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Der Gefangene

von

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Kapitel 8

Ein Geräusch weckte Luca aus seiner Benommenheit, seinem Halbschlaf. Wayne betrat die Zelle. Er sah zu Luca hinab und nahm den Zeichenblock auf. "Du warst Tagesgespräch," sagte er langsam, während er das Bild betrachtete. Während Luca sich aufsetzte, schüttelte Wayne bereits den kopf. "Deine Träume will ich gar nicht haben."

Dennoch strich er beinah zärtlich über das Profil des blond gelockten Mädchens, dessen Gesicht so unschuldig und rein wirkte, hinter dessen Augen sich aber das Wissen und der Hass von Jahrtausenden befand und der Wahnsinn in Reinform.

"Das ist nicht deine Tochter, oder?" Wayne sah ihn direkt an.

Lucas Blick suchte auf dem Blatt, dass eine Unzahl Skizzen beherbergte nach dem seelenvollen, ruhigen Gesicht, nach den dunklen Augen und dem dunklen Haar Annas. Es war eine winzige Skizze eines winzigen Kindergesichtes. "Das ist Anna."

Er erschrak fast. Er hatte sie mit seiner Zeichnung an eine Wand gefesselt, in fauligem Wasser und in einem uraltem Haus.

"Anna..."

"Wer ist das andere Mädchen?" fragte Wayne. "Das Mädchen mit dem hellen Haar und den Flügeln?"

"Celina, meine Schwester. Der Fluch meines Lebens, wenn du es so willst." Er lächelte böse. "Auf sie aufzupassen war, wie einen Piranha zu streicheln. Sie war so rein und schön wie eine Porzellan-Puppe und so verdorben und böse wie..." Luca schüttelte die Vorstellung von dem Engelsgesicht ab.

"Sie hat viel in deinem Leben kaputt gemacht, hm?"

Luca legte sich zurück und starrte die alten Bettfedern über sich an. "Verzeih, wenn ich dir die Antwort schuldig bleibe, wenigstens bis auf weiteres."

Wayne nickte. "Akzeptiert, aber irgendwann treibe ich diese Schuld ein, okay?"
 

Das heiße Wasser tat so gut auf Lucas Haut. Ihm war gar nicht bewusst geworden, wie kalt es eigentlich war, und dass er fast die ganze Zeit gefroren hatte.

Um ihn herum riefen die Männer durcheinander, stritten sich um die Seife oder um ihre Handtücher, verschoben Zigaretten und Whisky und prügelten sich oder befriedigten sich zu imaginären Frauen oder Filmdiven, je nachdem.

Die Vorstellung einer Mae West, oder einer Fay Wray mochte verlockend sein, aber nicht für Luca. Ihn interessierten die beiden Superblondinen nicht. Dennoch schienen sie der Inhalt vieler Träume hier zu sein. Oder Gloria Swanson... Luca lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und beobachtete die anderen Männer. Silverstone handelte gerade mit einem der anderen wegen ein paar Zigaretten, Tozzi hatte sich mit einem seiner Landsmänner wegen einer Frau in die Haar bekommen und die beiden stritten in einer unsäglichen Lautstärke und einem Tempo, dass beachtlich war.

"Um was geht es denn bei denen?"

Luca blinzelte und sah O'Reily an. "Sophia heißt die Schöne. Eine gemeinsame Bekannte," sagte Luca lächelnd. "Tozzi und Corelli streiten sich gerade darum, wer sie mehr beeindruckt hat und wie viel mal." Er schüttelte lächelnd den Kopf. "Vermutlich gehen sie als Freunde hier raus."

O'Reily schnaubte und wusch sich die Seife aus den Haaren.

"Italiener. Sie sind schon ein nettes Völkchen."

Luca lachte. "Lass das die beiden nur nicht hören."

"Die sind genauso eine Fehlbesetzung hier wie wir beiden und der kleine Kerl da."

O'Reily deutete auf einen jungen Mann mit dunkelroten Haaren. Er war wirklich klein und zierlich wie ein Mädchen. Luca konnte der Junge gerade bis zur Schulter reichen, wenn überhaupt. Er hatte ein schmales, androgynes Gesicht und volle Lippen. Aber besonders seine wütenden, verletzten Augen verwirrten und verzauberten Luca. Dieser Blick... und die Dunkelheit, die sich darin verbarg...

Luca betrachtete ihn eine Ewigkeit lang, fasziniert, berauscht von ihm...

