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Interdependenz Buch 1

Die schweigende Lilie
von

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Veraldis!

Aycos Herz raste, auch noch lange, nachdem Lucas Stimme verklungen war...

Er wusste nicht mehr, was er dachte oder fühlte. Nur dass ihn diese Liebeserklärung zutiefst getroffen, ihn berührt hatte... Selten war ihm ein anderer so nah gekommen wie Luca, und nie vorher hatte es ein anderer geschafft, all diese widerstrebenden, widersprüchlichen Gefühle in ihm auszulösen. Der Magier hatte in Ayco eine ganz neue Seite zum Klingen gebracht und nach und nach gewann diese Seite die Oberhand.

Er spürte, dass er Luca mochte, wie sehr er es genoss im Zentrum der Aufmerksamkeit des Magiers zu stehen und wie faszinierend er den jungen Mann, allein schon wegen seines Talentes und seiner Ausstrahlung, die Ayco einfach verführte... Aber mehr als das wegen seines so freundlichen und hilfsbereiten Wesens.

Ayco wusste einfach, dass er von Luca nie etwas schlimmes zu erfahren hatte. Dazu war der Magier zu gutherzig... ja, gutmütig und weise, so, dachte Ayco bei sich, würde er Luca umschreiben. Als sehr friedvollen, ruhigen Mann...

Egal was man ihm bisher angetan hatte, und dabei dachte er an Justin, Luca vergab alles, immer. Vermutlich konnte man ihn vergewaltigen und umbringen, und er würde seinem Peiniger vergeben können.

Ayco sah auf und schaute in Lucas lächelnde Augen. "So still mein Freund?" fragte der Magier leise. "Wovon träumst Du?"

Um ein Haar wäre Ayco herausgerutscht: Von Dir... Aber er hatte sich noch genug unter Kontrolle, das nicht laut auszusprechen.

So, wie Luca ihn ansah, wusste er es dennoch.

Aycos Wangen färbten sich wieder rot und er sah betroffen zur Seite.

"Luca," rief Justin. "Tanz für mich!"

Der Magier setzte sich auf und schaute über die Schulter zurück zu der Freitreppe.

"Spiel und sing für mich, alter Freund, dann gerne." Er grinste und blinzelte Justin zu. "Zeig mir, dass Du immer noch ein Barde bist. Der bedeutendste Barde, der je sein Lied spielte!"

Die Leute im Labyrinth lachten und jubelten Justin zu. Luca stand auf und deutete zu Justin hin eine Verbeugung an. "Noe Leandre, spielt für mich..."

Justin erwiderte das Lächeln, aber seien Wangen färbten sich rot.

Noe, so hatte ihn lang niemand mehr genannt... nur Luca manchmal, in besonders zärtlichen, liebevollen Momenten, oft bevor sie miteinander schliefen, und Luca ihn sehnsüchtig erwartete, seine Umarmungen brauchte, seine Wärme und seine Nähe...

Nun war alles anders, auch wenn der Magier ihn bei seinem Geburtsnamen nannte...

"Luca..." murmelte Justin. "Mein geliebter Luca..."

Er begann die Seiten zu zupfen, genauso sanft wie das Liebeslied zuvor, nur schwerer noch, dicht und erotisch...

"Tanz, Luca, tanze nur für mich... Zeige mir, wie begehrenswert dein Körper ist, wie erotisch du tanzen kannst..."

Luca machte vor ihm noch eine Verbeugung und lächelte. "Du kannst es nicht lassen, oder? Mich mit Tanz und Musik zu verführen?"

"Wie oft haben wir das gemacht, mein Schöner?" fragte Justin, und summte dann die Melodie, die er spielte, mit.

"Oft. Deine Seele ist die eines Künstlers und Träumers..." Luca verstummte. Er wollte Justin nicht noch mehr reizen...

Sein Blick glitt zu Ayco und alle Angst wich zärtlicher Zuneigung zu dem jungen Elfen.

Betroffen, oder verletzt hatte Ayco den Kopf abgewendet und starrte zur Seite. Weshalb...? Luca wusste es nur zu gut. Die Vertraulichkeiten zwischen ihm und Justin, dass Luca sich nicht abgewöhnen konnte, trotz allem seine zärtlichen Scherze mit dem Vampir zu treiben...

Vergib mir. Ich liebe nur Dich, dachte Luca. Justin ist ein Freund, aber nicht der, den ich liebe...

