Verlust
Verlust
„Kagome, du hast es uns versprochen!“
Kagome lacht, als sie die Mädchen auf sich zurennen sieht. Ihre Gesichtszüge sind nun viel entspannter, als die Tage zuvor. Freudig fängt sie an, mit den Mädchen auf dem großen Platz zu tanzen. Sie bewegt sich rhytmisch zu der fröhlichen Musik und zeigt den Kindern wie es geht. Etwas ungeschickt imitieren sie Kagomes Bewegungen.
„Wo wart ihr denn so lange?“
Miroku klopft mir auf die Schulter und grins hämisch, als könnte er sich die Frage schon selber beantworten. Automatisch erröte ich, antworte jedoch wahrheitsgemäß.
„Kagome hat den Knochenfressenden Brunnen besucht!“
Mirokus Lächeln erstirbt augenblicklich und ähnlich, wie ich betrachtet er das Mädchen aus der Zukunft nun etwas mitleidig.
„Sie vermisst ihr Zuhause!“
Ich nicke und blicke weiter zu der neuen Miko des Dorfes, als plötzlich eine große Trommel geschlagen wird.
Sango springt erfreut auf und drück ihr Baby noch etwa fester an sich.
„Es geht los! Die Zeremonie beginnt!“
Erwartungsvoll wendet sich mein Blick zu dem errichteten Pult in der Mitte der Menge. Takeru, der zusammen mit uns die Menschen des Dorfes anführt, steht neben Kaede und wartet darauf, dass er die volle Aufmerksamkeit der Dorfleute hat. Im Hintergrund wird im gleichmäßigen Rhythmus eine menschengroße Trommel geschlagen. Die Musik verstummt und alle Augenpaare richten sich zu den Beiden hinauf.
„Meine Freunde!“, beginnt das Oberhaupt des Dorfes.
„Heute ist ein sehr wichtiger Tag für uns alle, ein sehr bedeutender!“
Seine wohl überlegten Pausen deutet auf sein Redetalent hin. Erfreut hebt er die Arme und legt dann seine Hand auf Kaedes Rücken.
„Unsere weise und starke Miko Kaede, wird sich heute von uns in den Ruhestand verabschieden und einer neuen Miko die Führung überlassen.“
Seine Augen schauen bereits suchend nach der Schwarzhaarigen, als sich die Menge spaltet und den Weg für die Zeitreisende freigibt. Selbstsicher lächelnd schreitet Kagome anmutig den Weg zum Podest hinauf und verbeugt sich leicht vor Takeru, der es ihr gleich tut. Ihre Nervosität ist deutlich in der Luft zu riechen. Wie ein unruhig, vibrierender Duft liegt er in der Luft und lässt mich kurz grinsen. Anscheinend behagen ihr solche Auftritte nicht so richtig. Auf ihrer Stirn bilden sich bereits die ersten Schweißtröpfchen und ihre Hände weißen ein deutliches Zittern auf. Nach Takeru, wendet sie sich Kaede zu, welche mit einem Schälchen weißer Farbe auf sie zutritt. Mit ein paar geübten Fingerbewegungen zeichnet sie Kagome die Symbole für Mut, Freundschaft, Weisheit und Liebe aufs Gesicht. Unweigerlich erinnere ich mich an das Shiko no Tama, welches die Seelen dieser Eigenschaften in sich trug. Es ist ironisch, dass gerade die Frau diese Eigenschaften beherbergt, welche das Juwel zerstörte.
Als sie fertig ist und sich Kagome vor der alten Miko tief verbeugt hat und sich anschließend dem Dorf zuwendet, startet ein lauter Jubelchor. Glückwünsche und eine glückliche und erfolgreiche Zukunft werden Kagome entgegen gesprochen, welches sie, mit leicht geröteten Wangen entgegen nimmt, als sie plötzlich inne hält und dann mit ernster Mine zum Himmel schaut.
Ich bemerke es sofort, während die Leute um mich herum nichts zu ahnen scheinen.
Ich tue es ihr gleich und richte meinen volle Aufmerksamkeit den aufkommenden Wolken zu. Der Himmel hat sich mit einem mal verdunkelt und aus der ferne hört man Gewitter heranziehen. Jetzt erst wird es still um mich herum, als das Donnern und das Getöse die Dorfbewohner erreicht und einen Anflug von Mistrauen und Angst verbreitet. Ein mir bekannter Geruch dringt an meine Nase.
