Ein schicksalshafter Nachmittag
Kapitel 1:
EIN SCHICKSALSHAFTER NACHMITTAG
»Ich werde dich nicht sterben lassen. Selbst, wenn ich sterben muss, um dich zu retten!«
Es war ein milder Nachmittag Anfang April. Zwar schien die Sonne in ihrer vollen Pracht und Schönheit über dem strahlend blauen Himmel, doch ihren Strahlen gelang es nicht, den Menschen auf der Erde die notwendige Wärme zu spenden aufgrund der anhaltenden, nach wie vor sehr kühlen, Luft.
Ran und Conan waren ins Einkaufszentrum gegangen, um ein paar Lebensmittel für das Abendessen zu kaufen und um sich nach einem geeigneten Geschenk für Shinichi umzusehen. Schließlich stand in einem Monat sein Geburtstag an.
Eigentlich war sie viel zu früh dran; dennoch wollte Ran offensichtlich schon jetzt nach einem Geschenk Ausschau halten. Sie war schon jetzt ganz aufgeregt, obwohl ja gar nicht feststand, ob sie ihm das Geschenk überhaupt persönlich und pünktlich übergeben konnte. Sie hoffte inständig, dass sie es schaffen würde, ihn dazu zu überreden, wenigstens an seinem Geburtstag mal wieder hier aufzutauchen. Nach Hause zu kommen. Zu ihr.
Es versprach, ein gewöhnlicher Tag zu werden. Ein Tag wie jeder andere auch. Niemand erwartete, dass heute ein großes Unglück passieren würde. Am wenigsten Ran und Conan. Obwohl auch sie davon betroffen werden würden.
Für beide würde ab diesem Tag nichts mehr so sein wie vorher.
»Magst du eigentlich Zitronenkuchen, Conan?«, fragte Ran ihren kleinen Schatz gut gelaunt, während sie Hand in Hand mit ihm durch die Geschäfte schlenderte.
»Oh ja, das ist mein Lieblingskuchen!«, antwortete Conan mit einem freudigen Strahlen. Das war eine der wenigen Male, wo diese kindliche Art von ihm nicht aufgesetzt war.
Er liebte Zitronenkuchen. Am allerliebsten aber den selbstgebackenen Kuchen von Ran. Alleine schon bei dem Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen.
In Ran hingegen machte sich für einige Sekunden eine schleichende Melancholie breit. Eine Melancholie, mit der sie sich in letzter Zeit leider sehr vertraut gemacht hatte. Unfreiwilligerweise.
Es war auch sein Lieblingskuchen …
Wieder einmal dachte sie mit Wehmut an ihn. Wie schon so oft. Eigentlich verging kein einziger Tag, wo sie nicht an ihn dachte. An Shinichi.
Es wäre selbst dann schon schwer, nicht immer an ihn zu denken, wenn sie nicht in ihn verliebt gewesen wäre. Denn ständig jemanden um sich zu haben, der sie so sehr an Shinichi erinnerte, konnte ja nur unweigerlich Gedanken an ihn hervorrufen. Und da sie ihn nun einmal wirklich unsterblich liebte, standen ständig kreisende Gedanken um ihn an ihrer festen Tagesordnung.
Sie schaute nach vorne und schritt weiter mit ihm voran.
»Es ist wirklich immer wieder verblüffend, was für Gemeinsamkeiten ihr eigentlich habt. Ihr habt am gleichen Tag Geburtstag, könnt beide nicht singen, seid unglaublich schlau und intelligent und mögt auch noch den gleichen Kuchen. Zwar seid ihr weit entfernte Verwandte, aber ihr könntet glatt als Klone durchgehen.«
Sie versuchte, heiter zu klingen, doch die Trauer in ihrer Stimme konnte sie nicht verbergen.
»Oder als ein– und derselbe«, dachte sich Conan ironisch und sah betrübt zu Boden. Natürlich entging ihm nicht der Kummer, der in ihrer Stimme mitschwang.