"Das ist der Junge, dem du gestern nacht geholfen hast," bemerkte O'Reily. "Jack Stone ist sein Name. Ein Dichter. Genauso ein Träumer wie du."

"Er hat Angst."

O'Reily hob die Brauen. "Woran siehst du das?"

"Diese Wut in seinem Blick, das ist nichts anderes als blanke Angst."

Luca stieß sich von der Wand ab. Plötzlich wurde er herumgerissen und zu Boden gestoßen. Sein Hinterkopf kollidierte unsanft mit der Wand. Augenblicklich explodierte grausamer Schmerz zwischen seinen Schläfen. Blutige Nebel verschleierten seinen Blick. Am Rande seines Bewusstseins hörte er Schreie und laute Stimmen, spürte das heiße Wasser und sein nasses, langes Haar, was sich um seinen Körper geschlungen hatte.

Er schmeckte Blut auf seiner Zunge...

Bevor er sich aufrappeln konnte, lies sich jemand auf ihn fallen, so schwer, dass es Luca im ersten Moment die Luft aus den Lungen trieb. Noch einmal verlor Luca fast das Bewusstsein. Aber das allein reichte, seine Reflexe erwachen zu lassen. Er riss beide Arme hoch und blockte den Schlag, der sein Gesicht treffen sollte. Es war fast, als habe er bei dem ersten Angriff keinen Schaden davongetragen. Wütend wehrte er auch den zweiten Schlag ab und schmetterte seinem Angreifer die Faust unter das Kinn. Der andere heulte auf und viel zurück, kippte von ihm herunter. Luca wirbelte auf die Füße und hielt mitten in der Bewegung inne. O'Reily wurde von einem nicht wenig kleineren, muskulösen Mann gegen die Wand gedrückt, der ihm gerade ein Messer bis an das Heft in die Nieren rammte, wieder herauszog und nochmals zustach... zu einem dritten Stoss kam der Mann nicht mehr. Luca sprang ihn wie eine Katze an und riss ihm den Kopf nach hinten, so brutal, dass der Fremde von O'Reily abließ und das Messer zu Boden polterte. Sofort sackte Wayne zu Boden und blieb reglos, schwer blutend dort liegen. Lucas Gegner wirbelte herum und ließ sich gegen die Wand krachen, um Luca loszuwerden, aber dieser sprang mit unheimlicher Leichtigkeit fort und rollte sich auf dem nassen Boden ab, um wieder auf die Füße zu federn, ohne dabei Schaden zu nehmen. Auch sein zweiter Gegner war wieder auf den Füßen. Nun sah sich Luca zwei ausgewachsenen Boxern gegenüber. Der, der O'Reily verletzt hatte, nahm sein Messer wieder auf.

Lächerlich klein, die Waffen, dachte Luca, wenigstens anbetracht der Tatsache, dass der, der die Waffe führte, einen normalen Mann mit einer Hand den Hals zudrücken konnte.

Aber sein Aufprall an der Wand, hatte dafür gesorgt, dass sein Hinterkopf blutete. Sein blondes, kurzes Haar färbte sich hellrot. Nur, merkte er davon etwas? Scheinbar nicht.

Luca sah sich rasch um. Die anderen hatten sich alle gegen die Wand gedrängt, in Schach gehalten von vier weiteren Männer, die alle das Format von Schwergewichtsboxern hatten. Auch sie waren bewaffnet. Messer, Knüppel...

Luca stöhnte innerlich. Beim durchrechnen seiner Chancen sah er schwarz für sich.

"Was verdammt wollt ihr!" rief er. "Warum habt ihr Wayne..."

Der Kerl mit dem Messer stieß seine Waffe unkontrolliert voran. Luca konnte ihm mit Leichtigkeit ausweichen, brachte sich aber damit gefährlich nah an einen andern heran, dessen gewaltigen Hieb er nur noch gerade so ausweichen konnte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine rasche Bewegung in seine Richtung, duckte sich und ließ sich zur Seite fallen, um über die Schulter abzurollen und wieder auf die Füße zu federn. Nun kam ihm zugute, dass er ein sehr geschickter Einbrecher war, aber dennoch wurde er von den sechs Männern wie ein Wild gehetzt. Er konnte seinerseits nur ausweichen, aber nicht wieder angreifen. Und ein kurzer Blick zu Wayne sagte ihm, dass er keine Zeit mehr verlieren konnte.

Jetzt dürfte er nicht mehr nur defensiv bleiben. Wayne war mehr als sein Zellengenosse, er war ein Freund.

