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Destiny's Prey

von

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Flucht aus Merodin

Während außerhalb des Schlosses die Vögel zwitscherten und innerhalb der Mauern die Schritte von patrouillierenden Wachen widerhallten, konnte man bei genauerem Hinhören immer wieder leichte und schnelle Schrittlaute bemerken, die sich unaufhörlich einem der Räume der königlichen Familie näherten. Ein Paar silberfarbener Augen sah sich prüfend um, bevor die Person der diese gehörten sich eilig zur Tür stahl und sie unter mäßigem Kraftaufwand auf schob.

»Erion!«, flüsterte eine helle Stimme, während sie die schwere Tür hinter sich wieder zu drückte.

Der blonde Junge an seinem Schreibtisch drehte sich nicht um, schrieb einfach stur weiter.

»Erion, komm schon!«

Diese bettelnde Stimme kannte er zu gut, um sie ignorieren zu können. Erion wusste, dass er nicht mehr dazu kommen würde sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren, wenn er jetzt nicht auf das Betteln reagierte. Seufzend drehte er sich zu dem Mädchen, das inzwischen neben ihm stand und neugierige Blicke auf die Papiere auf dem Schreibtisch warf.

»Was ist denn?«, fragte er einlenkend.

»Die Sonne scheint, komm raus spielen!«, erwiderte das Mädchen gut gelaunt und aufgeregt.

Erion seufzte nur noch mehr.

»Ich kann jetzt nicht spielen, Faye. Ich muss meine Aufgaben machen. Mein Tutor kommt in 3 Stunden um sie zu überprüfen.«

Faye sah den jungen Prinzen mit einem breiten aber lückenhaften Grinsen an. Einer ihrer Schneidezähne fehlte, seitdem sie vor einigen Tagen von einem der Bäume im Schlossgarten gefallen war.

»Bis dann sind wir doch schon wieder da!«, beteuerte sie und zog auffordernd an seinem Arm.

»Und wann soll ich die Aufgaben machen, Faye? Ich bin noch nicht fertig.«

»Dann gehen wir nur eine Stunde spielen oder so. Okay? Bitte komm mit mir spielen, Erion. Bitte, bitte!«

 

Faye klang fast schon ein wenig quengelnd, grinste ihn aber immer noch breit an. Sie schien einfach nicht klein bei geben zu wollen. Unnachgiebig fixierte sie Erion und wartete hoffnungsvoll auf seine Zustimmung. Da Faye sich offensichtlich nicht umstimmen lassen würde, seufzte Erion erneut und gab schließlich nach.

»In Ordnung. Ich komme eine Stunde mit raus...«

»Hurra!«, jauchzte Faye und zog noch etwas mehr an seinem Arm.

»Und wie wollen wir hier raus kommen? Draußen patrouillieren Wachen, seitdem man von Aufständischen in Merodin gehört hat«, bemerkte Erion und rutschte von seinem Stuhl.

Fayes Grinsen wurde noch breiter, als sie die Fäuste in die Hüfte stemmte.

»Überlass' das mir!«

Lachend zog sie Erion zur Tür und diese ein winziges Stück auf, nur um sie einen Moment später mit einem lauten Knall wieder zu zu werfen.

»Komm hier rüber«, wies sie ihn flüsternd an, lotste ihn eilig hinter ein Regal.

Es dauerte auch nicht allzu lange bis ein paar Wachen, angelockt von dem lauten Geräusch, alarmiert die Tür öffneten und in den Raum liefen.

»Prinz Erion? Prinz Erion, seid Ihr hier?!«

 

Faye deutete Erion an leise zu sein und zog ihn stumm hinter sich her. Die Leibwächter waren zu beschäftigt damit den Raum nach selbst dem kleinsten Anzeichen des Prinzen abzusuchen; sie sahen sogar aus dem Fenster um sicher zu gehen, dass man ihn nicht nach draußen verschleppt hatte. Womit sie dieses Mal überraschenderweise nicht einmal so falsch gelegen wären. Denn nachdem Faye und Erion dessen Zimmer verlassen hatten, waren sie nun auf dem direkten Weg nach draußen.

Natürlich war es nicht ungefährlich den Prinzen ohne das Wissen der Garde oder seiner Eltern mit nach draußen zu nehmen, selbst wenn es nur der Schlossgarten war. Von der Tatsache abgesehen, dass man es ihm sicherlich nicht erlaubt hätte, machte sich auch keiner der beiden Gedanken über die Gefahr, die ohne Schutz da draußen auf den jungen Prinzen warten könnte. Für solche Voraussicht waren die beiden einfach noch zu jung. Besonders Faye mit ihren viereinhalb Jahren hätte niemals daran gedacht. Schließlich war sie ein einfaches Kind, das keine größeren Gefahren zu erwarten hatte, wenn sie sich außerhalb des Schlosses aufhielt.

 

»Guck, guck!«, flüsterte Faye freudig, nachdem sie Erion in ihr Versteck gezogen hatte, »Da ist keine einzige Wolke am Himmel! Toll oder?«

Gut, Erion war nicht so euphorisch wie Faye, aber er musste doch irgendwie zugeben, dass es toll war draußen zu sein. Als Thronfolger hatte er nun mal  viele Pflichten und wenig Freiheiten und dadurch genoss er die Zeit die er außerhalb des Schlosses verbringen konnte umso mehr.

»Was willst du eigentlich spielen?«, fragte er deshalb doch ein wenig neugierig und sah rüber zu Faye.

Die jedoch drückte ihm ihre Hand auf seinen Mund und zischte ihn leise an.