Er hätte auf ihre Frage genauso gut mit einer Lüge antworten können, doch … er hatte die Lügen endgültig satt. Er wollte nur noch auf Lügen zurückgreifen, wenn es wirklich nicht anders ging. Keine einzige Lüge mehr als unbedingt erforderlich. Das war in seinen Augen das Mindeste, was er tun konnte, um seinen Prioritäten treu zu bleiben und vor allem Ran gegenüber so ehrlich und fair wie möglich zu sein. Insgemein hoffte er wohl auch, seine Fehler ein bisschen wiedergutzumachen.
Doch es gab tatsächlich etwas, was seine Stimmung deutlich hob und ihn nicht gleich Trübsal blasen ließ: Die Gewissheit, dass er seinem Ziel so nahe wie noch nie war.
Ja, denn er hatte vor einigen Tagen endlich das Versteck der Schwarzen Organisation ausfindig gemacht und würde bald auch zuschlagen. Und dann würde er die Originalrezeptur des Giftes in die Finger bekommen und wenn alles gut laufen würde … Ja, dann könnte er vielleicht sogar rechtzeitig an seinem Geburtstag endlich wieder zurück sein und ihr Geschenk persönlich annehmen, so wie sie und er es sich wünschten. Er verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, dass etwas eventuell schief laufen könnte, denn: Es musste einfach klappen! Er musste es einfach schaffen! Es gab einfach keine andere Option!
»Was hältst du von dem neuesten Krimi–Roman? Den wird er bestimmt noch nicht haben, schließlich ist er heute erst rausgekommen. Der Autor feiert damit sein Debüt und der Klappentext klingt äußerst vielversprechend. Davon wurde doch auch in den Medien schon überall berichtet, dass es sich hierbei um einen neuen Bestseller handeln soll.« Die Brünette schlug willkürlich eine Seite auf und überflog sie. »Gut geschrieben scheint es auch zu sein, soweit ich das beurteilen kann. Also das nehme ich schon mal auf jeden Fall. Ich hoffe nur, dass er ihn nicht schon gekauft hat bis dahin. Er hat ja so viel um die Ohren wegen seinen Fällen, dass er nicht mal mehr nach Hause kommt. Da wird er wohl kaum Zeit haben, sich in Buchhandlungen aufzuhalten. Glaubst du das nicht auch, Conan?«
Der Angesprochene schmunzelte. Sie kannte ihn wirklich und wusste, was ihm gefiel. Mehr noch: Er war sich sicher, dass sie dieses Buch ganz bewusst ausgesucht und zu Hause schon gründlich darüber recherchiert hatte. Sie wollte einfach nur nicht offen zugeben, dass sie sich bereits wochenlang über sein Geschenk den Kopf zerbrochen hatte.
»Es wird ihm bestimmt gefallen. Und ich denke auch, dass er keine Zeit haben wird, um sich dieses Buch zu kaufen«, antwortete er mit einem wissenden Lächeln und nickte nochmal, um seine Meinung zu bekräftigen.
Zufrieden mit ihrem Fang machte sie sich gemeinsam mit Conan zur Kasse, zahlte und lehnte das Angebot, das Geschenk verpacken zu lassen, dankend ab. Sie wollte es selbst für Shinichi verpacken. Mit ganz viel Liebe.
Bei dem Gedanken wurde sie etwas rot um die Nase.
Ob der Krimispinner ihre Mühen überhaupt zu schätzen wusste? So, wie sie ihn kannte … wohl eher nicht. Aber das war ihr auch ganz recht. Es wäre ihr sogar unangenehm, wenn nicht sogar peinlich, wenn er genau wissen würde, was für einen Wirbel sie um sein Geschenk veranstaltete.
Fröhlich spazierten sie aus dem Buchhandel, als sie wie aus dem Nichts einen ohrenbetäubenden Pistolenschuss hörten, der durch Mark und Bein ging. Geschockt verharrten die beiden mitten in der Bewegung. Conan überwand als Erstes seine Starre und sah sich panisch um. Eine Frau sackte ungefähr zwanzig Meter hinter ihnen leblos zusammen.
Verdammt, wo kam der Schuss her?
Seine Gedanken überschlugen sich, als er versuchte, den Ursprung des Schusses ausfindig zu machen.
Abermals zuckte er zusammen.
Noch ein Knall.
»Vorsicht, Amokläufer!«, schrie plötzlich eine Frau hysterisch, und keine Sekunde später wurde auch sie erschossen.