Fast als hätte er es gehört, blickte Ayco nun doch auf und beobachtete Luca nun. Goldy flatterte zu ihm hinüber und setzte sich in seinen Arm, kuschelte sich an und schaute Luca auch erwartungsvoll an.

Der junge Magier lächelte nun, entspannte sich und konzentrierte seinen Geist auf die Melodie der Ballade.

Ayco erstarrte, als er sah, wie sich Luca völlig der Musik hingab, so dass sich sein Körper völlig synchron bewegte... so leicht, so elegant und fließend. Lucas Kontrolle war faszinierend, aber allein die weichen Bewegungen, Drehungen, das durchaus sehr erotische betonen seines Körpers, nur durch den Tanz.

Zum ersten Mal wurde Ayco die Ausstrahlung seines Freundes Bewusst. Zuvor hatte er es nur unbewusst wahrgenommen, nun aber spürte er ihn körperlich, wie eine sanfte Berührung. Er konnte gar nicht anders, als Luca anzustarren, solang er tanzte. Wie beweglich und biegsam doch der schlanke Leib war und wie endlos lang doch die schlanken Beine erschienen...

Jede Bewegung schien zu passen, langsam und leidenschaftlich.

Die feuchte, heiße Luft lud sich auf mit reiner Erotik, duftete danach, nach Lucas Haut, seinem Haar, seinem Schoß... Lucas Körper drückte tiefstes Verlangen aus...

Als sich Luca gegen eine der Säulen lehnte, daran hinab glitt, sich währenddessen von seinen Zuschauern abwandte und die Lider schloss, den Kopf senkte und sich mit beiden Händen über die Schultern strich, die Brust, bis tief in seinen Schoß, war es um Aycos Beherrschung geschehen. Er spürte schmerzhaft die Enge seiner Hosen...

Luca sah so wunderschön dabei aus, so Mädchenhaft und unschuldig und verführerisch und lustvoll, dass er jeden anderen allein mit seinem Anblick wahnsinnig machte...

Die Melodie endete und Luca saß da, tänzerisch zusammengekauert, an die Säule gelehnt, den Kopf abgewendet...

Stille empfing ihn... bis auf das schnelle, erregte Atmen der Leute konnte man nur den entfernten Lärm der eigentlichen Stadt hören...

Dann stand Luca grinsend, allerdings außer Atem, auf und setzte sich zu Ayco, wieder völlig Herr seines Bewusstseins und seines Leibes.

Ayco starrte ihn aus großen Augen an. Er ignorierte, dass die anderen plötzlich riefen, Luca solle mehr zeigen, weitertanzen, am besten ohne Kleidung... Für ihn war es fast unverständlich, dass Luca im einen Moment der Inbegriff des Verlangens war und im nächsten so Aufgeräumt und Fröhlich wie ein Kind.

Der Magier... war er überhaupt ein richtiger Magier?... Ayco wusste es nicht genau, aber er war sich sicher, nie einen geschmeidigeren und geschickteren Mann gesehen zu haben. Luca machte langsam den Eindruck, viel eher ein Barde zu sein, ein Minnesänger und Tänzer, ein Mann, der zum Vergnügen Anderer tanzte und sang, für sie dichtete und malte...

Im Moment erschien es Ayco als unmöglich, sich Luca in staubigen, alten Bibliotheken vorzustellen, still lernend aus uralten Schriften und der Welt so entrückt, verschlossen, nur lebend in den Formeln, die er las und schrieb. Ihn vor der Welt zu verbergen... Ayco dachte einen Moment darüber nach. Einerseits missfiel ihm der Gedanke, andererseits aber wäre Luca dann geschützt vor Männern wie Justin... Ein Aspekt, der eines gewissen Reizes nicht entbehrte... Und insgeheim, auch wenn Ayco es nicht wirklich wahrhaben wollte, so wünschte er sich doch, dass Luca so nur für ihn tanzte. Ihn störten die Worte der ganzen Zuschauer. Er kannte die wenigsten von ihnen, aber er verachtete sie, verabscheute sie für ihre Primitivität. Letztlich wussten sie nicht zu würdigen, was Luca ihnen von sich gezeigt hatte, welche Geheimnisse er ihnen in seinem Tanz offenbarte, Dinge, die Ayco sah, fühlte, begriff... Das einzige wonach sie verlangten, war seine nackte Haut, den kurzen Reiz des Verlangens... Kurzweil und Details, die Luca nicht bereit war zu zeigen.

