Blick zuwarf. Ed.

Vor lauter Überraschung ihm wieder gegenüber zu stehen, war sie zu langsam, um ihm auszuweichen und musste so einen schmerzhaften Schlag in den Bauch einstecken.

Amaya hatte nicht bemerkt, dass sie während ihres Angriffs ihre Unsichtbarkeit und somit auch den Schutz hatte fallen lassen und dadurch verwundbar geworden war.

Sie griff ein zweites Mal an und traf Ed mit voller Wucht in die Rippen, sodass er sich vor Schmerz krümmte. Das verschaffte ihr Zeit sich kurz umzusehen und erhaschte einen Blick auf eine gekrümmte Gestalt am Boden.

'Nein!'

Unbezwingbare Wut loderte in ihr auf.

Amaya boxte Ed ins Gesicht und gab einen ausschlaggebenden Tritt in seinen Schritt. Ein quälender Schrei war die Folge, aber er würde sich trotzdem in wenigen Augenblicken wieder erholt haben. Und dann konnte sie ihn nicht mehr aufhalten, dessen war sie sich sicher.

Um keine Zeit mehr zu verlieren, war sie schon mit wenigen Schritten bei Javier, der anfing sich wieder zu regen.

„Wir müssen hier verschwinden. Sofort!“. Amaya streckte ihm die Hand hin um ihm aufzuhelfen. Javier sah sie fragend an, aber sie ließ ihm keine Zeit:

„Er wird uns gleich wieder angreifen, wenn wir noch weiter hier bleiben!“, sagte sie ihm.

Anstatt ihre ausgestreckte Hand zu nehmen, stand er selber auf und sie setzten sich in Bewegung. Nach einigen Metern wagte Amaya nochmal einen Blick nach hinten.

Ed war verschwunden. Sie versuchte sich nicht allzu viele Sorgen zu machen und sah sich auf dem Gelände um. Keiner schien sie bemerkt zu haben, ein Glück.

Gemeinsam verließen sie die Holburn Street und rannten in Richtung Hafen. Was sollte sie nun tun? Wohin sollte sie ihn hinbringen? Solche und viele andere Fragen flogen ihr durch den Kopf, machten sie unruhig. Amaya wusste nur, dass es bei ihm daheim zu gefährlich war. Ed würde sich ohnehin als nächstes auf Javiers Fährte geben und bei ihm zuhause anfangen.

Verzweifelt versuchte sie ihre Gedanken zu sammeln, was jedoch erfolglos blieb.

„Das war doch der Typ aus der Bar“, brachte er zu Wort, als sie in einer Seitenstraße stehen blieben. Als sie nicht erwiderte setzte er nochmals an: „Hast du irgendwelche Probleme mit ihm? Wenn ja, dann kläre sie, denn ich habe keine Lust für dich die Schläge einzukassieren ! Shit!...“.

Er fasste an die Schläfen, an denen einige tiefe Schrammen zu sehen waren. Amaya überlegte ob sie ihn heilen sollte, ließ es dann aber doch sein. Es war besser, wenn er nicht zu viel von ihren Fähigkeiten sah.

„Könntest du mir meine Frage beantworten?!“

„Wir müssen hier weg. Das ist alles was du wissen musst“, erwiderte sie und setzte ihren Weg fort, ohne darauf zu achten, ob er ihr folgte.

Plötzlich zupfte jemand an ihren Gedanken.

»Amaya, wo bist du? Was ist geschehen? Ich hatte eine Vision, in der du in einem Kampf verwickelt warst.«

Mirac.

» Mir geht es soweit gut. Wir befinden uns noch in Aberdeen. Mein Schützling, Javier, wurde von einem Dämon angegriffen und... ich habe ihn gerettet.«, sagte sie zu ihrem Onkel in Gedanken.

»Hast du dich ihm gezeigt?«. Sie konnte an seiner Stimme erkennen, dass er bereits nichts Gutes ahnte.

»Es ging nicht anders. Alles passierte so schnell.«

»Du kommst nach Edinburgh, in einer meiner Wohnungen. Wir treffen uns dort.«. Er war wütend.

»Wann?«

»Heute Abend. Regent Road 26. Ich muss jetzt Schluss machen.«
 

Dann war er auch schon aus ihren Gedanken verschwunden.

„Warum sollte ich mit dir mitgehen?!“, fragte Javier, einige Meter entfernt.

„Bitte komm einfach mit mir. Vertrau mir“.

Amayas Stimme klang schon fast flehend. Sie drehte sich um und sah seinen skeptischen Blick. So undurchdringbar. „Wenn du jetzt mit mir kommst, werde ich all deine Fragen beantworten. Versprochen.“

Kapitel 14

Aurelia wusste weder wie tief der Sturz war, noch wann genau sie auf dem harten Asphalt auftreffen würden. Bewusst war ihr jedoch eines: Sie rasten mit Höchstgeschwindigkeit in den Abgrund der Stadt und würden in weniger als ein paar Sekunden schmerzhaft auf dem Boden landen, wenn sie nicht jetzt etwas unternahm. Das schlimmste jedoch war: Aurelia war nicht im Stande ihre Flügel zu benutzen. Er hielt sie fest an seinem Körper gedrückt, sodass es keinerlei Chancen für die Flucht gab.

Die übernatürlichen Kräfte beider Seiten trug noch ein ganzes Stück dazu bei, dass sie immer schneller wurden und man sie aus menschlicher Sicht mit einem Blitz hätte vergleichen können.

Mit dem Rücken lag sie auf seiner Brust, daher war ihr die Sicht nach unten verwehrt. Sie war froh, dass die surreale Welt, welche letztendlich über die Welt herrschte, dem Menschen verborgen blieb. Engel, Dämonen und auch Geister waren, für die Welt wie die Irdischen sie kannten, unsichtbar. Sie sahen nur, was sie sie zu sehen glaubten.

Die Geschwindigkeit machte es Aurelia mehr als schwer zu atmen, ließ Übelkeit in ihr aufkommen. Ihr ohnehin schon angespannter Körper verkrampfte sich mit einem Mal noch heftiger und machte sie auf das gefasst was nun kommen möge.

Dann, ohne Vorwarnung, merkte sie wie sich die starken Arme des Dämons um sie herum bewegten, Schwung nahmen und sie beide, während des Falls umdrehte. Ihr Blick war jetzt unabwendbar auf die geteerte Straße unter ihnen gerichtet. Er machte keine Anstalten seine Flügel zu benutzen. Die Hoffnung, dass sie lebend aus dieser Situation herauskam, verschwand zunehmend. Verzweifelt versuchte Aurelia sich in den letzten Sekunden zu befreien, irgendetwas zu tun, doch vergebens. Sein Griff war eisern.

Der Gegenwind hatte inzwischen ihre Augen so weit austrocknen lassen, dass sie schon anfingen zu brennen und Aurelia musste blinzeln. Schließlich schloss sie ihre Lider und erinnerte sich daran, für was ein Engel bestimmt war: Kraft, sowohl körperlich als auch innere Stärke, Mut, Ausdauer, Weisheit und Disziplin. Aurelia meinte den Leitspruch aller Engel vernehmen zu können: „Sage nie, du hast bereits verloren, solange nicht die letzte Schlacht geschlagen wurde. Denn erst dann wirst du deine wahre Stärke erkennen.“ Das Bild ihrer Familie und Freunde kamen ihr vor das innere Auge. Eine Welle ungeahnter Kraft durchflutete sie.

Nein! Sie würde nicht aufgeben! Nicht bevor sie gekämpft hatte!

Doch es war zu spät. Ein Ohrenbetäubendes Kratzen riss sie aus ihrem Vorhaben. Aurelia blieb in der Luft hängen, den Toren des Todes gerade noch so entwichen. Aurelia fiel nicht mehr und wurde von den Armen ihres Feindes gehalten.

Aurelia versuchte dem Drang, einen Blick über die Schulter zu werfen, zu entkommen. Doch bevor sie merkte was sie tat, drehte sie ihren Kopf auch schon zur Seite und sah einen winzigen Augenblick lang seine Hand, deren Finger sich in die Hauswand der Garnison bohrten. Kaum merkbar verstärkte sich der Griff seines anderen Arms um ihren Körper, drückte sich dann von der Wand ab und landete kurz darauf geschickt auf der Straße. Aurelia hatte das Aufkommen kaum gespürt und ehe sie sich versah, ließ er sie auf den Boden fallen. Der Aufprall war sehr hart, presste ihr die Luft aus den Lungen, vernebelte ihr die Sinne. Das Drücken ihres rechten Arms wurde immer stärker.

Aurelia erhob sich, lodernde Wut packte sie und versetzte sie in Kampfesslust. Mit gekonnten schnellen Schritten wirbelte sie zu ihm herum, um ihm den Zorn durch ihre Faust spüren zu lassen. Doch der Dämon packte ihre geballte Hand mit Leichtigkeit, drehte das Gelenk um, bis es knackste und trat etwas näher an sie heran. Sie biss sich auf die Zunge, um sich die Pein ihres Niedergangs zu sparen.

Sein kalter Atem drang an ihr Ohr: „Zeige mir den Eingang zu euren unterirdischen Gängen, bevor dein herzallerliebster Bruder hier auftaucht“. Woher wusste er, dass Elijah ihr Bruder war?

„Ha, nenne mir einen Grund, warum ich das tun sollte!“

„Wenn die deine Flugfähigkeit lieb ist, beeilst du dich besser“. Ohne eine Antwort ihrerseits abzuwarten drehte er Aurelia um, sodass sie ihn nicht mehr sehen konnte. Er griff nach ihrem Nacken und drückte fest zu. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Rücken. Danach fühlte sie sich wie gelähmt, unbeweglich, hilflos, als hätte man ihr etwas genommen, etwas das sie ausmachte. Einfach ausgeschaltet.

Allmählich dämmerte ihr eine schlimme Vorahnung: „Ich bring dich um!“, schrie sie.

„Rede nicht so viel. Zeige mir lieber den Weg, wenn du deine Flügel jemals wieder bekommen willst!“, knurrte er.

Aurelia hasste sich dafür, dass sie bei seinen Worten kurz zusammenzuckte. Sie blieb aber trotzdem standhaft und bewegte sich keinen Zentimeter. Sein Griff verstärkte sich: „Los jetzt!“.

„Lieber sterbe ich, als deinesgleichen zur Flucht zu verhelfen!“.

Wutentbrannt stieß er sie an die Wand und drückte ihr langsam die Kehle zu. Durch den Druck, mit dem er Aurelia an die Wand presste, erschallte gleichzeitig ein dumpfes Dröhnen im Gebäudeinneren. Die Wand gab nach und öffnete sich. Überrascht ließ der Dämon sie los und schaute etwas verwundert in den dunklen Eingang, der sich vor ihnen erstreckte. Er hatte den Eingang gefunden, wenn auch nur durch Zufall. Er machte einen Schritt nach vorne und wollte sie mit sich ziehen, doch Aurelia rammte ihm das Bein in den Magen und gewann dadurch Zeit ihren nächsten Angriff auszuführen. Er krümmte sich, sie schlug ihm gegen die Brust, die ohnehin schon aus den offenen Wunden der Folter blutete und stieß seinen Kopf mit aller Kraft gegen die steinerne Wand des Tunnels. Er brauchte einige Sekunden um die Fassung wieder zu erlangen, erhob sich dann und kam mit großen Schritten auf sie zu. Aurelia wich ihm aus, wodurch sie immer weiter in den Gang hineingelangte. Durch die schnellen Bewegungen kam abermals der Schwindel auf. Ihr Kopf war immer noch von den Hieben der letzten Stunden ziemlich angeschlagen. Aber sie musste weiter machen! Durfte nicht aufgeben, nicht jetzt!

Der Dämon war ihr dicht auf den Fersen und griff sie bei jeder Gelegenheit an. Jede seiner Bewegungen waren so exakt, als ob er genau wüsste, wie er als nächstes vorgehen solle.

Nach etlichen Schlägen, Stoßen und Fausthieben waren beide weiter in die Tunnel hervor gedrungen, als es Aurelia beabsichtigt hatte. Sie setzte sich gerade zur Wehr und wollte seinen Angriff abwehren, als sie einen verehrenden Fehler machte und zu Boden geschleudert wurde. Er kam auf sie zu und fasste sie am Arm um sie zu sich herauf zu ziehen und ihr den letzten Schlag zu geben. Doch plötzlich schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schwingungen von Flügeln, die von Sekunde zu Sekunde näher kamen. 'Elijah!', schrie es Aurelia durch den Kopf. Und als wüsste der Dämon, dass sie den Namen ihres Bruders rufen wollte, presste er seine Hand vor ihren Mund und warnte sie: „Wenn du es wagst ihnen unseren Aufenthaltsort zu verraten, hast du deinen Bruder vorhin zum letzten Mal gesehen“.

Aurelia wandte sich in seinem Griff, versuchte sich zu befreien, doch umso mehr sie sich wehrte, desto fester wurden seine Arme, die sich um sie schlangen. Es war hoffnungslos. Er drängte sie weiter zu gehen.

Eine Weile schritten sie durch die Gänge, welche von Gaslampen an der Wand beleuchtet waren.

Der Kampf zwischen Engel und Dämonen währt seit Anbeginn der Zeit. Für beide Seiten schien der Sieg unerreichbar zu sein. Und der einzige Grund, dass die Welt wegen des ewig währenden Krieges nicht unterging, war das hohe Geistervolk. Sie stellten eine Art Medium zwischen den Gewalten des Himmels und der Hölle dar, sorgten dafür, dass die Menschen keinen Schaden nahmen, alles im Gleichgewicht blieb. Anders als die Geister, die an die nordischen Götter glaubten und ihr treu ergeben waren, verehrten weder Engel noch Dämonen irgendeinen Gott und hielten stattdessen an ihrem Schicksal, ihrer Bestimmung fest.

Der Dämon verstärkte sein Griff nochmals und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie bogen rechts ab, gleich danach scharf links und dann durch einen kleinen Torbogen. Danach folgte ein hell erleuchteter Korridor. Die Wände waren nun nicht mehr aus Stein, sondern trugen Verkleidungen aus Holz. Da sie die Baupläne der Tunnel einmal gründlich studiert hatte, wusste sie genau wo die Geheimgänge waren und wo sie sich selbst befanden. Die Frage war, wusste er es auch? Es hatte vor Jahrzehnten eine Schlacht in den unterirdischen Gängen gegeben, in dem Engel als auch Dämonen verstrickt gewesen waren. Letztendlich hatten die Dämonen einen beträchtlichen Teil der Tunnel für sich beansprucht. Eine große Anzahl von Pfaden und Eingängen waren auf beiden Seiten zugeschüttet worden, damit keine der gegnerischen Truppen auf die andere Seite gelangen konnte. Nun war es Aurelia selbst, die einen Dämon auf ihre Seite der Tunnel gelassen hatte. Schuldgefühle beschlichen sie und auch wenn es in dem Moment, als sich die Wand geöffnet hatte nicht anders gegangen war, wusste sie, dass sie das ein Leben lang bereuen würde.

Erneut konnte sie eine Unzahl an Flügelschlägen wahrnehmen, die sich in Schritte verwandelten und immer näher kamen. Auch der Dämon hinter ihr schien sich seiner Gefahr bewusst zu werden. Er sah sich einen Moment lang um, blieb jedoch ruhig und ließ sich nichts anmerken. Woher nahm er diese Kraft?

Doch ehe sie sich noch weiter darüber Gedanken machen konnte, brach die hölzerne Wand neben ihnen ein und ein Dutzend Engel stürzten mit lautem Gebrüll auf sie hinab. Aurelia versuchte einen Blick auf Elijah zu erhaschen, aber alles was sie tun konnte, war sich auf die Seite zu schmeißen und dort einen kurzen Augenblick zu verharren. Dann wurde sie von kräftigen Armen mitgerissen, jene Arme, die ihr so vertraut schienen, die sie so gut kannte. Doch als sie den Blick hob, sah sie vor sich nicht die erwartete Person. Der Dämon hatte sie wieder fest im Griff und zog sie mit sich. Trotz ihrer Jahrelangen Ausbildung zur Kriegerin war es ihr unmöglich sich zu befreien. Sie konnte tun was sie wollte, aber helfen tat es ihr auf keinen Fall. Als wäre sie eine Puppe.

„Lass mich los!“, schrie sie, doch der Dämon reagierte nicht darauf und rannte noch schneller auf den nächsten Torbogen zu, der sich am Ende des Ganges zeigte. Ein kurzer Blick nach hinten reichte ihr, um festzustellen, dass Elijah und seine Truppe ihnen folgten. Als sie den Durchgang passiert hatten steuerten sie direkt auf das große Überbleibsel der vergangenen Schlacht zu: Ein riesige Schlucht, die, die Tunnel der Engel von den Tunnel der Dämonen trennte. Zwei Seiten, ein unergründlicher Abgrund.

Aurelia wollte reflexartig ihre Flügel hervorbringen, aber es passierte, wie erwartet, nichts. Wut schäumte in ihr auf. Wie hatte er das gemacht? Ein spezieller Griff und ihre Fähigkeit zu Fliegen war, als wäre sie nie da gewesen? Wusste er, dass er geradewegs in den sicheren Tod rannte, wenn er nicht sofort seine Schwingen ausbreitete? Aurelia sah nach vorne und erkannte, dass es noch die letzten Meter Boden waren, die vor ihnen lagen. Sein Griff um ihre Hand verstärkte sich, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Jetzt war es soweit.

„NEIN!“, ertönte die Stimme ihres Bruders und als hätte er nur darauf gewartet, blieb der Dämon wie auf Knopfdruck auf dem letzten Meter Asphalt stehen. Kleine Steinchen kullerten den Abgrund hinunter.

Der Dämon drehte sich um und blickte über ihre Schulter zu Elijah hinüber. Dabei hielt er Aurelia so fest, dass es ihr erst gar nicht in den Sinn kommen konnte etwas zu unternehmen.

„Ich kann mir vorstellen, dass du für das Leben deiner Schwester vieles, vielleicht sogar alles geben würdest, aber zählt die Freiheit eines Dämons auch dazu?!“. Seine Stimme klang drohend.

Aurelia sah ihren Bruder an. Sie konnte seine Anspannung und seinen Zorn deutlich sehen und wenn Blicke töten könnten, dann gäbe es in diesem Moment einen Dämon weniger auf der Welt. Man hätte meinen können, dass zwischen Elijah und dem Mann, der direkt hinter ihr stand, ein lautloser Kampf herrschte. Und so war es auch. Die Krieger und Kriegerinnen warteten geduldig auf die Entscheidung ihres Führers, rührten sich kein bisschen. Jetzt lag es an Elijah eine Wahl zu treffen: Würde er den Dämon angreifen, würde er Aurelia in den Abgrund und gleichzeitig in den Tod stoßen. Tat er jedoch nichts, war sich Aurelia sicher, dass ihr Feind sie nicht freilassen würde, da er um seine Freiheit besorgt war. Und das war ihrem Bruder nur allzu gut bewusst.

Es waren Minuten vergangen, als Elijah schließlich seinen Blick senkte und kaum merklich nickte. Aurelia verstand ihn, auch wenn es weh tat. Sie hätte wahrscheinlich die gleiche Entscheidung getroffen.

Der Dämon nickte ebenfalls und konnte sich ein diabolisches Grinsen nicht verkneifen. Ohne die gegnerische Truppe weiter zu beachten, schlang er seine Arme erneut um ihre Hüften und erhob sich wenig später in die Lüfte. Und auch wenn ihr bei dem Gedanken schlecht wurde, konnte sie nichts anderes tun, als sich an ihm festzuhalten.

Sie flogen über die riesige Schlucht hinweg und landeten anschließend auf einem Felsvorsprung der anderen Seite. Er ließ sie aus seinem Griff gleiten, nur um sie einen Moment später wieder mit sich zu ziehen. Als er ihren Arm berührte schlug sie ihm mit einem heftigen Hieb ins Gesicht und setzte ihn kurz außer Gefecht. Er knurrte unverständliches Zeug vor sich hin, kam wieder auf sie zu und ließ ihr keine weitere Möglichkeit offen, um sich zu wehren. Er packte erneut und hielt ihr beide Arme hinter dem Rücken fest. Dann zog er Aurelia mit sich und legte im Vorbeigehen einen Schalter um, der in den Fels eingemauert war. Als darauf ein Zischen durch die Höhlen hallte, blickte sie über die Schulter und sah wie sich eine fast durchsichtige Mauer die Felsspalte hinauf errichtete. Ihre Feinde standen ihnen wohl doch in nichts nach, ging es ihr durch den Kopf.

Wie durch Zauberhand fanden ihre Augen den Blick ihres Bruders, der sie genauso ansah wie sie ihn: Beide machten sich selber Vorwürfe das Flasche getan zu haben. Ein schmerzender Stich durchfuhr ihr Innerstes und ließ ihre Knie zusammensacken. Mit einem letzten Versuch versuchte sie nochmal die Sicht auf Elijah zu erlangen, konnte es aber nicht mehr, als sie um die Ecke bogen und in einer Felsspalte verschwanden.

Kapitel 15

„Wohin gehst du?!“, fragte Javier, während sie sich durch die Menschenmenge am Bahnhof kämpften.

„Weg.“, war alles was Amayas Antwort beinhaltete. Seit dem Angriff von Ed war etwa eine halbe Stunde vergangen, in der Amaya Javier dazu gedrängt hatte, mit ihr zu kommen. Sie hatte ihm versprochen all seine Fragen zu beantworten...Sie hatte eben eine Art Druckmittel gebraucht, das anscheinend funktioniert hatte. Amaya hoffte inständig, dass er nur „harmlose“ Fragen hatte und sie nicht über ihr plötzliches Auftauchen oder ähnlichem aushorchen wollte. Aber die Chance, dass es so war, war nicht gerade hoch, dass wusste sie. 'Aber du hast es ihm versprochen!', ging es ihr durch den Kopf, 'und Geister brechen ihre Versprechen niemals!...Aber was soll ich ihm sagen?! Ich kann ihm unmöglich alles erzählen! Eigentlich dürfte er mich gar nicht kennen... Theoretisch sollte ich mich jetzt aus dem Staub machen und dafür sorgen, dass er mich nie wieder sieht und alles vergisst...Aber ich kann ihn jetzt auch nicht alleine lassen...er würde sich nur zu viele Gedanken machen und das wäre nicht gut.'

Amaya kam zu keinem richtigen Schluss, aber jetzt Zeit zu verlieren und hier in der Nähe zu bleiben, wäre für Javier sein Todesurteil gewesen und früher oder später auch ihres. Ed würde wegen was auch immer wieder kommen und sie konnte nicht riskieren hier zu bleiben. Natürlich könnte sie gegen Ed antreten, ihn möglicherweise sogar umbringen, aber das Kämpfen in menschlicher Form erwies sich schon öfters als eher schwierig und unpraktisch. In der Gestalt eines Geistes hätte Amaya weit aus bessere Chancen zu überleben, vor allem weil sie dann auch unverletzbar wäre. Aber was würde Javier denken, wenn vor ihm auf einmal ein toter Mann liegen würde und daneben eine übernatürliche Erscheinung des Mädchens, das er geküsst hatte?!

Amaya verdrängte den Gedanken an gestern Abend und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Gegenwart.

„Ich fragte WOHIN?!“, sagte Javier in einem lauten Ton. Inzwischen hatten sie den Eingang des Bahnhofs passiert und liefen in Richtung des Gleises, an dem ihr Zug nach Edinburgh abfahren würde. Es war früh am Morgen und von Menschen, die versuchten sich an den Alltag anzupassen, ziemlich überlaufen.

Obwohl Javier hinter ihr lief, konnte sie seinen bohrenden Blick auf ihr deutlich spüren. Er würde nicht locker lassen.

„Hör zu, ich habe keine Lust mich von deiner Ignoranz nerven zu lassen und wenn du mir nicht sagst, was hier los ist, kehre ich um und du kannst alleine weiter gehen!“. Amaya blieb zu seinen Gunsten stehen und drehte sich zu ihm um: „Na schön...“, sie seufzte: „ Ich verspreche dir, dass ich dir deine Fragen beantworten werde, wenn wir im Zug sitzen“. Amaya sah ihm fest in die Augen, was sie einige Überzeugungskraft kostete: „Bitte. Es ist zu deinem eigenen Wohl. Ich weiß, du kennst mich nicht und hast auch allen Grund skeptisch zu sein, aber wenn du hier bleibst wird er dich finden. Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen“. Einen kurzen Augenblick blieb es still und sie sahen sich gegenseitig an. Wieder einmal kam er ihr wie eine Mauer vor: undurchdringbar, standhaft und nichts sagend, was dahinter lag.

Er holte Luft, um etwas zu erwidern, wurde aber von einem plötzlichen lauten Kreischen am Himmel abgelenkt. Amaya sah ebenfalls nach oben und bemerkte ein verräterisches Ziepen in ihrem Hinterkopf. Ein Schwarm schwarzer Vögel kreiste in der Luft, schwenkten und kamen in Höchstgeschwindigkeit auf Amaya und Javier zu. Sie schienen von einer einzigen Macht geleitet zu werden, reihten sich nacheinander auf, ihre Körper wurden immer breiter und größer, die Flügel streckten sich in die Länge, liefen am Ende zu spitzen Krallen zu.

„Lauf!“, schrie Amaya und beide rannten den Gleis hinauf. Sie rempelten verwunderte Passanten um, die ihnen unhöfliche Bemerkungen hinterher riefen.

Oben angekommen erreichten sie gerade noch die Türen des Wagons, die sich gerade zu schließen begannen hatten. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, prallten die Vögel gegen die Scheibe, blieben kurz auf dem Boden liegen, richteten sich wieder auf und flogen mit einem lauten Gekreische davon. So schnell wie sie gekommen waren, waren sie auch wieder verschwunden. Javier brauchte einen Moment um wieder zur Fassung zu kommen und richtete sich dann auf. Mit einem kurzen Blick stellte Amaya fest, dass ihm nichts passiert war und ließ dann ihren Blick durch die Sitzreihen schweifen. Keiner der Passagiere schien die tödliche Gefahr bemerkt zu haben. Einige jedoch sahen die zwei neu eingestiegenen verdutzt an. Sie hatten keine Ahnung, was gerade geschehen war. Um den unangenehmen Blicken der anderen auszuweichen, suchte Amaya einen der hinteren Sitzplätze. Sie setzten sich hin und schwiegen eine Weile, während sich der Zug in Bewegung setzte und die Gegend vorbeiziehen ließ. Langsam begannen sich einzelne Regentropfen auf den Fenstern hinabzulassen, sammelten sich mit anderen und gingen schließlich wieder ihre eigenen Wege.

Erschöpft lehnte Amaya ihren Kopf gegen die Scheibe und fing an sich einen Weg zurecht zulegen, wie sie ihm erklären sollte, dass es außer der menschlichen Welt noch eine andere gab und diese als einzelne Dimensionen gesehen wurde. Egal wie schwer es ihr fallen würde, sie musste es tun. Sie hatte es ihm versprochen, sagte sie sich.

Sie blickte auf und bemerkte sofort, dass er sie erwartungsvoll ansah. Jetzt würde er nicht mehr locker lassen. Jetzt gab es kein zurück mehr. Mit einem leisen Seufzer richtete sie sich auf und zwang sich die Hände ruhig in den Schoß zu legen.

Dann straffte Amaya die Schultern und fragte: „Na gut. Was willst du wissen?“

„Alles“, erwiderte er, machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Einfach alles. Wer war dieser Typ, der dir gestern aufgelauert war? Wieso hatte er mich heute morgen angegriffen? Du bist aus dem Nichts aufgetaucht. Wie ist das möglich?“.

'Wie ist es möglich, dass du genau die Fragen stellst, von denen ich gehofft hatte, dass du sie nicht stellen würdest?!', fuhr es Amaya durch den Kopf. Dennoch hielt sie seinem Blick stand.

„Woher kommst du? Du scheinst nicht von hier zu sein.“, stellte er fest. Amaya wollte gar nicht wissen, woran er das erkannte.

„Ja, du hast recht. Ich komme von woanders her. Und dieser Mann, den du gestern aus der Bar geworfen hast, ist auch nicht von hier...Javier...ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll, also sage ich es einfach gerade aus: Er ist ein Dämon“. Sie blickte jetzt zu ihm rüber und sah sein Zweifeln an ihren Worten.

„Willst du mich verarschen?“, fragte er und zog ungläubig eine Augenbraue hoch. Diese Reaktion hatte sie schon erwartet und wusste daher, was sie zu tun hatte.

„Ha, glaube mir, wenn ich das tun wollte, würde mir etwas besseres einfallen. Aber wenn dir die großen Vögel von gerade eben nicht Beweis genug sind, werde ich dir noch etwas anderes zeigen“.

Amaya hob ihre Hand, sodass er ihre Handfläche sehen konnte. Danach griff sie in ihr Innerstes, bündelte ihre Energie und schickte sie nach außen. Die Konturen ihrer Hand wurden blasser, bis schließlich die ganze Fläche fast nur aus einem Art Nebel bestand, der aber noch die Umrisse erkennen ließ. Javier beugte sich leicht vor und versuchte ihre Finger zu berühren, hielt aber knapp davor inne. Er wartete noch einen winzigen Moment, bevor er sich in den gegenüberliegenden Sitz zurück sinken ließ. Staunen spiegelte sich in seinen Zügen.

„Wie von Geisterhand...“, sprach er in Gedanken versunken.

Amaya lächelte: „Ja, du hast es erfasst“. Sie wusste, dass es an ihr lag weiter zu sprechen: „ Ich gehöre zu dem hohen Geistervolk dieser Welt. Wir unterscheiden uns von den den anderen existierenden Wesen, wie Engel oder Dämonen. Mein Volk und ich haben uns seit Anbeginn der Menschheit dem ewigen Schutz der Irdischen verschrieben und wachen ihr ganzes Leben über sie“. Amaya setzte eine Pause ein, damit er das Gesagte realisieren konnte. Dann fuhr sie fort: „Jeder Geist erhält ab seinem neunzehnten Lebensjahr einen Schützling. Dessen Leben ist auch das Leben des Geistes. Er verlässt seinen Schützling niemals, ganz gleich was geschieht. Deswegen stirbt auch der Geist, wenn sein Schützling stirbt“.

Javier war immer noch angespannt, aber Amaya war sich sicher, dass sich sein skeptischer Blick etwas gelöst hatte.

„Das verstehe ich nicht ganz. Du sagtest ihr wacht euer ganzes Leben über uns...warum sterben Menschen dann immer noch bei Unfällen? Oder warum passieren überhaupt noch so was wie Unfälle?“, fragte er und beugte sich nach vorne, um sich mit den Unterarmen auf den Beinen abzustüzen.

„Das ist etwas komplizierter. Nehmen wir an, ein Mensch läge im Krankenhaus mit schweren Verletzungen, die er sich durch ein Autounfall zugezogen hat. Der Geist gibt ihm Kraft und versucht seinem Schützling bei der Heilung zu helfen. Wenn jedoch die Kraft des Geistes nicht stark genug ist, stirbt der Mensch. Die Seele des Irdischen steigt auf, um den Weltenbaum Yggdrasil zu nähren. Der Geist stirbt ebenfalls, schlägt allerdings seinen Weg nach Helheim ein. Dort >lebt er sein Leben nach dem Tod<, was mit der letzten Ruhe gleichkommt.“

„Helheim?...“. Er war sichtlich verwirrt, was nur berechtigt war.

„Hast du schon mal etwas von der nordischen Mythologie gehört? Das Geistervolk glaubt an die nordischen Götter, wie Odin, Thor, Baldur, Hel, Loki und viele andere. Jedoch haben wir aber nur mit einer Göttin einen Pakt geschlossen. Mit der Göttin des Todes: Hel. Daher auch der Name ihres Reiches, zu dem alle toten Geister wandern, Helheim. Der Pakt besteht darin die Midgardschlange, welche übrigens ihr Bruder beziehungsweise Schwester ist, vor der Welt zu bewahren. Im Gegenzug ziehen wir nach unserem Tod in ihrem Reich ein. Sie erhält die Säulen zwischen Helheim und Yggdrasil, der Weltesche, die sie tragen“. Amaya fasste sich extra kurz und ließ die Details weg. Sie beschloss im Stillen ihm erst mal nicht mehr darüber zu erzählen. Sie ließ Javier Zeit all diese Informationen zu begreifen und sah wieder aus dem Fenster.

Nach einigen Minuten ergriff er das Wort: „ Um nochmals auf diesen Dämon von vorhin zurückzukommen. Was hat er mit dem ganzen zu tun?“. Javiers Stimme klang zurecht etwas verwirrt, aber dennoch gefasst und wissbegierig.

„Sein Name ist Ed. Ich weiß nicht genau, was er von uns will. Vielleicht lässt er auch seine Natur an uns aus. Immerhin überfallen Dämonen Menschen fast tagtäglich. Sie kommen nur nie dazu, weil wir Geister sie daran hindern und unsere Schützlinge schützen. Deswegen sind wir auch zu sehr damit beschäftigt, dass kein Dämon in eure Nähe kommt, als das wir eure unnötigen Autounfälle verhindern könnten“. Bei ihren letzten Worten setzte sie kurz ein Lächeln auf, Javier jedoch war in Gedanken versunken und versuchte das, was sie ihm gesagt hatte zu verstehen. Die Schrammen an seinen Schläfen bluteten zwar nicht mehr, aber Amaya konnte sich trotzdem vorstellen, dass sie weh taten. Sie nahm sich vor sie zu versorgen, sobald sie in der Wohnung in Edinburgh waren, die Mirac ihr genannt hatte. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, warum auch Javier die schwarzen Vögel von vorhin gesehen hatte. Eigentlich hätte er sie gar nicht erkennen sollen, eigentlich dürfte er von all dem gar nichts wissen. War es falsch gewesen ihm davon zu erzählen? Natürlich war es das, sagte sie sich.

Auf einmal stand Javier auf, ging den Gang entlang und blieb an dem Fenster stehen, welches am weitesten von ihrem Sitzplatz entfernt war. Was mochte er nun denken? Würde er jetzt noch mit ihr sprechen? Vertraute er ihr? Amaya versuchte aus seinen Gesichtszügen irgendeine Antwort auf ihre Fragen zu erkennen, doch alles was sie herausfand war, dass er mit seinen Gedanken weit weg war, tief in sich selbst drin. Es war falsch gewesen, ihm davon zu erzählen, aber bereute sie es auch? Was hätte sie tun sollen? In seinen klaren blauen Augen spiegelten sich die immer mehr werdenden Regentropfen, die, die Farbe perfekt wiedergaben. Durch das hineinscheinende Licht fiel ihr auf, dass seine braunen Haare durch noch dunklere Stellen durchzogen waren, vielleicht kam es ihr aber auch nur so vor.

Ein unerwartetes aber wiederholtes Ziepen an ihren Gedanken brachte sie aus ihren Abschweifungen zurück.

»Amaya?«

»Mirac!«

»Bist du schon auf dem Weg nach Edinburgh?«, fragte ihr Onkel. Seit ihrem fünften Lebensjahr lebte sie bei ihm, da ihre Eltern schon früh gestorben waren...

»Ja, wir sitzen schon im Zug.«

»Ist dein Schützling etwa immer noch bei dir? Ich hoffe dir ist bewusst, dass er dich gar nicht sehen, geschweige denn mit dir reden dürfte!«. Miracs Stimme klang nun sehr wütend.

»Ich habe doch vorhin schon gesagt, dass es nicht anders ging!«, konterte sie in der Versuchung ruhig zu bleiben. »Dieser Dämon, Ed, hätte ihn sonst wieder gefunden und umgebracht! Und da du mich zu dir gerufen hast, wusste ich nicht, wohin ich ihn bringen könnte...ich weiß,dass ich schon im ersten Moment versagt habe, als ich zwischen ihn und Ed gegangen war. Aber hätte ich ihn einfach stehen lassen sollen, nachdem er etwas gesehen hatte, was nicht aus seiner Welt stammt?!«

Es blieb kurz still.

»Wir reden darüber, wenn wir uns heute Abend treffen. Außerdem wirst du mir dann von diesem Ed erzählen! Ich muss jetzt Schluss machen.«

Seine Worte verhallten noch einen Moment in ihrem Kopf, dann war er auch schon verschwunden. Eine Seite, die Amaya bei der Gedankenrede hasste. Sobald sich ihr Gesprächspartner zurückzog und sie aus dessen Kopf ausgeschlossen wurde, konnte sie mit ihm keinen Kontakt aufnehmen, es sei denn jener öffnete seinen Zugang zu seinem Inneren.

Leicht genervt ließ sie sich nach hinten sinken, als ihr ein Gedanke kam. Blitzartig drehte Amaya sich zu der Stelle um, an der Javier noch kurz zuvor gestanden hatte. Er war weg!

„Javier?!“, reif sie etwas lauter. Dadurch das sie keine Antwort bekam, wollte sie gerade aufstehen um nach ihm zu suchen, wurde aber von einer Hand auf ihrer Schulter gestoppt. Vor lauter Aufregung blickte sie hektisch nach oben und sah Javier neben sich stehen. Eine Woge der Erleichterung überkam sie.

„Es ist alles in Ordnung, okay? Und jetzt setze dich gefälligst wieder hin. Die Leute schauen schon“. Er drückte sie in den Sitz und ließ sich neben ihr nieder.

„Wohin fahren wir eigentlich?“, fragte er freundlich.

„Nach Edinburgh. Wir treffen dort meinen Onkel. Alles weitere werde wir dann mit ihm besprechen“.

„Alles weitere...okay. Was hat es mit dieser Weltesche auf sich? Ygg...?“.

„Yggdrasil. Es ist ein riesiger Baum. Du kannst ihn die wie eine Art Träger der Welt vorstellen. Die Welt richtet sich nach seinem Befinden. Geht es ihm gut, so geht es der Welt auch gut...naja soweit man Kriege und Hungersnöte auslässt. Andersrum ist es natürlich auch so. da es ihm aber bisher an nichts mangelte ist er stark genug um die Welt zu halten. Man sagt, dass mit jedem neuen Baby, das geboren wird, er neue Knospen bildet und daher immer größer wird. Aber das ist wirklich nur was für welche die Geschichten mögen. Es stimmt natürlich nicht“.

„Was passiert, wenn es ihm nicht gut geht?“, fragte Javier.

„Wenn er fallen würde, würde die Welt untergehen und alles würde in Rauch und Feuer versinken. Zwischen gut und dem Ende gibt es keinen Empfindungszustand. Genauso wäre es auch, wenn der Midgardschlange etwas zustoßen würde. Sie ist mit Yggdrasil auf ewig verbunden. Umgekehrt wäre es selbst verständlicherweise auch so. Deswegen haben die Geister sich auch ihrem Schutz verschrieben, damit ihr nichts passiert“.

„Aber warum sollte jemand die Schlange töten oder Yggdrasil zu Fall bringen wollen, wenn dadurch die Welt untergehen würde?“.

„Genau an dieser Stelle kommen die Engel und Dämonen ins Spiel...aber das wäre jetzt zu viel“, erklärte sie und ließ ihn gleichzeitig wissen, dass er seine Fragen fürs erste ruhen lassen sollte.

Dann war es still und beide sahen sich an. Nur die leisen Stimmen der anderen Passagiere drang zu ihnen hindurch. Plötzlich quietschten die Räder auf den Schienen, als der Zug an einer Haltestelle anhielt. Amaya und Javier lösten sich aus ihren gegenseitigen Blicken. Er sah weg und auch Amaya richtete ihre Augen auf ihre überkreuzten Beine. Die Tür ging auf und brachte so den kühlen Herbstwind in den Wagon. Ihre langen schwarzen Haaren kräuselten sich um ihr Gesicht.

Als Der Zug sich wieder in Bewegung setzte atmete sie erleichtert aus. Trotzdem breiteten sich die Stille und Anspannung zwischen ihnen immer mehr aus. Beide wussten, dass der andere an den Kuss von gestern Abend dachte. 'Was habe ich nur getan?! Wie konnte das passieren?!', fragte sie sich.

Peinlich berührt wandte sich Amaya ihm wieder zu, wollte es endlich hinter sich bringen! Hoffentlich hatte sie ihm keine falschen Hoffnungen gemacht, aber warum auch? Immerhin kannten sie sich erst seit gestern.

Als sie seinen gefassten Gesichtsausdruck sah und er anfing zu sprechen, lösten sich ihre Gedanken in Luft auf: „Wegen gestern Abend...kann es sein, dass du ziemlich neben der Kappe warst?“, fragte er, direkt und scheinbar ohne jede Spur von irgendwelchen Gefühlen oder Scham. Ja, es war unangenehm, aber da musste sie jetzt durch, sagte Amaya sich. Sie hatte sich es selbst eingebrockt, wenn auch nicht unter vollem Bewusstsein.

„Ja...“, 'lass nicht die Haltung fallen!'. Beim zweiten Anlauf klang ihre Stimme kräftiger: „Ja, tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Mir ging es anscheinend tatsächlich nicht gut“.

„Okay, ist in Ordnung, wirklich. Also nicht das es von Vorteil wäre, wenn nochmal..., aber nicht das du denkst...ach du weißt schon, was ich sagen will. Es wäre nur angenehmer, wenn wir nicht mehr darüber sprechen würden, wenn wir die nächste Zeit zusammen sind“. Javier versuchte sich möglichst neutral auszudrücken.

„Klar. Natürlich, dass ist auch richtig so, denn du darfst eigentlich gar nicht wissen, dass es so was wie mich, Engel und Dämonen gibt.“, meinte Amaya. Einen kurzen Augenblick war es wieder still und beide schauten verlegen auf den Boden.

„Gut. Ich bin froh, dass wir das geklärt haben“, sagte Javier, lächelte kurz und setzte sich dann wieder auf den gegenüberliegenden Sitz von ihr.

Amaya dachte darüber nach, ob es schon einen Geist vor ihr gegeben hatte, der seinen Schützling geküsst hatte. Sie verwarf jedoch den Gedanken rasch wieder, da sowieso klar war, dass, das völlig unmöglich und zuvor noch nie passiert war. 'Super! Was mochte er nun von ihr denken?Bestimmt nicht das, was man denkt, wenn man gesagt bekommt, dass der gegenüberstehende ein Geist ist.'

Den Rest der Fahrt blieb es still zwischen ihnen. Amaya hoffte, dass sie Javier wenigstens genügend Stoff zum Nachdenken gegeben hatte, wenn es die Situation schon nicht anders zuließ.

Kapitel 16

Aurelia wurde von dem Dämon durch die unterirdischen Gänge gezerrt. Er hielt sie fest am Nacken und gab ein schnelles Tempo an. Da sie sich nun auf der dämonischen Seite der Tunneln befanden, die anscheinend ebenfalls erneuert wurden, hatte Aurelia jeglichen Orientierungssinn verloren.

Die unterirdischen Gänge in Edinburgh zählten zum Großteil zu dem Besitz der Keylands, Aurelias Familie. Sie waren eine uralte Konstruktion aus Tunneln, die sich direkt unter den Straßen der Stadt befanden. Ihr Zweck bestand darin, dass Engel sich unbemerkt von einem Ort zum anderen fortbewegen konnten, ohne den Gedanken mit herumschleifen zu müssen, dass ihnen Dämonen folgen könnten. Irgendwann waren ihre Feinde dahinter gekommen und hatten die Tunnel gestürmt, danach einen beträchtlichen Teil für sich eingenommen.

An den Wänden konnte man noch vereinzelte Baupläne sehen, die aber zum Teil schon so veraltet waren, dass man sich nicht mehr auf sie verlassen konnte. Nach dem Kampf wurden einige Gänge zugeschüttet, um es den Dämonen schwieriger zu machen, sich zurechtzufinden. Die Nachkommen des Himmels jedoch hatten seit den letzten fünf Jahren angefangen neue Pläne zu entwickeln, damit sie neue Gänge bauen konnten. Dadurch wurde ein ganzes System wieder aufgebaut, eines durch das man die Dämonen in ein Hinterhalt locken konnte. Doch das brauchte Zeit.

Eine unnatürliche Kälte hatte sich inzwischen durch die Gänge geschlichen, gaben einem das Gefühl nie wieder ans Tageslicht zu kommen und die Wärme der Sonne auf der Haut zu spüren. Die eisige Luft brachte Aurelia zum frieren und der Druck seiner Hand, der sie erlegen war, machte es nicht besser. Sie marschierten seit einer gefühlten Ewigkeit durch die Tunnel und langsam kam sie auf den Gedanken, dass auch der Dämon nicht wusste wo sich der Ausgang befand. Er murrte unverständliches Zeug vor sich hin und beachtete sie keineswegs. Aurelia wunderte sich, dass er trotz seiner schlimmen Verletzungen noch aufrecht gehen konnte und kein Wehklagen von sich gab. 'Natürlich. Er wollte ja den „Entführer“ spielen',dachte sie. Wut schäumte in ihrem Innern auf und brachte sie zur Weißglut. Plötzlich hielt sie es nicht mehr aus:

„Weißt du überhaupt wo du hinläufst?“, fragte sie barsch. Aurelia erwartete irgendeine böse Bemerkung oder ein Schlag in den Bauch, aber anstatt sie zu beachten, ignorierte er sie und ging weiter. Sie seufzte und versuchte es nach einigen Augenblicken noch einmal:

„Gib es zu! Du weißt genauso wenig wie ich, wo wir sind“. Sein Griff verstärkte sich zunehmend. Sie wusste, dass sie anfing langsam verrückt zu werden: „Ha, dann hatte ich also recht!“. Aurelia lachte kurz auf, hörte aber abrupt auf, als sie gegen die Steinwand gepresst und ihre Luftröhre zerdrückt wurde. Sie rang nach Luft, grub die Finger in ihre Handfläche, bis der Schmerz größer war als die Atemnot. Er hielt sie an den Schultern fest und drückte sie hart gegen den kalten Stein:

„Halte einfach deinen Mund, verstanden!?“.

Nachdem sich ihre Atmung wieder etwas normalisiert hatte, japste sie: „Der Tag wird kommen, an dem ich dich umbringen werde!“.

Er lachte auf und lockerte seinen Griff: „Ach, dass würde ich ja zu gerne...“. Er schnitt sich selber das Wort ab, ließ sie los und fasste sich an die Brust. Keuchend krümmte er sich einen Moment, fing sich wieder, holte tief Luft und richtete sich wieder auf. Aurelia hatte ihre eigenen Schmerzen vergessen und fragte sich stattdessen, was er hatte, denn es sah nicht so aus, dass die Wunden das Problem wären.

Dann standen sich beide eine Minute stillschweigend gegenüber, rührten sich nicht. Vielleicht hätte sie es geschafft zu fliehen, schob es aber für einen Zeitpunkt auf, in dem sie wusste wo genau sie sich befand.

Sein Gesichtsausdruck änderte sich und ehe Aurelia reagieren konnte, nahm er sie grob am Arm und zog sie zielstrebig hinter sich her. Kurz darauf erreichten sie einen Gang, der durch Fackeln hell erleuchtet wurde. Aurelia musste blinzeln, da die bisherigen Tunnel auf der dämonischen Seite nur dürftig beleuchtet waren. Sie steuerten auf das Ende des Ganges zu, das nichts anderes als eine Wand wie jede andere zu sein schien. Aus dem Blickwinkel konnte sie die hervorgetretenen Blutergüsse und die inzwischen trockenen Blutspuren erkennen. Vor ein paar Stunden hatte sie noch gemeint, dass sie sich das dunkel- blaue, fast schwarze Blut vor Müdigkeit nur einbilden würde, doch nun konnte sie sehen, dass sie das nicht getan hatte. Normalerweise hatten Dämonen schwarzes Blut, so schwarz wie ihre Seele. Aber wenn man genau hinsah, hatte er dunkel- blaues Blut. Aurelia wurde je aus ihren Gedanken gerissen, als sie seine Stimme hörte.

„Halte am besten die Luft an und folge mir. Stell keine Fragen“.

Als sie an der Wand ankamen beschleunigte er nochmals sein Tempo. Sie nahm den letzten Atemzug und kurz darauf war sie von kaltem Stein umgeben. Als sie die Augen wieder öffnete befand sie sich auf einer Straße. So wie es aussah waren sie in der High Street gelandet, neben der sich die alte St. Giles Cathedral befand. Aurelia hatte sie schon mehrfach bewundert, doch mit dem was sie darstellte, eine Kirche, hatte sie genauso wenig wie der Rest der Engel und Dämonen zu tun. Sie hatten kein Glauben, keine Priester, keine Götter. Sie waren Krieger, an mehr mussten sie nicht glauben.

Plötzlich spürte Aurelia wieder seine Hand an ihrem Nacken.

„Los weiter“, sprach er und zwang sie, sich in Bewegung zu setzen. Sie passierten das Royal Museum of Scottland und gingen in eine stark belaufene Einkaufstraße. Er zerrte sie unter einem Rundbogengang durch. Es war unmöglich sich unter seinem Griff zu wehren. Er würde ihr sonst einfach das Genick brechen. Trotzdem musste ihr irgendetwas einfallen. Aurelia konnte sich nicht darauf verlassen, dass Elijah ihr noch folgte, nicht mehr. Schließlich hatte sie sich das auf eine gewisse Weise selbst zuzuschreiben.