In kürzester Zeit lagen drei Leichen auf dem Boden.
»Oh mein Gott …«, flüsterte Ran fassungslos und wurde kreidebleich im Gesicht. Unbewusst suchte sie nach Halt. Es war, als würde der Boden ihr unter den Füßen gerissen. Es drehte sich ihr der Magen um.
Es war unbedeutend, wie oft sie in ihrem Leben schon Leichen gesehen hatte – niemals würde sie sich an diesen grauenhaften Anblick gewöhnen können. An diese leblosen Fratzen, die nie friedlich aussahen. Die nie auf natürlichem Wege aus dem Leben geschieden waren. In denen immer Angst zu lesen war. Todesangst.
Tag von Tag mit dem Tod konfrontiert zu werden; ihm ins Gesicht zu blicken, härtete die Siebzehnjährige nicht ab. Im Gegenteil: Diese Taten sensibilisierten sie nur noch stärker. Auf den eigentlichen Wert des Lebens und des Todes und auf die traurige Gesellschaft, die geprägt war von Hass, Eifersucht und Mordlust.
Und es war noch einmal etwas ganz anderes, zu sehen, wie Menschen direkt vor einem ermordet werden. Mit eigenen Augen zusehen zu müssen, wie jegliches Leben aus ihren Augen erlischt. Und hilflos zu sein, weil man nichts tun kann, um das Leid zu verhindern. Weil man nichts machen kann, um dem übermächtigen Tod die Stirn zu bieten. Rein gar nichts.
Ran schüttelte sich gedanklich und fasste sich wieder. Sie musste handeln! Für all die unschuldigen Menschen, die sich hier befanden.
»Conan!« Sie griff nach ihm, drückte ihn hinter sich und stellte sich schützend vor ihn. Durch ihren langen, roten Trenchcoat, den sie offen trug, hoffte sie, dass der Täter ihn nicht entdecken würde oder bereits entdeckt hatte.
Inzwischen war ersichtlich, wer für das schreckliche Blutbad verantwortlich war: Ein Mann Ende Zwanzig, der am Eingang des Einkaufszentrums stand, hielt mit zitternden Händen und verzweifeltem Gesichtsausdruck den Revolver in beiden Händen und wirkte äußerst verloren und unsicher. Schweißtropfen rannen ihm wie kleine Rinnsale das Gesicht hinunter; sein Atem ging schnell und schwer, als hätte er gerade einen Marathonlauf hinter sich gebracht. Äußerlich machte er nicht unbedingt einen sportlichen oder dynamischen Eindruck – mit seiner Brille und seinem grauen Anzug sah er eher aus wie ein Angestellter einer seriösen Firma. Jedenfalls hätte man ihm durch seine äußere Erscheinung nicht zugetraut, dass er drei Menschenleben auf dem Gewissen haben könnte. Hätte man es nicht mit eigenen Augen gesehen.
Im Einkaufszentrum Tokyos brach Panik aus. Ängstliches Geschrei von Frauen und Mädchen, erschrecktes Gebrüll von Männern und panisches Gejammer von Kindern erfüllten wie ein Lauffeuer das gesamte Gebäude.
Inmitten dieser Menschenmassen standen Ran und Conan, die im Vergleich zu den anderen Besuchern die notwendige Ruhe bewahren konnten und den offensichtlich verwirrten Mann nicht aus den Augen ließen.
»Bitte kommen Sie wieder zur Vernunft und legen Sie die Waffe ab!«, rief Ran ihm aufmunternd zu, nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hatte.
»Was weißt denn du junges Mädchen schon! Du kannst mich nicht verstehen! Niemand kann das! Meine geliebte Misaki hat mich verlassen für den Hurensohn von Geschäftsmann, dem zufällig dieses Einkaufszentrum gehört. Und ihr seid auch noch so naiv und kauft hier für diesen Bastard ein! Hier kommt niemand mehr lebend raus. Ich werde dieses verdammte Einkaufszentrum in die Luft jagen!« Unschlüssig richtete er seine Waffe drohend von der einen zu der anderen Person.
Um zu demonstrieren, dass es sich nicht um eine leere Drohung handelte, riss er mit einem Mal seine graue Jacke auf und gewährte Einblick auf die Bombe, die um seinen Bauch gebunden war.
