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Warum Sterben beschissenen Tagen entgegen wirkt

Oder von Tagen, an denen man besser unter der Bettdecke bleiben und bloß nicht aufstehen sollte, weil das besser für die Gesundheit und für alles ist.
von

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Dass der Tag scheiße werden würde, merkte ich in den Moment, an welchem mich der Gedanke packte, dass man eigentlich gar nicht lebt, sondern nur stirbt. Ab dem Moment der Geburt setzt der Prozess des Sterbens ein und mit jedem Tag, den man so verbringt, stürzt man tiefer in die Fänge des Sensenmannes. Leben wird also mit Sterben verwechselt und irgendwann ist einfach alles vorbei. Wofür also einen Grund suchen, einen Sinn suchen? Der Sterbeprozess lässt sich ja doch nicht aufhalten.

Nehmen wir einmal an, man bekommt beim Eintritt in diese Welt eine gewisse Anzahl an Atemzügen zur Verfügung gestellt. Bei jedem Luft holen wird diese Zahl geringer und ist eben irgendwann aufgebraucht. Der Haken dabei ist, dass man diese Anzahl nicht kennt. Es bringt also nicht, das eigene Atmen zu regulieren oder, wenn es denn möglich wäre, es auf ein Minimum zu bringen. Das Sprichwort »Jeder Atemzug könnte der letzte sein« würde bei dieser Annahme perfekt passen.

Und genauso so verhält es sich mit dem Sterben. Irgendwann hört dieses ganze Prozedere auf und man ist… nun ja, dann ist man tot. Warum sich also unnötig Gedanken über’s Sterben machen? Sie denken doch auch nicht daran, genau jetzt einen Atemzug zu nehmen oder doch erst in fünf Minuten; Das passiert einfach. Genau wie Sterben.

Und warum ich Sie jetzt mit diesen Gedanken belästige? Nun, ich ärgere mich gerade selbst über mich, warum mein Denkapparat sich überhaupt mit diesem Thema beschäftigt. Gerade eben lag ich noch in meinem Bett, wurde wach und… habe angefangen zu denken. Draußen regnet es übrigens.

Aber zurück zum Thema und warum es ausgerechnet für mich so unnötig ist. Das ist ganz einfach:
 

Als Unsterblicher sterbe ich eben nicht.

Unsterblichkeit bewahrt einen allerdings auch nicht vor absolut beschissenen Tagen. Die damit einhergehende schlechte Laune hat auch bereits eingesetzt und sich in mir breit gemacht. Mit einem Ächzen beschließe ich dann aber doch, meinen Morgen zu beginnen. Und im Prinzip ist das auch direkt der erste Fehler. Durch die fehlende Bettdecke breitet sich eine Gänsehaut auf meinen Körper auf, mein Nacken knackst etwas. Der sich unter meinen Füßen befindliche Laminatboden fühlt sich vergleichsweiße angenehm warm an. Und schmerzhaft. Eine von wo auch immer entlaufene Reißzwecke hat sich in meine Fußsohle gebohrt und wird nun mit spitzen Fingern aus Haut und Hornhaut entfernt. Ein kleiner Tropfen Blut quetscht sich zwischen den Hautschichten hindurch und hinterlässt einen Moment später einen kleinen, roten Fleck auf dem Boden. Die Reißzwecke landet wieder irgendwo im Raum.

Mein Weg führt mich weiter in die Küche. Auf dem Tisch steht ein halbvolles (falls Sie bekennender Pessimist sein sollten: halbleeres) Glas Wasser, daneben liegt eine angebrochene Medikamentenpackung. Ob mir das irgendwas sagen sollte? Vermutlich nicht. Das Arrangement sieht immerhin schon seit drei Wochen so aus. Lediglich die dünne Schicht Staub ist mittlerweile etwas stärker geworden. Gegen Migräne hat der Arzt damals gesagt. Aber auch heute bekommen die Sachen keinerlei Aufmerksamkeit, dafür aber die Kaffeemaschine. Routinemäßig fülle ich erst Wasser ein, stopfe danach einen Filter in die dafür vorhergesehen Öffnung.

Kaffeepulver leer. Das stelle ich keine drei Sekunden später fest, als mir beim Öffnen des Schrankes eine gelb-blaue, leere Papierverpackung entgegenfällt. Also kein Kaffee. Spätestens jetzt wäre mir aufgefallen, dass dieser Tag absolut beschissen werden würde.