Der Magier lächelte, sich wieder im Griff. "Verschwindet schon. Ich bin nicht Eure Kurtisane, die sich für euch entkleidet und bereit für euch ist."

Er neigte sich zu Ayco und flüsterte lächelnd: "Komm mit mir, lass uns verschwinden. Ich mag ihre Blicke nicht... schon gar nicht, wenn sie Dich auch so betrachten wie Freiwild. Das wäre dir nicht angemessen."

Überrascht sah Ayco seinen Freund an, der ihn erwartungsvoll betrachtete. "Weg von hier?"

Luca nickt. Nicht für lang, mein Schöner, aber ich möchte, dass Du freier Atmen kannst, das Du wieder das Licht sehen kannst, und die Stadt, die Du Deine Heimat nennst."

Im ersten Moment spürte Ayco Schrecken. Woher wusste Luca so viel über ihn? Was sollte das? Es reichte doch, wenn er hier draußen saß...! Diese Idee ängstigte und erschreckte ihn. Was hatte Luca nur vor mit ihm?

Dem Jungen kam gar nicht der Gedanke, dass Luca nichts anderes wollte, als ihm ein wenig friedvolle Zeit zu verschaffen, in der Ayco weitgehend sein eigener Herr war, ohne dass ihn Justin eifersüchtig anstarrte...

Der Magier lächelte ihn plötzlich so lieb an, wie ein junger Hund, mit den gleichen treuen, liebevollen Augen, so dass der Elf eine sachte Erschütterung in seinem Herzen fühlte. So überzeugend wie dieses Lächeln, der Blick, konnten all seine Worte nicht sein. Ayco spürte, wie er weiche Knie bekam. Seine Ängste verschwanden in den Hintergrund. Immer noch lauerten sie, warnten ihn argwöhnisch, aber sie traten zurück, dorthin, woher sie kamen, in die Schatten seines Bewusstseins. Seufzend legte er seine Hand in Lucas.

Der junge Magier hauchte einen angedeuteten Handkuss über den Handrücken des Elfen und zog ihn dann auf die Füße, während er ich noch selbst erhob. Ayco gelang es gerade noch, sein erregiertes Glied unter seinen weiten Kleidern zu verbergen.

Wohl oder übel musste er zugeben, dass Lucas Charme ihn mehr und mehr verzauberte und in seinen Bann schlug, und allein das Wissen, dass ihm allein alle Aufmerksamkeit des Magiers gehörte, machte ihn... nervös, aufgeregt, glücklich. Im Moment war ihm gleich, wohin Luca ihn entführte, völlig. Auch wenn sie nie wieder hier her zurückkehrten wäre es gut.
 

Lea beobachtete ihn vom Brunnenrand aus, lächelnd, glücklich und verträumt. Dann, kurz bevor sie sich auflöste, neigte sie ich zu Goldy und Tam hinüber. "Ein wunderschönes Paar, nicht? Als wären sie füreinander geschaffen worden. Sie dürfen sich nie wieder trennen. Das würde meinen kleinen Bruder umbringen, wenn Luca ihn allein ließe. Er vertraut ihm, völlig. Und, auch wenn Ayco es nicht begreift und wahr haben will, er liebt Luca. Sie können nur zueinander finden..."

Goldy hob die schuppigen brauen. "Sicher? Du solltest am besten wissen, dass Seraphin nicht glücklich werden dürfen, dass ihr Schicksal der allumfassende Wahnsinn ist, der im Freitod endet."

"Sie durchbrechen diese 9.000 Jahre alte Grenze, siehst Du das nicht?" fragte Lea leise, sanft. "Sie sind unsere Hoffnung, ein neues Schicksal."

Goldy lächelte in sich hinein. Es wäre zu schön, dieses Geistermädchen als Prophetin zu sehen, ihren Worten zu vertrauen... "Luca und glücklich? Das ist ein langer Weg, murmelte Tam abwesend.

Goldy nickte nur.

"Vertraut mir..." lachte Lea und sprang vom Brunnenrand, um lachend von dannen zu tanzen, ins Nichts, woher sie kam...
 