Plötzlich war es still. Jeder starrte entsetzt auf die Bombe. Als ob es nicht schon beängstigend genug war, dass hier geschossen wurde.
Aus Angst, auch nur durch einen leisesten Ton die Bombe zu betätigen, trauten sich die Anwesenden nicht einmal mehr laut auszuatmen. Die Luft war gänzlich ausgefüllt mit Todesfurcht. Jeder bangte um sein Leben. Jeder betete dafür, diesen Tag lebend zu überstehen. Alle Blicke ängstlich auf den fremden Mann geheftet, als ob sie dem Tod selbst ins Auge blickten.
»Ich muss nur auf diesen schönen Knopf hier drücken und dann wird dieses Einkaufszentrum innerhalb von einer Minute Geschichte sein!«, lachte er höhnisch auf und sah mit weit aufgerissenen Augen zur Decke. »Und Misaki wird für immer mit dieser Schuld leben. Der Hurensohn müsste auch im Zentrum sein. Damit wird sie alles verlieren. Ihren neuen Geliebten, den sie einfach gegen mich eingetauscht hat, das ganze Einkaufszentrum, mich und alle Menschen, die sich nun hier befinden. Alle wird sie auf dem Gewissen haben, und mit dieser Schuld wird ewig leben müssen, diese Schlampe.«
Conan biss seine Zähne zusammen. So ein verdammter Mist. Was sollte er jetzt nur tun?
Ihm war natürlich sofort klar, warum er das alles tat: Durch den Amoklauf wollte er beweisen, dass er es wirklich ernst meinte und den Geliebten seiner Verflossenen damit in Angst und Schrecken versetzen. Sowie auch den Rest des Landes, die bestimmt schon Notiz von der unkontrollierten Schießerei genommen hatten. Somit sollte auch seine ehemalige Freundin durch die Medien das Elend mitverfolgen können, um in Selbstvorwürfen irgendwann zu ertrinken.
Aber das war im Anbetracht der Situation zweitrangig: Er musste unbedingt einen Weg finden, alle Leute in Sicherheit zu bringen. Und das so schnell wie möglich. Er durfte keine unnötige Zeit verlieren. Hier könnten Bruchteile von Sekunden entscheidend sein für Leben oder Tod.
»Wollen Sie, dass Misaki Sie so in Erinnerung behält? Als kranken Psychopathen? Was erhoffen Sie sich von dieser Aktion? Damit ist niemandem geholfen. Kommen Sie doch zur Vernunft!« Ran hoffte, mit ihren Worten zu ihm durchdringen zu können. »Ich kann verstehen, dass Sie sich gedemütigt fühlen, doch bitte … Ziehen Sie nicht noch mehr Unschuldige mit hinein. Lassen Sie sich helfen! Ich werde Ihnen helfen! Ich verspreche es Ihnen!«
Von Angst war keine Spur zu sehen. Im Gegenteil: Ihr Gesicht strahlte pure Entschlossenheit aus. Sie hatte auch eine Entscheidung getroffen: Sie würde nicht zulassen, dass ein weiteres Unglück geschehen würde. Koste es, was es wolle. Sie würde dies mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern wissen!
»Mir ist nicht mehr zu helfen. Es ist zu spät – ich habe schon drei Menschen auf dem Gewissen. Ihr Blut wird für immer an meinen Fingern kleben.« Der Mann hielt inne und sah mit leerem Blick zu einem unbestimmten Punkt. Es schien, als ob ihm erst jetzt klar wurde, was er eigentlich getan hatte. Denn in seinen Augen war unverkennbar Reue zu sehen. Mit dieser Schuld konnte er niemals weiterleben. Mit seinem eigenen Leben hatte er schon längst abgeschlossen.
Einige Sekunden später kam er wieder zu sich, blickte hoch und schrie Ran hysterisch an: »Und was verstehst du schon? Keiner kann mich verstehen und kann nachvollziehen, was für ein Leid ich durchmachen musste!