Doch bevor sie einen Plan zurechtlegen konnte, stürzte sie zu Boden. Und schrie. Unerträgliche Schmerzen durchfuhren ihren Körper und zogen sie innerlich zusammen. Der Boden vor ihrer Nase fing an zu beben, der Asphalt riss auf. Laternen und Straßenschilder kippten um. Die Gebäude bekamen Risse an ihren Fassaden und krachten anschließend ineinander zusammen, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Die Menschen kreischten, rannten um ihr Leben. Doch niemand blieb verschont. Sie wurden von den Trümmern der Häuser zerquetscht oder fielen in den endlosen Abgrund, der sich vor ihnen ausbreitete. Ein Sturm zog auf. Einzelne Äste der Bäume wirbelten in der Luft herum. Aurelia konnte einem gerade noch ausweichen, als dieser zu Asche zerfiel und sein Staub ihr ins Gesicht wehte. Aurelia sah gen Himmel. Er wurde immer dunkler. Die Sonne färbte sich von einer gold- gelben Scheibe zu einer glühenden Feuerkugel. Feuerballen stürzten auf die Stadt hinab und setzten sie in Brand. Aschenregen setzte ein. Das Schreien der Menschen verstummte, keiner hatte überlebt. Aurelia war allein. Allein, während die Welt die Hölle lostrat.
 

„Das ist nicht real!“, schrie eine weit entfernte Stimme. Aurelia atmete ruckartig auf. Ihre brennenden Augen waren weit aufgerissen, Tränen liefen ihr über die Wange. Ein kräftiger Schlag ins Gesicht ließ sie aus ihrer Starre lösen. Der Schmerz durchflutete sie und erinnerte sie daran, dass das, was gerade passiert oder auch nicht passiert war, ihr für einen Moment so klar und zum greifen nah gewesen schien, einfach in sie hinein gestürmt war.

Aurelia blinzelte und erkannte den Dämon, der direkt vor ihr kniete. Etwas ähnliches wie Zorn flackerte in seinen Augen.

„Du schlägst mich?!“, schrie sie ihn an, holte mit geballter Faust aus und schlug ihm heftig in den Kiefer. Er zuckte einen Augenblick zusammen, griff dann aber nach ihrem Handgelenk und hielt es eisern fest.

„Ja! Es funktioniert ja anscheinend nicht anders!“, erwiderte er wütend. Aurelia währte sich, ließ es aber sein, als ihr wieder einfiel, dass das nichts brachte: „Du kannst von Glück reden, dass die Menschen uns nicht sehen können, sonst wärst du geradewegs auf dem Weg in die Psychiatrie“. Er schien vor Wut zu glühen. Ein Moment verstrich und Aurelia versuchte sich zu beruhigen. Ihre Kehle war ganz ausgetrocknet und kratzte schrecklich.

Die Fußgänger liefen ihre Wege und kümmerten sich um ihre eigenen Probleme. Was war gerade geschehen? Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Leben außer Kontrolle geraten. Nichts passte mehr zusammen und ließ sich einfach nicht mehr steuern.

Sie nahm kaum wahr, wie der Dämon sie wieder auf die Beine zog. Er sagte ihr zwar, dass sie weitergehen sollte, doch seine Worte drangen kaum zu ihr durch. Beide standen immer noch unter dem Rundbogengang, von dem man einen hübschen Ausblick auf den Platz hatte. Aurelia war noch immer wie betäubt, kam aus der Trance nicht raus. Auf einmal hob er sie hoch und legte sie sich über die Schulter. Danach setzte er sich eilig in Bewegung. Sie tat gar nichts, ihr regloser Körper ließ sich von seinem tragen und kämpfte erbittert gegen den Schmerz an.

Die Gebäude standen stabil, die Äste der Bäume bewegten sich nur, wenn der Wind auffrischte. Die Ampeln wechselten von rot auf grün. Alles war wie immer. Verlor sie den Verstand?

Dann bekam sie gar nichts mehr mit. Man hätte meinen können, ihr wäre es egal wo der Dämon sie hinbrachte, aber tief in ihrem Inneren tobte ein Kampf, ein Kampf mit sich selbst. Sie musste etwas unternehmen! Aber letztendlich siegte die sonst so ungewohnte Antriebslosigkeit doch.

Nach einer Weile spürte Aurelia, wie sie eine Außentreppe hoch getragen, eine Tür geöffnet und in einen Lichtdurchfluteten Raum gebracht wurde. Die Wände waren weiß gestrichen und auch der Rest der Möbel wurden zum größten Teil in hellen Tönen gehalten. Die Fenster waren riesig und bieten einem die Sicht auf die Stadt und dem dahinterliegenden Edinburgh Castle.

Der Dämon legte sie unsanft auf eine lederne Couch und verschwand um die Ecke. Aurelia blieb noch einen Moment liegen. Sie rührte sich nicht, hielt aber trotzdem die Augen offen. Wie aus dem Nichts übernahm eine unvertraute Kraft ihren Körper: „Er wird kommen!“, flüsterten drei unterschiedliche Stimmen aus ihrem Mund: „Er wird kommen!“, riefen sie, diesmal lauter. Ihre Stimmlagen veränderten sich gleichzeitig mit Aurelias Atem. Ihr Blut pulsierte plötzlich in ihren Adern nach vorne und weckte sie aus ihrer Antriebslosigkeit. Auf einmal war sie wieder sie selbst. Die unheimlichen Stimmen, woher sie auch immer gekommen waren, waren verschwunden, als wären sie nie da gewesen.

Aurelia stand auf, nicht länger gewillt sich unter den Befehlen des Dämons zu beugen. Er kam wieder ins Zimmer und würdigte sie keines Blickes. Anscheinend war er immer noch der Annahme, dass sie in ihrem Trance artigem Zustand auf dem Sofa lag. Er kehrte ihr den Rücken zu und wandte sich einer Sache am Tisch zu, die scheinbar seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass er sie, - die Stimmen- gar nicht gehört hatte.

Aurelia schlich näher an ihn heran. Während sie darauf achtete, dass er sich nicht umdrehte, hielt sie ihren Blick starr auf seinen Rücken gerichtet und zog den Schürhaken des eingebauten Kamins an der Wand heraus. Als sie so dicht an ihm dran war, dass sie jede Kontur der Wunden an seinem Hals sehen konnte, bemerkte Aurelia, dass er um seine Hand einen Verband wickelte. Ohne einen weitere Moment zu vergeuden, verstärkte sie ihren Griff um den Schürhaken, holte aus und wollte auf ihn einschlagen. Bevor jedoch der Haken ihn erreicht hatte, drehte er sich zu ihr um und bekam die Metallstange zu fassen. Der Dämon riss ihre Hand vom Haken weg und hielt sie so fest umklammert, dass es schmerzte und einige ihrer Knochen knacksten. Er warf den Schürhaken beiseite. Dann holte er Schwung, um ihr ins Gesicht zu schlagen. Aurelia wich in letzter Sekunde geschickt aus und nutzte den kleinen Augenblick, um unter seinem Arm hindurch zu tauchen. Sie packte ihn am Hals, wodurch er erschrak. Er fasste sich aber schnell wieder, zog einen versteckten Dolch aus seinem Gürtel und schlang ihr den Arm um den Hals. Die Klinge hielt er ihr an die Kehle.

„Ich glaube du lässt so etwas besser. Zu deinem eigenen Wohl.“, raunte er ihr mit düsterer Stimme zu.

„Auf deine Ratschläge kann ich gut verzichten!“, zischte sie zurück. Aurelia war der kalte, leichte Druck des Dolches nicht entgangen. „Du wirst es bitter bereuen!“.

„Du wärst nicht der erste Engel, den ich umbringen würde“. Er stand jetzt so nah bei ihr, wie noch nie ein Dämon zuvor. Sie konnte den Zorn in seinen Augen erkennen und genauso sah auch sie ihn an. Wieder einmal glühten seine Augen wie loderndes Feuer.

Ein lautes Krachen ertönte.Ihr Blickkontakt brach sofort ab. Reflexartig drehten sie sich zur Wohnungstür um, die im selben Moment aufgerissen wurde.

Kapitel 17

Als sie die Wohnungstür aufbrachen und einen Fuß über die Schwelle setzten, hatte Amaya kaum Zeit sich umzusehen, als sich jemand neben ihr auf Javier stürzte. Ihre Schutzfunktionen setzten sich sofort in Alarmbereitschaft. Der schwarzhaarige junge Mann drückte Javier an die Wand, presste ihm die Luft aus den Lungen und zielte mit seinem Dolch direkt auf die Kehle ihres Schützlings.

Augenblicklich warf sich Amaya auf den Angreifer und riss ihn somit von Javier los. Mit einem gekonnten Tritt rammte sie ihm in den Bauch, schlug ihn mit der Faust nieder und wollte ihm das Genick brechen, als sie plötzlich sein Gesicht erkannte. Amaya hielt reflexartig inne, was ein fataler Fehler war. Sie wollte gerade noch so vor ihm ausweichen, als er ihr mit seinem Dolch schon eine Schnittwunde am rechten Arm zugefügt hatte. Schmerzhaft taumelte sie zur Seite und stieß gegen einen Tisch. Sie hatte vergessen ihre Schutzschilde wieder hochzuziehen.

„DU?! Schon wieder?! Was zum Teufel machst du hier?!“, fragte sie in einem entsetzt lauten Ton.

„Abgesehen davon, dass du einen Menschen bei dir hast und ich dich dieses mal fast besiegt habe, könnte ich dich dasselbe fragen!“, gab er zornig zurück.

Als Amaya seine Stimme hörte, erinnerte sie sich auch sofort wieder an seinen Namen. Samael. Und da er das Wort „Mensch“ so ausgesprochen hatte, als wäre es Gift, riss sie ihre innere Kraft auf Anhieb hoch und sandte sie in den Raum. Dadurch verbreitete sich eine, größtenteils, neutrale Stimmung und die Gefahr, dass Samael sich erneut auf Javier stürzte schmolz dahin.

Auch der Engel, der sich im Zimmer aufhielt, war ihr nicht entgangen. Sobald die Kraft auch sie erreicht hatte, verlagerte sie ihr Gewicht und ihre Gesichtszüge glätteten sich. Amaya setzte ein kurzes zufriedenes Lächeln auf, konzentrierte sich dann auf Javier, nur um festzustellen das ihm nichts fehlte.

„Jedenfalls habe ich meine Gründe, warum ich meinen Schützling bei mir habe, Samael! Ich frage mich aber, warum du dich mit einem Engel herumdrückst?!“. Amaya hielt seinem Blick noch einen kurzen Moment stand, bevor sie sich zu dem Engel wandte und sie herausfordernd ansah. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.

„Keine Angst, wir wollten uns gerade an die Kehle gehen“, brummte Samael. Amaya wollte etwas erwidern, als der Engel das Wort ergriff:

„Moment mal. Ihr kennt euch?! Ein Geist und ein Dämon?“, fragte sie ungläubig.

„Ja, leider“, sagte Samael leise, aber trotzdem laut genug, dass es alle hören konnten.

„Ist etwas über ein Jahr her“. Amaya machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Es war der Tag meiner Prüfung zum Wächter, auch Silithas genannt. Wir, also andere Prüflinge und ich, hatten die Aufgabe uns einem Dämon oder einem Engel zu stellen, ihn zu bekämpfen. Als ich Samael begegnet bin, wusste ich, dass er mein Gegner sein würde“. Sie bereute es jetzt schon, dass was sie nun sagen würde, gesagt zu haben: „Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass er ein so guter und unvorhersehbarer Kämpfer sein würde. Wir kämpften mehrere Stunden lang. Als schließlich für mich die Zeit abgelaufen war, wurde ich automatisch in eine andere Dimension teleportiert“.

„Was ist dann passiert?“, fragte Javier.

„Dort musste ich mich einem Engel stellen, den ich dann auch besiegt habe“, antwortete Amaya.

„Warte, der Mensch weiß von uns? Von allem?!“, Samael war schockiert.
 

Javier konnte es nicht fassen. In den letzten Stunden hatte sich alles verändert und glauben konnte er es immer noch nicht richtig. Alles war so irrational.

Als wäre es nicht schon unglaublich genug mit einem Art Geist unterwegs zu sein, standen jetzt auch noch ein Engel zu seiner linken und ein Dämon zu seiner rechten. Amaya mittendrin.

Sie hatte in ihrer Prüfung gegen Samael gekämpft und keiner von ihnen war als Gewinner oder Verlierer vorgegangen...

„Ja, er weiß davon! Es ging in dem Moment nicht anders!“, meinte Amaya: „Und was machst du eigentlich hier? Verlasse die Wohnung auf der Stelle!“.

„Wieso sollte ich das? Sie gehört zu dem Territorium der Dämonen!“, gab Samael zurück.

„Die Wohnung gehört meiner Familie!“, schrie Amaya und stellte sich vor ihm kampfbereit auf.

„Willst du mich etwa herausfordern?! Ich glaube du weißt so gut wie ich, dass du mich nicht so leicht besiegen kannst!“.

Kaum hatte Samael das gesagt, kassierte er einen heftigen Faustschlag ins Gesicht. Er schrie wutentbrannt auf und wollte sich gerade auf Amaya stürzen, als sich der Engel zwischen sie stellte.

„STOPP!“, brüllte sie.

Augenblicklich hielten beide inne und starrten sie an. Javier trat vor und nahm Amaya am Arm, um sie von Samael fort zu ziehen. Der Engel blieb noch einen Moment bei Samael stehen, um sicher zu gehen, dass er sich nicht gleich wieder auf Amaya stürzen würde. Danach rückte sie ab und stellte sich in ihre eigene Ecke. Dann blieb es still. Samael ging in Richtung Küche. Als er dort ankam betrachtete er seine verletzte Hand, doch Javier, er wusste zwar nicht woher, war sich aber ziemlich sicher, dass er genau das Gegenteil tat. Er beobachtete alle Anwesenden und konzentrierte sich auf jeden ihrer Schritte. Javier wandte sich wieder Amaya zu:

„Bist du okay?“

„Ja, klar“, meinte sie, lächelte ihn kurz an und ging zur Couch, die an einem der großen Fenster stand. Sie setzte sich und legte den Kopf in die Hände.
 

'Was passiert hier nur? Ich habe das Gefühl, als ob alles außer Kontrolle geraten würde. Und anstatt meinen Onkel ihr anzutreffen, stehen auf einmal ein Engel und ein Dämon vor mir...Wo zum Teufel steckt Mirac? '.

Amaya konnte ihre Enttäuschung nicht leugnen. Sie versuchte Kontakt mit ihm aufzunehmen, doch er versperrte, wie erwartet, sein Innerstes noch immer vor ihr. Trotz allem machte sie sich auch Sorgen um ihn: 'Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen...Oh, lass diene Haltung nicht fallen!'. Beherrscht richtete sich Amaya wieder auf und sah sich im Raum um.

Samael war in die Küche gegangen und der Engel, von dem sie ihren Namen immer noch nicht kannte, hatte sich etwas abseits gestellt und starrte aus dem Fenster. Javier ließ sich neben Amaya nieder, die immer noch versucht war, die neutrale Stimmung aufrecht zu erhalten.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Javier.

„Wir werden auf Mirac warten müssen. Ich kann keinen Kontakt mehr zu ihm aufbauen. Seine Gedanken sind verschlossen. Wir können nur hoffen, dass er noch kommt, und zwar bald. Was Samael und den Engel betrifft,“, Amaya zeigte mit dem Kopf in ihre Richtung: „hoffe ich ebenfalls, dass sie sich bald verziehen werden. Aber eins steht fest. Ich kann unmöglich einen Kampf riskieren. Ich weiß nicht in welcher Beziehung sie genau zueinander stehen, wobei ich stark vermute, dass sie nicht gut ist. Bei Samael weiß man nie so recht. Er hat zwar gesagt, dass sie sich gerade die „Köpfe einschlugen“, als wir kamen, aber ich werde kein Risiko eingehen. Nicht das sie auf einer Seite stehen würden, aber...“

„Verstehe...aber warum bekriegen sich Engel und Dämonen? Ich meine, ist es wirklich so, dass einer der Gute und der andere der Böse ist?“, wollte Javier wissen.

Amaya schüttelte den Kopf: „Die meisten, oder besser gesagt alle Menschen würden so denken, dass die Engel die Guten und die Dämonen die Bösen sind. Aber in Wahrheit ist es gar nicht so. Denn letzten Endes wollen beide Reiche dasselbe: Den Untergang der gegnerischen Nation. Klar. Aber man kann auf keinen Fall sagen, dass die Engel alles Schöne und Liebe sind. In eurer Welt verkörpern sie es nur. Und andersrum kann man nicht sagen, dass die Dämonen alles Schlechte und Böse sind und vom Teufel persönlich geschickt wurden. Aber bei den Menschen stellen sie eben die Hölle dar, was aber nicht heißen muss, dass es so ist. Es ist nicht leicht zu verstehen, aber wenn man sich in beide Seiten hineinversetzen kann, dann fällt es einem schon deutlich leichter“.

Amaya lächelte ihm kurz zu und versuchte es so verständlich wie möglich zu machen:

„Fangen wir am Besten bei den Fähigkeiten an. Beide Seiten haben ihre Stärken und Schwächen. Ich habe ja schon gesagt, dass Menschen gelegentlich von Dämonen angegriffen werden. Engel tun das aber auch, nur auf ihre ganz eigene Weise. Sie manipulieren euch, kontrollieren und verdrehen die Gedanken und Gefühle der Menschen. Während Dämonen zur Gewalt übergehen, bleiben sie hinterlistig im Hintergrund. Allgemein gelten Engel als eigennützig, egoistisch und vielleicht etwas hochnäsig“. Amaya blickte zum Engel auf, der näher gekommen war. Vor lauter Wut schien sie gar nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Samael unterdrückte krampfhaft ein Lachen und hielt sich die Hand vor den Mund. Allein Amayas Macht über die neutrale Stimmung hielt den Engel zurück, nicht auf sie loszugehen. Der Engel schrie aufgebracht und verschwand im Zimmer nebenan.

„Aber ich denke nicht, dass, das auf alles Engel zutrifft“, fügte Amaya hinzu und so meinte sie es auch: „Engel gehen sehr taktisch vor, wenn es die Situation zulässt, was sehr clever ist. Dämonen hingegen können es meistens kaum abwarten zuzuschlagen, ohne darüber nachzudenken. Das kann manchmal ein verheerender Fehler sein, aber es ist natürlich auch nicht gut zu lange zu warten“. Javier nickte.

„Ja, und Geister tun so, als würden sie alles besser wissen und können.“, fügte Samael hinzu, in dessen Stimme ein kleiner Anflug von Zorn zu hören war.

Amaya verdrehte die Augen: „Ja genau, dass tun wir“, sagte sie ironisch. Sie nutzte die Zeit, um die Schwingungen der neutralen Stärke zu intensivieren. Denn sie war sich sicher, dass das, was sie nun sagen würde, keine ausgelassene Stimmung fördern würde.

„Wie schon gesagt streben Engel wie auch Dämonen nach dem Untergang der Gegner. Sie bekriegen sich schon seit Anbeginn der Zeit, aber keiner von beiden erreicht einen endgültigen Sieg. Das liegt daran, dass beide Reiche an jeweils eine Materie gebunden ist. Die Dämonen sind mit der Midgardschlange, Jörmungandr, verbunden. Stirbt sie, sterben auch die Dämonen. Bei den Engeln ist es Yggdrasil. Fällt die Weltesche, fallen auch die Nachkommen des Himmels. In beiden Fällen wäre es eine unvorstellbare Apokalypse, die, die Welt in Schutt und Asche legen würde. Und dann wären wir wieder an der Stelle, die ich dir im Zug erklärt habe...“.

„Fällt das eine, stirbt auch das andere“, beendete Javier ihr den Satz.

„Genau. Und nur die Seite, die an dem Untergang schuld wäre, würde aufsteigen und überleben. Um den Sieg aber überhaupt zu erreichen, bräuchte sie eine bestimmte Essenz“. Amaya sah Javiers unglaublichen, aber auch in gewisser Weise faszinierten Blick und war erleichtert, dass er nicht aufsprang und weg ging. Dann wappnete sie sich für das, was jetzt noch gesagt werden musste: „Damit das aber nicht passiert, haben wir Geister ebenfalls die Aufgabe von Hel zuteil bekommen nicht nur die Midgardschlange, mit der sie verwandt ist, zu beschützen, sondern auch den Weg nach Yggdrasil geheim zu halten, zu bewahren. Kein Engel und kein Dämon dürfen jemals erfahren, wo sich beide Materien befinden...“, Amaya senkte den Blick für eine Sekunde und hob ihn wieder: „Es ist eine schwierige Aufgabe, der man neben dem Schutz der Menschen nachkommen muss, aber es ist ein umso höheres Privileg für uns. Es ist ein heiliger Dienst, dem man am Ende seiner Ausbildung einen Schwur leisten muss“.

Javier nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte: „Gut. Und die Dämonen und Engel greifen euch für das, dass ihr ihnen den Weg zu ihrem Sieg versperrt, nicht an?“.

„Nein. Das können sie auch gar nicht. Wir Geister sind in der Lage uns in einen „Rauch-artigen“ Zustand zu verwandeln, in dem sie uns nicht verletzen können. Unsere Körper kann man dann zwar immer noch sehen, aber Schaden nehmen können wir keinen“.

Er sah sie verständnisvoll an und das Blau in seinen Augen verstärkte sich. So schien es Amaya jedenfalls.

„Sag mal, musstest du das ihm jetzt erzählen?!“, schrie Samael wütend und kam auf sie zu.

Amaya stand sofort auf und ging in die Offensive, falls es zum Äußersten kommen sollte. In dem Moment ertönte ein verzweifeltes Kreischen, aus dem Zimmer nebenan.

Kapitel 18

'Wie kann sie sich nur das Recht nehmen, so über Engel zu reden?!', flog es Aurelia durch den Kopf. 'Und warum hat sie sich ihrem Schützling gezeigt?! Ist ihr klar, was das für Folgen haben könnte? Als wäre es nicht schon genug, dass er von ihr weiß, da erzählt sie ihm noch von Engeln und Dämonen!'.

Aurelia konnte es nicht fassen. Sie fuhr sich frustriert übers Gesicht und atmete langsam ein. 'Bloß nicht den Verstand verlieren!'.

Unwillkürlich musste sie an den Dämon denken, der im Wohnzimmer stand und gerade ein unverständlichen Kommentar von sich ließ. Sein Name war also Samael. Aurelia musste Schmunzeln. Übersetzt hieß der Name »Gift Gottes« und zutreffender hätte es nicht sein können, dachte sie. Wut keimte in ihr auf. Er hatte ihr die Flugkraft genommen und so wie Aurelia vermutete, war auch er der einzige, der sie ihr wieder geben konnte. Sie spannte ihre Schulterblätter an, so wie jedes Mal, wenn sie ihr Flügel hervorbringen wollte. Doch anstatt kräftiges Muskelgewebe zu spüren, fühlte sie nichts, als wäre die Stelle, an der sonst ihre Schwingen auftauchten, ein tiefes Loch.

Aurelia schwor sich ihn umzubringen, sobald der Geist mit seiner Fähigkeit der neutralen Stärke und dem Mensch verschwunden war und sie ihre Flügel wieder hatte. Sie würde sich eine solche Möglichkeit nicht noch einmal entgehen lassen!

Plötzlich hörte sie Samael wütend schreien und wurde so aus ihren Gedanken gerissen. Aurelia setzte sich schlagartig in Bewegung.

Auf halbem Weg zur Tür hielt sie plötzlich inne, als hätte eine andere Macht ihren Körper ergriffen. Eine unsichtbare Kraft schleuderte sie gegen die Wand, die darauf zu bröckeln anfing. Als sie schmerzhaft auf dem Boden aufkam, fingen die langen Flächenvorhänge an lichterloh zu brennen. Das Feuer setzte seinen Weg fort und breitete sich im ganzen Zimmer aus. Aurelia versuchte mit ihrem letzten freien Willen nach vorne zu kriechen. Doch ehe sie nur in die Nähe der Tür kam, zog das Feuer ein Kreis und schloss sie ein. Aurelia saß in der Falle.

Keuchend wagte Aurelia sich aufzurichten, doch sobald sich ihr Oberkörper vom Boden entfernt hatte, zog sie eine ungewohnte Kraft zurück und ließ sie erneut hart aufkommen. Ihr Sehvermögen fing an zu verblassen und wurde immer schwärzer. Aurelias Körper fing an zu zittern und ihre Fingern gruben sich in die grauen Holzdielen. Die Stimmen, die sie schon vorhin heimgesucht hatten kehrten zurück und ließen Aurelia laut schreien:

„Er ist angekommen! Er ist hier!“. Die drei unterschiedlichen Stimmen schrien diese Worte viele Male, sodass Aurelias Kehle brannte. Das Feuer verdichtete sich immer mehr und kam auf sie zu. Sie konnte die gefährliche Hitze der Flammen auf ihrer Haut spüren und wusste, dass es nur noch wenige Augenblicke sein würden, bis sie sie endgültig erreichten. Sie schrie und schrie immer weiter.

In dem Moment, in dem das Feuer ihre Haut verbrannte, wurde die Tür aufgestoßen und drei Gestalten kamen rein gerannt.

„Los, wir müssen sie hier weg bringen!“, brüllte eine weibliche Stimme. Auerlia erkannte sie und wusste, dass es der Geist war. Kaum hatte sie das gesagt, eilte sie mit einer anderen Gestalt durch den Raum und trat durch das Feuer hindurch. Wie schafften sie es durch die Flammen zu schreiten, ohne das es ihnen etwas ausmachte?!

Noch bevor sie den Gedanken zu Ende brachte, schlangen sich kräftige Arme um ihren Körper und trugen sie aus den zerfleischenden Flammen der Hölle.

Kaum hatten sie das Zimmer verlassen kam Aurelia willkommenen Kühle entgegen und hüllte sie in einen wach- schläfrigen Zustand. Die Geschehnisse der folgenden Minuten bekam sie nur am Rande mit.

„Hier rein...leg sie dahin...spinnst du, das ist viel zu heiß!...ja...nein...geht jetzt bitte raus!“.

„...mach es doch selbst...“.

„Kommst du klar?...nein, habe ich nicht“.

„Ja...könntet ihr jetzt bitte gehen?!“.

„...liebend gern...“.

Aurelia hörte wie die Tür geschlossen wurde und Schritte auf dem Gang verhallten. Ein kurzes quietschendes Geräusch war zu hören. Kaltes Wasser prasselte auf ihren Kopf, lief an ihren Haaren und Augen hinunter. Sekunden später klatschte es auf den Boden und sammelte sich im Abguss. Warme Hände berührten ihre Wange und hielten Aurelia fest, damit sie nicht umkippte.

„Kannst du mich hören? Hallo?!“. Als Aurelia nichts erwiderte, sprach die Stimme weiter: „Ich weiß zwar nicht, ob du mich hören kannst, aber ich werde tun was in meiner Macht steht, damit es dir wieder besser geht...was immer du auch hast. Ich bin Amaya, der Geist mit dem du vorhin gesprochen hast. Erinnerst du dich? Ich werde jetzt in dein Verstand eindringen und versuchen dich zu heilen, okay?“. Amaya wartete keine Antwort ab, legte ihre Hände auf Aurelias Schläfen und schloss die Augen.

Aurelia spürte, wie eine unscheinbare Präsenz in ihren Kopf drang und ihr befahl sich keine Sorgen zu machen. Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild von einem weiß- eisblauen Nebel, der sie umgab und leicht hin und her schwankte. Die Zeit verging und Aurelias Bewusstsein verschwand zunehmend. Der Nebel versuchte immer wieder sie zu halten und zum bleiben zu zwingen, doch irgendwann ließ seine Kraft nach und er gab auf.

„Ich kann nicht in dein Innerstes eindringen. Irgendetwas versperrt mir den Weg und lässt mich nicht drum herum kommen. Ich versetze dich nun in einen Trance artigen Zustand. Er wird dir helfen von deinen Visionen loszukommen. Wenn du soweit bis, wirst du von selbst wieder aufwachen. Ich lass dich jetzt allein...hoffentlich konntest du mich hören...“.

Amaya legte Aurelia auf den Boden der Dusche und ließ das Wasser absichtlich an. Es würde ihr helfen sich zu regenerieren. Danach ging sie zur Tür, sah aber noch einmal über die Schulter zu der gekrümmten Gestalt, bevor sie in den Flur hinaustrat.

Unendliche Stille legte sich über den Raum, einzig und allein unterbrochen von dem Wasser, das sich über Aurelias Körper ergoss. Sie konnte sich weder rühren noch die Augen öffnen und alles was sie herausbrachte, war ein heißeres krächzen. Wie gelähmt löste sie sich von dem letzten Stück ihres Bewusstseins und ließ sich von der Energie des Trance Zustandes weit wegtreiben.

Ihr Geist schwebte in das endlose Nichts und nahm nur den rhythmischen Schlag ihres Herzens wahr.

Auf einmal drängte sich eine neue, fremde Präsenz in ihren Bann. Aurelia schreckte zurück, merkte dann aber das sie in dem blau- grau nebligem Raum gefangen war. Zumindest so lange, bis sie sich von den schrecklichen Visionen gelöst und einen Weg zurück zum Bewusstsein gefunden hatte. Sie konnte die unbekannte Präsenz nicht sehen, aber deutlich spüren. Spüren, dass die Präsenz eine bedeutende Verbindung zu ihren Visionen hatte und das noch nicht allzu lange. Sie stimmte mit den Halluzinationen überein.

Auf einen Schlag blitzte ein hell leuchtender Schimmer auf und anstatt das er verschwand, blieb er an Ort und Stelle. Er leuchtete von innen heraus so kräftig und gewaltig, dass sich Aurelia mit dem Arm schützen musste, um nicht zu erblinden. Sie wagte es nicht noch einen Schritt auf den Lichtschein zu zumachen.

„Aurelia Keyland“. Die Stimme war tief, männlich und hatte dennoch etwas exotisches an sich. Aurelia konnte sie keiner Person, die sie kannte, zuordnen. Woher kannte er ihren Namen?

„Wer bist du? Und wieso weißt du, wie ich heiße?“, fragte sie, ohne zu wissen, was als nächstes auf sie zukommen würde.

„Falscher Körper, falsches Schicksal. Odin, du göttlicher, hast mich mit in deine Schlacht gezogen, mir einen Befehl gegeben und meinen gerechten Weg verfehlen lassen. Thor, mein Bruder lass deinen Zorn nicht walten, beschütze diejenigen, die deinen Schutz brauchen...“.

„Wer bist du?“, wollte Aurelia wissen und fing an leicht zu zögern. Was hatte das alles zu bedeuten?

Sie hörte die Stimme scharf die Luft einziehen. Der Lichtstrahl wurde größer und kam auf sie zu, als würde er eine Hand nach ihr ausstrecken.

„Es bleibt kein anderer Ausweg übrig“. Stille. „Folge ihm!“.

Und ohne weiter darüber nachzudenken, ergriff Aurelia die unsichtbare Hand des Lichtes und ließ sich von ihm verschlingen.
 

Aurelia schlug abrupt die Augen auf und wusste, dass sie zurück war. Entflohen von den Schlingen der Halluzinationen der Hölle.

Kaltes Wasser rann ihr über die Schultern. Ihre Klamotten waren inzwischen klatsch nass und klebten ihr unangenehm an der Haut. Mit neu errungener Kraft setzte sie sich auf und legte den Wasserhebel um.

Aurelia atmete tief ein, stand zitternd auf und ging zum Waschbecken. Verkrampft umfasste sie den Rand des Porzellans und versuchte sich zu sammeln.

'Was war das gewesen? Das war doch nicht normal', ging es ihr durch den Kopf, 'Wer hatte dort zu mir gesprochen? Warum hatte er von Odin und Thor gesprochen? Eine der ranghöchsten aller nordischen Götter. Und was hatte er mit „Folge ihm“gemeint? Alles was ich weiß, ist das er der Grund ist, weshalb ich wieder das Bewusstsein erlangt habe. Hatte er mir geholfen? Und wenn ja, wieso?'.

Aurelia zwang sich ihre Gedanken so gut es ging beiseite zu schieben. Wenn sie jetzt noch weiter darüber nachdachte, würde sie noch verrückt werden.

Dennoch flossen ihr einzelne Erinnerungen der vergangenen Stunden widerspenstig durch den Kopf. Aurelia wurde sie nicht los.

Frustriert stieß sie sich vom Waschbecken ab und ging schnurstracks zur Tür. Leise schlich sie den hellen Flur entlang und kam durch einen Rundbogen aus cremefarbenen Holz im Wohnzimmer raus. Zwei Gesichter sahen sie verwundert an, während das andere einen etwas erwartungsvollen Blick drauf hatte. Amaya. Sie stand von der Couch auf, auf der auch der Mensch saß und kam auf sie zu:

„Und, wie geht es dir? Hast du irgendetwas herausgefunden? Was hast du gesehen?“, fragte Amaya neugierig. Aurelia sah einen kurzen Moment auf den Boden. Sie wusste nicht, ob sie bereit dazu war, von dem was sie gesehen hatte, zu erzählen.

Das Feuer, die Stimmen, der Schmerz, der sich tief in ihr innerstes gebohrt hatte, als würde er sie auseinanderreißen. Außerdem, würden sie ihr überhaupt glauben? Ihr war klar, dass das Feuer zwar nicht real gewesen war, aber die tiefe Männerstimme war etwas, das wirklich gewesen war. Das wusste sie mit Sicherheit.

Aurelia hob wieder ihren Blick, und sah Amaya selbstbewusst in die Augen. Ahnte sie etwas?

„Mir geht es gut, danke. Und auch vielen Dank für deine Hilfe“, sagte Aurelia. Als sie darauf zu Samael und dem Menschen sah, wurde ihr klar, dass sie in so etwas wie einer Erklärungsnot stand.

Grübelnd ging sie zum einen der großen Fenster und blieb dort stehen, den Blick auf die Stadt gerichtet.

„Ich weiß nicht woher sie kommen und warum ich sie überhaupt sehe, mir einbilde. Jedes Mal eröffnet sich vor meinen Augen die brennende Schlucht der Hölle oder der Erdboden reißt auf und verschlingt alles Lebende“.

„Was fühlst du dabei?“, fragte Amaya.

„Schmerz. Ein unaussprechlicher Schmerz, der sich immer weiter in mein Innerstes hinein bohrt und mich auseinanderzureißen scheint. So kommt es mir zumindest vor. Es lässt sich nicht verhindern, es passiert einfach“.

„Wir Geister kennen eine bestimmte Heilmethode. Ich habe schon versucht sie bei dir anzuwenden, aber ohne Erfolg. Ich kann nur vermuten, dass dich etwas größeres blockiert, sich aber bald zeigen wird. Was immer es ist, du wirst demnächst herausfinden was es ist“. Amaya trat näher an sie heran: „Aber um das tun zu können, musst du dich dem öffnen, was sich dir in den Weg stellt“.

Einige Sekunden blieb es still, dann:

„Wie kommt es, dass ihr Geister darüber so viel wisst?“, wollte Samael wissen.

„Wir erlernen eben in unserer Ausbildung nicht nur Kampftechniken, Dämon“.

Aurelia drehte sich um und sah in die Runde. Amaya stand neben ihr, der Mensch, der bis eben noch auf der Couch gesessen hatte, war nun aufgestanden und hatte sich gegen die Rückenlehne des Sofas gelehnt. Samael stand ein paar Meter weiter entfernt und nickte kaum merklich.

„Ist ja...“, begann er seine Worte, wurde aber abrupt gestoppt, als ein weiterer schmerzhafter Stich durch Aurelias Körper fuhr und sie aufschrie. Zuckend fasste sie sich mit beiden Händen am Kopf.

Der Schmerz war diesmal anders. Anstatt das er sich durch sie hindurch fraß, zuckte ihr Körper und ging krampfhaft zu Boden. Sie schrie unerbittlich. Amaya und ihr Schützling eilten zur Hilfe, was allerdings wenig brachte. Sie schleuderte jeden, der versuchte sie anzufassen, mit eiserner Kraft weg, ohne es zu wollen.

Jetzt war es allein ihre Stimme, die, die verzweifelten Worte schrie, immer und immer wieder:

„Er ist angekommen! Er ist hier!“.

Aurelia wusste nicht woher, aber sie spürte, dass das was sie sagte wahr war. Etwas in ihrem Inneren änderte sich schlagartig. Jemand stellte sich ihr in den Weg. Den Weg zu ihrem freien Willen! Als würde derjenige von ihr Besitz ergreifen!

Aurelia verstummte. Sie hatte es satt, die unerträglichen Schmerzen weiter erleiden zu müssen, wollte um alles in der Welt nicht mehr die verschlingenden Bilder des Fegefeuers sehen, ließ es nicht zu, dass jemand von ihrem Körper und ihren Gedanken Besitz ergriff!

Schwankend stand sie auf, noch immer zuckend schritt sie willig auf das Fenster zu, die Schmerzgrenze wurde überschritten.

Während Samael, Amaya und ihr Schützling versuchten sie zurück zu halten, ballte sie ihre rechte Hand zur Faust und schlug schreiend auf das Glas ein. Die Scheibe zersprang augenblicklich, lähmende Kälte trat durch die Öffnung und der Hauch einer anderen Welt wirbelte ihr ums Gesicht.

Alle starrten verwundert auf den schier endlos grauen Nebel, außer dem draußen nichts zu sehen war. Alle, bis auf eine.

Samael erlangte als Erstes das Wort: „Was ist passiert?! Was ist das?!“. Mit einem vorahnenden Blick schaute er in Amayas Richtung: „Wo sind wir?“, und damit war klar, dass das die entscheidende Frage war.

Als Amaya ihm nicht antwortete und zu den Küchenschubladen ging, hielt er es nicht mehr aus:

„Wo hast DU uns hingebracht?!“.

„Ich hatte keine andere Wahl“, meinte sie kühl: „Ich musste Ed loswerden“.

„Ed?!“.

„Ja, ein Dämon der uns gefolgt ist. Ich musste ihn abschütteln, sonst hätte ich nicht gewusst was ich hätte machen sollen...naja, wahrscheinlich hätte ich früher oder später doch gekämpft“. Samael verstand auf Anhieb. Wenn sie starb, starb auch ihr Schützling. Umgekehrt war es genauso.

„Und dann hattest du nichts besseres zu tun als -“.

„Ja, als uns in eine Dimensionsfalte zu Teleportieren. Es ist vorübergehend der sicherste Ort für uns. Wie du sicher weißt ist, von uns Geister abgesehen, kein Lebewesen dieser Welt fähig sich in andere Dimensionen zu Teleportieren...es sei denn, wir nehmen sie mehr oder weniger gewollt mit“. Amaya hatte, während sie gesprochen hatte, nicht einmal aufgeschaut und war, nachdem sie einen Seitenschrank geöffnet hatte, dort mit einem Code zugange.

„Aber wenn ich richtig liege, ist es hier nicht mehr sehr lange sicher!“, sagte Samael warnend und kam auf sie zu. In dem Moment knackte sie die Zahlenkombination.

„Wie meinst du das?“, fragte der Mensch.

„Lass den Tresor in Ruhe!“.

„ACHTUNG!“, schrie Aurelia und stürzte sich zur Seite. In dem Moment zersplitterte das Fenster vollends. Langgezogene Schattenkreaturen fielen über sie her, streckten ihre Mäuler nach ihnen aus und setzten ihre Fangarme ein.

Amaya machte einen Salto über die Küchentheke und durchtrennte im Flug einer der Kreaturen den Kopf vom Hals: „Los, holt euch eine der Klingen aus dem Tresor!“.

Samael holte zwei Langschwerter heraus und warf eines davon Aurelia zu. Geschickt fing sie es auf.

Kurz wunderte sie sich, wieso er das tat, aber Zeit zum langen nachdenken hatte sie nicht.

Eines der Biester kam direkt auf sie zu und holte mit seinen gezackten Fangarmen aus. Mit einem gekonnten Ausweichmanöver entrann sie dem Tod und stieß ihm somit in den Körper, der hauptsächlich nur aus Nebel und Schatten bestand und einen kleinen Anteil an Fleisch besaß. Diese Eigenschaft machte ihn zu einem unberechenbaren Gegner.

Nachdem sie die Kreatur zu Fall gebracht hatte, sah sie sich um, um zu schauen, wo sie noch gebraucht wurde. Samael kämpfte mit zwei Skorpion Dolchen und schaltete seine Gegner im Handumdrehen aus.

Amaya wehrte sich und ihren Schützling mit Sai- Gabeln ab. Als sich einer der Schattenwesen von hinten heranschlich, wollte Aurelia sich auf ihn stürzen, doch genau in diesem Moment zersprangen alle Fenstergläser und eine Unzahl von diesen Kreaturen stürmten die Wohnung. Ihr wurde sofort bewusst, dass sie ihnen unterlegen waren und wenn sie den Ort jetzt nicht verließen, würden sie das auch in Zukunft niemals tun.

„RAUS HIER!“, brüllte Aurelia im Getümmel den anderen zu. Sie verschwendeten keine Zeit und rannten in Richtung der Wohnungstür. Samael riss sie auf und blieb abrupt stehen.

Vor ihnen befand sich nichts als grauer Nebel. Kein Himmel, keine Erde, kein gar nichts.

„Sie kommen! Wir müssen hier weg!“, schrie der Mensch und schaute die anderen an.

Amaya musste sich entscheiden. Sie war es, die sie alle hierher gebracht hatte, und sie war die einzige die sie wieder in die menschliche Welt zurückbringen konnte. Ihre Zweifel, dass es schief laufen könnte stiegen, aber ihnen blieb keine Zeit. Sie musste das Risiko eingehen.

„Fasst euch allen an den Händen!“. Aurelia und Samael sahen sich an, schauten zu Amaya und wechselten ihren Blick wieder zueinander: „Wir haben keine Zeit, kommt schon!“.

Aurelias Körper spannte sich an, als sich ihre Finger berührten, schlossen sich dann aber doch fest umeinander, als sie in das endlose Nichts sprangen.

Danach bekam sie nur noch mit, wie ein greller Blitz die vier voneinander trennte.

Kapitel 19

Der massive Luftzug schleuderte Aurelia gegen das Gesicht und vernebelten alles was sich um sie herum befand, nichts. Graue Leere umhüllte ihren Körper und übernahm die Kontrolle über ihren Orientierungssinn. Es gab nur eines, das sie mit Sicherheit wusste: Sie fiel, mit den anderen. Wohin war unklar.

Sehen konnte Aurelia nichts, riechen konnte sie nichts, hören konnte sie nichts. Doch sie fühlte eine Hand, eine starke, die sich fest um ihre Finger schloss.

Dann begannen helle Blitze am Horizont aufzuleuchten, sofern man eine Umgebung die weder einen Boden, noch einen Himmel hatte und nur aus grauem Nebel bestand, als überhaupt etwas bezeichnen konnte.

Die Blitze kamen näher und verschwanden für einen Moment vollkommen. Dann, wie aus dem Nichts, erleuchtete ein blendender Lichtstrahl, direkt über den vier.

Seine Stärke war ausschlaggebend, die Elektrizität durchzuckte jeden von ihnen und ließ sie heftig zusammenzucken. Bevor sie den kommenden Schmerz spüren konnte, fielen ihre Augen zu.
 

»Aurelia«
 

»Aurelia«
 

»Aurelia«
 

Sie hatte diese Stimme schon einmal gehört, konnte sie aber keiner Person die sie kannte zuordnen.

Würde sie überhaupt noch einmal die Augen öffnen?, ging es Aurelia durch den Kopf.

Es fühlte sich nicht so an.

Wieder erschien der hell leuchtende Schimmer, den sie vor nicht allzu langer Zeit schon einmal gesehen hatte. Es war der gleiche, den sie in der Wohnung in Edinburgh gesehen hatte. Und nun wurde ich auch klar, dass es dieselbe Stimme war, die zu ihr sprach.

»Wer bist du?«, fragte Aurelia.

Doch anstatt auf ihre Frage zu reagieren sagte die Stimme:

»Du bist gefallen, tief, weit, schnell. Du bist geschwächt, erschöpft, müde. Du bist hier, im Schatten deines Unterbewusstseins. Du musst wieder zu dir kommen, schnell«.

Der Schein wurde größer, bis seine Strahlen ihre Haut berührten. Wohltuende Wärme breitete sich in Aurelias Innern aus, lähmte ihre Sorgen, Gedanken und Schmerzen. Wenigstens für diesen Moment.

»Wer bist du?«, fragte sie wieder, dieses Mal mit einem kleinen, erfolglos verkniffenen Lächeln. Sie wollte es nicht, doch anders ging es nicht. Alle Sorgen schienen auf einmal so unwichtig, die Schmerzen waren wie weggeblasen.

»Kann ich nicht sagen«.

Aurelia schwor sich, dass sie es herausfinden würde, wer diese wundervolle Stimme besaß.

»Wo bin ich hier?«, wollte Aurelia wissen.

»Auch das kann ich dir nicht sagen. Es hängt mit dem zusammen was ich bin und was mich ausmacht...Du musst aufwachen, schnell!«.

Aurelia fand die Vorstellung die warme Wonne zu verlassen schrecklich.

»Ich will nicht gehen«.

»Dir wird nichts anderes übrig bleiben. Aber du wirst wieder kommen, ich verspreche es. Und nun, strecke deine Hand aus«.

Sie tat auf Anhieb wie geheißen und hob ihre Hände gen Lichtschein. Kaum hatte sie das Feld erreicht, in dem die Strahlen sich verdichteten, wurde es auch schon dunkel um sie herum und die Wärme verschwand.
 

Aurelia schlug die Augen auf, entfloh der dunklen, kalten Dunkelheit.

Sie spürte weiches Gras, auf dem sie lag. Vorsichtig strich sie über den Tau und drehte den Kopf zur linken Seite. Sie lag auf einer großen Lichtung, bei der sich an allen Seiten Hänge hinauf befanden. Diese waren von einem dichten Wald umgeben. Wo zum Teufel war sie? Wo waren die anderen?

Aurelia konnte sich nicht erinnern je hier gewesen zu sein.

Dann drehte sie den Kopf auf die rechte Seite. Und erstarrte.

Direkt neben ihr lag Samael, die Augen geschlossen. Noch nie war sie einem Dämon so nah gewesen, soweit man die Kämpfe mit ihnen außer Acht ließ.

Er schlief. Das natürliche Schwarz seiner Haare faszinierte sie. Er hatte sie vorne die Stirn etwas länger wachsen lassen, wo sie immer spitzer zuliefen. Hinten waren sie kurz geschnitten. Sein Brustkorb hob und senkte sich stetig und jedes Mal wenn er ein- und ausatmete konnte sie seine Muskeln durch sein T-Shirt erkennen. Die Muskeln eines Kriegers. Seine Haut hatte einen etwas blasseren Teint.

Verärgert ertappte sie sich selbst dabei, wie sie ihn ohne Grund anstarrte. Sofort wandte sie ihren Blick ab und sah gen Himmel. Dabei erkannte sie ihre Chance, vermutlich eine die sich nicht mehr so schnell ergeben würde.

Ihre linke Hand umfasste immer noch das Heft des Langschwertes, das er ihr vorhin zugeworfen hatte.

Aurelia wollte aufstehen, damit sie ihm den letzten, tödlichen Stoß geben konnte, doch ehe sie dazu kam wurde es ihr wieder schwarz vor Augen. Eine Sekunde später sackte sie bewusstlos zusammen.
 

Wenige Minuten später schlug Aurelia ihre Augen auf. Sofort wusste sie, dass sich etwas verändert hatte. Bemüht versuchte sie nicht über ihren Bewusstlosigkeit nachzudenken und wandte sich nach rechts.

Samael war weg. Wie sie es schon erwartet hatte. Aber wo war er? Hielt er sich immer noch in der Nähe auf oder war er gegangen und hatte sie liegen lassen?

Wenn sie an das letztere dachte, fiel ihr auf, dass sie es höchst wahrscheinlich nicht anders gemacht hätte. Wieso auch?

Ein Wunder, dass er nicht seine Gelegenheit ergriffen hatte und sein Schwert in sie hinein gestochen hatte. Knebeln hätte er sie auch können...

Aber das wäre natürlich unehrenhaft gewesen. Er wartete also auf einen Kampf, Engel gegen Dämon. Wieso nicht?

Aurelia achtete darauf, dass sie möglichst langsam aufstand, damit nicht wieder das gleiche geschah wie wenige Minuten zuvor. Als sie sicher auf zwei Beinen stand verstärkte sich ihr Griff um das Heft des Langschwertes und setzte sich in Bewegung.

Man hätte meinen können, dass sie sich in einem großen Graben befand. Die Lichtung war einfach riesig und der Wald darum war sicher nicht kleiner.

Wartete er bereits auf sie? Sah er sie? Hatte er sich in eine der Baumkronen gesetzt und blickte jetzt auf sie hinab und machte sich lustig über sie? Über einen verletzten Engel? Über einen orientierungslosen Engel? Über einen Engel ohne Flügel?!

Wut bahnte sich einen Weg aus ihrem Inneren und brach aus!

„WO BIST DU?! ZEIG UND STELLE DICH, WENN DU DICH TRAUST!“, schrie sie und überquerte den Graben.

Keine fünf Sekunden später schwebte er auf den Gras bewachsenen Boden hinab. Die Flügel groß und mit Stacheln besetzt. Traf sie einer der Giftstachel hatte sie sofort verloren.

Aurelia war nur allzu gut bewusst, dass ihre Chancen viel zu gering waren, als sich Hoffnungen auf einen Sieg, geschweige denn auf ihre Flügel zu machen, aber sie würde sich niemals Kampflos ergeben!

»Sage nie, du hast bereits verloren, solange nicht die letzte Schlacht geschlagen wurde. Denn erst dann wirst du deine wahre Stärke erkennen!«.

Aurelia ließ sich den Leitspruch aller Engel noch einmal durch den Kopf gehen und richtete dann ihr Augenmerk auf Samael.

