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Interdependenz Buch 1

Die schweigende Lilie
von

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Ayco

Aycos Bewusstsein, seine Erinnerungen trugen ihn diesmal nicht annähernd so weit fort wie sonst, denn irgendetwas, vielleicht sein Misstrauen und seine Angst, verhinderten, dass er abdriftete. Er konnte nicht anders, als Luca zu beobachten, ihm zuzuhören. Was zu Anfang Gefühle wie Zorn und Verachtung waren begann ganz gegen seinen Willen zu schwanken und änderte sich... Er musste zugeben, dass er Luca gar nicht verachtete. Er mochte ihn, mehr noch, er wollte ihn sogar trösten.

Er hatte alles mitangehört. Das einzige, was er nicht begriff war, was Goldy sagte. Sie sprach von Vergewaltigungen und auch davon, dass es mehr waren, mehr Kerle, nicht nur Justin.

Allein der Gedanke machte Ayco wütend und mehr noch fühlte er irgendwo tief in sich ein nagendes, bohrendes Gefühl, was er nicht identifizieren konnte, aber es war unangenehm, und nahe der Wut, die er empfand, aber trotzdem ganz anders. Ayco richtete sich lautlos auf und sah zu Luca hinüber, der im Dunklen, neben seinem freigewähltem Lager saß und immer noch weinte. Was hatte er gesagt, das einzige, was ihm wichtig sei, wäre er, Aycolén?

Der junge Elf begriff noch lange nicht die Tragweite von Lucas Worten, aber irgendwie tat es gut, das zu hören, zu wissen, dass sich doch jemand um ihn sorgte, auch wenn der Wunsch zu sterben immer noch tief in ihm keimte... Aber scheinbar gelang es diesem enervierend beharrlichen Magier dennoch immer mehr Ayco so nachhaltig zu beeindrucken und seine Wut zu mildern, dass er langsam Zugang zum Herzen des Elfen fand. Mehr noch, dass er Aycolén langsam in die Wirklichkeit zerrte, aber zugleich auch dafür sorgte, dass er dabei nicht allein war, sondern eine Stütze, einen Halt fand.

Aycolén scheute sich immer noch vor seinen Gefühlen für Luca, nun sogar bedingt mehr als zuvor. Aber er fühlte auch für ihn eine fremde Zuneigung.

Gerade im Moment wuchs der Drang in Ayco, Luca zu streicheln, seinen Kopf zu streicheln, ihn zu streicheln und ihn zu trösten, ihm zu sagen, dass er nicht allein war...

Dennoch sank er wieder in seine Kissen zurück, aber er konnte seinen Blick nicht mehr von dem weinenden jungen Mann nehmen. Irgendetwas berührte Luca in Aycos Seele, brachte sein Herz zum schmelzen.

Lang starrte er Luca an, beobachtete den Magier, der so lange weinte, bis er endlich einschlief... Er saß noch immer neben dem Bett, auf dem Fußboden, zusammengesunken, den Kopf auf den Polstern, und in seiner Armbeuge gebettet und die knie an den Leib gezogen, den kleinen, blauen Drachen in seinen Armen, fast wie ein kleiner Junge, der sich versucht an etwas zu klammern.

Er dachte nicht mehr daran, dass ihn dieser Junge vor einigen Stunden gestreichelt und berührt hatte, ihn gegen seinen Willen (?) zum Höhepunkt seiner Lust gebracht hatte, sondern nur daran, wer ihn schon alles berührt und gegen seinen Willen genommen hatte, und es versetzte ihm einen tiefen Stich. Dieses Gefühl konnte er nicht verstehen, nicht identifizieren, aber es war tiefe Eifersucht. Und zugleich der Wunsch, für Luca dazusein, wenigstens der erste Hauch eines Wunsches...

"Luca," murmelte er. Dann schloss er die Augen und dämmerte weg.
 