»Die suchen nach dir.«

Stumm deutete sie auf die Wachen, die wie aufgescheuchte Hühner durch den Schlossgarten irrten. Scheinbar hatte jemand sie darüber informiert, dass Erion eigentlich gerade seinen Pflichten nachzugehen hatte und offensichtlich nicht in seinem Zimmer war. Das bedeutete aber auch, dass sie wohl nicht im Schlossgarten bleiben konnten und Fayes Pläne damit über den Haufen geworfen wurden. Schließlich konnten sie nicht die ganze Zeit in ihrem Versteck sitzen und darauf warten, dass die Wachen endlich aufgaben.

 

Nachdenklich legte Faye unwillkürlich den Kopf schief. Irgendwas musste ihr doch einfallen, was sie unternehmen könnten ohne gleich erwischt zu werden. Geistesabwesend starrte sie auf das Blattwerk vor sich, die Leibgarde immer noch lautstark nach Prinz Erion suchend.

»Oh, ich hab’s!«, jauchzte Faye stumm in Gedanken und sah zu Erion.

Still deutete sie in die Richtung in die sie mit ihm verschwinden wollte und kroch langsam und so geräuschlos wie möglich als erste durch die Sträucher. Der Weg war nicht ganz das was man gut begehbar nennen würde, aber so würden sie vermutlich ungesehen aus dem Schlossgarten und zu Fayes beabsichtigtem Ziel gelangen.

 

Weitestgehend lautlos und für die Verhältnisse von so kleinen Kindern sogar recht schnell gelangten sie an Fayes – wie sie es nannte – geheimes Fort. Natürlich war dieses Fort, keine richtige Festung und außerhalb kindlicher Fantasie gab es wohl nichts was einer Festung unähnlicher war, aber für Faye reichte es vollkommen. Mit Erion zusammen stand sie vor einem umgestürzten Baum, den Faye selbst mit kleinen Ästen von Bäumen und Sträuchern bedeckt hatte. Diese Konstruktion ergab so einen winzigen Unterschlupf in dem höchstens zwei Kinder Platz hatten. Für Faye und Erion also gerade ausreichend.

Zudem war Fayes Fort an einem Fluss gelegen, den sie als Burggraben nutzte. Freudestrahlend darüber endlich angekommen und vor allem den Wachen entkommen zu sein, drehte sie sich zu ihrem Begleiter um und lachte ihn wieder einmal mit ihrem lückenhaften Grinsen an.

»Und jetzt spielen wir!«, verkündete sie entschlossen und zog Erion über die kleine etwas instabile Holzbrücke die über den Fluss führte.

 

»Und was willst du spielen?«, fragte er, während er sich ohne Gegenwehr ziehen ließ.

Faye lachte, war es für sie doch mehr als offensichtlich, was sie spielen würden.

»Wir müssen das Fort zurück holen!«, gab sie freudig kund und ließ Erion schließlich los um für ihn und sich ein Schwert zu suchen.

Man musste natürlich nicht erwähnen, dass die vermeintlichen Schwerter zwei abgebrochene Äste waren und Faye sogar ein paar kleine Steine suchte, um diese als Wurfgeschosse zu verwenden.

»Papa Asad sagt immer, wenn man etwas nicht mehr hat, dann muss man es zurück holen! Und weil ich ja nicht da war, muss ich das Fort zurück holen und du hilfst mir, ja?«, erklärte sie nur sehr kurz und wies Erion dann an, was er zu tun und vor allem wie er es zu tun hatte.

Faye mochte zwar klein, jung und recht naiv sein, aber sie wusste immer was sie wollte. Und wenn sie etwas wollte, dann musste es auch so passieren wie sie wollte, dass es passiert. Noch konnte sie ja nicht wissen, dass in ihrem späteren Leben viel zu viel ganz anders passieren würde, als sie es sich vorgestellt hatte.

Nach einer Weile beschloss Faye allerdings, dass sie das Fort wieder zurück erobert hatten und warf ihr mutmaßliches Schwert zurück in die Büsche. Für sie war es jetzt an der Zeit etwas anderes zu spielen, weshalb sie sich jetzt in ihre kleine Festung setzte und Erion abwartend ansah. Dieser schien ihren Gedankensprüngen allerdings nicht so recht folgen zu können und sah sie daher fragend und etwas ratlos an.

»... und jetzt?«, hakte er nach da einfach keine Erklärung von ihr kam.

»Wir haben das Fort zurück geholt. Jetzt bin ich die Prinzessin und du musst mich jetzt retten«, meinte sie eindringlich und mit einer Selbstverständlichkeit, die Erion ehrlich gesagt ein bisschen überwältigte.

Deshalb stand er auch einfach weiter da und sah Faye an.

»Du musst jetzt da rüber gehen und dann musst du über den Graben und an den Fallen vorbei und den Drachen besiegen und mich retten!«, erklärte sie leicht schmollend.

Schließlich musste Erion doch klar sein, was er tun muss um eine Prinzessin zu retten. Er war doch ein Prinz. Zumindest war Faye überzeugt davon, dass er so etwas zu wissen hatte. Erion selbst seufzte nur lautlos und ging dann zurück über die Brücke an das andere Ufer und ein Stück in den kleinen Wald hinein.

Immerhin wollte er Faye nicht sauer machen, denn auch wenn sie klein war, war dieses Mädchen unausstehlich wenn sie zornig wurde. Außerdem, auch wenn er es vielleicht nicht offen sagte und wohl auch nicht so recht zugeben wollen würde, Faye war seine Freundin. Und auch als Prinz wusste Erion, dass man Freunde nicht vorsätzlich verärgerte und ihnen mit Respekt und Freundlichkeit begegnete. Also tat er das einzig richtige in dieser Situation und befolgte die Befehle des Mädchens. Jedoch hatte keiner der beiden wissen geschweige denn ahnen können, welche Auswirkungen ihr heutiger Ausflug auf die Zukunft haben würde...