Er kam direkt auf sie zu. Ein Langschwert in der rechten Hand die linke hing lockere an der Seite hinab, als dachte er, dass sein Sieg so gut wie sicher war und das es ein Kinderspiel werden würde einen Engel ohne Flügel zu bezwingen.

Aurelia würde es ihm alles andere als leicht machen!

„Na, aufgewacht?“, fragte er mit einem spöttischen Unterton.

„Früher als du“, entgegnete sie.

„Ja, klar“, meinte er und konnte sich ein Lachen kaum unterdrücken.

Aurelia ging in die Offensive. Sie wollte ihn endlich leiden sehen.

„Warum tust du das?“, wollte Samael wissen, wobei noch immer ein Lächeln auf seinen Lippen lag.

„Wenn du nicht selber drauf kommst, helfe ich dir natürlich: Wir zwei haben noch eine Rechnung offen!“. Aurelia musste sich zwingen nicht gleich auf ihn zu stürzen.

„Streitsüchtig?!“.

„Ich will das was mir zusteht. Entweder du gibst mir, was mein ist oder ich werde dich dazu zwingen müssen“.

„Eigentlich würde ich sie dir ja geben, aber mir fällt gerade ein, dass ich dich dazu anfassen -“. Und weiter kam er nicht.

Die Spitze ihres Schwertes traf auf seine Rippen. Aurelia hatte ihn zwar nur gestreift, da Samael noch rechtzeitig auswich, aber sie konnte dennoch seinen kurzen überraschten Blick sehen. Anscheinend hatte er nicht gedacht, dass sie so schnell sein würde.

Ihre Schwerter prallten heftig aufeinander. Aurelia erinnerte sich an das erste Mal, als sie miteinander gekämpft hatten. Damals hatte sie nur einen Dolch. Jetzt war sie wenigstens im Besitz eines Langschwertes, das wesentlich mehr ausrichten konnte als ein Dolch.

Ein zweiter und dritter Anschlag folgte. Beim vierten tauchte Aurelia unter seinem Arm hindurch und verpasste ihm einen kräftigen Schlag in den Bauch.

Samael ließ sein Schwertarm kurz sinken, nur um kurz darauf ihn mit vollem Schwung hochzureißen und mit einem Hieb Aurelias Schwert aus der Hand zu schleudern.

Ihre Klinge flog in hohem Bogen nach hinten und klatschte in eine Pfütze. Samael warf seine Waffe ebenfalls weg und kam mit geballten Fäusten auf sie zu.

Er packte sie am Hals und wollte sie auf den Boden zerren, was ihm auch gelang.

Doch Aurelia schlang die Beine um seinen Körper und zog ihn mit sich hinunter. Sie landeten hart auf. Samael kniete über ihr und drückte sie somit in die Erde.

Danach folgte ein Fausthieb ins Gesicht, der es in sich hatte. Blut lief aus Aurelias Nase.

Ihr reichte es!

Sie sammelte ihre Kräfte, bäumte sich auf und rammte ihr Knie in seine Rippen, die sowieso schon verletzt waren. Dann nutzte sie die Zeit, während er qualvoll aufstöhnte, schlug ihm an die von der Folter verletzten Schläfen und rollte sich somit über ihn.

Ihr Blick blieb an seinem Waffengürtel hängen, in dem unter anderem noch ein Dolch steckte. Aurelia zog ihn hinaus und starrte ihn erschrocken an. Der Dolch, den sie in der Hand hielt, war ihr eigener!

Sie hatte ihn letzte Nacht noch bei dem Spaziergang im Wald dabei gehabt. Wie war er an ihn gekommen?

Wutentbrannt hielt sie den Kelch an Samaels Kehle.

„Das ist meiner!“, brüllte Aurelia und zog eine feine Linie über seine Haut. Blut quoll aus der frischen Wunde und lief an seinem Hals hinab. Auch wenn es aussah als wäre es eine schlimmere Wunde, hatte sie aufgepasst, dass es nur ein Kratzer werden würde.

Aurelia blickte in seine funkelnden Augen, die mehr als Zorn und Hass zeigten. Erschrocken wich sie zurück...was ein Fehler war.

Er schubste sie von sich und stand einen Moment später über ihr, sah auf sie hinab, brachte seine Flügel hervor und schwang sich in die Lüfte.

Aurelia wollte keine Zeit verlieren, rappelte sich auf und folgte ihm...zu Fuß.

Auch wenn ihre Flugkraft wie gelähmt war, konnte sie nichts daran hindern ihm zu folgen. Engel wie auch Dämonen hatten wegen ihren übernatürlichen Kräfte auch die Fähigkeit schneller zu rennen und zu klettern als alle andere Lebewesen.

Kaum hatte sie sich in Bewegung gesetzt, kam sie auch schon beim Hang an und rannte ihn hinauf. Währenddessen schaute sie öfters nach oben, um zu sehen wohin Samael flog.

Er bog in den Wald ein und verschwand in den Baumkronen.

Aurelia rannte auf einen Baum zu, sprang hinauf und krallte sich mit ihren Fingern an der Rinde fest. Sie kletterte nach oben, sprang von Ast zu Ast und hielt nach ihm Ausschau.

Sie brauchte nicht lange um Samael zu finden und stand nach wenigen Sprüngen ihm gegenüber.

„Anscheinend brauchst du ja doch keine Flügel. Du kommst auch ohne sie ganz gut zurecht oder?!“, sagte er wieder mit einem Hauch von Spott.

„Gib sie mir!“, fauchte Aurelia. Ihr gefiel es nicht, dass er es schaffte sie zu provozieren und sie in die Richtung zu lenken, in die er wollte. Aber was sollte sie anderes tun? Wegen dem ganzen Aufruhr hatte sie auch Amaya und ihren Schützling völlig vergessen. Müssten sie sich eigentlich auch hier befinden?

Er lächelte ihr zu...und trieb es zu weit.

Aurelia kam auf ihn zu und war ihrem guten Gleichgewicht dankbar. Eine weitere Eigenschaft die sich Engel und Dämonen teilten.

Nun standen sie sich direkt gegenüber, wenige Zentimeter voneinander entfernt. Gespannt sah jeder dem anderen in die Augen und wartete auf das Zeichen einer Rührung des Gegners. Aurelia hoffte, dass der dünne Ast sie zwei aushalten würde.

Und als hätten sie nur auf genau diese Sekunde gewartet, griffen sie sich gleichzeitig an.

Jeder von ihnen wich immer wieder dem anderen aus, darauf bedacht nicht das Gleichgewicht zu verlieren und einer Niederlage zu erliegen.

Samael holte mit der Faust aus und verfehlte Aurelia nur um Haaresbreite. Sie warf sich nach hinten und bekam von unten seine Hand zu fassen. Sie hielt ihn eisern fest und zog in mit sich, machte über ihm ein Salto, bis sie am anderen Ende des Astes ankam.

Blitzartig schnellte sie nach vorne, zog ihren wieder erlangten Dolch und zielte auf Samael.

Wäre sie einen Augenblick zu langsam gewesen, hätte sie ihr Zeil verfehlt und wäre ihm zum Opfer gefallen. Doch dieses Mal war er es, der zu spät reagierte.

Samael wollte sich nach unten bücken, doch bevor er es ganz schaffte hatte Aurelia sein T-Shirt mit dem Dolch am Baum festgenagelt.

Sie trat näher an ihn heran, bis sich ihre Körper fast berührten.

„Ich sage es zum letzten Mal: Gib sie mir zurück!“, sprach sie in einem gefährlichen Ton. Sie hielt mit einer Hand den Dolch fest, damit sie sofort zustechen konnte, wenn er fliehen sollte.

Aurelia konnte die Wärme, die von ihm abstrahlte deutlich spüren.

Samaels Atmung wurde ruhiger und er sah ihr gefasst in die Augen. Dann hob er langsam seine Arme, um wieder genau die Stelle an ihrem Nacken zu berühren, auf die er auch gedrückt hatte, als er ihre Flugkraft genommen hatte.

Sobald er seinen Arm auf Aurelias Schulter legte, spannte sich ihr Körper an. Es war ein Risiko, das sie für ihre Flügel bereit war einzugehen. Trotzdem machte sie sich auf jede Taktik seinerseits gefasst. Wenn er sie jetzt angreifen würde, wäre sie in einer sehr ungünstigen Lage sich zu wehren.

Aurelia spürte wie sich seine Muskeln ebenfalls anspannten.

Es passierte alles in einem Augenblick: Sie riss den Dolch aus dem Baumstamm raus. Samael packte sie am Hals und ließ sie beide vom Ast fallen.

Während des Falls breitete Samael seine Flügel aus, schlang die Arme um ihren Körper und flog aus dem Wald raus. Als sie sich der Lichtung näherten und er sich tiefer gleiten ließ, ließ er sie los, worauf sie hart auf dem Boden aufkam. Sekunden später stand er wieder vor ihr und funkelte sie wütend an.

Beide hatten fast das Ende ihrer Kräfte erreicht, doch keiner von ihnen gab auf. Aurelia sprang auf und schlug ihm in den Kiefer, während er ihr kräftig in die Brust trat.

Trotz des Schmerzes, der ihr Innerstes erfüllte und sie sich am liebsten gekrümmt hatte, stand sie gerade da und sah in sein ebenfalls Qual erfülltes Gesicht.

Es hatte schon längst zu dämmern angefangen, als der Regen einsetzte und sich mit ihrem Blut vermischte. Sie standen sich noch einen Moment regungslos gegenüber, als sie sich gegenseitig den ausschlaggebenden Hieb verpassten.

Samael boxte ihr kräftig ins Gesicht, während sie ihm mit dem Dolch ins Bein stechen wollte, ihr Ziel aber verfehlte und ihm stattdessen eine Schnittwunde im Oberschenkel zufügte.

Dann stießen beide gegeneinander und brachen in sich zusammen.

Der Regen wurde Monsun artig und prasselte auf den bewusstlosen Engel und den danebenliegenden Dämon hinab.
 

Die Nacht war schon längst eingebrochen, als Samael und Aurelia das Heulen von Wölfen wahrnahmen. Doch beide waren zu erschöpft, zu geschwächt um sich überhaupt zu regen. Auch als die Wölfe näher kamen, hoben sie nicht einmal den Kopf.

Was sich Aurelia jedoch merkte, war, dass sich das Heulen der Wölfe von anderen unterschied. Und von da an wusste sie auch, dass sie sich unmöglich in der menschlichen Welt befinden konnten.

Der Himmel hatte keine Sterne. Er war fast schwarz, nur vereinzelte winzige bunte Flecken breiteten sich am Himmelszelt aus. Rot, Grün, Gelb, Violet, Orange...
 

Die Wölfe fingen an zu Knurren, kamen aus welchem Grund auch immer nicht den Hang hinab. Sie blieben dort stehen, als würden sie darauf warten, dass Samael und Aurelia sich erheben und in Kampfposition gehen würden.
 

Dann, irgendwann erschall ein lautes Pfeifen und die Wölfe verschwanden.

Aurelia und Samael lagen sich gegenüber und ließen ihren gegenüberliegenden Feind nicht aus den Augen, bis die eigenen Lider zu schwer wurden und beide in ein Traumlosen Schlaf kamen.

Kapitel 20

Der Aufprall wart hart. Fürchterliche Schmerzen durchzuckten Amayas Kopf wie Blitze. Sie ließ die Augen noch für einen kurzen Moment geschlossen. Wo waren sie gelandet?

Überall nur nicht an den Ort, an den sie gelangen wollte, so viel stand fest.

Sie öffnete ihre Lider und versuchte aus dem Augenwinkel eine Spur von Javier zu finden. Sanfte, Gras bewachsene Hügel zeichneten die Landschaft zur einen Seite. Auf der anderen Seite breitete sich ein weiter Horizont aus, dessen Schönheit mit nichts vergleichbar zu sein schien.

Als Amaya Javier nirgends sehen konnte versuchte sie sich aufzurappeln, was ihr nur mit Mühe gelang, doch sobald sie sich bewegte, krachte der Boden unter ihren Füßen weg.

Der massive Felsbrocken stürzte mit ihr in die Tiefe.

Sie schrie.

Plötzlich griff eine Hand nach ihrer und hielt sie fest. Einzelne Steine fielen ins Meer, das 200 Meter unter ihr die Wellen an die Felswände klatschte.

Amaya schaute auf und sah Javier, der sich über den Rand beugte, an. Seine Hand schloss sich fester um ihre und bekam gleichzeitig noch die andere zu fassen.

„Ich hab dich!“, rief er und zog sie hinauf.

Als sich Amaya wieder auf festem Boden befand, drängte Javier sie vom Rand der Klippen weg.

Während sie liefen stützte er sie am Ellenbogen und ließ sie ein paar Meter weiter auf erschöpft zu Boden sinken.

„Geht es dir gut?“, fragte er und setzte sich neben sie.

„Geht schon. Danke das du mich gerettet hast“, sagte sie und strich sich eine lose Strähne hinters Ohr. Ihr Herz raste noch immer.

Wieder sah er sie aus seinen intensiv blauen Augen an, seine Mundwinkel zuckten leicht.

Rasch schaute sie wieder weg und wandte sich ihrer Situation zu. Amaya stand auf und sah sich um. Diese Gegend kannte sie, sie war schon einmal hier gewesen.

„Wir befinden uns auf Beachy Head in Südengland. Eigentlich wollte ich woanders hin...“.

Javier stand ebenfalls auf.

„Weißt du wo Samael und der Engel sind?“, wollte er wissen.

„Nein. Ich weiß nur, dass wir von ihnen durch einen Blitz getrennt wurden. So hat es sich zumindest angefühlt. Engel und Dämonen können die Dimensionen weder betreten noch verlassen, es sei denn ein Geist hilft ihnen...Es kann sein das sie sich noch immer in der Dimensionsfalte befinden und nicht mehr raus finden“.

Sie blickte zu ihm rüber und sah den Schock in seinen Augen.

„Können wir ihnen helfen?“.

Jetzt war sie es, die ihn schockiert ansah: „Selbst wenn ich es wollte, wüsste ich nicht wie wir sie finden könnten“.

„Aber du hast sie da reingebracht. Auch wenn du Samael hasst...“. Er hatte recht. Sie hasste Samael, aber anderseits war es ihre Schuld, dass sie sich jetzt woanders befanden. Sie hatte nicht genug aufgepasst...sie hätte stärker sein müssen...es war ihre Schuld.

Nach dem Betreten der Wohnung hatte Amaya das Gebäude in einen Art Dimensionslosen Raum befördert, um vor den Angriffen in Sicherheit zu sein und um auf Mirac zu warten. Dann war alles anders gekommen.

„Ich weiß nicht wie“, sagte sie nochmals und sah auf den Boden. Ihr musste doch irgendetwas einfallen! Auch wenn sie Samael am liebsten den Hals umdrehen würde, konnte sie nicht mit der Schuld leben, ihn und den Engel im Nirgendwo sterben zu lassen. Nicht ohne es wenigstens einmal versucht zu haben!

„Ich muss sofort zu Mirac!“, sagte sie.

„Du meinst wir“, erwiderte Javier. Sie sah ihn an, erkannte einen starken Willen, der Wille ihr zu helfen, auch wenn es bedeutete sich auf etwas einzulassen, von dem er nicht einmal wusste was es wirklich war.

„Ich werde mit dir kommen“.

„Javier, ich werde nichts verantworten können. Du bist mein Schützling-“.

„Sagt die, die gerade gerettet werden musste“, brach er ihren Satz ab und zog eine Augenbraue hoch. Sie würde ihn nicht umstimmen können.

Ohne etwas zu sagen, ging sie ein paar Schritte weg, konzentrierte sich und faltete ihre Hände ineinander, sodass es aussah, als würde sie beten. Sie wollte ihre Augen schließen, damit sie ein neues Portal in die Geisterwelt öffnen konnte, doch dann geschah etwas, das sie nicht erwartet hatte.

Der Himmel verdunkelte sich, die Wolken zogen sich zu. Von einer zur anderen Sekunde fing es an heftig zu stürmen.

Blätter und Staub wirbelten in der Luft herum, als würde daraus ein Tornado entstehen.

Der Boden, welcher von Gras bedeckt war, fing an zu Beben.

„Amaya Achtung!“, schrie Javier und riss sie von der Stelle weg, an der sich der Boden in zwei zu teilen beginn.

Der Sturm wurde immer kräftiger, von den sanften Hügeln und der schönen Aussicht auf den Horizont war nichts mehr zu sehen.

Er hielt sie fest, während sich vor ihnen ein riesiges Tor bildete und anscheinend das ganze Umfeld zum einstürzen brachte. Oben auf den Flügeln des Tores thronte ein gigantischer Kopf, dessen Gesicht von einem Umhang umgeben wurde.

Der Boden stürzte hinter ihnen ein und verschwand in den Tiefen der Erde.

„Lauf!“, schrie Amaya. Dann rannten sie los, im verzweifelten Versuch dem Abgrund zu entrinnen.

Sie sah auf und erkannte, wie ein beträchtlicher Teil des Weges vor ihnen schon verschluckt wurde. Gemeinsam beschleunigten sie ihr Tempo und sprangen über den klaffenden Schlund.

Als würde alles in Zeitlupe ablaufen, sah Amaya die letzten Sonnenstrahlen, der Staub der sich um die wirbelnden Blätter schlang, sie sah sich selbst wie sie sprang, Javier direkt neben ihr.

Dann stürzten sie auf den Boden und hielten sich grade noch so am Rande des Abgrundes fest.

Amaya setzte ihre Magie ein, wurde zu einer Gestalt aus Rauch, schwebte hinauf und nahm Javier an den Händen.

Kaum standen sie wieder auf eigenen Beinen, wechselte sie zu ihrem menschlichen Wesen zurück, und fingen wieder an zu rennen. Diesmal Hand in Hand.

Der Boden verschwand noch schneller, das Tor begann sich zu schließen. Die Sonnenstrahlen verschwanden.

In den letzten Sekunden rannten Amaya und Javier über die Schwelle des Tores und die Flügel schlossen sich.
 

Völlige Dunkelheit umschloss den Raum, nur am Ende des Ganges schien ein kleines, unscheinbares blaues Licht.

Javier konnte Amayas Atem hören. Ihre Hände waren immer noch ineinander verschränkt.

„Alles okay?“, fragte sie. Er nickte und erinnerte sich daran, dass sie ihn nicht sehen konnte.

„Ja, alles in Ordnung“. Javier meinte zu spüren, wie sie leicht lächelte, doch es war nur ein Gefühl...

„Wohin gehen wir?“, fragte er.

„Du wirst es gleich sehen. Mach dich auf was gefasst“, antwortete sie und schritt auf das Licht zu. Ihre Finger lösten sich voneinander.

Auf beiden Seiten hörte er Wasser rauschen, als würde sich eine kleine Quelle durch die Spalten der Steine fließen.

Als sie sich dem Licht näherten, das von einem Kristall artigen Stein kam, konnte er einen steinernen Rundbogen erkenne, der mit vielen gemeißelten Details verziert war. Figuren, Ornamente und Wesen, die nicht von der Welt, die er kannte stammten, schienen einen Fortlauf der Zeit zu beschreiben, einen Mythos in dem die Wahrheit bis heute noch schlummerte. Hinter dem Bogen war nichts als tiefste Finsternis.

„Nimm meine Hand. Es könnte jetzt sehr kühl werden“, warnte Amaya ihn. Gemeinsam schritten sie durch den Durchgang und ein kalter Windstoß wehte ihnen ins Gesicht.

Dann umfing sie für einen Augenblick endlose Dunkelheit und ein außergewöhnlicher exotischer Geruch wehte Javier in die Nase.

Von der einen auf die andere Sekunde standen die Beiden vor einer riesigen Mauer aus Eis, in der Mitte ein breites Tor. Mächtige gezackte Torflügel hielten den Durchgang verschlossen. Oben war der gleiche Kopf, wie kurz zuvor, zu sehen, um dessen Gesicht ein Umhang gehüllt war und bis zum Boden reichte.

Hinter Javier und Amaya befand sich flaches, endloses Eisland.

Der Himmel war fast schwarz, sodass die ganze Gegend in einem dunkelblauen Ton dalag. Das Eis selbst war ebenfalls in einem dunkel Blau, das von schwarzen Nuancen unterstrichen wurde.

Der Eingang nach Niflheim, die Welt der Geister.

Javier war sprachlos. Sie warfen sich einen Seitenblick zu und bewegten sich auf das große Tor zu, das sich sogleich öffnete, als sie sich ihm näherten.

„Willkommen in meiner Welt, meinem Zuhause“, sprach Amaya.

„Es ist unglaublich“, erwiderte Javier sprachlos.

Sie lächelte ihm zu und deutete ihm ihr zu folgen: „Ich kann dir alles zeigen, naja zumindest den Teil in dem ich mich aufhalte. Alles wäre etwas zu viel“.

Sie setzten ihren Weg geradeaus fort. Hohe, runde Gebäude aus Eis säumten den breiten Weg. Man konnte sie Meisterbauwerke nennen. Die Dächer waren meist flach, statt Fenster gab es offene Rundbogen, auch Türen gab es keine.

Häuser, wie auch die höheren Gebäude waren durch Brücken oder Stege miteinander verbunden. Es ähnelte alles einer Stadt, doch diesen Teil konnte man nicht als Wohnviertel bezeichnen. Auch Geschäfte oder Sonstiges waren nicht zu sehen. Gab es hier, abgesehen von unvorstellbaren Architekturen, überhaupt etwas?

Doch Javier war es egal. Er war einfach immer noch zu sehr von diesem überweltlichen Ort fasziniert.

Nach ein paar Straßen, tauchten auch Türme auf, die oben spitz zuliefen und von spiralförmigen Säulen getragen wurden. Die Nebenstraßen waren sehr verwinkelt, führten einmal bergauf, ein anderes Mal bergab.

Neben all den schönen Bauwerken, bemerkte Javier, dass sich niemand, außer Amaya und er selbst, auf den Straßen, Balkonen, oder Brücken befand...

Auf beiden Seiten schlängelte sich ein breiter Bach um die Straßen und Ecken.

Während Amaya zu manchen Orten, an denen sie gelangten, etwas sagte, wurden die Gebäude immer größer und sahen schon beinahe aus wie Kathedralen und Dome.

Auf den Geländern und Säulen standen Statuen von kräftig aussehenden Männern und bildhaft schönen Frauen. Javier konnte zwar nicht sagen, wer sie waren, aber allein von ihrer Aura her, wusste er, dass sie wichtig waren und große Macht hatten.

Auf dem folgenden Platz stand ein riesiges Gebäude, um das sich eine große Schlang wickelte. Ihr Kopf wandte sich in die Richtung aus der sie kamen zu, das Maul weit aufgerissen, die langen spitzen Zähne eine Demonstration ihrer Kraft. War das Jörmungandr, die Midgardschlange?

Ihr Körper war gigantisch, die Schuppen glänzten in einem dunkelgrün bis schwarz Ton, der sich deutlich von den dunkelblauen Eisbauwerken abhob.

Der Hals der Schlange war gespreizt, von ihrer Haut standen Zacken ab, die sich über den ganzen muskulösen Körper durchzogen.

„Niflheim besteht aus weit mehr, als nur aus dem was du bisher gesehen hast, aber einer der wichtigsten Orten ist die Halle des Eids. Dort finden die Prüfungen der Silithas statt, Verbrechen bekommen ihr Urteil und wenn Jörmungandr etwas passiert, wird dort auch als erstes Alarm geschlagen“, erklärte Amaya.

„Wenn ihr etwas passiert?“.

„Kurz gesagt: Wenn sie aufwachen sollte. Aber den Weg zu ihr kennen nur die drei höchsten Geister dieser Welt, die sie auch immer wieder in eine andere Dimension teleportieren, damit sie wirklich niemals von Engeln oder Dämonen gefunden werden kann. Was eigentlich unwahrscheinlich ist, denn Engel und Dämonen haben keinerlei Kontrolle über die Dimensionen und Teleportation. Es war eben ein Eid, den wir vor der Göttin Hel ablegen mussten, dass wir Jörmungandr bewachen, sie uns im Gegenzug den Eintritt in ihr Reich gewährt, wenn wir sterben“.

Amaya wandte den Kopf ab und sah zu Jörmungandr auf. Voller Anmut und Stolz gegenüber ihrem Volk. Ihre tief schwarzen Haaren, welche sie zu einem Zopf gebunden hatte, wehten ihr über die Schulter und im Schatten des blauen Lichtes, das hier schien, leuchteten ihre grauen Augen besonders auf. Sie sah aus wie eine Kämpferin...nein sie war eine Kämpferin, eine, die jederzeit für ihr Volk sterben würde, wenn sie es müsste.

Javier verdrängte den Gedanken, dass sie sterben könnte und schaute ebenfalls nach vorne, als jemand auf sie zukam. Es war der erste Geist, den er hier zu Gesicht bekam.

Amaya bemerkte ihn ebenfalls und straffte ihre Schultern.

„Kilian! Bei den Göttern, wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen“, begrüßte sie ihn und umarmte ihn freundschaftlich.

Kalian wechselte von seiner nebelhaften Gestalt zu der eines Menschen. Als er Amaya wieder losließ, betrachtete er ihr Gesicht für einen Moment und lächelte:

„Ja, wie lange ist das her? Sicher fast zwei Jahre“.

„Mindestens!“, sagte Amaya und lächelte ebenfalls zurück.

„War wahrscheinlich etwas zu lange weg...“, Kalians Blick traf den von Javier: „Und wer ist das?“.

Bevor Amaya antworten konnte, tat es Javier:

„Mein Name ist Javier“.

„Er ist mein Schützling“, fügte Amaya hinzu: „Wir hatten ein paar Probleme und wurden mehrmals angegriffen...ist eine etwas längere Geschichte, warum er von uns weiß und wir jetzt hier sind. Ich werde sie dir bei Gelegenheit erzählen“.

„Na dann...Mein Name ist Kilian, wie du sicher schon mitbekommen hast“. Kilian hatte ebenfalls schwarzes Haar, durchzogen von ein paar dunkelgrünen Strähnen, was seine kristallblauen Augen sehr gut zur Geltung brachte. Die Haare waren an der Seite sehr kurz geschnitten, oben waren sie länger und standen nach oben etwas ab. Er war groß gewachsen und hatte eine gute Statur.

„Ja, ich weiß“.

Kalian lächelte ihm freundlich zu und drehte sich um.

„Ihr könnt euch jetzt zeigen!“, rief er. Einen Augenblick später kamen zahlreiche nebelhafte Gestalten zum Vorschein. Auf den Brücken, Stegen, unter Rundbogen und Durchgängen, auf Treppen und an Fenstern.

Es war ein unglaublicher Anblick, episch und zugleich auch etwas erschreckend. Sie schauten alle in ihre Richtung und ganz besonders auf Javier.

Er spürte wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. Amaya.

„Du bist der erste Mensch und wahrscheinlich auch der einzige der Niflheim betreten hat und auch betreten wird“, sagte sie ihm und schaute ihn dabei an.

„Amaya, Mirac hat von deiner Ankunft erfahren. Er würde dich gerne sehen“, ließ Kilian sie wissen.

Sie ließ Javier los und wandte sich zu ihrem langjährigen Freund um.

„Ja, ich komme“.

Danach machten sich die drei auf den Weg zu Mirac. Sie gingen um die Halle des Eids herum und folgten der gleichen breiten Straße, wie schon zuvor.

Und während sie auf dem Weg zu Mirac waren, füllten sich die Straßen und Gassen mit Geistern, die sich vorhin unsichtbar gehalten hatten. Javier hätte sich so einen Anblick niemals erträumen lassen können.

Irgendwann kamen sie an ein Haus, das durch Skulpturen und und detaillierten Ornamenten aus Eis verziert war.

Auch wenn hier alles aus Eis war, frierte Javier nicht wirklich. Er spürte die Kälte nur ein bisschen.

Sobald sie die Treppe hinaufgingen, öffnete sich die Eiswand. Sie kamen in eine große Eingangshalle und folgten einer verzweigten Treppe.

Oben angekommen, liefen sie einen langen Rundbogengang entlang und blieben vor einem grauen Vorhang stehen.

Nach einem Moment der Stille trat Amaya ein. Sie brauchte sich in dem Zimmer nicht groß umzuschauen, um ihren Onkel zu entdecken. Er stand an den Säulen, auf der rechten Seite, und blickte nach draußen.

„Mirac“, sprach sie.

Seine langen, ebenfalls schwarzen Haare, die fast bis zur Taille reichten, fielen nach vorne, als er ihr einen Blick über die Schulter zuwarf. Dann drehte er sich um und kam auf sie zu. Er war, wie Kilian, groß gewachsen, hatte jedoch breitere Schultern. Er wechselte zu seiner menschlichen Gestalt, bei der sein langes Gewand, das bis zum Boden reichte, auffiel. Es war weiß, verziert mit reichlichen Ornamenten.

Was Javier allerdings gleich auffiel, waren seine Augen. Sie waren zweifarbig. Die linke Pupille war stechend grün, die rechte war dunkelblau und hatte einen eigenartigen Braunstich.

„Amaya, endlich. Tut mir leid, dass ich nicht zu unserem vereinbarten Treffpunkt kommen konnte. Ich wurde verhindert, leider“, sagte Mirac. Er beäugte Amaya, dann Kilian. Javier schenkte er keinerlei Beachtung.

„Naja, aber jetzt sind wir hier und das ist die Hauptsache. Wie du schon weißt, wurden wir mehrmals angegriffen und,-“.

Mirac brach Amaya das Wort ab, indem er zu ihr kam und sie von den anderen wegschob. Als sie außer Hörweite waren, ergriff er als erster das Wort:

„Was bildest du dir eigentlich ein, dich deinem Schützling zu zeigen?! Einem Menschen! Du weißt doch, dass eine unserer höchsten Prioritäten ist, unsere Welt vor der Welt der Irdischen geheim zu halten!“.

„Ich weiß das und ich habe auch aufgepasst! Bis alles außer Kontrolle geraten ist...Es war mein erster offizieller Tag als Silithas. Ich hatte vorgehabt am ersten Tag, Javier in der Form eines Menschen zu bewachen. Ich war neugierig darauf, wer wohl mein Schützling sein wird, dem ich das ganze Leben beiseite stehen würde. Okay, ich gebe zu, es war vielleicht etwas ungeplant, aber ich hatte trotzdem noch alles unter Kontrolle. Dann kam ein Dämon, namens Ed. Ich denke er wusste, dank seiner dämonischen Kräfte, wer ich in Wirklichkeit war. Er hatte mich nur nicht direkt darauf angesprochen und so getan, als wäre ich ein gewöhnlicher Mensch...“. Amaya erzählte Mirac, was passiert war, bis zu der Stelle, an der sie in die Wohnung in Edinburgh ankamen:

„Ich habe die Wohnung in eine Dimensionslosen Raum befördert, damit wir vor den Angriffen in Sicherheit waren und wir auf die warten konnten“. Amaya benutzte extra das Wort „wir“, damit Mirac bemerkte, dass Javier von ihrer Welt wusste und es nichts brachte, ihm keine Beachtung zu schenken.

Sie erzählte von Samael, an den sich Mirac selber auch noch erinnern konnte, und dem Engel, der die schrecklichen Versionen gehabt hatte.

„...und dann sind wir in die Leere der Dimension gesprungen. Ich habe versucht uns alle wieder in die menschliche Dimension zu teleportieren, doch als Javier und ich in England gelandet waren, waren die anderen nicht mehr bei uns. Ich kann nur hoffen, dass sie irgendwo anders gelandet sind“.

„Das ist sehr unwahrscheinlich, Amaya. Vermutlich fallen sie immer noch und werden niemals irgendwo landen. Und selbst wenn sie in irgendeiner Dimension ankämen, was sicher nicht passiert, könnten sie nichts daran setzen wieder zurück zu kommen. Du weißt, Engel und Dämonen sind unfähig, was Teleportation betrifft“.

„Ich weiß...deswegen wollte ich dich fragen,-“.

„Nein!“, schnitt Mirac ihr das Wort abermals ab: „Wir werden und können ihnen nicht helfen“.

„Aber es muss doch einen Weg geben!“.

„Es war deine Entscheidung, also lebe auch mit den Konsequenzen!“.

Amaya wandte sich verärgert zu den Säulen ab und sah hinaus. Sie wollte und konnte nicht mit der Schuld leben, dass war ihr klar. Aber sie musste wenigstens herausfinden, ob Samael und der Engel nicht doch irgendwo gelandet waren. Denn wenn nicht, würden sie es nicht lange überleben...

Plötzlich spürte sie eine vertraute Hand auf ihrem Rücken. Sie drehte sich um. Mirac.

„Es tut mir leid. Ich hätte nicht so hart reagieren dürfen“.

Dann nahm er sie in den Arm und drückte sie an sich.

Trotz des aussichtslosen Weges, schwor sie sich die beiden zu finden.

Kapitel 21

Aurelia schlug die Augen auf. Nasses Gras kitzelte sie an der Wange und brachte sie dazu, einmal mit der Handoberfläche drüber zu streichen.

Sie erstarrte. Erschrocken betrachtete sie ihre Hand. Blut.

Als sie abermals an ihre Wange fasste und etwas fester drauf drückte, bewahrheitete sich ihre Befürchtung. Die linke Wange war angeschwollen und ihre Kieferknochen schmerzten.

Super...

Dennoch stand sie ohne zu seufzen auf, sie würde ihre Demütigung nicht offen preis geben, und sah sich um.

Aurelia brauchte gerade einmal den Bruchteil einer Sekunde, um Samael zu finden. Er saß auf dem Gras bewachsenen Hang und beobachtete sie aufmerksam. Ein Bein hatte er leicht angewinkelt, das andere war ausgestreckt. War er verletzt? Vielleicht sein Bein...

Auch wenn sie sich nicht drum scherte, ob er verletzt war, spürte sie was. Etwas hatte sich seit dem letzten Abend verändert. Als sie in seine unverkennbaren Orangerot - flammenden Augen sah, wusste sie es.

Beide verspürten nicht mehr die Lust sich gegenseitig umzubringen. Als wären die feindlichen Fehden in den Hintergrund gerückt, aber immer noch präsent. Ein Art Waffenstillstand.

Als Aurelia auf ihn zuging, blieb es ihr nicht unbemerkt, wie er seinen Körper kurz anspannte.

„Wie lange beobachtest du mich schon?!“, wollte sie wissen und blieb zwei Meter auf Abstand. Doch als er sich erhob, und dabei sehr locker wirkte, hatte sie ebenfalls kein Grund mehr „Sicherheitsmaßnahmen“ zu ergreifen und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Wer sagt denn, das ich das getan habe?“, wollte Samael wissen. Schon wieder lag dieser kleine Hauch von Spott in seiner Stimme.

„Du hast dich leider nicht unauffällig genug verhalten“, erwiderte Aurelia und beide sahen sich an.

Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, aber nur kurz.

„Ach, habe ich das?“.

„Höchst wahrscheinlich“.

„...Na schön, wenn du es unbedingt wissen willst“, sagte er mit auf einmal so einer ernsten Stimme, das es Aurelia schon erschreckte: „Ich habe deine Wunden im Gesicht betrachtet, um zu sehen, wie gut ich getroffen habe“, beendete er seinen Satz und ging an ihr vorbei. Darauf wusste sie nichts zu erwidern.

„Kommst du?“, fragte er.

„Wohin?“.

„Weiß ich nicht. Irgendwohin, aber hier bleiben werde ich auf keinen Fall“. Aurelia lief ihm nach und sagte, als sie ihn einholte:

„Wir müssen erst einmal herausfinden, wo wir sind. Kennst du die Gegend?“.

„Nein, aber vielleicht...“. Samael brachte seine Flügel hervor, welche oben dunkelrot waren und nach unten ins schwarze hineinliefen. Außen waren sie mit Stacheln besetzt, wie es für Dämonen üblich war. Sie hatten was bedrohliches an sich, doch sie strahlten so viel Perfektion aus, dass es ihr schon wieder unrealistisch vorkam. Es schien, als würden sie Samael widerspiegeln, mit all seiner Kraft, Sicherheit und seinem Talent im Kämpfen.

Ohne ein weiteres Wort schwang er sich geräuschlos in die Luft und verschwand in den dichten Wolken.

Würde er zurückkommen?, war einer der ersten Gedanken, die Aurelia kamen. Es war nicht die Sorge, dass sie sonst allein wäre. Aurelia kam sehr gut alleine zurecht. Nur es war die Sorge, um ihre Flügel, die sie unruhig hin und her liefen ließ. Er hatte sie ihr genommen und sie kannte sonst keinen, der ihr die Gabe zum Fliegen wieder geben konnte, außer Samael.

Ohne ihre Flügel, fühlte sie sich, als wäre eine Hälfte ihres Wesens tot. Es schmerzte innerlich, sehr stark.

Aurelia schob die Gedanken beiseite und blickte gen Himmel. Er war leer. Es fing an zu nieseln. Der starke Regen hatte bei Sonnenaufgang nachgelassen, übrig geblieben war eine matschige Lichtung, ein dunkler Wald Außenrum...ein Engel und ein Dämon, die nicht wussten wo sie sich befanden.

Die Minuten verstrichen, der Regen wurde stärker, die Kälte nahm zu. Als sich Aurelia ziemlich sicher war, dass er nicht mehr zurückkommen würde und sie sich in Bewegung setzen wollte, um sich selber umzuschauen, zeichnete sich, von den letzten paar Sonnenstrahlen, auf der Erde ein geflügelter Schatten ab.

Blitzartig fuhr sie herum und sah Samael auf den Füßen landen, direkt neben ihr.

„Die Wolken hängen viel zu dicht beieinander, als das ich herausfinden könnte, wo wir sind. Sieht so aus, als müssten wir auf besseres Wetter warten...oder wir sehen uns hier mal um und suchen jemanden der uns vielleicht weiterhelfen könnte“.

„Hoffst du etwa auf eine alte Frau, die ihr ganzes Leben schon hier im Wald lebt und jeden Stein kennt?!“, sprach Aurelia, was natürlich eine rhetorische Frage war.

Samael ging nicht darauf ein und wandte sich bereits zum gehen, als er sagte:

„Von mir aus kannst du auch hierbleiben“.

Würde ich auch tun, wenn du mir nicht noch etwas schulden würdest, dachte Aurelia, sagte aber stattdessen nichts und folgte ihm.

Sie ging ein paar Meter weiter hinter Samael und konnte ihn deshalb genau beobachten. Seine Flügel hatte er bereits wieder eingezogen, sodass man sich nicht mehr sehen konnte. Sein Gang hatte fast etwas hypnotisches an sich. Durch sein nasses, eng anliegendes T-Shirt, konnte sie die Umrisse seiner Muskeln sehen, die sich bei jeder kleinsten Regung perfekt an seine Bewegungen anpassten. Aurelia konnte kaum den Blick abwenden.

Seine Haare waren genau wie ihre, triefnass und klebten an seiner Kopfhaut. Dann folgte der leichte Schwung seines Halses, der in die Schultern überlief, darauffolgend die Arme eines Kriegers und starke Hände,die zugleich auch etwas tief beschützendes an sich hatten.

Aurelia wandte schnell den Blick ab, bevor sie sich an seinem Anblick verlor.

Sie liefen in den Wald hinein, wobei ihnen gleich auffiel, dass dort kein Pfad existierte. Alles war von Farnen, umgekippten Bäumen, die sich von hellgrünem Moos umschlingen ließen, und Unterholz überwuchert.

Doch es hinderte sie keineswegs daran, ihren Weg fortzusetzen.

Zwar ging Samael die meiste Zeit über ebenfalls zu Fuß, doch es gab die ein oder anderen Augenblicke, in denen er sich in die Luft schwang und in den Baumkronen verschwand. Dann kam er zurück, immer mit demselben Ergebnis wie die Male zuvor. Die Wolken hingen immer noch viel zu dicht beisammen, als das er ihren Standort in irgendeiner Weise ausfindig machen könnte.

Und so verging der Vormittag. Sie schwiegen, bis sie in der Ferne wieder das verräterische Heulen von Wölfen wahrnahmen.

„Bleib stehen!“, warnte Samael sie. Aurelia tat wie geheißen und sah sich um. Außer tief grünem Wald war nichts zu erkennen.

Die Wölfe knurrten gefährlich. Und wie es dem Laut zu vernehmen war, war sich Aurelia sicher, das es keine Wölfe waren, die ihr bekannt waren. Das Knurren hörte sich geradezu bestialisch an. Aurelias Hand glitt zum Heft ihres Schwertes. Der Regen verstummte, als hätte er Angst vor den Wölfen.

Dann wurde der Wald wieder in Stille gehüllt und die Wölfe verschwanden.

Aurelia wartete noch einige Augenblicke und ergriff als erste das Wort:

„Sie haben uns doch schon heute Nacht aufgelauert, richtig?!“.

„Ja. Ich verstehe zwar nicht, warum sie sich so distanziert verhalten, aber ich glaube allmählich wo wir sind“.

„Und das wäre?“, fragte Aurelia, ehrlich neugierig.

„Wir sind nicht mehr in der unseren Welt“.

„Den Gedanken hatte ich auch schon, habe ihn aber gleich wieder verworfen“.

„Wieso?“.

„Weil du ganz genau weißt, dass weder Engel noch Dämonen, dazu fähig sind Dimensionen zu kontrollieren“.

„Ja, vielleicht zu kontrollieren, aber was ist mit betreten?!“, was eher eine Aussage, als eine Frage seinerseits war.

„Und wie soll das gehen? Ich meine, wie soll das passiert sein?“.

„Amaya sagte doch, dass sie die Wohnung in einen Dimensionslosen Raum befördert hat“.

„Ja, aber müssten sie dann theoretisch nicht noch bei uns sein?“.

„Es muss etwas anderes gewesen sein. Etwas das uns von ihnen getrennt hat...“.

Darauf wusste Aurelia nichts zu antworten. Seine Idee, das sie von irgendetwas getrennt wurden, klang vielleicht verrückt, doch unrealistisch war sie auf keinen Fall. Auch wenn Aurelia sich nicht vorstellen konnte, was es gewesen sein könnte.

Am Nachmittag gelangten sie an einen großen Pfahl, der inmitten eines Teiches stand. Das Ufer war mit Schilf bedeckt, welches sich im Wasser spiegelte. Wasserläufer hinterließen kleine Kreise auf dem Wasser, die immer größer und breiter wurden. Die Sonne, die sich langsam durch die schweren Wolken durchkämpfte, schien durch die Blätter der Baumkronen und ihre Strahlen reichten auch bis in die kleinsten Ecken, die normalerweise vom Schatten überzogen blieben, und darüber hinaus.

Der Anblick, der sich ihnen darbot, war atemberaubend, unbeschreiblich.

Es war ein Ort, einer der zum Rest, den sie bisher in der neuen Dimension gesehen hatten, überhaupt nicht passte. Aber das war Aurelia egal. Sie wollte nur diesen einen, friedvollen Moment genießen.

Eine leichte Brise frischte auf und ließ ihre, inzwischen nur noch feuchten Haare, um die Schultern wehen. Aurelia versuchte ihre Haare zu bändigen und hielt sie fest. Samael hob seine Hand und fuhr sich abrupt selbst durch die Haare. Aurelia wollte eigentlich nicht darüber nachdenken, doch es schien ihr, als ob er grundlegend etwas anderes tun wollte.

Plötzlich wurde ihr die Stille unangenehm, wobei sie noch vor wenigen Sekunden die Ruhe wahrlich genossen hatte.

„Was hattest du eigentlich auf dem Territorium der Engel verloren?!“, platzte es aus ihr heraus.

„Was?!“, antwortete er ihr, als ob er nicht wüsste von was sie sprach. Dabei wusste er es natürlich ganz genau.

„Du weißt wovon ich rede. In der Nacht, in der wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Als wir gekämpft hatten...und ich dich letztendlich besiegt hatte“.

„Besiegt?“.

„Du warst bewusstlos. Du wurdest außer Gefecht gesetzt. Von mir. In meiner Welt bedeutet das, dass man besiegt wurde“.

„Und worauf willst du hinaus?“, wollte er wissen und sah sie direkt an.

„Ich will damit nur sagen, dass das, was auch immer du auf unserem Territorium wolltest, nichts gebracht hat“.

„Willst du mir die Schuld geben, dass wir jetzt hier sind?“. Bevor sie antworten konnte, sprach er weiter: „Ich könnte dir auch sagen, dass du Schuld bist. Denn wenn du nicht so neugierig gewesen wärst und nochmal in den Hinterraum des Büros gekommen wärst, hätte ich mich in Ruhe befreien und verschwinden können -“.

„In Ruhe?!“, Aurelia kam näher: „Du warst wegen deiner Verletzungen kaum zu überhören!“.

„Das ändert wohl nichts an der Situation, in der wir jetzt sind!“. Da hatte er recht und sie liefen weiter, weg von diesem wundervollen Ort.

„Na, und was willst du jetzt tun?!“, obwohl sie gern gewollt hätte, sie konnte es nicht lassen.

„Ich weiß gar nicht warum du dich so aufregst“, sagte Samael spöttisch.

„AUFREGEN?! Ich rege mich nicht auf, alles was ich will ist -“. Meine Flügel zurück, beendete sie ihren Satz in Gedanken.

Samael hob ihr die Hand vor den Mund, sodass sie nicht mehr sprechen konnte und blickte starr geradeaus.Seine Hand war überraschenderweise warm. Waren Dämonen sonst nicht eher kalt? Seine Berührung setzte etwas in ihr aus, etwas ungewöhnliches, unvollständiges...

Er sah aus, als würde er sich gleich auf einen Kampf vorbereiten und Aurelia folgte seinem Blick. Dann verstand sie.

Sie standen hinter einer dichten Hecke und hatten von dort aus eine Aussicht auf eine kleine, freie grüne Grasfläche. Dort standen zwei Gestalten. Eine, die zwar kleiner als Aurelia und Samael war, aber dennoch eine menschliche Größe hatte, im Gegensatz zu der anderen Silhouette. Die zweite Gestalt war riesig, was in dem Fall um die zwei Meter waren.

Und sie waren sich nah, umarmten sich fast.

Jetzt war es Aurelia, die ihre Hand vor Samaels Mund hielt und ihm zuflüsterte, dass er keinen Laut von sich geben sollte. Er hatte seine Hand schon längst wieder unten.

Dann, als hätten sie sich abgesprochen, gingen sie Schritt für Schritt weiter nach hinten, darauf bedacht kein Geräusch von sich zu geben.

Aurelia ließ Samael los und wollte sich umdrehen, als sie gegen jemanden stießen.

Beide schauten auf und standen vor einer genauso großen Person, wie kurz zuvor.

Ist sie eine Riesin?, ging es Aurelia durch den Kopf. Sie hatte noch nie davon gehört, dass Riesen existierten.

Dann bevor sich das beklemmende Gefühl zu ihnen durchdringen konnte, standen Samael und Aurelia auf einmal an einem Strand. Die Abenddämmerung zog sich bereits über den breiten Horizont und die Wellen waren ruhig.

Die Luft war angenehm warm und eine frische Brise kam die Böschung hinauf. Salziger Duft kam in Aurelias Nase und sie atmete ihn tief ein.

Zur ihrer rechten befand sich eine große Landzunge, die mit einem kleinen Pinienwald bedeckt war. Auf der andern Seite mündete ein Fluss ins Meer. Hinter ihnen befanden sich kleine Sanddünen, die noch weiter hinten ebenfalls von einem Pinienwald verschluckt wurden.

Aurelia lief den kleinen Hang hinunter und blieb stehen. Der Wind wehte ihr ins Gesicht und ihre Haare wirbelten diesmal noch stärker, aber es war ihr egal. Sie wollte hier keinen einzigen Moment verpassen.

Als ein paar Minuten der beruhigenden Stille verstrichen waren, rückten erste Gedanken wieder in den Vordergrund.

Den Wechsel der Dimension, die Wölfe, die Ungewissheit überhaupt, irgendwie wieder in die menschliche Welt zurückkehren zu können...und das sie nicht allein hier war.

Aurelia drehte sich um und sah Samael, dessen Augen auf den Horizont gerichtet waren. Sein Blick war klar, Meilenweit weg und doch so nah, unergründlich.

Zu früh bemerkte er, dass sie ihn ansah und sein Gesichtsausdruck änderte sich. Wieder setzte er die Miene eines Dämons auf...

„Wie kann das möglich sein?“, fragte sie: „Eben waren wir noch in einem tiefen Wald und jetzt stehen wir an einem Strand. Ich weiß, das wir noch immer in einer fremden Dimension sind und nicht...nicht zuhause. Aber es sollte doch eigentlich gar nicht möglich -“.

„Ich weiß es nicht, okay?!“, als er sie ansah, änderte sich sein Ton gegenüber ihr: „Es ist besser, wenn wir versuchen erst mal einen klaren Kopf zu bekommen“, seine Stimme klang jetzt etwas ruhiger, doch Aurelia entschied sich trotzdem dafür, darauf nichts zu erwidern. Sie hatte keine Lust auf noch mehr Streit, oder was es auch immer zwischen ihnen war.

Dann setzte sie sich hin, blickte aufs weite Meer hinaus, wartete, bis sich der Tag dem Ende neigte und die Sonne dem Mond Platz am Himmelszelt machte.

Aurelia dachte über die vergangenen Stunden nach. Die Gefangennahme von Samael, die Wohnung, Amaya und ihr Schützling, dessen Namen sie nicht kannte, den Fall in die neue Dimension, der Kampf und all das Geschehene bis zu diesem Zeitpunkt.

Dann musste sie an ihre Eltern und ihren Bruder denken. Elijah. Was tat er? Was dachte er? Glaubte er, dass Samael sie umgebracht hatte? So wie sie ihren Bruder kannte, würde er kein Auge zudrücken, bis er seine Schwester gefunden hatte. Doch was brachte das, wenn sie sich nicht einmal in derselben Welt befanden? Es musste einen Weg zurück geben!