Am folgenden Morgen erwachte der Magier mit furchtbaren Rückenschmerzen, brennenden Augen und pochenden Schmerzen hinter seiner Stirn.

Allein das schummrige Licht in seinem Zimmer brachte ihm solche Pein, dass er fast durchdrehen wollte. Auch Tambren war noch nicht wieder bei Bewusstsein. Der kleine Drache schlief tief und fest in seinem Hemd. Luca kraulte dem kleinen Kerlchen den Kopf. Tambren regte sich kurz, unwillig und rollte sich in eine andere Position. Dann erhob er sich und wankte auf Ayco zu. Der Junge lag so friedvoll da, zum ersten mal nicht von Alpträumen geplagt... Luca ließ sich vor ihm auf die Knie sinken und beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. Es gelang dem Magier einfach nicht, die Augen richtig zu öffnen. Sein Schädel tat ihm dafür einfach nur zu sehr weh. Er hatte sich im Lauf der Nacht von seinen Decken befreit. Nun lag Ayco nur in sein Hemd gehüllt da, so blass und verloren in all dem weißen Seidenstoff und so irreal wie das Mondlicht selbst. Natürlich war es schwül und heiß hier und es roch beständig nach Verwesung. Aber dennoch... Er lag da wie eine lebende Einladung. Luca setzte sich still neben ihn auf den Boden und beobachtete Ayco. Er schien wirklich ruhig zu träumen. Jetzt sogar entspannt. Für Luca war es das Schönste, zu sehen, dass sich der Junge dennoch entspannte, gleich, was er gestern im Bad getan hatte. Scheinbar schien er wirklich nur im Wachzustand erbost zu sein, aber nun, im Schlaf...? Luca setzte sich auf und deckte Ayco zu, streichelte ihm einige Haarsträhnen aus den Augen und beobachtete das traumhaft schöne, ebenmäßige Gesicht des jungen Mannes. Dennoch war Luca darauf gefasst, dass Ayco erwachte und ihm schreiend die Hand zur Seite schlug, sich in seine Alpträume flüchtete oder einfach nur zu einer gefühllosen Hülle wurde. Aber nichts dergleichen geschah. Ruhig schlief der Junge weiter. Luca erhob sich nach ziemlich langer Zeit wieder und ging langsam zur Türe. "Goldy, ich gehe runter, in die Küche. Gorg wird schon etwas für uns haben. Außerdem will ich mit Justin reden. Ich muss ihm danken, dass er mich nicht rausgeworfen hat. Das zumindest bin ich meinem alten Freund schuldig."

Goldy, die neben Ayco auf seinem Kissen lag, zusammengerollt, hob kurz den Kopf und sah ihn zweifelnd an. "Glaubst Du wirklich, dass das eine gute Idee ist, sich mit Justin einzulassen? Der alte Vampir wird doch sonst was mit dir machen... zum Beispiel seinen Spaß mit dir haben... Langt es dir nicht endlich mal?"

Luca sah eine Weile still zu ihr. Dann senkte er den Blick. "Glaubst Du etwa mir macht es Spaß, vergewaltigt zu werden? Es geht mir nur um Justin. Ich sehe in ihm immer noch den Mann, der ohne eine Frage zu stellen bei mir war, mich beschützt hat und mich aufnahm, ohne mich zu kennen, der für mich zu meiner Familie wurde. Ich liebe ihn nicht, wenigstens nicht als Mann..." Er verstummte. Nach einigen Sekunden flüsterte er: "Aber er ist mein Freund, der Freund, zu dem ich immer zurückkommen dürfte, egal welche Fehler ich gemacht habe."

"Deshalb lässt Du ihm einfach Deinen Körper als Spielzeug seiner Gelüste?" fragte Goldy ärgerlich. "Flüchtest Du dich immer wieder in seien Arme, nur weil du sonst niemand andere hast?"

