Bündel
854 - Köln
Misstrauisch sah Severin erneut das lebhafte Bündel vor sich an. Das Balg, welches lieblos in mehrere Lagen grobe Leinen gewickelt worden war, quietschte ihn mit solch einer guten Laune an, dass der Kölner bezweifelte, dass der Junge sich seiner alles anderen als heiteren Situation bewusst war.
„Und was soll ich damit?“, fragte er dann leicht verwirrt den Boten, der das Kind wie ein unliebsames Paket vor ihm abgestellt hatte.
„Was weiß ich denn…“, brummte der Mann, sichtlich wenig davon angetan, länger als nötig hier zu verweilen. „Euer Exzellenz, der Erzbischof von Köln, Hilduin, meinte, ich solle euch dieses Kind überbringen. Ihr wüsstet schon etwas damit anzufangen.“
Wieder sah Severin zweifelnd zum Grund ihrer Unterhaltung, welcher trotz seines Daumens im Mund ihn selig anlächelte, oder wenigstens die Mundwinkel nach oben zog. Auf jeden Fall sah es gut genährt aus. Die pausbäckigen Wangen waren rosig und wiesen leichte Lachfalten auf. Die dunkelbraunen Augen sahen vertrauensvoll zu ihm auf und erinnerten ihn an den treuherzigen Blick des alten Köters in der Küche des Erzbischofspalastes. Doch was sich in dieser Erscheinung mit fast allem biss, war die wirre Lockenmähne, die durch die rote Farbe wie ein Heiligenschein aus Feuer das kleine Köpfchen umrahmte.
„Kann ich jetzt gehen?“
Ungeduldig trat der Übermittler des Kindes von einem Fuß auf den anderen. Doch Severin bedachte noch den Säugling mit einem langen Blick, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Mann widmete. Sein Herr hatte wahrlich Humor, wenn er ihm, selber noch ein Kind, die volle Verantwortung für einen jüngeren Zögling übertrug. Doch irgendetwas sagte ihm, dass diese halbe Portion kein sterbliches Kind war.
„Woher habt Ihr dieses Kind?“, fragte er dann, als ihm ein Verdacht kam.
„Wir haben es unter größten Schwierigkeiten aus Bremen hergebracht. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welcher Wirbel um dieses Balg gemacht wird.“
Die dunklen Augen Severins weiteten sich, als er verstand, was es mit diesem Kind auf sich hatte. Bremen, natürlich… wie hatte ihm das entfallen können? Der Konflikt und sein Bauchgefühl hätten ihn von Anfang an zum richtigen Schluss führen müssen. Wortlos bückte sich Severin und nahm das Kleinkind in seine Arme. Es stellte sich als schwerer heraus, als es den Anschein auf den jungen Kölner gemacht hatte. Aufmerksam blickte ihn der Kleine an, und Erwartung legte sich auf die kindlichen Züge.
„Du kannst gehen und hol dir deinen Lohn beim Schatzmeister ab.“, meinte Köln dann so bestimmt, wie es ein Junge im Alter von einem Jahrzehnt sein kann. Der Mann nickte und ging.
Eine Weile lang betrachtete das junge kölnische Erzbistum den Knaben in seinen Armen.
„Gaga.“, brabbelte es ausgelassen und grapschte übermütig nach den langen schwarzen Haaren.
„Soso… du bist also das Doppelbistum Bremen-Hamburg.“ Nachdenklich ließ Severin den Blick über den Kreuzgang schweifen, wo ihn der Bote zum Überbringen des Kleinen abgefangen hatte. „Dann brauchst du wie jeder andere Repräsentant einen Namen.“
Der Kleine patschte unbeholfen in seine Hände und schmiegte sich müde an die knöcherne Brust des Erzbistums. Kurze Zeit später war es eingeschlafen und sabberte versonnen in die dunkle Kutte des Kölners. Der Kleine schien ein seliges Vertrauen zu haben und selbst im Schlaf erschien ihm das Kerlchen so unschuldig wie manche Abbildung des Jesuskindes.
Unschuldig…
Nein, in diesem Konflikt um die Wahrung der eigenen Macht war nichts unschuldig und doch….
Auch wenn dieses Balg in Zukunft der Repräsentant des Erzbistums Bremen war, so trug er keine Schuld an dem Streit, der wegen ihm entbrannt war.
„Innozenz.“, flüsterte Severin seinem neuen Schützling ins Ohr und begab sich auf die Suche nach einer Person, die ihm helfen konnte, mit dieser neuen Herausforderung klar zu werden.