Aurelia würde ihre Flügel wieder bekommen, würde nach Hause zurückkehren und dann...- Und dann was?! Auf diese Frage fand sie keine Antwort...Zu viel war passiert, als das sie es hätte ignorieren können.

Die Nacht war schon eingebrochen, als sie ein unangenehmes ziehen in ihrem Kopf spürte.

Auf einmal wurde Aurelia unruhig und stand auf. Kaum stand sie auf den Beinen, folgte ein kurzer aber heftiger Schlag in ihrem Innern.

»Aurelia«, erschall eine Stimme in ihrem Kopf. Sie kannte diese Stimme. Es war dieselbe, die sie in der Wohnung gehört hatte.

»Wer bist du? Und woher kennst du meinen Namen?«, fragte sie zurück. Aurelia wusste nicht wieso, aber als sie bemerkte, dass sie der Stimme in Gedanken geantwortet hatte, stellte sie fest, dass es nicht schwer war.

»Wenn ich will, kenne ich jeden Namen, jeder Person dieser Welt«. Seine Stimme war eher rau und hatte etwas unmenschliches an sich. Etwas, dass unmöglich von dieser Welt stammen konnte.

»Woher kommst du?«

»Das ist eine längere Geschichte und...geheim.«

»Dann sag mir deinen Namen.«

Es blieb einen Moment still, dann:

»Du kannst mich Bal nennen.«

»Bal?«

»Ich sage dir, dass das nicht mein vollständiger Name ist, aber es ist besser, wenn du nicht zu viel weißt«, sagte Bal.

»Und - «

»Nein, frag nicht weiter«

»Was machst du in meinem Kopf?!«, allmählich verlor sie die Geduld.

Er antwortete nicht.

»Schön, jetzt werde ich auch noch verrückt«

»Nein, das bist du nicht! Ich kann es dir nicht verraten, noch nicht. Alles was ich dir sagen kann und darf ist, das du bei ihm bleiben sollst! Trennt euch auf keinen Fall!«. Er klang, als wollte er sie vor etwas warnen, beschützen.

»Bei wem bleiben?!«, doch als sie sich umdrehte, wusste sie, wen Bal mit „ihm“ gemeint hatte.

Samael hatte ihr den Rücken zugewandt, drehte sich aber genau in dem Moment um, in dem sie ihn ansah und „Samael“ flüsterte.

„Was ist?“, fragte er sie, in einem liebevollen Ton.

»Bal?«, sprach Aurelia zu ihm in Gedanken, doch sie bekam keine Antwort.

„Nichts“, antwortete sie und lächelte kurz: „Hast du öfters solche...solche »Stimmungsschwankungen?«“.

„Stimmungsschwankungen?!“, sagte er und lachte laut auf.

Aurelia kam die Böschung hinauf uns setzte sich neben ihn. Sie beobachtete ihn, während er versuchte sich wieder zu beruhigen. Schließlich konnte auch sie sich das Lachen nicht mehr verkneifen.

Nach einigen Augenblicken, als sie sich wieder im Griff hatten, sahen sie sich an. Aurelia hatte noch nie einen Dämon lachen sehen. Ihr war nicht entgangen, dass Samael ein sehr warmes Lachen hatte.

„Tut mir leid wegen vorhin. Ich hätte nicht so übertrieben reagieren dürfen. Keine Ahnung, was da mit mir los war. Vielleicht habe ich ja tatsächlich Stimmungsschwankungen“.

Kaum hatte er das Wort gesagt, fingen wieder beide an zu lachen.

Aurelia wäre es nie in den Sinn gekommen, dass sie mit einem Dämon am Strand sitzen, lachen und er sich bei ihr sogar entschuldigen würde.

Der Abend verging und das Sternenzelt breitete sich über ihnen aus, beschützte den Engel und den Dämon mit seinen tausenden von Augen.

Kapitel 22

Amaya und Javier verließen das Amtszimmer ihres Onkels. Kilian sagte, dass er mit Mirac noch etwas besprechen müsse und blieb deshalb dort. Als sie vorhin von Kilians neuer Stelle als Berater ihres Onkels, der eines der drei Oberhäupter von Niflheim war, erfahren hatte, war ein Funkeln in seinen Augen nicht zu übersehen gewesen.

Sie freute sich wirklich für ihren langjährigen Freund, den sie schon seit Kindertagen kannte. Wenn sie daran dachte, was sie als Kinder gemeinsam erlebt und angestellt hatten, konnte sie ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Kilian war sehr lebensfroh und hatte so gut wie nie schlechte Laune. Er setzte sich für die, die ihm am Herzen lagen ein und er war die vertrauenswürdigste Person, die Amaya kannte. Er war schon immer ihr bester Freund gewesen.

Sie konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart, als ihr plötzlich eine Idee kam:

„Kommst du? Ich würde die gern noch etwas zeigen, bevor wir dieses Haus verlassen“, fragte sie Javier. Eigentlich hatte sie von Mirac die Aufgabe bekommen ihrem Schützling eines der freien Gemächer im „Haus der Silithas“ zu geben, doch da sie gerade schon einmal hier waren...

Statt die Treppe links zu nehmen, folgten sie dem langen Rundbogengang weiter und bogen dann rechts ab. Dann legte Amaya ihre Hand auf die Eiswand, zu ihrer linken.

Einen Augenblick später schien die Fläche, auf der ihre Hand lag, hell auf und schwang Kreise, als hätte man einen Stein ins Wasser geworfen.

Das entstandene Loch in der Wand wurde immer größer, bis es breit genug war, das sie durchgehen konnten.

Der Raum war nicht sonderlich breit, aber langgezogen. Sie stiegen drei flache Stufen hinunter und das Loch in der Wand schloss sich lautlos.

„Dies ist ein sehr heiliger Raum für mein Volk. Obwohl hier drin keine Möbel oder sonstiges stehen, befindet sich in diesem Zimmer mehr, als man vielleicht denkt“. Amaya hatte recht. Der Raum war, wie fast jeder andere, eher spärlich eingerichtet. Eine kurze und eine lange Seite bestanden wieder aus Säulen, die dem ganzen doch einen gewissen Flair gaben. Der Boden war aus Stein und an den übrigen Wänden hingen Kerzen, deren Lichter von der Wand reflektiert wurden und einen zappelnden Schatten auf dem Boden hinterließen.

Trotz des warmen, gelborangen Lichts war der Raum noch immer in ein tiefes Blau gehüllt. Javier sah sich noch weiter um und erkannte Runen, die im Boden und an den Säulen eingeritzt waren. Was mochten sie wohl bedeuten?...

Amaya ging in den hinteren Teil des Raums, Javier folgte ihr. Sie zeigte auf ein Relief, das in die Wand eingeritzt war. Es war riesig und zog sich über die ganze längs Wand.

Javier erkannte Figuren, wie Riesen, Monster und Personen in menschlicher Gestalt und Größe. Bei einigen sah er sofort, dass sie große Macht und Einfluss hatten, andere blickten zu ihnen auf. Doch eines fiel ihm gleich auf. Das Relief glich einem breiten Streifen, der sich bis ans andere Ende der Wand zog. Und am Anfang, dort wo sie standen, war ein gigantischer, verzweigter Baum zu sehen, der sich in verschiedene Schichten aufteilte. Von der Baumkrone, bis hin zu seinen Wurzeln.

„Ist das Yggdrasil?“, fragte er erstaunt.

„Ja, das ist er“, Amaya staunte ebenfalls, das Javier wusste, was sich in dem Relief vor ihm abzeichnete. Sie lächelte. Ein gewisser Stolz durchfuhr sie. Ihr war klar, das es sicher nicht leicht für Javier war, doch sie war froh, das er mit ihr gekommen war. Sehr froh sogar.

„Hier wird die Entstehung und Prophezeiung der Welt gezeigt“, erklärte sie und meinte das Relief als Ganzes.

„Yggdrasil ist in neun Welten geteilt. Ganz oben ist Asgard, der Wohnort des Göttergeschlechts der Asen. Darunter sind weitere, wie Vanaheim und Alfheim. In der Mitte liegt Midgard, das Land der Menschen. Dann kommt Muspellsheim, danach Niflheim und Svartalfheim, das allerdings schon in der Unterwelt liegt. Ganz unten ist Helheim, das Reich der Göttin Hel. Das Reich der Toten“.

Javier nickte, als Zeichen das er verstanden hatte:

„Du hast nur acht genannt“, meinte er und lächelte sie verschmitzt an.

„Ja, Nidawellir, das neunte“, antwortete sie und grinste zurück: „Naja, auf jeden Fall waren die Riesen und Ungeheuer die ersten Wesen auf der Welt. Doch da sie für Zerstörung standen und die Macht hatten, die Welt zu vernichten und das nicht passieren sollte, kamen die Wanen und Asen auf die Welt. Das sind zwei Göttergeschlechter, die sich bekriegen. Man sagt, das sie alles im Gleichgewicht halten, bis sich die Prophezeiung der Götter, und letztendlich auch der Welt, erfüllt. Ragnarök, der Untergang. Danach soll die Wiedergeburt der Erde kommen und alles wird in warmen Licht erstrahlen“.

„Glaubt dein Volk daran? Denkst du, dass das wirklich passiert?“, fragte er ernst und zugleich auch mit einem Hauch von Sorge. Ihm war anzusehen, das er nicht darüber spaßte und Amaya atmete auf.

„Das ist schwer zu sagen. Ich meine die neuen Welten gibt es wirklich, aber andererseits hat noch niemand einen Gott gesehen. Was uns aber wieder glauben lässt, das diese Prophezeiung wahr ist, ist das mein Volk selbst darin vorkommt. Wir werden auch Folgegeister, Fylgja genannt. Wie du schon weißt, begleiten wir die Menschen auf ihrem Weg durchs Leben. Vor langer Zeit waren wir in der Lage uns auch in Tiere zu verwandeln, doch aus irgendeinem Grund ist das heute nicht mehr möglich...und...und es gibt da etwas, dass du noch nicht weißt“.

Amayas Stimme war leiser geworden und für einen Moment schien es Javier, als ob sich ein dunkler Schatten über ihr Gesicht ziehen würde. Dann fuhr sie abrupt fort:

„Aber um dir das erzählen, muss ich erst das andere fertig bekommen“. Sie ging am Relief entlang weiter. Dieses Schaubild zeigte die Entstehung und Prophezeiung der Erde und Javier schien es, als ob das eine nicht ohne das andere überleben konnte. Als wäre auch jedes kleinste Detail wichtig für die Erhaltung der Welt. Jedes Wesen, jede Figur schien eine wichtige Rolle zu spielen.

„Odin ist der Hauptgott der Asen und die Prophezeiung sagt, dass er auch irgendwann der Gott aller Götter sein wird, wenn sich beide Göttergeschlechter vereinen und Frieden schließen werden“.

Amaya zeigte auf eine Figur, die anscheinend Odin darstellen sollte, die einen langen Bart und einen Helm mit zwei furchterregenden Hörnern trug.

„Dann gibt es noch die Nornen, die an den Wurzeln der Weltesche Yggdrasil sind und den Lebensfaden jedes einzelnen Menschen spinnen. Anders als bei den Göttern, wissen wir, dass die Nornen tatsächlich existieren und das Leben einem vorherbestimmen. Es ist nur sehr selten erlaubt, aber wenn man wollte könnte man durch ein Portal Zugang zu ihnen erlangen“.

Auf dem Relief waren am Ende drei Frauen zu sehen. Eine in jungen und eine in mittleren Jahren. Die dritte war die älteste und Falten zeichneten ihr Gesicht.

„Dann ist unser Leben also schon vorbestimmt?“, wollte Javier wissen. Seine Stimme war weniger als erfreut.

„In gewisser Weise, ja. Es heißt aber nicht, dass jedes Mal wenn du etwas isst, dass das vorbestimmt war. Dabei dreht es sich um die wichtigen und besonderen Dinge in unserem Leben“.

Sie sahen sich an und Amaya erkannte wieder etwas, das in ihm war. Etwas verborgenes, was seine Person ausmachte und ihm Stärke verlieh.

Plötzlich wandte er sein Gesicht ab und fragte:

„Und was ist das, das ich noch nicht weiß?“.

Amaya nickte: „An dieser Stelle kommen die Engel und Dämonen hinzu. Du weißt, dass wir Folgegeister das Gleichgewicht halten, indem wir uns dem Schutz von Yggdrasil und Jömungandr verschrieben haben. Würde uns das nicht gelingen, würde die Welt untergehen. Und du weißt auch, dass Engel wie auch Dämonen alles dafür tun, um die gegnerische Seite zu besiegen...“.

„Ja“.

„Das gelingt ihnen aber nur, durch den Tod der Midgardschlange oder der Zerstörung von Yggdrasil. Es kommt drauf an, welche Seite es ist. Um die Engel zu besiegen, müssen die Dämonen Yggdrasil vernichten und damit die Engel ihren Sieg erreichen, müssen sie die Midgardschlange töten. Egal, welche von dieser beiden Möglichkeiten,...“.

„...die Welt würde untergehen“, beendete Javier ihren Satz.

„Doch sie brauchen etwas, damit sie ihr Ziel erreichen können“. Amaya machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: „Sie bräuchten zwei der „Einzigen“.“

„Der Einzigen?“. Javier kam unbewusst einen Schritt auf Amaya zu.

„Neben normalen Engeln und normalen Dämonen gibt es noch andere...welche, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Stell dir einen Engel vor, der zu einem Viertel das Blut eines Dämons hätte. Oder ein Dämon, der nur zu einem Dreiviertel das Blut seiner Rasse in sich haben würde und der Rest Engelsblut wäre. Eine solche...solche Art darf nicht existieren, aber dennoch sind ein paar Meldungen bekannt, in denen sie vorkommen. Die Einzigen. Doch kurz danach sind die besagten Personen spurlos verschwunden“.

„Sie wurden gefangen?!“.

„Nein. Man hat sie gefangen genommen und kurz danach waren sie nirgends aufzufinden...Was ja eigentlich gut ist, sonst würden wir jetzt wahrscheinlich nicht mehr leben“.

„Dämonen wie auch Engel brauchen das Blut von ihnen -“.

„Ja, von beiderseits. Also von einem, der ein Viertel Engelsblut und von einem der ein Viertel Dämonenblut in sich trägt. Dies müssen sie dann mischen und nur so können sie nach Yggdrasil gelangen oder die Midgardschlange ausfindig machen und töten. Und die Einzigen verstecken sich, sie wissen wie kostbar ihr Blut für manche ist“.

„Bist du schon mal einem begegnet?“, fragte Javier.

„Nein. Es gibt nur ganz wenige von ihnen, was in diesem Fall nicht mehr als fünfzig auf der ganzen Welt sind. Sie haben aber Gaben und Kräfte, die sonst keiner hat. Außerdem sind sie im Kampf fast nicht zu besiegen“.

„Wow“, schoss es aus Javier heraus. Er konnte es immer noch nicht ganz glauben. Das ganze war einfach zu...zu...ja, zu was?! Er hatte darauf keine Antwort. Und er wusste auch nicht was als nächstes passieren würde, aber er dachte an alles andere als an zuhause.

Er sah Amaya an, als sie gerade nicht hinschaute. Sie war so rätselhaft! Natürlich, sie kam aus einer ganz anderen Welt, aber trotzdem wusste er, dass er vorerst bei ihr bleiben würde. Sie zeigte ihm ihre Welt, in der sie lebte. Eine Welt die gefährlicher und unterschiedlicher nicht hätte sein können und trotzdem nahm sie ihn mit! Obwohl ihr bewusst war, welche Risiken es mit sich brachte.

Sie unterschied sich von den anderen Geistern, die er bisher getroffen hatte. Andere ihres Volkes sahen ihn an, als ob sie nicht wüssten was ein Mensch war. Doch jedes Mal, wenn er in Amayas Augen sah, sah er etwas. Sie sah, was Menschen sind und sie ausmachte, im Gegensatz zu den anderen Geistern, die ihren Schützlingen beiseite standen, sie aber mit einem leeren Blick betrachteten. Sie hatte einen starken Charakter und wusste was sie tun musste und tat es, weil sie sich dazu verpflichtet fühlte.

Und jedes Mal fragte er sich, wie man so schöne, silbern funkelnde Augen haben konnte, wie sie.
 

Dann machten sie sich auf den Weg in Richtung des Hauses der Silithas.

Draußen fiel Javier auf, dass es immer noch dämmerte und die Helligkeit sich nicht verändert hatte. Amaya erklärte ihm, dass es immer so war und es nie heller wurde, als es jetzt war. Außer Nachts herrschte tiefe Dunkelheit.

Das große Gebäude, in dem die Silithas wohnten, ließ Javier staunen. Es war das Haus der Beschützer der Menschen. Sie lebten und trainierten dort drinnen.

Es verfügte über drei Stockwerke, wenn man ganz unten den Eingangsbereich außer Betracht zog. Wenn man die Eingangstür passierte, wurde man direkt auf ein Pfad geleitet, der abrupt endete. Der nächste feste Boden befand sich zwanzig Meter unter ihnen. Ein Bach floss durch den Innenhof, der durch ein Tor nach außen führte.

Wenn man nach oben blickte, sah man an den Meterhohen Wänden Eingänge, die nur durch Brücken zu erreichen waren. Ganz oben überzog eine Kuppel aus Eis das Steingebäude.

Insgesamt war alles durch rote Fackeln beleuchtet, die in der Form einer Schlange an den Wänden hingen. Auf der Wand, die einem gegenüber lag, wenn man durch das Tor schritt, zeigte einen riesigen Baum, dessen Äste miteinander verzweigt waren und in alle Himmelsrichtungen zeigte. Ein Zeichen dafür, dass er die Weltesche war und das Leben dieser Erde von ihm abhing.

Jörmngandr umschlang seinen kräftigen Stamm und vollendete das Schaubild. Ohne sie, gab es ebenfalls kein Leben.

Ihre Schuppen und die Blätter Yggdrasils leuchteten in einem wundervollen dunkel- grünen Ton auf und verleiten der Halle einen Glanz, der Javier mit einem Gefühl der Unendlichkeit durchströmte.

Sie betraten die erste Brücke und wechselten nach kurzer Zeit zur zweiten.

Auf dem Weg, begegneten sie anderen Geistern. Manche begrüßten Amaya, manche grüßten sie beide. Javier war klar, dass es für sie mehr als merkwürdig sein müsste, wenn auf einmal der erste Mensch überhaupt Niflheim betrat und nebenbei auch noch ihre ganze Entstehungsgeschichte kannte. Er machte ihnen kein Vorwurf, doch trotzdem hoffte er, dass die beunruhigenden Blicke vielleicht irgendwann aufhörten. Doch das konnte er nicht erwarten, und er tat es auch nicht.

Er bewunderte ihre Erscheinungsweisen. Manchmal waren sie in menschlicher Gestalt und einige Male waren sie in ihrer Nebelhaften Form. Der Körper war durchaus zu erkennen, aber ihm kamen sie wie ein weißer Schleier vor. Schwebend, leicht, unverkennbar. Ein Volk.

Sie überquerten die letzte Brücke und durchschritten einen der Eingänge im zweiten Stockwerk. Zuerst folgte ein dunkler Gang, der durch blaues Licht in den Fugen erleuchtet wurde. Dann wechselten sie ein paar mal die Richtung, als sie schließlich vor einem Vorhang standen.

Amaya zog ihn beiseite und schritt hindurch. Danach folgte nochmals ein Vorhang.

„Das hier ist dein Zimmer“, sprach sie, als sie auch den zweiten Vorhang beiseite schob.

Zwei flache Stufen, in Form eines Halbkreises, folgten. Auf der linken Seite stand ein großes, breites Bett. Gegenüber davon befand sich eine Steinsäule, in der ebenfalls Runen eingemeißelt waren.

Die andere Seite des Zimmers war Rund und statt Wände befanden sich auch dort Rundbögen. Von dort aus hatte man eine großzügige Sicht auf die restlichen Bauwerke in der Umgebung. Am Horizont zeichneten sich dunkle Berge ab. Daneben befand sich ein weiterer Durchgang, der genauso mit einem Vorhang bedeckt war. Javier vermutete, dass sich dahinter das Badezimmer befand.

„Das ist sehr großzügig“, sagte er.

„Gern“, antwortete sie mit einem lächeln.

Sein Blick wanderte durchs Zimmer und blieb an zwei Schwertern hängen, die an der Wand befestigt waren.

Er fasste es am Heft und hob es hoch. Dann schwang er es ein paar mal hin und her.

Er sah aus, als würde er es schon sein ganzes Leben tun, als wäre er wie dafür gemacht. Als wäre er ein Krieger. Einer von ihnen. Amaya staunte.

Sie kam auf ihn zu, sodass sie gegenüber von ihm stand. Das Schwert zwischen ihnen.

„Es liegt sehr gut in der Hand“, meinte er und ließ seine Finger über die Waffe gleiten. Sie konnte ihm nur recht geben.

„Ja, es ist ein Zweihänder. Wie sein Name schon sagt, wird er mit beiden Händen geführt, statt nur mit einer. Dadurch erhält man natürlich mehr Schwung“.

Langsam strich sie ebenfalls über die scharfe Klinge. Das Metall war kalt und erinnerte sie an den ein oder anderen Kampf. Auch wenn kämpfen nichts wirklich schönes war, tat sie es dennoch mit Leidenschaft. Jedes Mal wenn sie eine Klinge führte, fühlte es sich so an, als würde sie ihrer Seele freien Lauf lassen, um zu suchen, was ihr fehlte...doch sie wusste nicht was...

'Und es ist auch nur ein Gefühl!, ermahnte sie sich.

Amaya ließ ihre Finger bis zur Schwertspitze gleiten, als ihre Finger Javiers Hand berührten.

Sie ließ sie dort verharren und schaute zu ihm auf. Seine Augen drangen in ihre.

'So blau, so tief, so unergründlich...', fuhr es ihr durch den Kopf.

Seine Fingerspitzen fuhren ihr über den Handrücken und ihre Haut prickelte. Sie wollte nach seiner Hand fassen, als jemand ihren Namen rief:

„Amaya? Javier? Seit ihr hier?“, ertönte es aus dem Durchgang hinter dem Vorhang. Amaya und Javier traten abrupt einen Schritt voneinander weg und ihre Hände lösten sich. Einen Augenblick später kam Kilian hinein.

Seine Augen leuchteten, wie immer und er kam auf die Beiden zu.

„Ich weiß, wie wir Samael und den Engel vielleicht finden könnten“.

„Was? Und wie?!“, fragte Amaya voller Neugier. Sie versuchte das, was eben passiert war zu verdrängen und konzentrierte sich auf Kilian.

„Ich weiß nicht, ob es erlaubt wäre...und wahrscheinlich werden wir auf Widerstand stoßen, aber -“.

„Aber?“.

„Wir könnten die Hilfe der Nornen erbitten. Wir könnten durch ein Portal zu ihnen gelangen und vielleicht könnten sie uns helfen“.

Amaya trat auf Kilian zu.

„Kilian, du...Der Rat wird es uns nicht erlauben“.

„Vielleicht nicht sofort, aber wenn es mir als Berater von Mirac gelingt, in zu überreden...“, während er sprach, sah er auch Javier voller Hoffnung an: „Wir könnten es schaffen“.

Amaya war sich nicht sicher, ob sein Plan gelingen würde.

„Und wenn es nicht funktionieren sollte, habe ich noch eine andere Möglichkeit, wie wir zu den Nornen kommen könnten“, sagte Kilian.

Amaya ahnte nichts Gutes. Aber so war Kilian nun mal. Er gab nie auf und das wertschätzte sie sehr an ihm.

Sie sah zu Javier und blickte ihn fragend an. Er nickte und seine Augen verrieten ihr, dass er ihnen beiseite stehen würde.

„Einen Versuch wäre es wert“, sagte er: „Verlieren könnten wir doch nichts dabei, oder?! Und es ist besser als nichts“. Wo er recht hatte, hatte er recht.

„Na schön. Dann lass uns gehen und den Rat überzeugen“, sagte Amaya.

Und zu dritt schritten sie aus dem Zimmer, in der Hoffnung, dass sie es gemeinsam schaffen würden.

Kapitel 23

Der Duft von frischem Gras, dessen kalter Tau sich an den Halmen hinunter angelte, der Duft von Tannen, die das Wasser der kleinen Quelle in sich aufnahmen, der süßliche Duft der Stunde, in der die Sonne aufgeht, ließen Aurelias Augen aufschlagen.

Sogleich nahm sie wahr, dass sie sich nicht mehr am Strand befanden. Das beruhigende Rauschen der Wellen, der salzige Geruch des Meeres, die tropische Wärme...Es war, als wären sie nie dort gewesen.

Wieder ein Dimensionswechsel. Ein kleiner Stich des Bedauerns durchzuckte Aurelia.

Dann stand sie auf. Sie befanden sich am Fuß eines Berges. Die ersten Strahlen der Sonne beschienen den kalten Stein und somit auch den kleinen Platz, auf dem sie sich befanden. Zu ihrer linken befand sich eine kleine Quelle, außenrum standen Tannen, deren Zweige sich berührten, als würden sie ein unsichtbares Band knüpfen und zusammen stand halten. Als wären sie Eins.

Aurelia blickte nach rechts und fand Samael vor, der noch auf dem Boden lag und sich nicht regte.

Ohne nachzudenken, ging sie ein paar Schritte auf ihn zu und wollte sich zu ihm hinunter knien, um ihn zu wecken.

Doch noch bevor sie ihn berühren konnte, wandte er seinen Kopf zu ihr herum. Und sah sie an.

„Was?“, fragte er.

Aurelia stand auf und antwortete erst dann:

„Wir sind nicht mehr am Strand. Schon wieder ein Dimensionswechsel“.

Er sah sich kurz um und seufzte dann. Danach stand er ebenfalls auf.

„Wie ist das möglich?! Wir haben nichts getan, was -“.

Aurelia brach ihm das Wort ab: „Samael, dreh dich um“, sagte sie erschrocken.

Er tat wie geheißen und trat darauf selbst einen Schritt zurück. Vor ihnen befand sich eine unscheinbare Hütte. Auch wenn sie ziemlich klein und anspruchslos erschien, jagte ihr plötzliches Auftauchen den Beiden einen Schrecken ein.

Gemeinsam traten sie auf die Hütte zu. Als sie an der verdorrten Tür ankamen und Samael sie berühren wollte, um sie zu öffnen, löste sie sich in Luft aus.

Beide sahen sich verwirrt an. Sie traten ein und fanden eine, mit Krempel aufgestapelte Kammer vor, deren Wände nicht aus Holz, sondern aus Stein waren.

Der Raum war sehr klein. Auf den Seiten befand sich unterschiedliches Werkzeug, das zum überleben in der Wildnis nötig war. Außerdem hingen an den Wänden ausgestopfte Körper von Eulen und Hasen und Köpfe von Rehen, diversen Fischen und einem Wolf zierten die Kammer.

In den Regalen, die zum Teil schon am auseinanderfallen waren, befanden sich Büchsen, Krüge und zusammengebundene Kräuter, die an einem Seil nach unten hingen.

Auf einem Hocker stapelten sich Gefäße aus Glas. Der Inhalt bestand aus einer trüben, grünlichen Flüssigkeit, in der kleine Körper schwammen.

Aurelia ging etwas näher heran und erkannte, dass es größtenteils kleinere Fische waren, doch in zwei der Gefäßen befanden sich schwarz- schimmernde Aale. Ihre Körper rollten sich zusammen. Es war, als würden sie schweben.

Der Lichteinfall der Hütte war gering. Nur ein kleines Fenster am Eingang ließ ein paar wenige Sonnenstrahlen eindringen. Der Staub reflektierte sich im Licht und legte sich auf ihren Schultern nieder.

In der Mitte des Raumes stand ein runder Tisch mit einer Decke aus tief roten Samt.

„Wer hat das gemacht?“, fragte sich Aurelia leise, doch anscheinend war es laut genug gewesen, damit es Samael gehört hatte.

„Am Besten suchen wir ihr nach etwas essbarem und Ausrüstung und machen uns danach wieder aus dem Staub“.

Aurelia erhob sich wieder und drehte sich zu ihm um: „Du hast recht. Beeilen wir uns lieber. Nachdem was hier schon alles passiert ist...“.

Sie wandte sich zu ihrer Seite der Hütte, er zu seiner. Da der Raum so klein war, hatten sie sich im Stillen geeinigt den Raum in zwei aufzuteilen, um ihn zu durchsuchen.

Aurelia trat auf ein Wandregal zu. Das Holz war feucht und gelblichgrau, doch seine Verarbeitung hatte wahrscheinlich mehr als nur ein paar Stunden gekostet. Es war mit kleinen Schnitzereien im Holz verziert, Ornamente unterstrichen die Einfassungen.

Auf einer Ablage stand ein weiteres Glas, diesmal mit einer klaren Flüssigkeit, die aussah wie Wasser. Aurelia nahm es in die Hand und kaum hatte sie etwas näher an sich genommen, stieg ein salziger Geruch in die Nase. Salzwasser.

Augenblicklich erinnerte sie sich an gestern Abend. Der Strand war ein Traum gewesen und der Duft des Meeres, und letztendlich auch Samael, hatten sie für eine kurze Weile vergessen lassen, wo sie sich in Wirklichkeit befanden. Sie hatten sich den ganzen Abend amüsiert und sich tatsächlich über die ein oder anderen Unterschiede zwischen Engeln und Dämonen lustig gemacht. Aurelia hatte sich gefühlt, wie schon lange nicht mehr. Doch eine Woge der Traurigkeit hatte sich doch in sie eingeschlichen gehabt. Die Art und Weise, wie Samael lachte,... war die gleiche, wie bei Elijah. Und dann, hatte sie sich zwangsläufig doch an die Probleme erinnern müssen...

Aurelia verdrängte den Gedanken schnell und widmete sich ihrer Aufgabe zu.

Sie stellte das Glas zurück und ging weiter.

Auf einer weiteren Ablage stand eine Schüssel, in der getrocknetes Fleisch lag. Aurelia griff sofort danach.

„Samael! Ich hab was zum essen gefunden!“. Er kam zu ihr rüber. Beide konnten nicht leugnen, dass ihre Bäuche schon weh taten, weil sie so Hunger hatten.

Sie nahm ein Teil und wollte es Richtung Mund führen, als Samael es ihr aus den Händen schlug, die Schüssel gleich mit.

Sie starrte ihn erst erschrocken, entsetzt, dann wütend an:

„Was soll das?! Hast du sie noch alle?!“.

„Sieh doch hin!“, sagte er und zeigte auf den Boden, wo eigentlich das Fleisch hätte liegen sollen. Doch stattdessen, war dort ein großer Haufen von Würmern, die um sich schlangen und sich gegenseitig auffraßen. Lang, grau und nicht von der Welt, die sie kannte.

Dann sah Aurelia zurück zu Samael, der sie ebenfalls ansah. Schrecken und Sorge mischten sich in seine Augen. Er hatte sie gerettet. Ein Dämon. Sie. Gerettet. Sie blickte tief in seine Augen. Das Orangefarbene Feuer, das sie immer in ihnen sah, wirkte auf einmal so blass. Als würde es verschwinden und etwas anderes hervorkommen.

Er trat noch etwas näher.

„Das hätte ich lieber gelassen“, ertönte eine tiefe Stimme.

Samael drehte sich sofort um und trat vor Aurelia.

Auf dem Boden zeichnete sich ein Schatten ab, der aus dem Dunkeln des hinteren Teils der Hütte ragte. Der Schatten bewegte sich, die Holzdielen knarrten unangenehm, die Gestalt trat hervor.

Ein Mann, gehüllt in einen schmutzigen, braunen Umhang mit Kapuze, dazu Handschuhe, die zu den Fingerknöchel reichten. Durch den langen, schwarzen Bart war sein Gesicht fast ganz bedeckt. Doch was Aurelia erkannte, war eine Pfeife zum Rauchen, die an seinem Kittel hing und nah an seinem Herzen trug.

„Was?!“, wollte Samael wissen.

Aurelia trat hinter Samael hervor und sah ihn an. Sein Gesicht, die Augen des erschienenen Mannes waren ins Leere fokussiert, als würden sie vergebens auf etwas warten. Seine Pupillen weiteten sich:

„Der Angelpunkt kann nur von denen gefunden werden, die ihn nicht finden wollen. Wollen sie ihn finden, wird er sich nie finden lassen wollen“.

Aurelia und Samael sahen sich verwirrt an. Was meinte der Mann? Was wollte er?

„Was sagten sie?“, fragte Samael.

„Ich sagte, ich hätte das an eurer Stelle nicht gemacht!“, schrie er und sah sie diesmal direkt an. Dann sprach er weiter: „Was wollt ihr? Ihr kommt sonst niemand hierher! Außer der Bruder des Todes verschlägt es immer wieder in diese Gegend!...ach, er ist überall“.

„Der Bruder des Todes?“, wiederholte Aurelia.

„Wir wollten nicht hierher kommen“, versuchte Samael zu erklären und trat vorsichtig auf den alten Mann zu: „Aber wir sind es. Und jetzt versuchen wir von hier wieder wegzukommen...doch wir wissen nicht wie...“. Samael klang auf eine Weise sanft, wie es Aurelia bei ihm noch nie miterlebt hatte.

„Ihr wollt von hier wegkommen...Hier gibt es kein entrinnen, nur der ewig gefesselte Wächter des Todes,...der Bruder...“.

Der alte Mann setzte sich auf den Stuhl, der an dem Tisch gelehnt hatte. Sobald er sich niedergelassen hatte, zündeten sich von selbst eine Unmenge von Kerzen an. Aurelia staunte. Die Kerzen waren vorher nicht da gewesen. Durch das Licht, wurden Teile des Raumes frei, die davor wie unsichtbar gewesen waren.

Aus der Richtung, aus der der Mann gekommen war, zeigte sich auf einmal ein weiterer Raum, der durch einen Stofffetzen von dem anderen abgetrennt wurde. Doch der Raum dahinter war noch düsterer als der, in dem sie sich befanden. Aurelia wandte den Kopf ab.

Zwei weitere Stühle erschienen, als würde der alte Mann sie einladen sich hinzusetzten. Und so taten sie es auch.

Samael und Aurelia saßen sich jetzt gegenüber und wechselten kurz einen Blick. 'Wir schaffen das!', sagten sie sich im Stillen, harrten noch einen Augenblick aus und wandten sich dann zu dem Mann, der wieder in seiner Leere zu versinken schien, als wäre er Tod.

„Wessen Bruder?“, fragte Aurelia.

Er schien sie gar nicht zu beachten und sprach weiter:

„...Es geht ein Flüstern durch das Land, dass er kommen wird, der Erste, der uns aus diesem Krieg führen wird und danach die Welt wiedergeboren wird...in Sonne und Wärme...Herrlichkeit und Liebe...in Frieden“.

Samael beugte sich zu ihm vor: „Was hat das zu bedeuten?“.

Plötzlich fing der Alte an zu zittern, so stark, dass seine Pfeife an seine Brust stieß. Seine Hände verkrampften sich, die Knöchel traten weiß hervor.

„Ihr müsst verschwinden sofort!“, rief er und griff an seine Pfeife, als würde ihn etwas dazu zwingen.

Dann fing die ganze Hütte an zu beben. Gläser und Gefäße fingen an in der Luft zu schweben und zersprangen. Eins nach dem anderen. Die ausgestopften Tiere wurden lebendig, doch kurz nachdem sie sich wieder zu ihrer natürlichen Gestalt verwandelt hatten, verzogen sich ihre Mäuler zu riesigen Fratzen und ihre Körper wuchsen immer weiter in die Höhe. Ihre Zähne wuchsen ebenfalls, wurden immer spitzer.

„Was müssen wir tun, um hier wegzukommen?!“, schrie Aurelia.

„VERSCHWINDET!“, brüllte der alte Mann.

Der Kopf des Wolfes, trat aus der Wand hinaus und zog seinen ganzen Körper mit sich hinterher. Er sprang nach unten.

„Aurelia! Los raus hier!“, schrie Samael und fasste sie am Arm. Sie schafften es gerade bis zur Tür, als die ganze Hütte explodierte.
 

Aurelia wurde durch die Luft geschleudert. Sie verlor Samael und fiel durch die Staubwolke zu Boden.

Sie traf auf dem harten Boden auf und für einen Moment konnte sie weder sehen, fühlen, noch sich regen. Ihr Herz pochte wie wild, doch Luft bekam sie trotzdem keine.

Die Staubwolke verschwand zunehmend und erst dann wagte sie es, die Augen wieder zu öffnen.

Nach und nach konnte sie ihre Arme und Beine wieder fühlen und raffte sich auf. Sie blieb auf den Knien sitzen und sah sich um.

Die Gegend war noch immer mit dem Schleier des Staubs überzogen, doch immerhin nicht mehr so weit, sodass sie einige Meter nach vorne schauen konnte.

Dann erkannte sie eine Gestalt.

„Samael“, Aurelia stand auf und humpelte zu ihm rüber. Erst dann kam seine Antwort.

„Alles in Ordnung?“.

„Bist du okay?“.

„Ja“, sagten sie gleichzeitig, als sie ihre Gesichter sehen konnten. Doch bevor sie bei ihm ankam, fiel sie auf den Boden. Blut tropfte in das verstaubte Gras. Sie fasste sich an die Nase. Ihre Finger waren voller Blut. Erst jetzt spürte sie den Schmerz, der sie bis ins Mark traf.

Samael kam zu ihr und kniete sich neben sie.

„Alles okay?“, fragte er.

„Was ist das für ein verrückter Ort?!“, sagte sie, anstatt ihm zu antworten. Aurelia wollte ihm nicht zeigen, dass sie Schmerzen hatte, sie wollte vor ihm keine Schwäche zeigen. Sie stand auf und unterdrückte jegliches Gefühl, das weh tat.

Samael richtete sich ebenfalls wieder auf, seine schwarzen Haar wehten im Wind. Er wandte sich ab, als wäre er tief in Gedanken versunken.

„...nur von denen gefunden werden, die ihn nicht finden wollen...er wird sich nicht finden lassen, wenn er gesucht werden will...Der Angelpunkt, was könnte er damit gemeint haben?“.

„Es könnte vieles sein...“, meinte Aurelia, dann: „Es muss etwas festes sein, etwas, dass da ist. Wir hätten es doch eigentlich schon gesehen haben müssen. Es war uns nur nicht bewusst, dass es das ist, was wir brauchen, um wieder nach Hause zu kommen“.

„Und was soll das sein?“, fragte Samael.

„Ich weiß -“. Aurelia wurde durch das Heulen eines Wolfes unterbrochen. Sie wandten sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Und sahen einen Wolf, größer als alles, was sie bisher gesehen hatten. Sein Fell war weiß- grau, seine Pfoten waren größer, als sie beide, geradezu bestialisch. Sein Körper reichte bis zu den Baumkronen, man hätte glatt drunter durchlaufen können. Sein Schädel war gigantisch, sein Maul besetzt von einer Unzahl an spitzen Zähnen. Trotz seiner erschreckenden Erscheinung, war er eine Schönheit. Seine Bernsteinfarbenen Augen liefen vorne spitz zu, die Schnauze ebenmäßig, nur in der Mitte eine kleine Vertiefung.

Er fletschte die Zähne und ging in Kampfposition. Er baute sich vor ihnen auf und als er ein zweites Mal die Zähne fletschte, zog sich sein Fell nach hinten...und verschwand. Dunkel- grüne Schuppen kleideten seinen muskulösen Körper und spiegelten sich in der Sonne.

Aus seiner Kehle kam ein tiefes, kratziges Geräusch, er setzte zum Sprung an.

Aurelia stand wie versteinert da und regte sich erst, als Samael sie beiseite schubste, raus aus der Ziellinie des Wolfes.

„LOS!“, schrie er und zog sie mit sich. Aurelia wusste, sie beide wussten, dass sie den Wolf unmöglich besiegen konnten. Sie hatten Waffen ja, aber sie würden keinerlei Schaden anrichten können. Dafür war der Wolf zu groß.

Sie rannten durch den Wald, der Wolf war ihnen dicht auf den Fersen. Aurelias linkes Bein schmerzte höllisch, doch sie musste es unterdrücken, sie musste einfach.

In der Ferne hörte sie noch weitere Wölfe heulen, und sie beschleunigte ihr Tempo noch mehr. Dann sprang sie auf einen Baumstamm hoch und kletterte. Aurelia sprang von Ast zu Ast, berührte das Holz kaum dabei.

Der Wolf kam näher, preschte durch das Unterholz, stieß mit seiner Kraft ganze Bäume um. Aurelia erhöhte ihr Tempo noch mehr, bis sie nicht mehr schneller konnte und die Welt an ihr vorüberzog. Der Wolf warf sich auf den Baum, auf dem sie gerade ankam und stürzte mit ihr in die Tiefe.

Aurelia landete auf einem Stein, rollte und fiel den Abgrund eines Wasserfalls hinunter.

Sie kam auf dem feuchten Boden, neben dem See auf, rappelte sich auf und rannte weiter.

Dabei hielt sie sich an die Seite. Ein fürchterlicher Schmerz durchzog ihren Körper. Als sie, während dem Rennen, an sich hinunter blickte, sah sie einen dicken Zweig, der sich seitlich in ihr Fleisch gebohrt hatte.

Sie schrie.

Schrie.

Und schrie.

Der Wolf sprang den Wasserfall mit Leichtigkeit hinunter. Sie rannte, schrie und rannte weiter, immer weiter.

Ohne es zu merken eilte sie einen bewaldeten Hügel hinauf. Kurz stützte sie sich an einen Baum, rannte aber sogleich weiter, als auf einmal zwei solcher riesigen Wölfe hinter ihr her waren. Wenn sie jetzt nur ihre Flügel hätte!

Ihr Weg führte geradewegs zu einem Felsvorsprung.

Sie schaute nach hinten.

Es gab kein zurück mehr.

„Samael!“, schrie sie, doch sie wusste das es zwecklos war. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie auf einen der Bäume geklettert war. Ein ungutes Gefühl mischte sich in ihren Schmerz.

Nein, es gab kein zurück mehr.

Noch einmal, ein letztes Mal gab sie alles und beschleunigte ihr Tempo, zog den dicken Zweig aus ihrem Fleisch, schrie, rannte und merkte, dass der Zweig zur Hälfte abgebrochen war. Ein Teil steckte noch in ihrem Körper.

Sie kam bei dem Felsvorsprung an, sah den Wolf auf sich springen und beide stürzten in die Tiefe des Sees.

Kapitel 24

„Was?!“. Mirac war sprachlos. Noch nie hatte jemand den Rat um Erlaubnis gebeten, das Portal der Nornen zu durchqueren und damit ein Gesetz zu brechen! Das letzte Mal, das ein Geist die endlose Brücke überquert hat, lag Jahrhunderte zurück. Es war strengstens verboten und nur in Notfällen erlaubt, ihren Rat in Erwägung zu ziehen.

„Bitte“, sprach Amaya. Es war ihre einzige Chance, Samael und den Engel überhaupt ausfindig zu machen. Sie könnte nicht mit der Schuld leben. Mit der Schuld, sie möglicherweise umgebracht zu haben.

Sie durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Sie mussten noch am Leben sein! Und sie musste wenigstens alle Möglichkeiten, ihnen zu helfen, in Erwägung ziehen! Auch wenn es verboten war...

„Amaya, du weißt ganz genau, dass das nicht geht. Niemand wagt es, die Nornen aufzusuchen und sie um Hilfe zu bitten“. Während Mirac sprach war seine Stimme ruhig, sanft. Er versuchte sie von ihrer Idee abzubringen...'Aber er würde es nicht schaffen', sagte sich Amaya.

Naja, eigentlich war es nicht 'ihre' Idee. Sie blickte zur Seite, wo Kilian stand. Auch wenn sie schon seit Kindertagen befreundet, und praktisch unzertrennlich waren, hätte sie es nicht von ihm erwartet, dass er ihr half. Nicht bei dieser Angelegenheit. Und sie tat es immer noch nicht. Sobald alles geregelt war, würde sie sich dafür revanchieren. Er kannte Samael gar nicht und war auch nicht dabei gewesen, als der Engel die schrecklichen Visionen gehabt hatte. Trotzdem setzte er sich jetzt für sie ein:

„Es ist die einzige Chance, die uns bleibt“, sagte er: „Wir können nicht mehr lange warten. Es muss jetzt eine Entscheidung gefällt werden! Andernfalls könnte es sonst zu spät sein“.

„Ihr denkt also,“begann Mirac: „dass sich ein Dämon und ein Engel in einem Dimensionslosen Raum befinden und sterben, wenn nicht bald etwas geschieht?“.

„Vielleicht sind sie auch in einer anderen Dimension gelandet. Ich weiß es nicht...“, sprach Amaya verzweifelt.

„Ich hätte eher gesagt, dass sie sich vor Hass gegenseitig umbringen, bevor sie von selbst umkommen...“, sagte Mirac, als hätte er nicht zugehört: „Wie dem auch sei...Amaya, ist dir klar, dass diese Reise nicht ganz ungefährlich sein kann?! Was ist, wenn sie dich nicht zu ihnen lassen?! Du könntest auch nie wieder zurück kommen!“, sagte Mirac. Er versuchte weiterhin, ihr ins Gewissen zu reden. Ohne Erfolg.

„Onkel, ich werde verdammt nochmal durch dieses Portal schreiten, koste es was es wolle. Ich werde es tun, denn ich werde nicht mit dieser Schuld leben! Nicht in diesem Leben!“.

„Na schön“, sagte Mirac. Er wirkte auf einmal kühl und wandte sich ab: „Kilian komm mit. Wir müssen eine Besprechung mit dem Rat miteinbeziehen“. Eines der obersten Gesetze: Wenn ein Geist eine Besprechung mit dem Rat verlangte, bekam er sie auch.

„Ich komme“. Kilian wandte sich zum gehen ab und sah davor nochmal Amaya an: „Ich werde alles in meiner Macht stehende versuchen, um Mirac und den Rest des Rates davon zu überzeugen“, sagte er ernst und klopfte ihr auf die Schulter, bevor er aus dem Amtszimmer ihres Onkels schritt.

„Denkst du er wird es schaffen?“, fragte Javier, der bis zu diesem Moment still geblieben war.

Er drehte sich vom Fenster weg und sah sie an.

„Ich weiß es nicht. Wir können nur hoffen“, antwortete sie leise.

„Wenn er es nicht schafft...was hat Kilian dann vor?“.

„Auch das weiß ich nicht“ und bei diesem Gedanken musste sie lächeln: „Bei so etwas kannst du dir nie sicher sein. Nicht bei ihm. Aber ich vertraue ihm“.

Dann war es einige Zeit still. Amaya dachte über die letzten Tage nach. Es war alles so irrational. Und wieder einmal hatte sie das Gefühl, als ob ihr jegliche Kontrolle über ihr Leben, und auch Javiers, aus den Händen floss. Angefangen hatte es damit, dass sie sich Javier gezeigt hatte, ihm einfach alles über ihre Welt und den Kampf zwischen Engeln und Dämonen erzählt hatte. Nebenbei wurden sie auch noch selbst von einem Dämon verfolgt. Warum hatte sie all das getan?, fragte sich Amaya in dem Moment.

Sie hatte keinerlei Grund gehabt, Javier in all das mit reinzuziehen! Warum?! Warum hatte sie das getan?!

Außerdem war es verboten, den Menschen ihre Welt zu offenbaren! Das leichteste und oberste Gesetz ihrer Welt! Gleich danach kam der Schutz der Menschen.

'Ist mir ja wunderbar gelungen!', flog es ihr durch den Kopf. Allmälich wurde sie sauer. Sauer auf sich selbst. All die Hilfe und Unterstützung...das hatte sie nicht verdient! Da war es gerade recht, dass es höchst wahrscheinlich war, dass sie mit der Schuld leben musste! Aber anderseits konnte sie andere für ihre Fehler auch nicht büßen lassen! Sie musste wieder alles in Ordnung bringen! Und sobald wieder alles so war, wie es sein sollte, würde sie Javier wieder in die Welt der Menschen lassen. Als hätte sie es nie gegeben...

Amaya fing an zu lachen. Ein Lachen der Verzweiflung, der Hilflosigkeit, des Versagens.

„Was ist?“, wollte Javier wissen.

„Es darf nicht war sein...“, sie fasste sich an den Kopf: „Alles gerät außer Kontrolle! Alles ist meine Schuld! Und eigentlich dürftest du gar nicht hier sein...Ich habe versagt. Versagt als Silithas, versagt...“. Sie ließ sich in einen der wenigen Sessel fallen. Decken aus Tierfell waren über sie gelegt.

Sie stützte weiter den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Eine warme Hand legte sich auf ihr Knie und drückte sie kurz. Amaya schaute auf und sah Javier vor sich knien. Sein Blick war ebenfalls warm, von seiner Stimme ganz zu schweigen:

„Du hast nicht versagt. Sonst würde ich jetzt nicht mehr leben. Und das Samael und der Engel...sie sind nicht tot, das verspreche ich dir. Und es ist auch nicht deine Schuld. Du konntest nicht wissen, dass sie sich ebenfalls in der Wohnung befinden. Und du kannst nichts für das, was passiert ist. Es ist außer Kontrolle geraten, ja, aber nicht deinetwegen“.

Seine Worte waren ehrlich gemeint und nur durch seinen Blick, brachte sie ein kleines Lächeln zustande. Das sogleich erlosch. Sie musste standhaft bleiben! Nicht die Haltung verlieren...

„Komm her“, sagte er und sie fiel ihm in den Arm.