Luca sah sich um. Der Blonde kam wieder auf ihn zu, sprang ihm entgegen, diesmal wieder gezielt, noch wütender als zuvor. Er hätte ihm ausweichen können, mit Leichtigkeit, aber er blieb ruhig stehen und wartete reglos ab, sah ihm entgegen und sprang im letzten Moment zur Seite, wirbelte um seine Achse, wobei er das Bein hochriss und seinem Gegner mit aller Gewalt in den Nacken trat. Er konnte das Knacken des Schädelknochens hören. Bewusstlos, von seinem eigenen Schwung und der Kraft des Tritts getragen stolperte der Blonde noch zwei Schritte weit und fiel mit unglaublicher Kraft auf sein Gesicht.

Sein Partner heulte vor Wut auf und walzte auf Luca zu. Dieser tauchte unter dem ersten Schlag durch und rammte ihm seine Faust in den Bauch und auf den Solar Plexus. Sein Gegner ging atemlos zu Boden.

"Das bereust du..." keuchte einer der übriggebliebenen Männer, der seinem letzten Opfer ziemlich ähnlich sah.

Lucas Atem ging bereits schnell und stoßweise. Lang würde er weder das Tempo, noch die Gewalt, mit der er vorgehen musste, durchhalten. Und ausgerechnet dieser Kerl war ein Riese, Breit und stumpfsinnig und grausam.

Wieder bemerkte Luca aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Aber scheinbar nur er. Sein Gegner trat auf das Seifenstück, dass Jack über den Boden gekickt hatte und schlug mit einem lauten Platschen auf den Rücken. Ein furchtbar nasses Geräusch, in dass sich das knacken von Knochen mischte. Nun endlich gewann die Wut der anderen die Oberhand. Sie stürzten sich wie wilde Tiere auf ihre Gegner und knüppelten die verbleibenden drei Männer nieder.

Luca atmete auf und wendete sich Wayne zu. Sein Freund hatte da Bewusstsein verloren. Er blutete so stark... Luca kniete neben ihm nieder und drehte ihn auf den Rücken. Dunkelrotes Blut sickerte über die Fliesen... Luca sah sich rasch um. Kaum jemand achtete auf ihn. Die Stichwunden waren so groß und breit, gezackt und ausgefranst. Viel zuviel leben sickerte aus Waynes Körper. Zuviel für einen Arzt.

Behutsam wie nie zuvor strich Luca über die Wunden. Leise Worte kamen über seine Lippen, düstere Worte, alt und fremd und machtvoll. Wozu all seine Macht, sein Wissen, wenn er damit nicht das Leben seiner wenigen Freunde retten konnte?! Vermutlich war er der einzige Mann, der ihn noch retten konnte. Und wenn er dabei etwas von sich preisgab, so war es für Waynes Leben gerechtfertigt!

Er spürte, wie sein Zauber zu wirken begann. Eine unheimliche Schwäche kroch durch seine Glieder, eine Schwäche, die mit dem Verlust von Lebenskraft einherging. Und mit jedem Moment, den Luca schwächer wurde, kehrte Leben in Wayne zurück.

Schließlich unterbrach Luca den beständigen Strom an Leben, bevor er Wayne ganz geheilt hatte. Schließlich hatte jeder gesehen, wie man auf Wayne eingestochen hatte und dieser langsam vor sich hinblutete.

"Holt eine Wache, einen Arzt!!!"
 

Nun, geschwächt, wie er war, begann er wieder zu frieren. Luca schlang seine Arme eng um sich. Trotz des Hemdes und seiner Jacke, kroch die Kälte in seine Knochen. Murakami stand am Fenster und starrte nach draußen, und Farlan saß hinter seinem Schreibtisch. Neben der Türe standen Cauldfield und Sloane, ein anderer Wachmann, ähnlich jung und unerfahren wie Cauldfield. Niemand sprach ein Wort. Luca, Silverstone und natürlich den Neuen, Stone, hatten sie sich aus der Masse Gefangener herausgepickt, um sie zu befragen. Luca ahnte, auf wen sie warteten. Albright. Der Direktor ließ nicht wirklich lange auf sich warten.

Er kam in Begleitung seiner beiden persönlichen Wachen, die Sloane und Cauldfield ablösten. Die beiden jungen Männer postierten sich neben den drei gefangenen.