 

Kaum hatte Erion angefangen Fayes Spielanweisungen nachzugehen, geschah schon das Unvermeidliche. Ein etwas in die Jahre gekommener Mann stolperte in Erions Richtung und riss den Jungen regelrecht von den Füßen. Blinzelnd kroch Faye aus ihrem Fort und lief etwas auf die beiden Personen zu, erstarrte jedoch als sie das Messer in der Hand des Mannes erblickte. Natürlich, eigentlich war Faye den Anblick von Waffen gewöhnt, nicht zuletzt durch ihren Ziehvater, aber dieses Mal machte diese Waffe ihr Angst. Sehr große Angst sogar. Sie wusste nicht, wer dieser Mann war und auch nicht, was er mit diesem Messer alles anstellen würde. Sie hatte einfach so fürchterliche Angst, dass sie unwillkürlich zu zittern begann und Tränen ihre hellen, großen Augen füllten.

Auch Erion selbst war der Mann nicht wirklich geheuer. Noch während er sich etwas aufrappelte rutschte er unbewusst weiter nach hinten. Helfen tat es ihm allerdings kaum etwas. Denn kurz darauf griff Erions Gegenüber nach dessen Kragen und stand langsam auf. Erion versuchte sich aus dem Griff zu befreien, denn es fiel im unsagbar schwer zu atmen. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass er gut einen halben Meter über dem Boden nur an seinem Kragen gehalten baumelte.

Wie es schien war der Mann ein herum irrender Dieb. Der abgewetzte Lederbeutel, den er bei dem Zusammenstoß hatte fallen lassen, offenbarte nämlich diversen Schmuck, den er sicherlich nicht selbst trug. Und seinem Aussehen nach zu urteilen war er auch nicht in der Lage diesen rechtmäßig zu erwerben. Und schlimmer noch, er schien Erion auch noch als Prinzen des Landes erkannt zu haben, denn es formte sich ein unheimliches Grinsen in seinem verdreckten Gesicht, welches seine schiefen, gelblichen Zähne entblößte.

Bis heute könnte Faye wohl nicht sagen, woher ihr plötzlicher Mut damals kam, aber als dieser Dieb sein leicht rostiges Messer zu Erions Gesicht hob, bewegten sich ihre Beine wie von selbst. Trotz der Tränen in ihren Augen, der dadurch deutlich verschwommenen Sicht und ihrer vor Angst zitternden Glieder, schnappte sie sich einen der herumliegenden dünnen Äste und rannte, mehr stolpernd als alles andere, auf die im Vergleich zu ihr viel zu große Person zu.

»Lass ihn los, du Doofmann!«, rief sie mit ihrer verweinten und zunehmend schriller und höher werdenden Stimme.

Eine wirkliche Bedrohung stellte sie natürlich nicht dar, was ihr zu diesem Zeitpunkt aber wohl niemals bewusst gewesen wäre. Sie setzte an den Mann mit dem dünnen Holz zu schlagen. Dieser jedoch trat lediglich einen Schritt zurück, brachte Faye so zum Stolpern und holte selbst mit seinem Messer aus.

»FAYE!«
 

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Alarmiert schreckte Faye hoch und sah sich hektisch um. Sie zitterte und ihr stand der kalte Schweiß auf der Stirn, aber langsam bemerkte sie, dass sie wohl nur geträumt hatte.

Es war lange her, seit sie sich das letzte Mal an diesen Tag erinnert hatte. Unwillkürlich griff sie über ihre Schulter und platzierte ihre Hand auf ihrem Rücken, während sie sich aufsetzte. Auch dass sie einige Male tief durchatmete half nicht dagegen, dass ihr gerade unglaublich übel war. Der einzige Trost war, dass es nicht allzu hell war und trotz der eigentlich warmen Tage angenehm kühl. Langsam besah sich Faye die Umgebung etwas genauer.

Dunkel, feucht und ein Gestank der Verwesung in der Luft. Klirrend hohe Schreckensschreie und tiefes verzweifeltes Grollen erklangen aus den Tiefen der Gänge. So stellte man sich für gewöhnlich einen Kerker vor. Doch der Kerker des Königshauses war alles andere als das. Da es nur sehr selten Gefangene gab, war es ziemlich still, eigentlich sogar viel zu still. Ab und zu hörte man die Wachen mit jemandem sprechen oder das leise Quieken von Mäusen. Ansonsten gab es jedoch nur diese beinahe schon erdrückende Stille.

Mit viel gutem Willen konnte man die Zelle in der Faye sich jetzt befand sogar irgendwie als gemütlich bezeichnen. Sie hatte zwar einen etwas strengen Geruch, aber es gab ein kleines vergittertes Fenster und eine Pritsche, auf der sie sich zumindest ausruhen konnte. Das war für einen Kerker wahrscheinlich nicht einmal schlecht. Nicht, dass Faye schon besonders viele Kerker gesehen hatte. Wäre da nur nicht die Tatsache gewesen, dass sie hingerichtet werden sollte...

Man hatte ihr noch keine genaue Zeitangabe gegeben, aber das musste zumindest meinen, dass sie noch ein paar Tage hatte. Auch wenn sie sich im Moment nicht sicher sein konnte, wie viel Zeit vergangen war. War es eigentlich Tag? Oder war es gerade Nacht? Zwar schien etwas Licht in den Kerker, aber der vergitterte Spalt befand sich zu hoch, als dass Faye genau hätte sagen können, ob es Sonnen- oder Mondlicht war.