Lucas Hände hielten Aycos auch noch umschlossen, nachdem er teleportierte... Der Junge Elf reagierte mit leichtem Schrecken, aber ganz im Gegenteil zu dem, was er erwartete, nachdem Luca seinen kurzen, Ayco durchaus bekannten Zauber formulierte, war da nur eine leichte Unsicherheit, eine Benommenheit, die seinen Geist ergriff und ihn einen Moment später desorientiert zurückließ. Ayco vernahm ein leises Zischen von nachströmender Luft an den Ort, an dem sie soeben noch gestanden hatten, dann einen leichten Druck von zuviel Luft an dem Ort, an dem sie auftauchten... Aber mehr als eine milde Desorientierung war da nicht... Er blinzelte verwirrt und schützte seine hellen, durch die Wochen in dem ewig schummrigen Licht empfindlichen Augen vor der starken Sonne. Auch Luca schloss für einen Weile die Augen und umfasste in dem Moment Aycos Hände fester, um wenigstens ein wenig Halt zu finden. Ayco durchfuhr ein Schauer... Unsicher öffnete er die Augen und sah das schöne, friedvolle Gedicht des Magier vor sich, so nah, so zerbrechlich... Seine Haut schimmerte wie Elfenbein, so blass, irreal, und das schwarze, offene Haar schien in der sonne zu glänzen, seidig, ein perfekter, allzu harter Kontrast zu dem Weiß seiner Haut, und dennoch perfekt, wie aus Porzellan. Aycos Hände umfassten nun auch Lucas. Die Haut des Magiers war so warm und weich und glatt...

Dann öffneten sich feine Schlitze unter dichten mädchenhaft langen, schwarzen Wimpern. Smaragdenes Grün schimmerte dort, lebhaft und hell... Dann sah ihn Luca an. Ayco durchfuhr dieser Blick bis in sein tiefstes Inneres... Etwas war geschehen. Etwas wichtiges, gravierendes... Ayco spürte unheimliche Nervosität, Unsicherheit und Aufregung, so dicht bei Luca, sein herz raste und seine Hände wurden feucht. In seinem Mund befand sich kein bisschen Feuchtigkeit und zugleich wünschte er sich, Luca immer so in Erinnerung zu behalten, so, wie in dem Augenblick, in dem er für sich selbst zum ersten Mal klar spürte, dass er sich in Luca verliebt hatte.
 

Das Tageslicht brannte in Lucas Augen. Er konnte es für einige Sekunden nicht anders ertragen als mit geschlossenen Lidern... Er spürte, wie er ins Wanken geriet... und in dem Moment schlossen sich Aycos Hände um die seinen... Ein unsäglich wohliger Schauer rann über Lucas Rücken. Er genoss es mit geschlossenen Augen, wie auch den Blick Aycos, den er auf sich spürte. Scheinbar war da mehr als reines Vertrauen. Er spürte die Bewunderung und zugleich Aycos aufkeimende Zuneigung...

Er wusste genau, was er sehen würde, öffnete er die Lider...

Langsam sah er auf, blickte in dieses perfekte, wunderschöne Gesicht, betrachtete die ätherischen Züge seines Freundes und versuchte zugleich den Blick der großen, mandelförmigen Katzenaugen zu deuten, die ihn auf so unheimlich sanfte Art betrachteten. Luca war für einen winzigen Moment versucht, sich der Illusion hinzugeben, Ayco könne seine Liebe erwidern, wollte dem Drang nachgeben, sich über ihn zu neigen und ihn zu küssen, näherte sich ihm langsam, sanft... wobei er den Elfen keinen Moment aus den Augen ließ, um seine Reaktionen zu erkennen, zu erklären, weshalb er sich nicht wehrte... Weshalb in Luca das Gefühl wuchs, dass Ayco ihn mochte, mehr als das... Nein, das war dem jungen Mann völlig unmöglich zu erklären.

Er spürte aber auch, dass er sich einer unsichtbaren Grenze nährte, die er besser nicht überschritt. Tat er es, würde es kein Zurück mehr geben. Er würde Ayco in seine Arme nehmen und küssen, vielleicht sogar hier und jetzt lieben...

Ayco... Ayco. "Ayco," flüsterte er, bereits so nah, dass er den heißen Atem Aycos auf seinen Lippen fühlte, den rasenden Herzschlag des Jungen, seine Angst, aber auch die Erwartung, die Hoffnung und die Erregung...
 

Ayco reagierte nicht, er floh nicht, näherte sich ihm nicht, verharrte nur völlig reglos und zitternd... Lucas Atem streifte ihn, so heiß und süß. Er war paralysiert, verzaubert von seinem schönen gegenüber, aber auch gelähmt vor Angst. Wollte ihn der Magier küssen...? Aber... das konnte er nicht! Ich bin doch ein Mann, dachte Ayco entsetzt. Ihm entging dabei völlig, dass Luca seinem eigenen Geschlecht zugetan war und gegengeschlechtlicher Liebe nichts abgewinnen konnte... Die Aufregung und seine Angst blockierte seinen sonst klaren Verstand.