Albright, ein noch erstaunlich junger Mann, höchstens Ende dreißig, dunkelhaarig, mit den selben stechenden, leicht fanatischen Augen, die auch Farlan hatte, sah seinen Oberaufseher böse an, der sich in seinem Stuhl aufrichtete und Haltung annahm. "Vier Verletzte," eröffnete er. "Ich komme gerade aus dem Lazarett. O'Reilys Zustand ist stabil, er wird durchkommen, was er wohl ihnen zu verdanken hat, Mr. Munroe." Er sah Luca kurz an, strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und setzte sich auf die Tischkante. "Was allerdings kein Freibrief für sinnlose, rohe Gewalt in meinem Gefängnis ist!" Seine Augen bohrten sich in Lucas. "Die Osmond Brüder, Ballard, Mason, Christiansen und Carson sind verarztet und wieder in ihren Zellen. Sie hatten natürlich nichts in Zellentrakt D zu suchen, aber ich möchte jetzt auch ihre Version dieser Geschichte hören, bevor ich mich entscheide, wem ich welche Privilegien streiche und wen ich mit Einzelhaft bestrafe."

Luca hielt seinem Blick ruhig und gelassen stand. Nun drehte sich auch Murakami vom Fenster weg und trat hinter Farlan.

Seine Mimik war wie üblich unbewegt, aber zugleich war auch ein gewisser Stolz in seinen Augen.

"Silverstone, erzählen sie doch mal," forderte Albright den alten Miles auf.

"Da gibt es nicht viel zu sagen, Sir."

Trotzdem, erzählen sie ihre Version."

"Na ja, nachdem O'Reily niedergestochen wurde haben wir sie fertig gemacht."

Albright zog ein Zigarettenetui aus der Jackentasche und öffnete es. "Das war alles?" fragte er, wobei er sich ganz darauf konzentrierte eine Zigarette aus den Etui zu nehmen und sie sich äußerst umständlich anzuzünden.

"Ja, Sir."

"Stone, ihre Version bitte," sagte Albright gelangweilt.

Luca ahnte, dass hinter diesem aufgesetzten Verhalten viel mehr steckte. Hoffentlich machte Stone jetzt keinen Fehler.

Der junge Mann fuhr sich mit der Hand durch das Haar und sah Albright an. "Während des Duschens kamen plötzlich diese sechs Männer. Zwei von ihnen hatten angeschliffene Küchenmesser mit. Aber die hatten sie unter ihren Handtüchern zu diesem Zeitpunkt. O'Reily hatte sich mit Munroe unterhalten, das habe ich mitbekommen, aber worüber, weiß ich nicht. Die beiden haben die Kerle gar nicht gesehen. Deshalb konnte O'Reily nicht reagieren. Er wurde einfach nur niedergestochen. Dann brach da die Hölle los. Der Raum war ein Hexenkessel. Ich habe einfach nur drauf geachtet, nicht zu sehr in das Gemetzel zu geraten."

"War das alles?" fragte Albright. Jack nickte. "Ja, Sir."

"Vermutlich werden sie mir auch nichts neues dazu sagen, Munroe. Richtig?"

Luca nickte. "Ja, Sir."

"Also nehme ich mal an, dass O'Reily, nun als Verräter gilt und Shelby seinen Mann umbringen lassen wollte, als Exempel." Albright nickte. "Nehmen wir das an. Damit sind sie aus dem Schneider, was, wie ich annehme, Farlan und Murakami auch wesentlich besser gefällt." Bei den letzten Worten sah Albright seine beiden Oberaufseher an. "Auch wenn man keine Sympathien für die Gefangenen hegen soll. Aber letztlich stimme ich den beiden zu. Mir ist das auch lieber." Er gab Cauldfield einen Wink. "Bring sie in ihre Zellen zurück."
 

Luca lag wach auf seinem Bett und starrte in die Luft. Er konnte nicht anders, als sich um Wayne Sorgen zu machen.

"Luca?"

Silverstone, dachte Luca. "Ja?"

"Du bist ein mutiger Junge," sagte der alte Mann leise. "Für O'Reily hat bis heute noch niemand seinen Hals riskiert."

"Ich bin sicher nicht mutig, Miles. Wenn ich es wäre, hätte ich nicht zugesehen, wie du und der Junge mir eben bei Albright den hals gerettet habt, sondern zugegeben, was ich getan habe."

"Du wärst im Bau geendet und alle Privilegien wären weg."

Luca drehte sich zur Wand. "Schlaf', Miles," murmelte er und vergrub sein Gesicht im Kissen.



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