 

Immer noch etwas in Gedanken zuckte sie leicht zusammen, als ihr Magen leise knurrte. Faye lachte sacht, wusste sie doch, dass sie nur zu festen Zeiten etwas zu essen bekommen würde, wenn überhaupt. Allerdings erschrak sie doch ziemlich, als man aus der Zelle neben ihr plötzlich ein wesentlich lauteres, tieferes und auch irgendwie furchteinflößendes Grollen hörte. Sie schluckte schwer, während sie ihre Schuhe auszog, auf die Pritsche stieg und durch das schmale Gitter in der Wand in die andere Zelle sah.

Das was sie dort sah lies sie jedoch ein paar Mal blinzeln und dann fast rückwärts wieder von der Pritsche fallen. In der Zelle neben ihrer befand sich tatsächlich jemand aus dem Wolfs-Stamm, von dem man eigentlich dachte er wäre inzwischen ausgestorben. Zögerlich, und nicht ohne vorher noch einmal tief durchzuatmen, streckte sie sich wieder etwas, um einen erneuten Blick auf die Person nebenan erhaschen zu können.

»Was willst du?«, knurrte der dunkelhaarige Junge, der Fayes Meinung nach nicht älter als 15 oder 16 sein konnte.

Jedenfalls kam er ihr nicht wesentlich älter vor.

»Ich...? Ähm... nichts... ich hab nur...«, stammelte Faye, hatte keine Ahnung, was genau sie ihm sagen wollte oder sollte.

Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie jemanden aus dem Wolfs-Stamm zum Anfassen nah vor sich hatte und ihn nicht wie sonst in einem der Geschichtsbücher betrachtete. Sie war gelinde gesagt mit der Situation ein wenig überfordert.

 

Der Wolfs-Stamm war nicht das, was man sich vermutlich dank des Namens darunter vorstellte. Auch Faye hatte als kleines Mädchen gedacht, dass zu diesem Stamm Wölfe gehörten, die schlicht und ergreifend aufrecht auf ihren Hinterläufen umher liefen und die menschliche Sprache beherrschten. Als sie etwas älter wurde, verwandelte sich diese Vorstellung dahingehend, dass sie sich den Wolfs-Stamm als Menschen mit Wolfsohren und einem Wolfsschwanz ausmalte. Doch auch von dieser Ansicht verabschiedete sie sich irgendwann, als General Eesta ihr ein Buch geschenkt hatte, in dem alle bekannten Stämme der Welt bis ins Detail beschrieben wurden. Es war auch nur diesem Buch zu verdanken, dass sie den Jungen in der Zelle neben sich als jemanden aus dem Wolfs-Stamm identifizieren konnte. Denn außer der auffälligen Färbung seiner Haare unterschied ihn absolut nichts von anderen Jungen in seinem Alter.

 

»Wenn du nichts willst, dann steck' deine Nase nicht durch das Gitter«, fauchte der Junge ungehalten, während er sich abweisend mit dem Rücken zu ihr drehte.

Sie überlegte ihn zu fragen, ob er auch Hunger hatte, aber diese Frage erübrigte sich eigentlich, wenn man bedachte dass dies hier ein Gefängnis war. Mal davon abgesehen empfand sie diese Frage sogar für einen Gesprächseinstieg mehr als lächerlich, gab es doch wirklich interessantere Fragen die sie ihm stellen konnte.

»Wie heißt du?«, fragte sie nach einer gefühlten Unendlichkeit.

Zur Antwort bekam sie nur ein weiteres tiefes Grollen. Wie es aussah wollte er wohl nicht mit ihr sprechen. Faye allerdings war nicht nur interessiert an dem anderen, sie konnte sich durch ein Gespräch auch effektiv von ihrem vorherigen Traum ablenken.

»Komm schon, ich sag’s auch nicht weiter. Ich werde sowieso hingerichtet«, feixte sie, obwohl ihr genau genommen kein bisschen zum Scherzen über das Thema zumute war.

Bei diesem Satz jedoch schien der junge Wolf aufmerksam zu werden.

»Du sollst hingerichtet werden?«, fragte er gedämpft aber wiederholend.

Er klang schon fast ein bisschen zu interessiert. Faye nickte dennoch schwer schluckend und wich reflexartig etwas zurück, als er so plötzlich näher kam und gleichzeitig ebenfalls auf seine Pritsche stieg.

»Dann sollte ich dich wohl besser jetzt fressen«, wisperte er todernst und starrte Faye durch die Gitterstäbe an.

Ihr selbst schien jegliches Blut aus dem Gesicht zu weichen, während unkontrolliert eiskalte Schauer über ihren Rücken liefen.

Erst durch ein tiefes aber ausgelassenes und angenehmes Lachen seinerseits wurde sie wieder aus ihrer Starre gerissen.

»Mein Name ist Yaron. Yaron Livir«, äußerte er immer noch lachend und grinste Faye frech an.

Sie blinzelte, sagte aber nichts, sondern atmete einfach tief und erleichtert aus. Er hatte ihr gerade zugegeben einen ganz schönen Schreck eingejagt. Denn so viel wie in den Büchern auch geschrieben stand, letztendlich waren das alles nur Vermutungen. Niemand wusste, ob das was über die Stämme in den diversen Büchern stand auch der Wirklichkeit entsprach.

 

»Du wirst also hingerichtet...«, murmelte Yaron nach  einiger Zeit, »Wofür eigentlich?«

Faye zuckte leicht zusammen. Die Erinnerung daran war nun mal alles andere als  schön und das Gefühl, dass ihr niemand glauben wollte war fast noch schlimmer gewesen als der Anblick des Prinzen.

»Mir wird unterstellt, ich hätte ein Attentat auf Prinz Erion verübt«, nuschelte sie niedergeschlagen, während ihre Augen nach unten wanderten und sie starrte fest auf ihre Hände.