„Es wird wieder alles Gut“, sprach er leise. Sie stützte den Kopf auf seine Schulter und atmete tief ein. Amaya wusste nicht wieso, aber in diesem Moment war sie so froh, wie noch nie darüber, dass er da war. Sie drückte ihn an sich und sprach ein leises: „Danke“ aus.

Danach wandte sie sich schnell aus der Umarmung und stand auf.

Einen Moment später trat Mirac ein, gefolgt von Kilian und zwei anderen Mitgliedern des Rates. Yuma und Demian. Diese zwei Zwillingsbrüder waren die ältesten, die es in ihrer Welt gab. Beide hatten langes, weißes Haar und eine graue Augenfarbe, genau wie Amaya. Der einzige Unterschied zwischen ihnen, war ihre Größe. Yuma war sehr hochgewachsen, hatte langgliedrige Finger und war mindestens anderthalb Köpfe größer als Amaya. Demian hingegen war anderthalb Köpfe kleiner als sie und hatte ein eher rundes Gesicht. Trotz ihres Größenunterschieds waren die Brüder immer derselben Meinung und standen Rücken an Rücken.

Schon seit ihrer Geburt war festgestanden, dass sie eines Tages dem Rat beitreten würden und hatten deshalb kein Leben als Silithas begonnen. Jene, die zu den drei Oberhäuptern in Niflheim gehörten, wandten sich ganz und gar ihrer Pflicht, dem Volk, zu. Sie würden nie einen Schützling bekommen und verließen ihre Welt nur selten. Sie waren für die Sicherheit in Niflheim zuständig, sie waren das Herz.

„Sie haben eine Wahl getroffen“, sprach Javier leise, sodass es nur Amaya hören konnte und stand auf.

Amaya trat auf sie zu und blieb mitten im Raum stehen. Die nagende Ungeduld in ihr wuchs stetig. Was würden sie sagen? Was hatten sie für eine Entscheidung getroffen?

Nervös schaute sie von Mirac zu Kilian und wieder zurück. Ihre Mienen sagten nichts aus.

„Eine Wahl wurde getroffen“, fing Mirac an: „Der Rat hat beschlossen, dass wir dir nicht die Erlaubnis erteilen werden, die Nornen aufzusuchen“.

„Aber...wieso?!“, wollte Amaya wissen.

„Zu viele Gründe sprachen eindeutig dagegen“, sagte Yuma.

„Die Notwendigkeit ist zu gering“, sprach Demian weiter.

„Warum sollte sich eine von uns, für ein Engel und ein Dämon in Gefahr begeben, wenn sie tagtäglich versuchen unseren Schützlingen etwas anzutun?!“, meinte Mirac und mit diesen Worten wandten sich die drei Männer ab und verließen das Zimmer.

Kilian blieb als einziger von ihnen stehen und sah Amaya an.

„Es tut mir leid. Ich habe alles versucht, um sie umzustimmen“, sagte er.

„Nein, es muss dir nicht leid tun. Du hast genug getan, danke“.

„Und was tun wir jetzt? Es kann doch nicht sein, dass das alles war“, sagte Javier.

„Doch“, antwortete Amaya und trat ein paar Schritte weiter weg von den beiden.

Javier ging auf Kilian zu und sprach so leise, dass Amaya sie nicht hören konnte.

„Sagtest du nicht, dass du noch einen anderen Plan hast?“.

Kilian blickte auf den Boden, als würde er überlegen und sah dann Javier fest in die Augen:

„Ja, du hast recht. Aber ich dachte, dass das hier funktionieren würde...Die zweite Möglichkeit...“, während er sprach, sahen sie beide kurz zu Amaya rüber: „Sie ist nicht ganz ungefährlich, aber auch nicht unüberwindbar“. Sie sahen sich wieder an und Javier bemerkte das intensive grün in seinen Augen. Von allen Geistern, die er bisher getroffen hatte, war Kilian derjenige gewesen, der Javier nie komisch oder vielleicht sogar abschätzend angeschaut hatte. Natürlich abgesehen von Amaya. Er hatte ihn gleich mit einem Lächeln begrüßt und ihn Willkommen gehießen.

Javier konnte verstehen, warum Amaya so gut mit Kilian befreundet war. Kilian war eine Person, der man vertrauen und sich auf sie verlassen konnte. Und auch wenn die Idee mit dem Rat daneben gegangen war, war Kilian ein wahrer Freund.

„Es gibt noch einen anderen, geheimen Weg zu den Nornen. Er ist verboten und heutzutage weiß noch kaum jemand über ihn Bescheid“.

„Was ist das für ein Weg?“, wollte Javier wissen.

„Der Weg durchs ewige Eis“.
 

„Was?! Und du hast mir davon nichts erzählt?!“, fragte Amaya sprachlos.

Kilian, Javier und Amaya standen in der großen Eingangshalle in dem Haus der Silithas. Das Bild von Yggdrasil, umschlungen von Jörmungandr leuchtete in einem fantastischen grün in die Halle und spiegelte sich in der silbernen Flüssigkeit im Becken, vor dem sie jetzt standen.

Das Becken war in den Boden eingebaut, befand sich in der Mitte der Halle und war groß genug, dass man reingehen konnte.

„Nicht so laut!“, warnte Kilian sie: „Heutzutage weiß kaum noch jemand, für was das Becken da ist“.

„Und für was ist es da?“, fragte Javier.

„Wenn man zum Grund dieses Beckens taucht, kommt man in eine andere Gegend in Niflheim. Diese Gegend kann normal nicht aufgefunden werden“.

„Schön und gut, aber wie soll mir das helfen, um zu den Nornen zu gelangen?“, sagte Amaya.

„Das würdest du wissen, wenn deine Ungeduld -“.

„Ich bin nicht ungeduldig! Und jetzt sprich!“.

Kilian und Javier sahen sich kurz an und versuchten sich ein Lachen zu unterdrücken, dann sprach er weiter:

„Du gelangst auf einen Pfad, der sich auf einem zugefrorenen See befindet. Wenn man dem Pfad folgt, wird das Eis des Sees brechen und man gelangt in eine nasse, eisige Finsternis. Sobald man in den See eingetaucht ist, muss man eine Rune finden, die in einen Stein eingemeißelt sein soll -“.

„Stopp!“, unterbrach Javier ihn: „Das heißt, es ist gar nicht klar, ob die Rune überhaupt existiert?!“.

„Sie existiert!“.

„Wieso bist du dir da so sicher?“.

Bevor Kilian darauf antworten konnte, unterbrach Amaya die zwei Männer.

„Man kann sich nicht sicher sein! Aber eine andere Wahl haben wir auch nicht“.

Javier und Kilian sahen sie beide etwas erschrocken an, als hätten sie nicht erwartet, dass sie sich zu Wort melden würde.

„Sie hat recht“, erklang eine Stimme aus dem Dunkeln. Die Drei wandten sich erschrocken in die Richtung, aus der die Stimme kam. Nach einem kurzen Augenblick der Ungewissheit, trat Demian aus dem Schatten der Säulen.

„Sie hat recht“, wiederholte er. Als er bei ihnen ankam, blickte er zu ihnen auf: „Aber es wundert mich, dass so junge Leute wie ihr, über diesen Pfad Bescheid wisst“.

„Ja, wir...“, begann Kilian.

„Nein, sag nichts. Ich weiß, war ihr vorhabt, doch bevor ich sage, was ihr wissen müsst, darfst du deine kleine Erzählung beenden, Kilian“. Demian schenkte ihm ein kleines Lächeln. Amaya war sich nicht sicher, ob er sich wirklich lustig über sie machte oder ob er es nur so tat.

„Wenn man die Rune gefunden hat, muss man sie berühren und darauf gelangt man auf einen Gletscher, den du hinuntersteigen musst. Wenn man das geschafft hat, steht man vor einem Tor, in das man dann hineingeht“.

„Und dann ist man bei den Nornen?“, fragte Amaya.

Demian und Kilian nickten gleichzeitig.

„Und wo liegt die Gefahr?“.

„Du musst allein gehen“, sagte Demian mit Bestimmtheit.

„WAS?!“, kam es von Kilian und Javier gleichzeitig.

„Okay, dann gehe ich alleine. Ist das denn so schlimm?“.

„Es ist ein sehr langer Weg und es werden Gefahren auf dich zukommen, welchen denen du noch nicht begegnet bist“, erklärte Demian.

Kurze Zeit blieb es still. Amaya überlegte. Auch wenn Gefahren auf sie zukommen werden, würden sie sie nicht davon abhalten können, trotzdem zu gehen. In den letzten Stunden ist sie ihrer Pflicht bewusst geworden und das Gefahren auf sie zukommen würden, war von Anfang an nicht auszuschließen gewesen. Nicht für sie. Sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt und sie würde es schaffen!

Nur der Gedanke, dass sie allein würde gehen müssen, war neu. Sie hatte keine Angst davor, aber trotzdem beunruhigte es sie, dass sie den Nornen allein gegenüber treten würde. Man sagte, dass sie Listenreich waren und nicht unbedingt erfreut über Besuch waren.

'Ich würde Javier und Kilian hier zurücklassen...und Urd, Verdandi und Skuld allein gegenübertreten', ging es Amaya durch den Kopf. 'Ich schaffe das!'.

„Na schön, ich tu es. Ich gehe den Pfad entlang, allein, und werde die drei Schwestern aufsuchen“.

„Bist du dir sicher?“, fragte Demian. Einen Moment fuhr ihr der Gedanke durch den Kopf, dass er es Mirac, und somit allen verraten könnte, was sie vorhatte. Aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Darum würde sie sich später kümmern müssen. Für alle Fälle wäre ja auch noch Kilian da.

Amaya trat auf das Becken zu: „Ja, ich bin sicher“.

Dann setzte einen Fuß auf die erste Stufe der Treppe, die in die silberne Flüssigkeit führte. Noch einmal sah sie zu Kilian.

„Ich wollte nicht, dass das passiert, es tut mir Leid. Du musst nicht gehen, das weißt du!“.

„Und du weißt, dass mich davon nichts abhalten kann, auch nicht du. Ich werde zurückkommen, versprochen“.

Sie sah ihm ein letztes Mal in die Augen und blickte dann zu Javier.

„Viel Glück“, sagte er und sein Blick war voller Sorge: „Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann“.

Amaya hörte eine leise Stimme in ihrem Inneren, die sie sogleich vertrieb.

'Nein, ich MUSS gehen!', sagte sie sich.

Dann sah sie ihn noch einmal an und tauchte in die silberne Flüssigkeit.

Amaya tauchte in die Tiefe und wunderte sich, dass das Becken doch tiefer war, als gedacht. Kaum hatte sie mit den Händen den Boden berührt, fand sie sich in einer riesigen Eislandschaft wieder.

Sie blickte zu Boden. Das Eis knirschte unter ihren Schnürrstiefeletten. Dann rannte sie.

Das Eis hinter ihr bekam Risse und ging entzwei.

'Ich muss den richtigen Moment abpassen!'.

Amaya blickte nach vorne und erkannte, dass auch schon dort sich das Eis entzwei teilte.

In dem Versuch, nicht auszurutschen, beschleunigte sie ihr Tempo und sprang hoch.

Das Eis öffnete sich unter ihr und sie sprang in den kleinen Spalt hinein. Danach herrschte Dunkelheit und das Eis über ihr schloss sich.

Kapitel 25

Der Wolf preschte durch den Wald, sein Fell, seine Schuppenhaut glänzte im Licht der Sonnenstrahlen, die durch die verzweigten Baumkronen schienen. Eine Mischung aus Tannen grün, dunklem Türkis und animalischer Bewegungen.

Aus seiner Kehle kam ein tiefes Geräusch, seine Krallen bohrten sich tief ins Unterholz hinein. Mit jedem Knacken wusste Samael, dass der Wolf näher kam. Ihm musste etwas einfallen!

So konnte es nicht weitergehen, aber weg fliegen würde er auf keinen Fall. Lieber würde er seinen Kriegerstolz unter den Klauen des Wolfes begraben lassen, als kampflos und wie ein Feigling aufzugeben!

Samael sprang eine Böschung hinunter, kam auf einem Felsen auf, rollte sich ab und sprang auf einen nahe gelegenen Baumstamm. Dort stieß er sich mit aller Kraft ab, brachte seine Flügel zum Vorschein und schwang sich in die Lüfte. Anschließend machte er ein Salto, packte sein Schwert und ließ sich mit hoher Geschwindigkeit auf den Rücken des Wolfes hinabsausen.

Die Schuppen des Wolfes waren wie ein Panzer, aber dennoch bohrte sich die Klinge tief in sein Fleisch.

Der Wolf gab ein Laut des Schmerzes von sich und warf den Schädel in den Nacken. Er hörte, wie die Sehnen und Gliedmaßen brachen. Samael zog das Blutüberströmte Schwert hinaus und flog wieder hoch.

Statt zu sehen wie der Wolf starb, sah Samael etwas anderes. Der Wolf bäumte sich auf und begann zu heulen. Eine Sofortige Antwort eines anderen Wolfes erklang durch den Wald.

In der Ferne sah Samael Vögel aus den Baumkronen fliehen.

Von der einen auf die andere Sekunde, preschten zwei weitere Wölfe den Hang hinunter, zu ihrem Gefährten.

Sie schienen sich auf ihre Art zu verständigen, worauf sie zu Samael hoch blickten.

Dann entfuhr ihnen ein wütendes knurren und sie stellten sich in Kampfposition. Samaels Griff um das Heft seines Schwertes verfestigte sich, als er plötzlich seinen Namen rufen hörte.

Aurelia!

Er erkannte ihre Stimme sofort und wusste, dass sie Hilfe brauchte. Doch ihm war genauso bewusst, dass er die Wölfe erst töten musste, um sie nicht zu ihr zu führen.

„Hey!“, schrie er zu den Wölfen, um ihre ganze Aufmerksamkeit zu erregen. Er flog davon und sie folgten ihm auf der Stelle.

Samael ließ sich tiefer gleiten, sodass er direkt vor ihnen flog. Das Rauschen eines Wasserfalls machte sie bemerkbar, gleich danach, sah er eine steile Felswand vor sich auftauchen. Er erkannte seine Chance. Die Wölfe folgten ihm über den Wasserfall, hinauf einen Pfad am Abgrund in die Tiefe des Waldes. Am Horizont waren große Berge zu erkennen, die ihren kalten Stein in der Sonne wärmen ließen.

Samael zog seine Flügel ein und begann zu rennen, der Pfad wurde immer schmaler. Er beschleunigte sein Tempo, die Wölfe hinter ihm hatten ihn fast erreicht.

Plötzlich spürte er wie eine Kralle den Stoff seines T- Shirts aufschlitzte und eine tiefe Wunde in seine Haut schnitt. Samael unterdrückte den Schmerz und spürte wie das Blut seinen Rücken hinunter floss.

Er sprang in die Höhe und rannte quer über die Felswand. Dank seiner dämonischen Kräfte schaffte er es nicht abzurutschen und weiter zu rennen.

Unter sich sah er, wie der Weg auf einmal aufhörte, die Wölfe stürzten in die Tiefe. Dann drückte er sich selber von der Wand ab und sprang hinunter.

Kopfüber ließ er sich hinunterfallen, breitete seine Flügel aus, packte sein Schwert und erhöhte seine Geschwindigkeit.

Samael kam den Wölfen immer näher, die selbst jetzt noch in seine Richtung schauten, ihre Zähne fletschten und ihre riesigen Pranken nach ihm ausstreckten. Ihre Augen waren wie Gift.

Er schwang sein Schwert mit aller Kraft und schlug dem ersten Wolf den Kopf ab.

Samael kam dem zweiten Wolf näher. Die Größe der Wölfe, war mit nichts zu vergleichen. Allein ihre Pranke war fast so groß wie ein ausgewachsener menschlicher Körper.

Trotzdem verspürte er in diesem Moment nur Zorn.

Der Wolf öffnete sein Maul, wusste, dass er sterben würde und knurrte Samael noch ein letztes Mal an. Dann ging alles ganz schnell:

Samael bohrte seine Klinge in den Rachen des Wolfes und zog sie dann wieder hinaus. Dann schlug auch er ihm den Kopf ab, sodass das Blut ihm entgegen spritzte.

Kurz darauf landete er auf dem Boden, die großen Körper der Wölfe neben ihm.

Samael atmete erschöpft aus, sein Herz pochte wie wild.

'Aurelia!', fuhr es ihm durch den Kopf und er schwang sich erneut in die Lüfte.

„Aurelia!“, schrie er, immer und immer wieder. Eine langsame Angst machte sich in ihm breit. Was wenn ihr etwas zugestoßen war? Wenn es zu spät war? Wenn sie irgendwo feststeckte, nicht rufen konnte, weil sie erstickte?!

Dann versuchte er sich daran zu erinnern, aus welcher Richtung ihre Stimme gekommen war. Schnell flog er zurück, bis er an dem Wasserfall gelangte.

Er stand daneben und beobachtete die Umgebung. Wo könnte hingegangen sein? Welche Richtung könnte sie gewählt haben?

Ein plötzliches Knurren machte sich bemerkbar. 'Nicht schon wieder', dachte Samael.

Er folgte dem Laut, rannte einen Hügel hinauf und sah auf einem Felsvorsprung einen Wolf stehen.

Daneben lag ein abgebrochener Zweig, der von einer roten Flüssigkeit überzogen war.

Wut keimte in ihm auf und Samael stürzte sich auf den Wolf. Er stieß sein Schwert geradewegs in das Herz des Wolfes. Auf einmal erschien es ihm so leicht gegen den Wolf zu kämpfen. Es war als...als wäre es ihm gleichgültig.

Der Wolf verlor augenblicklich sein Gleichgewicht und stürzte in den See. Samael folgte ihm.
 

Aurelia trieb in der dunklen Tiefe des Sees, sie spürte kaum etwas. Wollte sie das? Es schien ihr so leicht...so schwerelos.

Die betäubende Kühle hatte sich schon längst in ihren Körper hineingeschlichen. Alle Wärme schien sie zu verlassen. Der Wolf, der sich mit ihr in die Tiefe gestürzt hatte...sie wusste nicht wo er war. Vielleicht war es auch egal.

Sie versuchte sich zu erinnern, was passiert war.

Sie wusste es nicht. Nur dunkle Erinnerungen...

Ihr Herzschlag wurde langsamer, sie konnte ihn hören...

Sie konnte hören wie sie nach Samael gerufen hatte und schlug abrupt die Augen auf.

Wollte nach oben schwimmen.

Dann stieß sie mit dem Kopf gegen etwas hartes und sie spürte diesmal nichts mehr.
 

Samael tauchte in das kalte Nass, voller Verzweiflung. Würde er sie finden? War sie überhaupt hier?

Was, wenn er zu spät kam?

Er schob seine Gedanken beiseite. Helfen würden sie ihm sowieso nicht.

Umso tiefer tauchte, desto dunkler wurde es und schon nach kurzer Zeit konnte er kaum mehr die Hand vor Augen sehen. Doch er machte weiter. Ans Aufgeben dachte er erst gar nicht.

Die Farbe des Wassers änderte sich schlagartig. Was noch kurz zuvor grünes, trübes Gewässer war, war zu einer roten Flüssigkeit geworden. Samael versuchte den Gedanken, der sich unweigerlich in den Vordergrund drängte, nicht zu beachten und schwamm weiter in die Tiefe.

Das Blut verdichtete sich dort und bestärkte seine schreckliche Vorahnung.

'Das darf nicht wahr sein!'.

Dann sah er sie. Die Augen geschlossen, leblos.

Schock, Angst und auch große Erleichterung durchfuhren ihn. Sofort griff er nach ihren Händen und zog sie an sich. Er hielt sie ganz fest bei sich, ließ seine Flügel erscheinen und brachte sie beide aus der Finsternis hinaus, hinaus in das kräftige Sonnenlicht der Welt.
 

Aurelia stand wieder in der überdimensionalen Halle aus Eis und Stein. Kleine Schneeflocken fielen hinab und bildeten ein unwirkliches Bild mit dem riesigen Baum in der Mitte. Trotzdem sah alles so gigantisch und real aus. Es war so friedvoll.

Der Baum stand inmitten des breiten Lichtstrahls und zeigte so seine ganze Pracht.

Wie hypnotisiert ging Aurelia darauf zu. Plötzlich hörte sie es unter ihr knacksen. Sie schaute auf den Boden, der aus Eis bestand, und bemerkte, dass er Risse bekam.

Plötzlich stand sie nur noch auf einer winzigen Eisfläche, der Rest des Weges war verschwunden. Erschrocken sah sie nach vorne und sah den Umriss einer Silhouette. Dunkle, mit Stacheln besetzte Flügel. Die Adern waren deutlich zu erkennen und verliefen kreuz und quer über die Schwingen.

Doch die Gestalt kam ihr nicht ganz unbekannt vor...

War das Samael? Sie wusste es nicht.

Der Lichtstrahl berührte die Flügel der Gestalt und ließ die Sicht auf einzelne Federn frei.

'Federn?!', dachte Aurelia, 'das kann unmöglich Samael sein'.

Ihr Gedankengang wurde von einer lauten Stimme unterbrochen:

»Jetzt, wenn der Himmel leer von Sternen ist,

die Welt in Schlaf gehüllt ist«.
 

Aurelia wachte schlagartig auf. Wo war sie? Was war passiert?

Der Wald war in die Dunkelheit der Nacht gehüllt. Vor ihr brannte ein kleines Lagerfeuer. Die Funken stoben unruhig nach oben und erloschen dort.

Ihre Kleidung war völlig durchnässt und sie fror. Die Haare, ebenfalls nass, klebten ihr im Gesicht und sie strich sie beiseite.

Ihre Bewegung hatte etwas ausgelöst. Sie spürte, wie sich eine warme Hand auf ihren Kopf legte und ihr die restlichen Haare beiseite strich. Etwas erschrocken blickte sie auf und sah Samael ins Gesicht.

Trotz der Strapazen freute sie sich mehr denn je, ihn zu sehen. Und erst jetzt bemerkte sie, dass sie in seinem Schoß lag. Sie wollte sich umdrehen, um ihm ganz ins Gesicht sehen zu können, doch schon die kleinste Bewegung mit ihrem Kopf tat höllisch weh.

„Autsch“, entfuhr es ihr. Sie fasste sich an die Stirn und schloss für einen Moment die Augen.

„Alles okay?“, fragte er leise.

„Ja, es geht wieder, danke“, sagte sie und blickte in seine Augen. Sie wollte noch so viel mehr sagen, aber sie bezweifelte es, dass sie im Moment mehr als nur ein paar Worte aus ihrem Mund rausbekommen würde.

Trotzdem kam sie sich komisch vor zu ihm hinaufschauen zu müssen.

Nochmals versuchte sie sich, mithilfe von Samael, aufzusetzen. Mit Erfolg.

„Du weißt schon, dass du eigentlich noch liegen bleiben solltest“, meinte er mit dem Anflug von einem Lächeln.

„Ja, aber...ich fühle mich so besser“, sagte sie und ihre Mundwinkel zuckten selbst etwas nach oben.

Er legte seine Hand auf ihren Rücken, damit er sie stützen konnte. Ihr Körper war noch viel zu schwach, um allein aufrecht sitzen, geschweige den stehen zu können.

„Was ist passiert?“, fragte sie, als sie sich wieder an die Stirn fasste. Erste Anzeichen von Schmerzen machten sich bemerkbar, sie zog die Augenbrauen zusammen.

„Du wärst fast gestorben“, erklärte ihr Samael leise. In seiner Stimme lag etwas...etwas das er nicht verkraften konnte. Dann sprach er weiter: „Ich hab gegen Wölfe gekämpft, als du meinen -“.

„Ja ich weiß“, brach sie ihm das Wort ab. Sie wollte nicht hören, dass sie nach ihm, nach Hilfe gerufen hatte. Ein Engel der nach einem Dämon um Hilfe rief?!

Sie schüttelte ungläubig den Kopf, worauf der noch mehr weh tat.

„Naja, ich bin dir dann jedenfalls nachgegangen und habe dich im See gefunden...leblos“.

Auch das noch: Jetzt hatte er ihr das Leben gerettet! Wieso sie?!

„Und du hast eine schwere Verletzung an deinen Rippen. Als ich dich gefunden hatte, sah ich, dass sich ein spitzes Stück Holz in dich hinein gebohrt und deine Rippen verletzt hatte. Ich habe es entfernt, als ich mir sicher war, dass du außer Lebensgefahr warst. Aber du solltest trotzdem noch vorsichtig sein“.

„Danke“, sagte sie und meinte es auch so: „Danke für alles, aber ich denke ich kann jetzt wieder allein aufstehen“.

Allein die Tatsache, dass sie ihm im Schoß saß, machte sie ganz wirr und...verrückt.

Zitternd erhob sie sich etwas und ging von ihm runter, er ließ sie los. Sie setzte sich direkt neben ihn und starrte ins Feuer.

Die Kleidung klebte und kratzte an ihrer Haut und sie wünschte, sie hätte wenigstens eine warme Jacke oder ähnliches bei sich.

„Du zitterst“, bemerkte Samael.

„Ist schon okay“, sagte sie. Er wollte etwas erwidern, ließ es aber dann doch sein.

Eine Weile blieb es ruhig und beide sahen gedankenverloren ins Feuer. Erinnerungen ihres Traums schlichen sich allmählich in ihre Gedanken und hinderten sie daran klar zu denken. Warum kamen die Träume gerade jetzt zurück? Was hatten sie zu bedeuten? Aurelia glaubte schon längst nicht mehr, dass diese Traumbilder nur Zufall waren. Die Neugier, zu wissen was die Sätze zu bedeuten hatten wuchs ebenfalls.

»Jetzt, wenn die Welt von Schatten und Dunkelheit erfüllt ist -«

»Jetzt, wenn der Himmel leer von Sternen ist,

die Welt in Schlaf gehüllt ist«.

Aurelia wiederholte die Sätze in Gedanken immer wieder, doch ihre Fragen blieben ungeklärt.

In dem ersten der beiden Träume hatte Samael zu ihr gesprochen, dass wusste sie mit Gewissheit. Doch die Stimme im zweiten Traum, die Silhouette, war er das auch gewesen? Sie konnte den klang der Stimme nicht einordnen, doch sie klang so ähnlich wie Samaels Stimme...und dann auch wieder nicht.

Aurelia fasste sich verzweifelt an den Kopf. Wurde sie verrückt?
 

»Aurelia?!«

Sie richtete sich sofort auf und erinnerte sich an die Stimme, die sie immer öfter in ihrem Kopf hörte. 'Ja, ich werde tatsächlich verrückt!'.

»Nein, wirst du nicht«, antwortete Bal.

»Du kannst meine Gedanken lesen?!«

»Nein, man kann es sehen«

»Du kannst mich auch noch sehen?! WO bist -«.

»Ich sehe deine Gefühle und kann daher erkennen, ob es dir gut oder schlecht geht«, erklärte ihr Bal: »Ich habe in den letzten Stunden öfters versucht zu dir zu sprechen, doch es hatte nicht geklappt. Deine Präsenz, sie war...wie tot«. Hörte sie tatsächlich Sorge in seiner Stimme?

»Ist eine etwas längere Geschichte. Ich werde sie dir wann anders erzählen. Aber was willst du?«

»Dir Antworten auf deine Fragen geben.«

Da sie darauf nichts antwortete, sprach Bal weiter: »Ich bin derjenige, der dir diese Träume schickt«.

Aurelia war sprachlos. Wieso tat er das?

»Wieso?«, wollte sie wissen.

»Das kann ich dir nicht sagen, noch nicht. Genauso wenig kann ich dir verraten, was sie zu bedeuten haben, welche Stimmen du hörst und über was sie reden. Na schön, derjenige der im ersten Traum zu dir gesprochen hatte, kennst du ja bereits«.

»Wieso kannst du es mir nicht sagen? Und heißt das, dass ich die Person, dessen Stimme im zweiten Traum zu mir gesprochen hat, auch noch treffen werde«.

»Nein, dass muss nicht unbedingt sein. Das liegt allein bei dir. Und was das andere betrifft...Ich kann es dir nicht sagen, weil sonst etwas schlimmes passieren würde«.

»So ist es auch mit dir, nicht wahr?! Du kannst mir genauso wenig sagen, wer du bist«.

»Ja, du hast recht. Jedes mal, wenn ich dir einen neuen Traum schicke, kann ich dir etwas mehr verraten«.

»Kannst du mir nicht jede Nacht einen Traum schicken?«. Aurelia hätte nie gedacht, dass sie das mal sagen würde.

»Nein, das wird...es geht nicht. Betrachte diese Träume als eine verschlüsselte Botschaft, wenn es dir so leichter fällt«. Sie konnte an seinem Ton hören, dass er sie gleich wieder verlassen würde und sie nicht wusste, wann er wieder kommen würde.

»Na schön«, meinte sie. Dann war er weg.
 

„Was?!“, Samael sah verwundert aus. Erst als Aurelia zu ihm rüber blickte, wurde sie sich bewusst, dass sie ihre letzten Worte vermutlich laut ausgesprochen haben musste.

„Nichts“, sagte sie und sah wieder ins Feuer.

„Doch. Du sahst aus, als hättest du mit jemandem geredet“.

„Es ist nichts“.

„Komisch, dann muss ich mir »Jetzt, wenn der Himmel leer von Sternen ist,

die Welt in Schlaf gehüllt ist«, wohl eingebildet haben“, sagte er in einem sarkastischen Ton.

„Was...nein,...ach was soll´s...“.

Samael sah sie noch immer herausfordernd an und seine Augen bohrten sich tief in ihre.

„Na schön. Nein, du hast es dir nicht eingebildet“.

„Ich wusste es“, sagte er mit einem triumphierenden Lächeln. Schließlich erzählte sie ihm von Bal. Als sie ihre Träume erwähnte, veränderten sich seine Gesichtszüge. Dabei musterte er sie genau, doch Aurelia beachtete seine Reaktion nicht weiter. Sie war viel zu sehr in das Erzählen der Vorkommnisse vertieft.

Danach herrschte Stille. Jeder war in seinen eigenen Gedanken versunken. Einerseits fragte sich Aurelia, wie Samael nun von ihr denken mochte, andererseits war sie zu müde, um groß darüber nachdenken zu können.

Irgendwann, tief in der Nacht schliefen sie ein.

Jeder auf der seinen Seite.

Kapitel 26

Amaya riss die Augen auf.

Um sie herum herrschte tiefste Finsternis. Die Eisfläche über ihr hatte sich geschlossen, das kalte Wasser, welches ihr schwer machte sich überhaupt zu bewegen, drückte sie immer weiter nach unten.

Sie musste sich beeilen. In der schwerelosen Form eines Geistes, hätte sie es nicht nötig gehabt zu atmen, doch da sie in Menschengestalt bleiben musste, um zu den Nornen zu gelangen, hatte sie nicht sehr viel Zeit, um bei Bewusstsein zu bleiben.

Amaya versuchte sich an Kilians Worte zu erinnern...irgendwas mit einer Rune...suchen...Sie musste eine Runde finden! Eine,die in ein Felsen eingemeißelt sein soll.

'Doch wie soll ich sie finden, wenn um mich herum nur Dunkelheit herrscht?!', fragte sie sich.

'Aber das ist jetzt egal. Ich muss sie finden!'.

Doch der Sauerstoff wurde knapp und sie wusste auch, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Ihr Herz begann schneller zu klopfen, ihr Körper verlangte nach frischer Luft.

Wo war diese verdammte Rune?! Es musste doch irgendein Zeichen geben!

Amaya spürte, wie ihre Kraft schwand, ihre Glieder versagten und das eiskalte Wasser sie zerdrückte.

Da es um sie herum ohnehin schon dunkel war, sah sie nicht, wie ihre Augenlicht versagte. Noch ein letztes Mal versuchte sie Kraft zu sammeln und gegen die dicke Eisschicht zu treten. Doch zwecklos. Das Eis ließ sich nicht brechen.

Ihre Lider schlossen sich, ihre Arme und Beine wurden Gefühlslos, ihr Herz schlug langsamer.

Ihr Körper glitt in die Tiefe, endlos.

Noch einmal öffneten sich ihre Augen. Ein helles Licht drang in sie hinein, umgeben von den schrecklichsten Kreaturen, die man sich vorstellen konnte. Eine Halluzination?

Amaya konnte es nicht wissen.

Doch als sie immer länger in das Licht starrte, sah sie etwas. Sie war sich ziemlich sicher, dass es nur eine Halluzination war. Wem konnte man schon trauen, wenn er unter Sauerstoffmangel stand?!

Wie von selbst streckte sich ihre Hand nach dem Licht aus.

In der Ferne konnte sie leichte Umrisse eines Zeichens erkennen. Hellblau schimmernde Konturen, die sich kreuzten, verbanden und um sich schlangen. Tanzend in der ewigen Dunkelheit.

Amayas Fingerspitzen berührten das Licht.
 

Gierig rang sie nach Atem. Ihr Herz klopfte heftig gegen ihre Brust. Sie spürte Eis unter ihren Händen. Trotz der kalten Luft, die in ihre Lungen drang und sie zitterte, erfüllte sie das mit einem unendlich glücklichen und triumphierenden Gefühl.

Sie hatte es geschafft. Erleichtert atmete sie aus. Noch vor wenigen Sekunden hatte sie gedacht, dass sie so etwas nie wieder fühlen würde.

Dann stand sie langsam auf und wunderte sich nicht über die Benommenheit, die ihren Körper jetzt noch erfasste.

Amaya stand inmitten eines riesigen Gebirges. Der dunkelblaue Himmel schien auf die Berge hinab, die sie umringten. Grüne, blaue und violette Lichter zeichneten sich am Firmament ab und ließen die weitläufige Landschaft in einem unglaublichen Kontrast zur Erde dastehen.

Amaya erinnerten sie an die Nordlichter in Skandinavien. Wunderschön und geheimnisvoll zugleich.

Man sagte, dass diese Lichter nach Yggdrasil führten, dem Ort an dem auch die Nornen ihre endlose Lebenszeit verbrachten.

Ein plötzliches Rumpeln unterbrach Amaya beim Staunen. Die Erde begann zu beben. Sie drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam und immer gewaltiger wurde. Genau hinter ihr selbst.

Ihr blieben nur noch wenige Sekunden Zeit, um zu realisieren, was geschah.

Eine riesige Eislawine kam auf sie zu, die alles überdeckte, was sich ihr in den Weg stellte.

Amaya schaute noch einmal hinter sich. Es war zu spät um irgendetwas zu unternehmen. Sie sah einen langen Holzpfahl ein paar Meter weiter unten stehen.

Der einzige Weg bestand darin, sich gegen die rollende Wand aus Eis zu stellen. Und versuchen zu überleben.

Dann trat sie ihren letzten Schritt nach vorne, die Arme vors Gesicht haltend.

Ein gewaltiger Druck schlug sich gegen Amaya und schluckte sie unter den Schnee. Die Kälte presste sich förmlich gegen sie, die Masse des Eis drohte sie zu erdrücken und sie spürte nur noch, wie tausende von eiskalten Stichen durch ihr Körper jagten.

Amaya überschlug sich mehrere Male und stieß plötzlich gegen etwas hartes. Der Schmerz war unbeschreiblich, doch es war ihre einzige Chance, sich daran festzuhalten.

Der Schnee kam zum Stillstand. Amaya wollte sich daraus befreien, um wieder nach oben zu gelangen, doch ihre Gelenke waren wie eingefroren. Sie taten höllisch weh.

'Gib jetzt nicht auf!', redete sie sich ein, 'Ich schaffe das!'.

Noch ein einziges Mal nahm sie ihre Kraft zusammen, biss sich auf die Zunge und bewegte ihre Arme, um sich einen Weg nach oben freizumachen.

Endlich konnte sie wieder frische Luft atmen! Danach befreite sie ihren Körper ganz aus dem Schnee und stand einem riesigen Tor gegenüber.

Auf beiden Seiten, liefen Wasserfälle von Eisbergen hinunter in die Tiefe, und wurden von grünen Tönen beleuchtet. Der Himmel war fast schwarz, das Tor schien Kristallblau in die Dunkelheit, die außerhalb lag.

Amaya spürte, dass sie immer noch geschwächt war, doch ihre Schmerzen wurden von dem triumphierenden Gefühl, dass sie empfand, einfach weggespült.

Sie ging auf das große Tor zu, das sich öffnete, sobald sie in die Nähe kam. Ihr Herz pochte wie verrückt. Der letzte Geist, von dem man wusste, dass er diesen Weg entlang gegangen war, hatte vor mehreren Jahrtausenden gelebt. In dieser Weise, war es natürlich auch eine Ehre für Amaya, am Ziel angekommen zu sein. Ob Mirac bereits wusste, was sie getan hatte? Sie versuchte nicht darüber nachzudenken, und schob diesen Gedanken beiseite.

Als Amaya über die Schwelle des Tores schritt, fühlte sie etwas. Es fühlte sich komisch und zugleich vertraut an...so ungewohnt lebendig. Als gäbe es Hoffnung, auf ewiges Leben.

Die Tore hinter ihr schlossen sich und für einen Augenblick, umfing sie Dunkelheit. Dann offenbarte sich etwas, von dem sie gedacht hatte, dass sie es nie mit eigenen Augen sehen würde:

Vor ihr führte ein schmaler Weg aus Eis zu einem gewaltigen Baum, der von einem großen Lichtstrahl von oben beleuchtet wurde. Yggdrasil.

Sie, Amaya Ravenwolf, Folgegeist aus Niflheim, Silithas und Beschützer von Javier Brown, stand vor der Weltesche dieser Erde. Ein Wesen, ohne das kein Leben möglich wäre.

Jetzt wusste sie woher das Gefühl von ewigem Leben kam.

Es war ein gigantischer Anblick, der sich ihr bot. Kleine Schneeflocken rieselten hinab, alte Runen waren in den Säulen und Wänden eingemeißelt und auf jeder Seite floss ein kleiner Bach an den Mauern entlang.

Amaya war sich nicht sicher, woher der Lichtstrahl kam. Es gab oben an der Decke keine Öffnung oder ähnliches, von wo das Licht hätte herkommen können. Er war einfach da.

Die Zweige von Yggdrasil waren kräftig und verzweigt, voll mit grünen Blättern und Knospen. Die Wurzeln waren sehr groß und schauten aus dem Boden heraus. Das ganze war, als wäre es aus einer anderen Welt, die nicht existierte. So irrational und gleichermaßen das schönste, was sie je gesehen hatte.

Amaya, die noch immer staunte, ging auf den Mittelpunkt des Ortes zu. Als sie näher kam, sah sie drei Frauen auf den Wurzeln von Yggdrasil sitzen.

Sie sahen weder zu ihr auf, noch gab es eine andere Reaktion von ihnen, die Amaya wissen ließ, dass sie sich ihrer Anwesenheit bewusst waren.

Sie blieb vor den Stufen, die zu den Nornen hinauf führten, stehen.

„Da bist du ja“, sagte eine von ihnen, nach einem Moment der Stille. Nach ihrer Stimme zu urteilen, war sie schon sehr alt...und war anscheinend nicht sehr überrascht, dass Amaya hier auftauchte.

Alle drei trugen lange Gewänder, von denen jedes einzelne in einem anderen Grünton verarbeitet war.

Die eine, die zu Amaya gesprochen hatte, trug eine Kapuze und hatte somit ihr Gesicht verdeckt. Ihre Sitzhaltung war eher krumm und etwas gebrechlich. Einzelne weiße Strähnen lugten durch den Umhang hervor.

„Amaya Ravenwolf, Folgegeist aus Niflheim, Silithas und Beschützer des Menschen Javier Brown“, sprach die Ältere, die in der Mitte saß. Amaya war sich sicher, dass das Urd war, die Norne der Vergangenheit und gleichzeitig auch die älteste von allen: „Wir haben dich kommen sehen“.

„Ja, meine Herrin“, begann Amaya voller Respekt. Sie wusste, dass sie nur sprechen durfte, wenn es ihr erlaubt worden war.

„Was führt dich zu uns?“, erklang die Stimme einer Norne, die jünger als Urd zu sein schien. Sie saß auf der linken Seite und blickte auf Amaya hinab. Ihr Blick war kalt, unbarmherzig und abschätzend. Die vollen braunen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, hatte sie streng zusammengebunden, sodass sie glatt nach unten fielen. Die Bänder in ihrem Haar bildeten einen schönen Kontrast zu der Farbe ihres Haares. Amaya glaubte, dass das Skuld, die Norne der Zukunft war.

„Zwei Personen, ein Engel und ein Dämon, stecken möglicherweise in Schwierigkeiten, was meine Schuld ist. Ich bitte euch, ihnen zu helfen“, sagte Amaya. Sie hoffte inständig, dass ihr ihre Aufregung nicht anzumerken war.

„Warum sollten wir dir dabei helfen?!“, sagte Skuld mit verbitterter Stimme.

„Eine große Gefahr, die du auf dich genommen hast, Amaya, um Samael und Aurelia zu helfen“, erklang die Stimme der dritten Norne. Sie saß auf der rechten Seite, hatte ihr rotes langes Haar zu einem Zopf geflochten und sich ihn über die Schulter gelegt. Sie war die jüngste von allen und hatte etwas liebliches in ihrer Stimme. 'Dann muss das Verdandi, die Norne der Gegenwart sein', dachte Amaya.

„Einer herausragende Leistung, das schafft nicht jeder“, meinte Verdandi und lächelte ihr dabei leicht zu.

„Vielen Dank, meine Herrin“, sagte Amaya. Das letzte, was sie von den Nornen erwartet hatte, war Anerkennung.

„Wir wissen über die Vorfälle Bescheid“, begann Urd: „Schließlich spinnen wir jeden einzelnen Lebensfaden selbst“.

„Ihr wollt damit sagen, dass ihr das geplant hattet?“, fragte Amaya vorsichtig.

„Nein, so kann man das nicht sagen. Du weißt sicher, dass wir nicht für jedes einzelne Detail zuständig sind“. Amaya nickte.

„Trotz allem, wir können dir nicht helfen“, erklang Skulds kalte Stimme. Ihre aufrechte Haltung, zeigte, dass sie sehr viel Macht hatte.

„Das tut uns leid -“, fing Verdandi an, wurde aber von Skuld unterbrochen.

„Nein, tut es nicht“.

„...Aber wir können dir versichern, dass sie am leben sind und es ihnen gut geht“, beendete Verdandi ihren Satz.

Amaya holte Luft, um etwas zu erwidern, doch Urd ließ sie nicht zu Wort kommen:

„Sie werden ihren Weg nach Hause finden -“.

„Wenn sie dessen überhaupt würdig sind“, meinte Skuld.

„Du kannst nun gehen“, sagte Urd.

„Vielen Dank, meine Herrinnen. Ich weiß euren...euren Rat zu schätzen“, sprach Amaya, neigte ihren Kopf und ging in Richtung Ausgang, ohne sich noch ein einziges Mal umzuschauen.
 

Amaya kam an dem riesigen Tor an und öffnete es diesmal selbst. Als sie über die Schwelle trat, schien ein grelles Licht in ihre Augen, sodass sie blinzeln musste.

Im nächsten Moment befand sie sich auf dem Gang, im „Haus der Silithas“.

Kurz sah Amaya sich um und bemerkte, dass sie vor Javiers Zimmer stand.

Warum ausgerechnet vor seinem?

Sie schob den Gedanken beiseite und schob den Vorhang beiseite. Schließlich stand sie in dem kleinen Gang zwischen Zimmer und Flur und schob auch den zweiten Vorhang beiseite.

Dann stand sie in seinem Zimmer und sah in sofort. Er saß auf der Bettkante, den Rücken zu ihr Gewandt.

Als hätte sie etwas gesagt, drehte er sich zu ihr um. Danach stand er auf, ging um das Bett herum und sah sie erst fragend und dann erstaunt an.

Ohne etwas zu sagen, trat sie auf ihn zu und er auf sie. Amaya schlang ihm die Arme um den Hals und vergrub ihren Kopf in seiner Halsbeuge.

Er legte seine Arme um ihre Taille und zog sie zu sich heran. Dann atmete er tief aus. Eine Weile standen sie so da und sie konnte seinen beruhigenden Herzschlag hören, fühlen. Amaya atmete seinen, inzwischen vertrauten Duft ein und schloss die Augen. Es gab ihr ein geborgenes Gefühl, ER gab ihr ein sicheres Gefühl. Auch wenn sie versuchte, es zu unterdrücken, weil andere Dinge sich in den Vordergrund zwängten, es war so.

„Du hast es geschafft“, sagte er nach einigen Momenten, leise: „Ich wusste es, dass du es würdest“.

Amaya aber schüttelte nur den Kopf und schloss für eine Sekunde die Augen noch fester zu.

Dann öffnete sie sie wieder und trat zurück, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte, ihre Hände aber trotzdem noch auf seinen Schultern lagen. Eine Träne rollte ihr über die Wange.

„Ich will es eigentlich nicht sagen, aber...-“.

Amaya erstarrte. Sie blickte über Javiers Schulter und sah Verdandi an den Rundbögen sehen.

„Verdandi“, sprach Amaya verdutzt. Wie konnte es sein, dass sich eine Norne außerhalb von Yggdrasil aufhielt?! Soweit sie wusste, hatte es so etwas noch nie gegeben.

Javier spürte, dass Amayas Aufmerksamkeit auf etwas neuem lag, und drehte sich um.

„Amaya, es ist wichtig“, erklärte ihr Verdandi: „Ich bin gekommen, um dir was wichtiges mitzuteilen. Ich konnte es dir, wegen meinen Schwestern, nicht schon vorher mitteilen“.

„Verdandi“, Amaya konnte nicht anders, als den Namen der Norne zu sagen, immer und immer wieder. So etwas hatte es noch nie gegeben!

Verdandi kam auf sie zu. Ihre Schritte glichen der einer Königin, stolz, würdevoll und voller Eleganz. Ihr hell grünes Gewand schmiegte sich perfekt an ihren Körper, ein Amulett lag auf der hellen Haut, zwischen den Schlüsselbeinen, und funkelte im Licht des Feuers, das im Kamin prasselte.

Sie nahm Amaya bei der Hand und zog sie etwas weiter von Javier weg.

„Das, was ich dir nun sagen werde, darf ich nur ein einziges Mal sagen, also hör genau zu:

»Wir kamen,

die dem Edlen

die Lebenszeit schufen,

sie bestimmten ihn als berühmtesten Heerführer

und als den besten Fürsten.«“.

„Was?!“.

„Hast du es dir gemerkt?“.

„Ja, habe ich, aber -“.

„Du wirst es noch brauchen. Ich muss nun gehen, sonst fällt es meinen Schwestern noch auf, dass ich weg bin. Ihr schafft das, vergib mir“. Verdandi lächelte ihr ein letztes Mal zu und war kurz darauf auch schon verschwunden. Als wäre sie nie da gewesen.

„Wer war das?“, fragte Javier aus dem vorderen Teil des Zimmers. Amaya drehte sich zu ihm um und sah ihn an.

„Verdandi, die jüngste der drei Nornen. Wir haben eine neue Aufgabe“.

„Was?!“.

„Als ich bei den Nornen war, konnten, wollten oder durften sie mir keine Antwort auf meine Fragen geben, geschweige denn mir helfen. Das alles wäre eigentlich umsonst gewesen, wenn nicht gerade Verdandi aufgetaucht wäre“.

„Und sie hat dir gesagt, was du tun sollst, um Samael und dem Engel zu helfen?“.

„Der Engel heißt Aurelia und nein, sie hat es mir nicht gesagt...nicht im direkten Sinn“.

Amaya erzählte ihm, was Verdandi ihr gesagt hatte, worauf er ins grübeln kam.

„Der Heerführer? Wer könnte das sein?“, fragte er.

„Ich weiß es nicht. Am besten wir gehen in die Bibliothek und schauen dort, ob wir was finden“.

Dann machten sie sich auf den Weg und schritten den Flur entlang, als Javier das Wort ergriff:

„Ich habe gute Neuigkeiten für dich“.

„Wirklich?“, Amaya konnte kaum glauben, dass es so etwas noch gab, freute sich aber trotzdem.

„Demian wird uns nicht bei Mirac verraten“. Amaya wollte ihm am liebsten um den Hals fallen, und musste sich anstrengen, es nicht zu tun.

„Wie denn das?!“, fragte sie neugierig.

„Er hat uns versprochen stillschweigen über unseren Plan zu halten und ich denke, wir können ihm vertrauen“.

„Das denke ich auch. Von allen Ratsmitgliedern, erschien er mir immer am sympathischsten. Naja“, fügte sie hinzu, als sie eine große Gestalt auf sie zugehen sah: „abgesehen von Kilian natürlich“, und lächelte.

Kilian kam näher und als er Amaya sah, beschleunigte er seine Schritte. Er umarmte sie innig und ließ sie erst nach einigen Augenblicken wieder los.

„Du hast es geschafft“, flüsterte er.

„Ja...naja...“.

Sie lösten sich voneinander und Amaya begann damit, ihm alles zu erzählen.

„...und jetzt wollten wir uns auf den Weg in die Bibliothek machen. Vielleicht finden wir dort ja etwas“.

Kilian sah an sich hinunter und Amaya bemerkte erst jetzt, dass er mit Schwertern und Dolchen ausgerüstet war.

„Was hast du vor?“, entfuhr es ihr.

„Ich wollte Javier ein paar Kampfstunden geben“.

„Okay, dann könnt ihr gehen. Ich suche dann allein -“.

„Nein, du kommst mit. Ich denke ein bisschen Ausszeit könnte dir nicht schaden“.