Alle Alarmsignale leuchten in meinen Kopf, ehe ich mich zu Kagome wende. Sie schreit der Menge hinzu, sich kampfbereit zu machen, während sie selbst Pfeil und Boden von Takeru in die Hand gedrückt bekommt. Diese jedoch lässt sie zu meiner Überraschung achtlos fallen, stellt sich stattdessen in eine gerade Haltung und schließt die Augen. Nur wenige Sekunden später höre ich ein vertrautes Surren. Eine weiß schimmernde Barriere bildet sich vom Boden aufwärts. Wie eine große Mauer errichtet sie sich schützend vor der dunklen Wolkendecke. Kagomes Fähigkeiten reichen jedoch nicht aus, um das Dorf vollends einzuschließen. Allein, wie eine große Wand kann sie nur den Menschen von einer Seite aus Schutz bieten. Ihre Hände sind nun hoch erhoben, als wolle sie die Barriere zusätzlich noch stützen. Kaede versucht sie zu unterstützen und murmelt leise vor sich irendwelche Beschwörungsformel her. Plötzlich ist es ganz ruhig, ehe von weit weg lautes Kampfgeschrei zu hören ist. Dämonen rasen aus den Wolken hervor und prallen mit lautem Radau an der leuchtende Barriere ab. Die, die einen Weg an der Barriere vorbei gefunden haben, werden von den kampfbereiten Dorfbewohner erwartet. Sofort ziehe ich mein Schwert und leiste meine Teil zu der Vernichtung dieser vogelartigen Rasse bei. Tessaiga ist wiedermal in Topform. Seine dämonische Energie pulsiert aufgeregt durch meine Hände. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich die Dorfbewohner mit ihren Waffen in Kampfposition stellen, falls die Barriere zerbrechen sollte. Ihre Herzen schlagen mittlerweile in einem etwas ruhigeren Rhythmus, als es sie noch einige Monate zuvor getan haben. Das Training mit der Dämonenjägerin scheint Wirkung zu zeigen. Ihre Selbstbewusstsein und Könne gibt ihnen Mut, gegen diese Monster an zu treten. Der Geruch der Angst hat in diesem Dorf deutlich abgenommen. Ein Lächeln kann ich mir nicht verkneifen, wenn ich mal darüber nachdenken, für wie schwach ich doch die Menschen früher gehalten habe.
Abermals signalisiert mein Geruchssinn Gefahr, als ich den, mir nur all zu gut bekannten Gestank wahrnehme. Erschrocken drehe ich mich um, als ich erkenne, dass von einer ganz anderen Ecke Bedrohung lauert. Kagomes Hände sind noch immer hoch erhoben, als sie krampfhaft versucht, die Barriere aufrecht zu erhalten. Ihr Gesicht ist zerknirsch und einzelne Schweißtropfen kämpfen sich einen Weg über ihre zarte Haut. Bei all ihrer Anstrengung realisiert sie nicht, was um sie herum geschieht. Im nächsten Moment hört man einen markerschütterten Schrei. Meine Augen weiten sich, als der alte Körper Kaedes zu Boden sinkt. Kagome sieht erst aus dem Augenwinkel heraus wie graues Haar wehend hinab gleiten. Geschockt sieht sie zu dem scheinbar leblosen Körper hinab unter dem sich ein Lache an Blut bildet.
Wie in Zeitlupe, öffnet sie schockiert ihren, vor Bemühung verkrampften Mund, ehe ein Ruck durch ihren Körper geht und sie irritiert nach vorne taumelt. Verwirrt blickt sie an sich hinab zu ihrer Brust und tastet sich ab, während zu mir bereits der beißend metallische Geruch vordringt. Mein Herz scheint auszusetzen, als ich begreife. Einen Moment später färbt sich ihr schneeweißer Kimono zwischen den Fingern rot. Ihr Blut läuft nun wie bei einem Wasserfall an ihr hinab. Ihre Augen werden glasig, als sie ihre rotverschmierte Hand betrachtet. Kraftlos, ähnlich wie Kaede, fällt sie zu Boden und krümmt sich dort vor Schmerzen zusammen.