Zumindest solange bis Yaron sich wieder zu Wort meldete.

»Dann sind wir ja schon zwei.«

Irritiert und auch etwas verschreckt sah sie ihren Gegenüber an. Dass er offenbar ebenfalls hingerichtet werden sollte war alles andere als vertrauenerweckend.

»Was... was meinst du damit?«, fragte sie stockend.

Sie hatte wirklich kein gutes Gefühl bei der Frage, wollte die Antwort im Grunde genommen nicht einmal wissen, aber ihre Neugier war einfach zu groß, als dass sie sich hätte zurückhalten können.

»Ich soll auch hingerichtet werden. Weil ich den König umbringen wollte«, erklang Yarons simple und trockene Erklärung.

»D-Den...!! Warum!?«, krächzte Faye und schüttelte ungläubig den Kopf.

Sie konnte weder verstehen noch glauben, dass man allen Ernstes Gründe haben könnte, König Mihul töten zu wollen. Allgemein war es ihr ein Rätsel, wie man die königliche Familie nicht zumindest mögen konnte. Sie alle waren Menschen, die trotz ihrer Macht noch wesentlich menschlicher waren als einige andere Personen die Faye kannte. Yaron allerdings schien das ganz und gar nicht so zu sehen.

»Euer König hat fast unseren gesamten Clan ausgerottet!! Die Zwerge haben sich auch schon über Verluste geäußert, nur die Elfen konnten sich bis jetzt vor ihm verstecken!«, fauchte er und sah Faye sauer und beinahe mörderisch an.

»Das... das kann nicht sein! König Mihul würde so was niemals tun! Er ist ein gerechter und würdevoller König, der keinem anderen Volk absichtlich etwas antun würde!«, versuchte sie verzweifelt den König zu verteidigen, was aber mehr schlecht als recht zu funktionieren schien. Denn Yaron lachte trocken auf und knurrte daraufhin bösartig.

»Du kennst wohl den wahren Charakter deines Königs nicht, was? Wahrscheinlich hast du nicht einmal ‘ne Ahnung davon, was seine Armee für Bestialitäten verübt hat«, grollte Yaron und verschränkte sauer die Arme.

»Mo-Moment mal! Ich bin Leutnant der königlichen Garde! Ich lasse nicht zu, dass du uns so etwas unterstellst!«, fauchte sie ihm nun ihrerseits entgegen, »Wir haben nie jemandem geschadet! Wir waren immer nur dafür da die Königsfamilie zu beschützen!«

 

Yaron starrte Faye an, zeigte nicht die kleinste Regung in seinem Gesicht. Und trotzdem war klar, dass es ihn weder beruhigte, noch dass er ihr glaubte.

»Unwissende... vielleicht warst du nicht daran beteiligt, aber irgendjemand aus deinen Reihen hat unser Dorf angegriffen und es fast gänzlich dem Erdboden gleich gemacht. Kannst du mir das etwa erklären? Das kannst du nicht, richtig? Was hätte es auch sonst mit der Aussage der Soldaten ‘Für Reororia und den König!’ auf sich«, brummte er erbost und ungnädig und sah Faye mehr auffordernd als abwartend an.

Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ihr auffiel wie dumm diese wohl in seinen Ohren klingen musste. Er hatte keine Beweise die eindeutig zeigten, dass Reororia schuldig war. Aber es gab leider auch keine eindeutigen Beweise, dass König Mihul tatsächlich unschuldig war. Faye fühlte sich gerade so sehr an sich selbst erinnert, dass es schon weh tat. Sie selbst hatte die Wahrheit gesagt, aber niemand hatte ihr glauben wollen. Und sie konnte nicht mit Sicherheit wissen, ob er nicht vielleicht auch die Wahrheit sagte, so sehr sie es auch lieber nicht glauben wollte.

Es sah wirklich so aus, als wäre sein Dorf zerstört worden, denn Faye sah keinen anderen Grund für Yaron den König ermorden zu wollen und dafür eine Hinrichtung zu riskieren. Selbst wenn sie jetzt also behaupten würde, die Republik hätte den Angriff genauso gut führen und sich lediglich als reororianische Armee ausgeben können, gäbe es dafür ebenfalls keine Beweise.

»Zunge verschluckt? Hab‘ ich mir schon gedacht«, murrte Yaron und beugte sich noch etwas weiter zu dem Gitter.

»Ihr gewöhnlichen Menschen erzählt viel. Meiner Meinung nach viel zu viel. Und alles was aus euren Mündern kommt sind Lügen. Ihr lügt ohne rot zu werden, verratet sogar ohne Gewissensbisse eure engsten Vertrauten. Glaubst du ehrlich, dass ich dir da abnehme, dass du nicht weißt, was dein König hinter dem Rücken seines Volkes so alles treibt?«, bemerkte er langsam mit tiefer Stimme.

Faye konnte selbst jetzt noch nichts auf seine Vorwürfe erwidern. So sehr sie sich auch bemühte, ihr kamen keine verteidigenden Worte in den Sinn und schon gar nicht aus ihrem Mund. Zugegeben, das was Yaron eben gesagt hatte wollte sie um nichts in der Welt glauben. Sie wollte es nicht und mit all ihrem Wissen über die Königsfamilie konnte sie es auch einfach nicht. Für sie war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass König Mihul zu so etwas im Stande sein sollte. Dennoch konnte sie in dieser Situation nicht anders, als darüber nachzudenken, was Yaron ihr hier dargelegt hatte.