Es sind doch alle Menschen gleich! Jeder lebt glücklich und zufrieden sein Leben. Dabei kümmert ihr euch einen Dreck um die Menschen, denen es nicht so gut geht! Eher macht ihr euch über das Leid der anderen lustig. Hauptsache, euch geht es gut! Das kotzt mich so an; euer Glück! Euer purer Egoismus! Warum können nie diejenigen glücklich sein, die es wirklich verdient haben? Ziemlich ungerecht, findest du nicht auch?«
Er sah Ran tief und forschend in die Augen.
Diese überkam plötzlich ein ganz seltsames Gefühl. Eine mehr als nur unbehagliche Vorahnung. Es war, als ob schon bald etwas ganz Schreckliches eintreten würde. Und damit war nicht die Bombe gemeint.
Er hatte es nun auf sie abgesehen.
Ihre Fäuste ballten sich fest zusammen vor Anspannung, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. Ihr war innerlich eiskalt; ihre Knie drohten ihr zu versagen.
Sie schluckte. Nein, sie durfte jetzt nicht in Panik verfallen. Nicht jetzt. Sie durfte keine Angst um ihr Leben haben. Hier stand weitaus mehr auf dem Spiel.
Schlagartig witterte sie die Chance. Das war die Gelegenheit, alle unschuldigen Menschenleben zu retten.
Vielleicht gab er sich ja damit zufrieden, wenn er nur ihr das Leben nehmen würde.
Vielleicht … würde für ihn dadurch die Gerechtigkeit auf dieser Welt wiederhergestellt werden?
Ein Versuch war es wert. Ihr blieb gar keine andere Wahl.
Am liebsten hätte sie sich umgedreht und sich von Conan verabschiedet – doch das wäre zu auffällig gewesen. Schließlich gab sie sich alle Mühe, dass der Verrückte vor ihr den Kleinen nicht entdeckte.
Bevor sie sentimental werden konnte, wollte sie schon ansetzen und ihm ihr aufopferndes Angebot unterbreiten, doch er ergriff das Wort schneller.
»Solche warmen Augen könnten niemals so unschuldig und rein aussehen, wenn sie so ein Leid auch nur ansatzweise erfahren haben. Soll ich dir mal zeigen, wie ich mich fühle? Wenn du deinen kleinen Bruder verlierst … Erst dann wirst du mich verstehen können! Und dann darfst du mir auch helfen!«
Fassungslos weitete Ran ihre Augen. Ihr innerer, viel schlimmerer Verdacht, der so furchtbar war, dass sie ihn nicht einmal in Gedanken hervorrufen konnte, hatte sich damit bestätigt. Ihr schlimmster Albtraum war nun wahr geworden.
Instinktiv blickte sie nach rechts und musste mit Schrecken erkennen, dass er längt nicht mehr hinter ihr, sondern neben ihr stand. Sie hatte das gar nicht bemerkt. Sie hatte sich gar nicht getraut, sich anderweitig umzusehen und den Blick von dem bewaffneten Mann abzuwenden aus Angst, dass er darauf aufmerksam werden könnte, dass sie Ausschau nach jemandem hielt.
Verflucht – warum konnte dieser Junge nicht einmal das tun, was man ihm sagte?!
Doch sie hatte keine Zeit mehr. Keine Zeit, sich über ihn aufzuregen geschweige denn ihn zu belehren. In wenigen Sekunden würde sogar die Frage im Raum stehen, ob ihr überhaupt noch Zeit für irgendetwas blieb.
In diesem Moment richtete der Amokläufer seine Waffe auf Conan. Drei Schüsse folgten.
Ran überlegte nicht lange und stellte sich schützend vor den kleinen Jungen.
»Conan, lauf weg!«, schrie sie ihm entgegen.
Plötzlich sah sie nur noch ihn. Alles drehte sich nur noch um diesen kleinen Jungen. Nichts erschien ihr in diesem Moment wichtiger. Nichts, außer, das Leben dieses Jungen, der für sie inzwischen wie ein kleiner Bruder war, zu beschützen. Unter allen Umständen. Mit Einsatz ihres eigenen, unwichtigen Lebens.
»Ich werde dich nicht sterben lassen. Selbst, wenn ich sterben muss, um dich zu retten!«
Ein markerschütternder Schrei Conans erfüllte das gesamte Gebäude, als er hilflos zusehen musste, wie Ran – seine Ran – von allen drei Schüssen getroffen wurde.