Luca schlug die Lider herab. "Wenn du meinst, dass ich mich prostituiere, dass ich meinen Körper für etwas Wärme und Freundschaft verkaufe..." Er wollte sagen, dass Goldy sich darin irrte, aber es war nicht so. Luca wurde mehr und mehr bewusst, dass der Drache recht hatte. Er war nichts anderes als eine männliche Kurtisane.

Diese Erkenntnis tat zwar weh, aber sie berührte ihn nicht mehr wirklich. Gestern Nacht hatte er alles verloren, was ihm etwas bedeutete... Nun konnte Luca nur noch darauf hoffen, dass Ayco in ihm irgendwann etwas wie einen Freund sehen würde, oder wenigstens jemand, den er nicht verachtete. Lucas einziges Ziel war und blieb, Ayco glücklich zu machen, und wenn er das nur aus der Ferne konnte, würde er auch das tun. Er wollte nur eins, einmal Ayco lächeln sehen.

Wortlos drehte er sich wieder um und ging.
 

"Ayco..."

Der Junge drehte sich um und schlang seine Arm um den Leib. Warum kam Lea immer zu ihm, wollte ihn aber nie mit sich nehmen? Wollte sie ihn nicht mehr an ihrer Seite? Sie war doch seine Zwillingsschwester. Weshalb nahm sie ihn nicht endlich mit sich in das Reich der Toten? Dort konnte er endlich mit ihr und seiner Mutter, die ihm so sehr fehlte, zusammen sein. Aber scheinbar hatte Lea sich ausgerechnet diesen penetranten, enervierenden, dummen Magier auserkoren, der ihn dazu zwang zu leben.

Lea saß neben ihm auf dem Bett, immer noch in dem niedlichen Kinderkörper gefangen, der ihr Grab wurde.

"Ayco, was fällt Dir eigentlich ein?!"

Sie klang beleidigt... Oh meine kleine Lea, du fehlst mir so... sei doch nicht böse...

"Ich bin böse, dass Du mich nicht anschaust, kleiner Bruder!!!"

Nun fuhr Ayco aus den Kissen, zornig. "Nur weil Du fünf Minuten vor mir auf die Welt gekommen bist!!!!" Er starrte sie an. "Wie lang willst Du mir das noch vorhalten?! Außerdem bin ich jetzt der größere!" Ihm war gar nicht aufgefallen dass diesmal die Kommunikation nicht wortlos stattfand, sondern sehr wohl laut und verbal.

Goldy, die bis eben dösend auf seinem Kissen lag, schrak hoch und starrte Lea und Ayco an.

Das Geistermädchen saß lächelnd und mit herabbaumelnden Beinen auf der Bettkante und stritt sich mit Ayco darüber, wer älter war...?! Goldy zweifelte schlicht an ihrem Verstand. Das konnte einfach nicht die Wirklichkeit sein. Sie schüttelte sich, petzte die Bernsteinaugen zusammen und schaute wieder hin.

Währendessen hatte sich Lea vorgebeugt und schaute sie interessiert aus grünen Katzenaugen an. "Niedlich..."

"Wie...?" keuchte Goldy. Ein, auf menschliches Alter umgerechnet, etwa 8 jähriges Mädchen mit silbernen langen, gewellten Haaren lächelte sie freundlich an.

"Ja, niedlich. Ich wusste nicht, dass es so was kleines, süßes, schuppiges gibt. Ich habe Dich zwar schon öfters gesehen, aber ich wusste nicht, dass Du auch reden kannst und..."

"Ich bin nicht niedlich!!!!"

Lea kniff lachend die Augen zusammen. "Oh doch, und wie!"

Goldy lächelte unterdes auch und konnte sich einfach nicht des Charmes dieser kleinen Elfe entziehen.

Ayco nahm Goldy in seine Arme und hielt sie in seinen Armen. ,Sie gehört deinem Freund,' entgegnete er bissig. Er wollte sich wieder darauf festlegen, schweigend zu antworten...