 

Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, stieg Yaron wieder von seiner Pritsche und würdigte Faye keines Blickes mehr. So blieb auch ihr im Grunde nichts anderes mehr übrig, als sich wieder mit sich selbst und ihren Gedanken zu beschäftigen. Langsam sank sie runter auf ihre Pritsche und starrte die Wand gegenüber an. Die ganzen Informationen, die ihr Kopf gerade ungewollt hatte aufnehmen müssen, überschlugen sich geradezu. Allmählich schien Faye überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können. Es sah für sie fast so aus, als hätte sich ihre gesamte Welt innerhalb weniger Stunden komplett auf den Kopf gestellt.

Absolut nichts schien mehr so zu sein, wie sie es in Erinnerung hatte. Nie hätte sie erwartet, dass sich jemand in das Schloss schleichen können würde. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass man sie selbst verdächtigen würde. Und nie im Leben hätte sie auch nur im Entferntesten darüber nachgedacht, ob König Mihul vielleicht doch nicht so gut und gerecht war wie sie immer geglaubt hatte.

Mit jeder schwermütigen Erkenntnis mehr die Faye durch den Kopf ging, rutschte sie weiter auf die Pritsche bis sie schließlich  auf der Seite lag. Sie wollte sich jetzt nicht mehr mit diesen beklemmenden Gedanken beschäftigen. Das einzige was dabei heraus kam war, dass in ihrem Kopf ein nur noch größeres Durcheinander entstand. Daher zog sie es vor, sich lieber mit etwas Schlaf davon abzulenken.

 

Als Faye das nächste Mal ihre Augen öffnete, konnte sie immer noch nicht sagen, ob es Tag oder Nacht oder wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Sie setzte sich langsam auf, als sie verstand was sie aus ihrem Schlaf geholt hatte. Eine der Wachen warf gerade einen Blechteller lieblos durch die kleine Klappe in ihre Zelle. Zwar befanden sich darauf nur ein trockener Laib Brot und ein Becher Wasser, aber es war zumindest besser als gar nichts. Lautlos seufzend rappelte sie sich auf, um den Teller zu holen und sich zurück auf die Pritsche zu setzen.

»Ekelhaft...«, nuschelte sie bei dem Anblick des schon bedenklich harten Brotes.

Mehr oder weniger enthusiastisch griff sie nach eben diesem Gebäck und wollte gerade rein beißen, als sie von nebenan einen dumpfen Schmerzensschrei und ein blechernes Klirren hören konnte. Eigentlich wollte sie es einfach auf sich beruhen lassen, ging es sie im Grunde doch nichts an, was der Junge in der Zelle neben ihrer veranstaltete. Sichtlich zögernd versuchte sie sich zusammen zu reißen, aber letztendlich siegte doch ihre Neugier. Nur zu gerne stellte sie den Teller zur Seite und stieg erneut auf die Pritsche, um durch die Gitterstäbe zum wiederholten Mal einen Blick in die andere Gefängniszelle zu erhaschen.

 

Tatsächlich hatte sie erwartet, dass Yaron zu frech geworden war und die Wache ihn daraufhin geschlagen hatte. Deshalb war sie auch umso überraschter zu sehen, dass sich das Ganze genau anders herum abgespielt hatte. Es war die Wache, die bewusstlos auf dem dreckigen Boden lag, während Yaron davor hockte und offenbar horchte, ob jemand auf seinen Übergriff aufmerksam geworden war. Doch obwohl sogar Faye angestrengt lauschte, konnte sie nicht feststellen, dass jemand anderes aus der Garde etwas von diesem Vorfall bemerkt hatte. Dreist schnappte sich Yaron den Kerkerschlüssel und fesselte der immer noch bewusstlosen Wache die Hände.

Allzu viel konnte Faye durch das schmale Gitter nicht sehen, aber das kurze, hohe Quietschen sagte ihr unmissverständlich, dass der andere gerade seine Zellentür geöffnet hatte. Eilig sprang sie von der Pritsche und stolperte schon fast auf ihre eigene Tür zu, vor der nur einen Moment später Yaron auftauchte und sie wie schon vorher einfach nur anstarrte. Er schien zu überlegen, musterte sie eingehend, machte dann aber ohne ein Wort kehrt und wollte offenbar gehen ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden Faye zu helfen.

 

»H-Hey, warte mal!«, krächzte sie, quetschte einen Arm durch die Gitterstäbe, um diesen nach ihm auszustrecken, »Du kannst mich hier doch nicht einfach sitzen lassen!«

Der junge Wolf stoppte abrupt und drehte sich langsam um. Missbilligend zog er eine Augenbraue in die Höhe.

»Ach so? Kann ich also nicht?«, fragte er spottend und machte ein paar Schritte auf sie zu, »Und warum genau sollte ich dir helfen? Leutnant der königlichen Garde? Damit du dann auch noch die restlichen Überlebenden meiner Art ausrotten kannst?!«

Sein scharfer Blick durchbohrte Faye förmlich, sorgte bei ihr sogar für erneute kalte Schauer.

»Ich hab‘ dir doch schon gesagt, das war ich nicht! Und ich glaube auch nicht, dass es überhaupt jemand aus der Garde war«, rechtfertigte sie sich dementsprechend kleinlaut.

Ihr Gegenüber begann zu grinsen, was für Faye selbst allerdings eher aussah als würde er seine Zähne fletschen. Auch seine deutlich spitzen Eckzähne waren diesem Eindruck nicht gerade abträglich.

»Nenn' mir einen... nur EINEN guten Grund, warum ich dich da raus holen sollte«, forderte er für Fayes Geschmack etwas zu amüsiert.

 

Offensichtlich machte es ihm Spaß, das Leben einer anderen Person völlig seiner der Hand zu haben. Um ehrlich zu sein machte es ihr Angst so von jemandem abhängig zu sein, aber in diesem Fall blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass alles gut gehen würde. Schwer schluckend überlegte sie, was sie ihm anbieten konnte.