Amaya wollte etwas erwidern, doch sie wusste, dass das nichts bringen würde. Urplötzlich erinnerte sie sich daran, wie Javier das Zweihandschwert in seinem Zimmer in den Händen gehalten hatte. Es hatte so ausgesehen, als wäre er damit aufgewachsen.

Nur allein dieser Gedanke überredete sie dazu, mit Javier und Kilian mitzugehen.

Kapitel 27

Als Aurelia aufwachte, war Samael nicht mehr an seinem Platz.

'Wo ist er denn nun schon wieder hin?', fragte sie sich. Sie rieb sich die Augen, streckte sich und stand auf.

Kaum hatte sie ihren Blick über das Lager schweifen lassen, sah sie ihn am Ufer des Sees stehen. Sein T- Shirt hatte er ausgezogen und die Haare waren nass.

War er etwa baden gewesen?

Seine Kleidung schien trocken zu sein...

Er war also baden gewesen...nackt, während sie am Platz lag und schlief.

Aurelia spürte sofort, wie die Röte ihr ins Gesicht stieg.

Und so schlecht sah er gar nicht mal aus...Im Gegenteil, er war wunderschön! Diese kräftige Rückenmuskulatur, seine Schultern, die in einem perfekten Bogen in die Arme überliefen...

Aurelias Blick blieb schlagartig an seinem Schulterblatt hängen.

Mehrere tiefe Kratzwunden schnitten sich in sein Fleisch und zogen sich quer über den ganzen Rücken. Sie bluteten und taten höllisch weh, da war sie sich sicher.

Ihre Müdigkeit war verflogen und sie machte ein paar Schritte auf ihn zu, ganz langsam.

„Darf ich dich was fragen?“, fragte er und seine Stimme klang aufrichtig und gleichzeitig so, als wäre er in etwas vertieft.

„Natürlich“, antwortete sie ihm und blieb einen Schritt hinter ihm stehen.

„Was vermisst du am meisten? Ich meine seit wir hier sind“.

„Meine Familie“, kam ihre Antwort prompt: „Besonders meinen Bruder“. Und erst jetzt merkte sie, wie sehr sie ihn doch vermisste. Die ganze Zeit, hatte sie dieses Gefühl der Einsamkeit unterdrückt...und nun kam es in ihr hoch, überschlug sich mit ihren Gedanken, wie eine riesige Welle.

„Der Blonde Schreihals von Engel?!“, meinte er und sie konnte in seiner Stimme hören, das er versuchte sich das Lachen zu verkneifen.

„Er ist kein Schreihals!“, verteidigte sie sich und musste sogar selbst lächeln.

„Ach, nein?!“. Samael drehte sich um und sah sie grinsend an.

„Nein“, bemerkte sie nochmals und blickte ihm direkt in die Augen. Wieder fiel ihr auf, dass seine Augen blasser geworden waren, als das letzte Mal, als sie sie betrachtet hatte.

Bildete sie sich das nur ein, oder...?!.

„Hast du Geschwister?“, fragte sie ihn, um nicht länger über seine Augen grübeln zu müssen.

Es dauerte einen Moment, bis er antwortete.

„Ja“.

„Wie heißen sie?“.

„Raphael und Jewel“.

„Ich hoffe es macht dir nichts aus, wenn ich...wenn ich sage, dass...“. Sie brach ab. Mist! Dann versuchte sie es nochmal: „Deine Stimme wird tiefer, wenn du über sie sprichst“.

Aurelia hoffte, dass sie ihn nicht verärgert hatte, doch als sie zu ihm aufsah, konnte sie erkennen, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.

Er blickte geradeaus ins leere.

„Jewel ist ein Geschenk. Ich könnte mir keine bessere Schwester vorstellen“. Dann machte er eine Pause.

Sie würde ihn nicht drängen weiter zu sprechen, wenn er das nicht wollte. Schließlich ging es sie ja auch nichts an.

Doch zu ihrer Überraschung, sprach er nach einigen Augenblicken weiter:

„Nur Raphael. Wir sind wie Himmel und Hölle. Wir können nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander. Wir verstehen uns meistens gar nicht und sind oft, naja eigentlich fast immer, unterschiedlicher Meinungen. Doch wir respektieren uns gegenseitig, helfen einander und haben schon viel gemeinsam erlebt und durchgemacht. Im Kampf können wir uns blind vertrauen, was im Alltag eher nicht der Fall ist. Wir gehen uns eben meistens aus dem Weg. Keine Ahnung warum das so ist. Es war auf einmal so“.

Aurelia hörte ihm aufmerksam zu und versuchte sich vorzustellen, wie das war. Wenn sie sich überlegte, wie es wäre, wenn es bei Elijah und ihr genauso wäre...Aurelia mochte gar nicht dran denken. Es wäre viel mehr als schrecklich.

„Das heißt, dass es nicht immer so zwischen euch war?“.

„Naja, in gewisser Weiße, war zwischen uns schon immer eine bestimmte Distanz, doch ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir das erste Mal gemeinsam geflogen sind und zusammen Spaß hatten, gelacht haben...“.

„Ist er älter als du?“, versuchte sie ihn von dieser Erinnerung wegzubringen. Man konnte ihm ansehen, dass es ihm weh tat, darüber zu sprechen.

„Er ist elf Monate älter, als ich“.

Dann war es still und Aurelia merkte, wie nah sie bei ihm stand. Sie konnte sogar seine Körperwärme spüren. Unwiderruflich musste sie auf seinen nackten Oberkörper schauen. Sofort ballte sie ihre Hände zu Fäusten, bevor sie nicht wusste, was sie machten und ihn berührten. Die Spannung war zum greifen nah.

Dann trat sie abrupt einen Schritt zurück. Es war besser so...

„Du hast eine offene Wunde an deinem Rücken“.

„Ich weiß“.

„Wenn man sie nicht behandelt, wird sie sich entzünden!“.

„Und mit was willst du sie jetzt heilen?! Mit Efeu und Tannenzweigen?!“.

„Idiot. Dreh dich um“, sagte sie und legte einen Ton in ihre Stimme, der ihn wissen ließ, dass sie es ernst meinte und besser machen sollte, was sie sagte.

„Hmpf“, machte er und tat wie geheißen.

Es waren vier große und tiefe Kratzer die sich von seinem linken Schulterblatt, bis hin zu seiner rechten Hüfte zogen.

Aurelia streckte ihre Hand aus und berührte die gerötete Haut Außenrum. Ganz leicht und sachte.

Samael sog scharf die Luft ein.

„´Tschuldige“, sagte sie: „Aber sie fängt bereits an sich zu entzünden“. Es mussten höllische Qualen sein. 'Und dabei hatte er gestern am Lagerfeuer nicht mal ein Anzeichen von Schmerzen von sich gegeben', ging es ihr durch den Kopf. 'Wie konnte er es so nur aushalten?'.

„Heißt es nicht, dass Engel blind werden, wenn sie weinen?“, fragte er und Aurelia fragte sich wiederum, wieso er das gerade jetzt fragte.

Erst dann spürte sie, wie eine Träne ihre Wange hinunter floss. Schnell wischte sie sie sich weg und sagte:

„Hey, dreh dich wieder um!“.

„Wieso weinst du?“.

„Ich weine nicht...Ich weiß nicht wieso, manchmal passiert das einfach, dass Engel eine Träne verlieren. Das ist ganz normal“.

„Also stimmt es? Das Engel durch Tränen blind werden?“.

„Das verrate ich dir nicht“, sagte sie. Er drehte sich um und sah sie so an, wie er es noch nie getan hatte. Sie lächelte.

„Komm, wir müssen deine Wunde auswaschen gehen“, meinte sie und nickte in Richtung See.

Bevor sie reagieren konnte, fasste er Aurelia mit beiden Händen an der Hüfte und drückte sie gegen einen Baum.

Sein Griff war fest, aber nicht besitzergreifend. Aurelia fasste an seine Arme, fuhr hinauf zu seinen Schultern und ließ sie auf seiner Brust verweilen. Sie konnte einfach nicht anders.

Samael atmete tief ein und aus. Seine Augen schweiften über ihren Körper, ihr Gesicht, Lippen, Augen...

Seine Hände waren warm und irgendwie auch beschützend. Sie wusste nicht wieso, aber es war, als wären alle feindlichen Fehden verschwunden und zurückgeblieben war Respekt und...Vertrauen.

Aurelia lehnte sich an den Baumstamm, atmete seinen Duft von Wald, Blut und Feuer ein.

Seine rechte Hand strich hinauf und umfasste ihre Wange.

„Ich mache mir Sorgen, um dich“.

Aurelia konnte nicht anders, als ihn verwundert anzuschauen.

„Wegen den Träumen...Ich glaube nicht das sie gut für dich sind“.

Im ersten Moment war sie einfach zu schockiert, um etwas zu sagen. Ein Dämon machte sich Sorgen um einen Engel! Für sie klang das wie pure Ironie.

„Mir geht es gut“, versicherte sie ihm, doch ihre Stimme wollte nicht so kräftig klingen, wie vorgehabt. Was zur Hölle war los?

„Ich meine es ernst“, sagte er und blickte ihr tief in die Augen. Auf einmal wirkte er melancholisch und zornig zugleich. Jetzt war es Aurelia, die noch einen Schritt näher an ihn herantrat.

„Was ist?“.

„Es tut mir leid. Es stand mir nie zu, sie dir wegzunehmen“, sagte Samael, entfernte sich ein kleines Stück und ließ die Hände zu ihrem Nacken gleiten. Dann drückte er zu, wie schon einmal.

Der stechende Schmerz kehrte zurück, diesmal nur viel schlimmer. Er zog sich durch ihren Rücken, schnürte ihr die Brust zu und trieb ihr eine glühende Hitze in den Kopf.

Aurelia krallte sich an Samael fest, um sich auf den Beinen halten zu können.

Sie spürte, wie sich neue Muskeln in ihrem Rücken aufbauten, das Gewebe sich um ihre Rippen schlang und sich verfestigte.

Ihre Beine gaben nach und Samael fing Aurelia auf und drückte sie fest an sich.

Dann, urplötzlich ließ der Schmerz nach und sie fing sich wieder. Samael ließ sie sofort los und trat zurück. Die Unbeweglichkeit, das lähmende Gefühl, dass sie die ganze Zeit hatte, war verschwunden. Als wäre es nie da gewesen.

Aurelia blickte über ihre Schulter und sah ihre Federflügel, kräftig, groß, cremefarben und nicht zu unterschätzen. Der Perlmutt –Glanz zeigte sich in den Strahlen der aufgehenden Sonne.

Sie ließ die verborgenen Klingen aus ihnen fahren, spitz und messerscharf, gefährlich.

Sie fühlte sich wieder vollständig, so wie es hätte immer sein sollen.

Aurelia sah zu Samael, der erst auf den Boden blickte aber dann den Kopf hob, um sie anzusehen.

Auf einmal schien es egal zu sein, was zwischen ihnen gerade passiert war. Er wirkte wieder so distanziert, aber anders als am Anfang. Vielleicht aber brauchten sie auch nur etwas Abstand, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht...später irgendwann...

Aurelia öffnete den Mund, wusste aber selbst nicht was sie sagen sollte. Doch bevor sie einen Satz zustande bringen konnte, ergriff Samael das Wort:

„Dafür gibt es keine Entschuldigung...Lassen wir es...Packen wir unsere Sachen zusammen und brechen auf“. Anscheinend wusste sogar er nicht, was er sagen sollte.

Er drehte sich um und fing an aufzuräumen. Doch bevor Aurelia zu ihm ging, um zu helfen, konnte sie sich ein kurzes Lächeln nicht verwehren. Sie hatte ihre Flügel wieder! Doch was sie nicht hatte, war der erbitterte Zorn auf den Dämon, der sie ihr einst weggenommen hatte.
 

Nachdem sie ihre Sachen schnell zusammengepackt und alle Spuren von ihrem Lagerfeuer beseitigt hatten, flogen sie los, ohne noch einmal zurückzublicken.

Die Sonne verschwand schon sehr bald hinter dichten Wolken, als würde sie sich vor etwas verstecken. Der Wald wurde dunkler und Aurelia spürte leichte Tropfen auf ihrem Gesicht.

Alles war ganz still. Nicht einmal die Zweige der Bäume gaben ein sanftes Rauschen von sich und standen da, als würden sie darauf warten, dass Ragnaröck kommen, und sie vernichten würde.

„Ich glaube es war Yggdrasil, den du in deinen Träumen gesehen hast“, teilte ihr Samael nach einer Zeit mit.

Seit sie von ihrem Lager aufgebrochen waren, hatten sie nicht viele Wörter miteinander gewechselt. Aber nicht weil sie sauer aufeinander waren. Beide waren Verlegen, zumindest konnte das Aurelia von sich sagen. Wie es Samael erging, wusste sie nicht genau, doch sie wettete das es ihm nicht sehr viel anders erging.

Während sie ihre Sachen zusammengepackt hatten, war die Stille fast unerträglich gewesen, doch die Spannung zwischen ihnen war umso greifbarer gewesen.

Es hatte Augenblicke gegeben, in denen sie sich berührt, gestreift oder kurze Blicke miteinander getauscht hatten, doch keiner hatte den leisesten Ton von sich gegeben.

Irgendwann hatte sich Aurelia darüber keine Gedanken mehr gemacht und sich ihren Aufgaben zugewendet.

Das er sie jetzt wegen ihren Träumen ansprach, überraschte sie umso mehr.

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, doch warum sollte Bal mir Träume von Yggdrasil schicken? Was will er mit damit mitteilen?“.

„Das kannst nur du herausfinden. Frag ihn“.

„Das könnte ich, nur ich bezweifle, dass ich darauf eine Antwort bekommen würde. Er darf es mir nicht sagen, weil sonst etwas schlimmes passieren würde“.

Sie flogen nebeneinander her. Ihre Flügel schwangen im gleichmäßigen Takt.

Aurelia genoss das Gefühl ihrer eigenen Flügel, zwei kräftige Schwingen, die sie überall hin trugen und ihr unendliche Freiheit bescherten.

Das hatte sie sich gesagt, als sie noch ein Kind gewesen war. Doch die Zeit war vergangen und inzwischen wusste sie, wie begrenzt die „unendliche Freiheit“ in Wirklichkeit war.

Plötzlich erschallte das Echo von Wolfs heulen und viele andere schlossen sich an.

„Nicht schon wieder!“, sagte Samael und legte an Tempo zu.

„Wir müssen sie besiegen, ein für alle mal“.

„Wir haben keine Ahnung, wie viele es tatsächlich sind“.

„Da kommen sie!“.

Sie sahen hinter sich mindestens fünf der riesigen Wölfen auf sie zu preschen. Ihre dunkelgrüne Schuppenhaut glänzte gefährlich, scharf, ihre Mäuler weit aufgerissen, die Zähne fletschend.

Bestialische Geschöpfe, die in ihrer Brutalität doch wieder eine außergewöhnliche Schönheit ausstrahlten.

„Gott, kriegen wir die überhaupt irgendwann los?!“, meinte Samael und machte einen Schlenker nach links. Aurelia folgte ihm.

„Was hast du vor?“.

„Wir werden dem breiten Fluss weiter unten folgen. Die Strömung dort ist ziemlich stark und ich denke das kommt nicht von ungefähr“.

Aurelia verstand. Sie fragte sich nur: Woher wusste ER es?

Die Wölfe folgten ihnen den steilen Hang hinab und nahmen nebenbei keine Rücksicht auf Bäume oder anderes Gestrüpp, das aus dem Unterholz wuchs. Ihre Verfolger brachen das Holz der Baumstämme und sprangen darüber hinweg.

Samael und Aurelia beschleunigten ihre Geschwindigkeit, wichen nach recht und links aus, verloren absichtlich an Höhe.

Dann konnte sie das Rauschen des Flusses hören und wenige Momente später folgten sie der Strömung. Die Wölfe noch immer dicht hinter ihnen.

„Die Strömung ist nicht stark genug, um sie mitzureißen!“, schrie Aurelia. Allein wegen dem Wasser, das so heftig gegen die Felsen klatschte und so schnell war, als wäre es selber auf der Jagd, konnte sie ihre Worte und Samaels Antwort nicht verstehen.

Samael flog auf einmal noch tiefer, sodass das Wasser gegen seinen Körper spritzte.

Sie tat es ihm gleich und kaum befand Aurelia sich auf seiner Höhe, wusste sie, was er vorhatte.

Gleichzeitig ließen sie sich auf den flachen Felsen nieder und rannten vorwärts. Der Stein lag in der Mitte des Flusses und endete in einigen abrupt, während die Strömung immer stärker wurde.

Aurelia musste sich Mühe geben, nicht abzurutschen, weil er so glitschig war und machte deshalb größere Schritte.

Als sie vorne ankamen, schrie Samael: „JETZT!“ und sie sprangen gemeinsam kopfüber den größten Wasserfall hinab, den Aurelia je gesehen hatte.

Als sie von dem Felsen absprangen, ergriff Samael ihre Hand und sie breiteten ihre Flügel aus.

Die Wölfe konnten nicht schnell genug reagieren und fielen in die Tiefe.

Sie verfestigten den Griff um die Hand des anderen und stürzten.

Gemeinsam.
 

„Aurelia! Wir...wechseln -“.

Aurelia konnte Samaels Worte nicht verstehen, als sie kurz darauf durch spitze Zweige zu Boden krachten.

Samael umfing ihren Körper, sodass er während dem Fallen unten lag.

Aurelia hörte nur, wie Samael kurz vor Schmerz aufstöhnte. Ihre Landung war um einiges leichter gewesen. Sie öffnete die Augen, ihr Kopf lag auf seiner Brust.

Dann hob sie den Kopf und sah Samael an, der unter ihr lag und sie ansah.

„´Tschuldige. Habe ich dir weh getan? Bin ich -“, fragte sie ihn ehrlich besorgt, doch er ließ sie nicht aussprechen.

„Nein, überhaupt nicht“, sagte er in einem sanften Ton. Er sah sie so an, als ob alles Außenrum egal wäre, als ob es nichts geben würde, nichts außer sie.

Er streckte eine Hand aus und umfasste ihre Wange. Sie war warm und Aurelia hätte sich nur zu gern hinein geschmiegt.

Ihre Hände verweilten bis zu diesem Zeitpunkt auf seinen Schultern, wanderten den Hals hinauf und legten sich um seine Kieferknochen. Sein Gesicht war voller Schmutz und Aurelia war sich sicher, dass sie nicht viel anders aussah, doch das war jetzt egal.

Sie wollte nicht den Blick von ihm abwenden, und das konnte sie auch nicht, selbst wenn sie gewollt hätte. Sie wollte ihn anschauen, ihn anfassen, realisieren und sicher gehen, dass es ihn wirklich gab.

Aurelia fühlte, wie seine Hand unter ihren Haaren über ihren Nacken, und durch die Haare strich. Sie dort packte und zu sich hinunterzog.

Seine Körperwärme strahlte ihr entgegen, lud sie umso mehr ein.

Aurelia konnte seinen warmen Atem spüren, der direkt über ihre zitternden Lippen strich.

Ihre Augen wollten sich gerade schließen, als seine Hände ihre Arme packten und sie beiseite stieß.

Aurelia war perplex. Was war los? Was war passiert? War sie zu weit gegangen? Hatte sie -.

Gefühlte tausend solcher Fragen schossen ihr in einer Sekunde durch den Kopf, doch in der anderen schien sich alles zu verselbständigen.

Samael griff nach seinem Schwert, dass wenige Meter von ihm entfernt lag und sprang auf.

Vor ihnen offenbarte sich eine kleine Gestalt, den Kopf hängend, die Schultern, als wären sie leblos, die Nägel lang, spitz und höchstwahrscheinlich sehr scharf.

Erst jetzt bemerkte Aurelia die neue, ungewohnte Umgebung.

Es war Nacht, dichte Nebelschwaden hingen in der Luft und die Bäume hatten keine Blätter, waren tot.
 

Die Gestalt hob den Kopf, öffnete die Augen...Nein, es waren keine Augen. Es war, als wären sie herausgerissen worden und zurückgeblieben war ein hohles Loch, das von innen her grelles Licht trug.

Die Haut war zerfetzt und hing in Stücken hinunter. Die Lippe war schwarz angelaufen, zwischen der unzählige von spitzen Zähnen hervorlugten.

Die Gestalt glich der eines Mädchens, hatte lange zerzauste Haare und einen dünnen Körper.

Aurelia schaute hinter sich und griff nach ihrem Schwert. Dann wandte sie sich sofort wieder um, und sah das Gesicht der schrecklichen Gestalt direkt vor ihr. Sie öffnete ihr Maul und kreischte laut.

Ihre Augenhöhlen brannten, als wären sie die Grube der Hölle und zogen aus Aurelia jegliche Kraft.

Samael schwang sein Schwert und stieß die Kreatur gerade noch rechtzeitig beiseite.

Danach machte er kurzen Prozess mit ihr und durchtrennte ihr die Kehle.

Aurelia griff um das Heft ihres Schwertes und sprang auf.

„Alles okay mit dir?!“; fragte er, als er auf sie zukam. Sie nickte und erstarrte im selben Augenblick.

Vor ihnen standen hunderte dieser schrecklichen Gestalten, verdrehten die Köpfe, bis sie knacksten.

Das Mondlicht schien auf sie hinab, schlug ihren Schatten auf den Boden, der mit verdorrten Blättern übersät war.

Ihre dünnen Hemden, die sie trugen waren befleckt von getrocknetem Blut.

Ihre Arme und Beine waren knochig, und auch dort hing die Haut in Fetzen hinab.

Die Höhlen ihrer Augen waren der Eingang zur Hölle.

Samael hörte es hinter sich rascheln und drehte sich in Windeseile um. Sie kamen von überall, von jeder Seite und von oben.

Sie kraxelten über die abgestorbenen Äste der Bäume und ließen sich noch im selben Moment auf sie stürzen.

Aurelia und Samael schlugen ihre Schwerter gegen die Körper der Untoten, schnitten ihnen durchs Gewebe, brachen die Knochen und teilten sie entzwei.

Die, die Samael und Aurelia umzingelten rannten sofort auf die beiden zu und griffen sie an.

Der Engel und der Dämon sahen sich eine Sekunde an, brachten ihre mächtigen Flügel hervor und stiegen empor, bevor ihre Feinde sie kriegen konnten.

Aurelia wollte durch die Baumkronen, bemerkte aber erst als sie ganz oben war, das sie so die Äste so verzweigt und fest waren, dass es kein entrinnen gab.

„Wir kommen hier nicht raus!“, sagte sie Samael, der sich schon nach einer neue Möglichkeit umsah.

„Komm“, sagte er und ergriff ihre Hand.

Sie flogen hintereinander zwischen zwei Bäumen hindurch, doch als Samael hinter Aurelia her flog, spürte er ein ruckartiges Ziehen an seinen Flügeln und stürzte zu Boden.

Ein Untoter saß auf seinen Schultern und zerkratzte ihm das Gesicht. Weiter kamen hinzu, stürzten sich alle auf ihn, rissen an seiner Haut. Samael schrie.

Aurelia flog auf sie zu, ließ die Klingen aus ihren Flügeln fahren, umfasste ihr Schwert.

Dann durchstießen ihre eisernen Klingen die Köpfe der Untoten und Aurelia flog noch etwas weiter. Dann schleuderte sie sie mit aller Wucht weg, rannte auf Samael zu und streckte ihm die Hand entgegen.

Er nahm sie an und zog sich hinauf.

„Wenn wir das hier überleben, musst du mir nicht danken“, sagte sie und stieß sich sogleich in die Lüfte.

Er holte sie ein: „Es werden immer mehr“.

„Was sollen wir tun? Wir können sie unmöglich besiegen!“.

Samael antwortete nicht. Was sollte er auch sagen? Es wird alles gut? Das wäre vielleicht schön gewesen, aber nicht die Wahrheit.

Die Untoten waren ihnen dicht auf den Fersen und Aurelia wusste nicht, wie lange sie beide noch durchhalten würden. Samael hatte Wunden, sie hatte Schmerzen...

Aurelia wurde aus ihren Gedanken gerissen als sie eine riesige Wand aus Dornen und spitzen Klingen vor sich sah.

Sie wollte umkehren, doch es war zu spät. Die Kreaturen der Hölle hatten sie eingeholt. Nach oben gab es auch keinen Ausweg. Sie saßen in der Falle.

„Wenn du jetzt sagst, dass alles gut wird, töte ich dich als erstes“, sagte Aurelia sarkastisch, während sie von lebenden Toten umzingelt und immer näher an die spitze Wand des Todes gedrängt wurden.

„Das hatte ich auch nicht vor“, sagte er und ergriff ihre Hand: „Aber du hast mein Leben gerettet, ein Engel und ein Dämon haben gemeinsam um ihrer beiden Überleben gekämpft, zwei Erzfeinde, DAS kann unmöglich das Ende sein“.

An seinen Worten war nichts falsches. Wenn er sagte, dass DAS unmöglich das Ende sein konnte, musste es nicht heißen, dass es gut endete. Daher ließ sie ihn gewähren, für diesen Moment.

Die Untoten sprangen auf Samael und Aurelia zu und stießen sie in die tödlichen Spitzen der Dornen und Klingen.

„Ich vertraue dir“, sagte sie, spürte wie er noch einmal ihre Hand drückte.
 

Helles Licht strahlte ihnen entgegen, Aurelia musste die Augen zusammenkneifen.

Der Schmerz, den sie jeden Moment erwartet hatte, kam nicht.

Stattdessen schienen wärmende Sonnenstrahlen auf sie hinab. Sie öffnete die Augen, sog den wohltuenden Duft von frischem Gras, Blumen und Wärme ein. Erst dann realisierte sie, dass sie nicht tot war.

Die Sonne ging gerade unter und ihr Licht färbte die Wolken am Horizont in Orange -, Rosa -. und Rottönen. Vögel zwitscherten und flogen vorbei, so leicht und friedvoll.

Ein Baum stand ein paar Meter von ihnen entfernt, hinter ihnen grünbewachsene Felsen, vor ihnen ein Abgrund, der in DIE Stadt führte.

Aurelia erkannte die alten Gebäude, die verzierten Turmspitzen der Kirchen, den Hafen, die sanften Hügel...das Edinburgh Castle.

„Wir sind angekommen. Wir sind daheim“.

Kapitel 28

Die Tage verstrichen, doch seit Lucius Raphael ES gesagt hatte,verliefen sie in einem anderen Muster, wie bisher.

Er trainierte härter als zuvor, stand früh morgens auf, bevor die Sonnenstrahlen den höchsten Gipfel auf Jan -Mayen erreichten.

Etwas hatte sich in ihm seither verändert, das Wissen, das er nun besaß war von höchstem Wert und er musste es wahren. Das war seine Pflicht. Diese Bürde hatte er allein zu tragen, bis er die Person fand, die alles vervollständigte. Seinen Bruder, Samael.

Wo steckte er nur? Es war etwas mehr als eine Woche her, dass Samael von den Engeln in Gefangenschaft genommen wurde. Seither gab es kein Lebenszeichen mehr von ihm, und alle fingen an sich Sorgen zu machen. Sogar Raphael.

Ihre brüderliche Beziehung war nie eng oder überaus vertraut gewesen, doch...er war sein Bruder, sie waren eine Familie.

Inzwischen hatten sie schon längst fünf ihrer Truppen nach Schottland, genauer Edinburgh, Glasgow, Hamilton und die umliegenden Gegenden ausgesandt, doch bis jetzt ohne Erfolg. An sein Handy ging er auch nicht.

Raphael drückte auf Anruf beenden, als sich nur die Mailbox meldete. 'Wo steckst du verdammt nochmal?!'.

Die Berater seines Vaters und er hatten die Idee, die Engeln anzugreifen sogleich wieder in den Wind geschossen. Die Garnison ihrer Feinde in Edinburgh war eine Art große Festung und ohne Beweis, dass sich Samael dort befand, würden sie nicht angreifen. Vorerst.

Nicht das sie Angst hatten, den Angriff nicht zu überstehen, doch die Dämonen wussten die Macht der Engel zu schätzen und jede Schlacht war ins genaueste vorgeplant. Doch nicht so.

Andersrum war es selbstverständlich genauso, doch Jan- Mayen lag einfach zu Abseits, als das die Engel dem Wohnsitz des Nightfire Clans große Beachtung schenken würden. Und genau das, war das, was ihnen Sicherheit schenkte. Die weite Entfernung und den gefährlichen Weg über das Meer.

Schön weit weg und versteckt, hinterlistig im Hintergrund. Wussten die Engel überhaupt von ihrem Wohnsitz?

Sobald die Welt erneut aus der nächtlichen Dunkelheit, an das helle wärmende Tageslicht herantreten würde, würde sich Raphael auf den Weg nach Großbritannien machen und nach Edinburgh fliegen. Ein Krieger fiel weniger auf, als zehn andere und konnte somit seinen ausgeklügelten Plan in die Tat umsetzen.

Raphael trat auf den Balkon seines Zimmers und sah den mächtigen Vulkan in der Ferne. Die Gefahr, dass er jemals wieder zum Leben erwachte, war nicht sonderlich groß und Raphael genoss die Aussicht. Die morgendliche Sonnenröte trat an das Himmelszelt, während auf der anderen Seite der Insel noch immer die Augen der Sterne auf die Erde blickten.

Er atmete tief ein und die frische, kühle Luft erfüllte ihn mit neuer Kraft, die er für den langen Weg übers Meer brauchen würde.

Wieder schoss ihm das Gesicht des Mädchens vors innere Auge, dass in jener besagten Nacht, gegen Samael gekämpft und letztendlich gewonnen hatte. Lange, tief- braune Haare, waldgrüne Augen, dann die Anmut, mit der sie gekämpft hatte und sich über seinen Bruder gebeugt hatte. Raphael musste lächeln. Komisch, er hatte noch nie zuvor miterlebt, wie Samael so schnell auf dem Boden gelegen und keine Regung mehr von sich gegeben hatte. Er hatte sie angestarrt.

Natürlich war er in diesem Moment vergiftet worden, doch trotzdem flößte sie Raphael einigen Respekt ein.

'Ein Engel in der Nacht, besiegte einen Dämon, vergiftete ihn und nahm ihn mit zu sich'.

Natürlich.

Raphael ließ seine mächtigen, Krallen besetzte Flügel erscheinen und schwang sich in die Luft. Hinaus, in die Richtung des Vulkans.

Einzelne weiße Wolken standen am Himmel und ließen sich von dem aufgehenden Licht anlächeln. Alles war so friedlich Still, sodass man jeder einzelne Flügelschlag hören konnte. Und nicht nur seinen.

Schon auf halbem Wege, wusste Raphael, dass ihm jemand folgte, doch um zu wissen wer das war, hätte er sich umdrehen müssen und das wollte er nicht. Doch ihn beschlich schon eine Vorahnung...

Und sofort fiel ihm auch die Bürde ein, die er nun zu tragen hatte. Wenn man es genau nahm, eigentlich schon immer und manchmal war es besser nicht alles zu wissen. Doch diesen Luxus konnte er sich nicht gönnen, nicht in diesem Fall.

Raphael ließ sich auf dem Rand des Vulkans nieder und überschaute die schlafende Insel. Dann näherten sich leise Flügelschläge und kurz darauf ließen sich zwei Füße neben den seinen nieder.

Der große Bruder blickte zur rechten Seite und sah seine kleinere Schwester. Ihre roten Haare wehten ihr ums Gesicht und ihre helle Haut glänzte im Sonnenlicht. Ihre etwas kleinere Statur machte sie umso liebenswerter und Raphael lächelte sie an, denn viel wachsen würde sie nicht mehr ,im Gegensatz zu ihren Brüdern, die um einiges größer waren.

Jewel.

„Was machst du hier?“, fragte sie.

„Ich warte“, antwortete er ihr.

„Auf was?“.

„Bis ich nach Edinburgh gehen kann, um unseren Bruder zu finden“.

„Du gehst weg“, mehr eine Feststellung, als eine Frage. Und ihr war bereits klar, dass sie ihn nicht begleiten konnte.

„Du stehst seit neuestem sehr früh auf“.

„Ja“.

„Und trainierst noch öfters und härter, als zuvor“. Raphael liebte ihre jugendliche, süße Stimme und ihm wurde warm ums Herz. Seine Familie bedeutete ihm sehr viel.

„Ja...“. Trotz seiner knappen Antworten, war der Klang seiner Stimme sanft: „Jewel, ich muss dir etwas sagen“. Sein Ton veränderte sich zu dem eines großen Bruders und Kriegers.

Gerade jetzt wurde Jewel noch aufmerksamer, als sie ohnehin schon war und spitzte ihre Ohren: „Ich weiß“.

Er verriet es ihr, wiederholte die Worte seines Vaters, Lucius. Eine große Verantwortung lastete auf seinen Schultern, die Bürde, sie war schwer, der Verrat des Wissens hoch.

Jewel hörte jedes einzelne Wort und umso mehr sie wusste, desto größer wurde die Erkenntnis über etwas, dass bisher im Schatten ihres Lebens stand und nun ans Tageslicht geholt wurde. Sie würde mit Lucius sprechen müssen, ihn fragen, was ihre Aufgabe war.

„Jewel, ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder mich lieber in den Abgrund stürzen soll. Wie wird es weitergehen?! Was wird als nächstes passieren?! Was wird mit dir?! Wird mein Leben so Enden, wie es in den Büchern steht?!“.

Auf die ersten drei Fragen wusste sie keine Antwort, doch die letzte...Sie schüttelte nur den Kopf.

„Aber es ist meine Bürde und ich werde sie tragen, bis zum Ende“.

Dann erhob er sich in die Luft, sah sie noch einmal zum Abschied an und machte sie auf den Weg nach Schottland.

Jewel blickte ihm noch lange hinterher und stand sogar noch da, als er schon hinter den Wolken verschwunden war.

Ja, was würde jetzt passieren? Und wenn Samael wieder bei ihnen war...doch es konnte nur einen geben. Wie würde sich ihr Vater entscheiden?

Und auf einmal schien der tausend Jahre lang ersehnte Sieg näher, als je zuvor.

Eigentlich hätte sie sich freuen müssen, doch mit welchem Preis?!

Es war ungewiss, was die nächsten Tage, Wochen, Monate bringen würden, doch eines wusste sie.

Ihr Bruder war einer der Einzigen.

Er hatte die Essenz eines Engels.
 

Kaum war der nächste Morgen angebrochen, befanden sich die drei wieder in der Trainingshalle. Kilian hatte Javier bis in den späten Abend in ihre Kampfkunst eingeweiht und beide machten ihren Job sehr gut. Sowohl Kilian als Lehrmeister, als auch Javier, der seine Klingen mit einer Ausdauer und so präzisen Bewegungen führte, als wäre er schon immer ein Krieger gewesen.

Amaya beobachtete die beiden mit Freude und Staunen. Sie verstanden sich wirklich gut und hatten jede Menge Spaß zusammen.

Eine tiefe Dankbarkeit kam für Kilian in ihr vor. Ihr bester Freund war ein Naturtalent darin, andere dazu zu bringen, ihn zu mögen, indem er einfach nur lächelte und eine außergewöhnliche Offenheit ausstrahlte.

Doch sie hätte nicht gedacht, dass das Menschen gegenüber genauso wäre, wobei sich die Geister ja auch nie den Irdischen zeigten. Amaya hatte sich umgehört und die meisten ihres Volkes musterten Javier meist mit argwöhnischen, skeptischen Blicken, traten dabei nicht einmal in seine Nähe.Und Kilian? Kilian war offen und herzig zu ihm.

Das konnte sie jedoch nicht verstehen. Wieso misstrauten die Geister ihm so? Klar, er war der erste Mensch den Niflheim betreten und überhaupt von der ganzen Geschichte der verborgenen Welt gewusst hatte, doch er hatte doch nichts schlimmes getan. Vielleicht würden sie sich mit der Zeit an ihn gewöhnen...-Stop!

'Mit der Zeit?!', dachte Amaya. Von wegen! Sie würde Javier sobald es geht wieder in die Menschenwelt bringen und sich ihm nie wieder zeigen, für immer verschwinden, als hätte sie es nie gegeben. Natürlich würde sie sein ganzes Leben bei ihm bleiben - als Silithas -, aber unsichtbar und nicht neben ihm sitzen, in menschlicher Gestalt.

Es würde schwer werden...Amaya hatte sich schon längst an seine Anwesenheit gewöhnt und mochte es – sehr sogar -, doch es ging nicht. Nicht jetzt und auch nicht in eintausend Jahren!

Sie wollte nicht darüber Nachdenken, noch weniger über den Abschied und zog deshalb eines der Bücher vom Tisch, dass sie sich in der Bibliothek ausgeliehen hatte.

Amaya hatte gehofft, dass sie dort Hinweise auf das Rätsel, dass Verdandi ihr gegeben hatte, zu finden.

»Wir kamen,

die dem Edlen

die Lebenszeit schufen,

sie bestimmten ihn als berühmtesten Heerführer

und als den besten Fürsten«.

Insgesamt hatte sie um die fünfundzwanzig Bücher und vierzig Pergamentrollen aufgeschlagen, gelesen und wieder beiseite gelegt, nur um danach festzustellen, dass es wieder nichts war und keinerlei Fortschritte gemacht hatte. Und jedes Mal, wenn sie ein neues Buch zur Hand nahm, sank die Hoffnung, ein Hinweis zu finden, etwas mehr.

Erschöpft und auch etwas gestresst, legte sie das alte verstaubte Buch zur Seite und beschloss kurzerhand – obwohl sie damit nicht zufrieden war - den zwei Männern beim Kampftraining zuzuschauen.
 

Javier hob seinen Arm und wehrte Kilians Angriff geschickt ab. Sie trainierten seit Anbruch des Tages und die Zeit verging wie im Flug.

Er hatte bereits einen Claymore, eine Samurai – Klinge und jetzt einen Zweihänder gehabt, wobei letzteres im am ehesten lag.

Die Silithas hatten einen breiten Stand der verschiedensten Kampfkünste und Javier bewunderte sie dafür. Nicht nur das Kämpfen mit Klingen und allerlei Waffen beherrschten sie, sondern auch das Kämpfen mit dem Körper besetzte keinen geringen Platz bei ihnen.

Er liebte die Vielfältigkeit und freute sich jetzt schon – auch wenn es ziemlich anstrengend war – auf die nächsten Stunden.

Kilian machte einen Schritt zurück und grinste:

„Also gut mein Freund, du hast es nicht anders gewollt. Legen wir noch eine Stunde dran und wir werden sehen, wer hier der bessere ist“.

Javier lachte ebenfalls: „Von mir aus, wenn du dich traust. Kein Problem!“.

Dann legten sie beide ihre T- Shirts ab, - als wollten sie JEMANDEN damit beeindrucken -, verbeugten sich voreinander, wie die Regeln es besagten, nahmen Anlauf und rannten aufeinander zu.

Sie federten sich von der Trainingsmatte ab und fassten sich in der Luft an den Schultern. Kilian – dank seiner übernatürlichen Kräfte - drückte Javier nach unten und landete auf ihm.

Er jedoch zog seine Beine an und trat seinem Gegner in den Bauch, sodass er Kilian von sich warf und in der nächsten Sekunde wieder auf beiden Beinen stand.

Kilian wurde nach hinten geschleudert, doch er kam gekonnt auf dem Boden auf, schlitterte ein paar Meter weiter nach hinten und nahm erneut Anlauf.

Javier blieb dieses Mal ruhig an seinem Platz stehen und wartete. Als Kilian seine Arme ausstreckte und Javier am Bauch griff, schubste er ihn durch die ganze Wucht seines Anlaufs nach hinten.

Javier schlang blitzschnell den Arm um den Hals des anderen, bekam ihn so für eine Sekunde zu fassen und drückte seine Faust in Kilians Brustbereich.

Er fiel zu Boden, nahm aber während des Falls Javier den Boden unter den Füßen weg.

Eine Sekunde später lagen beide lachend auf dem Boden, stöhnten kurz vor Schmerz und lachten wieder.

„Das ist ja nicht länger anzusehen“, rief Amaya von ihrem Sessel aus, der einige Meter von der Trainingsmatte stand, erhob sich und kam auf die beiden, am Boden liegenden Jungs zu. In der Tat, in diesem Augenblick hätte man meinen können Kilian und Javier wären halbwüchsige. So wie sie sich benahmen. Vom Aussehen her, allerdings ganz und gar nicht. In dem Moment, in dem die zwei ihre Oberteile abgelegt hatten, hatte Amaya erst einmal hinstarren müssen.

Durch das Jahrelange Training war ihr klar gewesen, dass Kilian einen durchtrainierten Körper hatte, doch dass hatte sie nicht von ihrem Schützling gedacht.

Javier hatte zwar keinen durchtrainierten Körper, jedoch mehr Muskeln, als sie angenommen hatte.

Beide waren zu beneiden, sie waren wunderschön!

Amaya ließ sich nichts anmerken und blieb vor den beiden – die Hände in die Hüften gestemmt – stehen.

„Kilian du schummelst zu viel und Javier, du tust deinem Gegner zu arg weh“.

„Genau deshalb ist er ja mein Gegner“, erklärte Javier und muss sich den Bauch nicht nur vor Schmerzen halten.

Sie verdrehte die Augen, hielt es aber nicht lange aus und musste selbst lachen: „Ihr seit unmöglich“.

„Tja, das Schummeln fällt einem einfach zu leicht, wenn man gegen einen Menschen kämpft“, grinste Kilian.

„Hey!“.

„Ich würde zugern mal sehen, ob es dir leichter fällt nicht zu schummeln, Amaya“.

Eine Herausforderung?!

„Du forderst mich also heraus, gegen dich zu kämpfen?! Ha, nichts leichter als das“. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und wusste innerlich, was für ein begnadeter Kämpfer Kilian wirklich war.

„Nein, nicht gegen mich“. Kilian blickte zu Javier und zog die Augenbrauen in die Höhe.

„Gegen mich?!“, sagte Javier.

„Ja, genau“, antwortete Kilian freudestrahlend: „Ich wünsche dir viel Spaß dabei, mein Guter“, sprach Kilian, stand auf und klopfte Javier auf die Schultern: „Viel Glück“, flüsterte er ihm zu und ließ sich in den Sessel sinken.

Amaya streckte Javier die Hand hin: „Na, dann lass uns beginnen“.
 

Javier und Amaya standen sich gegenüber, und sahen sich trotz der Entfernung direkt in die Augen. Sie atmete noch einmal tief ein und merkte wie sich ihr Körper anspannte.

'Lass das!', sagte sie sich: 'Und konzentriere dich jetzt gefälligst'.

Sie zog ihre Jacke aus, die würde sie während dem Kampf nur stören, und stand in einem schwarzen, eng anliegenden Top da.

Javiers Brustkorb hob und senkte sich und seine tiefblauen Augen glänzten im Licht der Halle.

Sie verbeugten sich voreinander. Dann rannten sie aufeinander zu.

Javier ballte die Hände zu Fäusten und wollte zuschlagen, doch Amaya wich noch rechtzeitig aus und trat mit ihrem Bein gegen seine Schulter. Dank Jahrelanger Übung war sie zu dieser Beweglichkeit fähig, sogar wenn ihr Gegner – genau wie jetzt – größer als sie war.

Er fiel zu Boden, packte sie jedoch kurz davor an ihrem Bein und zog sie mit sich.

Gemeinsam rollten sie über die Matte, ein schier endloser Machtkampf, doch als sie ihre Gelegenheit sah, rollte sie sich unter ihm weg und sprang auf.

Javier folgte ihr und versuchte sie wieder mit seinen Fäusten zu treffen, doch sie entwich immer wieder seinem Angriff.

Für einen kurzen Augenblick sah sie nur ihn, und alles schien in Zeitlupe abzulaufen, wie so oft, wenn sie mit ihm zusammen war.

Seine Bewegungen, so präzise und exakt, sie passten sich der ihren an. Nach einer Weile hätte man meinen können, sie wären zwei Leben, die zueinander griffen, um sich dann abzustoßen und wieder zu finden.

Irgendwo, weit weg im Hintergrund hörte sie Kilian sagen, dass er kurz weg müsste, doch sie schenkte ihm keine Beachtung.

Aber im nächsten Moment bereute sie es, kurz nicht aufgepasst zu haben. Javiers Faust traf sie. Noch im selben Moment machte sie einen Rückwärtssalto und kam auf dem Boden auf.

Ein Bein hatte sie nach hinten gestreckt und so stieß sie sich erneut ab, sprang auf ihn zu und trat ihm gegen die Brust.

Durch die Wucht taumelte er nach hinten, griff doch wieder schnell zur Fassung, kam erneut auf sie zu und hielt ihr Handgelenk fest, als sie ihm mit der Faust ins Gesicht schlagen wollte.

Dann geschah alles ganz schnell:

Er drehte sie um, sodass sie ihm den Rücken zuwendete, den Griff noch immer fest um ihr Gelenk. Dann legte er seinen Arm um ihren Hals und zog sie an sich heran.

Ihren Arm legte er auf ihren Bauch. Sie dachte seine Hand würde sich aus ihrer lösen, doch sie blieb liegen, wo sie war.

Amaya sah über ihre Schulter und war seinem Gesicht auf einmal ganz nah.

Dieser vertraute Blick...Seine Arme, nein sein ganzer Körper – der sich an ihren drückte -, war so warm...Am liebsten hätte sie sich hineingelegt.

„Habe ich dir weh getan?“, fragte er sie leise, fast im Flüsterton.

Diese Stimme...

„Nein“, hauchte sie und lehnte ihren Körper an seinen.

Sein Griff verstärkte sich und in diesem Moment hätte sie alles dafür gegeben, sich zu ihm umzudrehen, seinen Atem zu spüren, ihn zu spüren...

„Javier...“. Ihre Stimme hörte sich fast wie ein Flehen an.

'Halt mich fest!', wollte sie sagen, doch diese Worte blieben ihm verwehrt. Sie durfte es nicht zulassen...Sie durfte DIESE Gefühle nicht zulassen.

Sein Gesicht kam ihrem näher, sie spürte seine Lippen auf ihrer Haut.

In diesem Moment erklang eine Stimme.

„Leute, ich habe Neuigkeiten!“.

Amaya riss ihre Hand aus Javiers und stieß ihm mit dem Ellenbogen in den Bauch. Sie hasste sich in dem Moment selbst dafür, doch es musste sein. Man durfte sie zusammen nicht sehen, nicht so.

Javier krümmte sich vor Schmerz, denn dieser Schlag hatte es in sich gehabt, dass wusste sie.

„Na Javier, ich glaube es hatte doch nichts gebracht dir viel Glück zu wünschen!“, sagte Kilian lachend, als er näher kam.

Gut, anscheinend hatte er nichts mitbekommen. Amaya beruhigte sich und zwang sich wieder normal zu atmen.

'Es ist nichts passiert. Weder das eine, noch das andere', versicherte sie sich.

„Was für Neuigkeiten?“, fragte sie, um Kilian von Javier abzulenken.

Ihr bester Freund half Javier auf, dem es schon wieder etwas besser ging.

„Anscheinend will der Rat ein Fest veranstalten“, antwortete Kilian ihr.

„Ein Fest? Für was?“.

„Nein, die Frage ist: Für wen?! Da ich das neue Ratsmitglied bin, wollten sie ein kleines Fest für mich veranstalten“.

„Wow, dass freut mich für dich!“.

Das ein neues Ratsmitglied in den inneren Stand aufgenommen wird, war selten – sehr selten – und Amaya war stolz auf ihren langjährigen Freund.

„Naja du weißt, eigentlich mag ich es nicht im Mittelpunkt zu stehen“.

„Tja, da musst du wohl durch“, meinte Javier und klopfte jetzt Kilian auf den Rücken.

„Sie es als Trostpflaster, weil du gegen mich verloren hast“, er grinste.

„Hey, dieser Kampf war noch nicht vorbei!“.

„Ihr lagt beide auf dem Boden und habt euch vor Höllenqualen gekrümmt!“.

Und wieder sahen sich Javier und Kilian einfach nur an und mussten lachen.

'Jungs!'.

Nachdem sich die beiden wieder einigermaßen hatten, räumten sie die Trainingshalle auf, doch Amaya spürte Javiers Blick, der stets die ganze Zeit auf ihr ruhte.

Kapitel 29

Dave vernahm laute Schritte, die durch den Gang, vor dem Besprechungszimmer der Garnison, verhallten. Es waren schnelle, schwere Bewegungen.

Einen kurzen Augenblick später stürmte Elijah in das große Zimmer, den Blick starr geradeaus gerichtet.

Sein Sohn ignorierte ihn und den Erzengel Nathaniel, als er an ihnen ohne ein weiteres Wort vorbeilief und sich mit seinen Händen am Fenstersims abstützte.

Der Tag war eigentlich viel zu schön für schlechte Laune, doch seit Tagen - eigentlich schon seit einer Woche -, war die Stimmung im Hause der Keyland´s aufgewühlt, schweigend, besorgt, frustriert...drückend gewesen.

Vor genau acht Tagen, waren die zwei Geschwister nachts im Wald spazieren gewesen.

Aurelia hatte Elijah von ihren Träumen erzählt. Elijah hatte seine Schwester allein gelassen, um einem Dämon zu folgen, als er wieder kam, beugte sie sich gerade über ihren Feind und injizierte ihm Gift.

Sie hatten ihn mit in das Herz der Garnison genommen, um den Dämon einer Befragung zu unterziehen.

Dieser hatte – wie Elijah bereits erwartet hatte – nichts preisgegeben. Trotz der harten Schläge, die er hatte einstecken müssen, bis er schließlich das Bewusstsein verloren hatte, hatte der Dämon ihn mit eiskalten Augen fokussiert, die höllischen Schmerzen ertragen, dagestanden, gefesselt und geblutet.