"Er ist nicht mein Freund, Ayco, er ist... ach, egal, du Idiot machst alles falsch, du tust dir weh und mir und ihm!" Sie glitt langsam von der Bettkante. "Erinnere Dich endlich wer dieser Mann ist, wie wichtig er für Dich ist und dass Du ihn brauchst." In ihren Augen schimmerten Tränen. "Erinnere Dich endlich wieder!"

Ayco sah sie ärgerlich an. ,Hast Du nicht mitbekommen was er getan hat?! Er hält mich von Dir fern...'

"Das tut er, weil er Dich mag," zischte Goldy.

"Und er hat nichts getan, was Du nicht selbst ausgelöst hast," sagte Lea leise. Sie drehte sich um. Du fühlst Dich doch wohl in seiner Nähe. Du willst ihm vertrauen, gerade weil er alles für Dich tut, und du bist furchtbar eifersüchtig auf jeden anderen, der Luca auch nur falsch ansieht und um den er sich kümmert, und du hasst Justin, der ihn vor Deinen Augen genommen hat..."

,Sei still!' Ayco schloss die Augen und schüttelte sich! ,Du spinnst ja!!! Halt den Mund...!'

Er ließ sich auf die Seite Fallen und zog die Decke über den Kopf.

"Du Schweigsamer, Deine Schwester ist weg, nur zu Deiner Information." Goldy krabbelte zu ihm unter die Decke. "Sag mal, was ist mit dir los, Ayco? Wovon redet Lea?"

Er wollte sich umdrehen, ließ es aber und murmelte: "Ich weiß es nicht. Mehr sagt sie mir nie, und ich kann mich doch wirklich an nichts mehr erinnern."

Goldy sah ihn groß an. "Und warum versuchst Du es nicht herauszufinden?"

Er antwortete darauf erst gar nicht. Aber plötzlich wurde ihm bewusst, dass Goldy wahrnahm, was er dachte.

"Du liest meine Gedanken..."

"Klar," antwortete sie trocken. "Ich bin ein Pseudo-Drache. Unsere Art ist psyonisch aktiv. Wir sind natürliche Empathen, Telepathen und Telekineten."

Ayco schloss die Augen und rollte sich weiter zusammen. Es erschreckte ihn zutiefst, dass Goldy seine Gefühle und Gedanken lesen konnte. Die erste und einzige Reaktion war es, sich vor ihr völlig zu verschließen. Denn, wenn sie schon die ganze Zeit wusste, was in ihm vor sich ging, wenn sie seinen stillen, inneren Kampf mitverfolgte, würde Luca alles wissen. Und das wäre schrecklich für Ayco.

Goldy beobachtete ihn noch einige Sekunden lang nachdenklich. Dann krabbelte sie umständlich unter der Decke hervor. "Du bist seltsam," murmelte sie. "Eine Ansammlung von Wut, Abscheu und Hass, aber tief darunter begraben der Wunsch, geliebt zu werden. Und wenn einer da ist der Dich wirklich liebt, so offen und ehrlich er kann, dann stößt Du ihn von Dir." Sie hob die Decke an und starrte Ayco ins Gesicht... Der Junge blickte in große, goldene Augen, die ihn sehr liebevoll und freundlich ansahen, so offen und wahrhaftig. Liebe... Was konnte schon ein so kleines, niedliches Geschöpf von Liebe wissen? Drachen konnten nicht lieben, wie also wollte sie wissen, was das Gefühl bedeutet?

Er schloss wieder die Augen und rollte sich zu einer Kugel zusammen...

"Ich frage mich nur, was schon wieder so lang dauert... Luca ist schon wieder viel zu lange weg..." murmelte Goldy. "Ich glaube, ich gehe ihn suchen..."

Ayco schon die Decke von seinem Gesicht und sah zu ihr. Irgendwie machten ihm ihre Worte Angst.



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