Der Wunsch, dass Luca ihn wirklich küsste allerdings wuchs zugleich mit seiner Angst ins unermessliche.

Doch Luca hatte sich genug unter Kontrolle, es nicht zu tun. Er lächelte und lehnte dann seine Stirn gegen Aycos, behutsam.

Enttäuscht seufzte Ayco und war zugleich froh darüber, dass Luca es nicht getan hatte Das allein bewies Ayco, dass sich der Magier nur wegen ihm so hart im Griff behielt, nur um seiner Freundschaft Willen.

Luca lächelte. Wann tat er das nicht? Egal was Ayco ihm antat, der Magier verlor nie sein Lächeln. War es falsch?, was empfand er nur, wenn Ayco ihm so sehr das Leben zur Hölle machte? Wie konnte er da noch lächeln?

Ayco begriff nicht, dass Lucas Lächeln ein Teil seiner Art war, die ewig hoffnungsvolle, sanfte Art, die einfach nicht bereit war, aufzugeben. Seine Persönlichkeit allein entsprach nicht der Aycos, der depressiv sein konnte, bis zur völligen Selbstzerstörung.

Luca würde nicht einmal einen Gedanken an Selbstmord verschwenden. Wenn er sich wirklich quälen wollte, so wählte er den Weg des Lebens, der härter, steiniger war, aber auch immer noch den Funken von Hoffnung in sich trug, dass alles sich zum Besseren wendete. Allein dafür bewunderte und liebte Ayco Luca.

Ohne es zu merken, hatte Luca beide Hände über Aycos Wangen gelegt und streichelte sie sanft, immer noch Stirn an Stirn.

Der Junge sah ihm in die Augen. Was er fand war zärtliche, unwahrscheinlich tiefe Liebe und einen Funken in den Augen, der ihm so vertraut schien, als habe er ihn sein ganzes Leben schon gekannt.

"Wo... wo sind wir?" flüsterte der Junge heiser.

Luca löste sich von ihm und sah sich um, beide Hände auf Aycos Schultern. "Das ist der schönste und zugleich grauenhafteste Ort... nein, nicht ganz. Es gab einen Platz, der schlimmer war, aber der übte keinen Zauber auf mich aus..."

Ayco folgte zögernd Lucas Blick und erstarrte.

Sie standen in einem Ruinengarten, in einem Labyrinth von Unkraut, Blumen, Moos und Gräsern, niedrigen Büschen und Bäumen, die seit Jahrzehnten nicht nachgeschnitten worden waren und dennoch in voller Pracht blühten. Unter all dem lagen Steine, mächtige Quader aus gelbem Sandstein, Säulenstücke und Ornamentiken der Fenster, Säulenköpfe und prachtvolle Statuen verborgen. Efeu und wilder Wein hatten das, was einst eine wundervolle Villa war, umsponnen und verwunschen, wie ein Märchenschloss.

Wie durch ein Wunder war den farbigen Glasfenstern nichts geschehen, bis darauf, dass man nicht mehr hindurchsehen konnte. Auch die Türen schienen unversehrt. Gewaltige, doppelflügelige Holztüren mit Beschlägen aus gehämmertem und geprägtem Messing... Oxidiert zwar, was im Lauf der Jahrzehnte normal war, besonders wenn sich niemand um die Reinigung kümmerte und das Metall den Jahreszeiten schutzlos ausgesetzt war, aber zugleich in seiner Verwesung prächtig, verzaubert von vergangenem Glanz.

Zierliche, gedrehte Säulen, die in filigranen Blumenmustern endeten, die Galerie, die Treppe, flankten und den Balkon trugen, waren ebenso unversehrt, aber überwuchert von Heckenrosen. Die schwierig verschachtelten Bauteile des Hauses schienen aus unterschiedlichen Epochen... und an den Ecken in den oberen Etagen standen Statuen von wunderschönen Frauen und Männern mit Flügeln, die außer Tüchern, die nichts verbargen, nur Körbe von Blumen trugen... Ayco konnte sich nicht des Gedankens erwehren, dass auch Luca eine dieser zauberhaften, perfekten Statuen war, gemeißelt, nicht geboren...Ganz oben sah er in der Mansarde ovale Fenster, denen das Glas fehlte, vergittert, kunstvoll, wunderschön. Dennoch schauderte er bei dem Anblick. Unheimlich, aber er spürte Böses in der Sekunde, Hass, Schmerz und tief sitzende Angst, wie eine Erinnerung... Es war zugleich auch Nervenkitzel, und der Wunsch, dort hinauf zu kommen erwachte in ihm. Dort war etwas, dass wichtig für ihn war, etwas ganz besonderes, etwas, von dem sein Leben abhing...