Unbewusst ziehe ich nach langem Anhalten die Luft stark durch die Zähen ein und fülle meinen pochenden Lungen mit Sauerstoff. Mein versteifter Körper löst sich und bewegt sich nun scheinbar von selbst. Wie automatisch gleiten meine, von fassungslos zu wütend werdenden Augen zu dem Verursacher, welcher schnell gefunden ist. In der Luft fliegend, mit weit ausgebreiteten Schwingen grinst Shou zu mir herunter. Sein Mittel- und Zeigefinger sind wie eine Waffe immer noch in Kagomes Richtung ausgestreckt und nur noch schwach sieht man leichten Rauch von ihnen aufsteigen. Vor Wut rasend entfährt mir ein lautes Knurren, ehe ich ihm mein Meido entgegen fege. Geschmeidigt weicht er aus und lacht, doch dann trifft ihn seinerseits nun ein grüner Blitz kombiniert mit einem Geruch, der mir nur all zu vertraut ist. Kurz blicke ich zu meinem Bruder, der jedoch überhaupt keine Aufmerksamkeit an mich verschwendet. Verständlich, denn ich spüre ihn ebenso wie mich vor Wut überquellen. Seine Ehre als Lord wurde verletzt, indem Shou den Vertrag gebrochen, sein Land und somit seine Untertan angegriffen hat. Auch wenn es nur Menschen sind, so geht es hier wahrscheinlich ums Prinzip. Zum ersten mal, wie mir auffällt, überlasse ich ihm den Gegner, den ich am liebsten selbst zur Strecke bringen würde. Doch etwas anderes ist in diesem Moment wichtiger …
In meiner Brust breitet sich ein Brennen aus, wie ich es noch nie gefühlt habe. Ich richte meinen Blick hinab auf die Wunde oberhalb meiner rechten Brust. Mir wird schlecht, als ich den metallischen Geruch von Blut gemischt mit verbranntem Fleisch rieche. Immer noch ist mir unklar, wie es dazu gekommen ist. Allein das Gefühl, wie etwas meinen Körper durchschossen hat und ich, wie ein Sack hart auf den Boden aufgeschlagen bin, gibt mir den Hinweis, dass mich einer meiner Feinde von hinten getroffen hat. Unter Schmerzen versuche ich meinen Blick über die Schulter zu werfen. Kurz sehe ich eine Gestallt, schimmernd im Licht der Fackeln, ehe meine Kraft sich dem Ende neigt und ich meinen schmerzende Position aufgeben muss. Dann erblicke ich Kaede. Und für einen kurzen Moment wird alles um mich herum in tiefe Watte getaucht. Dumpf dringen Töne an mein Ohr, verschwommen sehe ich Menschen herumlaufen. Allein die alte Miko ist im Fokus meiner Augen. Jeden Millimeter erkundige ich an ihr, auf Hinweise irgendeines Lebenszeichen. Nichts. Ihre Haare haben sich aus ihrem Zopf gelöst, liegen wirr um ihr herum. Blut bildet das Bett in dem sie liegt. Klar und rein strahlt die Farbe mir entgegen, unbefleckt von den Hass und dem Leid um uns herum und dennoch nicht. Fast friedlich liegt die Miko regungslos vor mir, während sich Tränen in meinen Augen sammeln. Ein Schluchzen schüttelt meinen Körper, als ich mich aufrichte und zu der alten Frau robbe. Schmerz erfüllt meinen Körper, doch die Trauer und Verzweiflung scheinen ihn leicht zu betäuben. Ich richte mich bei ihr angekommen auf und bette ihren Kopf auf meinen Schoss, die Tatsache ignorierend, dass mein Blut ihr Gesicht benetzt. Ihre Augen sind halb geöffnet und leicht nach oben verdreht. Ausdruckslos und stumpf blciken sie ins Leere. Bereits dieser Anblick sagt mir, dass es vorbei ist. Dennoch presse ich fest auf ihre blutende Wunde, nicht gewillt, den Glauben aufzugeben. Wie warme, rote Farbe quellt Blut hervor und lässt mich laut aufschluchzen, als ich keinen Weg finde, es zu stoppen.
„Kaede?“
Meine Stimme klingt fremd, tief traurig und gebrochen. Zitternd lecke ich mir die salzigen Tränen von meinen Lippen und versuche es erneut.
„Kaede!?“
Dieses mal etwas laut. Ein heller, grüner Blitz erleuchtet kurz den Himmel und hüllt das Gesicht der alten Dame in eine blasse, kranke Erscheinung. Ein Schluchzen dröhnt durch meine Ohren, ehe noch mehr Tränen meine Wangen erkunden. Die alte Frau rührt sich nicht. Meine Hände streichen vorsichtig über ihre kalte Wange, fahren durch ihr graues Haar, doch nichts ändert sich. Wachsam, fast schon ängstlich tasten meine blutverschmierten Finger nach ihrem Puls an ihrem Hals, erwarten einen pochenden Wiederschlag, ein Zeichen des Lebens. Sekunden fühlen sich wie Minuten an, während ich mein eigenes Blut durch die Adern schießen höre. Doch nicht bei Kaede. Regungslos liegt ihre faltige Haut an meinen Fingern.