Ein wenig unschlüssig stehe ich in der Küche herum, sehe vom Kühlschrank, zur Spüle, zur Deckenlampe und wieder zurück. Schließlich erweckt der gegen das Fenster prasselnde Regen meine Aufmerksamkeit. Wenigstens das Wetter passt hervorragend zu meiner Stimmung. Wobei, das tut es eigentlich immer. Auch Sonnenschein kann einem tierisch auf die Eier gehen. Sonne bedeutet nämlich mehr glückliche, lachende Menschen als normal. Fick dich, Sonne.

Einer Eingebung folgend tappe ich aus der Küche; Dort gibt es immerhin keinen Kaffee also auch nichts mehr zu tun. Ein wenig Koffein gibt es zwar genau so wenig im Flur, dafür hing dort eine gefütterte, schwarze Kapuzenjacke. Enttäuscht zieht sie die bisher angehaltene Gänsehaut zurück, als der Baumwollstoff endlich meine ausgekühlte Haut benetzt. Der auf einem kleinen Tischchen herumstehende Hausschlüssel landet in meiner Hosentasche und beim nach vorne gehen streift mein kleiner Zeh die scharfe Kante des hölzernen Möbelstücks. Dass beides überhaupt noch vorhanden ist, grenzt eigentlich schon an ein kleines Wunder.

Mit einem leisen Fluchen (mein Zeh tut immer noch weh!) schließe ich nunmehr die Haustür hinter mir, steige, lediglich in Jacke und Boxershorts gehüllt, die drei Treppen zur Eingangstür des Wohnkomplexes herab. Diese geöffnet schlägt mir direkt schräg von oben fallendes Wasser ins Gesicht und unangenehm stark wehender Wind wirbelt ein einsames Blatt in das Wirrwarr meines ungekämmten Haars. Beides hält mich allerdings nicht davon ab, mich noch ein paar Schritte weiter in das Unwetter zu begeben. Um diese Uhrzeit müsste der Postbote eigentlich schon dagewesen sein und die hießigen Briefkästen der Anwohner mit Werbung, Anwaltsbriefen, Steuerabrechnungen und noch mehr Werbung vollzustopfen. Mich aber interessiert lediglich die Tageszeitung. Und genau diese liegt, ironisch fest zu einem Bündel verschnürt, direkt vor der Briefkastenreihe auf dem Boden. In einer Pfütze. Durchgenässt. Fick dich, Postbote.

Meine Augen verengen sich leicht und versuchen, zumindest die Schlagseite der Titelzeile noch zu entziffern: »Scheidungskrieg! Heidi W. Ex-Mann legt nach Blutbad endlich Geständnis ab – Schockierende Enthüllungen. Mehr dazu auf S.3« Im Hintergrund lässt sich vage das Gesicht einer Frau erkennen, darunter prangt in bunten Lettern eine Werbeanzeige für Anti-Schuppen-Shampoo. Anti-Schu- steht da, mehr lässt sich nicht mehr erkennen. Vielleicht war es aber auch ein Ausruf zu einer Anti-Schulden-Kampagne oder ein Anti-Schutz für schlechte Laune.

Mittlerweile haben meine Zehen angefangen zu frieren. Sie graben sich, nach Wärme suchend, in den nassen Boden, werden dabei gleichzeitig von oben mit immer mehr Wasser bedeckt. So wie mein ganzer Körper. Bevor ich mich allerdings in den Schlund der schützenden Eingangstür werfe, erreicht eine alte Dame mit Regenmantel und Pudel meine Aufmerksamkeit. Sie kämpft sichtlich gegen die Naturgewalten und ihren Vierbeiner. Der Hund zieht mit beachtlicher Kraft für seine Größe, die alternde Frau hat sichtlich Mühe, die Leine in ihrer Hand zu halten. Und dann tritt sie auch noch mit dem rechten Fuß in eine tiefe Schlammpfütze. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen.

Da hat wohl noch jemand einen beschissenen Tagesanfang. Das Lächeln verbreitert sich, bevor es in sich zusammenfällt. Mit plötzlicher düsterer Miene wende ich mich dem Wohngebäude zu. Beschissene Tage gibt es viele, aber sie sind begrenzt. Sobald man mit dem Sterben einmal begonnen hat, gibt es nämlich für alles eine Grenze. In dieser Hinsicht beneide ich manchmal die Sterblichen. Zum Beispiel jetzt. Eine begrenzte Anzahl an beschissenen Tagen, ach, wäre das schön.

Aber bevor ich mich entscheide, mich an diesem Tag doch einfach wieder zu erneut ins Bett zu legen, fällt mir etwas ein. Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Da beschwere ich mich die ganze Zeit und rede und rede und rede. Dabei habe ich mich doch noch gar nicht vorgestellt. Gestatten:
 

Ich bin das, was Ihnen heute den Tag vermiesen wird!
 



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