Für einen kurzen Moment sah er den Schatten einer zierlichen Gestalt hinter einem der Fenster, schmächtig, zerbrechlich. Riesige, grüne Augen sahen zu ihm herab, und dann streckte sich ihm eine schmale Kinderhand entgegen...

Ayco erschrak zutiefst... Er löste sich von Luca und huschte die Stufen zum Eingang hinauf.

"Was ist?" fragte der Magier alarmiert.

"Da ist jemand... Komm!"

Luca sah nach oben, fand aber nichts außergewöhnliches. "Ayco, was hast Du gesehen...?"

Der Junge deutete hinauf. "Da ist ein kleiner Junge eingesperrt!" Er machte sich bereits an der Türe zu schaffen... Das alte, verquollene Holz ließ sich nicht aufdrücken... es klemmte...!

Aufgeregt, in der Hoffnung das Kind zu befreien ging Ayco über die Galerie halb um das Haus herum, in der Hoffnung irgendwie einen Eingang zu finden. Luca folgte ihm still. Er wusste, dass da niemand war. Gleich was Ayco glaubte zu sehen, es war nicht da, ganz sicher nicht...

"Schnell! Der Junge braucht uns...!" trieb Ayco Luca an.

Der Magier blieb kurz stehen, "Da ist nichts, Ayco. Ganz sicher..."

"Doch, ein kleiner, schmaler Junge, ich habe ihn deutlich gesehen. Schwarzes Haar umrahmte sein blasses Gesicht..." Plötzlich erstarrte Ayco und blickte Luca an.

"Ja..." murmelte der Magier. "Aber dieser Junge lebt seit 21 Jahren nicht mehr hier, länger sogar schon..."

Für einen kurzen Moment wusste Ayco das Geheimnis... hielt die Lösung in Händen, doch dann entglitt sie ihm. Enttäuscht sah er zu Boden. "Aber ich habe ein Kind gesehen."

Luca lächelte. Lass mich Dir das Haus zeigen. Etwas zauberhaftes, schönes..."

Ayco nickte und legte völlig unbewusst seine Hand in die Lucas.
 

Lea saß auf der hohen, maroden Steinmauer, die den verwilderten Park umgab, wieder die zwei Drachen um sich. "Ayco erinnert sich nicht. Da ist etwas, dass sich erinnern will, aber er kann es nicht." Ihre Beine baumelten herab. Tam saß neben ihr.

"Luca erinnert sich langsam wieder..."

Sie hob die Schultern... "Der Ort ist nicht gut, für beide nicht... Schlechtes haftet hieran, Brutalität und Kälte, Hass... Und Angst."

Goldy schob die Hecke, die die Mauer zur anderen Seite, zur Straße hin, überwucherte, etwas zur Seite und las, was auf dem Torbogen zur Einfahrt stand. Dann sah sie zu den beiden Männern und nickte...
 

Luca führte Ayco am Haus entlang zu einer schmalen Bresche in der Außenmauer.

"Hier können wir hinein," murmelte er und huschte hindurch.

Ayco folgte ihm. Er war dankbar darum, dass er schmal war, ein Mann mit mehr gewicht wäre hier unmöglich hindurch geschlüpft.

Auf der anderen Seite erwartete ihn etwas Äußergewöhnliches.

Der Innenbereich des Hauses existierte im klassischen Sinne nicht mehr. Das Erdgeschoss, die erste und zweite Etage hatten keine Zwischendecken mehr und er konnte durch Löcher im Dachboden bis hinauf durch das eingesunkene Dach sehen. Auch fehlten alle Zwischenwände und die Mauer zum Innenhof und damit zum Atrium und dem Wasserbecken und dem einstigen Rosengarten... Den Garten gab es noch immer, aber er hatte sich schon lange bis hier hinein, ins Haus ausgedehnt.