Verzweifelt schließe ich die Augen und suche einen neue Stelle zum prüfen ihres Pulses. Nichts. Starr sind meine Augen auf die tote Gestalt vor mir gerichtet, während ich im inneren versuche zu verstehen, wieso. Wieso musste sie sterben? Wieso gerade jetzt? Wo ihr doch jetzt die Last, die Nachfolge ihrer Schwester zu sein genommen wurde. Sie hätte endlich ihr Leben leben können. Nach so vielen Jahren der Treue zu ihrem Dorf.
Unverständnis erfüllt mich. Und mit dem Unverständnis und der Verzweiflung kommt noch etwas anderes. Wild pulsiert es in meinen Adern, taucht meine Sicht in einen rötlichen Schleier, lässt mich die Schreie und das Flehen der Frauen und Kinder hören. Mein Körper fängt an zu beben, angetrieben von einer Kraft, tief in mir. Shintou meinte einmal zu mir, dass die größte Kraft aus unseren Gefühlen entspringt. Sie gibt uns den Antrieb weiter zu machen, unsere Schmerzen zu vergessen und an unsere Grenzen zu gehen. Doch diese zu kontrollieren ist eine schier unmögliche Sache. Ich schlucke, atme tief ein und öffne meine Augen. Auch wenn ich seinen Worte noch genau in meinem Kopf hallen höre, so habe ich mich bereits entschieden.
Ich lasse los, setzte eine Energie frei, die sich wie eine Druckwelle über das Dorf verbreitet. Eine schöne, jedoch so gefährliche Barriere, glitzernd wie tausend Sterne. Die Dämonen werden zurückgedrängt oder ganz geleutert. Inu Yasha, sowie meine anderen Freunde bleiben verschont. Meine Liebe zu ihnen beschützt sie, lassen sie die Barriere unbeschadet überstehen. Eine bedrückende, gespannte Ruhe liegt nun in der Luft. Ich spüre die Blicke auf mir ruhen, als ich mich erhebe und hinauf zum Himmel blicke, während ich voher Kaedes Augen mit meinen Fingern sachte schließe. Seine vor Wut gewordenen roten Augen blicken in die meine. Bewusst versuche ich meine Aura mit Zorn und Wut zu tränken, um ihm zu zeigen, dass er zu weit gegangen ist. Das erste mal in meinem Leben glaube ich, vom richtigen Weg abgekommen zu sein. Deutlich spüre ich das Unreine in mir aufquellen, sich ausbreiten, wie Unkraut. Immer weiter bis es schließlich meinen Gesamten Körper zu vergiften scheint. Ich wusste, dass die Kriegerischen Staaten schlimm sein werden. Zorn und Hass wird zum Alltag gemacht. Krieg und Leid gehören zu jedem Tag. Doch so etwas, das scheint selbst mich zu zerstören.
Shou zieht sich nur widerwillig zurück. Als seine Aura verschwindet laufen mir die ersten Tränen über die Wange. Ich blicke hinab zu der blassen Gestalt zu meinen Füßen. Fast schon friedlich liegt sie dort, man könnte denken sie würde schlafen, doch das viele Blut an ihr erzählt die wahre Geschichte. Still treten die Dorfbewohner heran. Einige höre ich schluchzen, andere fangen bitterlich an zu weinen. Hinter mir spüre ich eine bekannte Wärme und erschöpft lehne ich mich an ihn. Leere erfüllt meinen Körper. Der Klos in meinen Hals scheint sich nicht auflösen zu wollen, stattdessen wird er eher größer. Schwer schlucke ich den bitteren Geschmack in meinem Mund herunter, während meine Kiefermuskeln dabei stark schmerzen. Der Himmel bleibt dunkel und schon bald spüre ich die ersten kalten Regentropfen auf meiner gereizten Haut. Inu Yasha legt mir seinen Mantel um die Schulter und zieht mich von der Toten weg. Als ich versuche seinem Drängen nachzugeben holt der Schmerz mich aus meiner tiefen Trance. Schwer hustend spucke ich Blut, gehe in die Knie und fasse mir über der Brust an die Wunde. Sofort eilen Sango und die anderen an meine Seite. Inu Yasha hebt mich auf seine starken Arme und trägt mich fort ohne auf die Anderen zu achten. Ich lasse es geschehen. Ich weiß wo er mich hinbringt. Zu dem einzigen Halbdämon der mir in diesem Moment wirklich helfen kann....