Dave und Elijah hatten Nathaniel in Empfang genommen, als sie ins Büro zurückkamen, war der Dämon verschwunden. Aurelia ebenfalls.

Seitdem hatte Elijah kaum geschlafen, war in den Nächten nur für kurze Moment eingenickt, um sich von Alpträumen wieder wecken zu lassen.

Dunkle Ringe beschatteten seine sonst so hell leuchtenden Augen und schworen das Abbild seiner Gefühle herauf, wenn er in den Spiegel sah.

Ein kurzer Blick auf ihn reichte, um zu wissen, was er durchmachte.

Was SIE alle durchmachten.

Dave sah seinem Sohn dabei zu, wie sich seine kräftigen Arme anspannten und die Adern hinaustraten. Zorn auf den Dämon und auch auf sich selbst walte in ihm auf.

„Es ist nun schon eine Woche her, seit wir ihre Spuren aufgenommen hatten, doch bisher ohne jeglichen Erfolg“, durchbrach Nathaniel die Stille. Seine Stimme war etwas leiser, rau und sehr übermüdet.

Mit „ihren Spuren“, meinte er Aurelia und den Dämon. Sie achteten nicht nur auf die Fährte des Dämons, sondern hatten auch ein scharfes Auge darauf, ob Aurelia möglicherweise irgendwelche Hinweise hinterlassen hatte. Doch nichts. Alles was sie hatten war Hoffnung.

„Die letzte Gruppe der Suchtrupps sind soeben wiedergekehrt“, begann Elijah, den Rücken immer noch zu den zwei älteren Engeln gewandt:

„Nichts“, beendete er seinen Satz nach einer langen Pause.

Elijah zog sein Handy aus der rechten Hosentasche und warf ein langen Blick aufs Display.

»Keine neuen Nachrichten«.

Er las diesen Satz wieder und wieder. Lautlos steckte er es wieder ein und drehte sich endlich zu seinem Vater um.

„Gibt es neue Ergebnisse?“, fragte er, doch er wusste bereits die Antwort.

„Nein, leider nicht“, antwortete Dave: „...Und das wird der letzte Test gewesen sein, den wir gemacht haben. Wir können nicht noch mehr verbrauchen, als wir ohnehin schon haben“.

Elijah nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, doch innerlich schnürte es ihm die Kehle zu.
 

Jeder Engel besaß ein Fläschchen, das nicht ganz unähnlich einem Reagenzglas war. Darin befand sich eine Abnahme seines Blutes, durch das man ihn ausfindig machen konnte.

Als sie Aurelias Blut angewandt hatten, konnten sie eine Präsenz ausmachen, die zwar schwach, aber trotzdem stark genug war um sicher zu sein, dass sie sich noch im Land befand.

Kurze Zeit später war der willkommene Druck, den Elijah dabei verspürt hatte, verschwunden. Das war das letzte Mal gewesen, dass sie ein Lebenszeichen von ihr hatten.

Seither hatten sie viele Male versucht ihre Fährte wieder aufzunehmen, doch leider ohne jeglichen Erfolg.

'Sie ist nicht tot!', rief sich Elijah in den Kopf.

'Ich würde es wissen. Nein, sie ist am Leben und ich werde sie finden!'.

Gestern Nacht war ihm ein Gedanke gekommen, doch er hatte ihn sogleich wieder verworfen.

'Es wäre unrealistisch...einfach nicht möglich'.

Was wäre, wenn sie gar nicht mehr in der Welt der Menschen wäre? Wenn sie die Dimension gewechselt hätte? Was wäre dann?!

'Aber das ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Kein Engel und auch kein DÄMON wären dazu nicht in der Lage, zwischen den Welten zu reisen. Das kann nur ein Volk'.
 

„Was sollen wir jetzt tun, Dad?“, fragte er.

„Suchen...immer suchen und sie finden, egal was es kosten wolle“, erklang eine zarte Stimme.

Elijah, Dave und Nathaniel drehten sich gleichzeitig um und sahen Virginia im Eingang stehen.
 

Sie stand aufrecht wie eine Kämpferin da. Doch wie alle, hatte auch sie dunkle Ringe unter den Augen und ihr weißer Pullover hing schlaff an den Seiten runter. Seine Mutter hatte deutlich an Gewicht verloren.

Virginia ging auf Dave zu und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. Er strich ihr den Rücken rauf und runter, wobei ihm selbst anzusehen war, wie sehr ihn die ganze Sache mitnahm.

Nathaniel machte eine kurze Bewegung, worauf Elijah zu dem langjährigen Freund seines Vaters sah, und und schritt leise zur Tür.

Er war mit ihnen zwar nicht verwandt, war aber trotzdem ein Teil der Familie. Elijah konnte nicht sagen, ob er genauso litt wie sie, aber Sorgen machte er sich auf jeden Fall.

Nathaniel griff nach der Türklinke, hielt aber doch inne, als sich seine Hand auf das kühle Metall legte.

Er neigte seinen Kopf, blickte dann über die Schulter. Sein braunes Schulterlanges Haar fiel auf einmal besonders auf, seine Augen leuchteten auf.

„Was ist los?“, fragte Elijah verwundert und auch seine Eltern blickten wieder auf.

„Ich weiß“, begann Nathaniel und drehte sich darauf zu ihnen um: „Ich weiß, wie wir sie finden können“.

Seine Stimme war rau und der Satz hing einen Moment in der Luft.

„Was?!“, Dave wurde – wie auch die anderen – aufmerksam, richtete sich auf.

„Es könnte Komplikationen geben, doch -. Es ist die einzige Chance die uns bleibt“.

Dave wurde lauter: „Nun rück schon raus!“.

Nathaniel schien es nichts auszumachen, dass sein Freund lauter wurde. Er wusste das der ungeduldige Zorn nicht ihm galt und deswegen konnte er es gut verstehen.

Nathaniels Mundwinkel zuckten nach oben.

„Seit ich als Erzengel auserkoren wurde, verfüge ich über die ein oder anderen speziellen Fähigkeiten. Normalerweise dürfte ich das euch nicht verraten, doch es ist ein Notfall und ich bin stets für meine Freunde da, wenn sie mich brauchen. Das habe ich versprochen“.

Elijah konnte hören wie seine Eltern aufatmeten, doch eine gewisse Anspannung lag noch immer im Raum.

„Und was wäre das?“, wollte Virginia wissen.

„Es wird seine Zeit dauern, doch ich bin imstande Personen mit einem Fluch zu belegen. Dadurch knüpfe ich mit ihnen eine Art unsichtbares Band, ohne das sie es merken. Ich bin mit ihnen verbunden, kann ihre Kraft spüren, ihren Willen durchforsten und fühlen, wo sie sich gerade befinden“.

Dave nickte: „Du hast es uns nicht schon früher verraten, dass du zu solchen Sachen fähig bist, weil es ein Geheimnis des hohen Ordens ist, der bewahrt werden muss. Das kann ich verstehen. Doch wie willst du Aurelia aufspüren, wenn wir sie durch ihr Blut nicht finden konnten?“.

„Du wirst sie nicht mit einem Fluch belegen!“, sagte Elijah und nahm eine drohende Haltung ein.

„Nein, nicht sie“, antwortete Nathaniel in Ruhe: „Der Fluch wird dem Dämon gelten, den ihr gefangen gehalten gehabt hattet. Aurelia wird nichts geschehen“.

„Was wird dann passieren?“, wollte Virginia wissen.

„Nachdem wir sie aufgespürt haben und Aurelia wieder bei euch ist, bin ich mir sicher, dass der Dämon nicht ganz nutzlos für euch sein wird“.

Elijah unterdrückte das Gefühl des Triumphs. Er wollte sich nicht zu früh freuen und behielt einen neutralen Gesichtsausdruck.

„Und da ich derjenige bin, der den Dämon mit einem Fluch belegt, werde ich gleichzeitig auch der einzige sein, der ihn davon wird erlösen können“, sprach Nathaniel.

Danach schmiedeten sie einen Plan und ließen den Erzengel allein.

Dann ließ er seine Fähigkeiten spielen.
 

Raphael wartete bis der Erzengel in ein Trancezustand gewechselt war, und schlich sich davon.

Er war durch ein kleines Fenster in den Speicher der Garnison in Edinburgh hinein gelangt und hatte seine Feinde keine Sekunde aus den Augen gelassen.

Zu seinem Glück lag das Zimmer, in dem die Engel ihren Plan besprochen hatten, direkt unter dem Speicher und machte es Raphael leicht sie zu belauschen.

'Ein Krieger fällt weniger auf, als zehn andere und kann somit seinen ausgeklügelten Plan in die Tat umsetzen', sagte er sich im Stillen.

Der Speicher war verstaubt und stand größtenteils leer. Einzelne abgedeckte Möbelstücke, wie Sessel und Regale standen in der Ecke. Das war auch schon alles.

Er entfernte seine Hand vom Boden und stand auf. Gespannt fühlte er, wie seine neu entdeckte Kraft durch ihn hindurch floss und zurückwich.

Raphael war von Geburt an einer der Einzigen, nur hatte er es selbst erst vor einigen Tagen erfahren. Und mit der Erkenntnis, war auch seine Kraft in ihm erwacht. Die Kraft eines der mächtigsten Geschöpfe der Welt.

Bisher hatte sie in ihm geschlummert, doch einige Fertigkeiten, wie schnelles aufnehmen und lernen von Dingen, waren schon vorher da gewesen.

'Die ganze Macht, war schon immer da gewesen, nur gewusst hatte ich es nicht'.
 

Und so hatte er auch die Engel belauschen können, indem er seine Hand auf den Boden gelegt und dadurch alles aufgenommen hatte, was gesprochen worden war.

Raphael spürte, dass sich all seine fünf Sinne verstärkten und intensivierten, seit er wusste, zu was er bestimmt war, doch auch das brauchte Zeit, bis sie ausgereift waren.

Vielleicht wäre er ja irgendwann in der Lage jeden einzelnen Tautropfen auf den Blättern, am frühen Morgen zu sehen, jede noch so kleine Bewegung wahrzunehmen, jede Zelle in der Luft zu spüren und dem Wandel dieser Welt, eine ganz neue Form zu geben.
 

'Lucius hatte all die Jahre nichts gesagt...hatte es vor UNS geheim gehalten, obwohl er es schon immer gewusst hatte', fuhr es Raphael durch den Kopf.

'Wenn das hier fertig ist, werde ich mit ihm reden müssen'.

Er atmete ein und aus, zwang sich zur Ruhe und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.

Der Erzengel Nathaniel verfluchte Samael, damit er zu ihm ein Bindung aufbauen und ihn aufsuchen konnte.

'Sie machen es einem gerade zu leicht'.

Raphael hätte Nathaniel am liebsten aufgehalten und ihm die Kehle durchgeschnitten, doch die einzige Chance momentan seinen Bruder zu finden, war dieser abscheuliche Erzengel.

Er war also auf ihn angewiesen, für eine bestimmte Zeit.

Alles war Raphael jetzt tun musste war, nicht die Kontrolle zu verlieren. Er musste im richtigen Moment einschreiten, seinen Bruder vom Fluch befreien und wieder nach Hause kehren.

Alles andere würde dort geregelt werden.

Schließlich hatten seine Geschwister das gleiche Blut wie er...Er verstand den Plan seines Vaters nicht. Raphael wollte nur, dass Samael wieder bei ihnen war, sie eine Familie waren.

Doch er wollte auch den Sieg. Das wollte jeder.

Raphael griff nach seinem Handy. Einen Moment später meldete sich eine aufgeregte Stimme.

„Raphael! Ist was passiert?“.

„Nein, aber du musst mir helfen, Jewel“.

„Klar, worum geht es?“. Allein an ihrem Ton war es nicht zu überhören, dass sie sich freute, ihm helfen zu können.

„Du musst hierher nach Edinburgh kommen. Du wirst jemand wichtigen verfolgen müssen. Erzengel Nathaniel wird dich automatisch zu Samael führen“.

Eine Sekunde lang war Stille, dann: „Ich bin auf dem Weg“.

„Gut“, Raphael konnte sich ein kleines Lächeln nicht verwehren. Er war stolz auf seine jüngere Schwester.

Er teilte ihr noch mit, wo sie sich treffen würden, damit er ihr alle weiteren Informationen dort sagen könnte und legte auf.

Nathaniel. Wusste er etwas? Von ihnen? Von ihrem Blut?

Auf einmal blitzte ihm in Gedanken ein Bild von einem Mann auf, der dem Erzengel, vom Aussehen her, gar nicht so unähnlich war.

Dieser Mann, hatte bei Lucius gestanden, als Raphael von seinem Erbe erfahren hatte.

Kurz dachte er an Nathaniels Bruder, Lysander, von dem man seit Ewigkeiten nichts mehr gehört hatte, weil die Brüder in Streit geraten waren...

Er verwarf den Gedanken sogleich wieder und schlich sich aus dem Fenster.

Die Sonne ging gerade unter.
 

Aurelia blickte den letzten paar Sonnenstrahlen entgegen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dastand – staunend,ungläubig, fassungslos -.

Ihr kam es vor wie eine Ewigkeit, aber das war im Moment unwichtig.

Sie war wieder zuhause!

Die Straßenlichter in Edinburgh leuchteten ein nach dem anderen auf, die Restaurants füllten sich, innen wie außen, das Nachtleben begann.

Der ganz normale Alltag der Menschen. Von der Arbeit heimkehrende Männer und Frauen, die sich genauso nach dem Zuhause sehnten.

Doch keine dieser Sehnsüchte war so groß, wie ihre eigene.

Sie machte ein paar Schritte nach vorne und trat an den Abgrund, von dem sie nun die ganze Stadt sehen konnte.

Der Hafen, an dem die letzten Boote und Schiffe anlegten und ankerten, bereit für den nächsten Tag gemacht wurden.

Die Beleuchtung des Edinburgh Castle blitzte auf und erstrahlte in warmen Tönen, die sich an die Mauern schmiegten.

Eine Welle des Glücks durchfuhr Aurelia, und erst dann merkte sie, dass ihre eine Träne über die Wange rollte.

Sie war sich sicher, dass ihr das nur so vorkam, weil sie sich freute wieder daheim zu sein, doch sie hatte zuvor noch nie so was schönes gesehen.

Aurelia ließ das alles auf sich wirken, ließ die Zeit einfach verstreichen.

Das Gefühl überwältigte sie und ihre Hand hob sich wie allein vor ihren Mund. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie nicht allein war und sie senkte ihre Hand wieder. Doch dann freute sie sich einfach nur noch.

Aurelia drehte sich zu Samael um, der einige Meter hinter ihr stand und keine Regung von sich gab. Doch er war glücklich, dass konnte man sehen. Sogar mehr als das. Ein zauberhaftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und sie konnte nicht anders, als es zu erwidern.

Samael kam näher. Auf einmal hielt sie es nicht mehr aus und schloss den Abstand zwischen ihnen.

Seine Arme schlossen sich um ihren Körper, als wären sie dazu bestimmt, und wirbelten sie einmal herum.

Das Lachen entfuhr ihnen, wie das leichteste, dass man machen konnte. Aurelias Arme schlangen sich um seinen Hals und sie traute sich ihn, für einen kleinen Moment, ganz fest zu drücken.

Nicht weil sie sich dazu sonst nicht „trauen“, sondern weil sie nicht wusste, wie es nun weitergehen würde.

Aurelia versuchte den Gedanken an das, was kommen würde, zu verdrängen und genoss diese vorübergehende Glückseligkeit. Vorübergehend, Samael war ein Dämon, sie ein Engel, sie würde wieder nach Hause zurückkehren, doch er würde nicht mitgehen können.

Das würde sie nicht zulassen.

Er setzte sie wieder auf den Boden ab und Aurelia spürte in seiner Bewegung, dass er sich des gleichen bewusst geworden war.

Doch sogar, als sie wieder auf beiden Beinen stand und sie einen Schritt hätte zurück machen sollen, blieb Aurelia wo sie war und Samaels Griff um ihre Taille verstärkte sich.

Sie vergrub ihren Kopf an seiner Halsbeuge und atmete seinen Duft ein. Der Duft, der ihr so vertraut geworden war.

Der Wind zog auf und sie fing an, ganz leicht zu zittern.

Eine leichte Brise strich ihre Haut an den Schultern, dann fühlte es sich an, als würden ein Dutzend von Schmetterlingen über ihren Rücken flattern.

Nein, es waren keine Schmetterlinge. Es war ein warmer Lufthauch, der ihr Gänsehaut bereitete.

Er bewegte sich ihren Hals hinauf, bis sie etwas ganz leichtes strich.

Samaels Lippen streiften ihre Wange, ihre Augenlider und flüsterte ganz leise: „Danke“.

Aurelia wollte etwas erwidern, doch als sie ihre Augen öffnete, sah sie nur ihn. Und dann wollte sie nichts anderes mehr.

Seine Hand umfing ihr Gesicht und zog sie noch näher heran.

Aurelia fasste in sein Haar, zog ihn zu sich hinunter.

Seine Lippen legten sich auf ihre. Zuerst sanft, mit Nachdruck. Doch dann wurde der Kuss leidenschaftlich, verlangend und flammte wie ein einziger Lichtfunke auf.

Er teilte ihre Lippen, seine Hand legte sich auf ihren Rücken und presste sie an sich.

Aurelias Herz hämmerte und sie machte sich nichts vor. Er konnte es ganz sicherlich hören. Sie krallte ihre Hand in seinen Haaren fest und zog sich zu ihm hinauf.

Ihre Bewegungen passten sich den seinen perfekt an, bis ihre Bein nachgaben. Er fing sie zwar auf, ließ sich aber trotzdem nach hinten fallen.

Dann drehte er sie so herum, dass er auf ihr lag und zog sich gerade so weit zurück, dass sie einander ansehen konnten.

„Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich für meinen Teil, will noch nicht zurück“, sagte er mit rauer Stimme und lächelte Aurelia an. Seine Augen waren dunkel und seine eine Gesichtshälfte wurde von der untergehenden Sonne angestrahlt.

Seine Hand fuhr durch ihre langen Haare, über die Kinnpartie und zeichneten die Konturen ihrer Lippe nach.

Aurelias Mundwinkel zuckten nach oben: „Dann bleiben wir hier“.

„Bis zur Morgendämmerung“.

„Bis zur Morgendämmerung“, wiederholte sie seinen Satz.

Samael kam wieder näher, flüsterte ihren Namen und küsste sie wieder. Aurelia erwiderte sofort seinen Kuss und hätte am liebsten nie wieder aufgehört.

Seine Hand glitt an ihrem Bein hinunter und zog sie noch näher zu sich. Falls das überhaupt noch ging.

Aurelia fasste an den Saum seines T- Shirts und berührte darunter seine nackte Haut. Sie merkte, wie er ein tiefes Brummen ausstieß und den Kuss vertiefte.

Aurelia wollte noch so viel mehr, doch sie schnappte nach Luft und erinnerte ihn:

„Also, wenn wir hier bleiben“, sagte sie zwischen zwei Küssen: „Sollten wir vielleicht – Ich hab Hunger“.

„Ich auch“, sagte er und sah sie an. Dann drückte er ihr noch einen Kuss auf die Lippen, packte sie an den Händen und zog sie auf.

„Warte hier“.

„Wohin gehst du?“, wollte sie wissen.

„Du richtest das Lager und ich gehe schnell was zu Essen besorgen“.

„Klingt gut“, sagte Aurelia und wollte sich entfernen, als er sie noch einmal zu sich zog:

„Ich bin gleich wieder da“. Dann war er schon verschwunden.
 

Gerade mal nach zehn Minuten war Samael wieder da und lehnten sich an den Baum, der am Abgrund stand.

Nachdem sie ihre Thai- Nudeln gegessen hatten, lehnte Aurelia ihren Kopf auf seine Schulter und er legte einen Arm um sie.

Die andere Hand verschenkte er mit der ihren. Und so saßen sie eine Weile da, sprachen, machten hemmungslose Witze und genossen den Abend.

Als Aurelia merkte, dass ihren Augen schwerer wurden und auch Samael Anzeichen von Müdigkeit zeigte, legten sie sich hin und blickten ins Sternenzelt.

„Einst sagte mir ein weiser Mann, dass die funkelnden Sternen die Augen des Himmels seien. Beschützend und ruhig wachen sie alle Zeitalter der Welt über uns, auch wenn wir sie nicht sehen können“, sagte Samael leise.

„Wer war dieser Mann?“, fragte Aurelia.

„Ich weiß es nicht. Es ist schon so lange her...Damals war ich noch zu klein, um mich jetzt daran erinnern zu können.Aber wenn ich diese Stimme jemals wieder höre, dann werde ich sie erkennen“.

Er sah sie lange Zeit an. Liebevoll und sehnsüchtig.

Samael hatte ein Arm um ihren Körper geschlungen und ihr Kopf ruhte auf seiner Brust.

Sie spürte seinen Kuss auf ihrer Stirn, als sie sich „Gute Nacht“ sagten und dann gemeinsam einschliefen.

Diesmal schliefen sie auf der gleichen Seite des Lagerfeuers.

Kapitel 30

Javier trat durch die Dunkelheit des Raums und sah einen kleinen Licht funken, der durch den fein verzierten Vorhang spickte.

Er schob ihn beiseite und tauchte in helles Licht. Vor ihm offenbarte sich ein riesiger Balkon, der genau wie die anderen Gebäuden in Niflheim, aus dunklem Eis schimmerte und durch die mächtigen Säulen auf beiden Seiten auch etwas mächtiges an sich hatte.

Hellblaue Lichter funkelten von oben herab und verleiteten den Anwesenden einen noch außergewöhnlicheren Anblick.

Alle hatten sich in ihren gewohnten, fast durchsichtigen Nebel gehüllt und manchmal erhaschte Javier einen Blick auf kleine erlöschende Rauchschwaden.

Auch wenn die Tatsache, dass er in der Menge als Mensch total auffiel, offensichtlich war, war es dennoch unbeschreiblich was sich vor seinen staunenden Augen bot.

An die skeptischen Blicke der anderen, hatte er sich in den letzten Tagen in denen er in Niflheim war, gewöhnt.

Javier konnte diese außergewöhnlichen und zugleich wunderschönen Wesen verstehen, dass sie ihm nicht vertrauten. Doch das komische Gefühl, wenn sie in ihm Löcher in den Rücken starrten, war trotzdem geblieben. Aber es wurde besser.

Die Stimmung auf der großen Fläche war ausgelassen, einige lachten, sprachen miteinander oder sahen ihren Freunden beim Tanzen zu.

Doch das Tanzen hier, unterschied sich von allem, was Javier bisher gesehen hatte.

Es war eine Mischung aus Schweben und Contempory.

Dünne Nebelschwaden zogen sie hinter sich her und hinterließen eine Spur, die kurz darauf verschwand.

Es sah aus, als wären sie in ihrer ganz eigenen Welt.

Nein, DIES war eine ganz andere Welt.

Und Javier fing an sie zu mögen.

Plötzlich erschall ein wohlklingendes Lachen und er wusste sofort, wem diese Stimme gehörte. Er würde sie inzwischen überall erkennen.

Javier folgte dem Klang, schritt durch die Menge und stieß kurz darauf auf Amaya, Kilian und eine junge Frau, die in seinem Alter zu sein schien.

Sie schaute sofort zu ihm auf, als er zu seinen Freunden stieß und betrachtete ihn mit einem neugierigen, nicht skeptischen, Blick.

„Da bist du ja!“, sagte Amaya und ließ den Blick über Javier wandern.

Er hatte zum Fest passende Klamotten, von Kilian ausgeliehen, bekommen. Javier spürte kaum den leichten Stoff, der sich auf seine Schultern legte.

Das Hemd war dunkelblau, fast schwarz, und die Knöpfe schimmerten wenn er in das Licht der Lampions trat, Perlmutt. Der Saum unten überlappte an manchen Stellen den Bund der schwarzen Hose.

Alles in allem eigentlich nichts arg besonderes, doch Javier fühlte sich trotzdem sehr wohl darin.

Ganz anders als Amaya, die ihre langen schwarzen Haare zu einem dick geflochtenen Zopf zusammengebunden und über ihre Schulter trapiert hatte. Schuhe trug sie keine.

Ihr Kleid war weiß, ebenfalls Perlmutt schimmernd...und sehr kurz.

Es hatte keine Träger und hatte nur einen etwas breiteren Streifen, der sich über ihre Brust und Dekolletee legte, und als Neckholder diente.

Dieser war mit reichlich bunten Ornamenten und Steinen verziert. Es passte geradezu perfekt zu ihr.
 

Sie strahlte Javier an und er war einfach nur froh, dass sie vielleicht für eine kurze Weile den Stress der vergangenen Tage vergessen konnte.

„Ich hoffe dir passen die Sachen, die ich dir gegeben habe, mein Freund“, sagte Kilian und drehte sich bereits zu der unbekannten Frau, die bei ihnen stand.

„Das ist meine Schwester, Hevin“.

„Freut mich, dich endlich auch mal kennenzulernen“, meinte sie und nahm ihre menschliche Form an, sobald sie ihm die Hand hinstreckte.

„Javier“, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand: „Die Freude ist ganz meinerseits“.

Ihre Augen strahlten, doch er merkte, wie sie kurz zurück zuckte, als sie ihn berührte. Javier nahm es ihr nicht übel, denn er glaubte nicht, dass sie je zuvor einem Menschen die Hand gereicht hatte. Ihre Haare waren schwarz, so wie es für ihr Volk üblich war. Die Augen in einen tiefen Braunton gehüllt, ihre Statur war eher zierlich.

Auch sie war Barfuß und trug ein enges weißes Kleid, das mit feinem Tüll am Rücken verarbeitet worden war.

Sie ließen sich wieder los, doch Hevin ließ keinen zu Wort kommen.

„Und hast du schon viel von Niflheim gesehen? Wie gefällt es dir?“.

„Danke und ja ich habe schon einiges gesehen, doch glauben kann ich es immer noch nicht“.

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung:

„Ach, das wird schon. Wenn du willst kann ich dir noch viel mehr von unserer Welt zeigen. Außerdem sind auch ein paar meiner Freunde erbricht darauf dich kennenzulernen!“.

„Hevin, hältst du das für eine gute -“, wollte sich Amaya einmischen.

„Ja klar!“, sagte sie vor freudig und zog Javier am Arm zu sich.

Auf einmal drehte sich die ganze Menge in eine Richtung und auch die tanzenden hielten inne.

„Wir wollen eine Rede!“, riefen sie.

„Kilian los!“, erschall es von der anderen Seite.

„Na schön! Aber nur ganz kurz!“, antwortete er laut und stieg die Empore hinauf.

Alle wurden ganz still und blickten zu dem neuen Ratsmitglied auf.

„Also...“, begann er: „Für mich ist es eine große Ehre, dem großen Rat beitreten zu dürfen. Wie ihr wisst ist das sehr selten, besonders in meinem Alter. Doch gleichzeitig erfüllt mich dieser Gedanke auch mit Stolz. Nicht auf mich, sondern auf unser ganzes Volk! Ich meine, der Platz im Rat wäre doch nichts Wert, wenn das was uns ausmacht, es nicht gäbe! Und auch wenn ich jetzt einen hohen Posten in unserer Welt besetze, so werde ich nie den Respekt gegenüber den anderen Mitgliedern und euch verlieren. Ihr alle, seit mein größtes Vorbild!“.

Damit hob er sein Glas hoch und trank alles in einem Zug aus.

Die Menge jubelte und rief mehrmals seinen Namen.

Kilian stieg die Treppe wieder runter und kam zu den anderen geeilt.

Javier löste sich endlich von Hevins Griff, doch dies schien sie nicht zu bemerken, als sie ihrem Bruder lachend in die Arme fiel.

Dann sagte sie etwas, dass nur er hören konnte und trat einen Schritt zurück. Javier gratulierte ihm ebenfalls und als Amaya an der Reihe war, erblickte er Mirac, Yuma und Demian die auf sie zukamen.

Sie beglückwünschten Kilian und sagten, dass er den nächsten Tanz mit einer Partnerin seiner Wahl eröffnen dürfe.

Javier entging es nicht, dass Kilians Blick sofort auf Amaya fiel und sie kurz darauf zum Tanz aufforderte.

Sie schritten Hand in Hand auf die Tanzfläche und alle machten ihnen in einem großen Kreis platz.

Dann erklang die Musik und sie fingen an.

Erst standen sie sich gegenüber, ganz still. Dann als sich sanfte Töne dazu mischten, kam Amaya auf Kilian zu, berührte ihn erst an den Wangen, legte dann ihre Hände auf seine Schulter. Er hob sie hoch, wodurch sie einen Salto vollführte und so leicht auf dem Boden aufkam, dass man es nicht hörte.

Sie wandten umeinander, er wog sie hin und her und folgten der Bewegung des Tanzpartners. Amaya berührte kaum den Boden, Kilian ließ sie keine Sekunde aus den Augen.

Zusammen sahen sie so friedlich und...vertraut aus, sodass es Javier fast das Herz zerriss.

Eigentlich sollte doch er derjenige sein, der in diesem Moment mit Amaya auf der Tanzfläche tanzt und sie wie eine Göttin aussehen lässt...

'Du weißt ganz genau, dass das niemals funktionieren würde“, ermahnte er sich.

Sie schien in diesem Augenblick so glücklich zu sein...

Kilian hob sie auf seine Schultern, damit sie auf ihnen stehen konnte. Dann hielt er seine Hände hoch, Amaya legte ihre Füße in sie, sodass es aussah als würde sie in der Luft laufen.

Plötzlich sprang sie hoch und ließ sich von ihrem besten Freund auffangen, die Gesichter so nah, dass sie sich fast berührten...

„Ach, sie sind ein so tolles Paar!“, seufzte Hevin neben Javier und lehnte sich an seinen Arm: „Findest du nicht auch?“.

„Ja...so toll...“.

Aus dem Augenwinkel sah Javier, wie Mirac die Feier durch einen Durchgang verließ...

Ein letztes Mal ließ Kilian sie über den Boden schweben, warf sie nach oben und Amaya landete mit einem dreifachen Salto wieder in seinen Armen. Javier hielt es nicht mehr aus.

'Ich muss mit ihr reden', fuhr es ihm durch den Kopf.

Die Musik verstummte und alle klatschten laut in die Hände, jubelten, riefen Zugabe.

Doch Amaya war bereits von der Tanzfläche unten, Kilian dicht hinter ihr.

„Wow, ihr saht so toll aus!“, rief Hevin ihnen zu.

Während Kilian sich seiner Schwester zuwandte, blickte Amaya zu Javier hinüber und lächelte ganz leicht.

Aus dem nichts ergriff er ihre Hand und zog sie zu sich.

„Amaya, ich muss mit dir sprechen. Jetzt“.

„Ist was passiert?“, fragte sie besorgt und ihr Lächeln verschwand. Sie war immer noch außer Atem und ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst.

„Komm mit“, sagte Javier und wollte sie mit sich ziehen, als auf einmal ein aufgebrachter Schrei die fröhliche Stimmung, wie ein Stein der ins Wasser fiel, durchbrach.
 

„STOP!“, schrie die Stimme und ein Mann in mittleren Jahren und stürzte sich auf die Menge, als hinter ihm das ganze Gebäude, wie durch eine Explosion ausgelöst, zusammenbrach.

Sofortige Panik machte sich breit, alle kreischten auf und versuchten aus der Ziellinie der runter fallenden Trümmer zu entkommen.

Javier zog Amaya zu sich und rettete sie somit vor einer riesigen Säule, die in tausend Stücke brach, sobald sie auf den Boden prallte.

Die verzweifelten Schreie der Kinder wurden im Keim verschluckt und eine Sekunde später lag alles in Schutt und Asche.

Dort, wo vor wenigen Minuten noch eines der beeindruckendsten Gebäude gestanden hatte, war nichts außer Trümmer und Bruchsteine zurückgeblieben.

Dann folgte minutenlange Stille, der schwere Schock lastete auf allen und kaum jemand traute sich zu rühren.

Erst nach einigen Augenblicken standen die ersten wieder auf, halfen denjenigen, die es nötig hatten und erneute Panik beherrschte das Zentrum aller. Javier blickte zu Amaya und vergewisserte sich, dass es ihr an nichts fehlte:

„Alles okay bei dir?!“, fragte er und merkte erst jetzt, dass sie sich verzweifelt an ihn klammerte. Seine Hände hoben ihr Gesicht an und ihre Blicke trafen sich.

Ihre grauen Augen waren voller Fassungslosigkeit und Unglauben gefüllt. Amaya nickte hektisch und verweilte noch einen Moment in seinen Armen.

„Es ist alles gut...“, versuchte er sie zu beruhigen. Doch er wusste, dass das nicht stimmte.

Nichts war gut! Was war eben passiert?! Wie konnte das geschehen?!

In diesem Moment kam Kilian zu ihnen geeilt, Hevin im Schlepptau.

„Alles in Ordnung bei euch?!“, erkundigte er sich besorgt.

„Was war das denn?!“, fragte sich Hevin, und dabei war sie nicht die einzige, die das wissen wollte.

„Ja, uns ist nichts passiert“, antwortete Javier und ließ Amaya los, als sie sich zu ihren Freunden wandte: „Aber egal was das war, wir müssen herausfinden -“.

„Wo ist mein Onkel?! Wo ist Mirac?“, fragte Amaya ehrlich besorgt und sah sich dabei nervös um.

Ohne den anderen noch einmal Beachtung zu schenken, lief sie los und rief den Namen ihres Onkels.

Doch er war nirgends aufzufinden.

'Was, wenn er unter diesen Trümmern liegt?!', fragte sie sich und wollte auf einen der Schutthaufen zugehen, als sie plötzlich Yuma auf dem Boden liegen sah.

Amaya rannte augenblicklich zu ihm und kniete sich neben ihm nieder, um seinen Kopf zu stützen.

„Ich brauche Hilfe, sofort!“, schrie sie ohne den Blick von dem ältesten der Ratsmitglieder abzuwenden.

Er hielt sich an seinen blutenden Kopf, seine Augen flackerten.

„Amaya...“, sprach er leise und mit rauer Stimme: „Sie war es!...“.

„Wer?!“.

„Die Midgardschlange...Jörmungandr...“.

„Was?! Aber -“.

Ein ohrenbetäubender Schrei ließ alle zusammenzucken.

Dann verfinsterte sich die Welt, und alle waren dem Abgrund geweiht.

Kapitel 31

Nathaniel war allein.

Er nahm nichts wahr. Nichts außer seiner gleichmäßigen Atmung, den Strom seines Blutes und darüber hinaus die Verbindung, dessen Bänder er gerade zuknüpfte.

Es war nicht leicht gewesen IHN zu finden, den Dämon zu finden. Er hatte seine Gedanken durchforstet, Erinnerungen heraufgebracht, jene bei denen er geglaubt hatte sie längst vergessen zu haben. Doch er hatte sich geirrt.

Nathaniel hatte es nur nicht wahrhaben wollen. Doch es war so, nichts konnte diese Tatsache ändern...die Wahrheit.

Trotz allem, hätte er es bei den Göttern niemals geglaubt, wenn er es früher erfahren hätte.

Niemals!

Es war ja nicht so, dass es nur eines gab, dass er aufgedeckt hatte...

'Manchmal vergessen wir Begebenheiten, damit wir in den Träumen nicht daran erinnert werden'.

Noch ein letztes Mal kniff er die Augen fest zusammen, öffnete sie und stand auf.

Die Sonne war untergegangen und das Sternenzelt breitete sich über Großbritannien. Die tiefe, dunkle, kalte Nacht.

Nathaniel schloss die Tür hinter sich und ging an den Wachen vorbei, die das Zimmer, in dem er gesessen hatte, bewacht und aufgepasst hatten. Der Erzengel ist seine Verbindung mit dem Dämon eingegangen und hereinplatzende Personen hätten nur gestört.

'Ich sollte mich doch selbst Ohrfeigen!', ging es ihm durch den Kopf.

'Aber Dinge müssen getan werden!'.

Bald würden sie den Dämon und Aurelia finden.

Dann würde er seinem Bruder rächen, so wie er es verdient hatte! Aber egal was Nathaniel tun würde, zwei Dinge würden immer so bleiben wie sie waren...

SIE hatte es ihm immer verschwiegen! Sie, sie, sie...

Sein Herz krampfte sich zusammen.

Samael war außergewöhnlich...Und was war mit- Hatte er nicht noch - ?

'Dunkel wie die Vergangenheit. Kalt wie die Erkenntnis. Und tief wie ein Schlag ins Herz'.
 

Lysander erfuhr in derselben Sekunde von dem Wissen, das Nathaniel ans Tageslicht – aus der düsteren Vergangenheit herausgeholt hatte.

Sein verhasster Bruder hatte also einen Plan...

Nathaniel war ja richtig verschreckt gewesen, als er die Wahrheit durch den Fluch, der ihn mit Samael nun verband, erfahren hatte!

Lysander musste sich ein Lächeln verkneifen. Zu gerne hätte er das Gesicht seines zwei Jahre älteren Bruders gesehen!

Doch wenn er daran dachte...Er würde ihn am liebsten qualvoll sterben lassen, doch...alles zu seiner Zeit.

Er wusste, was Nathaniel wusste, sah die Welt durch seine Augen und erfuhr im selben Moment von seinen Plänen, in denen sein Bruder sie schmiedete.

Was tat man nicht alles, um sich andere zum Vorteil zu machen...

'Dies waren genauso dunkle Zeiten gewesen...', erinnerte er sich.

Lysander hatte sich vor Jahren mit Nathaniel verbunden, ohne das sein Bruder es wusste. Während, der damals frisch auserkorene, Erzengel den höchsten Thron der Gesellschaft beschritt, hatte Lysander sich als sein Botschafter ausgegeben.

Täuschte ihm Loyalität und Unterlegenheit vor, Jahr für Jahr. Doch während Nathaniel alle Hände voll zu tun hatte, konnte er vor lauter Stress die Wahrheit vor Augen nicht erkennen.

Wie naiv er doch war!

'Und selbst bis zu dem heutigen Tage, hat er keine Ahnung, was hinter seinem Rücken geschieht'.

Wie sollte er auch? Nachdem Nathaniel zum Erzengel auserwählt worden war, blickte er auf Lysander hinab, als wäre er Dreck auf dem Boden.

Er hatte keine Notiz mehr von ihm genommen. Seine Anhänger hatten Lysander verspottet.

Diese tägliche Peinigung...Er konnte sich nur noch allzu gut daran erinnern.

Anfangs war diese Niederlage unerträglich gewesen, hatte ihm die Luft zum Atmen geraubt. Und auch noch jetzt fühlte er den Schmerz im Herz, doch er hatte gelernt damit umzugehen.

Aus dieser Qual, ist irgendwann Hass geworden.

'Und nun, bin ich meinem Ziel so nah!'.

Lysander schritt durch die alten Gänge des Nightfire Anwesens, auf Jan- Mayen.

Jahre zuvor hätte er niemals gedacht, dass er mal durch den berühmtesten Wohnsitz des größten Feindes der Engel spazieren würde!

Er war so gut wie im Herzen der Armee, die Lucius aufgebaut hatte, denn sein Verbündeter hatte gewusst, dass die Zeit des Sieges kommen würde.

Lucius hatte damals von dem Streit der zwei Brüder mitbekommen, wusste von dem gegenseitigen Hass und das sich Lysander nichts lieber wünschte, als seinen Bruder um Gnade flehen zu sehen.

Doch ihm war ebenso bewusst gewesen, das Lysander ein Engel, und somit sein größter Feind war.

Eigentlich.

Und trotzdem war der Dämonenfürst das Risiko eingegangen. Lysander wurde als Botschafter nach Norwegen bestellt, als er dort ankam hatte Lucius ihn mit offenen Armen in Empfang genommen.

Es war nicht nötig gewesen ihm mitzuteilen, dass er ein Dämon war. Das hatte Lysander im gleichem Moment gewusst, als er ihn gesehen hatte.

Anfangs hatte er, wie es seine Natur als Engel war, gleich die Waffen gezückt, doch Lucius hatte ihn vom Gegenteil überzeugen können.

Nun waren sie Verbündete. Nicht mehr und nicht weniger.

Eine bestimmte Distanz herrschte immer zwischen ihnen, was ganz und gar allein an ihrem unterschiedlichen Blut lag.

Dennoch hatten sie ein gemeinsames Ziel: Lucius wollte, wie alle seiner Art, den Untergang der Engel. Lysander hingegen war anfangs nur auf den Tod seines Bruder hinaus gewesen, doch inzwischen...Er musste zugeben, dass das ihm nicht mehr reichte.

Nathaniel war nicht als einziger daran Schuld, dass Lysander nicht zum Erzengel auserwählt worden war.

'Oh nein, ganz sicherlich nicht. Der ganze Kreis der Engel, hatte sich damals gegen mich gestellt...', kam es in seinen Erinnerungen hoch.

Sein schwarzes, schulterlanges Haar wehte über seine Schultern, als er die riesige Tür zum Besprechungssaal öffnete.

Ein Lächeln lag bereits auf seinen Lippen, als er die Schwelle überschritt und seinem einzigen Verbündeten in die Augen sah.

„Ich habe Neuigkeiten“, sagte er mit einem diabolischen Grinsen, das er nun nicht mehr unterdrücken konnte.

„Das wurde auch Zeit“, meinte Lucius, trat beiseite und gab somit die Sicht auf seinen Sohn frei.

Raphael, der durch sein weißblondes Haar und seinen durchtrainierten Körper auffiel, sah Lysander genau an, als würde er ihm nicht ganz trauen...

„Es hat sich einiges...verändert, dass selbst du nicht zu glauben gewagt hast“, erklärte Lysander, während er Raphaels Blick stand hielt.

„Du hältst dich wohl für besonders lustig, wenn du nicht endlich auf den Punkt kommst!“, sagte Lucius und ging in Richtung des runden Tisches, auf dem frisch servierter Wein stand.

Er nahm sich ein Glas vom Tablett und schwang die tiefrote Flüssigkeit genüsslich im Kreis.

„Nur nicht so ungeduldig. Was ich zu sagen habe, ist weitaus mehr, als -“.

„Sag es!“.

„Es geht um dein Sohn, Samael“. Lysander machte nicht unbeabsichtigt eine Pause, damit Lucius sich dem Ernst der Lage bewusst werden konnte.

Der Dämonenfürst erwiderte nichts, und auch Raphael gab kein Laut von sich, hielt seinen Blick aber dennoch auf Lysander gerichtet, als der sich zu seinem Verbündeten richtete.

„Es wird sich nun vieles ändern, und du hast bereits eines deiner Kinder verloren. Denn es hatte niemals dein Blut in sich getragen“.

Lysander erzählte ihnen alles, was er wusste und erzählte von dem Vorhaben der Keylands. Er berichtete auch davon, dass Nathaniel mit ihnen zusammenarbeitete, sie Samael und Daves Tochter bei Morgengrauen finden würden.

Als er an Dave und dessen Familie und Anhänger dachte, kam auch dieser alte Hass auf sie in ihm hoch...

Als er seinen letzten Satz beendete, herrschte einige Zeit Stille.

Lucius starrte inzwischen aus dem Fenster, sein Weinglas verkrampft in der Hand. Getrunken hatte er wenig.

Raphael saß auf einem der Stühle, die am Tisch standen, blickte in das prasselnde Kaminfeuer. Seine Augen sahen aus, als würden sie brennen, die ungezügelten Flammen spiegelten sich in seinen dunklen Pupillen. Die Haut wurde orange -rot angestrahlt, die Hände hatte er zusammengefaltet und stützte nun seinen Kopf auf ihnen ab.

Vater und Sohn, gezeichnet von Unglauben, Schock und Sprachlosigkeit.

„Wie konnte SIE das nur tun?!“, sprach Lucius nach einer Weile. Sein Gesicht nahm einen wütenden Ausdruck an und im selben Moment zersprang das Glas in seiner Hand, in tausend Stücke.

Klirrend fielen sie auf den Boden und jeder einzelne Aufprall bejahte die geheim gehaltene Vergangenheit.

„Was?!“, fragte Raphael, ganz aus seinen Gedanken gerissen.

Lysander trat näher an seinen Verbündeten heran.

„Du kannst nichts dafür und ändern kann man es erst recht nicht“.

Einen Augenblick lang wirkte Lucius noch nachdenklich, dann wandte er sich an Lysander:

„Nein, das kann ich nicht. Aber ich weiß jetzt was ich tun werde. Wenn SIE es mir schon vor die Füße gelegt hat, dann werde ich es mir jetzt auch nehmen“.

Damit drehte er sich um und lief in Richtung Tür.

Er war ebenfalls etwas größer gewachsen, war gut gebaut und sein wilder Blick, verriet Lysander, dass er etwas vor hatte.

„Was wirst du nun tun?!“, rief er ihm hinterher.

„Raphael komm mit -“.

„NEIN, Raphael wird nicht mit DIR mitkommen. Egal wo du hingehst, er wird HIER bleiben!“. Lysanders Stimme wurde lauter und langsam verlor er die Geduld.

„Wer sagt, dass DU die Befehle erteilst?!“, meinte Lucius und blieb abrupt stehen.

Bevor der Engel antworten konnte, kam Raphael dazwischen.

„Wer sagt, dass IHR darüber entscheiden könnt, wohin und mit wem ich gehe?!“.

„Es gibt seit längerem eine Vereinbarung...mit einer Person, die für uns sehr wichtig ist!“, erklärte Lucius.

„Und wer soll das sein?“, wollte sein Sohn wissen.

„Das kann ich dir nicht sagen. Noch nicht“.

„Ah, ich weiß wohin du gehst“, kam Lysander ihnen dazwischen: „Doch Raphael wird dich dorthin nicht begleiten. Du hast eine Armee in der letzten Zeit zusammengestellt und du brauchst sein Blut“.

Schneller, als das die beiden anderen schauen konnten, zog Lysander sein Dolch aus seinem Gürtel, ergriff Raphaels Arm und schnitt ihm quer über den Unterarm.

Er fühlte, wie die weiche Haut unter dem Druck der scharfen Klinge nachgab und sich warmes Blut an kaltes Metall schmiegte.

Raphael entzog ihm sogleich seinen Arm und griff selbst zu seinem Waffengürtel.

Lysander jedoch blieb ruhig und hob die Hand.

„Hier hast du es, mein Lieber. Ich denke, dass ein paar Tropfen reichen werden, um das Biest zu beruhigen“, sagte er und reichte ihm den Dolch.

„Wir wollen doch nicht, dass ihn der Tod unerwartet einholt. Vor allem nicht, wenn sein Gegenstück des Blutes dazu fehlt“.

„Was hast du vor?“, wollte jetzt Lucius wissen.

„Solange du weg bist, werde ich es mir hier gemütlich machen. Ich glaube der Wein macht sich besser in meinem Magen als“, er zeigte auf die Scherben und den verspritzten Wein: „auf dem Boden. Raphael wird hier mit mir auf deine und auf Jewels Rückkehr warten“.

„Du hast Angst“.

„Vor was sollte ich Angst haben? Ich sehe einfach nur...voraus. Und das solltest du auch. Denn was bringt ein raffinierter Plan, wenn man dazu nicht die nötige Absicherung hat?!“.

Lucius sah ihm noch einen Moment verärgert in die Augen, nickte seinem Sohn noch einmal zu und verließ die Insel mitsamt seiner Armee.

'Er wird sich holen, was er will. Und es auch bekommen, doch ob es hierher zurück schaffen wird...Das Biest, Jörmungandr wird ihn umbringen, wenn er sie mit dem Blut Raphaels erweckt...Er ist verstreut, nicht klar bei Gedanken...SIE hatte ihn seiner Treue beraubt...'.

Tief im Inneren wusste Lysander, das Lucius nicht zurückkehren würde.

Kapitel 32

Samael wurde plötzlich aus dem Schlaf gerissen. Es war zwar noch immer dunkel, doch am Horizont konnte er schon einzelne helle Konturen ausmachen.

Aurelia lag direkt neben ihm, dicht an seinen Körper gekuschelt. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Sie sah immer so süß aus, wenn sie schlief.

Sein Arm hatte sich um ihre Taille gelegt und zu sich heran gezogen. Sachte strich er ihr einzelne Strähnen aus dem Gesicht, verschränkte seine anderen Hand mit der ihren.

Sie war warm und fühlte sich in seiner Handfläche so an, als ob sie genau dort hingehören würde.

Langsam beugte er sich zu ihr runter.

Auf einmal durchbrach ein seltsames Geräusch die Stille der Nacht. Samael richtete sich reflexartig auf und sah sich aufmerksam um.

Ihr Lagerfeuer bestand nur noch aus glühender Asche, die zurückgeblieben war. Der Wind strich leise durch die Blätter in den Baumkronen, eigentlich schien es die friedlichste Nacht seit Tagen zu sein.

Trotzdem beschlich ihn ein ungutes Gefühl, wie ein Raubtier, das auf der Jagd war. Langsam aber gefährlich.

Samael stand auf, vergewisserte sich noch einmal, dass Aurelia schlief und griff nach seinem Schwert, das sich unmittelbar in seiner Nähe befand. Für alle Fälle.

Seine dunklen Flügel erschienen und trugen ihn in die Finsternis der Nacht. Als er sich dicht über den Baumkronen befand, dabei Aurelia immer im Auge behielt, tauchte er durch das Geäst und ließ sich auf einen der Äste nieder.

Und dann war es wieder da. Das Geräusch, als ob jemand durch das Unterholz treten würde. Ein kühler Lufthauch schlug ihm entgegen, sodass sich Gänsehaut auf seinen Unterarmen ausbreitete.

Auf einmal war es wieder ganz still.

Samael wartete noch einen Augenblick, doch es blieb dabei. Als wäre die ganze Gegend in einen tiefen Schlaf versunken.