Der Boden war verschmutzt, zerkratzt und voller Unrat und Dreck, verkrustet über die Jahre... aber er sah immer noch die gebrannten Tonkacheln und das wundervolle, prächtige Mosaik der Eingangshalle... Die Fresken in den Wänden... Teppiche, oder das was einst solche waren, moderte vor sich hin, Gemälde an den Wänden schimmelten, vergammelten... Ratten huschten hier innen herum, Asseln und anderes Ungetier.

Links von ihnen wand sich frei schwebend eine Treppe ins Nichts...

Dann gewahrte Ayco den zierlichen Brunnen aus Sandstein, inmitten des Zimmers und die Rosen umher... Luca war einige Schritte vor ihm, huschte die zwei Stufen zu dem Brunnen hinauf und blieb reglos stehen, sah hinein. Warmer Wind wehte herein und bewegte sein Haar, wirbelte Rosenblätter auf und Staub, der in der Sonne glitzerte und wieder herabsank, in der Luft tanzte und erneut hochgewirbelt wurde.

Ayco holte zu Luca auf und stellte sich neben ihn, sah ihn an...

Versonnen, entrückt, stand er da, im Wind, gebadet von goldener Sonne, die ungehindert hinein fiel, inmitten eines Wirbels aus Blättern und Staub.

Seine Hände ruhten auf dem Brunnenrand und in seine Züge war eine solche bittere Süße eingekehrt, dass es Ayco schmerzte ihn zu betrachten. Luca lebte in Erinnerungen, das fühlte der Elf einfach... Er folgte Lucas Blick. In dem zugesinterten Brunnenbecken schwamm ein letzter Rest brackigen Wassers, vermutlich vom Regen der letzten Monate... Rosenblätter schwammen darin... Es war nichts besonderes... nicht wirklich... eher abstoßend.. dann sah Ayco, wie dass Wasser leichte Wellen schlug und das Spiegelbild des jungen Magiers zerbarst, nur um sich nach einigen Sekunden wieder zu vereinen und zur Ruhe zu finden...

Wieder zerbrach das Bild... und wieder... Es brauchte eine Weile, bevor Ayco begriff, dass es Lucas Tränen waren, die sich in dem Becken sammelten...

Ayco wagte nicht, Luca anzusprechen, nicht ihn zu berühren, und doc hob sich sein Arm, streckte sich seine Hand nach Lucas Wange, um seine Tränen zu trocknen. Er ertrug nicht den traurigen Blick des jungen Mannes... dass Luca weinte, allein das versetzte ihm einen tiefen Stich.

Er fing Eine der Tränen auf... sie war do warm wie Lucas Haut und zugleich so heiß von seinem Schmerz.

"Komm, lass uns nach dem Kind sehen," bat Ayco, nur um Luca auf andere Gedanken zu bringen. Auch er wusste unterdessen, dass es kein Kind gab... Aber ihm fiel nichts anderes mehr ein. Dieser Situation stand er hilflos gegenüber.

Luca straffte sich und wischte sich die Tränen aus den Augen. Dann lächelte er wieder. Ein sehr trauriges Lächeln. "Der Junge ist frei, Ayco. Glaube mir..."

Nun ging Ayco um den Brunnen herum und legte seine Hand auf Lucas Unterarm. Er zögerte ganz kurz...

Nein, dachte er . Sonst würdest Du nicht solches Leid empfinden...
 

Leas Geistergestalt stand nah am Becken im Atrium. Sie beobachtete ihren Bruder und Luca. "Er weiß es. Immerhin hat er realisiert, dass Luca das Kind von damals war, der Junge, der eingesperrt hier lebte." Sie lächelte versonnen und tanzte mit dem Wind, genoss das warme Licht, dass durch ihre Gestalt hindurchflutete und ihr die Illusion gab, von Innen gewärmt zu werden. "ich habe Hoffnung..." Sie lachte plötzlich vergnügt. "Und Luca besitzt genug davon, um auch Ayco Lebensmut zu geben."
 

Ayco war nicht von Lucas Seite gewichen. Er ging neben dem Magier, hinaus in den offenen Innenhof...Das Wasserbecken war, wie der Brunnen, verschmutzt, sodass man den Boden nicht mehr erkennen konnte. Aber dennoch kam ihm all das so vertraut vor... so bekannt!

Luca setzte sich mit untergeschlagenen Beinen an den Beckenrand und sah sich um. Er summte eine traurige Weise, eine unbewusste Melodie... Die Ratten näherten sich ihnen, umringten nach und nach die beiden Männer...