»Ich kann dir helfen«, meinte sie schließlich überzeugt, »Im Gegenzug dafür, dass du mich hier raus holst, kann ich dir helfen.«

Natürlich war Yaron noch nicht überzeugt, aber er schien zumindest interessiert, was Faye ihm im Gegenzug für seine Hilfe anbieten konnte. Er trat etwas näher an die Kerkertür und fixierte sie abwartend.

»Ach ja...? Und wie?«

»Erstens kenne ich mich hier sicherlich besser aus als jeder andere«, erklärte sie so ruhig wie ihr nur möglich war, »Ich habe mein gesamtes Leben sozusagen hier im Schloss verbracht. Das bedeutet ich kenne jeden Winkel und jeden geheimen Gang der existiert. Und zweitens kann ich uns beide mit etwas Glück zudem vollkommen unbemerkt hier raus bringen, selbst wenn wir den Soldaten direkt vor der Nase herumtanzen würden.«

 

Nun war Faye an der Reihe ihren Gegenüber abwartend anzusehen. Dieser schien tatsächlich darüber nachzudenken, doch selbst ihm musste klar sein, dass es wohl die beste und vermutlich einzige Möglichkeit war, ungesehen und vor allem unversehrt aus dem Verlies zu entkommen.

»In Ordnung«, sagte er schließlich entschieden und schloss ihre Zelle ebenfalls auf.

Obwohl sie versuchte es nicht zu zeigen, trat Faye mehr als erleichtert durch die nun geöffnete vergitterte Tür. Selbst diese vermeintlich kurze Zeit schien ihr schon viel zu lange gewesen zu sein. Sie atmete tief durch und sah sich nachdenklich um.

»Okay, mit etwas Vorbereitung sind wir in einer guten Stunde aus der Stadt raus«, murmelte sie leise, wollte sie wirklich nicht riskieren doch noch erwischt zu werden.

 

Sie wusste selbst, dass die zwei die Stadt für’s erste wohl besser verlassen sollten. Und genau dafür musste sie jetzt etwas voraus planen. Um so schnell wie möglich fertig zu werden, wies sie Yaron an das Brot, wenngleich es wohl weder lecker noch besonders ansehnlich war, einzupacken. Währenddessen griff sie selbst die immer noch bewusstlose Wache an den Armen und schleppte sie schließlich in ihre eigene Zelle. Eilig und gedankenlos entledigte sie erst sich und dann der Wache ihrer Kleidung und tauschte sie aus. Die Uniform war etwas groß, aber für ihr Vorhaben war sie durchaus ausreichend.

Faye griff nach dem Kurzmesser des Soldaten und besah es sich einen Moment ehe sie einen bedeutenden Entschluss fasste. Tief durchatmend führte sie das Messer an ihre Haare. Es fiel ihr deutlich schwer, weshalb sie letztlich einfach die Augen schloss, als sie ihre Haare kurz vor dem Band, dass diese in einem Pferdeschwanz zusammen hielt, abschnitt.

Ihre Hand klammerte sich für einen Moment fest um den abgeschnittenen Zopf, ehe sie ihn uneinsehbar in einer Ecke der Zelle platzierte. Ihr ehemals langes rotbraunes Haar war nun so kurz, dass sie wohl mit etwas Glück leicht als Mann durchgehen würde. Vor allem, da es draußen schon oder noch etwas dunkel zu sein schien.

 

»Gut, hör mir genau zu, okay?«, bat sie den jungen Wolf und begann ihm leise aber ernst ihren Plan zu erläutern, »Die Wache wird ziemlich sicher in Kürze wieder aufwachen und wenn ich die anderen richtig einschätze, dann werden sie ihn eine Weile ignorieren, um Glauben es wäre ich. Was dich anbelangt, werde ich einfach behaupten, dass deine Hinrichtung vorgezogen wurde und ich dich jetzt schon dort hin bringen soll. Der Informationsfluss unter den Soldaten ist hier nicht besonders gut, was bedeutet, dass es eine Weile dauern wird, bis sie bemerken, dass wir sie angelogen haben. Grob geschätzt haben wir zwischen 15 und 20 Minuten Zeit, um aus dem Schloss zu kommen und uns somit in Sicherheit zu bringen. Aber genau ab diesem Zeitpunkt müssen wir uns beeilen. Denn sobald wir aus dem Schloss raus sind, haben wir kaum mehr Unterschlupfmöglichkeiten, da es sicherlich an die Öffentlichkeit gelangt sein wird, dass wir beide hingerichtet werden sollen.«

Sie umwickelte seine Handgelenke hinter seinem Rücken lose mit einem kurzen Seil.

»Tu einfach so, als wärst du gefesselt. Wenn etwas sein sollte, kannst du die Schlinge ganz leicht wieder lösen und dich im Ernstfall verteidigen. Einfach hier dran ziehen«, erklärte sie und legte ihm das eine Ende des Seils in die Hand.

»Also dann los...«, murmelte Yaron abschließend etwas grummelig und ließ sich kurz darauf von Faye durch die Gänge des Schlosses schieben.

 

Überraschenderweise war es für die beiden kein großes Problem die anderen Soldaten davon zu überzeugen, dass Yarons Hinrichtung wirklich vorverlegt wurde. Nicht einmal aus dem Schloss zu kommen stellte sie vor ein richtiges Hindernis.

Allerdings hatte wohl kurz darauf doch einer der Soldaten Lunte gerochen und Fayes List durchschaut, denn man konnte einen Moment später entfernte Rufe hören, die verdeutlichten, dass ihre Flucht aufgeflogen war. Und auch wenn sie einige Mitglieder der Garde für geistig weniger gesegnet hielt, konnten selbst diese sich wohl ausrechnen, dass Faye diejenige gewesen war, die Yaron aus dem Verlies geführt hatte.