Er ließ sich etwas tiefer gleiten, als er plötzlich eine schwarze Kontur am Waldrand ausmachen konnte.

Sein Sehsinn verschärfte sich plötzlich um ein vielfaches. Einen Moment lang war er zu erstaunt darüber, als das er sich auf die Situation konzentrieren konnte.

Er sah alles in einem ungewöhnlichen Grauton, jede einzelne Kontur der Außenrum stehenden Bäume, Pflanzen, selbst Aurelia konnte er auf die weite Entfernung genau ausmachen. Wie ihre Brust sich gleichzeitig hob und senkte, ihre wunderschön geschwungenen Wimpern, das kleine Lächeln, das sich auf ihr atemberaubendes Gesicht zeichnete.

Schließlich konzentrierte er sich wieder auf die Gegenwart und betrachtete die menschlich aussehende Kontur am Waldrand genauer.

Sie war etwas kleiner und vor allem zierlich. Ihre Hände, die den Moos bewachsenen Boden berührten, trugen einige Narben. Er kannte doch genau diese Hände...

Von Narben und Leid gezeichnet.

Jewel!

War sie das wirklich? Und wenn ja, was machte sie hier?!

Vorsichtshalber verstärkte sich sein Griff um das Heft des Schwertes, während er sich leise heranschlich.

Als er nah genug dran war, hob sich sein Schwertarm und legte die eiskalte Klinge an die Kehle der, mit dem Rücken zu ihm sitzenden, Person.

Ihr Körper erstarrte sofort, spannte sich an und gab keine Regung von sich. Nicht einmal die Schultern, als Zeichen das sie atmete, hoben und senkten sich.

„Aufstehen, sofort“, sagte Samael mit leiser, aber bedrohender Stimme.

Die Person erhob sich und blieb kerzengerade stehen.

Samael ging um sie herum, ohne das Schwert einen Millimeter von ihr abzunehmen. Schließlich sah er ihr Gesicht im Schein des Mondes, und ließ die Klinge sofort sinken.

„JEWEL?!“.

„Hi“, flüsterte sie und hob die Hand. Dann schossen ihre Mundwinkel nach oben und Samael zog sie in seine Arme.

„Was um Himmels willen tust du hier?!“, fragte er und drückte sie noch fester. In den letzten Tagen war die Hoffnung auf Überleben so gering gewesen...Er hatte nicht gedacht, dass er sie noch einmal sehen würde.

Schließlich ließ er sie los, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Mit ihren Dunkelroten Haaren und dem Pony auf der Stirn, sah Jewel immer noch so aus, wie er in Erinnerung hatte. Ihr forscher Blick durchfuhr ihn, bis er wusste, dass mit ihr alles in Ordnung war.

„Also“, fing er nach einem Moment wieder an: „was tust du hier?“.

„Eigentlich...Das würde am liebsten ich dich mal fragen“, gab sie zurück und ihre Augen wanderten zu Aurelia, die immer noch schlief.

Samael blickte sich selbst kurz zu ihr um. Und lächelte, setzte jedoch wieder eine ernste Miene auf, als er sich wieder Jewel zu wandte.

„Es ist in letzter Zeit viel passiert. Es würde etwas länger brauchen, um das zu erklären. Doch wir sind froh, wieder hier zu sein...“.

„Was?! Was soll das heißen...?“, sie legte eine Pause ein, bevor sie weiter sprach: „Du hast recht. Es ist viel passiert. Sehr viel und...Es gibt einiges, das du noch nicht weißt“.

„Was?“.

„Das kann ich dir nicht sagen, nicht hier. Außerdem denke ich, dass ich dir falsche Person wäre, dir dies zu erzählen. Du musst mit mir kommen. Jetzt. Ich habe zwei Soldaten dabei,“.

„Das kann ich nicht“.

„Wieso?“.

Samael entwich ihrem Blick und blickte auf seine Schulter.

„Du meinst...Wegen diesem Engel?! Wir nehmen sie mit. Unser Vater wäre sicherlich über eine Geißel erfreut“.

Samael riss die Augen auf und sah sie wieder an:„WAS?! Niemals!“.

„Was hast du?! Was ist in den letzten Tagen passiert? Warst du die ganze Zeit mit ihr zusammen? Warum hast du sie nicht schon längst umgebracht?!“.

„Du verstehst das nicht!“, sagte er ihr mit Nachdruck und ließ Jewel durch seinen Blick wissen, was er meinte.

„WAS?! Du hast...Das kann nicht dein Ernst sein!“. Sie war geschockt, zurecht. Aber dennoch, konnte Samael nicht zulassen, dass Jewel in Aurelias Nähe kam, als sie ihr Schwert zückte und schon nach vorne preschen wollte. Im letzten Moment hielt er sie am Arm fest und stieß ihr die Waffe aus der Hand.

„Wie kannst du nur?!“.

Samael hatte darauf keine Antwort, nur: „Du wirst ihr nichts tun! Du kommst nicht einmal in ihre Nähe...Du musst jetzt gehen das ist das Terrain der Engel. Ich komme nach, sobald es geht“.

Einen Augenblick lang stand Jewel noch regungslos da, doch sie ließ es sich nicht zwei Mal sagen und flog davon, nachdem sie ihr Schwert wieder an sich gerissen hatte.

Samael unterdrückte den Drang ihr nachzuschauen und ging auf das Lager zu. Er stellte noch mehrere Male fest, ob sich nicht doch noch jemand hinter den Gebüschen aufhielt, bevor er sich wieder zu Aurelia legte.

Doch seine Gedanken, wollten ihn einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Woher hatte Jewel gewusst, dass er genau hier war? Und was hatte sie damit gemeint, dass sehr viel passiert war? Solche und noch mehr Fragen kreisten ihm im Kopf herum, sodass es schier unmöglich war noch einmal die Augen schließen zu können.
 

Aurelia fand sich wieder auf dem vereisten Weg, der direkt zu Yggdrasil führte. Wie immer, fielen kleine Schneeflocken hinab, die Runen waren immer noch in den Säulen eingemeißelt und der Lichtstrahl schien auf die Baumkrone hinab, brachte seine ganze Pracht hervor, wie es in den Büchern immer geschrieben stand.

Doch irgendetwas war diesmal anders. Sie ging ein paar Schritte, als sie auf einmal Samael auf den Stufen die zu Yggdrasil hinauf führten, sah.

Seine Augen glühten regelrecht, er sah sie direkt an.

Sofort kamen Sorgen in ihr auf, veranlassten sie dazu auf ihn zuzugehen.

Samael setzte sich ebenfalls in Bewegung, doch aus irgendeinem Grund wählte er seine Schritte sorgfältig, mit Bedacht, ließ sie jedoch nicht aus den Augen.

„Samael?“, sagte sie und ehe sie es bemerkte rannte sie.

Doch kaum hatte sie ein paar Schritte gemacht, hörte sie eine unbekannte Stimme in ihren Gedanken:

»In einer endlosen Tiefe, in der Stille der Nacht«.

Aurelia beschleunigte ihr Tempo. Doch auf einmal stürzte die gewaltige Steinmasse nach unten, durchbrach den vereisten Weg, der zu Yggdrasil und Samael führte.

Alles fing an zu beben, die Säulen fielen in sich zusammen und erschlugen sie beinahe.

Ihre Hand schmerzte höllisch und bekam Risse.

Ehe alles einstürzte und sie begraben wurde, realisierte sie, dass es kein Weg, der sie zu Samael führte, existierte.

Aus Yggdrasils Rinde trat Blut. Dann wurde es dunkel.
 

Aurelia riss die Augen auf und schreckte hoch, als sich die Bilder ihres Traums verdunkelten. Und bevor sie sie in die Tiefe reisen konnten.

Doch wie Schlag auf Schlag, hatte sie nicht einmal richtig die Augen offen, als drei bekannte Gesichter auf sie hinab blickten.

Vor Aurelia standen Dave, Elijah und der Erzengel Nathaniel!

Aus Schreck wich sie ein gewaltiges Stück nach hinten. Erst dann beruhigte sich ihr Herzschlag und das inzwischen nagende Gefühl, zu fliehen.

Tränen des Glücks und der Trauer füllten sich in ihren Augen, ehe Elijah sie zu sich hochzog und in den Arm nahm.

Sie schmiegte sich an ihn, so wie sie es seither immer getan hatte, wenn sie etwas drückte. Nur waren die Geschehnisse der letzten Tage viel schwerwiegender und...beunruhigender, als je zuvor.

Deswegen löste Aurelia sich aus dem liebevollen Griff ihres Bruders und trat einen Schritt zurück, damit sie ihnen allen ins Gesicht sehen konnte.

Der Blick ihres Vaters traf sie mehr als erwartet und er kam auf sie zu, nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und drückte ihr einen väterlichen Kuss auf die Stirn.

„Ich hatte solche Angst um dich gehabt“, flüsterte er.

Sie verweilte in seinen Armen, als ihr abrupt ein Gedanke kam, der ihr Herz höher schlagen ließ.

Samael!

Durch den Traum und das Wiedersehen, hatte sie gar nicht dran denken können, dass er eigentlich neben ihr liegen müsste...

Aurelia wandte sich sofort aus den beschützenden Armen ihres Vaters und sah sich aufgeregt um.

Anscheinend schienen die anderen ihre Besorgnis zu merken und beantworteten ihre unausgesprochene Frage, indem Nathaniel beiseite trat und ihr die Sicht auf etwas schreckliches ließ.

Samael, blutend und bewusstlos, wurde von zwei Soldaten gestützt. Das Gefühl der Freude, das sie noch vor wenigen Momenten verspürt hatte, wandelte sich sofort in Wut um und sie war gerade dabei auf Samael loszugehen, um sich beschützend vor ihn zu stellen, als Dave sie am Ellenbogen festhielt.

Aurelia schüttelte ihn angewidert ab und wollte schreien, fragen was hier los sei, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken.

Verständnislos wie sie vor den Männern stand, versuchte sie einen klaren Kopf zu wahren und hoffte inständig, dass es nicht zu spät war...

„Aurelia, liebstes...wir können -“.

Doch so weit um eine Erklärung abgeben zu können, ließ sie Dave gar nicht kommen.

„Was könnt ihr?! Nichts könnt ihr! Was habt ihr gemacht?!“, sagte sie etwas lauter.

„Er ist ein Dämon! Er ist dein Entführer!“, gab Elijah barsch zurück: „Hast du das etwa vergessen?! Er ist dein Todesfeind!“.

„Ihr versteht das nicht! Ja anfangs da war er mein Feind, wir hatten uns bekämpft bis wir vor Erschöpfung umgefallen sind, doch jetzt – Es ist alles anders!“.

Einen langen Moment herrschte zwischen den beiden Seite stille, bis Nathaniel das Wort ergriff:

„Du setzt dich also für das Leben deines ewigen Feindes ein?!“.

„Wie schon gesagt, ihr versteht es nicht! Lasst es mich erklären!“.

„Es geht um mehr als du denkst. Er ist mehr, als es den Anschein hat, Aurelia. Es gibt da etwas, dessen du dir noch nicht bewusst bist. Wir werden ihn mitnehmen, alles weitere werden wir in der Garnison regeln“, entgegnete ihr Vater.
 

Jewel beobachtete das Geschehen, das sich auf dem Hausberg „Arthur´s Seat“ ergab.

Samael hatten sie gewaltsam geschnappt, bevor der Engel aufgewacht war. Zuerst hatten sich die Engel herangeschlichen, ein paar ihrer Soldaten hatten sich in den Außenrum stehenden Wald gewagt, um sicher zu gehen, dass sich dort nicht noch weitere Dämonen herumtrieben.

Jewel hatte die ganze Nacht mit Krish und Neel, die zwei Soldaten die sie mitgenommen hatte, etwas abseits versteckt, nachdem Samael sie aufgefordert hatte nach Hause zu kehren.

Doch sie hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, ihn hier mit dem Engel allein zu lassen.

Die Galle war ihr aber erst fast hochgekommen, als ihr Bruder den Arm um die schlafende Frau gelegt hatte.

Jewel konnte auch jetzt noch nicht verstehen, was in Samael vorging, doch die Situation hatte sich kurz darauf noch verschlimmert.

Der Erzengel hatte Samael ergreifen lassen, ihm einige Male den Knauf seines Schwertes in den Magen gerammt, bis die Wunden von neuem aufgegangen waren.

Das Blut drang unaufhaltsam durch sein Shirt.

Danach hatten sie seinen Mund geknebelt, die Peitsche auf seinen offenen Rücken knallen lassen. Sein Gesicht war in Richtung des schlafenden Engels gerichtet gewesen, doch sie war nicht aufgewacht.

Jewel war sich sicher, dass etwas anderes, ungewöhnliches sie im Schlaf festgehalten hatte. Ihre Gesichtszüge hatten sich mehrere Male verzogen gehabt.

Ihren Bruder hatten sie gepeitscht, bis er in sich zusammengefallen war und es für die Soldaten nicht mehr Wert gewesen war die Folter weiterzuführen, wenn er den Schmerz nicht spürte.

Sie hatten versucht ihn mit Ohrfeigen wach zu kriegen, doch seine Augen hatten sich nicht mehr geöffnet.

Wie diese Schweine doch dabei gelacht hatten!

Doch Jewel hätte sich am liebsten selbst erstochen, dafür das sie nicht eingeschritten war. Aber was hätte sie gegen diese Soldaten ausrichten können?

Drei gegen eine ganze Truppe...Niemals wäre sie da lebend herausgekommen.

Anschließend hatten sie den Engel aufgeweckt. Von dort an, war alles ganz schnell gegangen.

Die Wiedersehensfreude hatte nicht lange gehalten, als sie Samael erblickt hatte. Bewusstlos, unter Folter zusammengebrochen, blutend.

Sie war geschockt und verzweifelt gewesen...das hatte Jewel deutlich sehen können. Doch was ihr noch mehr aufgefallen war, war der Blick gewesen, mit dem der Engel Samael betrachtet hatte.

Besorgt, sehnsüchtig und...etwas mächtiges, tiefgreifendes.

Die Truppe war gerade am aufbrechen, Samael trugen sie, der Engel blieb stets in seiner Nähe.
 

Seit dem Überfall traute sich Jewel das erste Mal tief einzuatmen.

Die versteckte Position in den Baumkronen wo sie sich befand, war niemandem aufgefallen.

Von dort hatte sie alles erkennen können, alles mitansehen müssen...

Die Wut in ihren Adern drückte, doch sie musste jetzt bei klarem Verstand bleiben!

'Ich muss sofort nach Jan- Mayen zurück fliegen und alles berichten!'.

Noch einen Augenblick blieb sie auf dem Ast sitzen, faltete ihre Hände im Schoß und zwang sie so dazu nicht mehr zu zittern.

Das würden die Engel büßen! Sie würde dem Erzengel höchstpersönlich den Kopf abschlagen, wenn es soweit war!

Auf einmal, als sie sich gerade erheben wollte, um zu Krish und Neel zurückzukehren, die sich ein anders Versteck gesucht hatten, als die Engel aufgekreuzt waren, ertönte ein lauter Schrei.

Jewel drehte sich blitzartig um und sah einige Engelssoldaten auf den Platz treten, die vorher im Wald auf Streife gewesen waren...

Und sie schleppten an einer Hand zwei noch lebenden Opfer hinter sich her.

Krish und Neel!

Jewel beugte sich geschockt nach vorne.

Die Engel sprachen miteinander, lachten und durchbohrten anschließend die Lungen ihrer Kameraden.

Gefühlslos ließen sie sie dort liegen und folgten den anderen Engeln.

Als sie außer Sicht waren, flog Jewel zu Krish und Neel herab. Neels Blut drang in die feuchte Erde und vermischte sich mit dem Gras. Er war bereits tot.

Krishs Augen flackerten als er Jewel erblickte. Verzweifelt versuchte er noch Luft zu holen.

Jewel nahm seine Hand, Tränen der Trauer und des Zorns rollten ihre Wangen hinab.

„Ich werde sie in die Hölle schicken, dass verspreche ich dir“, flüsterte sie.

Kapitel 33

Ihr Kopf hämmerte. Einzelne Bruchstücke der letzten Ereignisse kamen ihr vors innere Auge. Sie konnte Blut schmecken und den Schmerz spüren.
 

»Aurelia, wach auf.«, flüsterte eine bekannte Stimme, ganz leise. So, das es erträglich war und nicht weh tat.
 

»Aurelia, es wird Zeit.«

Diesmal war Bal etwas lauter, nachdrücklicher. Aurelia wollte sich weigern, doch sie wusste, dass ihr das nicht gelingen würde.
 

»Aurelia!«.

Denn es gab viel zu tun.
 

Sie schlug die Augen auf und blickte direkt in das makellose Gesicht ihrer Mutter. Virginias leichten, goldfarbenen Locken streiften ihre Wange und legten sich sachte auf ihrer Schulter ab.

Aurelias Mutter saß auf der Bettkante, direkt neben ihr und hielt ihre Hand fest umschlossen. Natürlich zauberte sich ein kleines Lächeln in Virginias Gesicht, das sie erstrahlen ließ.
 

„Mum...“, brachte Aurelia krächzend hervor. Ihr Hals tat weh, woraufhin sie sich mit der freien Hand an die Kehle fasste. Sie schluckte ein- zweimal und ihre Augenbrauen zogen sich wie von selbst zusammen.

„Schh, sag nichts“, unterbrach Virginia sie leise. Ihre Mutter ließ ihre Hand los und nahm ein Glas Wasser vom Beistelltisch und reichte es ihr. Aurelia nahm dankend an und nippte ein paar mal.
 

„Du hast vor Erschöpfung den ganzen Tag geschlafen und musst wieder zu Kräften kommen“.

Ihre Tochter setzte sich aufrecht hin, verzog jedoch kurz die Miene, als sie sich mit dem Rücken an das Bettgerüst lehnte. Das Glas, welches sie fast ausgetrunken hatte, hielt sie fest umklammert.

Aurelia sah ihre Mutter benommen an:

„Was ist passiert?“.

„Dein Vater und Elijah hatten dich auf »Arthur´s Seat« gefunden. Nathaniel und ein paar der Soldaten waren auch dabei gewesen. Du warst verletzt gewesen und lagst schlafend, halb bewusstlos, auf dem Boden“, Tränen traten in Virginias Augen: „Ich bin ja so froh, dass wir dich wieder gefunden haben“, sprach sie und nahm ihre Tochter in den Arm.

„Die letzte Woche...sie war so schrecklich gewesen, gefüllt von Angst, Wut und Verzweiflung“, flüsterte sie.

Aurelia erwiderte die Umarmung, doch ihre Mutter ließ sie nach wenigen Augenblicken wieder los.

Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und fasste sich wieder.

Allmählich kamen Aurelia die Bilder wieder und sie zuckte abrupt zusammen.

Sie brauchte einen kurzen Moment, um sich alles klar zu werden. Erst dann überkam sie eine unbändige Angst.

„Du redest nur von mir...“, sagte sie, trotz der Schmerzen: „Ich war nicht allein gewesen...Was ist mit Samael? Wo ist er?“.

Das letzte Mal als sie ihn gesehen hatte war, wie er von zwei Soldaten bewusstlos und blutend gestützt wurde. Ihr Herz fing an wild zu pochen.

Doch als ihre Mutter nicht sofort antwortete, richtete sie sich auf und sah ihr direkt in die Augen: „Wo ist er?!“, fragte sie nachdrücklich und in dem Moment war sie sich todsicher, dass ihre Augen nur so vor Wut funkelten.

Aurelia nahm die Hände ihrer Mutter und formte mit ihrem Mund das Wort »Wo?!«.

Von der Trauer ihrer Mutter war nichts mehr zu sehen: „Komm mit“, sagte sie nur stand auf.

Allein das reichte Aurelia, um sofort aus dem Bett zu springen, festzustellen das sie nichts weiteres als ein helles Top und eine Unterhose trug, zu ihrem Kleiderschrank zu sprinten und sich etwas überzuziehen.

Wahllos griff sie nach einer dunkelblauen Jeans und einer schwarzen Bluse, deren Ärmel nur bis zum Ellenbogen reichten.

Als sie in ihre Stiefel geschlüpft war, öffnete sie die Tür und trat auf den Flur, wo ihre Mutter bereits wartete.

Sie verloren keine Zeit und befanden sich schon wenige Minuten später über dem Dach ihres Herrenhauses. Es lag etwas abseits der großen Stadt und faszinierte geradezu jeden Touristen der auf seiner Wanderung dort vorbeikam.

Es grenzte an einem nahegelegenen See und die friedliche Idylle ließ einen den Alltagsstress in der Stadt vergessen.

Es lag etwas höher als die Stadt selbst und war von wilden Pflanzen und einem kleinen Wald umgeben. Nicht weit befand sich auch eine Felsgrotte, in der Aurelia und Elijah gespielt hatten, als sie noch klein gewesen waren.

Für ein Herrenhaus war ihres eher klein, was von außen her gar nicht den Anschein hatte. Ringserum hatte es einen großen Garten, dessen Pfad zu einer Klippe führte. Dort hatten sie vor Jahren einen kleinen Brunnen angelegt und die Aussicht war fantastisch.
 

Sie ließen ihr Anwesen hinter sich und flogen durch die Wolken, die durch die untergehende Sonne orangerot angestrahlt wurden.

Komisch, als Aurelia das letzte Mal auf den Horizont geblickt hatte, hatte sich der Tag gerade auch dem Ende geneigt. Samael war bei ihr gestanden...

Bilder diesen Abends kamen ihr vors innere Auge, wodurch dieselben warmen Gefühle in ihr hochstiegen, die Samael in ihr heraufbeschworen hatte. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Unterarm aus und sie schauderte.

Nicht weil sie diese Gefühle, die sie für einen Feind hegte, verabscheute, sondern weil sie nicht wusste was als nächstes bevorstand. Das Unwissen, was ihr Vater wohl Samael angetan haben mochte, ließ sie keine Sekunde lang durchatmen.

Schon nach wenigen Minuten betraten sie die große Eingangshalle der Garnison.

Aurelia kam es so vor, als wäre es eine Ewigkeit her, das sie das letzte Mal dort gewesen war. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um nicht mehr als zehn Tage.

Doch je näher sie dem Büro ihres Vaters kamen, umso weniger Worte fielen zwischen Aurelia und Virginia.

Als sie die Tür schon von weitem ausmachen konnte, sah sie zwei schwerbewaffnete Soldaten vor dem Eingang wache halten.

'Was tun sie dort?'.

Ihre Mutter legte die Hand auf die Türklinke, doch bevor sie sie betätigte, hielt sie inne und wandte ihren Kopf leicht in die Richtung ihrer Tochter.

„Es ist einiges geschehen, seit ihr,- seit du wieder da bist“, sagte sie leise, dabei blickte sie auf den Boden, dann zu Aurelia: „Liebes, bitte verspreche mir, dass du deinem Vater und Nathaniel erst zuhören wirst, bevor -“. Virginia brach mitten im Satz ab.

„Bevor was?“, hagte Aurelia neugierig, aber mit ernster Miene nach.

Ihre Mutter schüttelte bloß den Kopf und trat dann in Daves Büro, Aurelia direkt hinter ihr.

Drinnen sah es aus wie immer. Nichts hatte sich geändert. Wieso auch?

Dave stand hinter seinem Bürosessel, Nathaniel am großen Fenster, den Blick auf die Straßen unter ihnen gerichtet.

Als Aurelia ihren Bruder erblickte, wie er angelehnt an der Wand stand und den Kopf gebeugt hielt, zuckten ihre Mundwinkel schon automatisch nach oben.

Elijah bemerkte sie nur wenige Herzschläge später, kam sofort auf sie zu und nahm sie liebevoll in den Arm.

„Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Aurelia erwiderte die Umarmung und zog ihn zu sich hinunter.

„Ich bin wieder daheim“, flüsterte sie zurück, als er sie kurz darauf wieder losließ. Er trat einen Schritt zurück und prüfte ihr Gesicht nach Verletzungen.

Außer ein paar Kratzer war nichts zu sehen und so lächelte er ihr noch einmal zu und wandte sich dann um.

Hinter Elijah stand Dave, der zu ihnen gekommen war und drückte seine Tochter an sich. Aurelia ließ ihn gewähren, auch wenn sie das verräterische Gefühl hatte, dass sie gleich etwas erfahren würde, was ihr nicht gefallen würde.

„Willkommen Zuhause“, sagte Nathaniel, als Dave sie losgelassen hatte. Der Erzengel kam näher und sah sie an.

Aurelia entschied sich dafür, nichts zu sagen und nickte ihm kaum merklich zu.

„Aurelia“, begann Nathaniel sachlich: „Ich bin kein Liebhaber davon um Sachen drum herum zu reden, und werde es auch jetzt nicht tun. Denn das, was ich dir gleich erzählen werde, ist von äußerster Wichtigkeit für uns und es wäre Schade die Zeit sinnlos zu vergeuden, da wir sowieso nicht mehr viel davon haben“.

„Wie meint ihr das?“, wollte sie wissen.

„Es geht um Samael Nightfire und das Bestehen der Welt, das Überleben der Engel“.

„Wo ist er?“. Aurelia war klar, dass es offensichtlich war, dass sie sich Sorgen um ihn machte, doch sie hatte ein ungutes Gefühl.

„Du wirst gleich zu ihm gehen können“, antwortete Nathaniel ihr und wandte sich wieder ab: „Samael besitzt unglaubliche Kräfte, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Er hat unermessliche Kraft, er spürt Dinge, die wir nicht sehen können, sieht Dinge, die wir nicht zu verspüren glauben. Er birgt eine Aufgabe in sich, die für die meisten unerträglich, zerstörend wäre. Diese Fähigkeiten, dieses Blut, das in seinen Adern fließt, ist nicht das, wie jeden Dämons oder Engels. Samael ist einer der Einzigen“.

Aurelia trat reflexartig einen Schritt zurück und spürte auf der Schulter die beschützende Hand ihre Mutter.

Unendliche Stille, so kam es ihr jedenfalls vor, zog sich durch den Raum. Noch immer wusste sie nicht, ob dies nur ein schlechter Traum war, aus dem sie hoffentlich gleich erwachen würde.

Doch das rasche Aufschlagen der Augen, das erleichternde Durchatmen...kam nicht.

Das war die Realität. Dies hier geschah wirklich, jetzt in diesem Moment.

Samael war einer der Einzigen.

Nathaniels Worte hallten noch nach Augenblicken in ihrem Kopf wider.

Konnte das sein? War der Sieg nach tausenden von Jahren zum greifen nah?

Der Traum aller Engel würde dadurch in Erfüllung gehen.
 

Aurelia zwang sich still stehen zu bleiben.

'Keine voreiligen Entscheidungen', sagte sie sich immer wieder in Gedanken. Automatisch ballte sie ihre Hände zu Fäusten, doch keiner der anderen merkte es.

„Einer der Einzigen? Er?!“, wiederholte sie ungläubig.

'Das darf nicht wahr sein...Es kann unmöglich stimmen!'.

„Ja und je eher wir realisieren, dass wir dem Ziel so unglaublich nahe sind, desto besser“, bemerkte Dave: „Wir haben viel zu tun und Samael muss ab sofort Tag und Nacht bewacht werden. Er darf nicht wieder entkommen“. Während er das sagte, blickte er Aurelia direkt in die Augen und schüttelte dabei den Kopf.

„Was habt ihr nun vor?“, fragte sie und sah dabei jeden im Raum an. Nathaniel und Dave standen nah beieinander und ihr Stolz war nicht zu übersehen.

Sie lachten zwar nicht, so wie es vielleicht normalerweise üblich gewesen wäre, doch dazu hatten sie auch allen Grund.

Der Sieg stand unmittelbar vor der Tür, doch erreicht hatten sie ihn noch nicht. Samael trug ein Teil des Blutes in sich, das sie brauchten, um die Midgardschlange, Jörmungandr, zu töten.

Aber sie brauchten noch seine andere Hälfte, sein Gegenstück.

Doch um diese Person zu finden, könnte glatt länger dauern, als sie leben würden.

Elijah war unbemerkt näher an seine Schwester gerückt, Virginia stand immer noch direkt hinter ihnen.

„Was für eine Essenz trägt er in sich?“, platzte es aus Aurelia raus und sie bereute es nicht.

Doch anstatt sofort darauf eine Antwort zu bekommen, blieb es für den ersten Moment still. Nathaniel wandte sich ihr zu: „Lass es mich so ausdrücken: Er ist nicht der, für den ihn alle halten“.

Aurelia meinte ein Stich des Schmerzes in seinen Augen zu sehen, war sich jedoch nicht sicher.

„Was hat das zu bedeuten?“, meldete sich Elijah zu Wort.

Das es selbst ihr Bruder nicht wusste, schockte Aurelia kurz. Dave blickte ebenfalls etwas verdutzt zu Nathaniel, sagte jedoch nichts.

'Er verheimlicht uns etwas'.

„Wenn du möchtest, kannst du jetzt zu ihm gehen, Aurelia“, erklärte er ihr und zeigte auf den Durchgang hinter der Geheimtür.

Sie wartete noch einen kleinen Augenblick, bevor sie sich in Bewegung setzte und die Tür hinter sich schloss.

Dort war er. An den Handschellen an der Wand angekettet, Kopf und Rücken gekrümmt, fast leblos. Einzelne seiner Haarsträhnen hingen ihm in sein wunderschönes Gesicht, den Blick hatte er auf den Boden gerichtet. Dort wo sich sein Blut in Rinnsalen sammelte und durch den kleinen Abfluss verschwand.

Aurelia blieb von seinem Anblick fast das Herz stehen. Sie hatten ihn wieder gefoltert, ihm Schmerzen zugefügt, während sie geschlafen hatte. Doch er sah gleichzeitig auch so überwältigend aus. Seine Muskeln traten unter seiner Haut hervor, die sie jetzt sehen konnte, da er sein Oberteil nicht mehr trug.

Sie konnte sogar von ihrem Standpunkt aus sehen, dass sein ganzer Körper angespannt war. Hatte er sie reinkommen hören? Wollte er sie jetzt überhaupt noch sehen? Nachdem ihre Familie ihm DAS angetan hatte? Wenn nicht, sie könnte es ihm niemals verübeln.

Vorsichtig trat sie näher an ihn heran, sein Blick blieb starr auf den Boden gerichtet.

Nun stand Aurelia ihm so nahe, dass sie ihn hätte berühren können, wenn sie nur den Arm ausgestreckt hätte. Doch keine ihrer Gliedmaßen wollte sich bewegen.

Samael rührte sich kein bisschen, obwohl er jetzt sicher wusste, dass sie vor ihm stand.

Nach einigen Augenblicken, als Aurelia glaubte sich gefasst zu haben, öffnete sie ihren Mund und sprach ganz leise seinen Namen aus. Er gab keine Reaktion von sich.

Nun streckte sie doch die Hand aus und legte sie ihm auf die Wange. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen.

Seine Haut war feucht. Blut? Tränen?

Samael sah sie immer noch nicht an, doch Aurelia konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Er atmete tief aus und entspannte sich etwas. Dann gaben seine Beine nach und er fiel in sich zusammen.

Aurelia packte ihn, wollte verhindern, dass er sich wehtat, doch es war bereits zu spät.

Die Ketten, an denen er hing, waren zu kurz. Er gab ein quälender Laut von sich, als die sie nicht nachgaben und sich rote Streifen auf seinen Armen bildeten. Seine Knie berührten fast den Boden, blieben jedoch in der Luft.

Aurelia half ihm auf und stützte ihn, als er sich an die Wand lehnte.

„Aurelia...“, krächzte er. Sein ganzes Gewicht lastete auf ihren Schultern.

„Ich bin hier“, flüsterte sie und legte die Arme um ihn. Eine Weile sagte keiner von beiden etwas. Draußen hörte sie den dumpfen Klang von Stimmen, die mit der Zeit verstummten.

„Es tut mir leid“, sagte sie. Doch er schwieg, und das konnte sie nur allzu gut verstehen.

So sehr sie wollte, sie konnte keine Wut für ihren Vater verspüren. Er, genauso wie alle anderen Engel, wollte den Sieg erreichen. Sie selbst hatte doch ihr ganzes bisheriges Leben dafür gekämpft, doch dies jetzt zu leugnen, weil Samael verletzt war, wäre alles andere als richtig.

Doch sie wollte auch nicht, dass es Samael schlecht ging, obwohl er eigentlich ihr Feind war. Doch war er das jetzt überhaupt noch?

Nach all den Geschehnissen der letzte Woche, ihrem Kuss...Nein, er war längst kein Feind mehr. Und jetzt, da feststand, dass er einer der Einzigen war, was war er da überhaupt für die Engel? Ein Gegner wohl kaum, doch einen Verbündeten traf es auch nicht.

Darüber hinaus was war er für SIE?

Aurelias Hand fuhr ihm durch seine Haare, als sie plötzlich inne hielt

Es spielte keine Rolle, was er für sie war oder wie viel er ihr bedeutete. Das einzige was zählte, war seine Freiheit. Aurelia konnte ihn unmöglich Nathaniel überlassen. Sie musste dafür sorgen, ihn von hier wegzubekommen, koste es was es wolle.

In letzter Zeit war zu viel passiert, sie war es ihm schuldig, ihn aus dieser Situation heraus zu bringen, auch wenn sie dafür ihr eigenes Volk verraten würde. Wenn sie es nicht tat, würde sie sich für immer Vorwürfe machen.

„Ich werde dir heute Nacht hier heraushelfen“, fing sie an: „Du wirst flüchten...“.

Samael hob den Kopf und sah sie an. Sein Gesicht war von mehreren blauen Flecken übersäht, Blut trat aus einer Wunde an der Schläfe.

Doch Aurelia sprach weiter: „Du bist einer der Einzigen. Du wirst sterben, wenn du bleibst. Aber du kannst dich auf mich verlassen, ich werde dir helfen, koste es was es wolle“.

Sie legte ihre Hand in die seine und verschränkte sie ineinander.

„Ich habe schon vor ein paar Tagen gespürt, dass etwas nicht mit mir stimmt...Das sich eine bisher... unbekannte Stärke durch mich hindurch beißt und mir Kräfte verleiht, die nie zuvor da gewesen waren. Das liegt alles an dir“.

„An mir?“, fragte Aurelia erstaunt.

„Du bist ein Engel, trägst das Blut meiner Gegner...“, er drückte ihre Hand fester: „Aber ich will dich nicht loslassen...Du hilfst mir bei der Flucht und ich werde gehen. Ich habe es nicht anders von dir erwartet“, raunte er zuletzt.

„Ich auch nicht von dir“, flüsterte sie und trat näher, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten.

Und wieder pochte das Herz in Aurelia so stark, das sie glaubte, dass man es bis außen hören konnte.

Dann berührten sich ihre Lippen und das wuchtige Gefühl ließ sie alles vergessen, fast alles. Aurelia ließ Samaels Hand los und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. Dabei achtete sie stets darauf, ihn an seinen Verletzungen nicht weh zu machen.

„Wenn diese Handschellen nur nicht wären“, flüsterte er, als er sich kurz entfernte. Aurelia schüttelte nur den Kopf und küsste ihn wieder.
 


 

Dave durchschritt die Gänge der Garnison. Er hatte den anderen gesagt, dass er Zeit für sich brauche, ehe das weitere Vorgehen besprochen werden sollte.

Er lächelte.

Sie hatten einen der Einzigen gefunden und gefangen genommen. Seit rund 250 Jahren war er der Erste seiner Generation, der es geschafft hatte, einen der Einzigen zu fassen und fürs Erste in Gefangenschaft zu nehmen.

Grenzte es nicht schon fast an einem Wunder? Vielleicht.

Die Einzigen waren eine sehr seltene Art und die meisten nahmen sich selbst das Leben, da die Bürde, die sie trugen zu groß war und die Gefahr entdeckt und danach getötet zu werden, um einer Rasse, Engel oder Dämonen, den ewigen Sieg zu verleihen, zu riskant war.
 

'Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass sich Samael nicht dasselbe antut', fuhr es Dave durch den Kopf. 'Aber wie?'.

Er atmete einmal tief ein und aus. Die Hände hatte er hinterm Rücken ineinander gelegt und so stand er eine Weile da. Starrte aus dem Fenster, in die einbrechende Nacht.

Stellte sich nur noch eine Frage: Welche Essenz trug Samael in sich? Die eines Engels, oder eines Dämons?

Musste es nicht die eines Engels sein? Wenn seine Mutter, Penelope, ein halb- Engel, halb- Dämon gewesen war und sein Vater Lucius ein Dämon, dann trug er mehr Dämonenblut in sich und ein kleiner Teil, die Essenz, wäre die eines Engels.

'Ich muss Nathaniel um Rat fragen. Sicher hat er schon eine Spur'.

So viel wie Dave wusste, hatte Samael auch noch zwei Geschwister. Raphael und Jewel Nightfire.

'Jewel wird uns nicht von großer Hilfe sein, doch Raphael...Er könnte uns ebenso seinen Dienst leisten, falls Samael etwas zustoßen sollte...'.
 

Er wusste nicht, wie lange er schon im Flur stand, doch die Stille kam ihm auf einmal wie ein Geschenk vor. Zeit zum Nachdenken.

Plötzlich vernahm er Schritte hinter sich. Durch all die Jahre der treuen und verbundenen Freundschaft, kannte er den Rhythmus dieser Schritte nur zu gut.

Dave drehte sich langsam um.

„Nathaniel, entschuldige bitte. Ich habe Zeit zum Nachdenken gebraucht“.

„Aber das ist doch verständlich, mein Freund“, sprach der Erzengel und trat näher an Dave heran: „Doch nicht jetzt, denn es ist Zeit. Der Rat wurde einberufen. Eine Entscheidung muss getroffen werden und die Zeit wartet nicht“.

„Natürlich“, er nickte: „Doch woher sollen wir wissen, welche Essenz Samael in sich trägt? Und was ist mit Raphael, seinem Bruder? Ich würde vorschlagen, nein, es wäre von Vorteil, wenn auch er in unserer Gewahrsam wäre“.

„Ich stimme dir vollkommen zu. Sobald wir uns auf den Weg nach Jan- Mayen machen, werde wir jemanden brauchen, dem wir vertrauen können. Es muss jemand hierbleiben, der Samael bewacht. Entschuldige, wenn ich das sage, aber ich denke deiner Tochter ist in dieser Sache nicht zu trauen. Du weißt das“.

„Ja, ich weiß“, Dave unterdrückte ein Seufzen: „Ich werde schauen, was sich machen lässt. Ich denke Elijah wäre dieser Aufgabe gewachsen“.

„Tu, was du für richtig hältst. Und wegen der Sache mit der Essenz...Das wird für uns kein weiteres Problem darstellen. Denn ich kenne sie“.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel wird voraussichtlich erst am 25.6.14 erscheinen, da ich in Urlaub sein werde.
Wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen! :)
FeelLikeParadise :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen:),

dieses Kapitel ist etwas anders, als die anderen, da sich ein kleines Crossover darin befindet.
Dieses Crossover habe ich mit einer guten Freundin geplant :) Ich bewundere ihren Schreibstil zutiefst und bin sehr glücklich, dieses Crossover mit ihr gemacht zu haben! :) Ihre Seite werde ich hier jetzt schon verlinken, ihre Geschichte aber erst, wenn sie hier erschienen ist:).
Viel Spaß weiterhin beim Lesen;)
LG FeelLikeParadise

http://animexx.onlinewelten.com/mitglieder/steckbrief.php?id=689315 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Puhh, endlich geschafft nach so langer Zeit wieder ein Kapitel hochzuladen -.- ^^
Ich entschuldige mich für die Verspätung.
LG FeelLikeParadise :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (63)
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Von: abgemeldet
2015-03-19T19:02:43+00:00 19.03.2015 20:02
Zum dahin schmelzen... Sehr authentisch und gefühlvoll geschrieben und doch ohne zu dick aufzutragen. Mir gefällt dein Feingefühl bei den Umschreibungen und auch, dass du so viel Einblick in die Gedankenwelt gibst.

Mach unbedingt weiter so!
Antwort von:  FeelLikeParadise
29.03.2015 12:11
Vielen Dank für dein netten Kommi :) Bin immer am überlegen, ob das so passt wie ich es schreibe...Nicht das ich vom Inhalt her etwas falsch mache und vll etwas verrate ;)
LG:)
Von: abgemeldet
2015-03-19T18:22:36+00:00 19.03.2015 19:22
Jetzt bin ich so lange schon nicht mehr zum Weiterlesen gekommen, dass deine FF schon ein ganzes Stück gewachsen ist.

Ich habe trotz längerer Pause nicht lange gebraucht, um wieder in die Handlung zu finden. Du machst das einfach perfekt und ziehst den Leser förmlich in die Geschichte. Mir sind die beiden schon sehr ans Herz gewachsen und ich fühle mich derart mit ihnen verbunden, dass mich tatsächlich die selben Zweifel beschlichen haben wie Saphira. Aber ich will deinen Worten gern Glauben schenken und stürze mich sofort in das nächste Kapitel.

Viele Grüße!
Antwort von:  FeelLikeParadise
29.03.2015 12:10
Vielen Dank, für deinen lieben Kommentar!
Es freut mich wirklich, dass es dir gefällt und ermutigt mich dazu weiterzuschreiben, sobald ich es wieder kann. Habe momentan pausiert, freue mich aber jetzt schon drauf, wenn ich wieder dazu die Zeit finden werde.
Vielen Dank!
LG :)
Von:  Saph_ira
2014-12-30T17:23:55+00:00 30.12.2014 18:23
Wie schön, es geht weiter. ;-)
Und es fängt gleich mit der Spannung an. Zu Anfang erst unterschwellig und bis ende des Kapitels wächst es mehr an. Das gefällt mir, da bekomme ich so ein kribbelndes Gefühl mehr zu ehrfahren wie es weiter geht. ;D
Also Samael ist auch der Einzige... schnief, ich dachte das wird jemand weibliches sein, aber auch gut gelungen. Die andere Figuren sind ja auch alle geheinmnisvoll und haben etwas zu verbergen. Und das ist das interessanteste, nicht zu wissen was als nächstes kommt. Ich lass mich überraschen und hoffe sehr, dass die Flucht von Samael gelingt. :-)
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
31.12.2014 00:00
Vielen lieben Dank für dein Kommi :)
Hatte es am Anfang eigentlich auch anders geplant, hatte sich jedoch im Laufe der Zeit anders entwickelt. Ich hoffe es ist verständlich genug geschrieben. Ich versuche immer nur so viel zu verraten damit man es versteht und es spannend ist, aber auch nicht zu viel ;)
LG:)
Antwort von:  Saph_ira
31.12.2014 10:40
Es gelingt dir immer gut und verständlich zu schreiben. Du verrätst nicht viel und das macht gerade die Spannung, wie es nun weiter geht. Mach weiter so. ;-)
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
03.01.2015 11:29
Ok, das ist gut zu wissen, denn ich bin mir nie sicher :)
LG:)
Von:  Saph_ira
2014-10-28T19:33:06+00:00 28.10.2014 20:33
Ach, Samael, wieder hat man dich gefangen genommen....
Ich hoffe, dass es diesmal besser für ihn ausgeht als beim letzten Mal. Ich kann Jewel verstehen, was sie empfinden und wie sie sich fühlt. Wieder einmal ein spannendes und am Anfang etwas ruhiges Kapitel. Mach weiter so. ;-)
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
28.10.2014 21:39
Vielen Dank für dein lieben Kommi :)
Naja... ich verrate mal nichts :D
LG:)
Von:  Saph_ira
2014-10-15T18:13:11+00:00 15.10.2014 20:13
Spannend, spannend, spannend! Mir fehlen die Worte. Und ich bin schon aufgeregt, wie es weitergeht. ;D
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
15.10.2014 21:32
Vielen Dank für dein Kommi :)
Es freut mich wirklich sehr und ich hoffe das ich das nächste Kapitel diese Woche noch hinbekommen werde :)
LG:)
Von:  Saph_ira
2014-10-07T18:14:52+00:00 07.10.2014 20:14
Ein schönes Kapitel und spannendes Ende. Mir hat vor allem der Tanz gefallen und Javiers Eifersucht, was ich bei ihm vollkommen verstehen kann. ;-)
Die Midgardschlange... Herje... Die Welt scheint ja angefangen haben auseinander zu brechen... Bin gespannt auf dein nächstes Kapitel, es wird immer interessanter und spannender. :-)
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
08.10.2014 13:55
Vielen lieben Dank für dein Kommi :)
Ja und sie wird noch mehr brechen :D
LG:)
Von:  Saph_ira
2014-09-21T17:27:11+00:00 21.09.2014 19:27
Ach wie schön, endlich sind sie zusammen ;D So einfühlsam und wundervoll beschriebene Szene zwischen den beiden. Nicht allzu kitschig und mit einem angenehmen Kribbeln im Bauch. Gefällt mir sehr ;-)
Ich hoffe nur, dass es nicht dazu kommt, dass Samael dem Fluch - sage ich mal so - zum Opfer fällt und dass Raphael ihn zusammen mit Aurelia vorfindet. Aber deine Idee ist gut. Und andererseits, wenn sie alle zusammen aufeinander treffen, wäre dann eine große Spannung. :D
Mach weiter so, freue mich schon auf dein nächsten Kapitel :-)
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
22.09.2014 08:30
Vielen Dank für dein lieben Kommi :) *-* da bin ich aber echt froh das es nicht zu kitschig ist, puh :)
Ja ob und wenn ja von wem sie gefunden werden werde ich natürlich nicht verraten ;)
LG und vielen Dank:)
Von: abgemeldet
2014-09-20T22:07:53+00:00 21.09.2014 00:07
Oh wie gemein an dieser Stelle aufzuhören! Ein tolles Kapitel, ich habe es verschlungen! Ich schatze deine detailtreue und bildreiche Schilderungen wirklich sehr. Es ist alles immer so reell vorstellbar. Ich habe den Eindruck, dass sich dein Schreibstil etwas verfeinert hat. Man merkt, dass du srlbst richtig tief in die Geschichte versunken bist und mitfieberst.
Antwort von:  FeelLikeParadise
21.09.2014 07:44
Vielen Dank:) Freut mich wirklich sehr das es dir gefällt :)
Von:  Saph_ira
2014-09-14T18:32:20+00:00 14.09.2014 20:32
Spannung am Anfang und ein gemütliches Ende. Auch gut. ;-)
Bin gespannt, ob Raphael seinen Bruder findet und was er machen wird. Einer von ihnen scheint ja der Einziger zu sein. Es bleibt nur noch ein zweiter der Einziger und ich habe da schon eine Vermutung. Besser gesagt, mir schweben zwei, der oder die es sein könnte. Zu einem wirft Javier so viele Rätsel auf sich und zum anderen ist Aurelia mit ihren eigenartigen Träumen und Stimmen... Aber ich lasse mich überraschen, vielleicht ist es jemand anders als ich es mir denke. :-)
Und ich finde clever von Amaya, mit so einem Schlag sich aus so einer Situation zu erreten. Zwar tut es mir für Javier etwas leid, aber ich hoffe, er nimmt ihr das nicht übel. ;-)
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
14.09.2014 22:50
Danke für dein lieben Kommentar :)
ob deine Vermutung stimmt oder nicht, werde ich natürlich noch nicht verraten ;) Und einer oder eine muss das Gegenstück zu Raphael sein...
Wird alles sehr bald aufgeklärt :D
LG:)
Von:  Saph_ira
2014-09-02T17:44:13+00:00 02.09.2014 19:44
Wow, was für ein turbulentes Kapitel. Die Mischung aus so viel Spannung, Romantik und Action gefehlt mir sehr. Endlich kommen Samael und Aurelia langsam zusammen. Schön. ;D
Nur am Ende des Kapitels beschleicht mich ein Bedenken: Dass sie tatsächlich und so plötzlich das Edinburgh Castle sehen... Nicht dass es wieder ein Traum ist oder Produkt einer Phantasie.... Denn sie wurden gerade von den Untoten in die Enge getrieben, wo keinen Ausweg gibt, und ich kann mir schon vorstellen, dass es eine Einbildung vor dem Tod sozusagen sein könnte. Aurelia hatte ja Samael gesagt, dass sie ihr Zuhause vermisst und deswegen kam mir diese Vorstellung durch den Kopf. Aber ich denke, du wirst es schon bald auflösen und ich freue mich schon sehr darauf. ;D
Liebe Grüße :-)
Antwort von:  FeelLikeParadise
03.09.2014 13:34
Erst mal vielen Dank für dein lieben Kommi :) Habe mich sehr darüber gefreut :)
Ich kann dich aber beruhigen, sie sind wirklich wieder daheim, aber wieso und wie das passiert ist, wird bald geklärt werden ;) Ich hoffe ich enttäusche dich damit nicht, aber es gibt eben noch einiges, dass aufgedeckt werden muss :)
Trotzdem gefällt mir deine Vorstellung, dass das nur ein Traum oder ähnliches sein könnte! :)
Ich sage mal nur, dass die "friedlichen" *hust* Zeiten vorbei sind :D
LG und danke nochmal :)
Antwort von:  Saph_ira
03.09.2014 20:12
Oh, dann bin ich auf diese Zeiten und vieles mehr gespannt. ;D
Und keine Sorge, du enttäuschst mich damit nicht. Dass sie wirklich wieder daheim sind, beruhigt mich in der Tat. :-) Jetzt frage ich mich nur noch, ob Samael wieder in Gefangenschaft der Engel gerät und wenn, dann ob Aurelia sich für ihn einsetzt. Aber wie du es schon sagtest, wird sich schon alles aufklären und aufdecken. Und ich warte darauf schon mal gespannt. ;-)
Liebe Grüße :-)


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