Ayco gewahrte es erst, als ihm der erste der kleinen, pelzigen Zeitgenossen über den nackten Fuß huschte und sich quiekend darüber mokierte, dass der Elf ihm eine solche Behinderung in den Weg stellte. Vermutlich kostete ihn dieses Erlebnis einen Teil seiner Lebenszeit, wenigstens vermutete Ayco das, so wie dich das kleine, braune Tier aufregte. Luca lächelte und kraulte dem Nager das Nackenfell, als sei es das Normalste der Welt, und das Tier beruhigte sich sofort.

Luca empfand weder Angst noch Ekel vor den Tieren, und das spürten sie. Einige von ihnen krabbelten auf seinen Schoß, in seine weiten Ärmel, sein Hemd oder hoch, auf seine Schulter... Luca schien Tierlieb zu sein. Ayco kniete nieder und nahm sich einen der kleine Nager aus Lucas Schoß, kraulte ihm das Köpfchen und den Kiefer... Aus klugen kleinen Knopfaugen betrachtete die Ratte den Jungen. Aber offenbar schien sie gar nicht in Erwägung zu ziehen, dass Ayco böse Absichten hegen könnte. Sie entspannte sich im Gegenteil eher und begann seine Finger anzulecken.

Nun kamen auch immer mehr der Ratten und auch kleine Mäuschen und Vögel zu Ayco und Luca. Die beiden Männer sahen sich an, Sekunden lang, schweigend... Auf Lucas Zügen lag Zufriedenheit und ein Lächeln, dass irgendwo zwischen Glückseligkeit, Trauer und Dankbarkeit lag...

Aber auch der Elf fühlte sich wohl, fast schon glücklich, denn hier, jetzt, war es friedvoll und schön.

Sein Blick schweifte von dem Lucas ab und huschte in alle Ecken... und blieb an einem steinernen Sturz hängen. Eisiger Schrecken fuhr ihm in die Knochen. Obgleich Wind und Regen die Schrift auswuschen, und die Witterung an sich und die zeit ihr übriges taten, konnte er sehr wohl lesen, was dort stand... gleichzeitig erkannte er alles wieder, das Haus, die ganzen, winzigen Details... Das war das Haus seines Lehrherren, genaugenommen das seines Sohnes, und der Name des Mannes war...

VERALDIS...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2003-11-03T06:43:33+00:00 03.11.2003 07:43
@ shinija:
Vermutlich mache ich mit der Folge-Story weiter und werde paralell "Der Gefangene" Umstricken müssen... "Der Orden" auch, dringend!!! Aber Du kennst mich alten Vielschreiber ja langsam... Treue Seele Du... :)

@ Tauglanz:
Guten morgen meine liebste Elfendame... :)
Schön Dich wieder zu sprechen. Die Aufklärung ist im 31. Kapitel, wenigstens ein Teil dessen... ich habe ihn auch gerade geladen. Mit etwas Glück kannst Du ihn heute abend bereits lesen.

@ Shimi:
Klar, schon dabei... Allerdings wirst Du, wie meiner Lieblingselfe schon erklärt, bei dem nächsten Kapitel ein wenig mehr aufklärung bekommen.
Von: abgemeldet
2003-11-01T19:03:52+00:00 01.11.2003 20:03
es ist etwas verwirrend aber dennoch klasse!
bitte bitte schreib schnell weiter!!!!!
Von:  Tauglanz
2003-10-31T15:02:50+00:00 31.10.2003 16:02
o.O
Ok, erstmal alles "aufgelesen" und total verwirrt...
... Ayco soll sich erinnern? Woran, was, wie, wo?
*Verwirrung total*

Ich hoffe, Du bringst bald etwas Aufklaerung in die Story, bin schon gespannt wie eine Feder *g* (und die halten so bekanntlich nicht lange ^_-)

Waldelfe Tauglanz *immer noch total begeistert*

PS: email mit Word Anhang folgt
Von:  shinjia
2003-10-31T14:51:17+00:00 31.10.2003 15:51
So, ich hab jetzt alles von dir gelesen *schwitz*
Da hast du wirklich viele Charas und Welten geschaffen. Bewundernswert! Dass du da noch durchsiehst^^
Mein Liebling ist natürlich auch Luca ^_^
Bin gespannt, wie die Fic noch weitergeht. Sind ja noch so eigene Geheimnisse offen^^
Welche willst du denn danach weiter schreiben?


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