»Ich hoffe für dich, du bist gut in Form. Jetzt können wir nur noch rennen«, murmelte sie trocken und entfernte eilig selbst das Seil von seinen Handgelenken, »Einzeln kommen wir einfacher aus der Stadt. Wir treffen uns an dem Gasthaus etwa eine Stunde südwestlich von hier.«

 

Natürlich war Faye sich im Klaren darüber, dass der andere genauso gut einfach wirklich die Flucht ergreifen und ganz woanders hin laufen konnte oder vielleicht sogar umdrehte und noch einmal versuchen würde den König zu töten. Es bestand auch die Gefahr, dass einer von ihnen wieder gefasst wurde, vielleicht sogar alle beide.

Aber sie war überzeugt, dass es entweder beide oder keinen von ihnen erwischen würde. Auch nur deshalb hoffte sie einfach darauf, dass alles gut ging und Yaron sich an den Plan halten würde, den sie sich überlegt hatte.

Sicher, in der Stadt war es ohne Frage einfacher sich einzeln zu bewegen und so eventuellen Verfolgern zu entkommen, aber wenn es darum ging draußen, außerhalb der Städte, zu überleben, dann galt es sprichwörtlich ‘je mehr, desto besser‘. Zu zweit waren sie zwar nicht mehr ganz so flexibel, aber ihre Chancen stünden dadurch wesentlich besser. Jedoch mussten sie dafür erst einmal aus Merodin heraus kommen, was sich in der Praxis schwieriger gestaltete als in der Theorie.

Es war verblüffend, wie schnell die sonst doch etwas schläfrigen Soldaten die Verfolgung aufgenommen hatten. Besonders Faye hatte mitunter ziemliche Schwierigkeiten sie wieder abzuschütteln. Wohl auch deshalb, weil deren Fokus vermutlich eher auf ihr als auf dem Jungen lag. Immer wieder rannte sie durch Nebenstraßen, versuchte sich über verschiedene Mauern zu retten, lief ab und zu sogar durch das ein oder andere Haus.

Zu ihrem Glück wurden ihre Verfolger aber kurz vor den Stadttoren unfreiwillig durch einen Raubüberfall auf eine junge Frau aufgehalten und mussten so wohl oder übel die Jagd aufgeben. Nicht, dass es Faye wirklich gestört hatte.

Doch selbst als sie die Tore passiert hatte, war keine Zeit sich auszuruhen. Hier direkt vor den Toren würde man sie sehr leicht finden und in dem Fall wäre das ganze Manöver schlicht und ergreifend sinnlos gewesen. Daher schleppte sie sich mit Müh' und Not weiter in Richtung Südwesten, in Richtung des Gasthauses, dass sie Yaron gegenüber erwähnt hatte.

 

Da es kontinuierlich heller wurde, konnte Faye sich ausrechnen, dass der Tag erst begonnen hatte, als sie unten im Verlies ihren Plan geschmiedet hatten. Den Zeitpunkt, an dem sie endlich am Gasthaus ankam, schätzte sie daher ungefähr auf Vormittag. Der Weg dorthin war wahrlich nicht leicht gewesen und obwohl sie gut trainiert war, konnte sie sich kaum mehr auf den Beinen halten. Aber immerhin gab es dort bessere Möglichkeiten sich zu verstecken und den Mitgliedern der Garde eventuell zu entgehen, als an so manchen anderen Orten.

Dem Wirt nannte sie mit Absicht nicht ihren Namen und selbst obwohl es vermutlich mehr Misstrauen erweckte, als sie eigentlich wollte, verbarg sie auch ihr Gesicht relativ geschickt vor jenem. Sie war sich einfach zu sicher, dass man selbst hier schon von der geplanten Hinrichtung gehört hatte und wollte auf keinen Fall ein Risiko eingehen.

Aufmerksam sah sie sich im Hauptsaal des Gasthauses um, doch von Yaron fehlte jede Spur. Faye war sich nicht sicher, ober er bisher bloß noch nicht hier her gefunden oder einfach von Anfang an nie beabsichtigt hatte, sie zu begleiten. Nichtsdestotrotz entschied sie sich dazu, noch etwas zu warten.

Aber mit jeder vergangen Minute beschlich sie immer mehr das Gefühl, dass man ihn entweder erwischt hatte oder er einfach nicht kommen würde, egal wie lange sie noch wartete. Hatte man ihn erwischt, würde es wahrscheinlich seine sofortige Hinrichtung bedeuten. Man würde ihm sicherlich nicht ein zweites Mal die Chance geben zu fliehen, während er auf den Tag seines Todes wartete.

Seltsam war jedoch, dass sie sich trotz der Situation und der Tatsache, dass sich die beiden kaum kannten, Sorgen um den Jüngeren machte. Dieses Gefühl war zu ihrer eigenen Überraschung aber keineswegs befremdlich für sie. Es machte Faye eher gesagt nervös, denn sie wusste nicht mit Sicherheit, was mit ihm geschehen war, nachdem sich ihre Wege in Merodin getrennt hatten. Viel länger konnte sie allerdings auch nicht in diesem Gasthaus verweilen, da sie sonst Gefahr lief, doch noch enttarnt und hingerichtet zu werden. Zwar brachte sie nicht viel ein, dennoch tauschte Faye die Silberscheide des Kurzmessers gegen ein paar Lebensmittel und machte sich bereit weiter zu ziehen.

So gerne sie es auch gewollt hätte, noch länger konnte sie nicht auf Yaron warten.



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